Urteil des EuGH vom 02.10.2003

EuGH: kommission, unternehmen, egks, rechtliches gehör, rechtsmittelgrund, verwaltungsverfahren, anhörung, vernehmung von zeugen, rüge, kontrolle

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
2. Oktober 200
„Rechtsmittel - Vereinbarungen und verabredete Praktiken - Europäische Trägerhersteller“
In der Rechtssache C-194/99 P
Thyssen Stahl AG
Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Rechtsmittelführerin,
betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
(Zweite erweiterte Kammer) vom 11. März 1999 in der Rechtssache T-141/94 (Thyssen Stahl/Kommission, Slg.
1999, II-347) wegen teilweiser Aufhebung dieses Urteils,
andere Verfahrensbeteiligte:
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt H.-J. Freund, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Wathelet sowie der Richter D. A. O. Edward, A. La Pergola, P.
Jann (Berichterstatter) und S. von Bahr,
Generalanwältin: C. Stix-Hackl,
Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten in der Sitzung vom 31. Januar 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 26. September 2002
folgendes
Urteil
1.
Die Thyssen Stahl AG hat mit Rechtsmittelschrift, die am 25. Mai 1999 bei der Kanzlei des
Gerichtshofes eingegangen ist, nach Artikel 49 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel
gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 11. März 1999 in der Rechtssache T-141/94 (Thyssen
Stahl/Kommission, Slg. 1999, II-347, im Folgenden: angefochtenes Urteil) eingelegt, mit dem ihre u. a.
auf teilweise Nichtigerklärung der Entscheidung 94/215/EGKS der Kommission vom 16. Februar 1994 in
einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete
Praktiken von europäischen Trägerherstellern (ABl. L 116, S. 1, im Folgenden: streitige Entscheidung)
gerichtete Klage teilweise abgewiesen wurde. Mit dieser Entscheidung hatte die Kommission in
Anwendung von Artikel 65 EGKS-Vertrag eine Geldbuße gegen die Rechtsmittelführerin festgesetzt.
Sachverhalt und streitige Entscheidung
2.
Aus dem angefochtenen Urteil geht hervor, dass die europäische Stahlindustrie ab 1974 von einer
Krise betroffen war, die auf einem Nachfragerückgang beruhte, der zu einem Überangebot und
Überkapazitäten und damit zu niedrigen Preisen führte.
3.
Nachdem die Kommission zunächst versucht hatte, die Krise durch einseitige freiwillige
Verpflichtungen der Unternehmen in Bezug auf Mengen und Mindestpreise des auf dem Markt
angebotenen Stahls („Simonet-Plan“) oder durch die Festsetzung von Richt- und Mindestpreisen
(„Davignon-Plan“, „Eurofer-I-Vereinbarung“) zu bewältigen, stellte sie 1980 eine offensichtliche Krise
im Sinne von Artikel 58 EGKS-Vertrag fest und schrieb u. a. für Träger verbindliche Produktionsquoten
vor. Diese Gemeinschaftsregelung lief am 30. Juni 1988 aus.
4.
Schon vor diesem Zeitpunkt hatte die Kommission in verschiedenen Mitteilungen und
Entscheidungen das Auslaufen des Quotensystems bekannt gegeben und darauf hingewiesen, dass
die Beendigung des Systems die Rückkehr zu einem Markt des freien Wettbewerbs zwischen den
Unternehmen bedeute. Die Branche war jedoch weiterhin durch Überkapazitäten in der Erzeugung
gekennzeichnet, die nach Auffassung von Experten eine schnelle und ausreichende Stilllegung
erforderten, damit die Unternehmen der weltweiten Konkurrenz standhalten konnten.
5.
Nach dem Auslaufen des Quotensystems führte die Kommission ein Überwachungssystem ein, das
die Sammlung von Produktions- und Absatzstatistiken, die Verfolgung der Marktentwicklung sowie eine
regelmäßige Befragung der Unternehmen zur Marktlage und zu den Markttendenzen umfasste. Es gab
daher im Rahmen von Konsultationstreffen regelmäßige Kontakte zwischen den Unternehmen der
Branche, von denen einige der Wirtschaftsvereinigung Eurofer angehörten, und der GD III
(Generaldirektion „Binnenmarkt und gewerbliche Wirtschaft“) der Kommission (im Folgenden: GD III).
Das Überwachungssystem endete am 30. Juni 1990 und wurde durch eine individuelle und freiwillige
Informationsregelung ersetzt.
6.
Anfang 1991 ließ die Kommission bei einigen Unternehmen und Verbänden des Stahlsektors
verschiedene Nachprüfungen vornehmen. Am 6. Mai 1992 wurde ihnen eine Mitteilung der
Beschwerdepunkte übersandt. Anfang 1993 fanden Anhörungen statt.
7.
Am 16. Februar 1994 erließ die Kommission die streitige Entscheidung, mit der sie die gegen Artikel
65 § 1 EGKS-Vertrag verstoßende Beteiligung von 17 europäischen Stahlunternehmen und einem ihrer
Wirtschaftsverbände an einer Reihe von Vereinbarungen, Beschlüssen und verabredeten Praktiken zur
Festsetzung von Preisen, zur Marktaufteilung und zum Austausch vertraulicher Informationen auf dem
Trägermarkt der Gemeinschaft feststellte. In dieser Entscheidung setzte sie gegen 14 Unternehmen
Geldbußen wegen Zuwiderhandlungen zwischen dem 1. Juli 1988 und dem 31. Dezember 1990 fest.
Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil
8.
Am 8. April 1994 erhob die Rechtsmittelführerin vor dem Gericht eine u. a. auf die teilweise
Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung gerichtete Klage.
9.
Im angefochtenen Urteil gab das Gericht der Klage der Rechtsmittelführerin teilweise statt und
setzte die gegen sie verhängte Geldbuße herab.
Anträge der Beteiligten
10.
Die Rechtsmittelführerin beantragt,
- das angefochtene Urteil aufzuheben, soweit in Punkt 2 des Tenors gegen sie eine Geldbuße in
Höhe von 4,4 Millionen Euro festgesetzt, in Punkt 3 des Tenors ihre Klage abgewiesen und sie in Punkt
4 des Tenors zur Tragung ihrer eigenen Kosten und der Hälfte der Kosten der Kommission verurteilt
wird;
- die Artikel 1, 3 und 4 der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie nicht schon
durch das angefochtene Urteil für nichtig erklärt worden sind;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens für die erste Instanz und die Rechtsmittelinstanz
aufzuerlegen.
11.
Die Kommission beantragt,
- das Rechtsmittel zurückzuweisen;
- der Rechtsmittelführerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Rechtsmittelgründe
12.
Die Rechtsmittelführerin stützt ihr Rechtsmittel auf acht Gründe:
1. Verstoß gegen Verfahrensgrundsätze im Verwaltungsverfahren;
2. Verletzung der Geschäftsordnung der Kommission in der Fassung des Beschlusses
93/492/Euratom, EGKS, EWG der Kommission vom 17. Februar 1993 (ABl. L 230, S. 15, im Folgenden:
Geschäftsordnung von 1993);
3. Verletzung von Artikel 33 EGKS-Vertrag;
4. Verletzung von Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag hinsichtlich des Informationsaustauschs und der
Auslegung des Begriffes „normaler Wettbewerb“;
5. Verletzung von Artikel 65 § 5 EGKS-Vertrag bei der Beurteilung des Verschuldens der
Rechtsmittelführerin;
6. Verletzung von Artikel 65 § 5 EGKS-Vertrag hinsichtlich des Informationsaustauschs;
7. Verletzung der Begründungspflicht nach Artikel 15 EGKS-Vertrag;
8. Verstoß gegen den Grundsatz der Angemessenheit der Verfahrensdauer im Verfahren vor dem
Gericht.
13.
Die Randnummern des angefochtenen Urteils, gegen die sich die einzelnen Rechtsmittelgründe
richten, werden bei der Darstellung der Rechtsmittelgründe angegeben.
Zum Rechtsmittel
14.
Mit ihrem aus zwei Teilen bestehenden ersten Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin
geltend, das angefochtene Urteil verstoße in mehrfacher Hinsicht gegen Verfahrensgrundsätze. Im
ersten Teil führt sie aus, das Gericht habe die Tragweite des von ihr als Amtsermittlungsgrundsatz
bezeichneten Erfordernisses verkannt. Im zweiten Teil behauptet sie, das Gericht habe gegen die
Grundsätze in Bezug auf die Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren verstoßen, als es ihr das
Recht abgesprochen habe, zu den Ergebnissen der von der Kommission durchgeführten internen
Untersuchung gehört zu werden. In Bezug auf beide Rügen trägt sie zudem vor, das Gericht sei zu
Unrecht davon ausgegangen, dass Fehler im Verwaltungsverfahren während des gerichtlichen
Verfahrens geheilt werden könnten.
15.
Dieser Rechtsmittelgrund betrifft die Randnummern 92 bis 116 des angefochtenen Urteils. In den
Randnummern 92 bis 97 dieses Urteils heißt es:
„92 Die Klägerin wirft der Kommission zunächst vor, trotz ihrer im Verwaltungsverfahren gestellten
Anträge nicht im Einzelnen geprüft zu haben, inwieweit die Beamten der GD III die Unternehmen zu
dem ihnen in der [streitigen] Entscheidung zur Last gelegten Verhalten veranlasst oder daran
mitgewirkt hätten. Die Behauptung in Randnummer 312 der [streitigen] Entscheidung, dass die
Kommission insoweit gründliche Ermittlungen angestellt habe, sei in Anbetracht der lapidaren Antwort,
die sie in den Randnummern 312 und 315 der Entscheidung auf die eingehenden Ausführungen der
Klägerin in ihren Anträgen gegeben habe, unglaubwürdig. Sie werde überdies durch den von der
Kommission als Anlage zur Klagebeantwortung vorgelegten internen Schriftverkehr zwischen der GD III
und der Generaldirektion Wettbewerb (GD IV) widerlegt.
...
94 Außerdem wirft die Klägerin der Kommission vor, den Unternehmen die Ergebnisse ihrer
Ermittlungen nicht zur Verfügung gestellt und ihnen nicht - wie es der Anspruch auf rechtliches Gehör
gebiete - Gelegenheit gegeben zu haben, sich dazu vor dem Erlass der [streitigen] Entscheidung
entweder bei einer zweiten Anhörung oder in einer schriftlichen Stellungnahme zu äußern.
...
96 Zur Rüge eines Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz ist festzustellen, dass die
Kommission mit Behauptungen konfrontiert wurde, die - wie sie im Übrigen in Randnummer 312 der
[streitigen] Entscheidung eingeräumt hat - für die Verteidigung der betroffenen Unternehmen von
erheblicher Bedeutung waren, und dass sie, da es um das Verhalten ihrer eigenen Dienststellen ging,
besser als die genannten Unternehmen klären konnte, ob die Behauptungen zutrafen.
97 Unter diesen Umständen folgt aus den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Verwaltung und der
Waffengleichheit, dass die Kommission verpflichtet war, diesen Aspekt des Falles ernsthaft zu prüfen,
um zu ermitteln, inwieweit die fraglichen Behauptungen begründet waren. Es war jedoch Sache der
Kommission und nicht der Klägerinnen, über die Vorgehensweise bei diesen Ermittlungen zu
entscheiden.“
16.
In den Randnummern 98 bis 106 des angefochtenen Urteils hat das Gericht einige Unterlagen aus
der Akte über die Untersuchung des beanstandeten Verhaltens der GD III durch die GD IV geprüft. Die
Randnummern 107 bis 116 dieses Urteils lauten:
„107 Aus all diesen Unterlagen ergibt sich, dass die Kommission die von den Unternehmen bei der
Anhörung gemachten Ausführungen und vorgelegten Unterlagen, die der GD III zur Stellungnahme und
Erläuterung übermittelt wurden, gebührend berücksichtigt hat. Darüber hinaus wurde die GD III von
der GD IV erstmals während der verwaltungsinternen Untersuchung und ein zweites Mal nach der
Anhörung offiziell aufgefordert, sich zu ihrer angeblichen .Verwicklung‘ in die fraglichen Praktiken zu
äußern.
