Urteil des EuGH vom 10.12.1998

EuGH: wirtschaftliche einheit, unternehmen, juristische person, auswärtige angelegenheiten, dienstleistung, notlage, betriebsmittel, regierung, arbeitsgericht, kündigung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
10. Dezember 1998
„Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen“
In den verbundenen Rechtssachen C-173/96 und C-247/96
betreffend dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Tribunal Superior de Justicia de Castilla-La
Mancha (Spanien) (C-173/96) und vom Arbeitsgericht Lörrach (Deutschland) (C-247/96) in den bei diesen
anhängigen Rechtsstreitigkeiten
Francisca Sánchez Hidalgo u. a.
gegen
Asociación de Servicios Aser
Sociedad Cooperativa Minerva
sowie
Horst Ziemann
gegen
Ziemann Sicherheit GmbH
Horst Bohn Sicherheitsdienst
vorgelegte Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom
14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von
Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. L 61, S.
26)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet (Berichterstatter) sowie der Richter P. Jann, J. C.
Moitinho de Almeida, C. Gulmann und D. A. O. Edward,
Generalanwalt: G. Cosmas
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
— der Asociación de Servicios Aser, vertreten durch Rechtsanwalt Aquilino Conde Barbero, Madrid,
— der Ziemann Sicherheit GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt Detlef Heyder, Freiburg im Breisgau,
— der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat Ernst Röder und Regierungsrätin zur Anstellung
Sabine Maass, beide Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte (C-247/96),
— der französischen Regierung, vertreten durch Jean-François Dobelle, stellvertretender Direktor in der
Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, und Anne de Bourgoing,
Chargé de mission in dieser Direktion, als Bevollmächtigte (C-173/96),
— der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch John E. Collins, Treasury Solicitor's
Department, als Bevollmächtigten, Beistand: Barrister Clive Lewis (C-173/96),
— der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Maria Patakia und Isabel Martínez
del Peral, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte (C-173/96), und durch Maria Patakia und Rechtsberater
Peter Hillenkamp als Bevollmächtigte, Beistand: Rechtsanwälte Gerrit Schohe und Mark Hoenike, Brüssel (C-
247/96),
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Horst Ziemann, vertreten durch Rudolf Buschmann,
Bundesrechtsstelle des Deutschen Gewerkschaftsbunds, als Bevollmächtigten, der spanischen Regierung,
vertreten durch Rosario Silva de Lapuerta, Abogado del Estado, als Bevollmächtigte, der französischen
Regierung, vertreten durch Jean-François Dobelle und Anne de Bourgoing, und der Kommission, vertreten
durch Peter Hillenkamp und Manuel Desantes, zum Juristischen Dienst abgeordneter nationaler Beamter, als
Bevollmächtigten, in der Sitzung vom 11. Juni 1998,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. September 1998,
folgendes
Urteil
1.
Das Tribunal Superior de Justicia de Castilla-La Mancha (C-173/96) und das Arbeitsgericht Lörrach
(C-247/96) haben mit Beschlüssen vom 25. April 1996 und vom 28. November 1995, beim Gerichtshof
eingegangen am 20. Mai 1996 und am 19. Juli 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag Fragen nach der
Auslegung der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim
Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. L 61, S. 26) zur Vorabentscheidung
vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich zum einen in einem Rechtsstreit Sánchez Hidalgo u. a. gegen Asociación
de Servicios Aser (im folgenden: Aser) und Sociedad Cooperativa Minerva (im folgenden: Minerva) und
zum anderen in einem Rechtsstreit Ziemann gegen Ziemann Sicherheit GmbH (im folgenden: Ziemann
GmbH) und Horst Bohn Sicherheitsdienst (im folgenden: Bohn).
3.
