Urteil des EuGH vom 21.10.1999

EuGH: gratifikation, nummer, elternurlaub, begriff, vergütung, aktiven, mutterschaftsurlaub, arbeitsgericht, zuwendung, regierung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
21. Oktober 1999
„Gleiches Entgelt für Männer und Frauen - Weihnachtsgratifikation - Elternurlaub und Mutterschaftsurlaub“
In der Rechtssache C-333/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Arbeitsgericht
Gelsenkirchen (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Susanne Lewen
gegen
Lothar Denda
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117
bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden), Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe
b der Richtlinie 92/85/EWG des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur
Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen,
Wöchnerinnen und stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels
16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 348, S. 1) und Paragraph 2 Nummer 6 der
Rahmenvereinbarung im Anhang der Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP
und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub (ABl. L 145, S. 4)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Zweiten Kammer R. Schintgen in Wahrnehmung der Aufgaben des
Präsidenten der Sechsten Kammer sowie der Richter P. J. G. Kapteyn (Berichterstatter) und G. Hirsch,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Klägerin, vertreten durch Rechtsanwalt F. Lorenz, Düsseldorf,
- des Beklagten, vertreten durch Assessor B. Pawelzik, Zahntechniker-Innung Münster,
- der deutschen Bundesregierung, vertreten durch Ministerialrat E. Röder, Bundesministerium für
Wirtschaft, als Bevollmächtigten,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Assistant Treasury Solicitor J. E. Collins als
Bevollmächtigten im Beistand von Barrister C. Lewis,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater P. Hillenkamp und M.
Wolfcarius, Juristischer Dienst, im Beistand von Rechtsanwalt T. Eilmansberger und Rechtsanwältin M. Pflügl,
Brüssel,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Klägerin, vertreten durch Rechtsanwalt F. Lorenz, des
Beklagten, vertreten durch B. Pawelzik, der deutschen Bundesregierung, vertreten durch Ministerialrat W.-D.
Plessing, Bundesministerium der Finanzen, als Bevollmächtigten, der Regierung des Vereinigten Königreichs,
vertreten durch J. E. Collins im Beistand von C. Lewis, und der Kommission, vertreten durch M. Wolfcarius im
Beistand von Rechtsanwalt M. Barnert, Brüssel, in der Sitzung vom 28. Januar 1999,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. März 1999,
folgendes
Urteil
1.
Das Arbeitsgericht Gelsenkirchen hat mit Beschluß vom 29. August 1997, beim Gerichtshof
eingegangen am 24. September 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) drei Fragen
nach der Auslegung von Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die
Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden), Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe b der Richtlinie 92/85/EWG
des Rates vom 19. Oktober 1992 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der
Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und
stillenden Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1
der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 348, S. 1) und Paragraph 2 Nummer 6 der Rahmenvereinbarung im
Anhang der Richtlinie 96/34/EG des Rates vom 3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB
geschlossenen Rahmenvereinbarung über Elternurlaub (ABl. L 145, S. 4) zur Vorabentscheidung
vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit, in dem die Klägerin vom Beklagten als Inhaber der
Firma Denda Zahntechnik, Gelsenkirchen, ihrem Arbeitgeber, die Gewährung einer
Weihnachtsgratifikation für 1996 begehrt.
Rechtlicher Rahmen
3.
Nach Artikel 119 EG-Vertrag sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Grundsatz des gleichen
Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit anzuwenden und beizubehalten. Unter Entgelt sind
die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen,
die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer mittelbar und unmittelbar in
bar oder in Sachleistungen zahlt.
4.
Artikel 8 der Richtlinie 92/85 lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, daß den
Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 ein Mutterschaftsurlaub von mindestens 14 Wochen ohne
Unterbrechung gewährt wird, die sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften
und/oder Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen.
(2) Der Mutterschaftsurlaub gemäß Absatz 1 muß einen obligatorischen Mutterschaftsurlaub von
mindestens zwei Wochen umfassen, die sich entsprechend den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften
und/oder Gepflogenheiten auf die Zeit vor und/oder nach der Entbindung aufteilen.“
5.
Die im Ausgangsverfahren einschlägigen Bestimmungen des Artikels 11 der Richtlinie 92/85 lauten
wie folgt:
„Um den Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 die Ausübung der in diesem Artikel anerkannten
Rechte in bezug auf ihre Sicherheit und ihren Gesundheitsschutz zu gewährleisten, wird folgendes
vorgesehen:
...
2. In dem in Artikel 8 genannten Fall müssen gewährleistet sein:
a) die mit dem Arbeitsvertrag der Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2 verbundenen
anderen Rechte als die unter dem nachstehenden Buchstaben b) genannten;
b) die Fortzahlung eines Arbeitsentgelts und/oder der Anspruch auf eine angemessene
Sozialleistung für die Arbeitnehmerinnen im Sinne des Artikels 2.
