Urteil des EuGH vom 18.12.1997

EuGH: kommission, datenverarbeitung, anmerkung, zollrechtliche tarifierung, einheit, zolltarif, form, computer, einreihung, verordnung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)
18. Dezember 1997
„Gemeinsamer Zolltarif — Tarifpositionen — Tarifierung eines elektronischen Bauteils .Vista Board', das zur
Bildverarbeitung dient und in einem Computer als .Grafikkarte' verwendet werden kann — Einreihung in die
Kombinierte Nomenklatur“
In der Rechtssache C-382/95
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Bundesfinanzhof in dem bei diesem
anhängigen Rechtsstreit
Techex Computer + Grafik Vertriebs GmbH
gegen
Hauptzollamt München
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der in Anhang I der Verordnung (EWG) Nr.
2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur sowie den
Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) enthaltenen Kombinierten Nomenklatur zum Gemeinsamen Zolltarif
in der durch die Anhänge der Verordnungen (EWG) Nr. 3174/88 der Kommission vom 21. September 1988
(ABl. L 298, S. 1), Nr. 2886/89 der Kommission vom 2. August 1989 (ABl. L 282, S. 1) und Nr. 2472/90 der
Kommission vom 31. Juli 1990 (ABl. L 247, S. 1) geänderten Fassung
erläßt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Wathelet sowie der Richter D. A. O. Edward (Berichterstatter)
und L. Sevón,
Generalanwalt: C. O. Lenz
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
— der Techex Computer + Grafik Vertriebs GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt Wilhelm Jordan, München,
— der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Francisco de Sousa Fialho,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten im Beistand der Rechtsanwälte Hans-Jürgen Rabe und Georg M.
Berrisch, Hamburg und Brüssel,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Kommission in den Sitzungen vom 29. Mai und 16.
September 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 2. Oktober 1997,
folgendes
Urteil
1.
Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluß vom 7. November 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 7.
Dezember 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der in Anhang I der
Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und statistische
Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) enthaltenen Kombinierten
Nomenklatur zum Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Anhänge der Verordnungen (EWG) Nr.
3174/88 der Kommission vom 21. September 1988 (ABl. L 298, S. 1), Nr. 2886/89 der Kommission vom
2. August 1989 (ABl. L 282, S. 1) und Nr. 2472/90 der Kommission vom 31. Juli 1990 (ABl. L 247, S. 1)
geänderten Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Techex Computer + Grafik
Vertriebs GmbH (nachstehend: Techex) und dem Hauptzollamt München über die Tarifierung von
„Vista Boards“.
3.
Aus dem Vorlagebeschluß geht hervor, daß ein „Vista Board“ aus gedruckten Schaltungen besteht,
die zum Einsetzen in automatische Datenverarbeitungsmaschinen bestimmt und mit integrierten
Schaltungen (u. a. Grafikprozessoren und Speicher) sowie aktiven und passiven Bauelementen
bestückt sind. Diese gedruckten Schaltungen dienen der Verarbeitung, nämlich der Erfassung,
Behandlung und Speicherung, von insbesondere aus externen Videoquellen stammenden
Bildinformationen in Form von Fernsehnormsignalen oder der Erstellung von Grafiken.
4.
Techex führte in den Jahren 1988 bis 1991 eine Anzahl „Vista Boards“ ein, die zum freien Verkehr
abgefertigt und als Teile für Maschinen der Position 8471 „Automatische
Datenverarbeitungsmaschinen und ihre Einheiten; magnetische oder optische Schriftleser, Maschinen
zum Aufzeichnen von Daten auf Datenträger in Form eines Codes und Maschinen zum Verarbeiten
dieser Daten, anderweit weder genannt noch inbegriffen“ der Kombinierten Nomenklatur der Position
8473 zugeordnet wurden. Für sie wurde ein Zollsatz von 4 % festgesetzt.
5.
Mit Steueränderungsbescheid vom 7. November 1991 und Einspruchsentscheidung vom 28.
Dezember 1991 schloß das Hauptzollamt München bei einer Überprüfung die Einreihung der fraglichen
Waren in Position 8471 der Kombinierten Nomenklatur aus, weil die Verarbeitung von aus externen
Videoquellen stammenden Bildinformationen in Form von Fernsehnormsignalen eine „eigene Funktion“
im Sinne der Anmerkung 5 B letzter Absatz zu Kapitel 84 der Kombinierten Nomenklatur darstelle.
6.
Anmerkung 5 B letzter Absatz lautet wie folgt:
„Nicht zu Position 8471 gehören dagegen Maschinen mit eigener Funktion, in die eine automatische
Datenverarbeitungsmaschine eingebaut ist oder die an eine automatische
Datenverarbeitungsmaschine angeschlossen werden und mit ihr zusammenarbeiten. Derartige
Maschinen sind der ihrer Funktion entsprechenden Position, oder, falls keine solche Position
vorhanden ist, der dann zutreffenden Sammelposition zuzuweisen.“
7.
