Urteil des EuGH vom 30.03.2006

EuGH: ausübung der option, immobilie, vorsteuerabzug, vermietung, verpachtung, regierung, mitgliedstaat, dienstleistung, unentgeltliche zuwendung, guter glaube

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)
30. März 2006)
„Mehrwertsteuer – Vorsteuerabzug – Investitionsgüter – Immobilien – Berichtigung des
Vorsteuerabzugs“
In der Rechtssache C-184/04
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Korkein hallinto-
oikeus (Finnland) mit Entscheidung vom 16. April 2004, beim Gerichtshof eingegangen am 19. April
2004, in dem auf Antrag von
Uudenkaupungin kaupunki
eingeleiteten Verfahren
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann, des Richters K. Schiemann (Berichterstatter), der
Richterin N. Colneric sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues und E. Levits,
Generalanwältin: C. Stix-Hackl,
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 22. Juni 2005,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– von Uudenkaupungin kaupunki, vertreten durch M. Pikkujämsä, asianajaja,
– der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä und E. Bygglin als Bevollmächtigte,
– der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von
P. Gentili, avvocato dello Stato,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch L. Ström van Lier und
I. Koskinen als Bevollmächtigte,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 15. September 2005
folgendes
Urteil
1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Artikel 13 Teil C Absatz 2, 17 Absatz 6
Unterabsatz 2 und 20 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der
durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 (ABl. L 102, S. 18) geänderten Fassung (im
Folgenden: Sechste Richtlinie).
2 Es betrifft im Wesentlichen die Frage, ob im Licht der Sechsten Richtlinie eine Berichtigung des
Vorsteuerabzugs bei Investitionsgütern in einem Fall zu gewähren ist, in dem eine Immobilie zunächst
einer steuerfreien Tätigkeit, später aber einer steuerpflichtigen Tätigkeit zugeordnet wird, wenn die
Option im Sinne von Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie ausgeübt worden ist.
3 Das Vorabentscheidungsersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsmittels von Uudenkaupungin
kaupunki (Stadt Uusikaupunki) gegen eine Entscheidung des Helsingin hallinto‑oikeus
(Verwaltungsgericht Helsinki), mit der dieses die Klage der Stadt Uusikaupunki gegen zwei
Entscheidungen des Lounais‑Suomen verovirasto (regionale Steuerbehörde Südwestfinnland) über
ihre Anträge auf Berichtigung des Vorsteuerabzugs und Erstattung der Mehrwertsteuer abgewiesen
hat.
Rechtlicher Rahmen
4 Artikel 5 Absätze 6 und 7 der Sechsten Richtlinie lautet:
„(6) Einer Lieferung gegen Entgelt gleichgestellt wird die Entnahme eines Gegenstands durch
einen Steuerpflichtigen aus seinem Unternehmen für seinen privaten Bedarf, für den Bedarf seines
Personals oder als unentgeltliche Zuwendung oder allgemein für unternehmensfremde Zwecke, wenn
dieser Gegenstand oder seine Bestandteile zu einem vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer
berechtigt haben. Jedoch fallen Entnahmen für Geschenke von geringem Wert und für Warenmuster zu
Zwecken des Unternehmens nicht darunter.
(7) Die Mitgliedstaaten können einer Lieferung gegen Entgelt gleichstellen:
a) die Zuordnung eines im Rahmen seines Unternehmens hergestellten, gewonnenen, be- oder
verarbeiteten, gekauften oder eingeführten Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen für
Zwecke seines Unternehmens, falls ihn der Erwerb eines solchen Gegenstands von einem
anderen Steuerpflichtigen nicht zum vollen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigen würde;
b) die Zuordnung eines Gegenstands durch einen Steuerpflichtigen zu einem nicht besteuerten
Tätigkeitsbereich, wenn dieser Gegenstand bei seiner Anschaffung oder seiner Zuordnung nach
Buchstabe a) zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hat;
c) mit Ausnahme der in Absatz 8 bezeichneten Fälle der Besitz von Gegenständen durch einen
Steuerpflichtigen oder dessen Rechtsnachfolger bei Aufgabe seiner der Steuer unterliegenden
wirtschaftlichen Tätigkeit, wenn diese Gegenstände bei ihrer Anschaffung oder bei ihrer
Zuordnung nach Buchstabe a) zum vollen oder teilweisen Vorsteuerabzug berechtigt haben.“
5 Artikel 6 Absätze 2 und 3 der Richtlinie bestimmt:
„(2) Dienstleistungen gegen Entgelt werden gleichgestellt:
a) die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstands für den privaten Bedarf
des Steuerpflichtigen, für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde
Zwecke, wenn dieser Gegenstand zum vollen oder teilweisen Abzug der Mehrwertsteuer
berechtigt hat;
b) die unentgeltliche Erbringung von Dienstleistungen durch den Steuerpflichtigen für seinen
privaten Bedarf oder für den Bedarf seines Personals oder allgemein für unternehmensfremde
Zwecke.
Die Mitgliedstaaten können Abweichungen von diesem Absatz vorsehen, sofern solche Abweichungen
nicht zu Wettbewerbsverzerrungen führen.
(3) Um Wettbewerbsverzerrungen vorzubeugen, können die Mitgliedstaaten vorbehaltlich der
Konsultation nach Artikel 29 auch die Durchführung einer Dienstleistung durch einen Steuerpflichtigen
für das eigene Unternehmen in den Fällen einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichstellen, in denen
die Durchführung einer derartigen Dienstleistung durch einen anderen Steuerpflichtigen ihn nicht zum
vollen Abzug der Mehrwertsteuer berechtigt hätte.“
6 Nach Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie befreien die Mitgliedstaaten die Vermietung
und Verpachtung von Immobilien von der Mehrwertsteuer. Nach Artikel 13 Teil C der Richtlinie können
die Mitgliedstaaten ihren Steuerpflichtigen das Recht einräumen, für eine Besteuerung der Vermietung
und Verpachtung von Immobilien zu optieren. Nach Artikel 13 Teil C Unterabsatz 2 können die
Mitgliedstaaten jedoch den Umfang des Optionsrechts einschränken und die Modalitäten seiner
Ausübung bestimmen.