3. Die Sozialleistung nach Nummer 2 Buchstabe b) gilt als angemessen, wenn sie mindestens den
Bezügen entspricht, die die betreffende Arbeitnehmerin im Falle einer Unterbrechung ihrer
Erwerbstätigkeit aus gesundheitlichen Gründen erhalten würde, wobei es gegebenenfalls eine von
den einzelstaatlichen Gesetzgebern festgelegte Obergrenze gibt.“
6.
Mit der Richtlinie 96/34 soll nach ihrem Artikel 1 die im Anhang dieser Richtlinie enthaltene
Rahmenvereinbarung über Elternurlaub durchgeführt werden.
7.
Paragraph 2 Nummer 6 des Anhangs der Richtlinie 96/34 lautet: „Die Rechte, die der Arbeitnehmer
zu Beginn des Elternurlaubs erworben hatte oder dabei war zu erwerben, bleiben bis zum Ende des
Elternurlaubs bestehen. Im Anschluß an den Elternurlaub finden diese Rechte mit den Änderungen
Anwendung, die sich aus einzelstaatlichen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder Gepflogenheiten
ergeben.“
8.
Nach Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 96/34 mußten die Mitgliedstaaten die Rechts- und
Verwaltungsvorschriften erlassen, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens ab dem 3. Juni
1998 nachzukommen. Daher war zum Zeitpunkt, zu dem der Arbeitgeber im Ausgangsverfahren die
Gewährung der Weihnachtsgratifikation ablehnte, die Frist zur Umsetzung dieser Richtlinie noch nicht
abgelaufen.
9.
Die §§ 3 und 6 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) bestimmen:
„§ 3 (Beschäftigungsverbote für werdende Mütter)
(1) Werdende Mütter dürfen nicht beschäftigt werden, soweit nach ärztlichem Zeugnis Leben oder
Gesundheit von Mutter oder Kind bei Fortdauer der Beschäftigung gefährdet ist.
(2) Werdende Mütter dürfen in den letzten sechs Wochen vor der Entbindung nicht beschäftigt
werden, es sei denn, daß sie sich zur Arbeitsleistung ausdrücklich bereit erklären; die Erklärung kann
jederzeit widerrufen werden.
...
§ 6 (Beschäftigungsverbote nach der Entbindung)
(1) Wöchnerinnen dürfen bis zum Ablauf von acht Wochen nach der Entbindung nicht beschäftigt
werden. Für Mütter nach Früh- und Mehrlingsgeburten verlängert sich diese Frist auf zwölf Wochen ...“
10.
Der Erziehungsurlaub (Elternurlaub) ist im Gesetz über die Gewährung von Erziehungsgeld und
Erziehungsurlaub - Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) geregelt. Der Erziehungsurlaub, der freiwillig
und unabhängig vom Geschlecht in Anspruch genommen werden kann, beginnt gemäß § 15 Absatz 2
BErzGG frühestens mit Ablauf der Mutterschutzfrist und dauert höchstens bis zur Vollendung des
dritten Lebensjahres des Kindes. Während dieses Zeitraums ruht der Arbeitsvertrag des beurlaubten
Arbeitnehmers. Arbeitnehmer oder Arbeitnehmerinnen im Erziehungsurlaub erhalten kein
Monatsgehalt, sondern ein sogenanntes Erziehungsgeld, eine staatliche Leistung, die entsprechend
der Einkommenshöhe nach Maßgabe der §§ 1 ff. BErzGG gezahlt wird.
Das Ausgangsverfahren
11.
Die Klägerin ist seit dem 1. September 1990 beim Beklagten in dessen Firma Denda Zahntechnik
beschäftigt. Ihr Monatsgehalt beträgt 5 500 DM bruttoinnerhalb der 39,25-Stunden-Woche. Der
Beklagte beschäftigt auch männliche Arbeitnehmer.
12.
Die seit Anfang des Jahres 1996 schwangere Klägerin erbrachte ihre Arbeitsleistung vom 1. Januar
bis zum 8. April 1996 sowie vom 15. bis zum 18. April 1996. In der Zeit vom 9. April bis zum 12. April
sowie vom 19. April bis zum 15. Mai 1996 war sie beurlaubt. Am 16. Mai 1996 begann die
sechswöchige Mutterschutzfrist nach § 3 Absatz 2 MuSchG, wobei als Geburtstermin der 27. Juni 1996
errechnet worden war. Die Tochter der Klägerin wurde am 12. Juni 1996 geboren. Die Mutterschutzfrist
lief gemäß § 6 Absatz 1 MuSchG am 6. September 1996 ab. Seit dem 7. September 1996 befindet sich
die Klägerin in dem von ihr beantragten Erziehungsurlaub gemäß den §§ 15 ff. BErzGG, der am 12. Juli
1999 enden sollte.
13.
