Urteil des EuGH vom 09.09.2003

EuGH: verordnung, agrarpolitik, kommission, verarbeitung, beherrschende stellung, wettbewerbsrecht, freizügigkeit der arbeitnehmer, verbot der diskriminierung, handel, mitgliedstaat

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
9. September 200
„Gemeinsame Agrarpolitik - Artikel 32 EG bis 38 EG - Verordnung (EWG) Nr. 804/68 - Gemeinsame
Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse - Richtpreis für Milch - Verordnung Nr. 26 - Anwendung
bestimmter Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit
diesen Erzeugnissen - Möglichkeit der Mitgliedstaaten, auf Milcherzeuger, die in Kooperativen
zusammengeschlossen sind und über Marktmacht verfügen, nationale Wettbewerbsregeln anzuwenden“
In der Rechtssache C-137/00
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's
Bench Division (Crown Office) (Vereinigtes Königreich), in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
The Queen
gegen
The Competition Commission,
Secretary of State for Trade and Industry,
The Director General of Fair Trading,
ex parte:
Milk Marque Ltd,
National Farmers' Union,
weitere Verfahrensbeteiligte:
Dairy Industry Federation (DIF),
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 12 EG, 28 EG bis 30 EG, 32 EG
bis 38 EG, 49 EG und 55 EG, der Verordnung Nr. 26 des Rates vom 4. April 1962 zur Anwendung bestimmter
Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen
Erzeugnissen (ABl. 1962, Nr. 30, S. 993) und der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni 1968
über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. L 148, S. 13) in der Fassung
der Verordnung (EG) Nr. 1587/96 des Rates vom 30. Juli 1996 (ABl. L 206, S. 21)
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten und der Fünften Kammer M. Wathelet in Wahrnehmung der
Aufgaben des Präsidenten, der Kammerpräsidenten R. Schintgen und C. W. A. Timmermans sowie der Richter
C. Gulmann, D. A. O. Edward, A. La Pergola, P. Jann und V. Skouris (Berichterstatter), der Richterinnen F.
Macken und N. Colneric und des Richters J. N. Cunha Rodrigues,
Generalanwältin: C. Stix-Hackl,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen der
- Milk Marque Ltd, vertreten durch K. P. E. Lasok, QC, und A. Griffiths, Barrister, beauftragt durch
Freshfields, Solicitors,
- National Farmers' Union, vertreten durch S. Isaacs, QC, und C. Lewis, Barrister, beauftragt durch C.
Holme, Solicitor,
- Dairy Industry Federation (DIF), vertreten durch N. Green, QC, beauftragt durch N. Parr, Solicitor,
- Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins als Bevollmächtigten im Beistand von
D. Anderson, QC, und K. Beal, Barrister,
- Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Oliver und K. Wiedner als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Milk Marque Ltd, vertreten durch K. P. E. Lasok, der
National Farmers' Union, vertreten durch S. Isaacs und C. Lewis, der Dairy Industry Federation (DIF),
vertreten durch N. Green und M. Lester, Barrister, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten
durch G. Amodeo als Bevollmächtigte im Beistand von D. Anderson und K. Beal, und der Kommission,
vertreten durch P. Oliver und K. Wiedner, in der Sitzung vom 5. Februar 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 17. September 2002
folgendes
Urteil
1.
Der High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Crown Office), hat mit
Beschluss vom 31. März 2000, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 11. April 2000, nach
Artikel 234 EG vier Fragen nach der Auslegung der Artikel 12 EG, 28 EG bis 30 EG, 32 EG bis 38 EG, 49
EG und 55 EG, der Verordnung Nr. 26 des Rates vom 4. April 1962 zur Anwendung bestimmter
Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen
Erzeugnissen (ABl. 1962, Nr. 30, S. 993) und der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni
1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milchezeugnisse (ABl. L 148, S. 13) in der
Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1587/96 des Rates vom 30. Juli 1996 (ABl. L 206, S. 21, im
Folgenden: Verordnung Nr. 804/68) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Milk Marque Ltd (im Folgenden: Milk
Marque) und der National Farmers' Union (im Folgenden: NFU) einerseits und der Competition
Commission, ehemals Monopolies und Mergers Commission (im Folgenden: Competition Commission),
dem Secretary of State for Trade and Industry (im Folgenden: Secretary of State) und dem Director
General of Fair Trading (im Folgenden: DGFT) andererseits wegen eines Berichtes der Competition
Commission, in dem gegen Milk Marque wegen ihres angeblich wettbewerbswidrigen Verhaltens
bestimmte Maßnahmen empfohlen wurden, und wegen der auf der Grundlage dieses Berichtes
erlassenen Entscheidungen des Secretary of State.
Rechtlicher Rahmen
3.
Artikel 33 Absatz 1 EG lautet:
„(1) Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik ist es:
a) die Produktivität der Landwirtschaft durch Förderung des technischen Fortschritts,
Rationalisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung und den bestmöglichen Einsatz der
Produktionsfaktoren, insbesondere der Arbeitskräfte, zu steigern;
b) auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-
Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu
gewährleisten;
c) die Märkte zu stabilisieren;
d) die Versorgung sicherzustellen;
e) für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen.“
4.
Nach Artikel 34 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG hat sich die gemeinsame Organisation der Agrarmärkte
auf die Verfolgung der Ziele des Artikels 33 EG zu beschränken und jede Diskriminierung zwischen
Erzeugern oder Verbrauchern innerhalb der Gemeinschaft auszuschließen.
5.
Artikel 36 EG bestimmt:
„Das Kapitel über die Wettbewerbsregeln findet auf die Produktion landwirtschaftlicher Erzeugnisse
und den Handel mit diesen nur insoweit Anwendung, als der Rat dies unter Berücksichtigung der Ziele
des Artikels 33 ... bestimmt.“
6.
Die Verordnung Nr. 26 wurde auf der Grundlage der Artikel 42 EWG-Vertrag (jetzt Artikel 36 EG) und
43 EWG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 37 EG) erlassen.
7.
Nach der ersten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 26 folgt aus „Artikel [36] des Vertrags
..., dass die Anwendung der im Vertrag vorgesehenen Wettbewerbsregeln auf die Produktion
landwirtschaftlicher Erzeugnisse und den Handel mit diesen zum Wesen der gemeinsamen Agrarpolitik
gehört“.
8.
Nach Artikel 1 der Verordnung Nr. 26 finden die „Artikel [81] bis [86] des Vertrags sowie die zu ihrer
Anwendung ergangenen Bestimmungen ... vorbehaltlich des Artikels 2 auf alle in den Artikeln [81]
Absatz (1) und [82] des Vertrags genannten Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen
bezüglich der Produktion der in Anhang [I] des Vertrags aufgeführten Erzeugnisse und den Handel mit
diesen Anwendung“.
9.
Zu den im Anhang I des Vertrages aufgeführten Erzeugnissen gehört auch Milch.
10.
Artikel 2 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 26 bestimmt:
„(1) Artikel [81] Absatz (1) des Vertrags gilt nicht für die in Artikel 1 genannten Vereinbarungen,
Beschlüsse und Verhaltensweisen, die wesentlicher Bestandteil einer einzelstaatlichen Marktordnung
sind oder zur Verwirklichung der Ziele des Artikels [33] des Vertrags notwendig sind. Er gilt
insbesondere nicht für Vereinbarungen, Beschlüsse und Verhaltensweisen von landwirtschaftlichen
Erzeugerbetrieben, Vereinigungen von landwirtschaftlichen Erzeugerbetrieben oder Vereinigungen von
solchen Erzeugervereinigungen aus einem Mitgliedstaat, soweit sie ohne Preisbindung die Erzeugung
oder den Absatz landwirtschaftlicher Erzeugnisse oder die Benutzung gemeinschaftlicher
Einrichtungen für die Lagerung, Be- oder Verarbeitung landwirtschaftlicher Erzeugnisse betreffen, es
sei denn, die Kommission stellt fest, dass dadurch der Wettbewerb ausgeschlossen wird oder die
Ziele des Artikels [33] des Vertrags gefährdet werden.
(2) Vorbehaltlich der Nachprüfung durch den Gerichtshof ist die Kommission ausschließlich
zuständig, nach Anhörung der Mitgliedstaaten und der beteiligten Unternehmen oder
Unternehmensvereinigungen sowie jeder anderen natürlichen oder juristischen Person, deren
Anhörung sie für erforderlich hält, durch Entscheidung, die veröffentlicht wird, festzustellen, welche
Beschlüsse, Vereinbarungen und Verhaltensweisen die Voraussetzungen des Absatzes (1) erfüllen.“
11.
Die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse wurde durch die Verordnung Nr.
804/68 geschaffen. Neben anderen konkreten Maßnahmen sieht die Verordnung die Festsetzung
eines Richtpreises für Milch auf Gemeinschaftsebene vor. Dazu heißt es in Artikel 3 der Verordnung:
„(1) Für die Gemeinschaft wird jährlich ein Richtpreis für Milch festgesetzt.
...
(2) Der Richtpreis ist der Milchpreis, der für die von den Erzeugern im Milchwirtschaftsjahr insgesamt
verkaufte Milch angestrebt wird, und zwar entsprechend den Absatzmöglichkeiten, die sich auf dem
Markt der Gemeinschaft und den Märkten außerhalb der Gemeinschaft bieten.
(3) Der Richtpreis wird für Milch mit 3,7 v. H. Fettgehalt frei Molkerei festgesetzt.
(4) Der Richtpreis wird nach dem Verfahren des Artikels [37] Absatz 2 des Vertrages festgesetzt.“
12.
Im Zeitraum 1997/1998, auf den sich der Bericht der Competition Commission bezieht, galt die
Verordnung (EG) Nr. 1190/97 des Rates vom 25. Juni 1997 zur Festsetzung des Richtpreises für Milch
und der Interventionspreise für Butter und Magermilchpulver für das Milchwirtschaftsjahr 1997/1998
(ABl. L 170, S. 6). Laut der ersten Begründungserwägung dieser Verordnung war bei „der alljährlichen
Festsetzung der gemeinsamen Agrarpreise ... den Zielen der gemeinsamen Agrarpolitik Rechnung zu
tragen. Die gemeinsame Agrarpolitik hat insbesondere zum Ziel, der landwirtschaftlichen Bevölkerung
eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten, die Versorgung sicherzustellen und für die
Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen.“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
13.
Milk Marque ist eine Kooperative von Milcherzeugern, die sich mit der Sammlung, dem Vertrieb und
der Lieferung von Milch befasst. Unmittelbar nach der im Jahr 1994 durchgeführten Deregulierung des
Milchmarktes im Vereinigten Königreich lieferten die Mitglieder von Milk Marque etwa 60 % der Milch in
Großbritannien. Im Zeitraum 1997/1998, auf den sich der Bericht der Competition Commission bezieht,
waren es noch etwa 49,6 %. In der Zeit von April bis September 1999 fiel dieser Anteil weiter auf 40,8
%.
14.
Den Akten lässt sich entnehmen, dass die Erzeuger des Vereinigten Königreichs für ihre Milch stets,
vor und nach der Deregulierung, einen geringeren Preis als den gemeinschaftsrechtlich festgesetzten
Richtpreis erhielten und dass die von ihnen praktizierten Preise immer zu den niedrigsten gehörten,
die von Erzeugern in England und Wales angeboten wurden.
15.