Im Anschluß an die Verkündung des Urteils vom 11. März 1997 in der Rechtssache C-13/95 (Süzen,
Slg. 1997, I-1259) ist das Verfahren in den vorliegenden Rechtssachen jeweils durch Beschluß des
Präsidenten des Gerichtshofes vom 18. März 1997 ausgesetzt worden. Der Gerichtshof hat die
vorlegenden Gerichte aufgefordert, ihm mitzuteilen, ob sie ihre Fragen im Licht dieses Urteils und des
Urteils vom 14. April 1994 in der Rechtssache C-392/92 (Schmidt, Slg. 1994, I-1311) aufrechterhalten
wollen. Die Gerichte haben dies mit Schreiben an den Gerichtshof vom 20. Mai 1997 (C-173/96) und
vom 5. Juni 1997 (C-247/96) bejaht. Das Verfahren in den vorliegenden Rechtssachen ist durch
Beschlüsse des Präsidenten
des Gerichtshofes vom 2. Juni 1997 (C-173/96) und vom 18. Juni 1997 (C-247/96) wiederaufgenommen
worden.
4.
Die beiden Rechtssachen sind durch Beschluß des Präsidenten der Fünften Kammer vom 27.
Oktober 1998 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.
Rechtssache C-173/96
5.
Die Stadt Guadalajara betraute mit ihrem Haushilfedienst für Personen in einer Notlage das
Unternehmen Minerva. Dieses Unternehmen beschäftigte hierzu mehrere Jahre lang Frau Sánchez
Hidalgo und vier weitere Arbeitnehmerinnen.
6.
Nach Ablauf des Auftrags betraute die Stadt Guadalajara ab 1. September 1994 Aser mit dem
fraglichen Dienst. Aser stellte dann Frau Sánchez Hidalgo und ihre vier Kolleginnen im Rahmen von
Teilzeitverträgen ein, ohne die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit bei ihrem vorherigen Arbeitgeber
anzuerkennen.
7.
Da die fünf Arbeitnehmerinnen die Nichtberücksichtigung dieser Betriebszugehörigkeit für einen
Verstoß gegen Artikel 44 des Estatuto de los Trabajadores halten, durch das die Richtlinie 77/187 in
spanisches Recht umgesetzt worden ist, erhoben sie beim Juzgado de lo Social Guadalajara Klage auf
Feststellung, daß zwischen Minerva und Aser eine Unternehmenssukzession stattgefunden hat.
8.
Das Gericht wies ihre Klage durch Urteil vom 6. Juli 1995 ab, weil die Voraussetzungen für einen
Unternehmensübergang im Sinne des nationalen Rechts nicht erfüllt seien.
9.
Frau Sánchez Hidalgo und ihre vier Kolleginnen legten gegen dieses Urteil beim Tribunal Superior de
Justicia de Castilla-La Mancha Rechtsmittel ein.
10.
Dieses verweist in seinem Vorlagebeschluß auf die Rechtsprechung des Tribunal Supremo, wonach
der in Artikel 44 des Estatuto de los Trabajadores vorgesehene Arbeitnehmerschutz nur zu gewähren
sei, wenn materielle Betriebsmittel von einem kontrahierenden Unternehmen auf ein anderes
übertragen würden oder wenn dies im Tarifvertrag für den betreffenden Wirtschaftszweig oder in den
Ausschreibungsbedingungen für die neue Auftragsvergabe vorgesehen sei. Die vorliegende
Rechtssache entspreche keinem dieser Fälle. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist die fragliche
nationale Vorschrift jedoch in Einklang mit der Richtlinie 77/187 auszulegen, deren Umsetzung sie
bewirken solle. Der Gerichtshof scheine die Richtlinie im Fall einer einfachen Nachfolge in der
Leistungserbringung unabhängig von irgendeiner Übertragung materieller Aktiva für anwendbar zu
halten (siehe insbesondere Urteil vom 19. Mai 1992 in der Rechtssache C-29/91, Redmond Stichting,
Slg. 1992, I-3189, und Urteil Schmidt).
11.
Das Tribunal Superior de Justicia de Castilla-La Mancha ist nach alledem der Ansicht, daß die
Entscheidung des Rechtsstreits von der Auslegung der Richtlinie 77/187 abhängt, und hat daher dem
Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Fällt es in den Anwendungsbereich des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187/EWG vom 14. Februar
1977, wenn ein Unternehmen die bisher für Rechnung einer Gemeinde in deren Auftrag
vorgenommene Erbringung der Dienstleistung der häuslichen Hilfe für Personen, die sich in einer
Notlage befinden, beendet und einem anderen Unternehmen ein neuer Auftrag für diese
Dienstleistung erteilt wird, ohne daß Sachelemente übertragen werden und ohne daß im Tarifvertrag
oder in den Ausschreibungsbedingungen etwas über die Verpflichtung des neuen mit der
Dienstleistung beauftragten Unternehmens zur Übernahme der Rechte und Pflichten aus dem
Arbeitsverhältnis mit den Arbeitnehmern des bisher beauftragten Unternehmens ausgesagt wird?