7 Artikel 17 der Sechsten Richtlinie, „Entstehung und Umfang des Rechts auf Vorsteuerabzug“,
bestimmt:
„(1) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer
entsteht.
(2) Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze
verwendet werden, ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende
Beträge abzuziehen:
a) die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und
Dienstleistungen, die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert
werden bzw. erbracht wurden oder erbracht werden;
(6) Der Rat legt auf Vorschlag der Kommission vor Ablauf eines Zeitraums von vier Jahren nach dem
Inkrafttreten dieser Richtlinie einstimmig fest, bei welchen Ausgaben die Mehrwertsteuer nicht
abziehbar ist. Auf jeden Fall werden diejenigen Ausgaben vom Vorsteuerabzugsrecht ausgeschlossen,
die keinen streng geschäftlichen Charakter haben, wie Luxusausgaben, Ausgaben für Vergnügungen
und Repräsentationsaufwendungen.
Bis zum Inkrafttreten der vorstehend bezeichneten Bestimmungen können die Mitgliedstaaten alle
Ausschlüsse beibehalten, die in den in ihren zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie
bestehenden innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehen sind.“
8 Bis heute wurden die in Artikel 17 Absatz 6 Unterabsatz 1 der Sechsten Richtlinie vorgesehenen
Gemeinschaftsbestimmungen in Ermangelung von Einigkeit im Rat darüber, für welche Ausgaben ein
Ausschluss vom Vorsteuerabzugsrecht vorgesehen werden kann, noch nicht erlassen.
9 Artikel 18 Absätze 1 und 2 der Sechsten Richtlinie stellt bestimmte Anforderungen in Bezug auf die
Einzelheiten der Ausübung des Abzugsrechts auf. So legen nach Artikel 18 Absatz 3 die
Mitgliedstaaten die Bedingungen und Einzelheiten fest, nach denen einem Steuerpflichtigen gestattet
werden kann, einen Abzug vorzunehmen, den er nach den Absätzen 1 und 2 nicht vorgenommen hat.
10 Artikel 20 „Berichtigung der Vorsteuerabzüge“ der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„(1) Der ursprüngliche Vorsteuerabzug wird nach den von den Mitgliedstaaten festgelegten
Einzelheiten berichtigt, und zwar insbesondere:
a) wenn der Vorsteuerabzug höher oder niedriger ist als der, zu dessen Vornahme der
Steuerpflichtige berechtigt war;
b) wenn sich die Faktoren, die bei der Festsetzung des Vorsteuerabzugsbetrags berücksichtigt
werden, nach Abgabe der Erklärung geändert haben, insbesondere bei rückgängig gemachten
Käufen oder erlangten Rabatten; die Berichtigung unterbleibt jedoch bei Umsätzen, bei denen
keine oder eine nicht vollständige Zahlung geleistet wurde, bei einer Zerstörung oder einem
ordnungsgemäß nachgewiesenen oder belegten Verlust oder Diebstahl sowie bei Entnahmen für
Geschenke von geringem Wert und Muster nach Artikel 5 Absatz 6. Bei Umsätzen, bei denen
keine oder eine nicht vollständige Zahlung erfolgt, und bei Diebstahl können die Mitgliedstaaten
jedoch eine Berichtigung verlangen.
(2) Für Investitionsgüter wird eine Berichtigung vorgenommen, die sich auf einen Zeitraum von fünf
Jahren einschließlich des Jahres, in dem die Güter erworben oder hergestellt wurden, erstreckt. Die
jährliche Berichtigung betrifft nur ein Fünftel der Steuer, mit der diese Güter belastet waren. Die
Berichtigung erfolgt unter Berücksichtigung der Änderungen des Anspruchs auf Vorsteuerabzug in den
folgenden Jahren gegenüber dem Anspruch für das Jahr, in dem die Güter erworben oder hergestellt
wurden.
Abweichend von Absatz 1 können die Mitgliedstaaten für die Berichtigung einen Zeitraum von fünf
vollen Jahren festlegen, der mit der erstmaligen Verwendung der Güter beginnt.
Bei Immobilien, die als Investitionsgüter erworben wurden, kann der Zeitraum für die Berichtigung bis
auf 20 Jahre verlängert werden.
(4) Zur Durchführung der Absätze 2 und 3 können die Mitgliedstaaten
– den Begriff Investitionsgüter bestimmen;
– den Steuerbetrag festlegen, der bei der Berichtigung zu berücksichtigen ist;
– alle zweckdienlichen Vorkehrungen treffen, um zu gewährleisten, dass keine ungerechtfertigten
Vorteile aus der Berichtigung entstehen;
– verwaltungsmäßige Vereinfachungen ermöglichen.
(5) Wenn in einem Mitgliedstaat die praktischen Auswirkungen der Anwendung der Absätze 2 und 3
unwesentlich sein sollten, kann dieser Mitgliedstaat vorbehaltlich der Konsultation nach Artikel 29 im
Hinblick auf die gesamten steuerlichen Auswirkungen in dem betreffenden Mitgliedstaat und die
Vermeidung überflüssiger Verwaltungsarbeiten auf die Anwendung dieser Absätze verzichten,
vorausgesetzt, dass dies nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führt.
...“
11 Durch Artikel 29 der Sechsten Richtlinie wurde ein „Beratender Ausschuss für die Mehrwertsteuer“
eingesetzt, der sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten und der Kommission zusammensetzt und
berechtigt ist, Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung der Gemeinschaftsregelung im Bereich
der Mehrwertsteuer zu prüfen.
12 Die Regelung der steuerlichen Behandlung der Verpachtung und Vermietung von Immobilien ist in den
Artikeln 27 bis 30 des Mehrwertsteuergesetzes (arvonlisäverolaki, Gesetz Nr. 1501 vom 30. Dezember
1993, im Folgenden: AVL) enthalten. Nach Artikel 27 Absatz 1 AVL ist die Verpachtung und Vermietung
von Immobilien von der Mehrwertsteuer befreit. Artikel 30 Absatz 1 AVL gewährt den Steuerpflichtigen
das Recht der Option für die Besteuerung der Vermietung und Verpachtung von Immobilien unter der
Voraussetzung, dass die Immobilie vom Staat oder ständig für Tätigkeiten genutzt wird, die den
Anspruch auf Vorsteuerabzug eröffnen, also im Rahmen von steuerpflichtigen Tätigkeiten.
