Urteil des EuGH vom 29.11.2001

EuGH: kommission, zahnheilkunde, diplom, republik, ablauf der frist, rüge, spezialisierung, beruf, anerkennung, regierung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
29. November 2001
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 78/687/EWG - Aufrechterhaltung eines zweiten
Ausbildungsgangs für den Zugang zum Zahnarztberuf - Aufrechterhaltung der Möglichkeit für Ärzte im Sinne
des Artikels 19 der Richtlinie 78/686/EWG, gleichzeitig im Ärzteregister und im Zahnärzteregister eingetragen
zu sein“
In der Rechtssache C-202/99
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Italienische Republik,
dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen Feststellung, dass die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 78/687/EWG
des Rates vom 25. Juli 1978 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten
des Zahnarztes (ABl. L 233, S. 10) verstoßen hat, indem sie einen zweiten Ausbildungsgang für den Zugang
zum Zahnarztberuf, der nicht mit der genannten Richtlinie in Einklang steht, und für Ärzte, die die Tätigkeiten
eines Zahnarztes ausüben, die Möglichkeit ihrer gleichzeitigen Eintragung im Ärzteregister und im
Zahnärzteregister aufrechterhalten hat,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter D. A. O. Edward (Berichterstatter), A. La
Pergola, L. Sevón und C. W. A. Timmermans,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 22. März 2001, in der die Kommission durch E. Traversa und
die Italienische Republik durch M. Fiorilli, avvocato dello Stato, vertreten waren,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 31. Mai 2001,
folgendes
Urteil
1.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 26. Mai 1999 bei der
Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG Klage auf Feststellung erhoben,
dass die Italienische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 78/687/EWG des Rates
vom 25. Juli 1978 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des
Zahnarztes (ABl. L 233, S. 10, im Folgenden: Koordinierungsrichtlinie) verstoßen hat, indem sie einen
zweiten Ausbildungsgang für den Zugang zum Zahnarztberuf, der nicht mit der genannten Richtlinie in
Einklang steht, und für Ärzte, die die Tätigkeiten eines Zahnarztes ausüben, die Möglichkeit ihrer
gleichzeitigen Eintragung im Ärzteregister und im Zahnärzteregister aufrechterhalten hat.
Die gemeinschaftsrechtliche Regelung
2.
Am 25. Juli 1978 erließ der Rat die Richtlinie 78/686/EWG für die gegenseitige Anerkennung der
Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für
Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts
auf freien Dienstleistungsverkehr (ABl. L 233, S. 1, im Folgenden: Anerkennungsrichtlinie) und
gleichzeitig die Koordinierungsrichtlinie.
3.
Nach Artikel 1 Absatz 1 der Koordinierungsrichtlinie machen die Mitgliedstaaten die Aufnahme und
Ausübung der Tätigkeiten des Zahnarztes unter den in Artikel 1 der Anerkennungsrichtlinie
genannten Bezeichnungen vom Besitz eines in Artikel 3 derselben Richtlinie genannten Diploms,
Prüfungszeugnisses oder sonstigen Befähigungsnachweises abhängig, das bzw. der garantiert, dass
der Betreffende im Verlauf seiner gesamten Ausbildungszeit die durch die Koordinierungsrichtlinie
festgelegten angemessenen Kenntnisse und Erfahrungen erworben hat. Nach Artikel 1 Absatz 2 der
Koordinierungsrichtlinie muss diese Ausbildung mindestens fünf Jahre theoretischen und praktischen
Unterricht auf Vollzeitbasis umfassen.
4.