Wie die übrigen Beschäftigten hatte auch die Klägerin vom Beklagten in den Jahren vor 1996 jeweils
zum 1. Dezember eine Weihnachtsgratifikation in Höhe eines Monatsgehalts erhalten. Sie mußte dabei
folgende Erklärung unterschreiben:
„WEIHNACHTSGRATIFIKATION
Bei der Gewährung der Gratifikation handelt es sich um eine einmalige, freiwillige und jederzeit
widerrufliche soziale Leistung, die auf das Weihnachtsfest dieses Jahres beschränkt ist. Durch diese
Zahlung wird für die Zukunft daher weder dem Grunde noch der Höhe nach, auch nicht bezüglich der
Auszahlungsmodalitäten sowie der Zusammensetzung der Gratifikation, ein Rechtsanspruch
begründet.
Die Weihnachtsgratifikation wird weiter ausdrücklich unter dem Vorbehalt gewährt, daß Sie Ihr
Arbeitsverhältnis nicht vor dem 1. Juli des Folgejahres aufkündigen oder schuldhaft einen Grund
setzen, der uns berechtigt, das Arbeitsverhältnis fristlos zu kündigen. Das gleiche gilt für den Fall des
Arbeitsvertragsbruches. Die Gratifikation ist nach diesem Vorbehalt bei Ausscheiden voll
zurückzuzahlen.
Durch die Annahme der Gratifikation werden obige Vereinbarungen anerkannt.“
14.
Die Klägerin beantragte mit ihrer Klage, die am 10. Januar 1997 beim Arbeitsgericht Gelsenkirchen
erhoben wurde, den Beklagten zu verurteilen, ihr für das Jahr 1996 eine Weihnachtsgratifikation in
Höhe von 5 500 DM brutto zu zahlen.
15.
Das vorlegende Gericht führt namentlich folgendes aus:
„5. ...
Die Gratifikation hat nach Meinung der Kammer Entgeltcharakter im Sinne von Art. 119 EGV und Art.
11 Ziff. 2 b der Richtlinie 92/85/EWG in bezug auf geleistete Dienste im Jahr der Gewährung der
Weihnachtsgratifikation.
Wenn Frauen, die sich zum Zeitpunkt der Gratifikationsgewährung im Erziehungsurlaub befinden, aus
dem Kreis der potentiellen Anspruchsberechtigten einer Sonderzuwendung zu Weihnachten
herausgenommen werden, wird nicht berücksichtigt, daß das Arbeitsverhältnis dieser Frauen trotz
eines durch Erziehungsurlaub bedingten Ruhens der gegenseitigem Pflichten fortbesteht und damit
die sich im Erziehungsurlaub befindliche Mutter betriebstreu bleibt. Eine drohende Versagung von
Gratifikationsleistungen kann zudem mit dazu beitragen, niedergekommene Frauen davon abzuhalten,
im Interesse des Kindes von ihrem Recht auf Erziehungsurlaub Gebrauch zu machen. Für gänzlich
unvereinbar mit dem unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierungsverbot des EGV und des hierzu
ergangenen Sekundärrechts hält es die Kammer, wenn eine Differenzierung zwischen aktiven und sich
im Erziehungsurlaub befindlichen Arbeitnehmern bei Ausschüttung einer Gratifikation dergestalt
erfolgt, daß nicht einmal zurückliegende Arbeitsleistung im Bezugsjahr und auch nicht Zeiten des
Beschäftigungsverbotes einer schwangeren und niedergekommenen Frau teilweise
anspruchserhaltend berücksichtigt werden. Ein Motiv des Arbeitgebers - wie es der Beklagte für sich
selbst vorträgt -, mit einer Gratifikation nur Anreiz für weitere Dienstleistungen geben zu wollen
(welche der Arbeitgeber aufgrund eines längeren Erziehungsurlaubs der Mutter in naher Zukunft nicht
erwarten kann) gibt nach Meinung der Kammer keine ausreichende Rechtfertigung, die Tatsache von
im Gewährungsjahr erbrachten Dienstleistungen und die Zeiten der Beschäftigungsverbote der
werdenden und niedergekommenen Mutter bei der Verteilung von Gratifikationsleistungen, also bei
der Zumessung von Entgelten und Arbeitsentgelten im Sinne europäischer Rechtsvorschriften, außer
acht zu lassen. Von den Dienstleistungen der Mutter hat der Arbeitgeber nämlich im Bezugsjahr
profitiert und die Beschäftigungsverbote des MuSchG greifen von Gesetzes wegen, ohne daß es eines
Antrages der Mutter bedarf. Daß eine Mutter unmittelbar nach Ablauf der Beschäftigungsverbote von
ihrem Recht auf Gewährung des Erziehungsurlaubs Gebrauch gemacht hat, in dem sie sich dann zum
Zeitpunkt der Gratifikationszahlung befindet, gründet im wesentlichen auf einem
geschlechtsspezifischen Umstand.