13 Nach Artikel 33 AVL wird eine Dienstleistung in Form von Arbeiten im Rahmen eines Neubaus oder der
Renovierung einer Immobilie als Lieferung für eigene Zwecke betrachtet, auch wenn der
Wirtschaftsteilnehmer die Immobilie verkauft oder sie für eine Tätigkeit verwendet, die ihm keinen
Anspruch auf Vorsteuerabzug eröffnet, wenn die Erbringung der Dienstleistung oder der Erwerb der
Immobilie zum Vorsteuerabzug geführt hat oder die Dienstleistung selbst im Rahmen einer Tätigkeit
erbracht wurde, die einen Abzugsanspruch eröffnet.
14 Die Bestimmungen über das Abzugsrecht sind Gegenstand der Artikel 102 bis 118 AVL. Nach Artikel
102 Absatz 1 Unterabsatz 1 dieses Gesetzes, der den allgemeinen Abzugsanspruch regelt, kann der
Steuerpflichtige im Rahmen einer steuerpflichtigen Tätigkeit die Steuer abziehen, mit der ein von
einem anderen Steuerpflichtigen erworbener Gegenstand oder eine solche Dienstleistung belastet ist.
Nach Artikel 106 AVL, der die Abzüge im Rahmen von Baudienstleistungen regelt, kann der Eigentümer
einer Immobilie, der seine Behandlung als Steuerpflichtiger nach Artikel 30 dieses Gesetzes beantragt
hat, grundsätzlich den Abzug im Sinne von Artikel 102 dieses Gesetzes für die Dienstleistungen oder
Gegenstände vornehmen, die er für die Zwecke der steuerpflichtigen Vermietung oder Verpachtung
dieser Immobilie erworben hat.
15 Der Abzug der für Immobilieninvestitionen entrichteten Mehrwertsteuer, die vor der Ausübung der
Option für die Steuerpflicht getätigt worden sind, ist jedoch nur dann möglich, wenn diese Option
binnen sechs Monaten ab Ingebrauchnahme der betreffenden Immobilie ausgeübt worden ist. Das AVL
erlaubt nicht die Aufhebung oder Berichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen, wenn es sich um
Abzüge in Bezug auf eine Renovierung, einen Neubau oder den Erwerb einer Immobilie handelt, sofern
der Antrag auf Behandlung als steuerpflichtig nach Ablauf der erwähnten Frist gestellt wird, wenn die
Immobilie ursprünglich im Rahmen einer von der Mehrwertsteuer befreiten Tätigkeit in Gebrauch
genommen wurde, bevor sie einer steuerpflichtigen Tätigkeit zugeordnet wurde.
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen
16 Die Stadt Uusikaupunki renovierte eine Immobilie, deren Eigentümerin sie ist, und vermietete einige
Räume in dieser Immobilie ab dem 1. Juni 1995 an den finnischen Staat und die übrigen Räume ab dem
1. September 1995. Ferner vermietete sie ab dem 31. August 1995 eine Gewerbehalle, die sie
errichtet hatte, an ein mehrwertsteuerpflichtiges Unternehmen. Die Kosten dieser beiden Vorhaben
umfassten einen Mehrwertsteuerbetrag von 2 206 224 FIM.
17 Am 4. April 1996 beantragte die Stadt Uusikaupunki gemäß Artikel 30 AVL beim Turun
lääninverovirasto (regionale Steuerbehörde Turku), für die Vermietung der beiden im
Ausgangsverfahren in Rede stehenden Immobilien als mehrwertsteuerpflichtig behandelt zu werden.
Die Steuerverwaltung gab diesem Antrag für die Zeit ab dessen Einreichung statt, da er nicht
innerhalb von sechs Monaten ab Ingebrauchnahme der Immobilie im Sinne von Artikel 106 AVL gestellt
worden war.
18 Mit zwei Anträgen vom 8. September 1998 und vom 30. März 2000 beantragte die Stadt Uusikaupunki,
gestützt auf Artikel 20 der Sechsten Richtlinie, beim Lounais‑Suomen verovirasto die Berichtigung der
Steuerabzüge und die Erstattung eines Teils der im Rahmen der Bau‑ und Renovierungsarbeiten in den
Jahren 1996 bis 1999 entrichteten Mehrwertsteuer. Der geforderte Betrag belief sich auf
1 651 653 FIM zuzüglich der gesetzlichen Zinsen.
19 Das Lounais‑Suomen verovirasto lehnte diese Anträge mit Entscheidungen vom 3. Mai 2000 mit der
Begründung ab, dass ein Abzug der im Rahmen der Bau‑ und Renovierungsarbeiten entrichteten
Mehrwertsteuer gemäß Artikel 106 AVL nur möglich gewesen wäre, wenn die Option für die Behandlung
als steuerpflichtig binnen sechs Monaten ab Ingebrauchnahme der Immobilien ausgeübt worden wäre.
20 Die Stadt Uusikaupunki erhob beim Helsingin hallinto‑oikeus eine Klage auf Aufhebung dieser
Entscheidungen, die abgewiesen wurde. Die Klägerin legte daraufhin gegen dieses Urteil Rechtsmittel
beim Korkein hallinto‑oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) ein.
21 Das Korkein hallinto-oikeus wirft die Frage auf, ob die Voraussetzungen, von denen das AVL den
Vorsteuerabzugsanspruch abhängig macht, gegen die Sechste Richtlinie verstoßen, da es nach
finnischem Recht unmöglich sei, den Vorsteuerabzug im Rahmen der Vermietung oder Verpachtung
einer Immobilie zu berichtigen, wenn die Immobilie ursprünglich im Rahmen einer von der
Mehrwertsteuer befreiten Tätigkeit in Gebrauch genommen worden sei, bevor sie einer
steuerpflichtigen Tätigkeit zugeordnet worden sei, sofern der Antrag auf Behandlung der Vermietung
oder Verpachtung als steuerpflichtig nicht binnen sechs Monaten nach Ingebrauchnahme der
Immobilie gestellt worden sei.