Vor Erlass dieser Richtlinien und ihrer Umsetzung in italienisches Recht war der Beruf des
Zahnarztes in Italien nicht geregelt und wurde in der Praxis von Ärzten ausgeübt. Um dieser
besonderen Situation Rechnung zu tragen, bestimmt Artikel 19 der Anerkennungsrichtlinie in Kapitel
VII „Übergangsvorschriften betreffend die besonderen Verhältnisse Italiens“ Folgendes:
„Von dem Zeitpunkt an, zu dem Italien die Maßnahmen trifft, um dieser Richtlinie nachzukommen,
erkennen die Mitgliedstaaten zum Zwecke der Ausübung der in Artikel 1 dieser Richtlinie genannten
Tätigkeiten die Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise der Ärzte an, die in
Italien Personen ausgestellt wurden, die ihre Universitätsausbildung spätestens achtzehn Monate
nach Bekanntgabedieser Richtlinie begonnen haben, sofern ihnen eine Bescheinigung der
zuständigen italienischen Behörden darüber beigefügt ist, dass sich die betreffenden Personen
während der letzten fünf Jahre vor Ausstellung der Bescheinigung mindestens drei Jahre lang
ununterbrochen in Italien tatsächlich und rechtmäßig sowie hauptsächlich den unter Artikel 5 der
Richtlinie 78/687/EWG fallenden Tätigkeiten gewidmet haben und dass sie berechtigt sind, diese
Tätigkeiten unter denselben Bedingungen auszuüben wie die Inhaber der Diplome, Prüfungszeugnisse
oder sonstigen Befähigungsnachweise nach Artikel 3 Buchstabe f).
Von dem in Absatz 1 genannten Erfordernis einer dreijährigen Tätigkeit befreit sind Personen, die ein
mindestens dreijähriges erfolgreiches Studium absolviert haben, über dessen Gleichwertigkeit mit der
in Artikel 1 der Richtlinie 78/687/EWG genannten Ausbildung eine Bescheinigung der zuständigen
Stellen vorliegt.“
Die nationale Regelung
5.
Mit Gesetz Nr. 409, Istituzione della professione sanitaria di odontoiatra e disposizioni relative al
diritto di stabilimento ed alla libera prestazione di servizi da parte dei dentisti cittadini di Stati membri
delle Comunità europee (Gesetz über die Einführung des Berufes des Zahnarztes und Bestimmungen
über das Niederlassungsrecht und das Recht auf freien Dienstleistungsverkehr der Zahnärzte, die
Angehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften sind) vom 24. Juli 1985 (GURI Nr.
190 vom 13. August 1985, suppl. ord. Nr. 69), setzte die Italienische Republik die Anerkennungs- und
die Koordinierungsrichtlinie in italienisches Recht um.
6.
Durch Artikel 1 dieses Gesetzes ist in Italien der Beruf des Zahnarztes geschaffen worden. Nach
dieser Bestimmung ist zur Ausübung dieses Berufes unter der Bezeichnung „odontoiatra“ nur
berechtigt, wer
- entweder die neue fünfjährige Fachausbildung eines Zahnarztes mit dem Diplom „laurea in
odontoiatria e protesi dentaria“ (Diplom in Zahnheilkunde und Zahnprothetik) abgeschlossen hat und
zur Ausübung dieses Berufes zugelassen worden ist;
- oder die sechsjährige Grundausbildung eines Arztes mit dem Diplom „laurea in medicina e chirugia“
(Diplom in Medizin und Chirurgie) abgeschlossen hat, zur Ausübung der Medizin und Chirurgie
zugelassen worden ist und zusätzlich nach dreijähriger Spezialisierung das Fachdiplom in
Zahnheilkunde erworben hat.
7.
Nach Artikel 4 des Gesetzes Nr. 409/85 schließt die Eintragung im Zahnärzteregister die Eintragung
in einem anderen Berufsregister aus. Nach Artikel 20 dieses Gesetzes mussten sich namentlich die
Ärzte ohne eine Spezialisierung auf dem Gebiet der Zahnheilkunde, die ihre Ausbildung vor dem 28.
Januar 1980 begonnen hatten und den Beruf des Zahnarztes ausüben wollten, innerhalb von fünf
Jahren vom Inkrafttreten des Gesetzes an, d. h. vor dem 28. August 1990, für die Eintragung in
dasZahnärzteregister entscheiden. Nach Artikel 5 können jedoch Ärzte mit einer Spezialisierung auf
dem Gebiet der Zahnheilkunde neben ihrer Eintragung im Zahnärzteregister weiterhin im Ärzteregister
eingetragen bleiben.
Das Vorverfahren
8.