Ursprünglich besaß Milk Marque keine eigenen Anlagen für die Verarbeitung von Milch. Sie erwarb
im Jahr 1997 eine erste Käserei und 1998 eine zweite. Sie plant, ihre Milchverarbeitungskapazitäten
erheblich auszuweiten. Aus dem Beweismaterial, das beim High Court eingereicht wurde, geht hervor,
dass es in anderen Mitgliedstaaten mehrere Milcherzeugerkooperativen mit erheblichen Marktanteilen
gibt, die vertikal zusammengesetzt sind.
16.
Auf Ersuchen des DGFT vom 27. Januar 1998 leitete die Competition Commission als zuständige
Behörde für die Untersuchung und Meldung von Monopolsituationen im Sinne des Fair Trading Act
1973 (im Folgenden: FTA) und des Competition Act 1998 (im Folgenden: CA) eine Untersuchung über
das etwaige Vorliegen einer Monopolsituation bei der Lieferung von Rohkuhmilch in Großbritannien
ein. Sie schloss diese Untersuchung am 26. Februar 1999 ab und legte ihren Bericht dem Secretary of
State vor.
17.
In dem Bericht stellte die Competition Commission zunächst fest, dass eine bedeutende
Monopolsituation im Sinne von Section 6 Absatz 1 Buchstabe a FTA bestehe, da Milk Marque
mindestens ein Viertel aller Milchlieferungen in Großbritannien erbringe.
18.
Zweitens wird in dem Bericht festgestellt, dass Milk Marque auf dem Milchmarkt in Großbritannien
eine „Machtstellung“ („powerful position“) einnehme, was dazu beigetragen habe, dass „Milch ... in
Großbritannien zu einem höheren Preis verkauft [werde], als er bei stärkerem Wettbewerb erreicht
worden wäre“.
19.
Drittens stellte die Competition Commission in ihrem Bericht fest, dass Milk Marque ihre
„Marktmacht“ („market power“) zur Ausnutzung und Aufrechterhaltung der zu ihren Gunsten
bestehenden Monopolsituation eingesetzt habe, indem sie
- verschiedene Formen der Preisdiskriminierung praktiziert und dadurch den Durchschnittspreis für
Milch über das normale Preisniveau hinaus gesteigert habe,
- den sekundären Milchhandel zwischen Verarbeitern durch die Erhebung überhöhter
Weiterleitungsgebühren und Beschränkungen beim Milchverkauf unterbunden habe,
- Milch den herkömmlichen Verkaufswegen entzogen, dadurch bei weitgehend unveränderter
Nachfrage die ihren Kunden angebotenen Milchmengen eingeschränkt und so den Mindestpreis für
Milch erhöht habe,
- ihr Verkaufssystem so organisiert habe, dass zwischen ihr selbst und ihren Kunden ein
Informationsgefälle entstanden sei, und dadurch ihre Kunden unnötig verunsichert und sie so
veranlasst habe, Milch zu einem höheren Durchschnittspreis als andernfalls zu kaufen,
- verspätet die Bedeutung der proaktiven Rückverfolgbarkeit anerkannt und sich entsprechenden
Kundenwünschen gegenüber ablehnend verhalten habe und
- den berechtigten Wünschen ihrer Groß- und kleineren Kunden hinsichtlich des ihnen angebotenen
Vertragstyps und in anderen Angelegenheiten nicht angemessen Rechnung getragen habe.
20.
Viertens stellte die Competition Commission fest, dass es sich bei den Praktiken und dem Verhalten
von Milk Marque (ausgenommen ihr Verhalten hinsichtlich der Rückverfolgbarkeit) um einen
erwiesenen Sachverhalt handele, der tatsächlich oder mutmaßlich dem öffentlichen Interesse
zuwiderlaufe und folgende nachteilige Wirkungen habe:
„i) Erhöhungen des Rohmilchpreises, die zumindest teilweise an die Verbraucher weitergegeben
wurden, so dass die Verbraucher für frische Milch mehr zahlen müssen, als es der Fall wäre, wenn Milk
Marque keine höheren als die wettbewerbsfähigen Preise hätte erzielen können, und
ii) höhere Kosten und größere Unsicherheit für die Milch verarbeitende Industrie in Großbritannien,
so dass Verarbeiter in Großbritannien weniger investiert haben und bei international gehandelten
Erzeugnissen weniger wettbewerbsfähig geworden sind, als sie es sonst wären, und außerdem die
Erzeugung in Großbritannien nach Umfang und Wert geringer ist als andernfalls“.
21.
Als ebenfalls erwiesen sah es die Competition Commission an, dass Milk Marques
Tochtergesellschaft MMD eine Ausweitung der Verarbeitungskapazitäten von Milk Marque geplant
habe, die dem öffentlichen Interesse zuwiderlaufe und sich insbesondere dahin nachteilig auswirken
könne, dass Milk Marque die zu ihren Gunsten bestehende bedeutende Monopolsituation noch
stärker ausnutzen und so die bereits genannten nachteiligen Wirkungen noch verstärken könnte.
22.
Auf der Grundlage dieser Feststellungen gab die Competition Commission bestimmte Empfehlungen
ab, die zum Zweck hatten, „die Marktmacht von Milk Marque zu beseitigen, einen
wettbewerbsfähigeren Markt für Milchlieferungen zu schaffen und Erzeugern und Verarbeitern neue
Möglichkeiten für die Entwicklung von Geschäftsbeziehungen zu erschließen, die sowohl in ihrem
eigenen Interesse als auch im Verbraucherinteresse liegen“. Die Hauptempfehlung zielte auf eine
Umstrukturierung von Milk Marque durch ihre Aufspaltung in drei bis fünf unabhängige und
miteinander konkurrierende Einrichtungen mit bestimmten Quoten, die in der Lage sein sollten, ihre
Milch auf gewöhnlicher geschäftlicher Basis zu verkaufen und, soweit gewünscht, auch in der
Milchverarbeitung tätig zu sein.
23.
Die Competition Commission empfahl weiterhin eine Reihe von „vorläufigen Maßnahmen“, die bis zur
Verwirklichung der empfohlenen Aufspaltung von Milk Marque gelten sollten. Durch diese Maßnahmen
sollte sichergestellt werden, dass Milk Marque
„a) keine weiteren Schritte unternimmt, um eine Vereinbarung zum Erwerb oder zur Errichtung von
Verarbeitungsbetrieben zu treffen oder durchzuführen;
b) keine weiteren vertraglichen Vorkehrungen für die Verarbeitung treffen kann, außer in Notfällen
oder bei andernfalls unvermeidlicher Vernichtung von Milch;
c) keine individuell ausgehandelten Milchlieferungsverträge mit Verarbeitern zu Bedingungen
schließt, die nicht veröffentlicht und allen Käufern zugänglich gemacht werden;
d) keine Milchlieferungsverträge schließt, die die Verwendung der nach diesen Verträgen gelieferten
Milch beschränken;
e) den Wechsel von einer Milchlieferstelle zu einer anderen nicht beschränken oder mit Gebühren
belasten kann, die die tatsächlichen Mehrkosten übersteigen“.
24.
Am 6. Juli 1999 gab der Secretary of State seine auf der Grundlage des Berichtes der Competition
Commission getroffenen Entscheidungen bekannt. Er billigte alle Feststellungen und Empfehlungen
des Berichtes mit Ausnahme der vorgeschlagenen Aufspaltung von Milk Marque. Stattdessen ersuchte
er den DGFT, zu prüfen und ihm vorzuschlagen, welche Änderungen der von Milk Marque praktizierten
Verkaufsbedingungen notwendig wären, um die im Bericht genannten Wirkungen zum Nachteil des
öffentlichen Interesses zu beseitigen. Hingegen billigte der Secretary of State die von der Competition
Commission vorgeschlagenen vorläufigen Maßnahmen und beschloss, von Milk Marque die bindende
Zusage zu erwirken, dass sie diesen Maßnahmen binnen drei Monaten auf unbestimmte Dauer
nachkommen werde.
25.
Nach diesen Entscheidungen des Secretary of State kündigte Milk Marque in einer Pressemitteilung
vom 17. September 1999 an, dass sie sich in drei kleine Kooperativen aufspalten werde, die vom 1.
April 2000 an tätig sein sollten. Diesem Vorschlag waren Erörterungen mit dem Department of Trade
and Industry und dem Office of Fair Trading vorausgegangen. Dabei hatte der Secretary of State
erklärt, dass er die Anwendung der von der Competition Commission vorgeschlagenen vorläufigen
Maßnahmen nicht weiterverfolgen werde, wenn er von Milk Marque die Zusicherung erhielte, dass
- die neuen Kooperativen völlig selbständig tätig sein und ihre Milch unabhängig voneinander
verkaufen würden,
- es zwischen ihnen beim Verkauf und bei der Verarbeitung von Milch kein gemeinsames Vorgehen
geben würde,
- die neuen Kooperativen keine gemeinsamen Direktoren haben würden und
- sie keine gegenseitigen Beteiligungen halten würden.
26.
Am 5. November 1999 nahm der Secretary of State seine Aufforderung an Milk Marque, sie solle die
Umsetzung der im Bericht der Competition Commission vorgeschlagenen vorläufigen Maßnahmen
bindend zusagen, wieder zurück. Er wies jedoch darauf hin, dass er den neuen Kooperativen die
Verarbeitung ihrer Milch nur gestatten werde, wenn er sich davon überzeugen könne, dass sie
unabhängig voneinander tätig seien.
27.
Ungeachtet dieser Vorgänge erhob Milk Marque beim High Court eine Klage gegen den Bericht der
Competition Commission und die anschließenden Entscheidungen des Secretary of State. Daraufhin
erhob auch die NFU - ein Verband, dem 80 % der Landwirte in Großbritannien angehören - beim High
Court eine Klage gegen den Bericht und die genannten Entscheidungen. Der High Court ordnete die
Verbindung der beiden Klagen an.
28.
Milk Marque und die NFU haben vor dem High Court insbesondere geltend gemacht, dass die
Competition Commission und der Secretary of State dadurch gegen verschiedene Vorschriften des
Gemeinschaftsrechts verstoßen hätten, dass sie sich zur Untersuchung der Geschäftstätigkeit der
Mitglieder von Milk Marque für zuständig erklärt und Maßnahmen nach dem FTA empfohlen oder
ergriffen hätten, um die Mitglieder von Milk Marque an der Erzielung eines höheren Preises für ihre
Milch zu hindern. Der Secretary of State und/oder die Competition Commission hätten auch dadurch
gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen, dass sie entsprechende Maßnahmen auf der Grundlage
des FTA oder des CA für die Zukunft erlassen hätten.
29.
Nach Auffassung des High Court ist für seine Entscheidung, ob die Klagen von Milk Marque und der
NFU begründet sind und in welcher Höhe ihnen möglicherweise Schadensersatz zusteht, eine
Vorabentscheidung u. a. darüber einzuholen, ob die nationalen Behörden im Rahmen der
gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse eine Zuständigkeit für ein
Tätigwerden besitzen und, wenn ja, welchen rechtlichen Beschränkungen sie für die Wahrnehmung
einer solchen Zuständigkeit unterliegen.
30.
Zur Ankündigung von Milk Marque, dass sie sich vom 1. April 2000 an in mehrere kleine
Regionalkooperativen mit einem jeweiligen Marktanteil unterhalb der Schwelle von 25 %, von der an
die Vorschriften des FTA über bedeutende Monopole eingriffen, aufspalten werde, weist der High
Court darauf hin, dass die mit der Klage angegriffenen Entscheidungen des Secretary of State von
dieser Ankündigung beeinflusst worden seien. Dennoch habe der High Court die „fortdauernde“
Anwendung des FTA sowie des CA, der zum 1. März 2000 in Kraft trete, zu berücksichtigen.
31.