Rechtssache C-247/96
12.
Horst Ziemann, arbeitete von 1979 bis 1995 ununterbrochen als Wachmann eines Sanitätsdepots
der Bundeswehr in Efringen-Kirchen. Während dieser Zeit war er sukzessive bei den fünf
Bewachungsunternehmen beschäftigt, die nacheinander den Bewachungsauftrag für dieses Depot
erhalten hatten, zuletzt von 1990 bis 1995 bei der Ziemann GmbH.
13.
Am 30. September 1995 kündigte die Bundeswehr den mit der letztgenannten Firma geschlossenen
Bewachungsvertrag und vergab den fraglichen Auftrag im Wege einer neuen Ausschreibung an Bohn.
Diese übernahm die für das Depot eingesetzten Wachleute der Ziemann GmbH bis auf drei
Arbeitnehmer, darunter Herr Ziemann. Die Ziemann GmbH, die ungefähr 160 Arbeitnehmer an
weiteren Wachobjekten beschäftigt, die zum Teil jedoch weit von Efringen-Kirchen entfernt sind,
kündigte Herrn Ziemann das Arbeitsverhältnis zum 30. September 1995.
14.
Herr Ziemann erhob am 9. Oktober 1995 beim Arbeitsgericht Lörrach Klage auf Feststellung, daß
die Kündigung unwirksam ist. Er machte geltend, der Verlust des Wachauftrags der Ziemann GmbH für
das Depot in Efringen-Kirchen und die Vergabe dieses Auftrags an Bohn stellten einen Übergang
eines Betriebsteils im Sinne der Richtlinie 77/187 und von § 613a BGB dar, durch den diese Richtlinie
in deutsches Recht umgesetzt werde. Die Ziemann GmbH habe ihn also unter Verstoß gegen das
deutsche Recht aus mit dem genannten Übergang zusammenhängenden Gründen entlassen.
15.
Die Ziemann GmbH und Bohn meinten demgegenüber, daß ein Betriebsübergang im vorliegenden
Fall nicht gegeben sei, da es zwischen ihnen keine rechtlichen Beziehungen gebe.
16.
Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes,
insbesondere aus dem Urteil Schmidt, ergebe sich, daß die Richtlinie 77/187 immer dann anwendbar
sei, wenn ein Unternehmen wie hier eine bis dahin von einem anderen Unternehmen ausgeübte
Tätigkeit fortsetze oder wiederaufnehme. Das Gericht weist in diesem Zusammenhang auf die völlige
Übereinstimmung zwischen den Tätigkeiten hin, die von den verschiedenen Unternehmen, die
nacheinander die Bewachung des Sanitätsdepots in Efringen-Kirchen übernommen hätten, ausgeübt
worden seien. Die Organisation und die Durchführung der Bewachung würden weitgehend von der
Bundeswehr festgelegt. Diese greife in die Auswahl der Wachleute ein und gebe deren
Verpflichtungen, die Art ihrer Aufgaben, den Umfang ihres Einsatzes, ihre Ausbildung an der Waffe
oder aber ihre Ausstattung detailliert vor.
17.
Außerdem seien die Wachaufgaben gemäß dem Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwangs
und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen
(UZwGBw) durchzuführen. Die von den verschiedenen Bewachungsunternehmen mit ihren
Arbeitnehmern geschlossenen Arbeitsverträge seien schließlich insofern nahezu identisch, als sie im
wesentlichen tarifvertraglich geregelt seien.
18.
Das Arbeitsgericht Lörrach ist der Ansicht, daß die Entscheidung des Rechtsstreits von der
Auslegung der Richtlinie 77/187 abhängt, und hat daher dem Gerichtshof folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Artikel 1 Absatz 1 und somit auch Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates (ABl. L
61, S. 26) auch auf den Übergang von Betriebsteilen wie die Wachaufgaben einer militärischen
Einrichtung anwendbar, wenn eine direkte vertragliche Übertragung zwischen
Nachfolgeauftragsunternehmen (Bewachungsunternehmen) nicht besteht?
