Urteil des EuGH vom 02.10.2003

EuGH: ungerechtfertigte bereicherung, gemeinschaftsrecht, innerstaatliches recht, getränkesteuer, kommission, mitgliedstaat, regierung, rückzahlung, verbraucher, nummer

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
2. Oktober 200
„Indirekte Steuern - Abgabe auf den Verkauf alkoholischer Getränke - Unvereinbarkeit mit dem
Gemeinschaftsrecht - Rückforderung der Abgabe“
In der Rechtssache C-147/01
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom österreichischen Verwaltungsgerichtshof in den bei
diesem anhängigen Rechtsstreitigkeiten
Weber's Wine World Handels-GmbH,
Ernestine Rathgeber,
Karl Schlosser,
Beta-Leasing GmbH
gegen
Abgabenberufungskommission Wien
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10
EG) und von Nummer 3 des Tenors des Urteils des Gerichtshofes vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-
437/97 (EKW und Wein & Co., Slg. 2000, I-1157)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Wathelet (Berichterstatter) sowie der Richter C. W. A.
Timmermans, A. La Pergola, P. Jann und S. von Bahr,
Generalanwalt: F. G. Jacobs,
Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- von Herrn Schlosser, vertreten durch Rechtsanwältin T. Jordis,
- der Beta-Leasing, vertreten durch Rechtsanwalt W. Arnold,
- der Abgabenberufungskommission Wien, vertreten durch K. Pauer als Bevollmächtigten,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch H. Dossi als Bevollmächtigten,
- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von G. De
Bellis, avvocato dello Stato,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und V. Kreuschitz als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Frau Rathgeber, vertreten durch den
Prozessbevollmächtigten W. Ilgenfritz, von Herrn Schlosser, vertreten durch die Rechtsanwälte T. Jordis und
G. Stefan, der Beta-Leasing GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt W. Arnold, der
Abgabenberufungskommission Wien, vertreten durch Rechtsanwalt L. Pramer, der österreichischen
Regierung, vertreten durch H. Dossi, und der Kommission, vertreten durch E. Traversa und V. Kreuschitz, in
der Sitzung vom 12. Dezember 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. März 2003
folgendes
Urteil
1.
Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 23. März 2001, beim Gerichtshof eingegangen
am 2. April 2001, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 5 EG-Vertrag (jetzt
Artikel 10 EG) und von Nummer 3 des Tenors des Urteils des Gerichtshofes vom 9. März 2000 in der
Rechtssache C-437/97 (EKW und Wein & Co., Slg. 2000, I-1157, im Folgenden: EKW-Urteil) zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich in Rechtsstreitigkeiten zwischen der Weber's Wine World Handels-GmbH, Frau
Rathgeber, Herrn Schlosser und der Beta-Leasing GmbH (im Folgenden: Beschwerdeführer) einerseits
und der Abgabenberufungskommission Wien andererseits wegen der Rückwirkung des § 185 der
Wiener Abgabenordnung (WAO), wonach ein Anspruch auf Rückzahlung der durch das EKW-Urteil für
mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar erklärten Steuer auf alkoholische Getränke insoweit nicht
zusteht, als diese Abgabe wirtschaftlich von einem Dritten getragen wurde.
Rechtlicher Rahmen
3.
Artikel 5 EG-Vertrag lautet:
„Die Mitgliedstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur
Erfüllung der Verpflichtungen, die sich aus diesem Vertrag oder aus Handlungen der Organe der
Gemeinschaft ergeben. Sie erleichtern dieser die Erfüllung ihrer Aufgabe.
Sie unterlassen alle Maßnahmen, welche die Verwirklichung der Ziele dieses Vertrages gefährden
könnten.“
4.
Nummer 3 des Tenors des EKW-Urteils hat folgenden Wortlaut:
„Niemand kann sich auf Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 92/12[/EWG des Rates vom 25. Februar 1992
über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger
Waren] berufen, um Ansprüche betreffend Abgaben wie die Steuer auf alkoholische Getränke, die vor
Erlass dieses Urteils entrichtet wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn, er
hätte vor diesem Zeitpunkt Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt.“
5.
§ 162 WAO bestimmt:
„(1) Guthaben des Abgabepflichtigen sind zur Tilgung fälliger Schuldigkeiten zu verwenden.
(2) Soweit Guthaben nicht gemäß Abs. 1 zu verwenden sind, sind sie nach Maßgabe der
Bestimmungen des § 185 zurückzuzahlen.“
6.
Nach der Rechtslage vor dem 2. März 2000 konnte der Abgabepflichtige gemäß § 185 Abs. 1 WAO
die Rückzahlung von Guthaben beantragen, die nicht zur Tilgung fälliger Schuldigkeiten zu verwenden
waren. Die Rückzahlung derartiger Guthaben war an keine weiteren Voraussetzungen gebunden.
7.
Durch Artikel I des am 2. März 2000 kundgemachten Gesetzes (LGBl. für Wien Nr. 9/2000, im
Folgenden: Novelle) wurde die WAO geändert, indem u. a. in deren § 185 die Absätze 3 und 4
eingefügt wurden. Zudem war in Artikel II der Novelle vorgesehen, dass Artikel I auch auf vor der
Kundmachung dieses Gesetzes entstandene Steuerschuldverhältnisse anzuwenden war.
8.
Durch eine neuerliche Novelle zur WAO vom 20. Februar 2001 (LGBl. für Wien Nr. 7/2001) wurde §
185 Abs. 3 Satz 1 WAO ergänzt.
9.
Nach diesen Änderungen lautet § 185 WAO:
„(1) Der Abgabepflichtige kann die Rückzahlung von Guthaben (§ 162 Abs. 2) beantragen. Die
Rückzahlung kann auch von Amts wegen erfolgen.
(2) Gegen den Rückzahlungsbetrag können der Höhe nach festgesetzte Abgabenschuldigkeiten
aufgerechnet werden, die der Abgabepflichtige nicht später als drei Monate nach der Stellung des
Rückzahlungsantrages zu entrichten haben wird.
(3) Ein Rückzahlungsanspruch steht insoweit nicht zu, als die Abgabe wirtschaftlich von einem
anderen als dem Abgabepflichtigen getragen wurde; insoweit führt die Herabsetzung der
Abgabenfestsetzung durch Selbstbemessung oder Abgabenbescheid auch nicht zu einer Gutschrift.
Soweit eine derart überwälzte Abgabe noch nicht entrichtet wurde, hat die Abgabenbehörde diese mit
gesondertem Bescheid vorzuschreiben.
(4) Abs. 3 ist nicht anzuwenden auf Abgabepflichtige, soweit ihnen die Anlassfallwirkung für eine vom
Verfassungsgerichtshof als rechtswidrig erkannte Abgabenvorschrift zukommt.“
10.
Die Anlassfallwirkung findet in Österreich u. a. im Anschluss an ein Urteil des
Verfassungsgerichtshofs Anwendung, mit dem ein Gesetz für verfassungswidrig erklärt wird. In einem
solchen Fall wird dieses Gesetz nämlich nicht rückwirkend aufgehoben, sondern bleibt, falls der
Verfassungsgerichtshof nicht anders entscheidet, auf vor der Feststellung der Verfassungswidrigkeit
entstandene Sachverhalte anwendbar. In der Rechtssache jedoch, die der Prüfung der
Verfassungsmäßigkeit zugrunde liegt, sowie in den Rechtssachen, die zum Zeitpunkt des Eintritts in
die Beratung dieser Rechtssache beim Verfassungsgerichtshof anhängig sind, findet das fragliche
Gesetz keine Anwendung mehr.
Sachverhalt
11.
Im Jahr 1997 legte der Verfassungsgerichtshof, bei dem ein Rechtsstreit zwischen der
Abgabenberufungskommission und Abgabepflichtigen über die Vereinbarkeit der Getränkesteuer mit
dem Gemeinschaftsrecht - genauer, mit den Vorschriften über die Mehrwertsteuer, die
Verbrauchsteuern und über staatliche Beihilfen - anhängig war, dem Gerichtshof mehrere Fragen zur
Vorabentscheidung vor, die dieser im EKW-Urteil beantwortete.
12.
In seinen Schlussanträgen vom 1. Juli 1999 in der Rechtssache EKW schlug Generalanwalt Saggio
dem Gerichtshof vor, zu entscheiden, dass sowohl die Richtlinie 92/12 als auch die
Gemeinschaftsvorschriften über staatliche Beihilfen der Beibehaltung der Getränkesteuer
entgegenstünden.
13.
Bei der Prüfung des Antrags der österreichischen Regierung, die Wirkungen des künftigen Urteils
zeitlich zu begrenzen, falls die Getränkesteuer für mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar erklärt
würde, gelangte er zu dem Ergebnis, dass dieser Antrag zurückzuweisen sei, da keine Umstände
vorlägen, die den Antrag rechtfertigten.