108 Es ist richtig, dass die mit der Bearbeitung der .Träger-Fälle‘ betrauten Beamten der GD IV
offenbar keinen unmittelbaren Kontakt mit den Beamten der GD III aufnahmen, die an den Treffen mit
den Herstellern teilgenommen hatten, und dass sie auch nicht verlangten, die auf Ersuchen des
Gerichts vorgelegten Protokolle dieser Treffen und die übrigen in den Archiven der GD III befindlichen
internen Vermerke prüfen zu können. Einer Dienststelle der Kommission kann jedoch kein Vorwurf
daraus gemacht werden, dass sie den genauen und eingehenden Erläuterungen, die auf ihr
Verlangen von einer anderen Dienststelle - die zu kontrollieren im Übrigen nicht ihre Aufgabe ist -
abgegeben wurden, Glauben schenkt, ohne zu versuchen, sie auf andere Weise nachzuprüfen.
109 Die Klägerin hat folglich nicht nachgewiesen, dass im vorliegenden Fall keine hinreichend
ernsthafte interne Untersuchung durchgeführt wurde. Ihr auf einen angeblichen Verstoß gegen den
Amtsermittlungsgrundsatz gestütztes Vorbringen ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
110 Zur Rüge einer Verletzung von Verfahrensrechten der Klägerin, die insbesondere darin
bestehen soll, dass die Kommission die mündlichen Erörterungen nach dem Abschluss ihrer internen
Untersuchung hätte wieder eröffnen müssen, ist festzustellen, dass der durch Artikel 36 Absatz 1
[EGKS-Vertrag] gewährleistete Anspruch auf rechtliches Gehör nicht verlangt, dass die Kommission auf
das gesamte Vorbringen des Betroffenen antwortet, zusätzliche Ermittlungen durchführt oder von dem
Betroffenen benannte Zeugen anhört, wenn sie den Sachverhalt für hinreichend geklärt hält (Urteile
des Gerichtshofes vom 16. Mai 1984 in der Rechtssache 9/83, Eisen und Metall
Aktiengesellschaft/Kommission, Slg. 1984, 2071, Randnr. 32, und vom 12. November 1985 in der
Rechtssache 183/83, Krupp/Kommission, Slg. 1985, 3609, Randnr. 7).
111 Im vorliegenden Fall waren die betroffenen Unternehmen in der Lage, auf die in ihrem Besitz
befindlichen angeblichen Entlastungsbeweise in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der
Beschwerdepunkte einzugehen. In der Anhörung am 11., 12., 13. und 14. Januar 1993 hatten sie
jedenfalls Gelegenheit, ihren Standpunkt eingehend darzulegen, und die Kommission bot ihnen
überdies eine zusätzliche Gelegenheit zur schriftlichen Erläuterung ihrer Ansicht (vgl. Urteil
Krupp/Kommission, Randnr. 8).
112 Unter diesen Umständen war die Tatsache, dass die Klägerinnen nach der Anhörung einige
Unterlagen vorlegten und dass die Kommission im Anschluss an diese Anhörung entschied, eine
interne Untersuchung einzuleiten, für sich allein nicht geeignet, die Kommission zur Wiedereröffnung
der mündlichen Erörterungen nach dem Abschluss dieser Untersuchung zu verpflichten.
113 Im Übrigen hat die Beklagte dem Anspruch der betroffenen Unternehmen auf rechtliches Gehör
dadurch hinreichend Rechnung getragen, dass sie die Unternehmen über die Ergebnisse dieser
Untersuchung durch ein Schreiben des Anhörungsbeauftragten vom 22. April 1993 informiert hat, in
dem ausgeführt wird, dass die von ihnen im Anschluss an die Anhörung vorgelegten Unterlagen nicht
den Schluss zuließen, dass der Kommission ihre Praktiken bekannt gewesen seien, und die
Durchführung einer zweiten Anhörung nicht rechtfertigten.
114 Die Kommission war insbesondere nicht verpflichtet, den betroffenen Unternehmen im Lauf des
Verwaltungsverfahrens die internen Vermerke über ihre Untersuchung, die später ihren
Klagebeantwortungen in den einzelnen Rechtssachen beigefügt wurden, zukommen zu lassen oder
ihnen Gelegenheit zu geben, zu den Vermerken während des Verwaltungsverfahrens Stellung zu
nehmen, da diese ihrem Wesen nach vertraulichen Unterlagen offensichtlich kein entlastendes
Element enthielten.
115 In einem Fall wie dem vorliegenden ist davon auszugehen, dass die Verfahrensrechte der
betroffenen Unternehmen dadurch hinreichend gewährleistet sind, dass sie die Möglichkeit haben,
vor dem Gericht Klage zu erheben, dabei die Richtigkeit des von der Kommission in Randnummer 312
der [streitigen] Entscheidung gezogenen Schlusses in Frage zu stellen und das Gericht
gegebenenfalls zu ersuchen, die zur Klärung dieses Aspekts des Sachverhalts erforderlichen
Maßnahmen zu treffen (vgl. den Beschluss [des Gerichts] vom 10. Dezember 1997 [in den
Rechtssachen T-134/94, T-136/94 bis T-138/94, T-141/94, T-145/94, T-147/94, T-148/94, T-151/94, T-
156/94 und T-157/94, NMH Stahlwerke u. a./Kommission, Slg. 1997, II-2293]).
116 Das von der Klägerin auf eine Verletzung von Verfahrensrechten gestützte Vorbringen ist daher
als unbegründet zurückzuweisen.“
Zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes
17.
Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das Gericht habe mit der Behauptung in Randnummer 108 des
angefochtenen Urteils, dass die GD IV nicht verpflichtet gewesen sei, die Erläuterungen der GD III
nachzuprüfen, die Tragweite des von ihm in Randnummer 97 seines Urteils definierten
Amtsermittlungsgrundsatzes verkannt. Da die von der GD IV eingeholten schriftlichen Auskünfte keine
ausreichende Klarheit über die Frage hätten verschaffen können, inwieweit die rechtswidrigen
Verhaltensweisen der Unternehmen, die Gegenstand der streitigen Entscheidung seien, den Beamten
der GD III bekannt gewesen oder von diesen objektiv veranlasst worden seien, hätte die Kommission
die tatsächlich mit der Angelegenheit befassten Beamten befragen müssen. Das Gericht habe im
Übrigen eine solche Befragung vorgenommen.
18.
Die Kommission trägt vor, diese Rüge sei unzulässig, da sie keine Verletzung des
Gemeinschaftsrechts durch das Gericht betreffe, sondern die von ihm in den Randnummern 108 und
109 des angefochtenen Urteils festgestellten Tatsachen. Das Gericht habe den Umfang der
Amtsermittlungspflicht in den Randnummern 96 und 97 seines Urteils festgelegt, die jedoch ihrerseits
nicht in Frage gestellt worden seien.
19.
Hilfsweise macht sie geltend, die Rüge sei unbegründet. Die Rechtsmittelführerin überspanne den
Umfang der Amtsermittlungspflicht. Da die Erläuterungen der GD III nach den Feststellungen des
Gerichts in Randnummer 108 des angefochtenen Urteils genau und eingehend gewesen seien, habe
für weitere Nachprüfungen kein Anlass bestanden.
Würdigung durch den Gerichtshof
20.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach den Artikeln 32d § 1 KS und 51 der EGKS-Satzung des
Gerichtshofes das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt ist. Daher ist allein das Gericht für die
Feststellung und Beurteilung der relevanten Tatsachen sowie die Beweiswürdigung zuständig,
vorbehaltlich einer Verfälschung des Sachverhalts oder der Beweismittel (in diesem Sinne auch Urteile
vom 1. Juni 1994 in der Rechtssache C-136/92 P, Kommission/Brazzelli Lualdi u. a., Slg. 1994, I-1981,
Randnrn. 49 und 66, vom 15. Oktober 2002 in den Rechtssachen C-238/99 P, C-244/99 P, C-245/99 P,
C-247/99 P, C-250/99 P bis C-252/99 P und C-254/99 P, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission,
Slg. 2002, I-8375, Randnr. 194, und vom 10. Dezember 2002 in der Rechtssache C-312/00 P,
Kommission/Camar und Tico, Slg. 2002, I-11355, Randnr. 69).
21.
In den Randnummern 96 und 97 des angefochtenen Urteils hat das Gericht ausgeführt, dass die
Kommission nach den Grundsätzen der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Waffengleichheit
verpflichtet sei, in Wettbewerbssachen, die sich gegen Unternehmen richteten, eine ernsthafte
Prüfung vorzunehmen, um zu ermitteln, inwieweit Behauptungen zuträfen, die für die Verteidigung der
betroffenen Unternehmen von erheblicher Bedeutung seien und das Verhalten ihrer eigenen
Dienststellen beträfen.
22.
Das Gericht hat die relevanten Bestandteile der Akten in den Randnummern 98 bis 106 des
angefochtenen Urteils geprüft. In Randnummer 107 des Urteils hat es entschieden, aus all diesen
Unterlagen ergebe sich, dass die Kommission die von den betroffenen Unternehmen bei ihrer
Anhörung gemachten Ausführungen und vorgelegten Unterlagen, die der GD III zur Stellungnahme und
Erläuterung übermittelt worden seien, gebührend berücksichtigt habe und dass die GD III zweimal
aufgefordert worden sei, sich zu ihrer angeblichen „Verwicklung“ in die fraglichen Praktiken zu äußern.
23.
Somit ist festzustellen, dass das Gericht in den Randnummern 98 bis 107 des angefochtenen
Urteils eine Würdigung von Tatsachen und Beweismitteln vorgenommen hat.
24.
Der von der Rechtsmittelführerin beanstandete Hinweis in Randnummer 108 des angefochtenen
Urteils, dass eine Dienststelle der Kommission nicht verpflichtet sei, die genauen und eingehenden
Erläuterungen einer anderen Dienststelle auf andere Weise nachzuprüfen, stellt die vom Gericht
vorgenommene Beurteilung der Ernsthaftigkeit der durchgeführten Untersuchung nicht in Frage.
25.
Da der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes teilweise unzulässig und teilweise unbegründet
ist, braucht das Argument, das die Heilung eines angeblich im Verwaltungsverfahren begangenen
Fehlers während des gerichtlichen Verfahrens betrifft, nicht geprüft zu werden.
Zum zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes
26.
Die Rechtsmittelführerin macht geltend, durch die Weigerung, ihr Unterlagen über die interne
Untersuchung der Kommission zur Rolle der GD III zukommen zu lassen und sie hierzu im
Verwaltungsverfahren anzuhören, seien ihre Verteidigungsrechte verletzt worden. Sie wendet sich
insbesondere gegen die Randnummern 113 und 114 des angefochtenen Urteils.
27.
Die Kommission trägt vor, die Rechtsmittelführerin greife nicht die Feststellung des Gerichts in
Randnummer 110 des angefochtenen Urteils an, dass die Kommission keine zusätzlichen Ermittlungen
mehr habe anstellen müssen, da sie den Sachverhalt für hinreichend geklärt gehalten habe. Diese
Feststellung rechtfertige für sich genommen bereits die Zurückweisung der Rüge.
28.
Wie das Gericht zudem in den Randnummern 113 bis 115 des angefochtenen Urteils ausgeführt
habe, erstrecke sich die Pflicht, den betroffenen Unternehmen Schriftstücke zugänglich zu machen,
nicht auf interne Schriftstücke der Kommission oder andere vertrauliche Informationen.
29.
In ihrer Erwiderung bestreitet die Rechtsmittelführerin, dass das Verhalten der GD III durch die
interne Untersuchung der Kommission hinreichend geklärt worden sei. Durch den Beschluss NMH
Stahlwerke u. a./Kommission, mit dem das Gericht über die Anträge auf Zugang zu den von der
Kommission als „intern“ eingestuften Schriftstücken entschieden habe, werde im Übrigen bestätigt,
dass insoweit tatsächlich Aufklärungslücken bestehen geblieben seien. Aus dem Umstand, dass es
sich um Sachverhaltsaspekte gehandelt habe, die möglicherweise für die betroffenen Unternehmen
entlastende Elemente enthalten hätten, folge zwangsläufig, dass der Rechtsmittelführerin hinsichtlich
der Ergebnisse der Untersuchung rechtliches Gehör hätte gewährt werden müssen.