Eine Nichtberücksichtigung von Zeiten des Beschäftigungsverbotes aufgrund Mutterschutzes bei der
Zumessung und Berechnung einer Gratifikation widerspricht zudem nach Auffassung der Kammer der
mit der Richtlinie 92/85/EWG bezweckten Sicherung der .Fortzahlung eines Arbeitsentgelts' im Sinne
von Art. 11 Ziff. 2 b der Richtlinie. In seinem Urteil vom 21. 02. 1996 in der Rechtssache C-342/93
(Gillespie, Slg. 1996, I-475) hatte der Gerichtshof noch keine Gelegenheit, Art. 11 Ziff. 2 b der
Richtlinie 92/85/EWG auszulegen, da der maßgebliche Sachverhalt sich vor Ablauf der Umsetzungsfrist
der Richtlinie abspielte. Zeiten von Beschäftigungsverboten nach dem MuSchG dürfen nach dieser
Vorschrift mit Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit, die nach Meinung des Bundesarbeitsgerichts
gratifikationsmindernd berücksichtigt werden können, nicht gleichgesetzt werden, abgesehen davon,
daß der beklagte Arbeitgeber in seinemBetrieb solche Arbeitsunfähigkeitszeiten bei den im Jahre 1996
mit einer Gratifikation bedachten Arbeitnehmern nicht mindernd in Rechnung gestellt hat.
Auch hinsichtlich Art. 119 Absatz 1 EGV und Art. 1 der Richtlinie 75/117/EWG ist die Kürzung einer
Jahressonderzahlung aufgrund von Fehlzeiten wegen des gesetzlichen Mutterschutzes nach
Auffassung der Kammer gemeinschaftsrechtlich nicht zulässig. Soweit der Gerichtshof in seinem Urteil
in der o. g. Rechtssache .Gillespie' zur Auslegung von Art. 119 EGV und Art. 1 der Richtlinie
75/117/EWG Stellung genommen hat, hat er zwar zum Ausdruck gebracht, daß die genannten
Vorschriften .keine bestimmten Kriterien für die Bestimmung der Höhe der den Arbeitnehmerinnen
während dieser Zeit zu zahlenden Leistungen' aufstellen (Randnr. 20 des Urteils). Jedoch muß .eine
Arbeitnehmerin während ihres Mutterschaftsurlaubs in den Genuß einer vor oder während dieses
Zeitraumes erfolgten Lohnerhöhung gelangen' (Randnr. 21 des Urteils). Mithin hat eine solche
Arbeitnehmerin dann, wenn sie nach den nationalen gesetzlichen Regelungen Anspruch auf
Weiterzahlung ihres vollen Arbeitsentgelts hat - dies ist in der Bundesrepublik Deutschland nach §§ 13,
14 MuSchG der Fall - gemeinschaftsrechtlich auch Anspruch auf alle nachträglichen Lohnerhöhungen,
die sich auf den Zeitpunkt der mutterschutzbedingten Abwesenheit beziehen. Dies hat auch für eine
Jahressonderzahlung mit Mischcharakter ... zu gelten, die zumindest teilweise auch zur Anerkennung
der Arbeitsleistung im Gewährungsjahr gezahlt wird.“
Die Vorlagefragen
16.
Daher hat das Arbeitsgericht Gelsenkirchen beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem
Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist eine Gratifikation aus Anlaß des Weihnachtsfestes Entgelt im Sinne von Artikel 119 EG-Vertrag
bzw. „Arbeitsentgelt“ im Sinne von Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe b der Richtlinie 92/85/EWG für
geleistete Dienste im Jahr der Gewährung der Gratifikation auch dann, wenn diese vom Arbeitgeber
überwiegend oder ausschließlich zum Anreiz für zukünftige Dienstleistung und/oder Betriebstreue
gewährt wird? Ist ein solcher Entgeltcharakter zumindest dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber
nicht vor Beginn des Jahres der Gewährung angekündigt hat, daß er im folgenden Jahr zu Weihnachten
ausschließlich auf zukünftige Arbeitsleistung abstellen, also Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse
im Auszahlungszeitpunkt und weiterhin ruhen, von der Leistung ausnehmen wolle?
2. Stellt es einen Verstoß gegen Artikel 119 EG-Vertrag, Artikel 11 Nummer 2 der Richtlinie
92/85/EWG und Paragraph 2 Nummer 6 der (umzusetzenden) Richtlinie 96/34/EG dar, wenn ein
Arbeitgeber Frauen, die sich im Auszahlungszeitpunkt der Weihnachtsgratifikation im Erziehungsurlaub
befinden, im vollen Umfang von dem Bezug derGratifikation ausschließt, ohne im Jahr der Gewährung
geleistete Arbeit und zurückgelegte Mutterschutzfristen (Beschäftigungsverbote) zu berücksichtigen?