2. Gilt dies jedenfalls dann, wenn der Betriebsteil nach Beendigung des Auftrags an den
Auftraggeber zurückfällt und sodann in unmittelbarem zeitlichem Anschluß wieder ein
Dienstleistungsauftrag mit im wesentlichen gleichen inhaltlichen Vorgabenkonditionen einem
Nachfolgeauftragnehmer übertragen wird?
3. Ist jedenfalls dann ein Betriebsübergang im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187
des Rates zu bejahen, wenn im wesentlichen immer die gleichen Arbeitnehmer die gleichen
Wachaufgaben unter im wesentlichen gleichen Konditionen, die weitgehend vom Auftraggeber
bestimmt werden, verrichten?
Die Vorabentscheidungsfragen
19.
Die Fragen der vorlegenden Gerichte, die zweckmäßigerweise zusammen zu prüfen sind, gehen
dahin, ob und unter welchen Voraussetzungen die Richtlinie 77/187 auf
einen Fall anwendbar ist, in dem eine öffentliche Einrichtung, die ein erstesUnternehmen mit ihrem
Haushilfedienst für Personen in einer Notlage oder mit der Bewachung bestimmter eigener
Räumlichkeiten betraut hat, beschließt, zum Ablauf oder nach Kündigung des Vertrages mit diesem
Unternehmen ein zweites Unternehmen mit der betreffenden Dienstleistung zu beauftragen.
20.
Nach ihrem Artikel 1 Absatz 1 ist die Richtlinie 77/187 auf den Übergang von Unternehmen,
Betrieben oder Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch
Verschmelzung anwendbar.
21.
Die Richtlinie 77/187 soll die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden
Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleisten. Entscheidend für einen
Übergang im Sinne der Richtlinie ist daher, ob die fragliche Einheit ihre Identität bewahrt, was
namentlich dann zu bejahen ist, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wiederaufgenommen
wird (Urteil vom 18. März 1986 in der Rechtssache 24/85, Spijkers, Slg. 1986, 1119, Randnrn. 11 f.,
und zuletzt Urteil Süzen, Randnr. 10).
22.
Das Fehlen einer vertraglichen Beziehung zwischen Veräußerer und Erwerber oder, wie in den
Ausgangsverfahren, zwischen zwei Unternehmen, die nacheinander mit dem Haushilfedienst oder der
Bewachung eines Sanitätsdepots beauftragt worden sind, kann zwar ein Indiz dafür darstellen, daß
kein Übergang im Sinne der Richtlinie 77/187 erfolgt ist; ihm kommt in diesem Zusammenhang aber
keine ausschlaggebende Bedeutung zu (Urteil Süzen, Randnr. 11).
23.
Die Richtlinie 77/187 ist nämlich in allen Fällen anwendbar, in denen die für den Betrieb des
Unternehmens verantwortliche natürliche oder juristische Person, die die Arbeitgeberverpflichtungen
gegenüber den Beschäftigten des Unternehmens eingeht, im Rahmen vertraglicher Beziehungen
wechselt. Somit setzt die Anwendung der Richtlinie 77/187 nicht voraus, daß zwischen Veräußerer und
Erwerber unmittelbar vertragliche Beziehungen bestehen; die Übertragung kann auch in zwei Schritten
unter Einschaltung eines Dritten, wie z. B. des Eigentümers oder des Verpächters der Betriebsmittel,
erfolgen (u. a. Urteil vom 7. März 1996 in den Rechtssachen C-171/94 und C-172/94, Merckx und
Neuhuys, Slg. 1996, I-1253, Randnrn. 28 bis 30, und Urteil Süzen, Randnr. 12).
24.
Auch daß der fragliche Auftrag durch eine Einrichtung des öffentlichen Rechts vergeben worden ist,
steht der Anwendung der Richtlinie 77/187 nicht entgegen, da weder die häusliche Hilfe für Personen
in einer Notlage noch die Bewachung hoheitliche Tätigkeiten sind (in diesem Sinne Urteil vom 15.