Würdigung durch den Gerichtshof
30.
Es ist darauf hinzuweisen, dass die Wahrung der Verteidigungsrechte in allen Verfahren, die zu
Sanktionen, namentlich zu Geldbußen oder Zwangsgeldern führen können, einen fundamentalen
Grundsatz des Gemeinschaftsrechts darstellt, der auch in einem Verwaltungsverfahren beachtet
werden muss (Urteil vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission,
Slg. 1979, 461, Randnr. 9).
31.
Eine Verletzung der Verteidigungsrechte liegt vor, wenn aufgrund eines von der Kommission
begangenen Fehlers die Möglichkeit besteht, dass das von ihr durchgeführte Verwaltungsverfahren zu
einem anderen Ergebnis hätte führen können (Urteil vom 10. Juli 1980 in der Rechtssache 30/78,
Distillers Company/Kommission, Slg. 1980, 2229, Randnr. 26). Zum Nachweis eines solchen Verstoßes
braucht ein klagendes Unternehmen nicht darzutun, dass die Entscheidung der Kommission einen
anderen Inhalt gehabt hätte, sondern muss nur hinreichend belegen, dass es sich ohne den Fehler
besser hätte verteidigen können, z. B. deshalb, weil es zu seiner Verteidigung Schriftstücke hätte
einsetzen können, in die ihm im Verwaltungsverfahren keine Einsicht gewährt wurde (in diesem Sinne
auch Urteil vom 8. Juli 1999 in der Rechtssache C-51/92 P, Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1999,
I-4235, Randnr. 81, und Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Randnr. 318).
32.
Im vorliegenden Fall steht dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin die Feststellung des Gerichts in
Randnummer 114 des angefochtenen Urteils entgegen, dass die internen Vermerke der Kommission
über ihre Untersuchung für die betroffenen Unternehmen „offensichtlich kein entlastendes Element
enthielten“. Die Rechtsmittelführerin wendet sich in globaler Form gegen diese Ausführungen des
Gerichts, bemüht sich aber in keiner Weise, darzulegen, inwiefern sie falsch sein sollen.
33.
Die Rechtsmittelführerin kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass ihre Anhörung zu den
Ergebnissen der Untersuchung einige Aufklärungslücken hätte beseitigen können. Damit wird nämlich
die Feststellung des Gerichts in Randnummer 108 des angefochtenen Urteils in Frage gestellt, dass
die GD III der GD IV „genaue und eingehende Erläuterungen“ gegeben habe. Da diese Feststellung
auf einer Würdigung von Tatsachen und Beweismitteln beruht, unterliegt sie grundsätzlich nicht der
Kontrolle durch den Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels.
34.
Auf der Grundlage dieser Erwägungen hat das Gericht in Randnummer 116 des angefochtenen
Urteils das auf eine Verletzung von Verfahrensrechten im Verwaltungsverfahren gestützte Vorbringen
zu Recht als unbegründet angesehen.
35.
Folglich ist der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes, mit dem eine Verletzung der
Verteidigungsrechte der Rechtsmittelführerin im Verwaltungsverfahren gerügt wird, zurückzuweisen.
36.
Daher braucht auch in Bezug auf diesen Teil des Rechtsmittelgrundes das Argument, das die
Heilung eines angeblich im Verwaltungsverfahren begangenen Fehlers während des gerichtlichen
Verfahrens betrifft, nicht geprüft zu werden.
37.
In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist der erste Rechtsmittelgrund als teils unzulässig
und teils unbegründet zurückzuweisen.
38.
Der zweite Rechtsmittelgrund besteht aus zwei Teilen. Der erste Teil stützt sich auf die Verletzung
der Artikel 5 und 6 der Geschäftsordnung von 1993 und der zweite Teil auf die Verletzung von Artikel
16 dieser Geschäftsordnung.
Zum ersten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes
39.
Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das Gericht habe die Artikel 5 und 6 der Geschäftsordnung von
1993 verletzt, die das Quorum und die erforderliche Stimmenzahl für einen ordnungsgemäßen
Beschluss der Kommission festlegten. In Randnummer 142 des angefochtenen Urteils habe es das
Protokoll der Sitzung der Kommission, in der die streitige Entscheidung erlassen worden sei (im
Folgenden: Protokoll), falsch ausgelegt und sei deshalb fälschlich zu dem Ergebnis gekommen, dass
beim Erlass der Entscheidung diese Bestimmungen beachtet worden seien.
40.
Die Kommission trägt vor, die Rechtsmittelführerin wende sich gegen die Feststellung von
Tatsachen und die Beweiswürdigung, so dass diese Rüge unzulässig sei.
Würdigung durch den Gerichtshof
41.
Die Rechtsmittelführerin macht nicht geltend, dass das Gericht den Inhalt des Protokolls verfälscht
habe, sondern wendet sich lediglich gegen dessen vom Gericht in Randnummer 142 des
angefochtenen Urteils vorgenommene Würdigung.
42.
Daher ist der erste Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes unzulässig.
Zum zweiten Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes
43.
Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das Gericht habe den die Feststellung von Entscheidungen der
Kommission und ihre formale Gestaltung betreffenden Artikel 16 der Geschäftsordnung von 1993
falsch angewandt. Es sei nämlich zu Unrecht zu dem Ergebnis gekommen, dass die ihr von der
Kommission notifizierte Fassung der streitigen Entscheidung am 23. Februar 1994 festgestellt worden
sei. Erstens habe das Gericht weder geklärt, dass die ihr notifizierte Fassung der streitigen
Entscheidung mit den - dem Protokoll im Übrigen nicht ordnungsgemäß beigefügten - Fassungen
K(94) 321/2 und K(94) 321/3 dieser Entscheidung identisch gewesen sei, noch dass die notifizierte
Fassung selbst dem Protokoll ordnungsgemäß beigefügt gewesen sei. Zweitens sei die Kommission
nicht in der Lage gewesen, das Protokoll mit den Originalunterschriften ihres Präsidenten und ihres
Generalsekretärs vorzulegen, und auf dem Protokoll habe das Datum seiner Unterzeichnung gefehlt.
Das Gericht habe zudem die Tragweite der Gültigkeitsvermutung von Gemeinschaftshandlungen
verkannt.
44.
Die Kommission führt aus, die Rüge der fehlenden Identität der Fassungen der streitigen
Entscheidung sei unzulässig, weil die Rechtsmittelführerin zur Begründung ihrer Kritik an den
Ausführungen des Gerichts insoweit nichts vortrage und weil diese Rüge die Feststellung von
Tatsachen betreffe, für die allein das Gericht zuständig sei. Auch die den Beweis für die Feststellung
der streitigen Entscheidung betreffende Rüge sei unzulässig, da für eine solche Frage, sofern die
Beweismittel nicht verfälscht worden seien, allein das Gericht zuständig sei.
Würdigung durch den Gerichtshof
45.
Mit diesem Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes wendet sich die Rechtsmittelführerin erneut gegen
die Würdigung von Tatsachen und Beweismitteln durch das Gericht im angefochtenen Urteil, und zwar
gegen die Feststellungen
- in Randnummer 162, wonach davon auszugehen sei, dass die Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94)
321/3 dem Protokoll beigefügt gewesen seien,
- in Randnummer 163, wonach nicht dargetan sei, dass zwischen der notifizierten Fassung der
streitigen Entscheidung und der dem Protokoll beigefügten Fassung ein sachlicher Unterschied
bestehe,
- in Randnummer 164, wonach davon auszugehen sei, dass die Schriftstücke K(94) 321/2 und K(94)
321/3 durch die Unterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs der Kommission auf der
ersten Seite des Protokolls festgestellt worden seien,
- in Randnummer 165, wonach die Beglaubigung der Ausfertigung durch den derzeitigen
Generalsekretär der Kommission als rechtlich hinreichender Beweis dafür anzusehen sei, dass das
Original des Protokolls die Originalunterschriften des Präsidenten und des Generalsekretärs der
Kommission trage, und
- in Randnummer 167, wonach das Protokoll vom Präsidenten und vom Generalsekretär der
Kommission am 23. Februar 1994 ordnungsgemäß unterzeichnet worden sei.
46.
Zu der Bezugnahme in Randnummer 164 des angefochtenen Urteils auf die Gültigkeitsvermutung
für Handlungen der Gemeinschaftsorgane (vgl. u. a. Urteil vom 15. Juni 1994 in der Rechtssache C-
137/92 P, Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555, Randnr. 48) genügt die Feststellung, dass das
Gericht daraus keine tatsächliche oder rechtliche Konsequenz gezogen, sondern seine
Schlussfolgerung, dass die streitige Entscheidung ordnungsgemäß festgestellt worden sei,
ausschließlich auf seine eigene Würdigung der Tatsachen und Beweismittel gestützt hat.
47.
Soweit sich der zweite Teil des zweiten Rechtsmittelgrundes gegen diese Ausführungen richtet, ist
er folglich gegenstandslos und daher unbegründet.
48.
Somit ist dieser Teil des Rechtsmittelgrundes teils unzulässig und teils unbegründet.
49.
Im Ergebnis ist der zweite Rechtsmittelgrund teils unzulässig und teils unbegründet.
50.
Mit dem dritten Rechtsmittelgrund wird eine Verletzung von Artikel 33 EGKS-Vertrag durch das
Gericht gerügt, die darin bestehen soll, dass es seine Befugnisse bei der Nachprüfung der streitigen
Entscheidung überschritten habe.
51.
Die Absätze 1 und 2 von Artikel 33 EGKS-Vertrag lauten:
„Der Gerichtshof ist für die Entscheidung über Nichtigkeitsklagen zuständig, die ein Mitgliedstaat oder
der Rat gegen Entscheidungen und Empfehlungen der Kommission wegen Unzuständigkeit, Verletzung
wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des Vertrags oder irgendeiner bei seiner Durchführung
anzuwendenden Rechtsnorm oder wegen Ermessensmissbrauchs erhebt. Die Nachprüfung durch den
Gerichtshof darf sich jedoch nicht auf die Würdigung der aus den wirtschaftlichen Tatsachen oder
Umständen sich ergebenden Gesamtlage erstrecken, die zu den angefochtenen Entscheidungen oder
Empfehlungen geführt hat, es sei denn, dass der Kommission der Vorwurf gemacht wird, sie habe ihr
Ermessen missbraucht oder die Bestimmungen des Vertrags oder irgendeiner bei seiner
Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm offensichtlich verkannt.
Die Unternehmen oder die in Artikel 48 genannten Verbände können unter denselben Bedingungen
Klage gegen die sie individuell betreffenden Entscheidungen und Empfehlungen oder gegen die
allgemeinen Entscheidungen und Empfehlungen erheben, die nach ihrer Ansicht einen
Ermessensmissbrauch ihnen gegenüber darstellen.“
52.
Der Klagegrund betrifft Randnummer 392 des angefochtenen Urteils, die lautet:
„Im Ergebnis wurden die streitigen Informationsaustauschsysteme somit in den Randnummern 263 bis
272 der [streitigen] Entscheidung als eigenständige Zuwiderhandlungen gegen Artikel 65 § 1 [EGKS-
Vertrag] angesehen. Das Vorbringen der Kommission in ihrer Antwort vom 19. Januar 1998 und in der
mündlichen Verhandlung ist daher zurückzuweisen, soweit es auf die Änderung dieser rechtlichen
Würdigung abzielt.“
53.
Nach Auffassung der Rechtsmittelführerin hat das Gericht seine Befugnis aufgrund von Artikel 33
EGKS-Vertrag überschritten, indem es in Randnummer 392 des angefochtenen Urteils die streitige
Entscheidung korrigiert und in einer Weise ausgelegt habe, die nach der ausdrücklichen Erklärung
der Kommission und dem Wortlaut der Entscheidung deren Inhalt nicht entspreche. Das Gericht habe
nämlich festgestellt, dass die Kommission den Informationsaustausch als eigenständige
Zuwiderhandlung angesehen habe, obwohl die Kommission selbst auf Frage des Gerichts erklärt
habe, sie sei davon ausgegangen, dass der Informationsaustausch Teil umfassenderer Verstöße
gewesen sei, die insbesondere in Preis- und Marktaufteilungsabsprachen bestanden hätten, und die
Durchführung dieser Absprachen erleichtert habe.