22 Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts wurde die Stadt Uusikaupunki im Rahmen der
Erwerbsvorgänge für die Renovierung und den Neubau als Steuerpflichtiger tätig, und diese
Erwerbsvorgänge wurden für die Zwecke einer wirtschaftlichen Tätigkeit der Rechtsmittelführerin
durchgeführt.
23 Daher hat das Korkein hallinto-oikeus das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden
Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Artikel 20 der Richtlinie 77/388/EWG dahin auszulegen, dass diese Bestimmung die
Mitgliedstaaten verpflichtet, eine Berichtigung der Abzüge bei Investitionsgütern vorzusehen,
sofern sich aus Absatz 5 dieses Artikels nichts anderes ergibt?
2. Ist Artikel 20 der Richtlinie dahin auszulegen, dass nach dieser Bestimmung Abzüge auch dann
berichtigt werden müssen, wenn das Investitionsgut, im vorliegenden Fall eine Immobilie, zuerst
im Rahmen einer steuerfreien Tätigkeit, bei der ursprünglich kein Recht auf Vorsteuerabzug
besteht, und später im Rahmen einer steuerpflichtigen Tätigkeit verwendet wird?
3. Kann Artikel 13 Teil C Absatz 2 der Richtlinie dahin ausgelegt werden, dass ein Mitgliedstaat das
Abzugsrecht bei einem Erwerb in Zusammenhang mit Immobilieninvestitionen wie nach dem
finnischen Mehrwertsteuergesetz beschränken kann, wobei dieses Recht in einem Fall wie dem
vorliegenden völlig ausgeschlossen wird?
4. Kann Artikel 17 Absatz 6 Unterabsatz 2 der Richtlinie dahin ausgelegt werden, dass ein
Mitgliedstaat das Abzugsrecht bei einem Erwerb in Zusammenhang mit Immobilieninvestitionen
wie nach dem finnischen Mehrwertsteuergesetz beschränken kann, wobei dieses Recht in einem
Fall wie dem vorliegenden völlig ausgeschlossen wird?
Zur ersten Frage
24 Vorab ist daran zu erinnern, dass nach der Logik des durch die Sechste Richtlinie eingeführten
Systems die Steuern, mit denen auf der Vorstufe die Gegenstände oder Dienstleistungen belastet
waren, die ein Steuerpflichtiger für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, abgezogen
werden können. Der Vorsteuerabzug ist an die Erhebung der Steuern auf der folgenden Stufe
geknüpft. Werden die von einem Steuerpflichtigen erworbenen Gegenstände oder Dienstleistungen für
die Zwecke steuerbefreiter Umsätze oder solcher Umsätze verwendet, die nicht vom
Anwendungsbereich der Mehrwertsteuer erfasst werden, so kann es weder zur Erhebung der Steuer
auf der folgenden Stufe noch zum Abzug der Vorsteuer kommen. Soweit jedoch die Gegenstände oder
Dienstleistungen auf der folgenden Stufe für die Zwecke besteuerter Umsätze verwendet werden, ist
ein Abzug der Steuern, mit der sie auf der Vorstufe belastet waren, geboten, um eine
Doppelbesteuerung zu vermeiden.
25 Die Frist für die Berichtigung der Vorsteuerabzüge gemäß Artikel 20 der Sechsten Richtlinie erlaubt
es, Unrichtigkeiten bei der Berechnung der Abzüge und Vorteile oder ungerechtfertigte Nachteile für
den Steuerpflichtigen zu vermeiden, etwa wenn nach Abgabe der Steuererklärung Änderungen der
ursprünglich für die Festlegung des Abzugsbetrags berücksichtigten Umstände eintreten. Die
Wahrscheinlichkeit solcher Änderungen ist besonders groß bei Investitionsgütern, die oft über
mehrere Jahre verwendet werden, während deren sich ihre Zuordnung ändern kann. Die Sechste
Richtlinie sieht daher einen Berichtigungszeitraum von fünf Jahren – bei Immobilien auf bis zu zwanzig
Jahre verlängerbar – vor, während dessen unterschiedliche Abzüge aufeinander folgen können.
26 Die Regelung für die Berichtigung der Abzüge ist ein wesentlicher Bestandteil des durch die Sechste
Richtlinie eingeführten Systems, indem sie die Richtigkeit der Abzüge und damit die Neutralität der
steuerlichen Belastung sichern soll. Artikel 20 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie, der Investitionsgüter
betrifft, um die es im Ausgangsverfahren geht, ist im Übrigen so abgefasst, dass kein Zweifel an
seinem zwingenden Charakter besteht.
27 Nach ständiger Rechtsprechung sind Ausnahmen nur in den in der Sechsten Richtlinie ausdrücklich
vorgesehen Fällen zulässig, da Einschränkungen des Abzugsrechts und damit Berichtigungen der
Abzüge in allen Mitgliedstaaten in gleicher Weise gelten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Juli
1991 in der Rechtssache C‑97/90, Lennartz, Slg. 1991, I-3795, Randnr. 27). Der Umstand, dass Artikel
20 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie sehr genaue Voraussetzungen vorsieht, die erfüllt sein müssen,
damit ein Mitgliedstaat ausnahmsweise auf die Anwendung von Artikel 20 Absatz 2 verzichten kann,
bestätigt den zwingenden Charakter der letztgenannten Bestimmung. Die finnische Regierung und die
Kommission haben in der mündlichen Verhandlung unterschiedliche Ansichten zu der Frage geäußert,
ob der mit Artikel 29 der Sechsten Richtlinie eingesetzte Ausschuss hätte angerufen werden müssen,
wie dies Artikel 20 Absatz 5 der Richtlinie vorsieht, und wie das Ergebnis dieser Anrufung ausgefallen
wäre. Mit den vom nationalen Gericht vorgelegten Fragen soll jedoch offensichtlich nicht geprüft
werden, ob die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Ausnahmebestimmung im vorliegenden Fall
erfüllt sind.