Vor diesem rechtlichen und tatsächlichen Hintergrund hat der High Court of Justice (England &
Wales), Queen's Bench Division (Crown Office), das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof
folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Sind die Artikel 32 EG bis 38 EG sowie die Verordnung Nr. 26 des Rates vom 4. April 1962 und die
Verordnung Nr. 804/68 des Rates in geänderter Fassung dahin auszulegen, dass sie einen
Mitgliedstaat in folgenden Fällen daran hindern, nationale Gesetze wie den Fair Trading Act 1973 und
den Competition Act 1998 auf die Art und Weise anzuwenden, in der Milcherzeuger sich zu
Kooperativen zusammenschließen und in der sie sich in Bezug auf den Verkauf und die Verarbeitung
ihrer Milch verhalten:
a) unter allen Umständen oder
b) wenn die beabsichtigte oder tatsächliche Wirkung darin besteht, diesen Erzeugern die
Möglichkeit zu nehmen, den Preis für ihre Milch zu erhöhen, oder
c) wenn die beabsichtigte oder tatsächliche Wirkung darin besteht, dass der Preis, den die
Erzeuger für ihre Milch erhalten, sinkt, obwohl er bereits unter dem gemäß Artikel 3 der Verordnung
Nr. 804/68 festgesetzten Richtpreis liegt, oder
d) wenn ein Verstoß vorliegt gegen
i) die in Artikel 33 EG genannten Ziele und/oder
ii) die Grundgedanken, die Ziele oder die Funktionsfähigkeit der gemeinsamen
Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse und/oder
iii) die Grundgedanken von Artikel 36 EG und der Verordnung Nr. 26?
2. Hindert die Funktion des vom Rat gemäß der Verordnung Nr. 804/68 festgesetzten Richtpreises
für Milch einen Mitgliedstaat daran,
a) den Richtpreis als Indikator der auf der gemeinsamen Agrarpolitik beruhenden tatsächlichen
Preisveränderungen heranzuziehen und
b) die Tatsache, dass eine Kooperative von Milcherzeugern in diesem Staat für ihre Mitglieder
Milchpreise erzielt hat, die unter dem Richtpreis liegen, aber in einem bestimmten Zeitraum dem
Richtpreis näher sind als in einem anderen Zeitraum, als Beleg dafür zu behandeln, dass die
Kooperative Marktmacht ausübt, die dazu beiträgt, dass die Preise höher sind, als sie bei stärkerem
Wettbewerb wären?
3. Sind die Artikel 28 EG bis 30 EG und die Artikel 49 EG und 55 EG dahin auszulegen, dass sie einen
Mitgliedstaat daran hindern, nationale Gesetze wie den Fair Trading Act 1973 und den Competition Act
1998 so anzuwenden, dass einer Kooperative von Milcherzeugern, der Marktmacht beigemessen
wurde, die Versendung der von ihren Mitgliedern erzeugten Milch zur Verarbeitung für ihre Rechnung
an Vertragspartner - auch in anderen Mitgliedstaaten - als Schritt der Kooperative zur Ausnutzung
ihrer Marktstellung zu ihren Gunsten untersagt wird?
4. Ist das allgemeine Diskriminierungsverbot - eigenständig oder in seiner besonderen Ausprägung
in den Artikeln 12 EG und/oder 34 EG - im Hinblick darauf, dass in anderen Mitgliedstaaten große
vertikal integrierte Milcherzeugerkooperativen bestehen und tätig werden dürfen, dahin auszulegen,
dass es einen Mitgliedstaat daran hindert, nationale Gesetze wie den Fair Trading Act 1973 und den
Competition Act 1998 anzuwenden, um einer Kooperative von Milcherzeugern, der Marktmacht
beigemessen wurde, zu untersagen,
a) weitere Anlagen für die Verarbeitung der von ihren Mitgliedern erzeugten Milch zu erwerben
oder zu errichten, die der Kooperative die Möglichkeit geben würden, ihre Marktstellung noch stärker
zu ihren Gunsten auszunutzen, oder
b) als Schritt der Kooperative zur Ausnutzung ihrer Marktstellung zu ihren Gunsten die von ihren
Mitgliedern erzeugte Milch zur Verarbeitung für ihre Rechnung an Vertragspartner in dem betreffenden
Mitgliedstaat oder in anderen Mitgliedstaaten zu senden?
Zur Zulässigkeit
32.
Die Regierung des Vereinigten Königreichs bezweifelt die Zulässigkeit der Vorlagefragen. Die
Machtposition von Milk Marque auf dem Milchmarkt, die bei der Untersuchung der Competition
Commission festgestellt worden sei und auf der deren Bericht sowie alle anschließenden
Entscheidungen und Empfehlungen beruhten, sei durch die freiwillige Aufspaltung von Milk Marque in
drei Kooperativen beseitigt worden.
33.
Zwar halte das vorlegende Gericht die bei ihm anhängige Klage von Milk Marque nicht für erledigt,
und zwar insbesondere wegen der von Milk Marque vorgelegten Beweise für eine etwaige künftige
Anwendung des Wettbewerbsrechts des Vereinigten Königreichs auf ihre Nachfolgegesellschaften.
Milk Marque habe u. a. darauf verwiesen, dass es für ihre Nachfolgekooperativen „geschäftlich und
wirtschaftlich vernünftig“ sein könnte, ein gemeinsames Handeln, von einer Entwicklung struktureller
Verbindungen über gemeinsame Ver- und Ankäufe von Verarbeitungskapazitäten bis zu einer Fusion,
in Aussicht zu nehmen.
34.
Unter diesen Umständen sei einzuräumen, dass eine Beantwortung der ersten Frage, wenn sie
auch sehr allgemein gefasst sei, für die zuständigen Wettbewerbsbehörden, darunter die des
Vereinigten Königreichs, zur Abgrenzung ihres künftigen Tätigkeitsgebiets im Agrarbereich von
Interesse sein könnte. Sehr zweifelhaft sei aber, ob die zweite, die dritte und die vierte Frage
zweckmäßig seien.
35.
Was speziell die zweite Frage betreffe, so sei sie rein theoretisch. Sie enthalte keinesfalls eine
gemeinschaftsrechtliche Fragestellung, über die der Gerichtshof im Vorabentscheidungsverfahren zu
befinden hätte.
36.
Hinsichtlich der dritten und der vierten Frage sei zum einen zu bedenken, dass sie, soweit sie sich
auf den Bericht der Competition Commission bezögen, durch die Ereignisse überholt seien. Soweit sie
zum anderen eine Situation beträfen, die sich möglicherweise künftig dann ergeben könne, wenn eine
Kooperative eine Marktmacht erlangte, angesichts deren die in diesen Fragen angesprochenen
Beschränkungen in Betracht kämen, seien diese Fragen nur völlig hypothetischer Art.
37.
Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen
Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, im
Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung
zum Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorgelegten Fragen zu
beurteilen. Betreffen die vorgelegten Fragen die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, so ist der
Gerichtshof daher grundsätzlich gehalten, darüber zu befinden. Er kann die Entscheidung über die
Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des
Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand
des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über
die erforderlichen tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, um die ihm vorgelegten Fragen
sachdienlich beantworten zu können (vgl. u. a. Urteile vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C-
415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnrn. 59 bis 61, vom 13. Juli 2000 in der Rechtssache C-36/99,
Idéal tourisme, Slg. 2000, I-6049, Randnr. 20, und vom 13. März 2001 in der Rechtssache C-379/98,
PreussenElektra, Slg. 2001, I-2099, Randnrn. 38 und 39).
38.
Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass das vorlegende Gericht dem Gerichtshof, wie aus dem
Vorlagebeschluss hervorgeht, eine eingehende Darlegung des tatsächlichen und rechtlichen
Rahmens des Ausgangsrechtsstreits sowie der Gründe, aus denen es eine Beantwortung der
Vorlagefragen für seine Entscheidung für erforderlich hält, unterbreitet hat.
39.
Das vorlegende Gericht hat ferner klargestellt, dass es nicht die Auffassung des Vereinigten
Königreichs teile, wonach der Bericht der Competition Commission und die Entscheidungen des
Secretary of State durch die seither eingetretenen Ereignisse, besonders die freiwillige Aufspaltung
von Milk Marque in drei gesonderte Kooperativen, überholt seien. Denn das vorlegende Gericht habe,
um über die Begründetheit der von Milk Marque und der NFU erhobenen Klagen entscheiden zu
können, die „fortdauernde“ Anwendung des FTA und des CA zu berücksichtigen, und somit sei das
Vorabentscheidungsersuchen erforderlich, damit es die Rechte und Verpflichtungen der Parteien, das
Bestehen einer Zuständigkeit der nationalen Behörden und die Grenzen für deren Ausübung sowie
den Schadensersatz, der Milk Marque und der NFU gegebenenfalls zuzusprechen sei, fehlerfrei
beurteilen könne.
40.
Folglich sind die erste, die dritte und die vierte Frage für zulässig zu erklären.
41.
Soweit die Regierung des Vereinigten Königreichs schließlich bemängelt, dass die zweite Frage
keine gemeinschaftsrechtlichen Probleme aufwerfe, genügt der Hinweis, dass das vorlegende Gericht
mit dieser Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob es der Verordnung Nr. 804/68 zuwiderläuft, dass
die nationalen Wettbewerbsbehörden den für die Gemeinschaft festgesetzten Richtpreis heranziehen,
um im Rahmen eines nationalen Verfahrens die Marktmacht eines Unternehmens zu prüfen. Damit
betrifft diese Frage durchaus die Auslegung des Gemeinschaftsrechts und ist daher ebenfalls
zulässig.
42.
Demnach sind die Vorlagefragen zu beantworten.
Zur ersten Frage
43.
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 32
EG bis 38 EG und die Verordnungen Nrn. 26 und 804/68 dahin auszulegen sind, dass im Bereich der
gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse die nationalen Behörden eine
Zuständigkeit dafür besitzen, ihr nationales Wettbewerbsrecht auf eine Kooperative von
Milcherzeugern anzuwenden, die eine Machtstellung auf dem nationalen Markt innehat.
44.
Ist dies zu bejahen, so möchte das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage weiter wissen,
welchen Grenzen diese etwaige Zuständigkeit unterliegt, und insbesondere, ob die nationalen
Wettbewerbsbehörden diese Grenzen überschreiten, wenn sie gegenüber einer Agrarkooperative, die
eine Machtstellung auf dem Markt innehat und deren Preise im relevanten Zeitraum stets unter dem
Richtpreis nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 lagen, Maßnahmen wie die im
Ausgangsverfahren fraglichen erlassen.
45.
Es ist deshalb zunächst zu prüfen, ob die Mitgliedstaaten grundsätzlich dafür zuständig sind, im
Bereich der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse auf der Grundlage ihres
nationalen Wettbewerbsrechts tätig zu werden.
Erklärungen der Verfahrensbeteiligten vor dem Gerichtshof
46.
Milk Marque und die NFU meinen, dass die nationalen Behörden nach der Rechtsprechung des
Gerichtshofes (Urteile vom 23. Januar 1975 in der Rechtssache 31/74, Galli, Slg. 1975, 47, Randnrn.
26 bis 30 und 32, vom 22. Januar 1976 in der Rechtssache 60/75, Russo, Slg. 1976, 45, Randnr. 5,
vom 6. November 1979 in der Rechtssache 10/79, Toffoli u. a., Slg. 1979, 3301, Randnr. 12, vom 7.