54.
Die Kommission hält diesen Rechtsmittelgrund für unzulässig, da die Qualifizierung des
Informationsaustauschs durch sie keine Rechts-, sondern eine Tatsachenfrage sei, die der
Überprüfung durch den Gerichtshof entzogen sei. Hilfsweise trägt sie vor, der Rechtsmittelgrund sei
unbegründet. Die Klage habe sich nämlich gegen die streitige Entscheidung und nicht gegen
Erklärungen der Vertreter der Kommission im gerichtlichen Verfahren gerichtet, an die das Gericht im
Übrigen nicht gebunden sei.
Würdigung durch den Gerichtshof
55.
Die Rechtsmittelführerin hat nicht dargetan - und auch nicht darzutun versucht -, in welcher Weise
das Gericht gegen Artikel 33 EGKS-Vertrag verstoßen und seine Befugnisse überschritten haben soll,
als es die streitige Entscheidung selbst auslegte, statt den Erklärungen zu folgen, die die Vertreter
der Kommission in der Antwort vom 19. Januar 1998 und in der mündlichen Verhandlung abgaben.
56.
Insoweit genügt der Hinweis, dass das Gericht, wenn es über eine Nichtigkeitsklage gegen eine
Gemeinschaftshandlung entscheidet, diese Handlung selbst auszulegen hat.
57.
Folglich hat das Gericht durch die Auslegung der streitigen Entscheidung seine Befugnisse nicht
überschritten, so dass der dritte Rechtsmittelgrund unbegründet ist.
58.
Mit dem vierten Rechtsmittelgrund wird eine Verletzung von Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag durch das
Gericht gerügt. Mit dem ersten Teil dieses Rechtsmittelgrundes wirft die Rechtsmittelführerin dem
Gericht vor, den Informationsaustausch zu Unrecht als eigenständige Zuwiderhandlung angesehen zu
haben, und mit dem zweiten Teil rügt sie eine falsche Auslegung des Begriffes „normaler Wettbewerb“.
Zum ersten Teil des vierten Rechtsmittelgrundes
59.
Mit dem ersten Teil des vierten Rechtsmittelgrundes wird gerügt, das Gericht habe dadurch Artikel
65 § 1 EGKS-Vertrag verletzt, dass es - unterstellt, der im Rahmen des dritten Rechtsmittelgrundes
bestrittene Charakter des Informationsaustauschs als eigenständige Zuwiderhandlung sei gegeben -
die angebliche Auswirkung dieses Informationsaustauschs auf den Wettbewerb nicht begründet und
nicht dargelegt habe.
60.
Dieser Teil des Rechtsmittelgrundes betrifft die Randnummern 393 bis 412 des angefochtenen
Urteils und speziell die Randnummern 401 und 406.
61.
In Randnummer 393 des angefochtenen Urteils hat das Gericht darauf hingewiesen, dass „Artikel
65 § 1 [EGKS-Vertrag] ... auf dem Grundgedanken [beruht], dass jeder Wirtschaftsteilnehmer die
Politik, die er auf dem Gemeinsamen Markt verfolgen möchte, eigenständig zu bestimmen hat“.
62.
In den folgenden Randnummern des angefochtenen Urteils hat es Feststellungen zur Detailliertheit
der weitergegebenen Angaben (Randnr. 394), zu ihrer Aktualität und zur Häufigkeit ihrer Übermittlung
(Randnrn. 395 bis 397), zu der Tatsache, dass die Angaben nur einigen Herstellern unter Ausschluss
der Verbraucher und der übrigen Konkurrenten übermittelt worden seien (Randnr. 398), zur
Homogenität der betroffenen Produkte (Randnr. 399) und zur oligopolistischen Struktur des Marktes,
die selbst schon den Wettbewerb verringern könne (Randnr. 400), getroffen.
63.
Es hat daher in Randnummer 401 des angefochtenen Urteils ausgeführt:
„Die in den Randnummern 49 bis 60 der [streitigen] Entscheidung genannten Anhaltspunkte
bestätigen, dass die streitigen Systeme in Anbetracht aller Umstände des vorliegenden Falles,
insbesondere der Aktualität und der Aufschlüsselung der allein für die Hersteller bestimmten Daten,
der Produktmerkmale und des Konzentrationsgrads des Marktes, die Entscheidungsfreiheit der
Teilnehmer erheblich beeinflussten.“
64.
Ferner hat das Gericht in Randnummer 402 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die
verbreiteten Informationen Gegenstand regelmäßiger Erörterungen in der Träger-Kommission von
Eurofer (im Folgenden: Träger-Kommission) gewesen seien, bei denen einige Unternehmen kritisiert
worden seien. Es hat daraus in Randnummer 403 des Urteils geschlossen, dass die im Rahmen der
streitigen Systeme erhaltenen Informationen geeignet gewesen seien, das Verhalten der
Unternehmen spürbar zu beeinflussen.
65.
In Randnummer 404 des angefochtenen Urteils hat das Gericht hinzugefügt, dass die mit diesem
Informationsaustausch verbundene gegenseitige Kontrolle unter Bezugnahme auf eine frühere Politik
der Kommission stattgefunden habe, die auf die Aufrechterhaltung der „traditionellen Handelsströme“
gerichtet gewesen sei.
66.
In Randnummer 406 des angefochtenen Urteils ist das Gericht zu folgendem Ergebnis gekommen:
„Folglich verringerten die streitigen Informationsaustauschsysteme spürbar die Entscheidungsfreiheit
der teilnehmenden Hersteller, indem sie an die Stelle der normalen Wettbewerbsrisiken eine
praktische Zusammenarbeit der Hersteller setzten.“
67.
Die Rechtsmittelführerin trägt vor, im vorliegenden Fall habe sich der fragliche
Informationsaustausch nicht auf die Preise, sondern auf die Sammlung statistischer Angaben zu
Bestell- und Liefermengen bezogen. Ein solcher Austausch habe grundsätzlich eine den Wettbewerb
stimulierende Wirkung.
68.
Das Gericht habe nicht klar unterschieden zwischen den Zuwiderhandlungen gegen Artikel 65 § 1
EGKS-Vertrag in Form von Kartellen und einem autonomen Informationsaustauschsystem. Diene ein
Informationsaustauschsystem zur Durchsetzung oder Kontrolle eines rechtswidrigen Kartells, so stelle
es keine eigenständige Zuwiderhandlung gegen diese Bestimmung dar und bedürfe keiner separaten
rechtlichen Bewertung. Damit ein Informationsaustauschsystem als eigenständige Zuwiderhandlung
angesehen werden könne, wie es das Gericht in Randnummer 392 des angefochtenen Urteils getan
habe, müsse sich die wettbewerbsbeschränkende Wirkung dieses Systems aus ihm selbst und
gegebenenfalls aus der allgemeinen Marktstruktur ergeben, nicht aber aus der Verbindung des
Informationsaustauschsystems mit einem angeblichen Preiskartell.
69.
Das Gericht habe sich zu Unrecht auf die Rechtsprechung zum Traktormarkt (Urteile des Gerichts
vom 27. Oktober 1994 in den Rechtssachen T-34/92, Fiatagri und New Holland Ford/Kommission, Slg.
1994, II-905, und T-35/92, Deere/Kommission, Slg. 1994, II-957, sowie des Gerichtshofes vom 28. Mai
1998 in den Rechtssachen C-7/95 P, Deere/Kommission, Slg. 1998, I-3111, und C-8/95 P, New Holland
Ford/Kommission, Slg. 1998, I-3175) berufen und angenommen, die Struktur des Trägermarkts sei wie
im Fall des Traktormarkts durch ein enges Oligopol geprägt, um damit die Bewertung zu rechtfertigen,
dass die Informationsaustauschsysteme auch isoliert betrachtet einen Verstoß gegen das
Wettbewerbsrecht darstellten. Wie das Gericht in Randnummer 400 des angefochtenen Urteils selbst
festgestellt habe, verfügten die zehn größten an diesem Austausch beteiligten Unternehmen nur über
zwei Drittel der Anteile am Trägermarkt, was für einen starken Wettbewerb zwischen zahlreichen
Unternehmen kennzeichnend sei. Ausgeschlossen werde dadurch jedenfalls die Annahme, dass eine
einfache oligopolistische Struktur oder gar ein hochgradig konzentrierter Markt vorliege.
70.
Die Kommission trägt vor, die Kritik an den Randnummern 401 ff. des angefochtenen Urteils sei
unbegründet, da das Gericht dort entgegen der Behauptung der Rechtsmittelführerin den
wettbewerbswidrigen Charakter der Informationsaustauschsysteme aus ihnen selbst heraus
begründet habe.
71.
Die Kritik der Rechtsmittelführerin an den Ausführungen des Gerichts zur Struktur des Trägermarkts
sei unzulässig, da sie sich gegen die Würdigung von Tatsachen richte. Darüber hinaus habe die
Rechtsmittelführerin selbst in Punkt 80 der Klageschrift vom 8. April 1994, mit der sie ihre Klage
erhoben habe, den Trägermarkt als oligopolistischen Markt bezeichnet.
72.
Zurückzuweisen sei auch die Kritik der Rechtsmittelführerin an der Bezugnahme auf die
Entscheidungen zum Traktormarkt. Das Gericht habe in diesen in Randnummer 69 des vorliegenden
Urteils angeführten Entscheidungen die wettbewerbsfördernde Wirkung von Transparenz unter den
Wirtschaftsteilnehmern ausdrücklich von einer Zersplitterung des Angebots auf dem Markt abhängig
gemacht, die auf dem Trägermarkt nicht bestanden habe.
73.
Außerdem greife die Rechtsmittelführerin lediglich ein Element heraus, während das Gericht den
wettbewerbswidrigen Charakter des Informationsaustauschs mit vielen Umständen begründet habe.
Der Trägermarkt unterscheide sich vom Traktormarkt dadurch, dass Träger homogenere Produkte
seien, so dass der Wettbewerb anhand der Merkmale der Produkte begrenzt sei.
74.
Zudem handele es sich bei der Untersuchung der Auswirkungen einer Vereinbarung auf den
Wettbewerb um die Würdigung komplexer wirtschaftlicher Gegebenheiten, deren Kontrolle durch die
Gemeinschaftsgerichte sich notwendigerweise auf die Prüfung beschränken müsse, ob die
Verfahrensvorschriften eingehalten worden seien, ob die Begründung ausreiche, ob der Sachverhalt
zutreffend festgestellt worden sei und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung des Sachverhalts
und kein Ermessensmissbrauch vorlägen. Die Rechtsmittelführerin habe aber in keiner Weise
dargelegt, dass das Gericht bei der Kontrolle der Prüfung des fraglichen Informationsaustauschs
durch die Kommission diese Kriterien verletzt habe.
75.
In ihrer Erwiderung hebt die Rechtsmittelführerin hervor, sie greife die aus der festgestellten
Marktstruktur abgeleiteten Rechtsfolgen an. Es handele sich also um eine Rechtsfrage, die der
Kontrolle durch den Gerichtshof unterliege.
76.
Der Trägermarkt sei nicht mit dem Traktormarkt zu vergleichen, und das Kriterium der
Produkthomogenität sei im vorliegenden Fall irrelevant. In der Entscheidung, die den in Randnummer
69 des vorliegenden Urteils angeführten Urteilen zugrunde liege, habe die Kommission nämlich
Traktoren als homogene Produkte betrachtet, weil sie dieselben Funktionen erfüllten und auf den
Anschluss der gleichen Zusatzgeräte abgestimmt seien. Die besondere Struktur des Marktes, der
Gegenstand dieser Urteile gewesen sei, sei in der vorliegenden Rechtssache nicht gegeben.
Würdigung durch den Gerichtshof
77.