28 Zum Vorbringen der finnischen Regierung, Artikel 20 Absatz 4 der Sechsten Richtlinie ermächtige die
Mitgliedstaaten, den Begriff „Investitionsgüter“ zu definieren, und die Erbringung von
Baudienstleistungen sei nicht notwendigerweise in diesen Begriff einzubeziehen, genügt die
Feststellung, dass, wie diese Regierung einräumt, das finnische Recht keine Bestimmung dieses
Begriffes enthält, da das in Artikel 20 Absätze 2 bis 5 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Verfahren
nicht in das finnische Recht umgesetzt wurde. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes kann ein
Mitgliedstaat, der seine Verpflichtung verletzt hat, Bestimmungen einer Richtlinie in seine
innerstaatliche Rechtsordnung umzusetzen, den Gemeinschaftsbürgern die Beschränkungen, die sich
aus diesen Bestimmungen ergeben, nicht entgegenhalten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19.
November 1991 in den Rechtssachen C‑6/90 und C‑9/90, Francovich u. a., Slg. 1991, I‑5357, Randnr.
21, und vom 14. Juli 2005 in der Rechtssache C‑142/04, Aslanidou, Slg. 2005, I‑0000, Randnr. 35).
29 Ferner stellt entgegen dem Vorbringen der finnischen Regierung die Berichtigung der
Vorsteuerabzüge gemäß Artikel 20 der Sechsten Richtlinie keine bloße Alternative zur Anwendung der
Artikel 5 Absatz 6 und 6 Absatz 2 der Richtlinie dar, die die Besteuerung von Entnahmen und der
Verwendung von Dienstleistungen durch einen Steuerpflichtigen für seine privaten Zwecke betrifft,
und die Mitgliedstaaten können daher nicht zwischen der Umsetzung des Berichtigungsmechanismus
und der des Mechanismus der Steuerpflichtigkeit von Entnahmen für private Bedürfnisse wählen, da
beide zwingend sind.
30 Obgleich sowohl Artikel 20 als auch die Artikel 5 und 6 ihrem Wortlaut nach grundsätzlich Anwendung
auf einen Sachverhalt finden können, bei dem ein Gegenstand, dessen Verwendung zum
Vorsteuerabzug berechtigt, später einer Verwendung zugeordnet wird, die kein Abzugsrecht eröffnet,
und obwohl diese beiden Mechanismen die gleiche wirtschaftliche Wirkung haben (vgl. in diesem Sinne
Urteil vom 29. April 2004 in den Rechtssachen C‑487/01 und C‑7/02, Gemeente Leusden und Holin
Groep, Slg. 2004, I-5337, Randnr. 90), gilt dies nicht für den – hier gegebenen – umgekehrten
Sachverhalt, bei dem ein Gegenstand, dessen Verwendung kein Abzugsrecht eröffnet, später einer
Verwendung zugeordnet wird, die ein solches Recht eröffnet. Denn ein Recht auf Berichtigung der
Abzüge zugunsten des Steuerpflichtigen, um den es im letztgenannten Sachverhalt geht, kann nur auf
Artikel 20 der Sechsten Richtlinie und nicht auf deren Artikel 5 und 6 gestützt werden. In solchen
Fällen ist die Anwendung von Artikel 20 der Richtlinie daher unerlässlich, unabhängig davon, ob die
Artikel 5 und 6 der Sechsten Richtlinie im nationalen Recht angewandt werden.
31 Auch in Bezug auf die Sachverhalte, bei denen ein Gegenstand, der nach einer zum Abzug
berechtigenden Verwendung einer Verwendung zugeordnet wird, die kein solches Recht eröffnet, und
bei denen daher die Gefahr einer Überlappung dieser Bestimmungen besteht, ergibt sich entgegen
dem Vorbringen der finnischen Regierung kein Widerspruch, der es rechtfertigen könnte, das
Verfahren zur Berichtigung der Abzüge gemäß Artikel 20 der Sechsten Richtlinie nicht durchzuführen.
32 In der mündlichen Verhandlung hat die finnische Regierung als Beispiel den Fall einer Immobilie
angeführt, die, nachdem sie für steuerpflichtige Tätigkeiten erworben worden war, ein Jahr nach ihrem
Erwerb einer steuerbefreiten Tätigkeit für die folgenden vier Jahre zugeordnet wird. Grundsätzlich sind
nach Ansicht der finnischen Regierung sowohl Artikel 20 der Sechsten Richtlinie als auch deren Artikel
5 Absatz 6 und 6 Absatz 2 auf einen solchen Sachverhalt anwendbar, doch würde die Anwendung
dieser Artikel zu unterschiedlichen und nicht miteinander vereinbaren Ergebnissen führen. Gemäß
Artikel 20 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie habe eine Berichtigung des Abzugs der Vorsteuer, mit der
der Kaufpreis belastet gewesen sei, ab dem zweiten Jahr zur Folge, dass die abziehbare Steuer in Höhe
eines Fünftels ihres Betrages einbehalten werde, da dieser Anteil dem ersten Jahr der Verwendung der
Immobilie entspreche. Dagegen würde eine Anwendung der Artikel 5 Absatz 6 und 6 Absatz 2 der
Sechsten Richtlinie zur Besteuerung des Gesamtwerts der Immobilie zum Zeitpunkt der Änderung ihrer
Zuordnung führen.
33 Hierzu ist vorab zu bemerken, dass die Artikel 5 Absatz 6 und 6 Absatz 2 nur bei einer Neuzuordnung
des betreffenden Gegenstands zu privaten Zwecken, nicht jedoch im Fall seiner Neuzuordnung zu
einer steuerbefreiten Tätigkeit Anwendung finden.