Februar 1984 in der Rechtssache 166/82, Kommission/Italien, Slg. 1984, 459, Randnrn. 5 und 23, vom
6. Dezember 1984 in der Rechtssache 59/83, Biovilac/EWG, Slg. 1984, 4057, Randnr. 16, und vom 11.
März 1987 in der Rechtssache 27/85, Vandemoortele/Kommission, Slg. 1987, 1129, Randnrn. 20 und
21) für eine Anwendung ihres nationalen Wettbewerbsrechts wie des FTA oder des CA in einem von
einer gemeinsamen Marktorganisation erfassten Bereich nicht zuständig seien. Die
Gemeinschaftsregelung über die Errichtung der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und
Milcherzeugnisse sei erschöpfend und verleihe der Gemeinschaft eine ausschließliche Zuständigkeit.
47.
Diese ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft hindere die Mitgliedstaaten oder ihre
Einrichtungen am Erlass von Maßnahmen, mit denen unmittelbar oder mittelbar ein einheitlicher
Erzeugerpreis für Milch festgelegt werden solle. Um die ausschließliche Zuständigkeit der
Gemeinschaft zu verletzen, brauchten die nationalen Maßnahmen auch nicht unmittelbar die Preise zu
betreffen (Urteil Toffoli u. a., Randnrn. 11 und 12). Der Gerichtshof habe nämlich anerkannt, dass
selbst außerhalb des Agrarbereichs erlassene Maßnahmen die ausschließliche Zuständigkeit der
Gemeinschaft verletzen könnten (Urteile Galli, vom 23. Januar 1975 in der Rechtssache 51/74, Van der
Hulst, Slg. 1975, 79, vom 26. Februar 1976 in der Rechtssache 65/75, Tasca, Slg. 1976, 291, vom 26.
Februar 1976 in den verbundenen Rechtssachen 88/75 bis 90/75, SADAM u. a., Slg. 1976, 323, und
vom 29. Juni 1978 in der Rechtssache 154/77, Dechmann, Slg. 1978, 1573).
48.
Zum Ausgangsrechtsstreit führen Milk Marque und die NFU aus, dass die vom Secretary of State
erlassenen Maßnahmen ein einseitiges Tätigwerden des Staates zur Beeinflussung der Preisbildung
und der Vermarktung von Milch auf einem von einer gemeinsamen Marktorganisation erfassten Markt
darstellten. Mit den Maßnahmen werde eine Senkung der Durchschnittspreise für Milch bezweckt.
Dieses Ziel sei ungeachtet der Tatsache verfolgt worden, dass der Erzeugerpreis von Milk Marque
stets unter dem für die Gemeinschaft festgesetzten Richtpreis gelegen habe. Anders formuliert,
zielten die nationalen Maßnahmen auf die Festsetzung eines Erzeugerpreises, der noch niedriger sei
als der Richtpreis.
49.
Mit der Durchführung der Maßnahmen werde außerdem bezweckt und bewirkt, dass die
Erzeugerpreise und die Verbraucherpreise auf das Preisniveau gesenkt würden, das die nationalen
Behörden einseitig als im nationalen öffentlichen Interesse liegend ansähen, wobei sie das öffentliche
Interesse auf Gemeinschaftsebene unberücksichtigt ließen.
50.
Milk Marque und die NFU machen schließlich geltend, dass Tätigkeiten im Rahmen einer
gemeinsamen Marktorganisation dem Wettbewerbsrecht nur nach Maßgabe von Artikel 36 Absatz 1
EG unterlägen, der den Vorrang der gemeinsamen Agrarpolitik vor den Zielen des Vertrages im
Wettbewerbsbereich (Urteil vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-280/93, Deutschland/Rat, Slg.
1994, I-4973, Randnr. 61, und vom 15. Oktober 1996 in der Rechtssache C-311/94, IJssel-Vliet, Slg.
1996, I-5023, Randnr. 31) und der Verordnung Nr. 26 anerkenne. Die parallele Anwendung des
nationalen Wettbewerbsrechts und des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts führe zu Konflikten, da
das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht unter Berücksichtigung der Ziele der gemeinsamen
Agrarpolitik anzuwenden sei und demgemäß Agrarkooperativen der Regelung der Verordnung Nr. 26
unterstelle. Hingegen kenne das nationale Wettbewerbsrecht in dieser Hinsicht keine entsprechende
Begrenzung und erlaube auch den Erlass von Maßnahmen, die im Rahmen der Verordnung Nr. 26
rechtswidrig wären.
51.
Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht geltend, dass die Gemeinschaft, wenn sie die
Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts im Agrarbereich hätte ausschließen wollen, einen für
sie seit jeher verfügbaren Mechanismus hätte einsetzen können. Denn nach Artikel 83 Absatz 2
Buchstabe e EG hätten entsprechende gemeinschaftliche Verordnungen oder Richtlinien erlassen
werden können. Trotz dieses Mechanismus sei aber keinerlei einschlägige Verordnung oder Richtlinie
ergangen. Folglich sei das nationale Wettbewerbsrecht im Agrarbereich in vollem Umfang anwendbar.
52.
Zu dem Vorbringen, wonach der EG-Vertrag die Zuständigkeiten der nationalen Behörden
hinsichtlich des gesamten Bereiches der gemeinsamen Agrarpolitik und insbesondere der in Artikel 33
EG genannten Ziele vollständig auf die Gemeinschaft übertragen habe, sei darauf hinzuweisen, dass
eine gemeinsame Marktorganisaton nicht im leeren Raum und unabhängig von den nationalen Regeln
und Maßnahmen bestehen könne, die für ihre Wirksamkeit erforderlich seien. Beispielsweise könne
die Anwendung des nationalen Strafrechts in einem von einer gemeinsamen Marktorganisation
erfassten Bereich durch das Gemeinschaftsrecht nicht nur zugelassen, sondern sogar gefordert
werden (Urteil vom 21. September 1989 in der Rechtssache 68/88, Kommission/Griechenland, Slg.
1989, 2965, Randnrn. 23 bis 25).
53.
Ebenso bilde auch das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht keinen abschließenden Kodex, denn
es sei nur anwendbar, soweit der Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werde. Schließe
man die Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts aus und lasse damit das Fehlen einer
Kontrolle in Situationen zu, in denen der Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigt sei,
so ließe man damit nachhaltig wettbewerbswidrige Vereinbarungen und Missbräuche von
Machtpositionen zu, wie sie im Bericht der Competition Commission benannt würden.
54.
Die Dairy Industry Federation (im Folgenden: DIF) trägt vor, dass die fragliche
Gemeinschaftsregelung der Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts auf die
Organisationsweise von Milcherzeugerkooperativen und auf ihr Verhalten bei dem Verkauf und der
Verarbeitung ihrer Milch nicht „unter allen Umständen“ entgegenstehe. Wie sich aus dem Urteil des
Gerichtshofes vom 13. Februar 1969 in der Rechtssache 14/68 (Wilhelm u. a., Slg. 1969, 1) ergebe,
sei der Erlass von Maßnahmen auf der Grundlage des nationalen Wettbewerbsrechts wegen des
Bestehens gemeinschaftsrechtlicher Vorschriften nur dann untersagt, wenn dadurch die
uneingeschränkte und einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts oder die Wirksamkeit der zu
seinem Vollzug vorgenommenen Handlungen beeinträchtigt würde.
55.
Die Kommission entnimmt den Urteilen Wilhelm u. a. und vom 16. Dezember 1995 in den
verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73
(Suiker Unie u. a./Kommission, Slg. 1975, 1663), dass keine gemeinschaftsrechtliche Vorschrift der
normalen Anwendung des Artikels 83 EG im Agrarbereich entgegenstehe. Ebenso seien die
Mitgliedstaaten durch nichts daran gehindert, im Agrarbereich ihre entsprechenden innerstaatlichen
Rechtsvorschriften anzuwenden.
56.
Im Ausgangsrechtsstreit greife die Anwendung des FTA auf Milk Marque unter keinem
Gesichtspunkt in die Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln ein, da die Kommission
auf deren Grundlage keinerlei Maßnahme gegen Milk Marque erlassen habe.
Würdigung durch den Gerichtshof
57.
Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Aufrechterhaltung eines wirksamen Wettbewerbs auf
den Märkten für landwirtschaftliche Erzeugnisse zu den Zielen der gemeinsamen Agrarpolitik und der
in Frage stehenden gemeinsamen Marktorganisation zählt.
58.
Auch wenn es nämlich nach Artikel 36 EG dem Rat überlassen bleibt, darüber zu entscheiden,
inwieweit die gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher
Erzeugnisse und den Handel mit diesen Anwendung finden, um so der besonderen Lage auf den
Märkten für diese Erzeugnisse Rechnung tragen zu können, ist doch in dieser Bestimmung die
Anwendbarkeit der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln im Agrarsektor als Grundsatz niedergelegt.
59.
Diese Feststellung wird im Übrigen bestätigt durch die erste Begründungserwägung der
Verordnung Nr. 26 und die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach die gemeinsamen
Marktorganisationen auf dem Grundsatz eines offenen Marktes beruhen, zu dem jeder Erzeuger unter
Bedingungen eines wirksamen Wettbewerbs freien Zugang hat (u. a. Urteile vom 29. November 1978
in der Rechtssache 83/78, Pigs Marketing Board, Slg. 1978, 2347, Randnr. 57, und vom 29. November
1989 in der Rechtssache 281/87, Kommission/Griechenland, Slg. 1989, 4015, Randnr. 16).
60.
Die Bedeutung des Wettbewerbs im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und
Milcherzeugnisse ergibt sich außerdem klar aus Artikel 25 Absatz 3 Buchstabe a der Verordnung Nr.
804/68, wonach ein Mitgliedstaat, der zur Verleihung der in Absatz 1 dieses Artikels genannten
besonderen Rechte an eine nationale Einrichtung ermächtigt wurde, dafür Sorge tragen muss, dass
die Ausübung dieser Rechte „nur in dem unbedingt notwendigen Umfang den Wettbewerb in der
Landwirtschaft beeinträchtigt“.
61.
Da die gemeinsamen Marktorganisationen für landwirtschaftliche Erzeugnisse somit keinen
wettbewerbsfreien Raum darstellen, ist weiter darauf hinzuweisen, dass nach ständiger
Rechtsprechung das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft und das nationale Wettbewerbsrecht
parallel anwendbar sind, weil sie restriktive Praktiken nach unterschiedlichen Gesichtspunkten
beurteilen. Während die Artikel 81 EG und 82 EG restriktive Praktiken wegen der Hemmnisse erfassen,
die sie für den Handel zwischen Mitgliedstaaten bewirken können, geht jede der innerstaatlichen
Wettbewerbsgesetzgebungen von ihren eigenen Erwägungen aus und beurteilt diese Praktiken allein
nach diesen (u. a. Urteile Wilhelm u. a., Randnr. 3, und vom 10. Juli 1980 in den verbundenen
Rechtssachen 253/78 und 1/79 bis 3/79, Giry und Guerlain u. a., Slg. 1980, 2327, Randnr. 15).
62.
Soweit Milk Marque und die NFU dahin argumentieren, dass sich diese Rechtsprechung auf den
Bereich der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse nicht übertragen lasse,
kann ihrer Argumentation nicht gefolgt werden.
63.
Zwar sind die Mitgliedstaaten im Bereich einer gemeinsamen Marktorganisation - und erst recht
dann, wenn diese auf einer gemeinsamen Preisregelung aufbaut -, verpflichtet, sich aller Maßnahmen
zu enthalten, die von dieser Marktorganisation abweichen oder ihr zuwiderlaufen (u. a. Urteile vom 18.