14.
Die Verlesung dieser Schlussanträge gab Anlass zu heftiger Sorge bei den österreichischen
Kommunalbehörden, die befürchteten, erhebliche Beträge zurückzahlen zu müssen.
15.
Dem Vorlagebeschluss zufolge haben alle österreichischen Bundesländer im Anschluss an die
Verlesung der Schlussanträge von Generalanwalt Saggio ihre Abgabenordnungen dahin geändert,
dass eine zu Unrecht erhobene Abgabe weder zurückgezahlt noch kompensiert wird, wenn sie auf
Dritte abgewälzt worden ist. Alle diese Novellierungen erfolgten nach Verlesung dieser
Schlussanträge, aber - mit einer Ausnahme - vor Verkündung des EKW-Urteils, jedoch zu einem
Zeitpunkt, als das Verkündungsdatum bereits bekannt gegeben war.
16.
Im Bundesland Wien ist die Novelle am 2. März 2000, also eine Woche vor Verkündung des EKW-
Urteils, ergangen.
17.
In Nummer 2 des Tenors dieses Urteils hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass Artikel 3 Absatz
3 der Richtlinie 92/12 der Beibehaltung einer Steuer auf alkoholfreie Getränke und Speiseeis nicht
entgegenstehe.
18.
In derselben Nummer des Tenors hat er hingegen entschieden, dass Artikel 3 Absatz 2 der
Richtlinie 92/12 der Beibehaltung dieser Steuer entgegenstehe, soweit sie alkoholische Getränke
betreffe.
19.
Entsprechend dem Vortrag der österreichischen Bundesregierung, dass ein zur Erstattung der
Getränkesteuer verpflichtendes Urteil schwer wiegende finanzielle Auswirkungen hätte und dass die
Steuer von den Abgabepflichtigen ohnedies über die Getränkepreise auf die Verbraucher abgewälzt
worden sei, hat der Gerichtshof in Randnummer 59 des EKW-Urteils ausgeführt, dass es zwingende
Gründe der Rechtssicherheit gebe, die es ausschlössen, dass Rechtsverhältnisse, die ihre Wirkungen
in der Vergangenheit erschöpft hätten, in Frage gestellt würden, da dies das Finanzierungssystem der
österreichischen Gemeinden rückwirkend in seinen Grundlagen erschüttern würde.
20.
Dementsprechend hat der Gerichtshof in Nummer 3 des Tenors des EKW-Urteils dessen Wirkungen
zeitlich begrenzt, indem er die Rückerstattung von Abgaben, deren Entrichtung nicht vor Erlass dieses
Urteils angefochten worden war, ausgeschlossen hat.
21.
Die Beschwerdeführerin Weber's Wine World Handels-GmbH betreibt einen Weinhandel, während die
übrigen Beschwerdeführer Restaurants betreiben.
22.
Demgemäß waren sie nach der WAO getränkesteuerpflichtig. Da es sich dabei um eine so genannte
Selbstbemessungsabgabe handelt, hat der Steuerpflichtige jeweils bis zum 15. Tag eines jeden
Monats die Steuer für den Vormonat ohne vorausgehende Steuervorschreibung durch die
Abgabenbehörde selbst zu berechnen und zu entrichten. Anschließend reicht er bis zum 15. Februar
jedes Jahres für die im Vorjahr entstandene Steuerschuld eine Steuererklärung ein.
23.
Dementsprechend berechneten die Beschwerdeführer die Getränkesteuer sowohl für alkoholische
als auch für alkoholfreie Getränke selbst und führten sie ab. Später widerriefen sie aber unter
Berufung auf die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit dieser Steuer ihre Abgabenerklärungen und
verlangten die einbezahlte Getränkesteuer zurück.
24.
Die Beschwerdeführer richteten im Jahr 1998 Anträge auf Rückzahlung der von ihnen entrichteten
Getränkesteuer für bestimmte Zeiträume, in der Zeit zwischen 1995 und 1998 an die
Abgabenbehörde erster Instanz und machten geltend, dass diese Steuer der Richtlinie 92/12
widerspreche und ihre Erhebung zu Unrecht erfolgt sei.
25.
Die Abgabenbehörde erster Instanz entschied, dass den Beschwerdeführern Getränkesteuer
sowohl für die alkoholischen als auch für die alkoholfreien Getränke vorgeschrieben worden sei und
wies die Rückzahlungsanträge ab, da die von den Abgabepflichtigen bereits entrichteten
Abgabenbeträge dem Vorschreibungsbetrag entsprochen hätten.
26.
Die Beschwerdeführer legten gegen diese Entscheidungen Berufung an die
Abgabenberufungskommission ein, die mit Bescheiden vom 6. September 2000 die erstinstanzliche
Getränkesteuervorschreibung aus dem Grund abänderte, dass im Einklang mit dem EKW-Urteil nur
noch die Veräußerung alkoholfreier Getränke besteuert werden dürfe.
27.
Die Abgabenberufungskommission wies allerdings die Anträge auf Rückzahlung der bereits
entrichteten Getränkesteuer ab und führte aus, dass sich in den Ermittlungsverfahren ergeben habe,
dass die Abgabe von den Abgabepflichtigen endgültig auf den Letztverbraucher abgewälzt worden sei.
28.
Die Beschwerdeführer erhoben gegen die Bescheide vom 6. September 2000, soweit sie die
Anträge auf Rückzahlung der Abgaben auf alkoholische Getränke für die Zeit zwischen 1995 und 1998
abwiesen, Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof.
29.
Sie erachten sich in ihrem Recht auf Rückforderung der in Widerspruch zum Gemeinschaftsrecht
erhobenen Steuer auf alkoholische Getränke verletzt. Sie machen insbesondere geltend, dass die am
20. Februar 2001, also nach Erlass des EKW-Urteils, beschlossene Novelle gegen das Treuegebot des
Artikels 5 EG-Vertrag verstoße und dass durch die Rückwirkung des § 185 Abs. 3 WAO eine Verletzung
des Vertrauensschutzes gegeben sei. Sie behaupten ferner, dass eine Abwälzung auf die Verbraucher
nicht erfolgt sei.
30.
Die Abgabenberufungskommission hat jeweils im Ergebnis den gegenteiligen Standpunkt vertreten.
Vorlagebeschluss und Vorabentscheidungsfrage
31.
Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs ist mit dem EKW-Urteil die aus dem Treuegebot des
Artikels 5 EG-Vertrag abzuleitende Verpflichtung der Republik Österreich verbunden, dem einzelnen
Abgabepflichtigen, der vor Erlass dieses Urteils eine Klage erhoben oder einen entsprechenden
Rechtsbehelf eingelegt hat, die rechtswidrig erhobene Steuer auf alkoholische Getränke zu erstatten.
32.
Allerdings verstoße es nicht gegen Gemeinschaftsrecht, die Rückerstattung dieser Steuer davon
abhängig zu machen, dass sie nicht auf Dritte abgewälzt worden sei.
33.
Das vorlegende Gericht hegt hingegen Zweifel an der Vereinbarkeit der § 185 Abs. 3 WAO
verliehenen Rückwirkung mit dem Gemeinschaftsrecht, da nach dem Wortlaut der Nummer 3 des
Tenors des EKW-Urteils alle Abgabepflichtigen, die in Bezug auf die Steuer auf alkoholische Getränke
vor dem 9. März 2000 einen Rechtsbehelf eingelegt hätten, Anspruch auf Erstattung hätten, während
ihnen aufgrund der Novelle entgegengehalten werden könne, dass diese Abgabe wirtschaftlich von
Dritten getragen worden sei.
34.
Der Verwaltungsgerichtshof hat dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Stehen Artikel 10 EG (früher Artikel 5 EG-Vertrag) und der Spruchpunkt 3 des Tenors des EKW-Urteils,
wonach sich niemand auf Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 92/12/EWG berufen kann, um Ansprüche
betreffend Abgaben wie die Steuer auf alkoholische Getränke, die vor Erlass dieses Urteils entrichtet
wurden oder fällig geworden sind, geltend zu machen, es sei denn, er hätte vor diesem Zeitpunkt
Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt, der Anwendung der mit der
Novelle der Wiener Abgabenordnung (WAO) vom 2. März 2000, LGBl. Nr. 9/2000, geschaffenen,
des § 185 Abs. 3 WAO entgegen, wonach ein Rückzahlungsanspruch insoweit nicht
zusteht, als die Abgabe wirtschaftlich von einem anderen als dem Abgabepflichtigen getragen wurde?
Zur Vorabentscheidungsfrage
35.