Da die Kommission in den in den Randnummern 5 bis 7 genannten italienischen Rechtsvorschriften
einen Verstoß gegen die Anerkennungs- und die Koordinierungsrichtlinie sah, leitete sie das
Vertragsverletzungsverfahren ein. Mit Schreiben vom 9. April 1997 forderte sie die Italienische
Republik auf, sich hierzu zu äußern. Als Antwort hierauf übermittelten die italienischen Behörden den
Gesetzesentwurf Nr. 2653 über den Beruf des Zahnarztes, der nur einen Ausbildungsgang für diesen
Beruf vorsieht (Fachausbildung, die mit dem Diplom „laurea in odontoiatria e protesi dentaria“
abgeschlossen wird).
9.
Da dieser Entwurf nach ihren Feststellungen noch nicht als Gesetz erlassen worden war, richtete
die Kommission am 18. Mai 1999 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Italienische
Republik und forderte sie auf, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der Stellungnahme
innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen. Da die Kommission die
Erklärungen der italienischen Behörden nicht für ausreichend hielt, hat sie die vorliegende Klage
erhoben.
Zur Zulässigkeit
10.
Die italienische Regierung hat hiergegen zwei Einreden der Unzulässigkeit erhoben.
11.
Erstens macht die italienische Regierung geltend, dass der gegen sie erhobene Vorwurf, den
zweiten Ausbildungsgang und die Möglichkeit einer gleichzeitigen Eintragung in das Ärzteregister und
in das Zahnärzteregister aufrechterhalten zu haben, nicht der Wirklichkeit entspreche. Die streitigen
Vorschriften seien streng genommen nicht aufrechterhalten worden, da sie nach dem Erlass der
Koordinierungsrichtlinie und zu deren Umsetzung in das nationale Recht eingefügt worden seien und
die frühere Regelung erheblich geändert hätten. Diese fehlerhafte Formulierung habe dazu geführt,
dass die Italienische Republik die Vorwürfe der Kommission falsch verstanden habe und in ihren
Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt worden sei.
12.
Dazu genügt die Feststellung, dass zum einen der Tatbestand der Vertragsverletzung voraussetzt,
dass bei Ablauf der Frist, die die Kommission in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme
festgesetzt hat, gemeinschaftsrechtswidrige Vorschriften bestehen; er ist somit vom Zeitpunkt des
Erlasses der streitigen nationalen Vorschriften unabhängig. Zum anderen erhält ein Mitgliedstaat, der
gemeinschaftsrechtswidrigenationale Vorschriften einführt, diese vom Tag ihres Inkrafttretens bis zu
ihrer eventuellen Änderung oder Aufhebung aufrecht.
13.
Die erste Einrede der Unzulässigkeit ist daher zurückzuweisen.
14.
Die italienische Regierung macht zweitens geltend, die Kommission habe zur Begründung ihrer
Klage nicht die gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften angeführt, die angeblich nicht eingehalten
worden seien. Die Verpflichtungen, gegen die die Italienische Republik verstoßen haben solle, seien
somit nicht benannt worden, so dass die Klage für unzulässig zu erklären sei.
15.
Zu der ersten Rüge, die den im Gesetz Nr. 409/85 vorgesehenen zweiten Ausbildungsgang betrifft,
hat die Kommission in ihrer Klageschrift ausgeführt, dass gegen die Verpflichtungen aus Artikel 1 der
Koordinierungsrichtlinie verstoßen worden sei.
16.
Die Klage der Kommission ist daher für zulässig zu erklären, soweit es um die erste Rüge geht.
17.
Die zweite Rüge, die die Möglichkeit der gleichzeitigen Eintragung im Ärzteregister und im
Zahnärzteregister betrifft, hat die Kommission, wie die italienische Regierung ausgeführt hat,
tatsächlich nicht auf eine bestimmte Vorschrift der Anerkennungs- oder der Koordinierungsrichtlinie
bezogen.
18.
Die Kommission hat nämlich im Vorverfahren und in der Begründung ihrer Klageschrift vorgetragen,
dass nach der Anerkennungsrichtlinie ein Arzt, der nur ein Diplom besitze und zu nur einer beruflichen
Tätigkeit zugelassen sei, nicht gleichzeitig im Ärzteregister und im Zahnärzteregister eingetragen sein
dürfe. Sie hat dazu insbesondere auf Artikel 19 der Anerkennungsrichtlinie verwiesen, ohne jedoch
einen Verstoß der streitigen italienischen Rechtsvorschriften gegen diese Bestimmung zu rügen. Sie
hat weiter ausgeführt, dass die derzeitige Situation in Italien nicht mit der durch die Anerkennungs-
und die Koordinierungsrichtlinie eingeführten Harmonisierungsregelung in Einklang stehe. Mit ihrem
Klageantrag schließlich macht sie geltend, dass die Koordinierungsrichtlinie die Aufrechterhaltung der
Möglichkeit einer doppelten Eintragung nicht zulasse.