3. Falls die Frage zu 2 zu bejahen ist:
Ist ein Verstoß gegen Artikel 119 EG-Vertrag, Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe b der Richtlinie
92/85/EWG und Paragraph 2 Nummer 6 der Richtlinie 96/34/EG gegeben, wenn ein Arbeitgeber bei
Gewährung einer Weihnachtsgratifikation an eine sich im Erziehungsurlaub befindende Frau folgende
Zeiten anteilig leistungsmindernd berücksichtigt:
- Zeiten des Erziehungsurlaubs
- Zeiten der Mutterschutzfristen (Beschäftigungsverbote)?
Zur ersten Frage
17.
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Weihnachtsgratifikation der
im Ausgangsverfahren streitigen Art auch dann unter den Begriff des Entgelts im Sinne von Artikel 119
des Vertrages oder des Arbeitsentgelts im Sinne von Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe b der Richtlinie
92/85 fällt, wenn sie vom Arbeitgeber überwiegend oder ausschließlich zum Anreiz für zukünftige
Dienstleistungen und/oder Betriebstreue gewährt wird.
18.
Nach Ansicht des Beklagten ist die Gratifikation nicht als Entgelt im Sinne von Artikel 119 des
Vertrages anzusehen, da sie von ihm freiwillig als Sonderzuwendung zu Weihnachten gewährt werde.
19.
Nach ständiger Rechtsprechung umfaßt der Begriff des Entgelts im Sinne von Artikel 119 Absatz 2
des Vertrages alle gegenwärtigen oder künftigen Leistungen, die der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer
aufgrund des Dienstverhältnisses gewährt, unabhängig davon, ob sie aufgrund eines Arbeitsvertrags,
kraft einer Rechtsvorschrift oder freiwillig gewährt werden (vgl. Urteile vom 25. Mai 1971 in der
Rechtssache 80/70, Defrenne, Slg. 1971, 445, Randnr. 6; vom 9. Februar 1982 in der Rechtssache
12/81, Garland, Slg. 1982, 359, Randnr. 10, und vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C-262/88,
Barber, Slg. 1990, I-1889, Randnr. 20).
20.
Für die Anwendung von Artikel 119 ist es unerheblich, aus welchem Grund der Arbeitgeber die
Leistung gewährt, sofern er diese im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis erbringt.
21.
Daher ist eine Weihnachtsgratifikation der im Ausgangsverfahren streitigen Art auch dann Entgelt
im Sinne von Artikel 119 des Vertrages, wenn sie freiwillig gezahlt wird und wenn sie überwiegend oder
ausschließlich zum Anreiz für zukünftige Dienstleistung und/oder Betriebstreue gewährt wird.
22.
Was den Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne von Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe b der Richtlinie
92/85 angeht, so soll diese Bestimmung sicherstellen, daß Arbeitnehmerinnen während ihres
Mutterschaftsurlaubs Bezüge in der in Artikel 11 Nummer 3 dieser Richtlinie geregelten Höhe erhalten,
unabhängig davon, ob diese Bezüge in Form einer Sozialleistung, eines Arbeitsentgelts oder einer
Kombination aus beiden gewährt werden (Urteil vom 27. Oktober 1998 in der Rechtssache C-411/96,
Boyle u. a., Slg. 1998, I-6401, Randnrn. 31 bis 33).
23.
Da die Gratifikation, um die es im Ausgangsverfahren geht, nicht sicherstellen soll, daß die
Arbeitnehmerin während des Mutterschaftsurlaubs Bezüge in der genannten Höhe erhält, kann sie
nicht unter den Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne von Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe b der
Richtlinie 92/85 fallen.
24.
Daher ist auf die erste Frage zu antworten, daß eine Weihnachtsgratifikation der im
Ausgangsverfahren streitigen Art auch dann Entgelt im Sinne von Artikel 119 des Vertrages ist, wenn
sie vom Arbeitgeber freiwillig gewährt wird und wenn sie überwiegend oder ausschließlich zum Anreiz
für zukünftige Dienstleistung und/oder Betriebstreue dienen soll. Dagegen fällt sie nicht unter den
Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne von Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe b der Richtlinie 92/85.
Zur zweiten Frage
25.
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 119 des Vertrages,
Artikel 11 Nummer 2 der Richtlinie 92/85 und § 2 Nr. 6 des Anhangs der Richtlinie 96/34 es
untersagen, daß ein Arbeitgeber Frauen, die sich zum Zeitpunkt der Zahlung einer freiwillig als
Sonderzuwendung zu Weihnachten gewährten Gratifikation im Erziehungsurlaub befinden, vollständig
von der Gewährung dieser Gratifikation ausschließt, ohne im Jahr der Gewährung der Gratifikation
geleistete Arbeit oder zurückgelegte Mutterschutzzeiten (Beschäftigungsverbote) zu berücksichtigen.
26.