Die Beschwerdeführer verweisen zunächst auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes zur
Verpflichtung der Mitgliedstaaten, unter Verstoß gegen gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen
erhobene Abgaben zu erstatten.
36.
Mit einem Urteil des Gerichtshofes, mit dem eine innerstaatliche Abgabe für
gemeinschaftsrechtswidrig erklärt werde, gehe nach ständiger Rechtsprechung die aus Artikel 5 EG-
Vertrag abzuleitende Verpflichtung des betroffenen Mitgliedstaats einher, dem Einzelnen diese zu
Unrecht erhobene Abgabe zu erstatten.
37.
Mangels einer Gemeinschaftsregelung über die Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben sei es
allerdings Sache der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten, die zuständigen Gerichte zu bestimmen
und die Verfahrensmodalitäten der Klagen zu regeln, die den Schutz der Rechte gewährleisten sollten,
die dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwüchsen.
38.
Den Mitgliedstaaten sei es aus Gründen der Rechtssicherheit grundsätzlich gestattet, die
Rückzahlung von gemeinschaftswidrig erhobenen Abgaben auf nationaler Ebene einzuschränken.
Derartige Einschränkungen hätten aber dem Äquivalenzgrundsatz, wonach die maßgebenden
innerstaatlichen Bestimmungen gleichermaßen auf rein innerstaatliche wie auf
gemeinschaftsrechtliche Fälle anwendbar sein müssten, sowie dem Effektivitätsgrundsatz zu genügen,
wonach die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch
unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert werden dürfe.
39.
Die Beschwerdeführer erkennen weiter an, dass ein Mitgliedstaat die Erstattung
gemeinschaftsrechtswidrig erhobener Abgaben verweigern könne, wenn der Abgabepflichtige sie auf
Dritte abgewälzt habe oder wenn die Erstattung zu dessen ungerechtfertigter Bereicherung führen
würde, was die innerstaatliche Behörde festzustellen habe.
40.
Jedoch habe der Gerichtshof in mehreren Urteilen entschieden, dass das Gemeinschaftsrecht dem
nationalen Gesetzgeber verbiete, im Umfeld eines Urteils des Gerichtshofes Verfahrensregeln zu
erlassen, die speziell die Befugnis des Abgabepflichtigen einschränkten, auf Erstattung der zu Unrecht
erhobenen Abgaben zu klagen. Derartige Verfahrensregeln stellten einen Verstoß gegen das sich aus
Artikel 5 EG-Vertrag ergebende Vereitelungsverbot dar (Urteile vom 9. November 1983 in der
Rechtssache C-199/82, San Giorgio, Slg. 1983, 3595, Randnr. 14, vom 29. Juni 1988 in der
Rechtssache 240/87, Deville, Slg. 1988, 3513, Randnr. 13, vom 17. November 1998 in der
Rechtssache C-228/96, Aprile, Slg. 1998, I-7141, Randnr. 16, und vom 9. Februar 1999 in der
Rechtssache C-343/96, Dilexport, Slg. 1999, I-579, Randnr. 39).
41.
Nach Ansicht der Beschwerdeführer entspricht § 185 Abs. 3 WAO in Verbindung mit Art. II der
Novelle den vom Gerichtshof in seinen Urteilen zur Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge
aufgestellten Erfordernissen nicht.
42.
Die in § 185 Abs. 3 WAO vorgesehene Bedingung der Nichtabwälzung der Abgabe verstoße sowohl
gegen den Äquivalenz- und den Effektivitätsgrundsatz als auch gegen das sich aus Artikel 5 EG-
Vertrag ergebende Vereitelungsverbot.
43.
Sie verstoße zunächst gegen die sich aus Artikel 5 EG-Vertrag ergebende Verpflichtung zur
Zusammenarbeit, da sie - wiewohl allgemein formuliert - in der Praxis nur jenen kleinen Kreis indirekter
Abgaben betreffe, die nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung den Ländern und Gemeinden
zur Erhebung zustünden, und dementsprechend im Wesentlichen die für gemeinschaftsrechtswidrig
befundene Steuer auf alkoholische Getränke.
44.
Außerdem laufe die durch Art. II der Novelle rückwirkend eingeführte, in § 185 Abs. 3 WAO
vorgesehene Bedingung der Nichtabwälzung dem Effektivitätsgrundsatz zuwider, weil es schwierig sei,
im Nachhinein nachzuweisen, dass die Steuer auf alkoholische Getränke nicht auf den
Letztverbraucher abgewälzt worden sei.
45.
Schließlich hat die Beschwerdeführerin Beta-Leasing GmbH in der Sitzung die Ansicht vertreten,
dass das österreichische Recht auch gegen den Äquivalenzgrundsatz verstoße, da § 185 Abs. 3 WAO
nach Abs. 4 nicht anzuwenden sei, wenn dem Abgabepflichtigen die Anlassfallwirkung zukomme und er
die Erstattung des Betrages erwirken könne, der aufgrund einer vom Verfassungsgerichtshof für
verfassungswidrig befundenen Abgabenvorschrift erhoben worden sei. Für die Erstattung einer
Abgabe, die auf der Grundlage einer durch Entscheidung des Gerichtshofes für
gemeinschaftsrechtswidrig befundenen nationalen Bestimmung erhoben worden sei, sei hingegen
keine entsprechende Bestimmung vorgesehen; vielmehr sei eine solche Erstattung gemäß § 185 Abs.
3 WAO davon abhängig, dass die Abgabe nicht wirtschaftlich auf Dritte abgewälzt worden sei.
Dementsprechend gebe es in Österreich zwei Arten von Abgabepflichtigen: diejenigen, die bei
Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, u. a. der fehlenden Abwälzung einer Abgabe auf Dritte,
Anspruch auf Erstattung einer zu Unrecht erhobenen Abgabe hätten, und diejenigen, die sich auf
einen Präzedenzfall berufen könnten, in dem der Verfassungsgerichtshof eine Abgabenvorschrift für
verfassungswidrig erklärt habe.
46.
Die Beschwerdeführer tragen ergänzend vor, dass es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes
nicht zulässig sei, dem Abgabepflichtigen die Beweislast für die unterbliebene Abwälzung auf den
Letztverbraucher aufzuerlegen.
47.
Die im österreichischen Recht vorgesehene Verpflichtung der zuständigen Behörde, von Amts
wegen vorzugehen, befreie aber die Partei nicht davon, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts
beizutragen (Urteil des Verwaltungsgerichtshofs vom 21. Oktober 1987, 87/01/0137). Wenngleich
nämlich im österreichischen Verwaltungsverfahrensrecht eine förmliche Verpflichtung der
Abgabepflichtigen zur Mitwirkung am Ermittlungsverfahren nicht ausdrücklich normiert sei, stehe doch
fest, dass es der Abgabenbehörde frei stehe, wenn die Partei am Ermittlungsverfahren nicht oder
nicht ausreichend mitwirke, aus diesem Verhalten im Rahmen der ihr zustehenden freien
Beweiswürdigung für den Antrag der Partei möglicherweise auch negative Schlüsse zu ziehen.
48.
Die Abgabenberufungskommission habe in ihren Bescheiden vom 6. September 2000 die Abwälzung
der Steuer auf alkoholische Getränke an die Letztverbraucher dadurch als erwiesen gesehen, dass
„nach den im Tatsachenbereich unbestrittenen Feststellungen des Revisionsorganes der Preis für
alkoholische Getränke auch die Getränkesteuer beinhaltet, so dass die Getränkesteuer wirtschaftlich
vom Letztverbraucher getragen wurde“.
49.
Die bloße Tatsache, dass die von den Beschwerdeführern angewandten Verkaufspreise die Steuer
auf alkoholische Getränke umfasst hätten, lasse jedoch noch lange nicht auf deren Abwälzung auf
den Letztverbraucher schließen. Bei diesem Schluss handele es sich in Wirklichkeit um eine bloße
Vermutung, die den Abgabepflichtigen in der Praxis dazu zwinge, selbst nachzuweisen, dass die
Getränkesteuer nicht abgewälzt worden sei.
50.
Zur ungerechtfertigten Bereicherung tragen die Beschwerdeführer vor, dass das Recht zur
Verweigerung der Erstattung von gemeinschaftsrechtswidrig erhobenen Abgaben nach der ständigen
Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht nur an den Nachweis geknüpft sei, dass die Abgabenlast
tatsächlich in vollem Umfang von einem anderen als dem Abgabepflichtigen getragen worden sei,
sondern auch von der weiteren Voraussetzung abhängig sei, dass die Erstattung an diesen zu dessen
ungerechtfertigter Bereicherung führen würde.
51.