19.
Die Kommission meint jedoch, sowohl in der mit Gründen versehenen Stellungnahme als auch in der
Klageschrift schlüssig, genau und eingehend die Verstöße dargetan zu haben, die sie der
Italienischen Republik vorwerfe. In ihrer Erwiderung hat sie dazu vorgetragen, dass Artikel 1 der
Koordinierungsrichtlinie der „Grundstein“ der gesamten durch die Anerkennungs- und die
Koordinierungsrichtlinie errichteten Harmonisierungsregelung sei und dass dieser Artikel, der sowohl
in der mit Gründen versehenen Stellungnahme als auch in der Klageschrift angeführt worden sei,
herangezogen werden müsse, wenn schwere, grundlegende Verstöße gegen
dieseHarmonisierungsregelung begangen worden seien, die wie im vorliegenden Fall nicht auf
speziellere Vorschriften der genannten beiden Richtlinien bezogen werden könnten.
20.
Einleitend ist festzustellen, dass die Kommission nach ständiger Rechtsprechung in einer gemäß
Artikel 226 EG eingereichten Klageschrift die Rügen, über die der Gerichtshof entscheiden soll, genau
angeben und zumindest in gedrängter Form die rechtlichen und tatsächlichen Umstände darlegen
muss, auf die diese Rügen gestützt sind (u. a. Urteil vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-
375/95, Kommission/Griechenland, Slg. 1997, I-5981, Randnr. 35).
21.
Der Verpflichtung, die rechtlichen Umstände darzulegen, auf die sie ihre Rügen stützt, genügt die
Kommission nicht schon damit, dass sie zur Begründung, dass der beklagte Mitgliedstaat eine
gemeinschaftsrechtliche Vorschrift nicht eingehalten habe, diese lediglich in demjenigen Teil der mit
Gründen versehenen Stellungnahme oder der Klageschrift nennt, der den rechtlichen Rahmen rein
beschreibend wiedergibt und nicht der Beweisführung dient.
22.
Somit wird durch den Hinweis der Kommission auf Artikel 1 der Koordinierungsrichtlinie in
demjenigen Teil der mit Gründen versehenen Stellungnahme und der Klageschrift, der den rechtlichen
Rahmen wiedergibt, kein Bezug zwischen dem Verstoß gegen diese Bestimmung und der Möglichkeit
der gleichzeitigen Eintragung in zwei berufsständischen Registern hergestellt. Zudem bedeutet die
Wiedergabe dieses Artikels durch die Kommission zur Stützung ihrer ersten Rüge mangels eines
anderslautenden Hinweises nicht, dass dieser auch zur Stützung ihrer zweiten Rüge angeführt worden
ist.
23.
Macht die Kommission geltend, dass eine nationale Regelung gegen das System, den Aufbau und
Sinn und Zweck einer Harmonisierungsrichtlinie verstoße, ohne dass die daraus folgende Verletzung
des Gemeinschaftsrechts auf speziellere Vorschriften dieser Richtlinie bezogen werden könnte, kann
die Klage jedoch nicht schon allein deswegen als unzulässig qualifiziert werden. In einem solchem Fall
kann der Gerichtshof jedoch nur prüfen, ob die betreffende nationale Regelung in diesem Sinne
gegen die angeführte Richtlinie verstößt.
24.
Im vorliegenden Fall hat die Kommission vorgetragen, dass die derzeitige Rechtslage in Italien, die
die gleichzeitige Eintragung im Ärzteregister und im Zahnärzteregister zulasse, gegen die durch die
Anerkennungs- und die Koordinierungsrichtlinie eingeführte harmonisierte Regelung verstoße und die
letztgenannte Richtlinie an und für sich der Aufrechterhaltung der Möglichkeit einer doppelten
Eintragung entgegenstehe. Somit hat die Klageschrift, die die Kommission eingereicht hat, der
Italienischen Republik erlaubt, sich hiergegen zu verteidigen und die entsprechenden Rügen der
Kommission zurückzuweisen.