Mai 1977 in der Rechtssache 111/76, Van den Hazel, Slg. 1977, 901, Randnr. 13, in der Rechtssache
Pigs Marketing Board, Randnr. 56, und vom 16. Januar 2003 in der Rechtssache C-462/01,
Hammarsten, Slg. 2003, I-781, Randnr. 28). Insbesondere sind die Mitgliedstaaten nicht mehr befugt,
durch einseitig erlassene innerstaatliche Rechtsvorschriften in den Mechanismus der Bildung
derjenigen Preise einzugreifen, die in der gemeinsamen Marktorganisation auf der gleichen
Produktions- oder Handelsstufe geregelt sind (Urteil Toffoli u. a., Randnr. 12).
64.
Da jedoch, wie oben in den Randnummern 57 bis 60 ausgeführt, die Aufrechterhaltung eines
wirksamen Wettbewerbs zu den Zielen der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und
Milcherzeugnisse gehört, ist zum einen festzustellen, dass nicht jede Maßnahme, die die Behörden
eines Mitgliedstaats nach dem nationalen Wettbewerbsrecht erlassen, ihrem Wesen nach als
Abweichung von der gemeinsamen Marktorganisation oder als Beeinträchtigung ihrer Funktionsweise
bewertet werden kann. Zum anderen können nationale Maßnahmen zur Beseitigung einer
Wettbewerbsverzerrung, die aus dem Missbrauch der Machtstellung einer Agrarkooperative auf dem
nationalen Markt entstanden ist, nicht von vornherein als Maßnahmen eingestuft werden, die im Sinne
der oben in Randnummer 63 zitierten Rechtsprechung in den Mechanismus der Bildung derjenigen
Preise eingreifen, die durch die gemeinsame Marktorganisation auf Gemeinschaftsebene geregelt
werden.
65.
Überdies könnte, würden die Artikel 32 EG bis 38 EG und die Verordnungen Nrn. 26 und 804/68
dahin ausgelegt, dass im von der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse
erfassten Bereich jegliche Handlungskompetenz der Behörden der Mitgliedstaaten auf der Grundlage
ihres nationalen Wettbewerbsrechts ausgeschlossen wäre, eine in diesem Bereich auftretende
Wettbewerbsverzerrung ohne gemeinschaftsweite Bedeutung durch überhaupt keine Maßnahme
ausgeräumt werden.
66.
Da schließlich die Anwendungsbereiche der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln und der
nationalen Wettbewerbsregeln nicht deckungsgleich sind, hat der Umstand allein, dass der
Gemeinschaftsgesetzgeber in Artikel 36 EG und in der Verordnung Nr. 26 einen Ausgleich zwischen
den Zielen der gemeinsamen Agrarpolitik und der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik hergestellt
hat, nicht notwendig zur Folge, dass jede Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts Artikel 36 EG
und der Verordnung Nr. 26 zuwiderliefe.
67.
Demnach sind die Artikel 32 EG bis 38 EG und die Verordnungen Nrn. 26 und 804/68 dahin
auszulegen, dass den nationalen Behörden im Bereich der gemeinsamen Marktorganisation für Milch
und Milcherzeugnisse grundsätzlich eine Zuständigkeit dafür verbleibt, ihr nationales
Wettbewerbsrecht auf eine Milcherzeugerkooperative mit einer Machtstellung auf dem nationalen
Markt anzuwenden.
68.
Es ist daher zweitens zu prüfen, welchen Grenzen diese Zuständigkeit unterliegt und ob diese durch
den Erlass von Maßnahmen, wie sie im Ausgangsverfahren in Frage stehen, überschritten wurden.
Erklärungen der Verfahrensbeteiligten vor dem Gerichtshof
69.
Milk Marque und die NFU machen hilfsweise geltend, dass die zuständigen Behörden der
Mitgliedstaaten im Bereich der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse ihr
nationales Wettbewerbsrecht nur anwenden dürften, soweit ihr Tätigwerden mit den Artikeln 32 EG bis
38 EG und mit den Verordnungen Nrn. 26 und 804/68 vereinbar sei.
70.
Die nationalen Behörden hätten bei dem Erlass der im Ausgangsverfahren streitigen Maßnahmen
gegen Milk Marque nicht die Verpflichtungen beachtet, die ihnen aus der gemeinsamen Agrarpolitik
und deren Zielen im Zusammenhang mit dem Richtpreis erwüchsen. Die Competition Commission und
der Secretary of State hätten nämlich bei ihrer Prüfung nur die in Section 83 FTA aufgeführten
Kriterien des öffentlichen Interesses berücksichtigt. Die Definition des „öffentlichen Interesses“ im
Sinne dieses Gesetzes entspreche aber nicht den Zielen der gemeinsamen Agrarpolitik nach Artikel
33 Absatz 1 EG.
71.
Milk Marque und die NFU rügen schließlich, dass die im Ausgangsverfahren streitigen nationalen
Maßnahmen die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse und den Richtpreis für
Milch vereitelt, beeinträchtigt, unterhöhlt, gestört und verfälscht hätten.
72.
Mit diesen nationalen Maßnahmen solle den Mitgliedern von Milk Marque vor allem ihr Recht
genommen werden, die Erzielung des Richtpreises anzustreben, der den gemeinschaftlichen Ausgleich
zwischen den verschiedenen in Artikel 33 EG aufgeführten Zielen verkörpere.
73.
Die nationalen Behörden hätten auch nicht die widerstreitenden Interessen der Erzeuger, der
Verarbeiter und der Verbraucher fehlerfrei nach Maßgabe der Politik, der Ziele und der Kriterien, wie
sie für die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse gälten, gegeneinander
abgewogen und dabei den nach der Verordnung Nr. 804/68 auf Gemeinschaftsebene zu erzielenden
Ausgleich hergestellt.
74.
Die Regierung des Vereinigten Königreichs trägt vor, dass Artikel 33 EG nicht dahin ausgelegt
werden könne, dass die Anwendung des nationalen Wettbewerbsrechts ausgeschlossen sei, wenn mit
ihr bezweckt oder bewirkt werde, die Erzeuger an einer möglichen Erhöhung ihrer Preise zu hindern.
Eine nationale Maßnahme könne nicht allein deswegen als ungültig angesehen werden, weil mit ihr
keines der in Artikel 33 EG genannten Ziele verfolgt werde. Diese Ziele seien vielmehr in
ausgewogener Weise so zu berücksichtigen, dass keines von ihnen unter Ausschluss eines anderen
verfolgt werde (Urteil Biovilac/EWG, Randnr. 16).
75.
In einem Fall wie dem Ausgangssachverhalt, der durch schwerwiegende Missbräuche einer
Machtstellung auf dem Markt gekennzeichnet sei, wäre es gerade die Nichtanwendung des nationalen
Wettbewerbsrechts, durch die gegen das Gemeinschaftsrecht verstoßen würde, da ein Mitgliedstaat,
der von den ihm zu Gebote stehenden Mitteln des nationalen Wettbewerbsrechts keinen Gebrauch
machte, den Zielen der Sicherstellung der Versorgung (Artikel 33 Absatz 1 Buchstabe d EG) und einer
Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen (Artikel 33 Absatz 1 Buchstabe e EG)
zuwiderhandelte.
76.
Im Übrigen ergebe sich aus den Worten „auf diese Weise“ in Artikel 33 Absatz 1 Buchstabe b EG
klar, dass es sich bei der angemessenen Lebenshaltung der landwirtschaftlichen Bevölkerung um ein
Ziel handele, das durch eine gesteigerte Produktivität der Landwirtschaft, die Buchstabe a dieses
Absatzes als ein weiteres Ziel angebe, zu erreichen sei.
77.
Zwar hätten die Erzeuger das Recht, die Erzielung des Richtpreises anzustreben. Jedoch werde der
Milchpreis im Rahmen der Instrumente, die die gemeinsamen Agrarmarktorganisationen vorsähen,
durch die Marktmechanismen bestimmt. Wenn die Mitgliedstaaten es ihren Erzeugern auch zu
gestatten hätten, die Erzielung des Richtpreises anzustreben, brauchten sie ihnen doch nicht zu
erlauben, sich hierfür rechtswidriger oder wettbewerbswidriger Mittel zu bedienen. Die Anwendung des
nationalen Wettbewerbsrechts auf die Verkaufsmethoden einer sehr großen Kooperative griffen in
keiner Weise in das ordnungsgemäße Funktionieren des Gemeinsamen Marktes ein. Denn durch die
Beseitigung vom Wettbewerbsverzerrungen trage eine solche Anwendung zur Verwirklichung des mit
dem Vertrag und der Verordnung Nr. 804/68 geschaffenen Systems bei.
78.
Die DIF schlägt vor, diesen Teil der ersten Frage dahin zu beantworten, dass die Artikel 32 EG bis 38
EG, die Verordnung Nr. 26 und die Verordnung Nr. 804/68 der Anwendung des Wettbewerbsrechts
des Vereinigten Königreichs nicht entgegenstünden, es sei denn, dieses Recht habe Auswirkungen,
die den gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen offensichtlich zuwiderliefen. Insbesondere sei es
nicht gemeinschaftsrechtlich unzulässig, dass nach dem nationalen Wettbewerbsrecht Maßnahmen
erlassen würden, die in einer Sachlage, wie sie im Bericht der Competition Commission dargelegt sei,
und sogar in jeder anderen Sachlage die Milcherzeuger daran hinderten, nahe am Richtpreis liegende
Preise zu erzielen.
79.
Die Kommission verweist auf die ständige Rechtsprechung, wonach es den Mitgliedstaaten, wenn
die Gemeinschaft für ein bestimmtes Agrarerzeugnis eine gemeinsame Marktorganisation errichtet
habe, untersagt sei, Maßnahmen zu ergreifen, die das Funktionieren dieser Marktorganisation
beeinträchtigen könnten. Im Ausgangsrechtsstreit stehe eine Maßnahme solcher Art jedoch nicht in
Frage. Maßnahmen der Behörden eines Mitgliedstaats, mit denen auf dem Markt für Milch und
Milcherzeugnisse die beherrschende Stellung eines Unternehmens, das diese nachweislich entgegen
dem öffentlichen Interesse ausgenutzt habe, eingeschränkt werden solle, könnten grundsätzlich nicht
als Hemmnis für die Anwendung der Vorschriften über die einschlägige gemeinsame
Marktorganisation betrachtet werden. Insbesondere hindere die Verordnung Nr. 804/68 die
nationalen Wettbewerbsbehörden nicht daran, in einem solchen Fall Maßnahmen wie die im
Ausgangsverfahren fraglichen zu ergreifen.
Würdigung durch den Gerichtshof
80.
Es ist zum einen daran zu erinnern, dass sich, wie der oben in Randnummer 63 angeführten
Rechtsprechung zu entnehmen ist, die Mitgliedstaaten, wenn für einen bestimmten Sektor durch eine
Verordnung eine gemeinsame Marktorganisation errichtet worden ist, aller Maßnahmen zu enthalten
haben, die von dieser Verordnung abweichen oder ihr zuwiderlaufen.
81.
Zum anderen lässt sich der ständigen Rechtsprechung auch entnehmen, dass Artikel 36 EG den
Zielen der gemeinsamen Agrarpolitik selbst im Hinblick auf die Wettbewerbsregeln des Vertrages
Vorrang vor den Zielen der Wettbewerbspolitik zuerkennt (Urteile vom 29. Oktober 1980 in der
Rechtssache 139/79, Maizena/Rat, Slg. 1980, 3393, Randnr. 23, und Deutschland/Rat, Randnr. 61).
82.
Was die im Ausgangsverfahren fraglichen Maßnahmen angeht, so weichen sie unstreitig von keiner
ausdrücklichen Bestimmung der Regelung über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und
Milcherzeugnisse ab.