Im vorliegenden Fall erklären die Beschwerdeführer, dass sie selbst die Steuer auf alkoholische
Getränke getragen hätten.
52.
Zwar sei es grundsätzlich richtig, dass die Steuer auf alkoholische Getränke vom Endverbraucher
getragen werden solle, weil das Gesetz diese Abwälzung vorsehe; in der Praxis könne diese Steuer
aus Gründen des Wettbewerbs von österreichischen Unternehmen jedoch nur selten auf den
Verbraucher abgewälzt werden.
53.
In der Mehrzahl der Fälle schmälere diese Steuer die Gewinnspanne des abgabepflichtigen
Unternehmens und werde daher de facto von ihm getragen. Statistische Erhebungen zeigten, dass
die Republik Österreich im europäischen Vergleich bei der Besteuerung von Getränken an der Spitze
liege.
54.
Daraus folge, dass zur Erzielung marktüblicher Renditen die Getränke in Österreich mindestens um
jenen Betrag teurer sein müssten, der dem Anteil der Steuer auf alkoholische Getränke entspreche.
Solche Verkaufspreise könnten jedoch nur die bestbesuchten Betriebe verlangen. Die überwiegende
Mehrzahl der Betriebe - unter ihnen die der Beschwerdeführer - gebe diese Steuer hingegen nicht an
die Endkunden weiter.
55.
Dies belegten die von der Wirtschaftskammer Österreich jährlich in Auftrag gegebenen Studien
„Betriebskennzahlen des Österreichischen Gastgewerbes“. Schon im Jahre 1994 seien nahezu alle
österreichischen Gastronomiebetriebe in die Verlustzone geraten. Die Situation der
Gastronomiebetriebe verschlechtere sich laufend. Die Betriebe seien mittlerweile aufgrund des
Konkurrenzdrucks und der Notwendigkeit des Eingehens auf die Erfordernisse des Marktes
hoffnungslos überschuldet.
56.
Das Österreichische Institut für Wirtschaftsforschung habe im November 2000 im Auftrag des
österreichischen Bundesministeriums für Finanzen ein volkswirtschaftliches Gutachten zur Frage der
Kostenüberwälzung der Getränkesteuer im Hotel-, Gast- und Schankgewerbe erstellt. Dieses
Gutachten habe keine allgemeinen Antworten auf die Frage der Überwälzung der Getränkesteuer auf
den Letztverbraucher in diesem Gewerbe erlaubt. Es enthalte nämlich keine konkrete Antwort auf die
Frage der Abwälzung auf den Letztverbraucher. Die Verfasser dieses Gutachtens hätten u. a.
dargelegt, dass die Frage, ob und in welchem Ausmaß eine Steuerüberwälzung tatsächlich gelinge,
von einer Reihe von Faktoren abhänge, darunter der Preiselastizität der betroffenen Güter und
Leistungen, der Entwicklung des Preisniveaus und der realen Nachfrage, der Marktform und der
Wettbewerbsintensität.
57.
Daher könne die Frage nach dem Vorliegen einer ungerechtfertigten Bereicherung jeweils nur im
Einzelfall nach Durchführung eines spezifischen Ermittlungsverfahrens beantwortet werden.
58.
Die Beschwerdeführerin Beta-Leasing GmbH weist außerdem darauf hin, dass, soweit tatsächlich
eine entsprechende Abwälzung stattgefunden habe, die Verbraucher die Last der Steuer auf
alkoholische Getränke getragen hätten. Weder die Wiener Rechtsordnung noch generell die der
Republik Österreich verleihe den Verbrauchern eine Möglichkeit im Abgabenverfahren, die
Rechtswidrigkeit einer so abgewälzten Abgabe geltend zu machen.
59.
Wenn dem Abgabepflichtigen daher die Rückerstattung der Steuer auf alkoholische Getränke mit
der Begründung verweigert werde, er habe sie auf die Endverbraucher abgewälzt, dann sei es
schließlich die Gemeinde, die ungerechtfertigt bereichert sei. Die Argumentation der Gemeinden laufe
daher letztlich darauf hinaus, mit dem Argument, der Abgabenschuldner dürfe nicht ungerechtfertigt
bereichert werden, eine ungerechtfertigte Bereicherung für die Abgabengläubiger (für die Gemeinden
selbst) in Anspruch zu nehmen. Es gebe keine Rechtfertigung dafür, die ungerechtfertigte
Bereicherung zwar dem Abgabenschuldner, nicht aber dem Gläubiger dieser Steuer zu verweigern,
zumal dieser es sei, der die rechtswidrige Norm erlassen habe.
60.
Die Abgabenberufungskommission teilt diese Ansicht nicht. Die durch § 185 Abs. 3 WAO für die
Erstattung einer zu Unrecht erhobenen Abgabe aufgestellte Voraussetzung solle verhindern, dass die
nach innerstaatlichem Recht Erstattungsberechtigten durch die besonderen in der
Besteuerungstechnik bei indirekt wirkenden Wiener Abgaben liegenden Umstände ungerechtfertigt
bereichert würden. Es handele sich hierbei um Abgaben, bei denen Steuerträger und
Abgabepflichtiger auseinander fielen. Abgabepflichtiger sei der jeweilige Unternehmer, der die
abgabepflichtigen Leistungen erbringe, während der Abgabenbetrag von diesem regelmäßig bei den
Empfängern der Leistungen eingehoben werde. Der Gerichtshof habe diese Auslegung in den
Randnummern 22 bis 24 des Urteils vom 14. Januar 1997 in den Rechtssachen C-192/95 bis C-218/95
(Comateb u. a., Slg. 1997, I-165) bestätigt.
61.
Daraus folge, dass eine Erstattung des abgewälzten Steuerbetrags dann unterbleiben könne, wenn
der Abgabepflichtige dem Endabnehmer die dem auf diesen abgewälzten Steuerbetrag
entsprechenden Summen nicht erstatten müsse.
62.
Die österreichische Rechtsordnung sehe eine Möglichkeit für den Endabnehmer, von den
nationalen Behörden eine Rückerstattung dieser Beträge unmittelbar an ihn zu fordern, nicht vor.
Ferner sei bei der Steuer auf alkoholische Getränke eine Rückabwicklung der entrichteten Beträge an
die Verbraucher wegen des Zeitablaufs, der Massenhaftigkeit der betroffenen Vorgänge, wegen
Beweisschwierigkeiten oder wegen sonstiger Umstände praktisch ausgeschlossen.
63.
Daher verstoße § 185 Abs. 3 WAO nicht gegen Nummer 3 des Tenors des EKW-Urteils, sondern
entspreche im Gegenteil der Entscheidung des Gerichtshofes, da er eine ungerechtfertigte
Bereicherung des Unternehmers durch Erstattung der von ihm abgeführten Steuer dann ausschließe,
wenn das die Besteuerung auslösende Rechtsverhältnis zwischen dem Verbraucher, der die
Getränkesteuer wirtschaftlich getragen habe, und dem Unternehmer, der die Steuer abgeführt habe,
seine Wirkung in der Vergangenheit erschöpft habe, der Verbraucher also keinen Anspruch gegen
den Unternehmer auf Rückerstattung der von ihm getragenen Steuer mehr habe.
64.
Aufgrund einer Interessenabwägung zwischen dem - allenfalls rechtlich geschützten - Vertrauen der
Abgabepflichtigen auf bedingungslose Erstattung der Steuer auf alkoholische Getränke und dem
rechtlich geschützten Vertrauen der Gemeinden auf die Vereinbarkeit dieser Steuer mit dem
Gemeinschaftsrecht verstoße § 185 Abs. 3 WAO auch nicht gegen das Treuegebot des Artikels 5 EG-
Vertrag.
65.
Schließlich erforderten weder das Gemeinschaftsrecht noch die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit
und des Vertrauensschutzes eine Bereicherung eines Abgabepflichtigen durch die Erstattung einer
Abgabe. Im Falle ihrer Abwälzung auf Dritte würde eine Erstattung aber notwendig zu einer
ungerechtfertigten Bereicherung des Wirtschaftsteilnehmers führen.
66.
Die österreichische und die italienische Regierung vertreten eine ähnliche Meinung wie die
Abgabenberufungskommission und tragen vor, dass § 185 WAO den vom Gerichtshof auf dem Gebiet
der Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge aufgestellten Voraussetzungen genüge.
67.
Zunächst betreffe diese Bestimmung nicht nur auf Gemeinschaftsrecht gegründete
Rückerstattungsansprüche, sondern sowohl diese als auch Ansprüche auf Rückerstattung nach
innerstaatlichem Recht, womit dem Äquivalenzgrundsatz Rechnung getragen werde.
68.
