Urteil des EuGH vom 13.04.2000

EuGH: schutz der gewässer, kommission, spanien, innerstaatliches recht, ausweisung, regierung, bekanntgabe, verunreinigung, luxemburg, vertragsverletzung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
13. April 2000
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 91/676/EWG“
In der Rechtssache C-274/98
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Fialho, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer
Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Klägerin,
gegen
Königreich Spanien
Zustellungsanschrift: Spanische Botschaft, 4-6, boulevard E. Servais, Luxemburg,
Beklagter,
wegen Feststellung, daß das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag
verstoßen hat, daß es keine Aktionsprogramme im Sinne von Artikel 5 der Richtlinie 91/676/EWG des Rates
vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigungen durch Nitrat aus
landwirtschaftlichen Quellen (ABl. L 375, S. 1; Berichtigung der spanischen Sprachfassung ABl. 1993, L 92, S.
51) festgelegt hat,
erläßt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida, der Richter R. Schintgen, G. Hirsch und
V. Skouris sowie der Richterin F. Macken (Berichterstatter),
Generalanwalt: G. Cosmas
Kanzler: R. Grass
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Januar 2000,
folgendes
Urteil
1.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 17. Juli 1998 bei der
Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage
erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem
EG-Vertrag verstoßen hat, daß es keine Aktionsprogramme im Sinne von Artikel 5 der Richtlinie
91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigungen durch
Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen (ABl. L 375, S. 1; Berichtigung der spanischen Sprachfassung
ABl. 1993, L 92, S. 51; im folgenden: Richtlinie) festgelegt hat.
2.
Die Richtlinie hat gemäß Artikel 1 zum Ziel, die durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen
verursachte oder ausgelöste Gewässerverunreinigung zu verringern und weiterer
Gewässerverunreinigung dieser Art vorzubeugen.
3.
Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie sieht vor, daß die Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren nach
Bekanntgabe der Richtlinie, die am 19. Dezember 1991 erfolgte, die gefährdeten Gebiete auszuweisen
haben.
4.
Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie bestimmt: „Zur Verwirklichung der in Artikel 1 genannten Ziele legen
die Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren nach der ersten Ausweisung der gefährdeten Gebiete
nach Artikel 3 Absatz 2 oder innerhalb eines Jahres nach jeder ergänzenden Ausweisung nach Artikel
3 Absatz 4 Aktionsprogramme für die als gefährdet ausgewiesenen Gebiete fest.“
5.
Artikel 10 der Richtlinie lautet:
„(1) Die Mitgliedstaaten legen der Kommission für den Vierjahreszeitraum nach Bekanntgabe dieser
Richtlinie und für jeden darauffolgenden Vierjahreszeitraum einen Bericht mit den in Anhang V
beschriebenen Informationen vor.
(2) Ein Bericht nach diesem Artikel wird der Kommission binnen sechs Monaten nach Ende des
Zeitraums vorgelegt, auf den er sich bezieht.“
6.
Das Real Decreto sobre protección de las aguas contra la contaminación producida por los nitratos
procedentes de fuentes agrarias (Königliches Dekret Nr. 261/1996 vom 16. Februar 1996 zum Schutz
der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen) setzt die Richtlinie in
die spanische Rechtsordnung um. Es bestimmt in Artikel 6, daß „die zuständigen Stellen der
Autonomen Gemeinschaften in den als gefährdet ausgewiesenen Gebieten Aktionsprogramme
festlegen, durch die Verunreinigungen durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen vermieden und
ggf. verringert werden sollen. Diese Aktionsprogramme werden innerhalb von zwei Jahren nach der
erstmaligen Ausweisung der gefährdeten Gebiete oder innerhalb von einem Jahr nach jeder
Vergrößerung oder Veränderung der Gebiete aufgestellt und in einem Zeitraum von vier Jahren nach
ihrer Aufstellung umgesetzt.“
7.
Mit Schreiben vom 4. April 1997 forderte die Kommission das Königreich Spanien auf, sich innerhalb
von zwei Monaten zu einer möglichen Verletzung mehrerer Verpflichtungen aus der Richtlinie -
insbesondere aus den Artikeln 5, 6 und 10 - zu äußern.