34 Welche der in Rede stehenden Bestimmungen anwendbar sind, hängt also davon ab, ob der
Steuerpflichtige tatsächlich beschlossen hat, die Immobilie auf Dauer privaten Zwecken zuzuordnen,
oder ob er die Möglichkeit einer künftigen Verwendung für die Zwecke seines Unternehmens im Auge
hat und daher beschließt, sie in seinem Unternehmensvermögen zu belassen. Im erstgenannten Fall
finden die Artikel 5 Absatz 6 und 6 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie und im zweiten Fall Artikel 20 der
Richtlinie Anwendung. Dass ein Steuerpflichtiger wählen kann, ob der privat genutzte Teil eines
Gegenstands im Hinblick auf die Anwendung der Sechsten Richtlinie in sein Unternehmen einbezogen
sein soll oder nicht, geht aus der ständigen Rechtsprechung hervor (vgl. insbesondere Urteile vom 4.
Oktober 1995 in der Rechtssache C‑291/92, Armbrecht, Slg. 1995, I‑2775, Randnr. 20, und vom 14. Juli
2005 in der Rechtssache C‑434/03, Charles und Charles-Tijmens, Slg. 2005, I‑0000, Randnr. 23). In
dem von der finnischen Regierung angeführten Beispielsfall besteht daher kein wirklicher Konflikt.
35 Nach allem ist auf die erste Frage zu antworten, dass Artikel 20 der Sechsten Richtlinie dahin
auszulegen ist, dass er die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine Berichtigung der Vorsteuerabzüge bei
Investitionsgütern vorzusehen, sofern sich aus seinem Absatz 5 nichts anderes ergibt.
Zur zweiten Frage
36 Die zweite Frage geht dahin, ob der Umstand, dass die betreffende Tätigkeit ursprünglich von der
Mehrwertsteuer befreit war und daher kein Recht auf Vorsteuerabzug bestand, einen Einfluss auf
diese Berichtigung hat.
37 Wie die Generalanwältin in den Nummern 36 und 37 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, hängt die
Anwendung des Berichtigungsmechanismus davon ab, ob ein Recht auf Vorsteuerabzug gemäß Artikel
17 der Sechsten Richtlinie entstanden ist.
38 Nach Artikel 17 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie, der mit „Entstehung und Umfang des Rechts auf
Vorsteuerabzug“ überschrieben ist, entsteht das Recht auf Vorsteuerabzug, wenn der Anspruch auf
die abziehbare Steuer entsteht. Folglich hängt das Bestehen eines Rechts auf Vorsteuerabzug allein
davon ab, in welcher Eigenschaft eine Person zu diesem Zeitpunkt handelt (Urteil Lennartz, Randnr. 8).
39 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes bestimmt die Verwendung des Investitionsguts nur den
Umfang des Vorsteuerabzugs, zu dem der Steuerpflichtige nach Artikel 17 befugt ist, und den Umfang
etwaiger Berichtigungen während der darauf folgenden Zeiträume, berührt jedoch nicht die
Entstehung des Abzugsanspruchs. Infolgedessen ist die sofortige Verwendung des Gutes für
besteuerte Umsätze für sich gesehen keine Voraussetzung für die Anwendung des Systems der
Berichtigung der Abzüge (Urteil Lennartz, Randnrn. 15 und 16).
40 Schließlich findet entgegen der Ansicht der italienischen Regierung die Berichtigung des
Vorsteuerabzugs nach Artikel 20 der Sechsten Richtlinie notwendigerweise auch dann Anwendung,
wenn die Änderung des Abzugsrechts von einer Entscheidung des Steuerpflichtigen, wie der Ausübung
der in Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Option, abhängt. Die Ausübung dieser
Option hat keinen Einfluss auf die Entstehung des Abzugsrechts, die, wie soeben in Erinnerung
gebracht, in Artikel 17 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie geregelt ist. Da die Vermietung oder
Verpachtung einer Immobilie nach Ausübung der Option für die Besteuerung besteuert wird, wird eine
Berichtigung der Abzüge notwendig, um eine Doppelbesteuerung der auf der Vorstufe getätigten
Ausgaben zu vermeiden, und zwar unabhängig davon, dass die Besteuerung die Folge der
Entscheidung des Steuerpflichtigen ist.
41 Der von der italienischen Regierung angeführte Artikel 18 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ist in
diesem Zusammenhang unerheblich, da dieser Absatz den Fall betrifft, dass es ein Steuerpflichtiger
unterlassen hat, Abzüge vorzunehmen, die er hätte vornehmen können, was nicht der Fall sein kann,
bevor die in Artikel 13 Teil C der Sechsten Richtlinie vorgesehene Option ausgeübt worden ist. Da der
Umfang des ursprünglichen Abzugs null betrug, erlangt das Vorsteuerabzugsrecht des
Steuerpflichtigen erst nach Ausübung dieser Option einen tatsächlichen Wert, der Gegenstand eines
Abzugs sein kann.
42 Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Artikel 20 der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen
ist, dass die in dieser Bestimmung vorgesehene Berichtigung auch auf einen Sachverhalt Anwendung
findet, bei dem ein Investitionsgut zunächst einer steuerbefreiten Tätigkeit zugeordnet war, die kein
Recht auf Vorsteuerabzug eröffnete, und dann während des Berichtigungszeitraums für die Zwecke
einer der Mehrwertsteuer unterliegenden Tätigkeit verwendet wurde.
Zur dritten Frage
43 Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 13 Teil C Absatz 2 der
Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat, der seinen Steuerpflichtigen die
Option für die Besteuerung der Vermietung oder Verpachtung einer Immobilie einräumt, befugt ist, den
Abzug der für Investitionen in Immobilien vor Ausübung dieses Optionsrechts entrichteten
Mehrwertsteuer auszuschließen, wenn der Antrag, mit dem diese Option ausgeübt wird, nicht binnen
sechs Monaten ab Ingebrauchnahme dieses Gebäudes eingereicht worden ist.
44 Wie in Randnummer 24 dieses Urteils festgestellt worden ist, sind nach der Logik des durch die
Sechste Richtlinie eingeführten Systems die Steuern, mit denen die Gegenstände oder
Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger für die Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet, auf
der Vorstufe belastet waren, abziehbar. Da die Steuerpflichtigen nach Artikel 13 Teil C Absatz 1 der
Sechsten Richtlinie die Möglichkeit der Option für die Besteuerung der Vermietung oder Verpachtung
einer Immobilie haben, muss somit die Ausübung dieser Option nicht nur zur Besteuerung der
Vermietung oder Verpachtung, sondern auch zum Abzug der betreffenden Steuern, mit denen diese
Immobilie auf der Vorstufe belastet war, führen.