Das Verbot der diskriminierenden Ungleichbehandlung von männlichen und weiblichen
Arbeitnehmern ist wegen seines Charakters nicht nur für staatliche Stellen verbindlich, sondern
erstreckt sich auch auf alle Tarifverträge, die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regeln, und auf alle
Verträge zwischen Privatpersonen (insbes. Urteile vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache C-184/89,
Nimz, Slg. 1991, I-297, Randnr. 11, und vom 9. September 1999 in der Rechtssache C-281/97, Krüger,
Slg. 1999, I-0000, Randnr. 20). Dieses Verbot ist auch für das einseitige Handeln eines Arbeitgebers
gegenüber seinem Personal verbindlich.
27.
Die Feststellung, daß eine Vergünstigung wie die im Ausgangsverfahren streitige
Weihnachtsgratifikation unter den weiten Entgeltsbegriff von Artikel 119 des Vertrages fällt, bedeutet
nicht notwendig, daß sie als Vergütung für in der Vergangenheit, im Jahr der Gewährung der
Gratifikation geleistete Dienste anzusehen wäre, wie das vorlegende Gericht anzunehmen scheint.
Dies ist jedocheine Tatsachenfrage, die das nationale Gericht anhand seines nationalen Rechts zu
beurteilen hat.
28.
Das vorlegende Gericht muß daher zur Qualifizierung der Gratifikation nach seinem nationalen Recht
prüfen, ob das Vorbringen des Beklagten, er habe mit der Gewährung der Weihnachtsgratifikation für
das Jahr 1996 das Ziel verfolgt, den am 1. Dezember 1996 „aktiv“ im Arbeitsverhältnis stehenden
Mitarbeitern einen Anreiz zu geben, auch in den Folgemonaten gute Arbeitsleistungen zu erbringen,
und sie auf diese Weise für ihre künftige Betriebstreue zu belohnen, stichhaltig ist.
29.
Für eine sachdienliche Beantwortung der Frage ist daher in Anbetracht der Zweifel hinsichtlich der
Qualifizierung der Gratifikation nach nationalem Recht zunächst von der Annahme auszugehen, daß
eine Gratifikation, die ein Arbeitgeber freiwillig als Sonderzuwendung zu Weihnachten gewährt, keine
Vergütung für in der Vergangenheit geleistete Arbeit darstellt und daß ihre Zahlung nur von der
Voraussetzung abhängt, daß der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Gewährung im aktiven
Beschäftigungsverhältnis stand.
30.
Erstens fällt die Gewährung einer Gratifikation als vom Arbeitgeber freiwillig zu Weihnachten
gezahlte Zuwendung an einen Arbeitnehmer im Erziehungsurlaub weder unter Artikel 11 Nummer 2
der Richtlinie 92/85 noch unter Paragraph 2 Nummer 6 des Anhangs der Richtlinie 96/34.
31.
Artikel 11 Nummer 2 der Richtlinie 92/85 findet deshalb keine Anwendung, weil Buchstabe a die mit
dem Arbeitsvertrag der Arbeitnehmerinnen verbundenen Rechte betrifft, die im Fall eines
Mutterschaftsurlaubs gewährleistet sein müssen. Die freiwillig als Sonderzuwendung im
Erziehungsurlaub und nicht im Mutterschaftsurlaub gewährte Gratifikation kann nicht als ein im Fall
der Mutterschaft zu gewährleistendes Recht angesehen werden. Buchstabe b findet, wie aus
Randnummer 23 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ebenfalls keine Anwendung.
32.
Was Paragraph 2 Nummer 6 des Anhangs der Richtlinie 96/34 angeht, so ist die Gratifikation kein
Recht, das die Arbeitnehmerin „zu Beginn des Elternurlaubs erworben hatte oder dabei war zu
erwerben“, da sie freiwillig nach dem Beginn dieses Urlaubs gewährt wurde.
33.
Zweitens ist in bezug auf Artikel 119 des Vertrages festzustellen, daß in einer derartigen Praxis des
Arbeitgebers keine unmittelbare Diskriminierung liegt, da sie unterschiedslos für männliche und
weibliche Arbeitnehmer gilt. Daher ist zu prüfen, ob sie eine mittelbare Diskriminierung sein kann.
34.
Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine mittelbare Diskriminierung vor, wenn eine nationale
Maßnahme zwar neutral formuliert ist, in ihrer Anwendung aberwesentlich mehr Frauen als Männer
benachteiligt (insbesondere Urteil Boyle u. a., Randnr. 76).
35.
Wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, nehmen Frauen weitaus häufiger als Männer
Erziehungsurlaub in Anspruch, was im übrigen durch die Situation im Betrieb des Beklagten bestätigt
wird.
36.
Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Diskriminierung vor, wenn unterschiedliche Vorschriften
auf gleiche Sachverhalte angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift auf ungleiche
Sachverhalte angewandt wird (Urteil Boyle u. a., Randnr. 39).
37.