25.
Folglich ist, was die zweite Rüge betrifft, die Klage der Kommission für zulässig zu erklären, soweit
mit ihr geltend gemacht wird, dass die betreffende nationale Regelunggegen die durch die
Anerkennungs- und die Koordinierungsrichtlinie eingeführte harmonisierte Regelung verstoße.
Zur Begründetheit
Vorbringen der Parteien
26.
Nach Ansicht der Kommission genügt der im Gesetz Nr. 409/85 vorgesehene zweite
Ausbildungsgang mit einer dreijährigen Ausbildung in Zahnheilkunde offensichtlich nicht der
Voraussetzung einer fünfjährigen Fachausbildung nach Artikel 1 der Koordinierungsrichtlinie.
27.
Dieser zweite Ausbildungsgang für Zahnärzte entspreche genau dem Diplom eines Facharztes in
Stomatologie (odontostomatologia), das in Artikel 7 der Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 5. April
1993 zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome,
Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise (ABl. L 165, S. 1) aufgeführt sei.
28.
Eine Spezialisierung im medizinischen Bereich könne nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie
93/16 über Ärzte und zugleich in den der Anerkennungsrichtlinie über Zahnärzte fallen. Die
Koordinierungsrichtlinie habe ausdrücklich die Schaffung einer neuen Berufsgruppe für die Ausübung
der Zahnheilkunde unter einer anderen Bezeichnung als der des Arztes vorgesehen. Aus diesem
Grund würden die Ärzte - mit oder ohne Spezialisierung auf die Tätigkeit eines Zahnarztes -, die ihren
Befähigungsnachweis in Italien erworben hätten, nach Artikel 19 der Anerkennungsrichtlinie nicht
ohne weiteres im Sinne dieser Richtlinie anerkannt. Anerkannt seien ausnahmsweise und
vorübergehend nur diejenigen Ärzte, die ihre Ausbildung als Arzt vor dem 28. Januar 1980 begonnen
hätten.
29.
Der zweite Ausbildungsgang für Zahnärzte habe daher bei der Umsetzung der
Koordinierungsrichtlinie nicht aufrechterhalten werden dürfen.
30.
Zudem hat die Kommission sich den Feststellungen angeschlossen, die der Beratende Ausschuss
für die zahnärztliche Ausbildung im Juni 1989 in seinem „Bericht und Stellungnahme zur Vereinbarkeit
des aus einer ärztlichen Ausbildung und einer darin anschließenden zahnärztlichen Weiterbildung
bestehenden Ausbildung zum Zahnarzt in Italien mit Artikel 1 der Richtlinie 78/687/EWG“ [Aktenzeichen
III/D/5045/3/89 vom 15. November 1989] getroffen hat, der der Erwiderung der Kommission beigefügt
ist.
31.
Dieser Ausschuss, der sich aus Sachverständigen auf diesem Gebiet aus allen Mitgliedstaaten
zusammensetzt, hat unter Nr. 4 Buchstabe a und b dieses Berichtes festgestellt:
„a) Bei dem auf einer ärztlichen Ausbildung aufbauenden Ausbildungsgang in der Zahnheilkunde
handelt es sich nicht um einen Ausbildungsgang im Sinne des Artikels 1 der Richtlinie 78/687/EWG.
Diese Vorschrift fordert eine eigenständige zahnärztliche Ausbildung in einem fünfjährigen,
ausschließlich der Zahnheilkunde gewidmeten Universitätsstudium. Eine Ausbildung, die auf einer
ärztlichen Ausbildung aufbaut und lediglich eine Weiterbildung in der Zahnheilkunde umfasst,
unterscheidet sich sowohl strukturell als auch inhaltlich wesentlich von einem fünfjährigen Studium,
das nach den Vorgaben des Artikels 1 der Richtlinie 78/687/EWG gestaltet ist, von Anfang an auf die
Zahnheilkunde ausgerichtet ist und mit ausschließlich auf die Zahnheilkunde bezogenen Prüfungen
abschließt.
b) Der 2. Ausbildungsgang Italiens stimmt mit der Ausbildung zum .Stomatologen' überein. Das
Diplom des .Stomatologen' und die Weiterbildung auf diesem Gebiet werden durch die Ärzterichtlinien
erfasst. Die Ärzte- und die Zahnärzterichtlinien sind nach dem Prinzip gestaltet, dass es sich bei Ärzten
und Zahnärzten um getrennte Berufe handelt. Nach diesem Prinzip hat die fachärztliche Qualifikation,
die Italien für das Gebiet der .Stomatologie' erteilt, zu Recht Aufnahme in die Ärzterichtlinien gefunden.