Zunächst ist festzustellen, dass mit dem ersten Teil des vierten Rechtsmittelgrundes die vom
Gericht getroffene und im Rahmen des dritten Rechtsmittelgrundes geprüfte Feststellung, dass der
Informationsaustausch in der streitigen Entscheidung als eigenständige Zuwiderhandlung angesehen
werde, auch nicht mittelbar in Frage gestellt werden kann.
78.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Gemeinschaftsrichter zwar grundsätzlich eine umfassende
Prüfung der Frage vornimmt, ob die Tatbestandsmerkmale der Wettbewerbsvorschriften des EG-
Vertrags und des EGKS-Vertrags erfüllt sind, seine Überprüfung der Würdigung komplexer
wirtschaftlicher Gegebenheiten durch die Kommission aber notwendigerweise darauf beschränkt, ob
die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob die Begründung ausreichend ist, ob der
Sachverhalt zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung des
Sachverhalts und kein Ermessensmissbrauch vorliegen (in diesem Sinne auch zu Artikel 85 EG-Vertrag
[jetzt Artikel 81 EG] Urteile vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 42/84, Remia u. a./Kommission, Slg.
1985, 2545, Randnr. 34, und vom 17. November 1987 in den Rechtssachen 142/84 und 156/84, BAT
und Reynolds/Kommission, Slg. 1987, 4487, Randnr. 62).
79.
Eine solche Vorschrift ist im EGKS-Vertrag zu finden, dessen Artikel 33 Absatz 1 Folgendes vorsieht:
„Die Nachprüfung durch den Gerichtshof darf sich ... nicht auf die Würdigung der aus den
wirtschaftlichen Tatsachen oder Umständen sich ergebenden Gesamtlage erstrecken, die zu den
angefochtenen Entscheidungen oder Empfehlungen geführt hat, es sei denn, dass der Kommission
der Vorwurf gemacht wird, sie habe ihr Ermessen missbraucht oder die Bestimmungen des Vertrags
oder irgendeiner bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm offensichtlich verkannt.“
80.
Im Licht dieser Gesichtspunkte ist der erste Teil des Rechtsmittelgrundes zu prüfen.
81.
Nach der in Randnummer 69 des vorliegenden Urteils erwähnten Rechtsprechung zum
Traktormarkt, in der das Gericht und der Gerichtshof erstmals eine Vereinbarung über den
Informationsaustausch im Rahmen des EG-Vertrags geprüft haben und deren allgemeine Erwägungen
auf den EGKS-Vertrag übertragbar sind, verstößt eine solche Vereinbarung gegen die
Wettbewerbsregeln, wenn sie den Grad der Ungewissheit über das fragliche Marktgeschehen
verringert oder beseitigt und dadurch zu einer Beschränkung des Wettbewerbs zwischen den
Unternehmen führt (vgl. speziell Urteil Deere/Kommission des Gerichtshofes, Randnr. 90).
82.
Die Kriterien der Koordinierung und der Zusammenarbeit, die Voraussetzungen für eine
abgestimmte Verhaltensweise sind, verlangen nämlich nicht die Ausarbeitung eines eigentlichen
„Plans“; sie sind vielmehr im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des EG-
Vertrags und des EGKS-Vertrags zu verstehen, wonach jeder Wirtschaftsteilnehmer selbständig zu
bestimmen hat, welche Politik er auf dem Gemeinsamen Markt betreiben und welche Bedingungen er
seiner Kundschaft gewähren will (Urteil Deere/Kommission des Gerichtshofes, Randnr. 86 und die dort
genannte Rechtsprechung).
83.
Es ist zwar richtig, dass dieses Selbständigkeitspostulat den Wirtschaftsteilnehmern nicht das
Recht nimmt, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Wettbewerber auf intelligente
Weise anzupassen; es steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme
zwischen den Wirtschaftsteilnehmern entgegen, die bezweckt oder bewirkt, dass
Wettbewerbsbedingungen entstehen, die im Hinblick auf die Art der Waren oder erbrachten
Dienstleistungen, die Bedeutung und Zahl der beteiligten Unternehmen sowie den Umfang des in
Betracht kommenden Marktes nicht den normalen Bedingungen dieses Marktes entsprechen (Urteil
Deere/Kommission des Gerichtshofes, Randnr. 87 und die dort genannte Rechtsprechung).
84.
In den Randnummern 88 bis 90 des Urteils Deere/Kommission hat der Gerichtshof die vom Gericht
bei seinen Erwägungen herangezogene allgemeine Prämisse bestätigt, wonach
- auf einem wirklich vom Wettbewerb geprägten Markt die Transparenz unter den
Wirtschaftsteilnehmern grundsätzlich geeignet sei, den Wettbewerb zwischen den Anbietern zu
verstärken, da in einer solchen Situation der Umstand, dass ein Wirtschaftsteilnehmer Informationen
über das Marktgeschehen, über die er dank des Informationsaustauschsystems verfüge,
berücksichtige, um sein Verhalten auf diesem Markt anzupassen, angesichts der Zersplitterung des
Angebots nicht geeignet sei, bei den anderen Wirtschaftsteilnehmern die Ungewissheit über das
künftige Verhalten ihrer Wettbewerber zu verringern oder zu beseitigen,
- der Austausch von Marktinformationen auf einem hochgradig konzentrierten oligopolistischen
Markt dagegen geeignet sei, den Unternehmen Aufschluss über die Marktposition ihrer Wettbewerber
und deren Geschäftsstrategie zu geben und damit den noch bestehenden Wettbewerb zwischen den
Wirtschaftsteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen.
85.
Wie der Gerichtshof in Randnummer 89 des Urteils Deere/Kommission ferner festgestellt hat,
berücksichtigte das Gericht, dass vertrauliche und eingehende Informationen ausgetauscht wurden,
dass dies regelmäßig geschah und dass sie nur für die am Austausch beteiligten Unternehmen unter
Ausschluss ihrer Wettbewerber und der Verbraucher bestimmt waren.
86.
Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin kann ein Informationsaustauschsystem auch
dann gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen, wenn es sich bei dem relevanten Markt nicht um einen
hochgradig konzentrierten oligopolistischen Markt handelt. Im Urteil Deere/Kommission des Gerichts,
insoweit bestätigt durch das Urteil Deere/Kommission des Gerichtshofes, wird zwar festgestellt, dass
der Traktormarkt diesen Charakter hatte. In den genannten Urteilen wird dabei jedoch eine ganze
Reihe von Kriterien berücksichtigt, wobei der einzige die Marktstruktur betreffende allgemeine
Grundsatz lautet, dass das Angebot nicht zersplittert sein darf.
87.
Folglich hat das Gericht, als es als eines der Beurteilungskriterien die oligopolistische Struktur des
relevanten Marktes heranzog, ohne zu klären, ob ein hochgradig konzentrierter Markt vorlag, nicht
gegen Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag nach dessen Auslegung im Licht der Rechtsprechung des
Gerichtshofes zum Informationsaustausch verstoßen.
88.
Bei der Feststellung, dass im vorliegenden Fall der Trägermarkt eine oligopolistische Struktur
aufwies, handelt es sich um eine Würdigung von Tatsachen, die nicht der Kontrolle durch den
Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels unterliegt. Das Gleiche gilt für die Feststellung zum
homogenen Charakter der Produkte.
89.
Aus der in den Randnummern 81 bis 85 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen Rechtsprechung
und den verschiedenen vom Gericht in den Randnummern 394 bis 400 des angefochtenen Urteils
getroffenen Feststellungen, wonach die fraglichen Informationsaustauschsysteme den Grad der
Ungewissheit über das Marktgeschehen verringerten, hat das Gericht in Randnummer 401 seines
Urteils zu Recht den Schluss gezogen, dass diese Systeme die Entscheidungsfreiheit der Teilnehmer
erheblich beeinflusst hätten. Ebenso hat es aus den in den Randnummern 402 bis 404 seines Urteils
getroffenen Feststellungen in Randnummer 406 des Urteils zu Recht geschlossen, dass diese
Systeme die Entscheidungsfreiheit der teilnehmenden Unternehmen spürbar verringert hätten.
90.
Aus diesen Erwägungen folgt, dass der erste Teil des vierten Rechtsmittelgrundes unbegründet ist.
Zum zweiten Teil des vierten Rechtsmittelgrundes
91.
Mit dem zweiten Teil des vierten Rechtsmittelgrundes macht die Rechtsmittelführerin geltend, das
Gericht habe dadurch gegen Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag verstoßen, dass es den Begriff „normaler
Wettbewerb“ falsch ausgelegt habe. Infolgedessen sei es zu Unrecht davon ausgegangen, dass diese
Vorschrift durch den Informationsaustausch und die beanstandeten Verhaltensweisen im Bereich der
Preisfestsetzung und der Harmonisierung von Aufpreisen verletzt worden sei.
92.
Unter normalem Wettbewerb im Sinne des EGKS-Vertrags müsse eine Wettbewerbssituation
verstanden werden, die sich aus der Gesamtheit der vor dem Hintergrund des EGKS-Vertrags
bestehenden besonderen Rahmenbedingungen im konkreten Fall ergebe.
93.
Der normale Wettbewerb im Sinne von Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag sei zwischen Juli 1988 und Juni
1990 durch ein von der Kommission eingeführtes Überwachungssystem geprägt gewesen, das den
Austausch individueller mengenbezogener Daten zwischen den beteiligten Unternehmen
vorausgesetzt habe. Durch die Einstufung des Informationsaustauschs über Aufträge und Lieferungen
als Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht habe das Gericht daher einen Rechtsfehler
begangen.
94.
Hinsichtlich der beanstandeten Verhaltensweisen zur Preisfestsetzung habe das Gericht außer Acht
gelassen, dass eine von der Kommission gebilligte und geförderte Situation als Teil des „normalen
Wettbewerbs“ zu betrachten sei. Es hätte zu dem Schluss kommen müssen, dass den Unternehmen
im Rahmen des normalen Wettbewerbs ein auch die fraglichen Verhaltensweisen umfassender
Spielraum eingeräumt sei.
95.
Falsch sei auch die Feststellung des Gerichts in Randnummer 262 des angefochtenen Urteils, dass
es eine Vereinbarung über die Preise im Sinne von Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag gegeben habe, da die
den betroffenen Unternehmen vorgeworfene Willensübereinstimmung nicht über die vom Gericht
letztlich als zulässig erachteten Verhaltensweisen hinausgegangen sei, mit denen ein gewisser
Konsens über die künftigen Markttendenzen habe erreicht werden sollen.
96.
Zudem widerspreche sich das Gericht. Einerseits habe es in Randnummer 318 des angefochtenen
Urteils festgestellt, dass keine Bestimmung des EGKS-Vertrags verabredete Praktiken zur
Preisfestsetzung erlaube. Andererseits habe es in Randnummer 645 dieses Urteils den von Herrn
Kutscher, einem vom Gericht als Zeugen gehörten ehemaligen Beamten der GD III, als zulässig
erachteten Austausch von Preisprognosen als verabredete Praxis betrachtet, aber u. a. in
Randnummer 534 des Urteils festgestellt, dass die Kommission nichts von den Verstößen gegen
Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag gewusst habe.
97.
Diese Erwägungen gälten auch für die Vereinbarungen über Aufpreise. Indem das Gericht sie in
Randnummer 330 des angefochtenen Urteils als Zuwiderhandlungen gegen Artikel 65 § 1 EGKS-
Vertrag eingestuft habe, habe es diese Bestimmung auch insoweit verletzt.
98.
Die Kommission weist darauf hin, dass die im EGKS-Vertrag festgelegte Tragweite des Begriffes
„normaler Wettbewerb“ nicht von ihr bestimmt werde. Daher komme es nicht darauf an, ob der
Austausch individueller Informationen für die Zusammenarbeit mit der Kommission, wie sie im
vorliegenden Fall von der GD III ausgestaltet worden sei, erforderlich gewesen sei.
99.
Insoweit sei es nicht widersprüchlich, wenn bei der Prüfung der wirtschaftlichen Auswirkungen der
Zuwiderhandlung die von der GD III gebilligte Lage zugrunde gelegt worden sei, ohne jedoch den
Begriff „normaler Wettbewerb“ im Sinne des EGKS-Vertrags in Frage zu stellen.