Das Hauptzollamt München reihte die Waren daher in Position 8543 der Kombinierten Nomenklatur
„Elektrische Maschinen, Apparate und Geräte mit eigener Funktion, in Kapitel 85 anderweit weder
genannt noch inbegriffen“ ein und setzte für sie einen Zollsatz von 7 % fest. Es forderte den
entsprechenden Unterschied an Zoll nach.
8.
Nachdem das Finanzgericht die gegen diese Entscheidung erhobene Klage am 6. Oktober 1994
abgewiesen hatte, legte Techex Revision zum Bundesfinanzhof ein und machte geltend, daß das
„Vista Board“ keine eigene Funktion habe, da die Verarbeitung von Bildern lediglich eine Unterform
der „Datenverarbeitung“ in einem weiteren technologischen Sinn darstelle.
9.
Unter diesen Umständen hat der Bundesfinanzhof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof
folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Anmerkung 5 B zu Kapitel 84 des Gemeinsamen Zolltarifs (Kombinierte Nomenklaturen 1988
bis 1991) dahin auszulegen, daß Bildverarbeitung, wie sie mit den in den Gründen näher
beschriebenen „Vista Boards“ vorgenommen werden kann, als „eigene Funktion“ im Sinne der
bezeichneten Vorschrift, d. h. als andere Funktion als die der Datenverarbeitung, anzusehen ist, mit
der Folge, daß eine Einstufung solcher Waren in die Position 8471 ausscheidet?
2. Bei Bejahung von Frage 1:
Ist Position 8543 (hier Unterposition 8543 8080 der Kombinierten Nomenklatur 1991, Unterposition
8543 8090 der Kombinierten Nomenklaturen 1988 bis 1990) dahin auszulegen, daß der Begriff
„(andere) elektrische Maschinen ... mit eigener Funktion, in Kapitel 85 anderweit weder genannt noch
inbegriffen“ Erzeugnisse wie „Vista Boards“ (1.) auch dann erfaßt, wenn diese aufgrund ihrer
Beschaffenheit außer zur Bildverarbeitung noch als Grafikkarten für automatische
Datenverarbeitungsmaschinen verwendet werden können?
3. Bei Verneinung von Frage 2:
Welche andere Zolltarifposition kommt für die Einreihung von Erzeugnissen wie „Vista Boards“ (1.)
in Betracht?
Zur ersten Frage
10.
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob
Bildverarbeitung, wie sie mit einer Einheit einer automatischen Datenverarbeitungsmaschine
vorgenommen werden kann, die insbesondere einen Analog-Digital-Wandler, einen Grafikprozessor
besserer Qualität und einen Digital-Analog-Wandler umfaßt, als „eigene Funktion“ im Sinne der
Anmerkung 5 B letzter Absatz zu Kapitel 84 der Kombinierten Nomenklatur anzusehen ist.
-
11.
Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, ist das entscheidende Kriterium für die
zollrechtliche Tarifierung von Waren allgemein in deren objektiven Merkmalen und Eigenschaften zu
suchen, wie sie im Wortlaut der Position des Gemeinsamen Zolltarifs und in den Vorschriften zu den
Abschnitten oder Kapiteln
festgelegt sind (vgl. insbesondere Urteil vom 19. Mai 1994 in der Rechtssache C-11/93, Siemens
Nixdorf, Slg. 1994, I-1945, Randnr. 11)
12.
Sowohl die Vorschriften zu den Kapiteln des Gemeinsamen Zolltarifs als auch die Erläuterungen zur
Nomenklatur des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens sind ein wichtiges
Hilfsmittel, um eine einheitliche Anwendung des Zolltarifs zu gewährleisten, und können deshalb als
wertvolle Erkenntnismittel für die Auslegung des Tarifs angesehen werden (vgl. Urteil Siemens Nixdorf,
a. a. O., Randnr. 12).
13.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Wortlaut der Position 8471 der Kombinierten Nomenklatur,
daß diese Automatische Datenverarbeitungsmaschinen und ihre Einheiten erfaßt. In Teil I Absatz 1 der
Erläuterungen zu Position 8471 des Rates für die Zusammenarbeit auf dem Gebiet des Zollwesens
heißt es: „Die Datenverarbeitung besteht im Behandeln von Daten aller Art in vorher festgelegten
logischen Schritten und für einen oder mehrere bestimmte Zwecke.“
14.
Aus Anmerkung 5 B Absatz 1 zu Kapitel 84 der Kombinierten Nomenklatur ergibt sich, daß eine
Einheit, die an die Zentraleinheit eines Datenverarbeitungssystems angeschlossen werden kann und
in der Lage ist, Daten in einer Form — als Code oder als Signale — zu empfangen oder zu liefern, die
vom System verwendet werden kann, als zu einem vollständigen System einer automatischen
Datenverarbeitungsmaschine gehörender Teil anzusehen und in Position 8471 einzureihen ist.