Ferner werde die Durchsetzung von auf Gemeinschaftsrecht gegründeten
Rückerstattungsansprüchen durch § 185 Abs. 3 WAO für die Beschwerdeführer nicht praktisch
unmöglich gemacht oder übermäßig erschwert. § 185 WAO enthalte keine spezielle Bestimmung zur
Beweislast oder zu den zulässigen Beweismitteln. Maßgebend sei somit das allgemeine
Verfahrensrecht. Dieses gehe vom Grundsatz der Amtswegigkeit aus.
69.
Die österreichische Regierung trägt vor, dass nach diesem Grundsatz die Beweislast für die
Abwälzung der Steuer und die ungerechtfertigte Bereicherung bei der zuständigen Abgabenbehörde
liege. Die Abgabepflichtigen treffe lediglich eine Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsermittlung.
Somit hätten sie auf Verlangen der Abgabenbehörde den Inhalt ihrer Anbringen zu erläutern und zu
ergänzen sowie die Richtigkeit zu beweisen; falls ein solcher Beweis nach den Umständen nicht
zugemutet werden könne, begnüge sich die WAO mit der Glaubhaftmachung durch den
Abgabepflichtigen. Eine Beweislastumkehr zu Lasten des Abgabepflichtigen sei daher
ausgeschlossen.
70.
Außerdem lasse die WAO als Beweismittel alles zu. Grundsätzlich könnten daher vom
Beschwerdeführer alle Argumente, rechtlicher wie tatsächlicher Art, vorgebracht werden, die
Rückschlüsse auf die Nichtabwälzung der Steuer zuließen bzw. die fehlende Abwälzung glaubhaft
machten. Insoweit sei keinerlei Beweislastumkehr oder allgemeine Vermutung zur Anwendung gelangt.
71.
Weiter verstoße § 185 Abs. 4 WAO, wonach die Anwendung von § 185 Abs. 3 auf Anträge auf
Erstattung von vom Verfassungsgerichtshof für verfassungswidrig befundenen Abgaben
ausgeschlossen sei, nicht gegen den Äquivalenzgrundsatz. Die Urteile des Gerichtshofes hätten
nämlich keineswegs die gleichen Wirkungen wie die vom Verfassungsgerichtshof erlassenen Urteile, in
denen die Verfassungswidrigkeit festgestellt werde, da den Erstgenannten allgemeine Wirkung auch
für die Vergangenheit zukomme, während Letztere Wirkungen nur für die Zukunft entfalteten.
72.
Schließlich seien die Fälle, in denen sich ein Beschwerdeführer auf die Anlassfallwirkung berufen
und somit die Erstattung einer verfassungswidrigen Abgabe selbst dann erwirken könne, wenn diese
auf Dritte abgewälzt worden sei, sehr selten und völlig nebensächlich. Diese Situation könne daher
auf keinen Fall den mit einem vom Gerichtshof erlassenen Urteil verbundenen Folgen gleichgestellt
werden, in dem entschieden worden sei, dass das Gemeinschaftsrecht der Beibehaltung einer
innerstaatlichen Abgabe entgegenstehe.
73.
Nach Ansicht der Kommission trifft es zwar zu, dass die Erstattung einer unter Verstoß gegen das
Gemeinschaftsrecht erhobenen Abgabe nur im Rahmen der in den verschiedenen einschlägigen
nationalen Rechtsvorschriften festgelegten materiellen und formellen Voraussetzungen betrieben
werden kann; diese Voraussetzungen dürften jedoch nicht ungünstiger sein als bei ähnlichen Klagen,
die nur innerstaatliches Recht beträfen, und sie dürften nicht so ausgestaltet sein, dass sie die
Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte praktisch unmöglich
machten oder übermäßig erschwerten (Urteile vom 6. Juli 1995 in der Rechtssache C-62/93, BP
Soupergaz, Slg. 1995, I-1883, vom 15. September 1998 in der Rechtssache C-231/96, Edis, Slg. 1998,
I-4951, Randnrn. 19 und 34, und Dilexport, Randnr. 25).
74.
Die Kommission weist zudem darauf hin, dass das Urteil Deville in Randnummer 11 schon das
Entstehen des Anspruchs auf Erstattung einer gemeinschaftsrechtswidrigen Abgabe an die
Bedingung zu knüpfen scheine, dass der Steuerpflichtige diese Abgabe nicht auf andere Personen
habe abwälzen können.
75.
Es stehe einzelstaatlichen Gerichten nach dem Gemeinschaftsrecht jedenfalls grundsätzlich frei,
nach ihrem nationalen Recht zu berücksichtigen, dass zu Unrecht erhobene Abgaben in die Preise des
abgabepflichtigen Unternehmens einflössen und auf die Abnehmer abgewälzt werden könnten (Urteile
vom 27. Mai 1981 in den Rechtssachen 142/80 und 143/80, Essevi und Salengo, Slg. 1981, 1413,
Randnr. 35, vom 25. Februar 1988 in den Rechtssachen 331/85, 376/85 und 378/85, Bianco und
Girard, Slg. 1988, 1099, Dilexport, Randnr. 47, und vom 28. November 2000 in der Rechtssache C-
88/99, Roquette Frères, Slg. 2000, I-10465, Randnr. 20).
76.
Jedoch verwehre es das Gemeinschaftsrecht einem Mitgliedstaat, die Erstattung
gemeinschaftsrechtswidriger Zölle und Abgaben einer Voraussetzung wie der fehlenden Abwälzung
dieser Zölle oder Abgaben auf Dritte zu unterwerfen, deren Erfüllung der Antragsteller zu beweisen
habe (Urteil Dilexport, Randnr. 54).
77.
Freilich gehe der Verwaltungsgerichtshof bei der Darstellung der materiellrechtlichen
Voraussetzungen des Vorabentscheidungsersuchens auf diese Frage nicht explizit ein. Er begnüge
sich mit der Feststellung, dass in Anbetracht der bestehenden Verfahrensgarantien nicht gesagt
werden könne, dass die Ausübung des Rechts auf Rückzahlung durch § 185 Abs. 3 WAO von
vornherein übermäßig erschwert oder gar unmöglich gemacht werde. Diese innerstaatliche
Bestimmung enthalte keine speziellen Aussagen zur Beweislast, und das anzuwendende
Verfahrensrecht gehe vom Grundsatz der Amtswegigkeit aus.
78.
Aus dem Fehlen einer expliziten Feststellung, dass das nationale Verfahrensrecht den Beweis für
die Abwälzung der Abgabe den Abgabebehörden auferlege, schließt die Kommission, dass in dieser
Hinsicht gewisse Defizite bestehen dürften. Daher regt sie an, im Urteil entsprechende Klarstellungen
zu treffen, die auf die hier einschlägige Rechtsprechung, insbesondere auf die Randnummer 54 des
Urteils Dilexport, verwiesen.
79.
Im Übrigen teilt die Kommission die von Generalanwalt Saggio in der Rechtssache EKW vertretene
Ansicht, dass die Abgabenbehörde Anträge auf Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben nur
ablehnen könne, wenn sie beweise, dass die Lieferanten tatsächlich bereichert seien.
80.
Hierzu meint sie, es könne weder mit Sicherheit behauptet werden, dass der Preis des Erzeugnisses
ohne die Steuer auf alkoholische Getränke niedriger gewesen wäre als dessen Preis einschließlich der
Steuer; erst recht könne nicht mit Sicherheit behauptet werden, dass die Differenz zwischen diesen
beiden Preisen konstant dem Betrag der Steuer entspreche. Außerdem könne die Bereicherung des
Lieferanten auch deshalb nicht immer genau dem Betrag der Steuer entsprechen, weil die Erhöhung
des Preises, die die Steuerbelastung zur Folge habe, ausgeglichen werden müsse, was zu einer
Verringerung des Absatzes und des Gewinns führen könne. In grenznahen Regionen könne ferner der
um die Getränkesteuer erhöhte Preis zu Absatzeinbußen der österreichischen Lieferanten geführt
haben, die sich ebenfalls negativ auf den Gewinn ausgewirkt haben könnten. Auch in diesem Fall
könne nicht behauptet werden, die bei der Erstattung zu erwartende Bereicherung würde genau dem
Betrag der entrichteten Abgabe entsprechen. Vielmehr müsse bei der Kalkulation einer allfälligen
Bereicherung der wegen dieser Steuer verminderte Gewinn berücksichtigt werden.
81.
Nach Ansicht der Kommission hätten diese Umstände in den Bescheiden vom 6. September 2000
berücksichtigt werden müssen; eine mechanische Ablehnung der Erstattungsanträge in voller Höhe
der abgeführten Abgabe sei unzulässig. Im Vorlagebeschluss fänden sich aber keine Hinweise dafür,
dass eine solche differenzierte Behandlung der Erstattungsanträge vorgesehen wäre und dass es die
dazu notwendigen Berechnungs- und Verfahrensbestimmungen gebe.