Die Zahnärzterichtlinien sind nicht der geeignete Rahmen für eine gegenseitige Anerkennung eines
Diploms, das nach einer fachärztlichen Weiterbildung verliehen wird.“
32.
Die italienische Regierung ist der Ansicht, dass bei der Berechnung der Dauer des zweiten
Ausbildungsgangs auch die Zeit zu berücksichtigen sei, die für das Studium der Grundfächer und der
allgemeinmedizinischen Fächer im Rahmen der Ausbildung zur Erlangung des Arztdiploms aufgewendet
worden sei, soweit diese Fächer entsprechend dem Anhang der Koordinierungsrichtlinie ebenfalls zum
Studienprogramm für Zahnärzte gehörten. Artikel 1 der Koordinierungsrichtlinie verlange nicht, dass
die im Anhang genannte Ausbildung in einem einzigen Studiengang vermittelt worden sei, der
ausschließlich auf die Erlangung eines Zahnarztdiploms ausgerichtet sei.
33.
Die Ansicht der Kommission, dass das eigentliche zahnmedizinische Studium sich nach der
Koordinierungsrichtlinie über die gesamte Ausbildungsdauer von fünf Jahren erstrecken müsse, finde
nirgendwo in der Richtlinie eine Stütze. Der Anhang dieser Richtlinie sehe nämlich weder eine
Aufteilung der Ausbildungszeit zwischen den allgemeinmedizinischen Fächern und den spezifischen
Fächern der Zahnheilkunde noch das gleichzeitige kombinierte Studium beider Arten von Fächern vor.
Würdigung durch den Gerichtshof
34.
Nach Artikel 1 Absatz 2 der Koordinierungsrichtlinie umfasst die zahnärztliche Ausbildung nach
Absatz 1 dieser Bestimmung „mindestens fünf Jahre theoretischen und praktischen Unterricht auf
Vollzeitbasis, der die im Anhang aufgeführten Fächer umfasst, an einer Universität, an einem
Hochschulinstitut mit anerkannt gleichem Niveau oder unter Aufsicht einer Universität“.
35.
In der Tat gehört von diesen drei Fächergruppen, die in diesem Anhang aufgeführt sind, nur die
Gruppe c) „Spezifische Fächer der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde“ zur zahnärztlichen
Fachausbildung. Die Gruppen a) „Grundfächer“ und b) „Medizinisch-biologische und
allgemeinmedizinische Fächer“ umfassen Fächer, deren Vermittlung für die Ausübung der ärztlichen
Tätigkeit ebenso erforderlich ist wie für die Ausübung der zahnärztlichen Tätigkeit.
36.
Ebenso steht fest, dass Artikel 1 Absatz 2 der Koordinierungsrichtlinie weder eine eventuelle
Mindestzeit, die für die rein zahnärztlichen Fächer aufgewendet werden muss, noch eine Aufteilung der
für diese Fächer aufgewendeten Zeit innerhalb der für die Ausbildung zum Zahnarzt erforderlichen
fünfjährigen Gesamtstudienzeit vorsieht.
37.
In Artikel 1 Absatz 2 der Koordinierungsrichtlinie ist jedoch ausdrücklich von einer „zahnärztlichen
Ausbildung“ die Rede, was für ein Studium spricht, das speziell auf die Ausbildung von Zahnärzten
zugeschnitten ist.
38.
Der im Gesetz Nr. 409/85 vorgesehene zweite Ausbildungsgang schließt nicht mit dem Diplom eines
Zahnarztes ab, sondern mit einem ärztlichen Grunddiplom in Verbindung mit einem Diplom über eine
Spezialisierung auf dem Gebiet der Zahnheilkunde. Eine solche Kombination von Diplomen entspricht
nicht den Anforderungen der Koordinierungs- und Anerkennungsrichtlinie, die beide Einzeldiplome
betreffen.
39.