45 Es steht den Mitgliedstaaten zwar frei, die Verfahrensbedingungen festzulegen, unter denen ein
Optionsrecht ausgeübt werden kann, was die Möglichkeit einschließt, vorzusehen, dass die
Besteuerung erst nach der Einreichung des Antrags erfolgt und dass der Abzug der entrichteten
Steuern erst nach diesem Zeitpunkt möglich ist (Urteil vom 9. September 2004 in der Rechtssache
C‑269/03, Vermietungsgesellschaft Objekt Kirchberg, Slg. 2004, I‑8067, Randnr. 23). Allerdings dürfen
solche Bestimmungen nicht dazu führen, dass das Recht auf Vornahme der mit den besteuerten
Umsätzen verbundenen Abzüge beschränkt wird, wenn das Optionsrecht gemäß diesen Bestimmungen
wirksam
ausgeübt
worden
ist.
Insbesondere
darf
die
Anwendung
der
nationalen
Verfahrensbestimmungen nicht dazu führen, dass der Zeitraum, innerhalb dessen Abzüge
vorgenommen werden können, kürzer ist als in der Sechsten Richtlinie für die Berichtigung der Abzüge
vorgesehen.
46 Ferner würde eine Beschränkung der Abzüge, die in Verbindung mit den besteuerten Umsätzen
vorgenommen werden, nach der Ausübung des Optionsrechts nicht den „Umfang“ des Optionsrechts
im Sinne von Artikel 13 Teil C Absatz 2 der Sechsten Richtlinie, sondern die Folgen der Ausübung
dieses Rechts betreffen. Diese Bestimmung ermächtigt die Mitgliedstaaten daher nicht dazu, das in
Artikel 17 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Abzugsrecht oder die Notwendigkeit, die Abzüge gemäß
Artikel 20 der Richtlinie zu berichtigen, zu beschränken.
47 Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Artikel 13 Teil C Absatz 2 der Sechsten Richtlinie
dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat, der seinen Steuerpflichtigen das Recht auf Option für die
Besteuerung der Vermietung oder Verpachtung einer Immobilie einräumt, nach dieser Bestimmung
nicht befugt ist, den Abzug der Mehrwertsteuer für Immobilieninvestitionen, die vor Ausübung des
Optionsrechts getätigt worden sind, auszuschließen, wenn der Antrag, mit dem diese Option ausgeübt
wird, nicht binnen sechs Monaten ab Ingebrauchnahme dieser Immobilie eingereicht worden ist.
Zur vierten Frage
48 Mit dieser letzten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten
Richtlinie dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat, der seinen Steuerpflichtigen das Recht auf
Option für die Besteuerung der Vermietung oder Verpachtung einer Immobilie einräumt, befugt ist, den
Abzug der Mehrwertsteuer, die vor der Ausübung dieses Optionsrechts für Immobilieninvestitionen
entrichtet worden ist, auszuschließen, wenn der Antrag, mit dem diese Option ausgeübt wird, nicht
binnen sechs Monaten ab Ingebrauchnahme dieser Immobilie eingereicht worden ist.
49 Eine Untersuchung der Entstehungsgeschichte von Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie zeigt,
dass die Möglichkeit, die den Mitgliedstaaten durch Unterabsatz 2 dieser Bestimmung eingeräumt
wird, nur Anwendung auf die Beibehaltung der Ausschlüsse in Bezug auf Arten von Ausgaben findet,
die sich nach der Natur des erworbenen Gegenstands oder der erworbenen Dienstleistung bestimmen
und nicht nach deren Verwendung oder den Einzelheiten dieser Verwendung (vgl. in diesem Sinne
Urteil vom 5. Oktober 1999 in der Rechtssache C‑305/97, Royscot u. a., Slg. 1999, I‑6671, Randnrn. 21
bis 25).
50 Wie die Generalanwältin in Nummer 79 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, sieht Artikel 102 Absatz 1
Unterabsatz 1 AVL ausdrücklich unter bestimmten Voraussetzungen die Abziehbarkeit der
Mehrwertsteuer vor, mit der Investitionen betreffend Immobilien, wie Baukosten und Kosten des
Erwerbs im Zusammenhang mit diesen Immobilien, belastet waren. Der fragliche Ausschluss der vor
Ausübung der Option für die Mehrwertsteuerpflichtigkeit getätigten Ausgaben fällt somit nicht unter
die in Artikel 17 Absatz 6 Unterabsatz 2 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Ausnahme.
51 Daher ist auf die vierte Frage zu antworten, dass Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie dahin
auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat, der seinen Steuerpflichtigen das Recht auf Option für die
Besteuerung der Vermietung oder Verpachtung einer Immobilie einräumt, nach dieser Bestimmung
nicht befugt ist, den Abzug der Mehrwertsteuer für Immobilieninvestitionen, die vor Ausübung dieses
Optionsrechts getätigt worden sind, auszuschließen, wenn der Antrag, mit dem diese Option ausgeübt
wird, nicht binnen sechs Monaten ab Ingebrauchnahme dieser Immobilie eingereicht worden ist.
Zur Beschränkung der zeitlichen Wirkungen des vorliegenden Urteils
52 Die finnische Regierung beantragt für den Fall, dass der Gerichtshof ihrem Vorbringen nicht folgt, die
zeitlichen Wirkungen des vorliegenden Urteils auf die Zeit nach seiner Verkündung zu beschränken.