82.
In der Sitzung hat die Kommission die Meinung vertreten, dass die WAO den Äquivalenzgrundsatz
dadurch missachte, dass sie die auf Gemeinschaftsrecht gestützten Erstattungsanträge und
diejenigen, die auf ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs, in dem die Verfassungswidrigkeit
festgestellt worden sei, gestützt seien, unterschiedlich behandele, und zwar zum Nachteil der
Erstgenannten.
83.
So müssten die Abgabepflichtigen, denen die Anlassfallwirkung zukomme, nicht die Voraussetzung
erfüllen, dass sie die Steuer wirtschaftlich selbst getragen hätten, um die Erstattung einer unter
Verstoß gegen die österreichische Verfassung eingehobenen Steuer zu erwirken. § 185 Abs. 4 WAO
schließe die Anwendung von § 185 Abs. 3 in einem solchen Fall aus.
84.
Den Urteilen des Gerichtshofes, in denen entschieden werde, dass das Gemeinschaftsrecht der
Beibehaltung einer innerstaatlichen Abgabe entgegenstehe, werde hingegen keine der
Anlassfallwirkung entsprechende Wirkung zuerkannt. Daraus ergebe sich eine diskriminierende
Behandlung zum Nachteil der Einzelnen, die ihr Recht auf Erstattung einer zu Unrecht erhobenen
Abgabe kraft Gemeinschaftsrechts ausübten.
85.
Die Kommission weist hierbei das Vorbringen der österreichischen Regierung zurück, dass die Fälle,
in denen die Anlassfallwirkung zur Anwendung komme, von marginaler Bedeutung seien. Vielmehr
entfalte diese ihre Wirkungen in zahlreichen praktischen Fällen; im Übrigen könne die begrenzte Zahl
von Anwendungsfällen der Anlassfallwirkung einen Verstoß gegen den Äquivalenzgrundsatz nicht
ausschließen.
Zu Artikel 10 EG
86.
Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass der nationale Gesetzgeber nicht nach Verkündung
eines Urteils des Gerichtshofes, dem zufolge bestimmte Rechtsvorschriften mit dem EG-Vertrag
unvereinbar sind, eine Verfahrensregel erlassen kann, die speziell die Möglichkeiten einschränkt, auf
Erstattung der Abgaben zu klagen, die aufgrund dieser Rechtsvorschriften zu Unrecht erhoben
worden sind (vgl. Urteile Deville, Randnr. 13, Dilexport, Randnrn. 38 und 39, und vom 11. Juli 2002 in
der Rechtssache C-62/00, Marks & Spencer, Slg. 2002, I-6325, Randnr. 36).
87.
Aus diesen Urteilen ergibt sich, dass ein Mitgliedstaat keine Bestimmungen erlassen darf, die die
Erstattung einer Abgabe, die durch ein Urteil des Gerichtshofes für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt
worden ist oder deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht sich aus einem solchen Urteil
ergibt, Voraussetzungen unterwirft, die speziell diese Abgabe betreffen und die ungünstiger sind als
diejenigen, die auf die Erstattung der fraglichen Abgabe anwendbar gewesen wären, wenn diese
Bestimmung nicht erlassen worden wäre (Urteil Edis, Randnr. 24).
88.
In Bezug auf die Steuer auf alkoholische Getränke hat der Gerichtshof in Randnummer 50 des EKW-
Urteils ausgeführt, dass Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 92/12 der Beibehaltung dieser Steuer
entgegenstehe.
89.
In der vor Erlass der Novelle geltenden Fassung hatte § 185 WAO Anträge auf Erstattung
rechtswidrig eingehobener Abgaben von keiner spezifischen Voraussetzung abhängig gemacht. Der
Einführung der Bestimmung, die schließlich zu § 185 Abs. 3 WAO wurde, sind zahlreiche Debatten im
Wiener Landtag vorausgegangen, in denen die Schlussanträge von Generalanwalt Saggio in der
Rechtssache EKW sowie die desaströsen Auswirkungen eines Urteils des Gerichtshofes, in dem die
Getränkesteuer für mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar erklärt würde, auf die Finanzlage der
österreichischen Gemeinden erörtert wurden. Außerdem ist die Novellierung der WAO eine Woche vor
Verkündung dieses Urteils erfolgt.
90.
Aus allen diesen Umständen ergibt sich, dass mit der Einfügung des Abs. 3 in § 185 WAO den
Auswirkungen des EKW-Urteils für den Fall vorgebeugt werden sollte, dass die Steuer auf alkoholische
Getränke für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt und die zeitlichen Wirkungen dieses Urteils nicht
beschränkt würden.
91.
Diese Umstände erlauben allerdings noch nicht die Feststellung, dass § 185 Abs. 3 WAO speziell die
Ansprüche auf Erstattung der zu Unrecht eingehobenen Steuer auf alkoholische Getränke
beschränken soll. Der Verwaltungsgerichtshof hebt in seinem Vorlagebeschluss hervor, dass sich die
WAO keineswegs nur auf die Erstattung von Abgaben beziehe, deren Erhebung aus
gemeinschaftsrechtlichen Gründen rechtswidrig gewesen sei. Im Übrigen haben die Parteien des
Ausgangsverfahrens, die österreichische und die italienische Regierung sowie die Kommission hierzu
gegenteilige Ansichten vorgetragen. Es ist jedoch nicht Sache des Gerichtshofes, einen Streit zu
entscheiden, der ausschließlich die Auslegung innerstaatlichen Rechts betrifft; diese Aufgabe obliegt
dem nationalen Gericht.
92.
Im Ergebnis verstößt der Erlass einer Regelung durch einen Mitgliedstaat, durch die der Anspruch
auf Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge rückwirkend beschränkt wird, um den möglichen
Auswirkungen eines Urteils des Gerichtshofes vorzubeugen, nach dem das Gemeinschaftsrecht der
Beibehaltung einer innerstaatlichen Abgabe entgegensteht, nur dann gegen das
Gemeinschaftsrecht, nämlich gegen Artikel 10 EG, wenn diese Regelung spezifisch diese Abgabe
betrifft; es obliegt dem nationalen Gericht, dies zu prüfen. Folglich stellt die Rückwirkung einer solchen
Maßnahme an sich keinen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht dar, sofern die Maßnahme nicht
spezifisch die Abgabe betrifft, die Gegenstand eines Urteils des Gerichtshofes gewesen ist.
Zum Zusammenhang zwischen der Abwälzung der Steuer auf alkoholische Getränke und der
ungerechtfertigten Bereicherung
93.
Der Gerichtshof hat in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass dem Einzelnen das Recht auf
Erstattung von Abgaben zusteht, die ein Mitgliedstaat unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht
erhoben hat. Dieses Recht ist eine Folge und eine Ergänzung der Rechte, die dem Einzelnen aus dem
Gemeinschaftsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof erwachsen. Der betreffende
Mitgliedstaat ist also grundsätzlich verpflichtet, gemeinschaftsrechtswidrig erhobene Abgaben zu
erstatten (vgl. insbesondere Urteile Comateb u. a., Randnr. 20, vom 8. März 2001 in den
Rechtssachen C-397/98 und C-410/98, Metallgesellschaft u. a., Slg. 2001, I-1727, Randnr. 84, und
Marks & Spencer, Randnr. 30).
94.
Von dieser Verpflichtung gibt es nach dieser Rechtsprechung nur eine einzige Ausnahme. Ein
Mitgliedstaat kann einem Abgabepflichtigen die Erstattung einer gemeinschaftsrechtswidrig
erhobenen Abgabe versagen, wenn er feststellt, dass die Abgabenlast in vollem Umfang von einem
anderen als dem Abgabepflichtigen getragen wurde und wenn die Erstattung an den
Abgabepflichtigen zu dessen ungerechtfertigter Bereicherung führen würde. Folglich ist der
Mitgliedstaat, wenn die Abgabenlast nur teilweise abgewälzt worden ist, dazu verpflichtet, den nicht
abgewälzten Betrag zu erstatten (vgl. u. a. Urteil Comateb u. a., Randnrn. 27 und 28).
95.
Da es sich bei dieser Ausnahme um die Beschränkung eines aus der Gemeinschaftsrechtsordnung
abgeleiteten subjektiven Rechts handelt, ist sie eng auszulegen; dabei ist namentlich zu
berücksichtigen, dass die Abwälzung einer Abgabe auf den Verbraucher nicht unbedingt die
wirtschaftlichen Auswirkungen der Besteuerung beim Abgabepflichtigen aufhebt.
96.