8.
Aufgrund der Antwort der spanischen Behörden vom 19. Juni 1997 stellte die Kommission fest, daß
die Verpflichtungen aus Artikel 6 der Richtlinie erfüllt waren.
9.
Am 21. November 1997 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme an das
Königreich Spanien, da dieses ihr nicht den in Artikel 10 derRichtlinie vorgesehen Bericht mit den in
Anhang V beschriebenen Informationen vorgelegt und keine Aktionsprogramme im Sinne von Artikel 5
festgelegt habe.
10.
Die spanische Regierung antwortete auf die mit Gründen versehene Stellungnahme und
übermittelte der Kommission ein Dokument mit dem Titel „Vierjahresbericht über die Anwendung der
Richtlinie 91/676/EWG zum Schutz der Gewässer vor Verunreinigung durch Nitrat aus
landwirtschaftlichen Quellen“.
11.
Die Kommission hat daher das Verfahren nur hinsichtlich der Nichterfüllung von Artikel 5 der
Richtlinie weitergeführt und wegen dieser Vertragsverletzung den Gerichtshof angerufen.
12.
Unter Hinweis auf die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus den Artikeln 5 und 189 Absatz 3 EG-
Vertrag (jetzt Artikel 10 EG und Artikel 249 Absatz 3 EG) vertritt die Kommission die Auffassung, das
Königreich Spanien hätte die zur Durchführung der Richtlinie erforderlichen Maßnahmen innerhalb der
festgesetzten Frist ergreifen und ihr mitteilen müssen.
13.
Die Kommission stellt fest, daß die gesetzten Fristen abgelaufen seien und daß das Königreich
Spanien keine innerstaatlichen Vorschriften erlassen habe, um den Verpflichtungen aus Artikel 5 der
Richtlinie in seiner Rechtsordnung nachzukommen.
14.
Gemäß Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie mußten die gefährdeten Zonen innerhalb von zwei Jahren
nach Bekanntgabe der Richtlinie ausgewiesen werden. Nach Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie hatten
die Mitgliedstaaten innerhalb von zwei Jahren nach der ersten Ausweisung gemäß Artikel 3 Absatz 2
der Richtlinie Aktionsprogramme für die als gefährdet ausgewiesenen Gebiete festzulegen. Da die
Richtlinie am 19. Dezember 1991 bekanntgegeben worden war, ist die Frist für die Aufstellung der
Aktionsprogramme nach Artikel 5 am 19. Dezember 1995 abgelaufen.
15.
Es ist unstreitig, daß das Königreich Spanien innerhalb der festgesetzten Frist keine
Aktionsprogramme im Sinne von Artikel 5 der Richtlinie festgelegt hat.
16.
Die spanische Regierung räumt zwar ein, daß sie die Verpflichtung aus Artikel 12 der Richtlinie in
bezug auf die Frist für den Erlaß der Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich seien, um
der Richtlinie nachzukommen, nicht erfüllt habe; sie bringt jedoch zu ihrer Verteidigung vor, daß es
nicht möglich gewesen sei, gleichzeitig das zur Umsetzung erforderliche Real Decreto in Kraft zu
setzen, in dem die gefährdeten Gebiete ausgewiesen würden, und im Anschluß daran die
Aktionsprogramme festzulegen. Da die Umsetzung der Richtlinie in das spanische Recht erst im März
1996 erfolgt sei, könnten die Programme nach Artikel 5 der Richtlinie kaum innerhalb der dort
vorgesehenen Frist aufgestellt werden.
17.
Hierzu ist lediglich festzustellen, daß die Kommission dadurch, daß sie ihre Klage auch auf eine
andere Bestimmung der Richtlinie hätte stützen können, nicht daran gehindertist, sich auf die
Nichteinhaltung von Artikel 5 zu berufen, die sich aus dem Fehlen der dort vorgesehenen Programme
ergibt.
18.