100.
Dies gelte auch für die Vereinbarungen und verabredeten Praktiken zur Preisfestsetzung. Soweit
sich die Rechtsmittelführerin gegen die Feststellung in Randnummer 262 des angefochtenen Urteils
wende, dass es zwischen den Unternehmen Preisvereinbarungen gegeben habe, sei dieser Teil des
Rechtsmittelgrundes unzulässig, da er sich auf die Feststellung von Tatsachen und die Würdigung von
Beweismitteln durch das Gericht beziehe.
Würdigung durch den Gerichtshof
101.
Wie aus den Artikeln 32d KS, 51 Absatz 1 der EGKS-Satzung des Gerichtshofes und 112 § 1 Absatz 1
Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichtshofes folgt, muss ein Rechtsmittel die
beanstandeten Teile des Urteils, dessen Aufhebung beantragt wird, sowie die rechtlichen Argumente,
die diesen Antrag speziell stützen, genau bezeichnen (in diesem Sinne auch Urteil vom 8. Januar 2002
in der Rechtssache C-248/99 P, Frankreich/Monsanto und Kommission, Slg. 2002, I-1, Randnr. 68).
102.
Im vorliegenden Fall ergibt sich eine Schwierigkeit für das Verständnis des Rechtsmittels daraus,
dass sich die Rechtsmittelführerin nach ihren Angaben gegen die Auslegung des Begriffes „normaler
Wettbewerb“ im Sinne von Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag durch das Gericht wendet, aber im Rahmen
ihres Rechtsmittelgrundes keine Einwände gegen die Randnummern 300 bis 320 des angefochtenen
Urteils erhebt, in denen das Gericht die Ansicht vertritt, dass der genannte Begriff im Sinne dieser
Vorschrift ebenso auszulegen sei wie der entsprechende Begriff in Artikel 85 EG-Vertrag, und daher zu
dem Ergebnis kommt, dass die Kommission weder die Tragweite von Artikel 65 § 1 verkannt noch die
Bestimmungen von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag zu Unrecht auf den vorliegenden Fall angewandt
habe.
103.
Soweit dieser Teil des Rechtsmittelgrundes so zu verstehen sein sollte, dass er die Verwicklung der
GD III in die der Rechtsmittelführerin zur Last gelegten Zuwiderhandlungen betrifft, ist jedoch
festzustellen, dass die Rechtsmittelführerin kein Argument anführt, mit dem die Erwägungen des
Gerichts in den Randnummern 490 bis 556 des angefochtenen Urteils in Frage gestellt werden. In
diesen Randnummern hat das Gericht dargelegt, dass die betroffenen Unternehmen der Kommission
die Existenz und den Inhalt ihrer den Wettbewerb beeinträchtigenden Gespräche und der von ihnen
getroffenen Vereinbarungen verheimlicht hätten. In Randnummer 554 des angefochtenen Urteils hat
es klargestellt, dass Artikel 65 § 4 EGKS-Vertrag jedenfalls einen objektiven Inhalt habe und sowohl für
die Unternehmen als auch für die Kommission verbindlich sei, die die Unternehmen davon nicht
freistellen könne.
104.
Folglich könnte die Rechtsmittelführerin nicht mit Erfolg geltend machen, dass das Gericht bei der
Auslegung des Begriffes „normaler Wettbewerb“ im Sinne von Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag einen
Rechtsfehler begangen habe, da es die von der Kommission gebilligte und geförderte
Wettbewerbssituation außer Acht gelassen habe.
105.
Überdies werden mit diesem Teil des Rechtsmittelgrundes eine Reihe über das angefochtene Urteil
verstreuter Feststellungen des Gerichts angegriffen, ohne dass er eine Darlegung schlüssiger
rechtlicher Argumente enthält, die sich konkret dagegen wenden, wie das Gericht den Begriff
„normaler Wettbewerb“ im Sinne von Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag bei der Auslegung der
Rechtsvorschrift oder bei ihrer Anwendung im vorliegenden Fall in Anbetracht des Verhaltens der GD III
gewürdigt hat.
106.
Da der zweite Teil des vierten Rechtsmittelgrundes zu unbestimmt ist, als dass über ihn
entschieden werden könnte, ist er für unzulässig zu erklären.
107.
Nach den vorstehenden Erwägungen ist der vierte Rechtsmittelgrund als teilweise unbegründet
und teilweise unzulässig zurückzuweisen.
108.
Mit ihrem fünften Rechtsmittelgrund macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht habe
Artikel 65 § 5 EGKS-Vertrag, der die Kommission zur Festsetzung von Geldbußen gegen Unternehmen
ermächtige, und das Schuldprinzip verletzt, indem es das Ausmaß ihres Verschuldens überbewertet
habe. Insbesondere habe das Gericht die Auswirkungen der festgestellten Unklarheit hinsichtlich des
Begriffes „normaler Wettbewerb“ im Sinne von Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag nicht berücksichtigt und sei
fälschlich davon ausgegangen, dass die Rechtsmittelführerin sich der Rechtswidrigkeit ihrer
Verhaltensweise in vollem Umfang bewusst gewesen sei.
109.
Die vom Gericht in den Randnummern 411, 504, 514, 589 und 590 des angefochtenen Urteils
vertretene Auffassung, dass es sich um offensichtliche Verstöße gehandelt habe, stehe im
Widerspruch zu seiner Feststellung in Randnummer 643 des Urteils, dass durch das Verhalten der GD
III im Rahmen des von der Kommission von Mitte 1988 bis Ende 1990 angewandten
Überwachungssystems eine „gewisse Unklarheit“ hinsichtlich der Tragweite des Begriffes „normaler
Wettbewerb“ im Sinne des EGKS-Vertrags entstanden sei.
110.
Zudem hätten die allgemein gehaltenen Ermahnungen der GD III an die Unternehmen, die
Wettbewerbsregeln einzuhalten, vor dem Hintergrund der zur Zeit der beanstandeten Handlungen
bestehenden Rechtsunsicherheit nicht dazu beitragen können, ein Unrechtsbewusstsein der
Rechtsmittelführerin zu wecken.
111.
Überdies unterstelle das Gericht ihr in den Randnummern 552 f. des angefochtenen Urteils
fälschlich eine „Verheimlichungsabsicht“. Im Rahmen des von der Kommission geschaffenen
Überwachungssystems sei es unerlässlich gewesen, dass die Unternehmen die von ihr angeforderten
Informationen zusammenfassten und aufbereiteten. Die zwischen den Unternehmen ausgetauschten
Informationen seien nicht mit den der GD III gelieferten Informationen identisch gewesen, weil es sich
bei Letzteren um globalisierte Daten handele, die definitionsgemäß allgemeiner und ungenauer
gewesen seien.
112.
Die Kommission hält diesen Rechtsmittelgrund für unzulässig, da sich die Rechtsmittelführerin
gegen die Feststellungen des Gerichts zum Vorliegen klarer und offensichtlicher Zuwiderhandlungen
sowie echter Vereinbarungen über die Preisfestsetzung, zur Anwendung eines Systems zum Austausch
von Lieferinformationen und zur Verheimlichungsabsicht wende und damit die Feststellung und
Würdigung von Tatsachen angreife, die allein dem Gericht vorbehalten sei. Der Rechtsmittelgrund sei
jedenfalls unbegründet, da der Rechtsmittelführerin keine Verhaltensweisen zur Last gelegt worden
seien, deren Rechtmäßigkeit fraglich sei, sondern schwere Zuwiderhandlungen gegen das
Kartellverbot, über das sie sich nicht habe irren können.
Würdigung durch den Gerichtshof
113.
Das Gericht hat die Feststellung in Randnummer 553 des angefochtenen Urteils, dass die
betroffenen Unternehmen die Wettbewerbsregeln verletzt hätten und „zugleich Vorkehrungen
[trafen], um sich vor der Wachsamkeit der mit der Marktüberwachung betrauten Beamten der GD III zu
schützen“, erst nach eingehender Prüfung einer ganzen Reihe von tatsächlichen Umständen und
Beweismitteln in den Randnummern 491 bis 551 des Urteils getroffen.
114.
Das Gericht hat insbesondere in Randnummer 516 des angefochtenen Urteils ausgeführt: „Weder
die Aktenstücke, die dem Gericht von den Parteien vorgelegt wurden, noch die von ihm angeordneten
Beweisaufnahmen und prozessleitenden Maßnahmen haben den Nachweis erbracht, dass die GD III
von den der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlungen gegen Artikel 65 [EGKS-Vertrag] wusste
oder sie gar veranlasste, unterstützte oder duldete.“
115.
Ferner hat es in Randnummer 552 des angefochtenen Urteils hervorgehoben, dass die
Stahlunternehmen und ihre Wirtschaftsvereinigung Eurofer den Beamten der Kommission Existenz und
Inhalt bestimmter Gespräche verheimlicht hätten.
116.
Angesichts all dieser tatsächlichen Umstände und Beweismittel ist das Gericht in Randnummer 553
des angefochtenen Urteils zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass sich die Unternehmen von ihrer
Pflicht zur Einhaltung von Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag nicht unter Berufung darauf entlasten könnten,
dass die Beamten der GD III von ihren Praktiken gewusst hätten oder hätten wissen müssen.
117.
Zu Randnummer 643 des angefochtenen Urteils, in der das Gericht ausführt, dass die GD III durch
ihr Verhalten „eine gewisse Unklarheit hinsichtlich der Tragweite des Begriffs .normaler Wettbewerb‘
im Sinne des EGKS-Vertrags geschaffen“ habe, ist festzustellen, dass sie zu dem Teil des Urteils
gehört, in dem das Gericht die wirtschaftliche Auswirkung der Zuwiderhandlungen prüft, um zu
ermitteln, ob eine unverhältnismäßig hohe Geldbuße festgesetzt wurde (Randnrn. 632 bis 646 des
Urteils).
118.
Dabei hat das Gericht in diesem Teil des angefochtenen Urteils eines der gewöhnlich zur
Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung herangezogenen Kriterien geprüft und in
Randnummer 635 des Urteils hervorgehoben, dass auch ohne wettbewerbswidrige Wirkungen eine
Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 EGKS-Vertrag festgestellt und gemäß § 5 dieses Artikels eine
Geldbuße festgesetzt werden könne. Wie es in Randnummer 636 des Urteils ausführt, ist die
Auswirkung einer wettbewerbswidrigen Praxis daher bei der Beurteilung der angemessenen Höhe der
Geldbuße kein ausschlaggebendes Kriterium. Gesichtspunkte, die die Intention eines Verhaltens
beträfen, könnten größere Bedeutung haben als solche, die dessen Wirkungen beträfen, vor allem,
wenn es sich wie hier dem Wesen nach um schwere Zuwiderhandlungen wie die Preisfestsetzung und
die Marktaufteilung handele.
119.
Der von der Rechtsmittelführerin angeführte Satz aus Randnummer 643 des angefochtenen Urteils
kann nicht isoliert betrachtet werden, sondern ist als Glied der Argumentationskette des Gerichts zu
sehen. Dieses hat aber in derselben Randnummer hinzugefügt, angesichts des Verhaltens der
Kommission seien die Auswirkungen der vorliegend begangenen Zuwiderhandlungen nicht durch
einen schlichten Vergleich zwischen der Lage, die aufgrund der wettbewerbsbeschränkenden
Vereinbarungen eingetreten sei, und der Lage, die ohne jede Kontaktaufnahme zwischen den
Unternehmen bestanden hätte, zu ermitteln. Es sei sachdienlicher, die Lage, die aufgrund der
genannten Vereinbarungen eingetreten sei, mit der von der GD III angestrebten und gebilligten Lage
zu vergleichen, die darin bestanden habe, dass die Unternehmen hätten zusammenkommen und
allgemeine Gespräche, insbesondere über ihre Prognosen der künftigen Preise, führen sollen.
120.