So hat der Gerichtshof in Randnummer 17 des Urteils Bianco und Girard u. a. festgestellt, dass
auch dann, wenn indirekte Abgaben nach nationalem Recht auf den Endverbraucher abgewälzt
werden sollen und im Handel gewöhnlich auch ganz oder zum Teil abgewälzt werden, nicht generell
davon ausgegangen werden kann, dass die Abgabe tatsächlich in jedem Falle abgewälzt wird. Denn
die tatsächliche völlige oder teilweise Abwälzung hängt bei jedem Geschäftsvorgang von mehreren
Faktoren ab, die ihn von anderen Fallkonstellationen unterscheiden. Somit ist die Frage der
Abwälzung oder Nichtabwälzung einer indirekten Abgabe in jedem Einzelfall eine Sachverhaltsfrage, die
in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts fällt, das in der Würdigung der ihm vorgelegten Beweise
frei ist.
97.
In Randnummer 20 des Urteils Bianco und Girard u. a. hat der Gerichtshof ausgeführt, dass es von
der Marktstruktur abhängt, wie wahrscheinlich eine Abwälzung ist. Da sich die zahlreichen Faktoren,
die die kaufmännische Strategie bestimmen, von Fall zu Fall ändern, ist es indessen praktisch
unmöglich, ihren jeweiligen tatsächlichen Einfluss auf die Abwälzung zu bestimmen.
98.
Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass die Erstattung von zu Unrecht erhobenen Abgaben
selbst dann, wenn sie nachweislich ganz oder teilweise auf Dritte abgewälzt wurden, nicht unbedingt
zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Abgabepflichtigen führt (vgl. Urteile Comateb u. a.,
Randnr. 29, und vom 21. September 2000 in den Rechtssachen C-441/98 und C-442/98, Michaïlidis,
Slg. 2000, I-7145, Randnr. 34).
99.
Selbst dann, wenn die Abgabe in vollem Umfang in den Preis eingeflossen ist, könnte dem
Abgabepflichtigen aus einem Absatzrückgang ein wirtschaftlicher Schaden entstehen (vgl. Urteile
Comateb u. a., Randnr. 29, und Michaïlidis, Randnr. 35).
100.
Vorliegen und Umfang der ungerechtfertigten Bereicherung, zu der die Erstattung einer
gemeinschaftsrechtswidrig erhobenen Abgabe bei einem Abgabepflichtigen führt, lassen sich daher
erst nach einer wirtschaftlichen Untersuchung feststellen, bei der alle maßgeblichen Umstände
berücksichtigt werden.
101.
Dementsprechend verbietet es das Gemeinschaftsrecht einem Mitgliedstaat, einem
Wirtschaftsteilnehmer die Erstattung einer gemeinschaftsrechtswidrig erhobenen Abgabe allein mit
der Begründung zu verweigern, dass diese in den von diesem Wirtschaftsteilnehmer geforderten
Einzelhandelsverkaufspreis eingeflossen und damit auf Dritte abgewälzt worden sei, so dass die
Erstattung der Abgabe zwangsläufig zu einer ungerechtfertigten Bereicherung dieses
Wirtschaftsteilnehmers führe.
102.
Im Ergebnis stehen somit die gemeinschaftsrechtlichen Regeln über die Erstattung rechtsgrundlos
gezahlter Beträge einer innerstaatlichen Regelung entgegen, die - was das nationale Gericht zu
prüfen hat - die Erstattung einer gemeinschaftsrechtswidrigen Abgabe allein deshalb versagt, weil
diese auf Dritte abgewälzt worden ist, ohne dass der Umfang der ungerechtfertigten Bereicherung
des Wirtschaftsteilnehmers festgestellt würde, zu der die Erstattung dieser Abgabe führen würde.
Zum Äquivalenz- und zum Effektivitätsprinzip
103.
Nach ständiger Rechtsprechung ist in Ermangelung einer Gemeinschaftsregelung über die
Erstattung zu Unrecht erhobener Abgaben die Ausgestaltung der für solche Erstattungsanträge
geltenden Verfahren Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Staaten, sofern diese
Verfahren nicht weniger günstig gestaltet sind als bei entsprechenden Situationen, die nur
innerstaatliches Recht betreffen (Äquivalenzprinzip), und sie die Ausübung der von der
Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig
erschweren (Effektivitätsprinzip) (vgl. u. a. Urteile Metallgesellschaft u. a., Randnr. 85, und vom 24.
September 2002 in der Rechtssache C-255/00, Grundig Italiana, Slg. 2002, I-8003, Randnr. 33).
- Das Äquivalenzprinzip
104.
Das Äquivalenzprinzip verbietet den Mitgliedstaaten, die Verfahren für auf das Gemeinschaftsrecht
gestützte Anträge auf Erstattung einer gemeinschaftsrechtswidrigen Abgabe weniger günstig zu
gestalten als für solche, die ausschließlich innerstaatliches Recht betreffen.
105.
Was des Näheren die WAO betrifft, so ergibt sich bereits aus dem Wortlaut ihres § 185 eine
Ausnahme für bestimmte auf innerstaatliches Recht gestützte Anträge auf Erstattung rechtsgrundlos
gezahlter Beträge.
106.
Nach § 185 Abs. 4 WAO ist § 185 Abs. 3 nämlich auf Personen, denen die Anlassfallwirkung
zukommt, nicht anzuwenden. Diese Bestimmung regelt jedoch nicht die Modalitäten oder
Voraussetzungen von Klagen auf Erstattung einer Abgabe, die zu Unrecht bei Klägern erhoben wurde,
die sich auf einen Präzedenzfall, nämlich ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs, berufen können, mit
dem eine innerstaatliche Abgabe für verfassungswidrig erklärt wurde.
107.
Das Äquivalenzprinzip steht der Anwendung innerstaatlicher Bestimmungen, die es den
Abgabepflichtigen ermöglichen, die Erstattung einer zu Unrecht erhobenen Steuer zu erwirken, nur
dann entgegen, wenn sie für Erstattungsanträge, die darauf gestützt sind, dass ein innerstaatliches
Gericht eine Verfassungswidrigkeit festgestellt hat, vorteilhaftere Bedingungen vorsehen als für
solche, mit denen im Anschluss an ein Urteil des Gerichtshofes die Erstattung einer
gemeinschaftsrechtswidrig erhobenen Abgabe verlangt wird.
108.
Da das Äquivalenzprinzip einer innerstaatlichen Regelung entgegensteht, nach der das Verfahren
für auf das Gemeinschaftsrecht gestützte Anträge auf Erstattung einer gemeinschaftsrechtswidrig
erhobenen Abgabe weniger günstig gestaltet ist als das für entsprechende Anträge, die auf
bestimmte innerstaatliche Bestimmungen gestützt sind, ist es im Ergebnis Sache des nationalen
Gerichts, aufgrund einer umfassenden Würdigung des nationalen Rechts festzustellen, ob tatsächlich
zum einen nur den Klägern, die eine auf innerstaatliches Verfassungsrecht gestützte Klage erheben,
die Anlassfallwirkung zukommt und ob zum anderen die Vorschriften über die Erstattung von für mit
dem innerstaatlichen Verfassungsrecht unvereinbar befundenen Abgaben günstiger sind als
diejenigen über die Erstattung von mit dem Gemeinschaftsrecht für unvereinbar befundenen
Abgaben.
- Das Effektivitätsprinzip
109.
Was die Beachtung des Effektivitätsprinzips angeht, so hat ein Wirtschaftsteilnehmer, der eine zu
Unrecht erhobene Abgabe entrichtet hat, grundsätzlich Anspruch auf deren Erstattung (vgl. u. a.
Urteil Comateb u. a., Randnr. 20). Die Abgabenbehörde darf die Erstattung einer solchen Abgabe nur
dann verweigern, wenn die Erstattung zu einer ungerechtfertigten Bereicherung bei diesem
Wirtschaftsteilnehmer führen würde.
110.
Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes geht klar hervor (vgl. u. a. Urteile San Giorgio, Randnr.
14, Dilexport, Randnrn. 48, 52 und 54, und Michaïlidis, Randnrn. 36 und 37), dass sich die Verwaltung
hierbei nicht auf den Nachweis der Abwälzung dieser Abgabe auf Dritte beschränken und allein
aufgrund dessen oder aufgrund des Umstands, dass nationales Recht die Einbeziehung dieser
Abgabe in den für die Verbraucher geltenden Verkaufspreis vorschreibt, vermuten darf, dass die
wirtschaftliche Belastung, die diese Abgabe für den Abgabepflichtigen bedeutet, ausgeglichen ist und
folglich eine Erstattung ohne weiteres zu dessen ungerechtfertigter Bereicherung führen würde.
111.