83.
Damit stellt sich die Frage, ob diese Maßnahmen angesichts der zu ihrer Durchführung
eingesetzten Mittel Wirkungen erzeugen, durch die das Funktionieren der im Rahmen der fraglichen
gemeinsamen Marktorganisation vorgesehenen Mechanismen behindert werden kann (vgl. in diesem
Sinne Urteil vom 10. März 1981 in den verbundenen Rechtssachen 36/80 und 71/80, Irish Creamery
Milk Suppliers Association u. a., Slg. 1981, 735, Randnr. 19).
84.
Insoweit ist daran zu erinnern, dass mit den im Ausgangsverfahren streitigen nationalen
Maßnahmen, wie aus den Akten hervorgeht, die Marktmacht von Milk Marque und ihre Möglichkeiten,
den Preis für die Milch der ihr angehörenden Erzeuger über das als wettbewerbsfähig angesehene
Preisniveau hinaus zu erhöhen, eingeschränkt werden sollten, um so sowohl den Interessen der
Erzeuger als auch denen der Verbraucher zu dienen.
85.
Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, wird mit den Mechanismen der gemeinsamen
Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse im Wesentlichen bezweckt, auf der Produktions- und
Großhandelsstufe ein Preisniveau zu erreichen, das sowohl den Interessen aller Erzeuger der
Gemeinschaft im betreffenden Sektor als auch den Belangen der Verbraucher Rechnung trägt und
weiterhin die Versorgung sicherstellt, ohne zur Überschussproduktion anzureizen (Urteil Irish Creamery
Milk Suppliers Association u. a., Randnr. 20).
86.
Daraus ergibt sich, dass die Ziele dieser gemeinsamen Marktorganisation durch nationale
Maßnahmen wie die im Ausgangsverfahren streitigen nicht beeinträchtigt werden können, da diese
Maßnahmen nicht als solche in die Preisbildung eingreifen, sondern das ordnungsgemäße
Funktionieren der Preismechanismen gewährleisten sollen, um ein Preisniveau zu erreichen, das
sowohl den Interessen der Erzeuger als auch denen der Verbraucher dient.
87.
Was insbesondere die Frage angeht, ob die im Ausgangsverfahren streitigen Maßnahmen deshalb
gegen die einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften verstoßen, weil der Milchpreis, den die Milk
Marque angehörenden Erzeuger erzielten, vor dem Tätigwerden der nationalen Behörden unter dem
Richtpreis nach der Verordnung Nr. 1190/97 lag, so ist festzustellen, dass dieser Umstand allein nicht
genügt, um die Maßnahmen gemeinschaftsrechtswidrig werden zu lassen.
88.
Zum einen ist ein Orientierungspreis dieser Art ein politisches Ziel auf Gemeinschaftsebene, und er
gewährleistet nicht allen Erzeugern in jedem Mitgliedstaat, dass sie ein dem Richtpreis
entsprechendes Einkommen erzielen.
89.
Da zum anderen, wie oben in den Randnummern 57 bis 60 ausgeführt, die Aufrechterhaltung eines
wirksamen Wettbewerbs zu den Zielen der gemeinsamen Marktorganisation für Milch und
Milcherzeugnisse gehört, kann Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 nicht dahin ausgelegt
werden, dass die Milcherzeuger ein Recht darauf hätten, die Erzielung eines dem Richtpreis
entsprechenden Einkommens mit allen Mitteln einschließlich möglicherweise missbräuchlicher und
wettbewerbswidriger Mittel anzustreben.
90.
Die von Milk Marque und der NFU vorgetragene Argumentation geht aber offenbar dahin, dass mit
dem Bericht der Competition Commission und den anschließenden Entscheidungen des Secretary of
State verkannt worden sei, dass eines der Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik darin bestehe, der
landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der
Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten, und dafür dem
Ziel, den Verbrauchern angemessene Preise zu sichern, übermäßige Bedeutung beigelegt worden sei.
91.
Dazu ist festzustellen, dass die Gemeinschaftsorgane bei der Verfolgung der verschiedenen in
Artikel 33 EG aufgeführten Ziele ständig den Ausgleich zu gewährleisten haben, den etwaige
Widersprüche zwischen den jeweils gesondert betrachteten Zielen erfordern können. Auch wenn es
sich mit diesem Erfordernis des Ausgleichs nicht verträgt, eines dieser Ziele in einer Weise isoliert zu
verfolgen, die die Verwirklichung anderer Ziele unmöglich macht, können die Gemeinschaftsorgane
doch dem einen oder anderen unter ihnen zeitweilig den Vorrang einräumen, sofern die
wirtschaftlichen Gegebenheiten und Umstände, die den Gegenstand ihrer Beschlussfassung bilden,
dies gebieten (in diesem Sinne u. a. Urteil Vandemoortele/Kommission, Randnr. 20).
92.
Auch wenn diese Rechtsprechung zum Handeln der Gemeinschaftsorgane im Bereich der
gemeinsamen Agrarmarktorganisationen entwickelt wurde, kann sie doch analog ebenso auf das
Handeln der nationalen Behörden bei der Ausübung der ihnen im Bereich der nationalen
Wettbewerbspolitik vorbehaltenen Zuständigkeiten angewandt werden. Da nämlich, wie oben in den
Randnummern 80 und 81 erwähnt, die nationalen Behörden bei ihrem Handeln die in Artikel 33 EG
niedergelegten Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik wahren müssen, haben sie auch im Fall etwaiger
Widersprüche zwischen diesen Zielen den Ausgleich zwischen ihnen zu gewährleisten.
93.
Im vorliegenden Fall verlangt die Beantwortung der Frage, ob mit dem Bericht der Competition
Commission und den Entscheidungen des Secretary of State ein angemessener Ausgleich zwischen
den verschiedenen in Artikel 33 EG niedergelegten Zielen vorgenommen wurde oder ob damit
vielmehr das Ziel einer Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen in einer Weise isoliert
verfolgt wurde, die die Verwirklichung anderer Ziele unmöglich machte, eine vertiefte Prüfung
namentlich der Situation auf dem Milchmarkt im Vereinigten Königreich während der fraglichen Zeit
und der Auswirkungen der streitigen Maßnahmen auf diesen Markt. Da diese Prüfung notwendig eine
Beurteilung des dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalts einschließt, obliegt sie
dem vorlegenden Gericht.
94.
Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Artikel 32 EG bis 38 EG und die
Verordnungen Nrn. 26 und 804/68 dahin auszulegen sind, dass den nationalen Behörden
grundsätzlich eine Zuständigkeit dafür verbleibt, ihr nationales Wettbewerbsrecht auf eine
Kooperative von Milcherzeugern mit einer Machtstellung auf dem nationalen Markt anzuwenden.
Werden die nationalen Wettbewerbsbehörden im Bereich der gemeinsamen Marktorganisation für
Milch und Milcherzeugnisse tätig, so haben sie sich aller Maßnahmen zu enthalten, die von dieser
gemeinsamen Marktorganisation abweichen oder ihr zuwiderlaufen.
Die von den nationalen Wettbewerbsbehörden im Bereich der gemeinsamen Marktorganisation für
Milch und Milcherzeugnisse ergriffenen Maßnahmen dürfen insbesondere keine Wirkungen erzeugen,
durch die das Funktionieren der im Rahmen dieser gemeinsamen Marktorganisation vorgesehenen
Mechanismen behindert werden kann. Der Umstand allein, dass die von einer
Milcherzeugerkooperative angewandten Preise bereits vor dem Tätigwerden der nationalen
Wettbewerbsbehörden unter dem Richtpreis für Milch lagen, genügt jedoch nicht, um die Maßnahmen,
die diese Behörden gegenüber der Kooperative auf der Grundlage ihres nationalen
Wettbewerbsrechts erlassen, gemeinschaftsrechtswidrig werden zu lassen.
Ferner dürfen die fraglichen Maßnahmen nicht die in Artikel 33 Absatz 1 EG niedergelegten Ziele der
gemeinsamen Agrarpolitik beeinträchtigen. Die nationalen Wettbewerbsbehörden haben insoweit
gegebenenfalls den Ausgleich zu gewährleisten, den etwaige Widersprüche zwischen den jeweils
gesondert betrachteten Zielen des Artikels 33 EG erfordern können, ohne einem dieser Ziele eine so
hohe Bedeutung beizumessen, dass hierdurch die Verwirklichung der anderen Ziele unmöglich
gemacht wird.
Zur zweiten Frage
95.
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Funktion
des Richtpreises für Milch nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 die nationalen
Wettbewerbsbehörden daran hindert, diesen Richtpreis für ihre Prüfung der Marktmacht eines
Agrarunternehmens heranzuziehen, indem sie ihn mit den Schwankungen der tatsächlichen Preise
vergleichen.
96.
Milk Marque macht geltend, es laufe der Funktion des Richtpreises zuwider, dass ihn die nationalen
Behörden als Indikator für die tatsächlichen Preisbewegungen aufgrund der gemeinsamen Agrarpolitik
verwendeten. Da die von den Milcherzeugerkooperativen erzielten Preise überdies stets unter dem
Richtpreis gelegen hätten, könnten die Behörden daraus, dass diese Preise zu einem bestimmten
Zeitpunkt dem Richtpreis näher gekommen seien als zu einem anderen Zeitpunkt, nicht den Schluss
ziehen, dass eine Marktmacht vorliege.
97.
Die DIF, die Kommission und, hilfsweise, die Regierung des Vereinigten Königreichs tragen vor, dass
die Behörden eines Mitgliedstaats durch keine gemeinschaftsrechtliche Bestimmung daran gehindert
seien, den Richtpreis nach der Verordnung Nr. 804/68 beliebig als historischen Vergleichspunkt für
die tatsächlichen Preisbewegungen oder für statistische, vergleichende oder ökonometrische Zwecke
zu verwenden.
98.
Es ist daran zu erinnern, dass der Richtpreis nach Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr. 804/68 der
Preis ist, der für die von den Erzeugern im Milchwirtschaftsjahr insgesamt verkaufte Milch angestrebt
wird, und zwar entsprechend den Absatzmöglichkeiten, die sich auf dem Markt der Gemeinschaft und
den Märkten außerhalb der Gemeinschaft bieten.
99.
Dieser Bestimmung lässt sich im Licht von Artikel 33 Absatz 1 EG entnehmen, dass die wesentliche
Funktion des Richtpreises darin besteht, auf Gemeinschaftsebene den wünschenswerten Punkt für
einen Ausgleich zwischen dem Ziel, der landwirtschaftlichen Bevölkerung eine angemessene
Lebenshaltung zu sichern, und dem weiteren Ziel festzulegen, eine Belieferung der Verbraucher zu
angemessenen Preisen zu gewährleisten.
100.
Es ist festzustellen, dass es der wesentlichen Funktion des Richtpreises in keiner Weise
widerspricht, dass ihn die nationalen Wettbewerbsbehörden im Rahmen ihrer Prüfung der Marktmacht,
die ein Agrarunternehmen auf dem nationalen Markt besitzt, als Indikator verwenden.
101.
Im Übrigen gibt es keine Bestimmung des primären oder abgeleiteten Gemeinschaftsrechts, die
eine solche Verwendung des Richtpreises untersagte.
102.
Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, dass die Funktion des Richtpreises für Milch nach
Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 die nationalen Wettbewerbsbehörden nicht daran
hindert, diesen Richtpreis für ihre Prüfung der Marktmacht eines Agrarunternehmens heranzuziehen,
indem sie ihn mit den Schwankungen der tatsächlichen Preise vergleichen.