15.
Nach Teil E Nummer 2 des Abschnitts „Allgemeines“ von Kapitel 84 der Erläuterungen des Rates für
die Zusammenarbeit auf dem Gebiete des Zollwesens können Maschinen, die an eine automatische
Datenverarbeitungsmaschine angeschlossen sind und mit dieser zusammenarbeiten, nur dann als
Maschinen mit einer eigenen Funktion angesehen werden, wenn sie eine „andere Funktion als die
Datenverarbeitung“ ausüben.
16.
Im Ausgangsverfahren ist das vorlegende Gericht der Auffassung, Bildverarbeitung sei eine andere
Funktion als die Datenverarbeitung. Aus den von Techex und der Kommission beim Gerichtshof
eingereichten Schriftsätzen geht jedoch hervor, daß die drei Grundbestandteile des „Vista Board“, die
in einem Analog-Digital-Wandler, einem Grafikprozessor besserer Qualität und einem Digital-Analog-
Wandler bestehen, technisch keine andere Funktion als die Datenverarbeitung ausüben.
17.
Der Begriff der Datenverarbeitung umfaßt nämlich die Verarbeitung von Bildern; diese stellen eine
Unterform von Daten dar.
18.
Die Kommission macht jedoch geltend, das „Vista Board“ diene zwar der Datenverarbeitung, übe
aber eine eigene Funktion im Sinne der Anmerkung 5 B
letzter Absatz zu Kapitel 84 der Kombinierten Nomenklatur aus, denn es ermögliche einer
automatischen Datenverarbeitungsmaschine, eine spezifische technische Funktion, nämlich die
Bildverarbeitung, auszuüben; dem hätten die nationalen Zollbehörden bei der Einfuhr der Waren
Rechnung zu tragen.
19.
Insoweit ist festzustellen, daß eine solche Beurteilung nicht auf den objektiven Merkmalen und
Eigenschaften der betreffenden Einheit beruht, sondern auf den Funktionen, die eine automatische
Datenverarbeitungsmaschine insgesamt aufgrund dieser Einheit ausüben kann.
20.
Außerdem ist unstreitig, daß das „Vista Board“, das eine zum Einsetzen in eine automatische
Datenverarbeitungsmaschine bestimmte Einheit ist, zum einen die Funktion hat, externe analoge
Signale umzuwandeln, damit sie in einer Form verfügbar sind, in der sie von dieser Maschine
verarbeitet werden können; zum anderen soll es die Darstellung des Ergebnisses der von der
Maschine durchgeführten Operationen auf dem Bildschirm ermöglichen. Die „Vista Boards“ üben
daher keine „andere Funktion als die Datenverarbeitung“ aus.
21.
Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, daß Bildverarbeitung, wie sie mit einer Einheit einer
Datenverarbeitungsmaschine vorgenommen werden kann, die insbesondere einen Analog-Digital-
Wandler, einen Grafikprozessor besserer Qualität und einen Digital-Analog-Wandler umfaßt, nicht als
„eigene Funktion“ im Sinne der Anmerkung 5 B letzter Absatz zu Kapitel 84 der Kombinierten
Nomenklatur anzusehen ist.
Zur zweiten und zur dritten Frage
22.
Da die zweite und die dritte Frage nur für den Fall einer Bejahung der ersten Frage gestellt worden
sind, sind sie gegenstandslos geworden.
Kosten
23.
Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist
das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
auf die ihm vom Bundesfinanzhof durch Beschluß vom 7. November 1995vorgelegten Fragen für Recht
erkannt:
Bildverarbeitung, wie sie mit einer Einheit einer Datenverarbeitungsmaschine
vorgenommen werden kann, die insbesondere einen Analog-Digital-Wandler, einen
Grafikprozessor besserer Qualität und einen Digital-Analog-Wandler umfaßt, ist nicht als
„eigene Funktion“ im Sinne der Anmerkung 5 B letzter Absatz zu Kapitel 84 der in Anhang I
der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und
statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif enthaltenen Kombinierten
Nomenklatur zum Gemeinsamen Zolltarif in der durch die Anhänge der Verordnungen
(EWG) Nr. 3174/88 der Kommission vom 21. September 1988, Nr. 2886/89 der Kommission
vom 2. August 1989 und Nr. 2472/90 der Kommission vom 31. Juli 1990 geänderten Fassung
anzusehen.
Wathelet
Edward
Sevón
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 18. Dezember 1997.
Der Kanzler
Der Präsident der Ersten Kammer
R. Grass
M. Wathelet
Verfahrenssprache: Deutsch.