Ein Arbeitnehmer, der den ihm gesetzlich zustehenden Anspruch auf Erziehungsurlaub in
Verbindung mit einer vom Staat gewährten Erziehungsbeihilfe wahrnimmt, befindet sich in einer
besonderen Situation, die nicht mit derjenigen eines Mannes oder einer Frau, die arbeiten,
gleichgesetzt werden kann, denn ein wesentliches Merkmal dieses Urlaubs besteht darin, daß der
Arbeitsvertrag und somit die jeweiligen Pflichten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer ruhen.
38.
Die Weigerung eines Arbeitgebers, einer Frau im Erziehungsurlaub eine von ihm freiwillig als
Sonderzuwendung zu Weihnachten gezahlte Gratifikation zu gewähren, stellt daher keine
Diskriminierung im Sinne von Artikel 119 des Vertrages dar, wenn die Gewährung dieser Zuwendung
nur von der Voraussetzung abhängt, daß der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Gewährung im aktiven
Beschäftigungsverhältnis steht.
39.
Anders verhielte es sich, wenn das nationale Gericht anhand seines nationalen Rechts die im
Ausgangsverfahren streitige Gratifikation als Vergütung für im Jahr der Gewährung der Gratifikation
geleistete Arbeit zu qualifizieren hätte.
40.
In einem solchen Fall würde ein Arbeitgeber, der Arbeitnehmern im Erziehungsurlaub, die im Jahr der
Gewährung der Gratifikation gearbeitet haben, eine, gegebenenfalls anteilig gekürzte, Gratifikation
nur deshalb nicht gewährt, weil ihr Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt der Gewährung der Gratifikation
ruht, diese Arbeitnehmer gegenüber denjenigen benachteiligen, deren Arbeitsverhältnis bei der
Gewährung der Gratifikation nicht ruht und die die Gratifikation tatsächlich als Vergütung für in
diesem Jahr geleistete Arbeit erhalten. Eine solche Weigerung stellt daher eine Diskriminierung im
Sinne von Artikel 119 des Vertrages dar, da sich, wie in Randnummer 35 des vorliegenden Urteils
festgestellt worden ist, weibliche Arbeitnehmer bei der Gewährung der Gratifikation häufiger im
Erziehungsurlaub befinden werden als männliche Arbeitnehmer.
41.
Was die Frage der Berücksichtigung von Mutterschutzzeiten (Beschäftigungsverbote) angeht, so
sind diese Zeiten Beschäftigungszeiten gleichzustellen.
42.
Würden nämlich Mutterschutzzeiten für die Zwecke der Gewährung einer Gratifikation, mit der
geleistete Arbeit vergütet werden soll, nicht als Beschäftigungszeiten berücksichtigt, so würde eine
Arbeitnehmerin allein aufgrund ihrer Arbeitnehmereigenschaft diskriminiert, da diese Zeiten als
Beschäftigungszeiten angerechnet worden wären, wenn sie nicht schwanger gewesen wäre.
43.
Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, daß es Artikel 119 des Vertrages untersagt, daß ein
Arbeitgeber Arbeitnehmerinnen im Erziehungsurlaub vollständig von der Gewährung einer freiwillig als
Sonderzuwendung zu Weihnachten gezahlten Gratifikation ausschließt, ohne im Jahr der Gewährung
der Gratifikation geleistete Arbeit oder Mutterschutzzeiten (Beschäftigungsverbote) zu
berücksichtigen, wenn diese Gratifikation eine Vergütung für in diesem Jahr geleistete Arbeit sein soll.
44.
Dagegen verbieten es weder Artikel 119 des Vertrages noch Artikel 11 Nummer 2 der Richtlinie
92/85, noch Paragraph 2 Absatz 6 des Anhangs der Richtlinie 96/34, einer Frau im Erziehungsurlaub
die Gewährung einer solchen Gratifikation zu verweigern, wenn die Gewährung dieser Zuwendung nur
von der Voraussetzung abhängt, daß sich der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Gewährung im aktiven
Beschäftigungsverhältnis befindet.
Zur dritten Frage
45.
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es Artikel 119 des Vertrages,
Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe b der Richtlinie 92/85 und Paragraph 2 Absatz 6 des Anhangs der
Richtlinie 96/34 untersagen, daß ein Arbeitgeber bei der Zahlung einer Weihnachtsgratifikation an
eine Arbeitnehmerin, die sich im Erziehungsurlaub befindet, folgende Zeiten anteilig
leistungsmindernd berücksichtigt:
- Zeiten des Erziehungsurlaubs
- Mutterschutzzeiten (Beschäftigungsverbote).
46.
Erstens fällt, wie in den Randnummern 23 und 32 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist,
die Gewährung einer freiwillig als Zuwendung gezahlten Gratifikation zu Weihnachten während des
Erziehungsurlaubs eines Arbeitnehmers weder unter Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe b der Richtlinie
92/85 noch unter Paragraph 2 Absatz 6 des Anhangs der Richtlinie 96/34.