Zur dritten Frage
103.
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob es den Artikeln
28 EG bis 30 EG und/oder Artikel 49 EG zuwiderläuft, dass es die nationalen Behörden im Rahmen der
Anwendung ihres nationalen Wettbewerbsrechts einer Milcherzeugerkooperative mit einer
Machtstellung auf dem Markt untersagen, Verträge über die Verarbeitung der von ihren Mitgliedern
erzeugten Milch für Rechnung der Kooperative abzuschließen, und zwar auch mit in anderen
Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen.
104.
Milk Marque und die NFU machen geltend, dass die von der Competition Commission
vorgeschlagenen und vom Secretary of State gebilligten Maßnahmen Milk Marque auch den Abschluss
von Verarbeitungsvereinbarungen untersagten, ausgenommen in Notfällen oder bei andernfalls
unvermeidlicher Vernichtung von Milch. Hierin liege eine Beschränkung zum einen der Ausfuhr von
Rohmilch aus dem Vereinigten Königreich und zum anderen der Einfuhr und Ausfuhr von
Milcherzeugnissen aus einem Mitgliedstaat in andere Mitgliedstaaten. Dies laufe daher den Artikeln 28
EG und 29 EG zuwider. Da die fragliche Maßnahme Milk Marque dazu verpflichte, ausschließlich im
Vereinigten Königreich ansässige Verarbeitungseinrichtungen in Anspruch zu nehmen, sei sie
außerdem eine dem Artikel 49 EG zuwiderlaufende Beschränkung.
105.
Nach Auffassung von Milk Marque und der NFU lassen sich diese Maßnahmen nicht nach den
Artikeln 30 EG und 46 EG rechtfertigen, da zum einen Ziele rein wirtschaftlicher Art, wie sie der
Secretary of State verfolge, niemals eine Beschränkung der grundlegenden Prinzipien des freien
Warenverkehrs rechtfertigen könnten (Urteil vom 11. Juni 1985 in der Rechtssache 288/83,
Kommission/Irland, Slg. 1985, 1761, Randnr. 28, vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-288/89,
Stichting Collective Antennevoorziening Gouda u. a., Slg. 1991, I-4007, Randnr. 11, und vom 28. April
1998 in der Rechtssache C-120/95, Decker, Slg. 1998, I-1831, Randnr. 39) und da zum anderen
Ausnahmen vom Vertrag nicht geltend gemacht werden könnten, wenn die Gemeinschaft die
Harmonisierung der Maßnahmen vorsehe, die zur Erreichung des konkreten Zieles, das mit diesen
Ausnahmen erreicht werden solle, erforderlich seien (Urteil vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-
5/94, Hedley Lomas, Slg. 1996, I-2553, Randnr. 18); das fragliche konkrete Ziel sei hier die
Festsetzung des Richtpreises und die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse.
106.
Das Vereinigte Königreich macht dagegen geltend, dass die in der dritten Vorlagefrage
angesprochenen Maßnahmen, selbst wenn sie eine Beschränkung des freien Warenverkehrs oder des
freien Dienstleistungsverkehrs wären, doch eine unterschiedslos geltende Beschränkung bildeten. Sie
könnten deshalb durch mehrere anerkannte Gründe gerechtfertigt werden wie das Verbot des
unlauteren Wettbewerbs, die Lauterkeit des Handelsverkehrs und den Verbraucherschutz. Im Übrigen
ergebe sich im Licht der eingehenden Prüfung der Competition Commission keinerlei Grund für die
Annahme, dass diese berechtigten und anerkannten Ziele anders als verhältnismäßig verfolgt worden
wären.
107.
Unter Bezugnahme auf die Urteile vom 7. Februar 1984 in der Rechtssache 237/82 (Jongeneel Kaas
u. a., Slg. 1984, 483) und vom 10. Januar 1985 in der Rechtssache 229/83 (Leclerc und Thouars
Distribution, Slg. 1985, 1) macht die DIF geltend, dass die nationalen Maßnahmen, mit denen Milk
Marque die Lieferung von Milch zur Verarbeitung auf eigene Rechnung im Vereinigten Königreich oder
in andere Mitgliedstaaten untersagt worden sei, nicht durch die Artikel 28 EG und 30 EG verboten
seien, da sie unterschiedslos gälten. Denn sie begründeten keine Ungleichbehandlung zwischen dem
Binnenhandel im Vereinigten Königreich und seinem Außenhandel, durch die der britischen Erzeugung
oder dem britischen Milchmarkt ein besonderer Vorteil eingeräumt würde. Die Vorschriften über den
freien Warenverkehr in der Gemeinschaft stünden einer solchen Anwendung des nationalen
Wettbewerbsrechts in einem Fall wie dem Ausgangssachverhalt nicht entgegen.
108.
Was die Vereinbarkeit der fraglichen Maßnahmen mit den Vertragsbestimmungen über die
Dienstleistungsfreiheit angehe, so sei zu verweisen auf die Urteile vom 3. Dezember 1974 in der
Rechtssache 33/74 (Van Binsbergen, Slg. 1974, 1299, Randnr. 12), vom 30. April 1986 in der
Rechtssache 96/85 (Kommission/Frankreich, Slg. 1986, 1475, Randnrn. 10 und 11) und vom 25. Juli
1991 in der Rechtssache C-76/90 (Säger, Slg. 1991, I-4221, Randnr. 12), wonach objektive,
unterschiedslos angewandte und der Vollendung des Binnenmarktes und dem Verbraucherschutz
dienende Kriterien, wie hier das nationale Wettbewerbsrecht, den Artikeln 49 EG und 55 EG nicht
zuwiderlaufen könnten.
109.
Die Kommission, die auf das Urteil in der Rechtssache Leclerc und Thouars Distribution Bezug
nimmt, trägt vor, dass Maßnahmen wie die im Ausgangsverfahren streitigen nicht unter Artikel 28 EG
fielen, da die fraglichen Erzeugnisse ausschließlich zur Wiedereinfuhr exportiert würden, um so die
nationalen Rechtsvorschriften zu umgehen. Die Maßnahmen liefen auch nicht Artikel 29 EG zuwider, da
sie keine spezifische Beschränkung der Ausfuhrströme bewirkten und damit keine
Ungleichbehandlung zwischen dem Binnenhandel eines Mitgliedstaats und seinem Außenhandel
begründeten.
110.
Es ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Verarbeitung von Milch nicht als Dienstleistung im
Sinne von Artikel 50 EG angesehen werden kann, da sie unmittelbar zur Erzeugung eines materiellen
Gegenstandes führt, der seinerseits als Ware vermarktet werden soll. Jedenfalls sind Dienstleistungen
nach Artikel 50 EG gegen Entgelt erbrachte Leistungen, soweit sie nicht den Vorschriften über den
freien Warenverkehr, den freien Kapitalverkehr oder die Freizügigkeit unterliegen (in diesem Sinne
Urteil vom 7. Mai 1985 in der Rechtssache 18/84, Kommission/Frankreich, Slg. 1985, 1339, Randnr.
12).
111.
Weiterhin lässt sich den Akten entnehmen, dass die mit der dritten Frage angesprochenen
Maßnahmen nur die Verarbeitung von Milch zu Erzeugnissen betreffen, deren Eigentümerin Milk
Marque bliebe und die anschließend durch ihre Tochtergesellschaft MMD vertrieben würden. Folglich
beziehen sich diese Maßnahmen, was Verarbeitungsverträge mit Unternehmen in anderen
Mitgliedstaaten anbelangt, zwar auf ausgeführte Erzeugnisse, jedoch diente die Ausfuhr der
Erzeugnisse ihrer Verarbeitung und späteren Wiedereinfuhr in das Vereinigte Königreich.
112.
Daher ist die dritte Frage ausschließlich unter dem Blickwinkel der Artikel 28 EG bis 30 EG zu prüfen.
113.
Was zunächst die Frage angeht, ob es sich bei den in der dritten Frage genannten Maßnahmen um
Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen im Sinne von Artikel 28
EG handelt, so ist daran zu erinnern, dass diese Bestimmung nach ständiger Rechtsprechung jede
Regelung oder Maßnahme der Mitgliedstaaten untersagt, die geeignet ist, den
innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell zu behindern
(u. a. Urteil vom 11. Juli 1974 in der Rechtssache 8/74, Dassonville, Slg. 1974, 837, Randnr. 5).
114.
Es entspricht jedoch auch ständiger Rechtsprechung, dass ein Mitgliedstaat Maßnahmen ergreifen
darf, die verhindern sollen, dass sich einige seiner Staatsangehörigen die vom Vertrag gewährten
Freiheiten zunutze machen, um sich der Anwendung ihrer nationalen Rechtsvorschriften
missbräuchlich zu entziehen (vgl. u. a. für den freien Dienstleistungsverkehr Urteile in der Rechtssache
Van Binsbergen, Randnr. 13, vom 3. Februar 1993 in der Rechtssache C-148/91, Veronica Omroep
Organisatie, Slg. 1993, I-487, Randnr. 12, und vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-23/93, TV10,
Slg. 1994, I-4795, Randnr. 21, für die Niederlassungsfreiheit Urteile vom 7. Februar 1979 in der
Rechtssache 115/78, Knoors, Slg. 1979, 399, Randnr. 25, vom 3. Oktober 1990 in der Rechtssache C-
61/89, Bouchoucha, Slg. 1990, I-3551, Randnr. 14, und vom 9. März 1999 in der Rechtssache C-
212/97, Centros, Slg. 1999, I-1459, Randnr. 24, für den Bereich der sozialen Sicherheit Urteil vom 2.
Mai 1996 in der Rechtssache C-206/94, Paletta, Slg. 1996, I-2357, Randnr. 24, für die Freizügigkeit der
Arbeitnehmer Urteil vom 21. Juni 1988 in der Rechtssache 39/86, Lair, Slg. 1988, 3161, Randnr. 43, für
die gemeinsame Agrarpolitik Urteil vom 3. März 1993 in der Rechtssache C-8/92, General Milk
Products, Slg. 1993, I-779, Randnr. 21, und für das Gesellschaftsrecht Urteil vom 12. Mai 1998 in der
Rechtssache C-367/96, Kefalas u. a., Slg. 1998, I-2843, Randnr. 20).
115.
Was speziell den freien Warenverkehr angeht, so hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass
beschränkende Maßnahmen betreffend Waren, die ausschließlich deshalb ausgeführt werden, um zur
Umgehung der nationalen Rechtsvorschriften reimportiert zu werden, keine Maßnahmen mit gleicher
Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Artikel 28 EG darstellen (in
diesem Sinne Urteil Leclerc und Thouars Distribution, Randnr. 27). Nichts anderes kann gelten, wenn
Waren ausgeführt und anschließend reimportiert werden, um sie der Anwendung von Maßnahmen zu
entziehen, die auf der Grundlage des nationalen Wettbewerbsrechts erlassen werden.
116.
Dies ist jedoch der Fall bei den Maßnahmen, auf die sich die dritte Frage bezieht.
117.
Hätte nämlich das Milk Marque auferlegte Verbot, für ihre Rechnung Verarbeitungsvereinbarungen
abzuschließen, nur Geltung für im Vereinigten Königreich ansässige Unternehmen, so hätte Milk
Marque die einschlägigen Rechtsvorschriften durch den Abschluss von Verträgen mit Unternehmen in
anderen Mitgliedstaaten umgehen und so ihrer Wirkung berauben können.
118.