Gegen diese Auslegung spricht auch nicht Artikel 19 Absatz 2 der Anerkennungsrichtlinie, wonach
im Rahmen der Sonderregelung für Italien ein ärztliches Grunddiplom in Verbindung mit einem Diplom
über die Spezialisierung auf dem Gebiet der Zahnheilkunde für die Ausübung der Tätigkeiten eines
Zahnarztes anerkannt werden kann. Hätte der Gemeinschaftsgesetzgeber nämlich die Möglichkeit der
gegenseitigen Anerkennung einer solchen Ausbildung allgemein zulassen wollen, hätte er die
gegenseitige Anerkennung der Qualifizierung der auf diese Weise ausgebildeten Ärzte nicht nur
ausnahmsweise und vorübergehend durch die Beschränkung auf diejenigen, die ihre ärztliche
Ausbildung vor dem 28. Januar 1980 begonnen hatten, vorgesehen.
40.
Diese Auslegung der Koordinierungsrichtlinie wird durch das Ergebnis bestätigt, zu dem der
Beratende Ausschuss für die zahnärztliche Ausbildung im Jahr 1989 gelangt ist und das in
Randnummer 31 wiedergegeben ist.
41.
Die erste Rüge greift somit durch.
Vorbringen der Parteien
42.
Die Kommission macht geltend, dass nach der Anerkennungsrichtlinie ein Arzt, der nur ein Diplom
besitze und zu nur einer beruflichen Tätigkeit zugelassen sei, nicht gleichzeitig im Ärzteregister und im
Zahnärzteregister eingetragen sein dürfe.
43.
Ein solcher Arzt falle nämlich entweder unter die Anerkennungsrichtlinie, wenn er hauptsächlich die
Tätigkeit eines Zahnarztes gemäß der Ausnahme- und Übergangsregelung des Artikels 19 dieser
Richtlinie ausübe, oder unter die Richtlinie 93/16, wenn er Facharzt für Stomatologie sei und als
solcher weiterhin tätig sein wolle.
44.
Die Kommission fügt hinzu, dass sie nicht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Errichtung und
Führung berufsständischer Register in Frage stellen wolle, dass sie sich aber dagegen wende, dass
es in Italien weiterhin möglich sei, mit nur einem Arztdiplom sich zugleich in das Ärzteregister und in
das Zahnärzteregister eintragen zu lassen und damit beide Berufe gleichzeitig auszuüben.
45.
Die italienische Regierung trägt vor, dass Artikel 1 der Koordinierungsrichtlinie weder als
Voraussetzung für den Zugang zu den Tätigkeiten eines Zahnarztes die Eintragung in ein
berufsständisches Register verlange noch eine Eintragung in zwei Registern ausschließe, sofern diese
Möglichkeit nicht Personen offen stehe, die nicht den Ausbildungsanforderungen nach Artikel 1 der
Koordinierungsrichtlinie genügten, oder in der Koordinierungsrichtlinie eine Unvereinbarkeit
ausdrücklich festgestellt sei.
Beurteilung durch den Gerichtshof
46.
Die Würdigung der ersten Rüge hat zu dem Ergebnis geführt, dass die Koordinierungsrichtlinie
einem Mitgliedstaat nicht erlaubt, einen zweiten Ausbildungsgang für den Zugang zum Beruf des
Zahnarztes vorzusehen, der in einer ärztlichen Grundausbildung mit einer anschließenden
Spezialisierung auf dem Gebiet der Zahnheilkunde besteht.
47.
Diese Richtlinie verlangt nämlich ausdrücklich eine „zahnärztliche Ausbildung“, die nur mit dem in
der Anerkennungsrichtlinie vorgesehenen Diplom abschließen kann.
48.
Wenn die Koordinierungsrichtlinie somit außerhalb der Ausnahme- und Übergangsregelung des
Artikels 19 der Anerkennungsrichtlinie die Möglichkeit eines Zugangs zu den Tätigkeiten eines
Zahnarztes im Sinne der Anerkennungs- und der Koordinierungsrichtlinie nach Abschluss einer
sechsjährigen ärztlichen Grundausbildung mit anschließender dreijähriger Spezialisierung auf dem
Gebiet der Zahnheilkunde ausschließt, schließt sie folglich auch aus, dass ein Arzt mit einer solchen
Ausbildung gleichzeitig im Ärzteregister und im Zahnärzteregister eingetragen sein kann.