Die spanische Regierung führt weiter aus, daß die Pflicht zur Ausweisung der gefährdeten Gebiete
die Autonomen Gemeinschaften treffe, da nach Artikel 4 des Real Decreto Nr. 261/1996 die
Ausweisung in deren Zuständigkeit falle. Sie weist darauf hin, daß die Autonomen Gemeinschaften
Andalucía, Aragón, Baleares, Canarias, Castilla-La Mancha, Castilla y León, Cataluña, Valencia und País
Vasco die gefährdeten Gebiete ausgewiesen hätten und daß alle anderen Autonomen
Gemeinschaften - Asturias, Cantabria, Extremadura, Galicia, La Rioja, Madrid, Murcia und Navarra -
erklärt hätten, es gebe in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet keine gefährdeten Gebiete. In den
Autonomen Gemeinschaften, die gefährdete Gebiete ausgewiesen hätten, sei die Aufstellung von
Aktionsprogrammen nach Artikel 5 der Richtlinie noch im Gange.
19.
Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Mitgliedstaat nicht auf Bestimmungen, Übungen
oder Umstände seiner internen Rechtsordnung berufen, um die Nichteinhaltung der in einer Richtlinie
festgelegten Verpflichtungen und Fristen zu rechtfertigen (vgl. insbesondere Urteil vom 12. Februar
1998 in der Rechtssache C-144/97, Kommission/Frankreich, Slg. 1998, I-613, Randnr. 8).
20.
Daraus folgt, daß weder die Zuständigkeitsverteilung zwischen dem Staat und den Autonomen
Gemeinschaften noch die Pflicht zur Befolgung der Vorgaben der nationalen Regelung, mit der die
Richtlinie in innerstaatliches Recht umgesetzt wurde, die Verletzung der Verpflichtungen aus der
Richtlinie rechtfertigen kann.
21.
Die spanische Regierung macht schließlich geltend, die Kommission hätte in ihrer Klage auf die
verspätete Umsetzung der Richtlinie in die spanische Rechtsordnung abstellen müssen. Da die
Kommission ihre Klage nicht auf die fehlende rechtzeitige Umsetzung der Richtlinie in die spanische
Rechtsordnung gestützt habe, sei die Erhebung mehrerer aufeinanderfolgender Klagen wegen der
Nichteinhaltung des in der Richtlinie vorgesehenen Zeitplans sinnlos.
22.
Ein Mitgliedstaat kann sich jedoch nicht auf die verspätete Umsetzung einer Richtlinie berufen, um
die Nichteinhaltung oder die verspätete Befolgung anderer Verpflichtungen aus der Richtlinie zu
rechtfertigen (vgl. Urteil vom 11. August 1995 in der Rechtssache C-431/92, Kommission/Deutschland,
Slg. 1995, I-2189, Randnr. 23).
23.
Daraus ergibt sich, daß die verspätete Umsetzung der Richtlinie durch das Königreich Spanien
keinesfalls die Verletzung der Verpflichtungen aus Artikel 5 der Richtlinie rechtfertigt.
24.
Da innerhalb der festgesetzten Frist keine Aktionsprogramme nach Artikel 5 der Richtlinie
festgelegt wurden, ist die Klage der Kommission als begründet anzusehen.
25.
Daher ist festzustellen, daß das Königreich Spanien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der
Richtlinie verstoßen hat, daß es keine Aktionsprogramme im Sinne von Artikel 5 der Richtlinie
festgelegt hat.
Kosten
26.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Spanien mit seinem Vorbringen unterlegen ist und die
Kommission einen entsprechenden Antrag gestellt hat, sind dem Königreich Spanien die Kosten
aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Königreich Spanien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie
91/676/EWG des Rates vom 12. Dezember 1991 zum Schutz der Gewässer vor
Verunreinigung durch Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen verstoßen, daß es keine
Aktionsprogramme im Sinne von Artikel 5 dieser Richtlinie festgelegt hat.
2. Das Königreich Spanien trägt die Kosten des Verfahrens.
Moitinho de Almeida
Schintgen
Hirsch
Skouris Macken
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. April 2000.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
J. C. Moitinho de Almeida
Verfahrenssprache: Spanisch.