Das Gericht hat sich somit nicht widersprüchlich verhalten, als es das Verhalten der Kommission bei
der Beurteilung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Zuwiderhandlungen berücksichtigte und
zugleich feststellte, dass dieses Verhalten nichts daran geändert habe, dass den betroffenen
Unternehmen der wettbewerbswidrige Charakter der beanstandeten Praktiken voll und ganz bewusst
gewesen sei.
121.
Folglich ist der fünfte Rechtsmittelgrund unbegründet.
122.
Der sechste, ebenfalls auf eine Verletzung von Artikel 65 § 5 EGKS-Vertrag gestützte
Rechtsmittelgrund betrifft die Beurteilung des Verschuldens in Bezug auf den Informationsaustausch.
Er zielt auf die Randnummern 644 und 649 des angefochtenen Urteils ab, die wie folgt lauten:
„644 Insoweit lässt sich nicht ausschließen, dass ein Meinungsaustausch der Unternehmen über
ihre .Preisprognosen‘, wie er von der GD III als zulässig angesehen wurde, auch ohne Vereinbarungen
der im vorliegenden Fall in der Träger-Kommission getroffenen Art ein abgestimmtes Marktverhalten
der betreffenden Unternehmen hätte erleichtern können. Unterstellt man, dass sich die Unternehmen
auf einen allgemeinen und unverbindlichen Meinungsaustausch über die von ihnen erwarteten Preise
beschränkt hätten, der nur zur Vorbereitung der Konsultationstreffen mit der Kommission gedient
hätte, und dass sie der Kommission den genauen Inhalt ihrer Vorbereitungstreffen offenbart hätten,
so ist es durchaus möglich, dass solche von der GD III gebilligten Kontakte zwischen den Unternehmen
eine gewisse Parallelität des Marktverhaltens - insbesondere hinsichtlich der Preiserhöhungen, die
zumindest teilweise durch die günstige Wirtschaftskonjunktur im Jahr 1989 ausgelöst wurden - hätten
verstärken können.
...
649 Aus den oben in den Randnummern 385 ff. dargelegten Gründen hat das Gericht bereits
festgestellt, dass die Teilnahme der Klägerin an den Informationsaustauschsystemen, die in den
Randnummern 263 bis 272 der [streitigen] Entscheidung beschrieben sind, als eigenständige
Zuwiderhandlung gegen Artikel 65 § 1 [EGKS-Vertrag] anzusehen ist. Folglich hat die Kommission diese
Zuwiderhandlung bei der Berechnung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße zu Recht
gesondert berücksichtigt.“
123.
Die Rechtsmittelführerin macht erstens geltend, das Gericht habe bei der Würdigung der Höhe der
festgesetzten Geldbuße seine Erwägungen zu den Auswirkungen des von der Kommission
geschaffenen Überwachungssystems auf den normalen Wettbewerb zu Unrecht allein auf die
Preisfestsetzungsvereinbarungen beschränkt. Diese Erwägungen hätten auch auf den
Informationsaustausch angewandt werden müssen.
124.
Zweitens macht sie geltend, das Gericht habe dadurch Artikel 65 § 5 EGKS-Vertrag verletzt, dass es
den Informationsaustausch in Randnummer 649 des angefochtenen Urteils als eigenständigen
Verstoß bewertet und die Berücksichtigung dieses eigenständigen Verstoßes bei der Bemessung der
Geldbuße für zulässig erklärt habe, obwohl der Informationsaustausch gegenüber den anderen
Verstößen nur akzessorischen Charakter gehabt habe.
125.
Die Kommission trägt vor, die Gründe, aus denen das Gericht die Geldbuße für die
Preisfestsetzungsvereinbarungen herabgesetzt habe, gälten nicht für den beanstandeten
Informationsaustausch. An keiner Stelle des angefochtenen Urteils sei davon die Rede, dass der
Austausch individueller Daten im Rahmen des Überwachungssystems erforderlich gewesen sei. Die
Unternehmen hätten sich darauf beschränken können, ihre individuellen Daten einer zur
Vertraulichkeit verpflichteten zentralen Sammelstelle zur Weitergabe allein in aggregierter Form zur
Verfügung zu stellen.
Würdigung durch den Gerichtshof
126.
Mit dem ersten Teil dieses Rechtsmittelgrundes wendet sich die Rechtsmittelführerin auch gegen
die Erwägungen des Gerichts in dem Teil des angefochtenen Urteils, in dem die wirtschaftliche
Auswirkung der Zuwiderhandlungen geprüft wird, um zu ermitteln, ob eine unverhältnismäßig hohe
Geldbuße festgesetzt wurde. Sie wirft dem Gericht vor, in Bezug auf den Informationsaustausch anders
als bei den Preisfestsetzungsvereinbarungen nicht berücksichtigt zu haben, dass die wirtschaftlichen
Auswirkungen der Zuwiderhandlung und die Auswirkungen eines von der Kommission angestrebten
und gebilligten Verhaltens übereinstimmten.
127.
In Randnummer 644 des angefochtenen Urteils hat das Gericht die Ansicht vertreten, es könne
wirtschaftlich gerechtfertigt sein, zur Beurteilung der Auswirkungen einer
Preisfestsetzungsvereinbarung einen von der GD III als zulässig angesehenen Meinungsaustausch der
Unternehmen über ihre Preisprognosen zu berücksichtigen, wenn ein solcher Meinungsaustausch zu
einem Parallelverhalten habe führen können, das die gleiche wirtschaftliche Wirkung wie eine
derartige Vereinbarung habe, aber nicht in einer gegen den EGKS-Vertrag verstoßenden
wettbewerbswidrigen Praxis bestehe.
128.
Die Rechtsmittelführerin hat jedoch nicht dargetan, dass es einen von der Kommission als zulässig
angesehenen Informationsaustausch gab oder dass ein solcher Austausch zu einem Parallelverhalten
mit der gleichen wirtschaftlichen Wirkung wie die beanstandeten Informationsaustauschsysteme hätte
führen können.
129.
Wie sich aus Randnummer 544 des angefochtenen Urteils ergibt, betraf der einzige der Kommission
bekannte Informationsaustausch über Aufträge und Lieferungen vielmehr „Schnellstatistiken auf
Unternehmensebene ..., [die] nach Produkten und nationalen Zielmärkten aufgeschlüsselt waren, so
dass kein Unternehmen den Marktanteil seiner Konkurrenten ermitteln konnte“.
130.
Die vom Gericht in Randnummer 407 des angefochtenen Urteils vertretene Auffassung, dass die
streitigen Informationsaustauschsysteme nicht zu den von der Kommission im Bereich des
Informationsaustauschs als zulässig angesehenen Maßnahmen gehört hätten, beruht gerade darauf,
dass sie eine andere wirtschaftliche Wirkung als Informationen wie die Schnellstatistiken hatten, da
„die streitigen Systeme ... die Entscheidungsfreiheit der Teilnehmer erheblich beeinflussten“ (Randnr.
401 des Urteils), was jede Möglichkeit parallel getroffener eigenständiger individueller
Entscheidungen zwangsläufig ausschließt.
131.
Folglich ist der erste Teil des sechsten Rechtsmittelgrundes unbegründet.
132.
Zum zweiten Teil des Rechtsmittelgrundes, der die Berücksichtigung der Teilnahme der
Rechtsmittelführerin an den Informationsaustauschsystemen bei der Beurteilung der Sanktion betrifft,
ist darauf hinzuweisen, dass diese Systeme, wie das Gericht in Randnummer 392 des angefochtenen
Urteils festgestellt hat, als eigenständige Zuwiderhandlungen angesehen wurden. In den
Randnummern 393 bis 412 des Urteils hat es geprüft, dass sie tatsächlich als solche
wettbewerbswidrigen Charakter hatten.
133.
Somit hat das Gericht in Randnummer 649 des angefochtenen Urteils die gesonderte
Berücksichtigung dieser Zuwiderhandlung bei der Bemessung der Geldbuße durch die Kommission zu
Recht gebilligt.
134.
Folglich ist auch der zweite Teil des sechsten Rechtsmittelgrundes unbegründet.
135.
Somit ist der sechste Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.
136.
Der siebte Rechtsmittelgrund wird auf eine Verletzung von Artikel 15 EGKS-Vertrag gestützt, die
darin bestehen soll, dass das Gericht die unzureichende Begründung der streitigen Entscheidung
hinsichtlich der Bemessung der Geldbußen nicht beanstandet habe. Mit diesem Rechtsmittelgrund
wendet sich die Rechtsmittelführerin gegen die Feststellung des Gerichts in Randnummer 606 des
angefochtenen Urteils, dass die streitige Entscheidung eine ausreichende und sachgerechte
Darstellung der Faktoren enthalte, die bei der allgemeinen Beurteilung der Schwere der
verschiedenen festgestellten Zuwiderhandlungen herangezogen worden seien.
137.
Sie trägt vor, die Begründung für die Bemessung der Geldbußen in einer Entscheidung der
Kommission müsse den Parteien für sich genommen die Feststellung erlauben, welche konkreten
Kriterien in ihrem Fall für die Bemessung der Geldbuße auf welche Weise herangezogen worden seien.
Dies sei hier nicht der Fall.
138.
Die streitige Entscheidung lasse insbesondere nicht erkennen, auf welche Weise die Dauer der
Zuwiderhandlungen berücksichtigt worden sei. Nach Randnummer 612 des angefochtenen Urteils
„geht aus der Analyse des Sachverhalts durch das Gericht hervor, dass die Kommission mit der
Bezugnahme auf die Handlungen der Betroffenen oder die Zeiträume, auf die sich diese Handlungen
bezogen, die den Zuwiderhandlungen in Artikel 1 der [streitigen] Entscheidung zugeordnete Dauer
ordnungsgemäß gerechtfertigt hat“. Auch ein gründliches Studium dieser Entscheidung erlaube
jedoch nur Vermutungen, keinesfalls aber klare Erkenntnisse über den genauen Zeitraum, in dem die
Kommission die gerügten Zuwiderhandlungen ansetze.
139.
Hinsichtlich der Zahlenangaben über die Bemessung der Geldbuße bestehe ein Widerspruch
zwischen den Randnummern 608 und 609 des angefochtenen Urteils, in denen das Gericht auf die
einschlägige Rechtsprechung verweise, und den Randnummern 610 und 611, in denen es die von der
Kommission im Laufe des Verfahrens vorgelegten Zahlenangaben für ausreichend erkläre. Die
Begründung müsse in der Bußgeldentscheidung enthalten sein. Andernfalls müssten die betroffenen
Unternehmen, um die Methode zur Berechnung der Geldbuße zu erfahren, gerichtlich vorgehen.
140.
Die Kommission trägt vor, das Gericht habe die Anwendung der verschiedenen Kriterien für die
Bemessung der Geldbuße auf jedes Unternehmen ordnungsgemäß geprüft. So habe es sich in den
Randnummern 607, 614 und 626 des angefochtenen Urteils mit der Dauer jeder Zuwiderhandlung,
dem Vorliegen einer Wiederholungstat und dem Gesellschaftskapital der Rechtsmittelführerin befasst.
Der Rechtsmittelgrund sei daher insoweit unbegründet.
141.
Die gegen die Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlung durch das Gericht vorgebrachte Rüge
sei unzulässig, da sie sich gegen die Würdigung von Tatsachen richte, die allein dem Gericht
vorbehalten sei.
142.
Was die Berechnung der Geldbuße angehe, so habe das Gericht eine Offenlegung der
mathematischen Berechnungsweise der Geldbuße in der Bußgeldentscheidung als wünschenswert
bezeichnet, aber nicht verlangt. Es habe ferner die Auffassung vertreten, dass die der Bemessung der
Geldbuße zugrunde gelegten Kriterien aus der streitigen Entscheidung ersichtlich seien. Auch dieser
Teil des Rechtsmittelgrundes sei folglich unbegründet.
Würdigung durch den Gerichtshof
143.
Artikel 15 Absatz 1 EGKS-Vertrag lautet: „Die Entscheidungen, Empfehlungen und Stellungnahmen
der Kommission sind mit Gründen zu versehen und haben auf die pflichtgemäß eingeholten
Stellungnahmen Bezug zu nehmen.“
144.