Oktober 1996 in der Rechtssache C-298/94, Henke, Slg. 1996, I-4989). Ferner gilt die Richtlinie 77/187
für alle Personen, die als Arbeitnehmer nach nationalem Arbeitsrecht geschützt sind (Urteil vom 11.
Juli 1985 in der Rechtssache 105/84, Danmols Inventar, Slg. 1985, 2639, Randnr. 27, und Urteil
Redmond Stichting, Randnr. 18). Bei den hier betroffenen Beschäftigten ist dies unstreitig der Fall.
25.
Die Anwendung der Richtlinie 77/187 setzt jedoch voraus, daß es um den Übergang einer auf Dauer
angelegten wirtschaftlichen Einheit geht, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten
Vorhabens beschränkt ist (Urteil vom 19. September 1995 in der Rechtssache C-48/94, Rygaard, Slg.
1995, I-2745, Randnr. 20). Der Begriff „Einheit“ bezieht sich dabei auf eine organisierte Gesamtheit
von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung (Urteil
Süzen, Randnr. 13).
26.
Eine solche Einheit muß zwar hinreichend strukturiert und selbständig sein, umfaßt aber nicht
notwendigerweise bedeutsame materielle oder immaterielle Betriebsmittel. In bestimmten
Wirtschaftszweigen wie dem Reinigungs- oder dem Bewachungsgewerbe treten diese Betriebsmittel
nämlich oft nur in ihrer einfachsten Form in Erscheinung, und es kommt dort im wesentlichen auf die
menschliche Arbeitskraft an. Daher kann eine organisierte Gesamtheit von Arbeitnehmern, denen
eine gemeinsame Aufgabe eigens auf Dauer zugewiesen ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen,
ohne daß weitere Betriebsmittel vorhanden sind.
27.
Das Vorliegen einer hinreichend strukturierten und selbständigen Einheit im Rahmen des
beauftragten Unternehmens wird grundsätzlich nicht dadurch berührt, daß dieses Unternehmen, wie
es häufig der Fall ist, von der den Auftrag erteilenden Einrichtung festgelegte genaue Verpflichtungen
einzuhalten hat. Denn wenngleich der vom Auftraggeber ausgeübte Einfluß auf die vom Beauftragten
zu erbringende Dienstleistung sehr weit gehen mag, bleibt dem Dienstleistungserbringer
normalerweise doch eine gewisse, wenn auch eingeschränkte, Freiheit in der Organisation und
Durchführung der fraglichen Dienstleistung, ohne daß sich seine Aufgabe als bloße Bereitstellung
seines Personals für die auftragerteilende Einrichtung verstehen läßt.
28.
Es ist Sache der vorlegenden Gerichte, anhand der vorstehenden Auslegungskriterien
festzustellen, ob der Haushilfedienst der Stadt Guadalajara für Personen in einer Notlage und die
Bewachung des Sanitätsdepots der Bundeswehr in Efringen-Kirchen in dem ersten beauftragten
Unternehmen als wirtschaftliche Einheit organisiert war.
29.
Bei der anschließenden Prüfung, ob die Voraussetzungen für den Übergang einer solchen Einheit
erfüllt sind, müssen sämtliche den betreffenden Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt
werden. Dazu gehören namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebes, der
etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der
immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft
durch den neuen Inhaber, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit
zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen
Unterbrechung dieser Tätigkeiten. Diese Umstände sind jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmenden
Gesamtbewertung und dürfen deshalb nicht isoliert betrachtet werden (u. a. Urteile Spijkers, Randnr.
13, und Süzen, Randnr. 14).
30.
Der bloße Umstand, daß die von dem alten und dem neuen Auftragnehmer erbrachten
Dienstleistungen einander ähnlich sind, läßt somit nicht auf den Übergang einer wirtschaftlichen
Einheit von einem Unternehmen auf das nächste schließen. Eine solche Einheit darf nämlich nicht als
bloße Tätigkeit verstanden werden. Ihre Identität ergibt sich auch aus anderen Merkmalen wie ihrem
Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und
gegebenenfalls den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln (Urteil Süzen, Randnr. 15).
31.