Außerdem wäre nach gleichfalls ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes nationales Recht,
das dem Abgabepflichtigen die Beweislast dafür auferlegen würde, dass die Abgabe nicht auf Dritte
abgewälzt wurde, was einen negativen Beweis erfordern würde, oder das eine Vermutung für die
Abwälzung der Abgabe auf Dritte aufstellte, mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar (vgl. u. a.
Urteile San Giorgio, Randnr. 14, Dilexport, Randnr. 54, und Michaïlidis, Randnrn. 36 bis 38).
112.
Dem vorlegenden Gericht zufolge enthält die WAO keine spezifische Beweislastregel zur Frage, ob
der Abgabepflichtige die Abgabe auf Dritte abgewälzt hat und die Erstattung der zu Unrecht
erhobenen Abgabe zu dessen ungerechtfertigter Bereicherung führen würde.
113.
Die Abgabenberufungskommission und die österreichische Regierung tragen zwar vor, dass die
Beweislast in vollem Umfang bei der innerstaatlichen Behörde liege. Aus dem Vorlagebeschluss geht
aber auch hervor, dass die Abgabenberufungskommission zu dem Ergebnis gelangt ist, dass die
Steuer auf alkoholische Getränke schlicht deswegen, weil der den Verbrauchern dieser Getränke in
Rechnung gestellte Preis diese Abgabe umfasste, wirtschaftlich nicht von den Beschwerdeführern
getragen worden sei. Das könnte eine Vermutung für die Abwälzung dieser Abgabe auf Dritte und für
eine ungerechtfertigte Bereicherung der Abgabepflichtigen darstellen, die die Erstattung der zu
Unrecht erhobenen Abgabe unmöglich machen oder zumindest übermäßig erschweren könnte und
damit gemeinschaftsrechtswidrig wäre.
114.
Es ist Sache des innerstaatlichen Gerichts, festzustellen, ob mangels gesetzlicher Vermutung die
Verwaltungspraxis eine solche Vermutung für eine ungerechtfertigte Bereicherung geschaffen hat.
115.
Da es sich um eine Selbstbemessungsabgabe handelt, kann ein Nachweis der tatsächlichen
Abwälzung auf Dritte nicht ohne die Mitwirkung des betroffenen Abgabepflichtigen geführt werden. Die
Abgabenbehörde kann daher Zugang zu den Belegen verlangen, zu deren Aufbewahrung der
Abgabenpflichtige nach innerstaatlichem Recht verpflichtet ist.
116.
Es ist ferner Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob die Pflicht des Abgabepflichtigen, an
dem Nachweis mitzuwirken, dass die wirtschaftliche Belastung durch die Steuer auf alkoholische
Getränke nicht abgewälzt worden ist, in der Praxis einer Vermutung für die Abwälzung dieser Abgabe
gleichkommt, die der Abgabepflichtige nur durch Erbringung des Gegenbeweises widerlegen kann.
117.
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das Effektivitätsprinzip, auf das in Randnummer 103 des
vorliegenden Urteils Bezug genommen wird, innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder einer
innerstaatlichen Verwaltungspraxis entgegensteht, die die Ausübung der durch die
Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte dadurch praktisch unmöglich machen oder
übermäßig erschweren, dass sie allein aufgrund der Abwälzung der Abgabe auf Dritte eine Vermutung
für eine ungerechtfertigte Bereicherung aufstellen.
118.
Auf die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage ist daher zu antworten, dass
- der Erlass einer Regelung wie der WAO durch einen Mitgliedstaat, durch die das Verfahren zur
Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge verschärft wird, um den möglichen Auswirkungen eines
Urteils des Gerichtshofes vorzubeugen, nach dem das Gemeinschaftsrecht der Beibehaltung einer
innerstaatlichen Abgabe entgegensteht, nur dann gegen das Gemeinschaftsrecht, nämlich gegen
Artikel 5 EG-Vertrag verstößt, wenn diese Regelung spezifisch diese Abgabe betrifft; es obliegt dem
nationalen Gericht, dies zu prüfen;
- die gemeinschaftsrechtlichen Regeln über die Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge einer
innerstaatlichen Regelung entgegenstehen, die - was das nationale Gericht zu prüfen hat - die
Erstattung einer gemeinschaftsrechtswidrigen Abgabe allein deshalb versagt, weil diese auf Dritte
abgewälzt worden ist, ohne dass der Umfang der ungerechtfertigten Bereicherung des
Abgabepflichtigen festgestellt würde, zu der die Erstattung dieser Abgabe führen würde;
- das Äquivalenzprinzip einer innerstaatlichen Regelung entgegensteht, nach der das Verfahren für
auf das Gemeinschaftsrecht gestützte Anträge auf Erstattung einer gemeinschaftsrechtswidrig
erhobenen Abgabe weniger günstig gestaltet ist als für entsprechende Anträge, die auf bestimmte
innerstaatliche Bestimmungen gestützt sind. Es ist Sache des nationalen Gerichts, aufgrund einer
umfassenden Würdigung des nationalen Rechts festzustellen, ob tatsächlich zum einen nur den
Klägern, die eine auf innerstaatliches Verfassungsrecht gestützte Klage erheben, die
Anlassfallwirkung zukommt und ob zum anderen die Vorschriften über die Erstattung von für mit dem
innerstaatlichen Verfassungsrecht unvereinbar befundenen Abgaben günstiger sind als diejenigen
über die Erstattung von mit dem Gemeinschaftsrecht für unvereinbar befundenen Abgaben;
- das Effektivitätsprinzip innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder einer innerstaatlichen
Verwaltungspraxis entgegensteht, die die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung
verliehenen Rechte dadurch praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren, dass sie allein
aufgrund der Abwälzung der Abgabe auf Dritte eine Vermutung für eine ungerechtfertigte
Bereicherung aufstellen.
Kosten
119.
Die Auslagen der österreichischen und der italienischen Regierung sowie der Kommission, die
Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht
anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. März 2001 vorgelegte Frage für Recht
erkannt:
1. Der Erlass einer Regelung wie der Wiener Abgabenordnung durch einen Mitgliedstaat,
durch die das Verfahren zur Erstattung rechtsgrundlos gezahlter Beträge verschärft wird,
um den möglichen Auswirkungen eines Urteils des Gerichtshofes vorzubeugen, nach dem
das Gemeinschaftsrecht der Beibehaltung einer innerstaatlichen Abgabe entgegensteht,
verstößt nur dann gegen dieses Recht, nämlich gegen Artikel 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10
EG), wenn diese Regelung spezifisch diese Abgabe betrifft; es obliegt dem nationalen
Gericht, dies zu prüfen.
2. Die gemeinschaftsrechtlichen Regeln über die Erstattung rechtsgrundlos gezahlter
Beträge stehen einer innerstaatlichen Regelung entgegen, die - was das nationale
Gericht zu prüfen hat - die Erstattung einer gemeinschaftsrechtswidrigen Abgabe allein
deshalb versagt, weil diese auf Dritte abgewälzt worden ist, ohne dass der Umfang der
ungerechtfertigten Bereicherung des Abgabepflichtigen festgestellt würde, zu der die
Erstattung dieser Abgabe führen würde.
3. Das Äquivalenzprinzip steht einer innerstaatlichen Regelung entgegen, nach der das
Verfahren für auf das Gemeinschaftsrecht gestützte Anträge auf Erstattung einer
gemeinschaftsrechtswidrig erhobenen Abgabe weniger günstig gestaltet ist als für
entsprechende Anträge, die auf bestimmte innerstaatliche Bestimmungen gestützt sind.
Es ist Sache des nationalen Gerichts, aufgrund einer umfassenden Würdigung des
nationalen Rechts festzustellen, ob tatsächlich zum einen nur den Klägern, die eine auf
innerstaatliches Verfassungsrecht gestützte Klage erheben, die Anlassfallwirkung
zukommt und ob zum anderen die Vorschriften über die Erstattung von für mit dem
innerstaatlichen Verfassungsrecht unvereinbar befundenen Abgaben günstiger sind als
diejenigen über die Erstattung von mit dem Gemeinschaftsrecht für unvereinbar
befundenen Abgaben.
4. Das Effektivitätsprinzip steht innerstaatlichen Rechtsvorschriften oder einer
innerstaatlichen Verwaltungspraxis entgegen, die die Ausübung der durch die
Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte dadurch praktisch unmöglich machen
oder übermäßig erschweren, dass sie allein aufgrund der Abwälzung der Abgabe auf
Dritte eine Vermutung für eine ungerechtfertigte Bereicherung aufstellen.
Wathelet
Timmermans
La Pergola
Jann
von Bahr
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. Oktober 2003.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
M. Wathelet
Verfahrenssprache: Deutsch.