Nach ständiger Rechtsprechung hat die Pflicht zur Begründung einer Einzelentscheidung den
Zweck, dem Gerichtshof die Überprüfung der Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu
ermöglichen und den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob die
Entscheidung begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht
(Urteil vom 7. April 1987 in der Rechtssache 32/86, Sisma/Kommission, Slg. 1987, 1645, Randnr. 8).
145.
Im vorliegenden Fall hat das Gericht in Randnummer 606 des angefochtenen Urteils zu Recht die
Auffassung vertreten, dass die streitige Entscheidung in den Randnummern 300 bis 312, 314 und 315
eine ausreichende und sachgerechte Darstellung der Faktoren enthalte, die bei der allgemeinen
Beurteilung der Schwere der verschiedenen gerügten Zuwiderhandlungen herangezogen worden
seien, und in Randnummer 607 des Urteils zu Recht festgestellt, dass in Artikel 1 der streitigen
Entscheidung für jede Zuwiderhandlung angegeben werde, wie lange sie gedauert haben solle.
146.
In Randnummer 300 der streitigen Entscheidung wird auf die Schwere der Zuwiderhandlungen
hingewiesen, und es werden die bei der Festsetzung der Geldbuße herangezogenen Gesichtspunkte
aufgeführt. So werden in Randnummer 301 die wirtschaftliche Lage der Stahlindustrie, in den
Randnummern 302 bis 304 die wirtschaftliche Auswirkung der Verstöße, in den Randnummern 305 bis
307 der Umstand, dass zumindest einigen Unternehmen bewusst war, dass ihr Verhalten einen
Verstoß gegen Artikel 65 EGKS-Vertrag darstellte oder darstellen könnte, in den Randnummern 308
bis 312 die möglichen Missverständnisse in der Zeit der Krisenregelung und in Randnummer 316 die
Dauer der Verstöße berücksichtigt. In der streitigen Entscheidung wird überdies die Beteiligung jedes
Unternehmens an jeder Zuwiderhandlung im Einzelnen geschildert.
147.
Zu dem Umstand, dass der Zeitraum, in dem jede Zuwiderhandlung begangen wurde, in Artikel 1
der streitigen Entscheidung nicht mit Anfangs- und Enddatum, sondern nur in Monaten angegeben
ist, hat das Gericht zu Recht die Auffassung vertreten, dass diese Angaben angesichts der bei der
Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigenden Kriterien eine ausreichende Begründung darstellten.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Sachverhaltsschilderung in der streitigen Entscheidung
zahlreiche Daten enthält, die es erlauben, die Zeiträume der Zuwiderhandlungen zu ermitteln, und
dass die Rechtsmittelführerin jedenfalls keinen Beleg dafür liefert, dass die in Monaten angegebene
Dauer der Zuwiderhandlungen in Bezug auf sie unzutreffend wäre.
148.
Die Angaben in der streitigen Entscheidung erlaubten es dem betroffenen Unternehmen, die
Gründe für die getroffene Maßnahme zu erfahren, so dass es seine Rechte geltend machen konnte,
und ermöglichten dem Gemeinschaftsrichter die Überprüfung der Entscheidung auf ihre
Rechtmäßigkeit hin. Folglich hat das Gericht nicht gegen Artikel 15 EGKS-Vertrag verstoßen, als es die
Ansicht vertrat, dass die Entscheidung hinsichtlich der Ermittlung der Höhe der Geldbußen
hinreichend begründet sei.
149.
Was die Zahlenangaben zur Berechnungsweise der Geldbußen anbelangt, so ist darauf
hinzuweisen, dass solche Angaben, so nützlich und wünschenswert sie auch sein mögen, für die
Beachtung der Pflicht zur Begründung einer Bußgeldentscheidung nicht unabdingbar sind, da die
Kommission jedenfalls nicht durch den ausschließlichen und mechanischen Rückgriff auf
mathematische Formeln auf ihr Ermessen verzichten darf (Urteil vom 16. November 2000 in der
Rechtssache C-291/98 P, Sarrió/Kommission, Slg. 2000, I-9991, Randnrn. 75 bis 77, und Urteil
Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Randnr. 464).
150.
Das Gericht hat daher zu Recht und ohne sich zu widersprechen in den Randnummern 608 und 609
des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass Zahlenangaben zur Berechnung der Geldbußen
wünschenswert seien, gleichwohl aber in Randnummer 607 des Urteils die Ansicht vertreten, dass die
Begründung der angefochtenen Entscheidung für die Höhe der Geldbußen ausreichend sei.
151.
Aus diesen Erwägungen folgt, dass der siebte Rechtsmittelgrund unbegründet ist.
152.
Im Rahmen ihres achten Rechtsmittelgrundes macht die Rechtsmittelführerin geltend, das Gericht
habe durch eine übermäßig lange Verfahrensdauer von fast fünf Jahren ihren Anspruch auf
Rechtsschutz innerhalb angemessener Frist verletzt.
153.
Die Kommission hält diesen Rechtsmittelgrund für unbegründet, da das Verfahren vor dem Gericht
angesichts der Umstände der Rechtssache nicht übermäßig lang gewesen sei. Im vorliegenden Fall
hätten erhebliche finanzielle Interessen auf dem Spiel gestanden. Die Rechtssache sei komplex
gewesen, habe elf Klagen in vier verschiedenen Sprachen umfasst und eine eingehende Prüfung
umfangreicher Dokumente durch das Gericht erfordert. Im Übrigen sei das Verfahren dadurch
verzögert worden, dass über Fragen im Zusammenhang mit der Beibringung von Unterlagen habe
entschieden werden müssen.
Würdigung durch den Gerichtshof
154.
Der allgemeine Grundsatz des Gemeinschaftsrechts, dass jedermann Anspruch auf einen fairen
Prozess und insbesondere auf einen Prozess innerhalb einer angemessenen Frist hat, gilt auch für
eine Klage gegen eine Entscheidung der Kommission, mit der diese gegen ein Unternehmen wegen
Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht Geldbußen verhängt (Urteil vom 17. Dezember 1998 in der
Rechtssache C-185/95 P, Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1998, I-8417, Randnr. 21, und Urteil
Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Randnr. 179).
155.
Die Angemessenheit der Frist ist anhand der Umstände jeder einzelnen Rechtssache und
insbesondere anhand der Interessen, die in dem Rechtsstreit für den Betroffenen auf dem Spiel
stehen, der Komplexität der Rechtssache sowie des Verhaltens des Klägers und der zuständigen
Behörden zu beurteilen (Urteile Baustahlgewebe/Kommission, Randnr. 29, und Limburgse Vinyl
Maatschappij u. a./Kommission, Randnr. 187).
156.
Der Gerichtshof hat hierzu ausgeführt, dass die Liste dieser Kriterien nicht abschließend ist und
dass die Beurteilung der Angemessenheit der Frist keine systematische Prüfung der Umstände des
Falles anhand jedes Kriteriums erfordert, wenn die Dauer des Verfahrens anhand eines von ihnen
gerechtfertigt erscheint. Mittels dieser Kriterien soll geklärt werden, ob die Dauer der Behandlung
einer Rechtssache gerechtfertigt war. Die Komplexität der Sache oder vom Kläger herbeigeführte
Verzögerungen können daher herangezogen werden, um eine auf den ersten Blick zu lange Dauer zu
rechtfertigen. Umgekehrt kann die Verfahrensdauer auch anhand nur eines Kriteriums als
unangemessen eingestuft werden; dies gilt insbesondere dann, wenn sie aus dem Verhalten der
zuständigen Behörden resultiert. Gegebenenfalls kann die Dauer eines Verfahrensabschnitts ohne
weiteres als angemessen eingestuft werden, wenn sie der durchschnittlichen Bearbeitungsdauer
einer derartigen Sache entspricht (Urteil Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, Randnr.
188).
157.
Im vorliegenden Fall begann das Verfahren vor dem Gericht am 8. April 1994 mit der Einreichung
der Klage der Rechtsmittelführerin auf Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung und endete am
11. März 1999, dem Tag der Verkündung des angefochtenen Urteils. Es dauerte somit fast fünf Jahre.
158.
Eine solche Verfahrensdauer erscheint auf den ersten Blick erheblich. Es ist jedoch darauf
hinzuweisen, dass elf Unternehmen in vier verschiedenen Verfahrenssprachen Nichtigkeitsklagen
gegen die streitige Entscheidung erhoben.
159.
Wie in den Randnummern 50 bis 56 des angefochtenen Urteils ausgeführt wird, hatte das Gericht
über verschiedene Einwände in Bezug auf die Einsicht in Unterlagen des Verwaltungsverfahrens zu
entscheiden. Nachdem die Kommission am 24. November 1994 etwa 11 000 die streitige
Entscheidung betreffende Schriftstücke eingereicht und dabei geltend gemacht hatte, dass
Schriftstücke, die Geschäftsgeheimnisse enthielten, sowie ihre eigenen internen Unterlagen den
betroffenen Unternehmen nicht zugänglich gemacht werden sollten, musste das Gericht die Parteien
dazu hören, alle Unterlagen prüfen und entscheiden, in welche Unterlagen jede Klägerin Einsicht
erhalten durfte.
160.
Durch Beschluss vom 19. Juni 1996 in den Rechtssachen T-134/94, T-136/94 bis T-138/94, T-141/94,
T-145/94, T-147/94, T-148/94, T-151/94, T-156/94 und T-157/94 (NMH Stahlwerke u. a./Kommission, Slg.
1996, II-537) entschied das Gericht über das Recht der Klägerinnen auf Einsicht in die Aktenstücke
der Kommission, die zum einen von den Klägerinnen selbst und zum anderen von nicht an den
Verfahren beteiligten Dritten stammten und in deren Interesse von der Kommission als vertraulich
eingestuft worden waren.
161.
Durch Beschluss vom 10. Dezember 1997 in den Rechtssachen NMH Stahlwerke u. a./Kommission
entschied das Gericht über die Anträge der Klägerinnen auf Einsicht in die von der Kommission als
„intern“ eingestuften Unterlagen.
162.
Die verschiedenen Klagen der von der streitigen Entscheidung betroffenen Unternehmen wurden zu
gemeinsamer Beweisaufnahme und mündlicher Verhandlung verbunden. Wie in den Randnummern 57
bis 67 des angefochtenen Urteils ausgeführt wird, ordnete das Gericht im Rahmen der Vorbereitung
der mündlichen Verhandlung die Erhebung zahlreicher Beweise an. Dabei stellte es den Parteien
verschiedene schriftliche Fragen und ordnete die Vorlage von Schriftstücken sowie die Vernehmung
von Zeugen an.
163.
Die mündliche Verhandlung wurde am Ende der Sitzung vom 27. März 1998 geschlossen.
164.
Das angefochtene Urteil erging am 11. März 1999, am gleichen Tag wie die zehn übrigen Urteile
über die Klagen gegen die streitige Entscheidung.
165.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass die Dauer des Verfahrens bis zum Erlass des
angefochtenen Urteils insbesondere durch die Zahl der Unternehmen zu erklären ist, die an dem
gerügten Kartell beteiligt waren und gegen die streitige Entscheidung Klage erhoben, was eine
parallele Prüfung dieser verschiedenen Klagen erforderlich machte, durch die mit der Einsichtnahme
in die umfangreichen Akten der Kommission verbundenen Rechtsfragen, durch die eingehende
Prüfung der Akten seitens des Gerichts und durch die Sprachenregelung, die sich aus der
Verfahrensordnung des Gerichts ergibt.
166.
Folglich ist die Dauer des Verfahrens vor dem Gericht angesichts der besonderen Komplexität der
Rechtssache gerechtfertigt.
167.
Der achte Rechtsmittelgrund ist daher unbegründet.
168.
Nach alledem ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.
Kosten
169.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der nach Artikel 118 der Verfahrensordnung auf das
Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Rechtsmittelführerin zur Tragung der
Kosten beantragt hat und diese mit ihrem gesamten Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten
aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Die Thyssen Stahl AG trägt die Kosten.
Wathelet
Edward
La Pergola
Jann
von Bahr
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. Oktober 2003.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
M. Wathelet
Verfahrenssprache: Deutsch.