53 Nach ständiger Rechtsprechung erläutert und verdeutlicht die Auslegung einer Vorschrift des
Gemeinschaftsrechts, die der Gerichtshof in Ausübung der ihm durch Artikel 234 EG verliehenen
Befugnis vornimmt, die Bedeutung und Tragweite dieser Vorschrift, so wie sie seit ihrem Inkrafttreten
zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass der Richter die so
ausgelegte Vorschrift auch auf Rechtsverhältnisse, die vor Erlass des auf das Auslegungsersuchen
ergangenen Urteils entstanden ist, anwenden kann und muss, wenn im Übrigen die Voraussetzungen
dafür, dass ein Rechtsstreit über die Anwendung dieser Vorschrift vor die zuständigen Gerichte
gebracht wird, erfüllt sind (vgl. u. a. Urteile vom 2. Februar 1988 in der Rechtssache 24/86, Blaizot, Slg.
1988, 379, Randnr. 27, und vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache C‑415/93, Bosman, Slg. 1995,
I‑4921, Randnr. 141).
54 Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung hat der Einzelne das Recht auf Erstattung von Steuern, die
unter Verletzung des Gemeinschaftsrechts erhoben worden sind (vgl. u. a. Urteile vom 9. November
1983 in der Rechtssache 199/82, San Giorgio, Slg. 1983, 3595, Randnr. 12, und vom 14. Januar 1997
in den Rechtssachen C‑192/95 bis C‑218/95, Comateb u. a., Slg. 1997, I‑165, Randnr. 20).
55 Der Gerichtshof kann die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit, sich auf die Auslegung, die er
einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in
Frage zu stellen, nur ausnahmsweise aufgrund des allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen
Grundsatzes der Rechtssicherheit beschränken. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn
zwei grundlegende Kriterien – guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender
Störungen – erfüllt sind (vgl. u. a. Urteile vom 28. September 1994 in der Rechtssache C‑57/93,
Vroege, Slg. 1994, I‑4541, Randnr. 21, und vom 10. Januar 2006 in der Rechtssache C‑402/03, Skov
und Bilka, Slg. 2006, I‑0000, Randnr. 51).
56 Wie die Generalanwältin in Nummer 87 ihrer Schlussanträge zu Recht ausführt, beruft sich die
finnische Regierung lediglich auf praktische Schwierigkeiten, mit denen sie rechnen müsse, wenn die
Wirkungen des vorliegenden Urteils nicht zeitlich beschränkt würden.
57 Ferner ist im vorliegenden Kontext darauf hinzuweisen, dass die finnische Regierung angegeben hat,
sie habe sich auf die in Artikel 20 Absatz 5 der Sechsten Richtlinie vorgesehene Ausnahme berufen.
Die Anwendbarkeit dieser Bestimmung wäre jedoch nach ihrem Wortlaut von der Voraussetzung
abhängig gewesen, dass die praktischen Auswirkungen der Anwendung des Systems der Berichtigung
der Abzüge „unwesentlich“ wären. Unabhängig davon, ob die in Artikel 29 der Sechsten Richtlinie
vorgesehenen Konsultationen stattgefunden haben, lässt sich feststellen, dass die Tatsache selbst,
dass sich die finnische Regierung auf Artikel 20 Absatz 5 der Richtlinie beruft, Zweifel daran wecken
kann, dass sich aus einer rückwirkenden Anwendung des Systems der Berichtigung der
Vorsteuerabzüge schwerwiegende Auswirkungen ergeben sollen.
58 Zudem ist, wie bereits in Randnummer 26 dieses Urteils festgestellt worden ist, darauf hinzuweisen,
dass Artikel 20 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie, der die Berichtigung der in Rede stehenden
Vorsteuerabzüge betrifft, so abgefasst ist, dass kein Zweifel an seinem zwingenden Charakter besteht.
Das Vorbringen der finnischen Regierung, dass die einschlägigen Bestimmungen der Sechsten
Richtlinie unklar seien, was zu Unsicherheiten bei ihrer Anwendung führe, ist daher zurückzuweisen.
59 Deshalb sind die zeitlichen Wirkungen dieses Urteils nicht zu beschränken.
Kosten
60 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses
Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben,
sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:
1. Artikel 20 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern –
Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem:
einheitliche
steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage ist dahin auszulegen, dass er die Mitgliedstaaten
verpflichtet, eine Berichtigung der Vorsteuerabzüge bei Investitionsgütern
vorzusehen, sofern sich aus seinem Absatz 5 nichts anderes ergibt.
2. Artikel 20 der Sechsten Richtlinie 77/388 ist dahin auszulegen, dass die in dieser
Bestimmung vorgesehene Berichtigung auch auf einen Sachverhalt Anwendung
findet, bei dem ein Investitionsgut zunächst einer steuerbefreiten Tätigkeit
zugeordnet war, die kein Recht auf Vorsteuerabzug eröffnete, und dann während
des
Berichtigungszeitraums
für
die
Zwecke
einer
der
Mehrwertsteuer
unterliegenden Tätigkeit verwendet wurde.
3. Artikel 13 Teil C Absatz 2 der Sechsten Richtlinie 77/388 ist dahin auszulegen, dass
ein Mitgliedstaat, der seinen Steuerpflichtigen das Recht auf Option für die
Besteuerung der Vermietung oder Verpachtung einer Immobilie einräumt, nach
dieser Bestimmung nicht befugt ist, den Abzug der Mehrwertsteuer für
Immobilieninvestitionen, die vor Ausübung des Optionsrechts getätigt worden sind,
auszuschließen, wenn der Antrag, mit dem diese Option ausgeübt wird, nicht binnen
sechs Monaten ab Ingebrauchnahme dieser Immobilie eingereicht worden ist.
4. Artikel 17 Absatz 6 der Sechsten Richtlinie 77/388 ist dahin auszulegen, dass ein
Mitgliedstaat, der seinen Steuerpflichtigen das Recht auf Option für die Besteuerung
der Vermietung oder Verpachtung einer Immobilie einräumt, nach dieser Bestimmung
nicht befugt ist, den Abzug der Mehrwertsteuer für Immobilieninvestitionen, die vor
Ausübung dieses Optionsrechts getätigt worden sind, auszuschließen, wenn der
Antrag, mit dem diese Option ausgeübt wird, nicht binnen sechs Monaten ab
Ingebrauchnahme dieser Immobilie eingereicht worden ist.
Unterschriften.
Verfahrenssprache: Finnisch.