Wie in Randnummer 29 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat das innerstaatliche Gericht bei der
Bewertung der maßgeblichen Tatsachen u. a. die Art des betroffenen Unternehmens oder Betriebes
zu berücksichtigen. Den für das Vorliegen eines Übergangs im Sinne der Richtlinie 77/187
maßgeblichen Kriterien kommt notwendigerweise je nach der ausgeübten Tätigkeit und selbst nach
den Produktions- oder Betriebsmethoden, die in dem betreffenden Unternehmen, Betrieb oder
Betriebsteil angewendet werden, unterschiedliches Gewicht zu. Da eine wirtschaftliche Einheit insoweit
in bestimmten Branchen ohne relevante materielle oder immaterielle Betriebsmittel tätig sein kann,
kann die Wahrung der Identität einer solchen Einheit über ihren Übergang hinaus nicht von der
Übertragung von Betriebsmitteln abhängen (Urteil Süzen, Randnr. 18).
32.
Soweit in bestimmten Branchen, in denen es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft
ankommt, eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft
miteinander verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit darstellt, kann eine solche Einheit somit ihre
Identität über ihren Übergang hinaus bewahren, wenn der neue Unternehmensinhaber nicht nur die
betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil
des Personals übernimmt, dem sein Vorgänger gezielt diese Tätigkeit zugewiesen hatte. Denn in
diesem Fall erwirbt der neue Unternehmensinhaber eine organisierte Gesamtheit von Faktoren, die
ihm die Fortsetzung der Tätigkeiten oder bestimmter Tätigkeiten des übertragenden Unternehmens
auf Dauer erlaubt (Urteil Süzen, Randnr. 21).
33.
Es ist Sache der vorlegenden Gerichte, anhand aller vorstehenden Auslegungskriterien
festzustellen, ob in den Ausgangsverfahren ein Übergang stattgefunden hat.
34.
Somit ist auf die vorgelegten Fragen zu antworten, daß Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187
dahin auszulegen ist, daß diese Richtlinie auf einen Fall, in dem eine öffentliche Einrichtung, die ein
erstes Unternehmen mit ihrem Haushilfedienst für Personen in einer Notlage oder mit der Bewachung
bestimmter eigener Räumlichkeiten betraut hat, beschließt, zum Ablauf oder nach Kündigung des
Vertrages mit diesem Unternehmen ein zweites Unternehmen mit der betreffenden Dienstleistung zu
beauftragen, anwendbar ist, sofern der Vorgang mit dem Übergang einer wirtschaftlichen Einheit
zwischen den beiden Unternehmen
einhergeht. Der Begriff der wirtschaftlichen Einheit bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von
Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Der bloße
Umstand, daß die nacheinander von dem alten und dem neuen Auftragnehmer erbrachten Leistungen
einander ähnlich sind, läßt nicht auf den Übergang einer solchen Einheit schließen.
Kosten
35.
Die Auslagen der deutschen, der spanischen und der französischen Regierung, der Regierung des
Vereinigten Königreichs und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben,
sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem jeweils bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Tribunal Superior de Justicia de Castilla-La Mancha und vom Arbeitsgericht Lörrach mit
Beschlüssen vom 25. April 1996 und vom 28. November 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur
Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von
Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder
Betriebsteilen ist dahin auszulegen, daß diese Richtlinie auf einen Fall, in dem eine
öffentliche Einrichtung, die ein erstes Unternehmen mit ihrem Haushilfedienst für
Personen in einer Notlage oder mit der Bewachung bestimmter eigener Räumlichkeiten
betraut hat, beschließt, zum Ablauf oder nach Kündigung des Vertrages mit diesem
Unternehmen ein zweites Unternehmen mit der betreffenden Dienstleistung zu
beauftragen, anwendbar ist, sofern der Vorgang mit dem Übergang einer wirtschaftlichen
Einheit zwischen den beiden Unternehmen einhergeht. Der Begriff der wirtschaftlichen
Einheit bezieht sich auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur
Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung. Der bloße Umstand,
daß die nacheinander von dem alten und dem neuen Auftragnehmer erbrachten
Leistungen einander ähnlich sind, läßt nicht auf den Übergang einer solchen Einheit
schließen.
Puissochet
Jann
Moitinho de Almeida
Gulmann Edward
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 10. Dezember 1998.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
J.-P. Puissochet
Verfahrenssprache: Spanisch und Deutsch.