Was zweitens die Frage angeht, ob es sich bei den in der dritten Frage genannten Maßnahmen um
Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Ausfuhrbeschränkungen im Sinne von Artikel 29
EG handelt, so ist darauf hinzuweisen, dass sich diese Bestimmung nach ständiger Rechtsprechung
auf nationale Maßnahmen bezieht, die spezifische Beschränkungen der Ausfuhrströme bezwecken
oder bewirken und damit unterschiedliche Bedingungen für den Binnenhandel innerhalb eines
Mitgliedstaats und seinen Außenhandel schaffen, so dass die nationale Produktion oder der
Binnenmarkt des betroffenen Staates einen besonderen Vorteil erlangt (u. a. Urteile vom 14. Juli 1981
in der Rechtssache 155/80, Oebel, Slg. 1981, 1993, Randnr. 15, und in der Rechtssache Jongeneel
Kaas u. a., Randnr. 22, und vom 16. Mai 2000 in der Rechtssache C-388/95, Belgien/Spanien, Slg.
2000, I-3123, Randnr. 41).
119.
Dies gilt jedoch nicht für die in der dritten Frage genannten Maßnahmen, die nach dem nationalen
Wettbewerbsrecht erlassen wurden, die die wettbewerbswidrigen Praktiken nur einer
Agrarkooperative beschränken sollen und die unterschiedslos für Verarbeitungsverträge mit
Unternehmen im Vereinigten Königreich und mit in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen
gelten.
120.
Demnach ist auf die dritte Frage zu antworten, dass es den Bestimmungen des Vertrages über den
freien Warenverkehr nicht zuwiderläuft, dass es die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats im
Rahmen der Anwendung ihres nationalen Wettbewerbsrechts einer Milcherzeugerkooperative mit einer
Machtstellung auf dem Markt untersagen, Verträge über die Verarbeitung der von ihren Mitgliedern
erzeugten Milch für Rechnung der Kooperative abzuschließen, und zwar auch mit in anderen
Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen.
Zur vierten Frage
121.
Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Artikel 12
EG und 34 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG dem Erlass von Maßnahmen wie den im Ausgangsverfahren
streitigen gegenüber einer Milcherzeugerkooperative mit einer Machtstellung auf dem Markt
entgegenstehen, wenn in anderen Mitgliedstaaten bedeutende vertikal integrierte
Milcherzeugerkooperativen tätig sein dürfen.
122.
Milk Marque und die NFU machen geltend, es sei unvereinbar mit dem Diskriminierungsverbot und
den gemeinsamen Agrarmarktorganisationen gemäß den Artikeln 12 EG und 34 Absatz 2 Unterabsatz
2 EG, dass sich die nationalen Behörden ihres nationalen Rechts bedienten, um einer bestimmten
Erzeugerkategorie wie den Mitgliedern von Milk Marque Beschränkungen bei der Verarbeitung von
Milch aufzuerlegen, während eine solche Beschränkung für andere Erzeuger im Vereinigten Königreich
oder in der Europäischen Union nicht bestehe. Es sei hervorzuheben, dass die im Ausgangsverfahren
fraglichen nationalen Maßnahmen nicht für alle Erzeuger im Vereinigten Königreich gälten und nicht
auf der Grundlage objektiver Kriterien erlassen worden seien. Sie fügten sich vielmehr in den Rahmen
einer Politik ein, die unter Benachteiligung der Mitglieder von Milk Marque gezielt verfolgt worden sei,
um die Milchverarbeiter zu begünstigen.
123.
Die Regierung des Vereinigten Königreichs trägt vor, dass das Diskriminierungsverbot weder für
eine unterschiedliche Behandlung von Agrarkooperativen durch die nationalen Behörden der
Mitgliedstaaten noch dann gelte, wenn die beanstandete Ungleichbehandlung nicht von derselben
Behörde ausgehe. Die Regierung des Vereinigten Königreichs, die DIF und die Kommission
unterstreichen ferner, dass die unterschiedliche Behandlung eines Unternehmens, weil dieses seine
beherrschende Stellung auf dem Markt entgegen dem öffentlichen Interesse ausnutze, keine
Diskriminierung dieses Unternehmens, sondern eine objektiv gerechtfertigte Maßnahme sei.
124.
Zwar untersagt Artikel 12 EG einem Mitgliedstaat die unterschiedliche Anwendung seines
nationalen Wettbewerbsrechts je nach der Staatsangehörigkeit der Betroffenen, jedoch gilt diese
Bestimmung nicht für etwaige Ungleichbehandlungen, die sich für der Gerichtsbarkeit der
Gemeinschaft unterliegende Personen oder Unternehmen aus Abweichungen zwischen den
Rechtsvorschriften der verschiedenen Mitgliedstaaten ergeben können, wenn diese für alle Personen,
die in ihren Anwendungsbereich fallen, nach objektiven Kriterien und ungeachtet ihrer
Staatsangehörigkeit gelten (in diesem Sinne Urteil Wilhelm u. a., Randnr. 13).
125.
Im Licht dieser Rechtsprechung ist festzustellen, dass im Fall von Maßnahmen wie den im
Ausgangsverfahren streitigen, mit denen einer Milcherzeugerkooperative die Ausweitung ihrer
Geschäftstätigkeit auf die Milchverarbeitung deshalb untersagt werden soll, weil sie eine
Machtstellung auf dem Markt einnimmt und von dieser entgegen dem öffentlichen Interesse Gebrauch
macht, der Umstand allein, dass in anderen Mitgliedstaaten vertikal integrierte Kooperativen
bestehen, noch nicht belegt, dass der Erlass dieser Maßnahmen eine Diskriminierung nach der
Staatsangehörigkeit wäre.
126.
Was Artikel 34 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG angeht, der im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik
das Verbot der Diskriminierung aufstellt, so ist diese Bestimmung lediglich ein besonderer Ausdruck
des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes, der besagt, dass vergleichbare Sachverhalte nicht
unterschiedlich und unterschiedliche Sachverhalte nicht gleich behandelt werden dürfen, es sei denn,
dass dies objektiv gerechtfertigt ist (u. a. Urteile vom 20. September 1988 in der Rechtssache 203/86,
Spanien/Rat, Slg. 1988, 4563, Randnr. 25, und vom 17. April 1997 in der Rechtssache C-15/95, EARL
de Kerlast, Slg. 1997, I-1961, Randnr. 35, vom 13. April 2000 in der Rechtssache C-292/97, Karlsson u.
a., Slg. 2000, I-2737, Randnr. 39, und vom 6. März 2003 in der Rechtssache C-14/01, Niemann, Slg.
2003, I-2279, Randnr. 49).
127.
Im vorliegenden Fall genügt insoweit der Hinweis, dass die im Ausgangsverfahren fraglichen
Maßnahmen, wie dem Vorlagebeschluss entnommen werden kann, auf der Grundlage einer Regelung
mit allgemeiner Geltung erlassen und damit begründet wurden, dass Milk Marque eine Machtstellung
auf dem Markt einnehme und von dieser entgegen dem öffentlichen Interesse Gebrauch mache.
Damit befindet sich eine Kooperative wie Milk Marque nicht in einer Lage, die der anderer
Milcherzeuger im Vereinigten Königreich oder in anderen Mitgliedstaaten vergleichbar wäre.
128.
Demnach ist auf die vierte Frage zu antworten, dass die Artikel 12 EG und 34 Absatz 2 Unterabsatz
2 EG dem Erlass von Maßnahmen wie den im Ausgangsverfahren streitigen gegenüber einer
Milcherzeugerkooperative, die eine Machtstellung auf dem Markt einnimmt und diese entgegen dem
öffentlichen Interesse ausnutzt, auch dann nicht entgegenstehen, wenn in anderen Mitgliedstaaten
bedeutende vertikal integrierte Milcherzeugerkooperativen tätig sein dürfen.
Kosten
129.
Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die Erklärungen vor
dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht
anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Crown Office), mit
Beschluss vom 31. März 2000 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Die Artikel 32 EG bis 38 EG und die Verordnungen Nr. 26 des Rates vom 4. April 1962 zur
Anwendung bestimmter Wettbewerbsregeln auf die Produktion landwirtschaftlicher
Erzeugnisse und den Handel mit diesen Erzeugnissen und (EWG) Nr. 804/68 des Rates vom
27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse in
der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 1587/96 des Rates vom 30. Juli 1996 sind dahin
auszulegen, dass den nationalen Behörden grundsätzlich eine Zuständigkeit dafür
verbleibt, ihr nationales Wettbewerbsrecht auf eine Kooperative von Milcherzeugern mit
einer Machtstellung auf dem nationalen Markt anzuwenden.
Werden die nationalen Wettbewerbsbehörden im Bereich der gemeinsamen
Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse tätig, so haben sie sich aller
Maßnahmen zu enthalten, die von dieser gemeinsamen Marktorganisation abweichen
oder ihr zuwiderlaufen.
Die von den nationalen Wettbewerbsbehörden im Bereich der gemeinsamen
Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse ergriffenen Maßnahmen dürfen
insbesondere keine Wirkungen erzeugen, durch die das Funktionieren der im Rahmen
dieser gemeinsamen Marktorganisation vorgesehenen Mechanismen behindert werden
kann. Der Umstand allein, dass die von einer Milcherzeugerkooperative angewandten
Preise bereits vor dem Tätigwerden der nationalen Wettbewerbsbehörden unter dem
Richtpreis für Milch lagen, genügt jedoch nicht, um die Maßnahmen, die diese Behörden
gegenüber der Kooperative auf der Grundlage ihres nationalen Wettbewerbsrechts
erlassen, gemeinschaftsrechtswidrig werden zu lassen.
Ferner dürfen die fraglichen Maßnahmen nicht die in Artikel 33 Absatz 1 EG
niedergelegten Ziele der gemeinsamen Agrarpolitik beeinträchtigen. Die nationalen
Wettbewerbsbehörden haben insoweit gegebenenfalls den Ausgleich zu gewährleisten,
den etwaige Widersprüche zwischen den jeweils gesondert betrachteten Zielen des
Artikels 33 EG erfordern können, ohne einem dieser Ziele eine so hohe Bedeutung
beizumessen, dass hierdurch die Verwirklichung der anderen Ziele unmöglich gemacht
wird.
2. Die Funktion des Richtpreises für Milch nach Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr.
804/68 in der Fassung der Verordnung Nr. 1587/96 hindert die nationalen
Wettbewerbsbehörden nicht daran, diesen Richtpreis für ihre Prüfung der Marktmacht
eines Agrarunternehmens heranzuziehen, indem sie ihn mit den Schwankungen der
tatsächlichen Preise vergleichen.
3. Es läuft den Bestimmungen des Vertrages über den freien Warenverkehr nicht
zuwider, dass es die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats im Rahmen der
Anwendung ihres nationalen Wettbewerbsrechts einer Milcherzeugerkooperative mit
einer Machtstellung auf dem Markt untersagen, Verträge über die Verarbeitung der von
ihren Mitgliedern erzeugten Milch für Rechnung der Kooperative abzuschließen, und zwar
auch mit in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Unternehmen.
4. Die Artikel 12 EG und 34 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG stehen dem Erlass von Maßnahmen
wie den im Ausgangsverfahren streitigen gegenüber einer Milcherzeugerkooperative, die
eine Machtstellung auf dem Markt einnimmt und diese entgegen dem öffentlichen
Interesse ausnutzt, auch dann nicht entgegen, wenn in anderen Mitgliedstaaten
bedeutende vertikal integrierte Milcherzeugerkooperativen tätig sein dürfen.
Wathelet
Schintgen
Timmermans
Gulmann
Edward
La Pergola
Jann
Skouris
Macken
Colneric
Cunha Rodrigues
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. September 2003.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
Verfahrenssprache: Englisch.