47.
Zweitens geht aus der Antwort auf die zweite Frage hervor, daß der Umstand, daß ein Arbeitgeber
bei der Gewährung einer Weihnachtsgratifikation der im Ausgangsverfahren streitigen Art im Jahr der
Gewährung der Gratifikation geleistete Arbeit und zurückgelegte Mutterschutzzeiten
(Beschäftigungsverbote) nicht berücksichtigt, eine Diskriminierung im Sinne von Artikel 119 des
Vertrages darstellt.
48.
Somit untersagt es Artikel 119 des Vertrages, daß ein Arbeitgeber bei der Gewährung einer
Weihnachtsgratifikation Mutterschutzzeiten anteilig leistungsmindernd berücksichtigt.
49.
Dagegen ist er nicht gehindert, Zeiten des Erziehungsurlaubs anteilig leistungsmindernd zu
berücksichtigen, da, wie in Randnummer 37 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, die
Situation der Arbeitnehmer, die sich im Erziehungsurlaub befinden, nicht derjenigen eines Mannes
oder einer Frau, die arbeiten, gleichgestellt werden kann.
50.
Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, daß es Artikel 119 des Vertrages, Artikel 11 Absatz 2
Buchstabe b der Richtlinie 92/85 und Paragraph 2 Absatz 6 des Anhangs der Richtlinie 96/34 es nicht
untersagen, daß ein Arbeitgeber bei der Gewährung einer Weihnachtsgratifikation an eine Frau, die
sich im Erziehungsurlaub befindet, Zeiten des Erziehungsurlaubs anteilig leistungsmindernd
berücksichtigt.
51.
Dagegen untersagt es Artikel 119 des Vertrages, daß ein Arbeitgeber bei der Gewährung einer
Weihnachtsgratifikation Mutterschutzzeiten (Beschäftigungsverbote) anteilig leistungsmindernd
berücksichtigt.
Kosten
52.
Die Auslagen der deutschen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben
haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung
ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm vom Arbeitsgericht Gelsenkirchen mit Beschluß vom 29. August 1997 vorgelegten Fragen
für Recht erkannt:
1. Eine Weihnachtsgratifikation der im Ausgangsverfahren streitigen Art ist auch dann
Entgelt im Sinne von Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch
die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden), wenn sie vom Arbeitgeber freiwillig gewährt
wird und wenn sie überwiegend oder ausschließlich zum Anreiz für zukünftige
Dienstleistungund/oder Betriebstreue dienen soll. Dagegen fällt sie nicht unter den
Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne von Artikel 11 Nummer 2 Buchstabe b der Richtlinie
92/85 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des
Gesundheitsschutzes von schwangeren Arbeitnehmerinnen, Wöchnerinnen und stillenden
Arbeitnehmerinnen am Arbeitsplatz (zehnte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16
Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG).
2. Artikel 119 des Vertrages untersagt es, daß ein Arbeitgeber Arbeitnehmerinnen
vollständig von der Gewährung einer freiwillig als Sonderzuwendung zu Weihnachten
gezahlten Gratifikation ausschließt, ohne im Jahr der Gewährung der Gratifikation
geleistete Arbeit oder Mutterschutzzeiten (Beschäftigungsverbote) zu berücksichtigen,
wenn diese Gratifikation eine Vergütung für in diesem Jahr geleistete Arbeit sein soll.
Dagegen verbieten es weder Artikel 119 des Vertrages noch Artikel 11 Nummer 2 der
Richtlinie 92/85, noch Paragraph 2 Absatz 6 des Anhangs der Richtlinie 96/34 des Rates vom
3. Juni 1996 zu der von UNICE, CEEP und EGB geschlossenen Rahmenvereinbarung über
Elternurlaub, einer Frau im Erziehungsurlaub die Gewährung einer solchen Gratifikation
zu verweigern, wenn die Gewährung dieser Zuwendung nur von der Voraussetzung
abhängt, daß sich der Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Gewährung im aktiven
Beschäftigungsverhältnis befindet.
3. Artikel 119 des Vertrages, Artikel 11 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 92/85 und
Paragraph 2 Absatz 6 des Anhangs der Richtlinie 96/34 untersagen es nicht, daß ein
Arbeitgeber bei der Gewährung einer Weihnachtsgratifikation an eine Frau, die sich im
Erziehungsurlaub befindet, Zeiten des Erziehungsurlaubs anteilig leistungsmindernd
berücksichtigt.
Dagegen untersagt es Artikel 119 des Vertrages, daß ein Arbeitgeber bei der
Gewährung einer Weihnachtsgratifikation Mutterschutzzeiten (Beschäftigungsverbote)
anteilig leistungsmindernd berücksichtigt.
Schintgen
Kapteyn
Hirsch
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. Oktober 1999.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
J. C. Moitinho de Almeida
Verfahrenssprache: Deutsch.