49.
Die Kommission hat jedoch in ihrer Erwiderung klargestellt, dass die zweite Rüge die Ärzte mit einem
in Italien ausgestellten Diplom - mit oder ohne Nachweis einer Spezialisierung - betreffe, die unter die
Ausnahmeregelung des Artikels 19 der Anerkennungsrichtlinie fielen und rechtmäßig die Tätigkeit
eines Zahnarztes ausübten. In diesem Fall sei die Eintragung im Ärzteregister unzulässig, da sie dazu
berechtige, mit ein und demselben (Arzt-)Diplom und aufgrund ein und derselben Zulassung
zurBerufsausübung gleichzeitig neben dem Beruf des Zahnarztes die Tätigkeiten eines Arztes
auszuüben, obwohl diese Tätigkeiten durch die Richtlinie 93/16 geregelt seien.
50.
Die Übergangsregelung des Artikels 19 der Anerkennungsrichtlinie sagt zunächst einmal nichts zu
der Frage, ob die dort genannten Ärzte im Ärzteregister eingeschrieben bleiben können.
51.
Zwar ziehen die Anerkennungs- und die Koordinierungsrichtlinie eine klare Trennung zwischen dem
Beruf des Zahnarztes und dem des Arztes, doch enthalten sie keinen Anhaltspunkt dafür, dass die
durch sie eingeführte harmonisierte Regelung auch einer Eintragung der unter Artikel 19 der
Anerkennungsrichtlinie fallenden Ärzte im Ärzteregister entgegensteht, was darauf hinausliefe, ihnen
das Recht auf Ausübung ihres Arztberufes zu nehmen.
52.
Artikel 19 der Anerkennungsrichtlinie hat für eine bestimmte Gruppe von Ärzten, die ihr Diplom in
Italien erworben haben, und zwar für diejenigen, die zwar ein Arztdiplom besitzen, in Italien aber
hauptsächlich als Zahnarzt tätig sind, eine Sonderregelung eingeführt, um bei der Schaffung des
Berufes des Zahnarztes gemäß der Anerkennungs- und der Koordinierungsrichtlinie den Übergang zu
der neuen Regelung zu erleichtern. Zu diesem Zweck verpflichtet dieser Artikel die Mitgliedstaaten,
unter bestimmten Voraussetzungen die Arztdiplome dieser Gruppe für die Ausübung der Tätigkeiten
eines Zahnarztes anzuerkennen.
53.
Die Frage, ob die anderen Mitgliedstaaten verpflichtet sind, die Diplome dieser Ärztegruppe auch
für die Ausübung der Tätigkeiten eines Arztes anzuerkennen, ist im Rahmen der
Gemeinschaftsregelung über die Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen
Befähigungsnachweise des Arztes und nicht im Rahmen der Anerkennungs- und der
Koordinierungsrichtlinie für Zahnärzte zu entscheiden.
54.
Jedenfalls hängt die eventuelle Anerkennung dieser Diplome in anderen Mitgliedstaaten nicht von
der Eintragung der betreffenden Ärzte im Ärzteregister in Italien ab. Die Anerkennung der beruflichen
Fähigkeiten setzt nämlich nicht eine Eintragung in einem berufsständischen Register voraus, sondern
hängt allgemein von den Merkmalen des betreffenden Diploms und der vom Inhaber dieses Diploms
erworbenen beruflichen Erfahrungen ab.
55.
Diese Auslegung steht nicht im Widerspruch zum Urteil vom 1. Juni 1995 in der Rechtssache C-40/93
(Kommission/Italien, Slg. 1995, I-1319). In Randnummer 24 dieses Urteils hat der Gerichtshof
festgestellt, dass die Mitgliedstaaten keine Kategorie von Zahnärzten schaffen könnten, die keiner
der in den fraglichen Richtlinien aufgeführten Kategorien entspricht. Im vorliegenden Fall handelt es
sich aber nicht um die Schaffung einer neuen Kategorie von Ärzten, deren Diplome in den anderen
Mitgliedstaaten nicht anerkannt werden könnten, sondern um einzelne Folgen einer
Übergangsregelung für eine begrenzte Kategorie von Ärzten.
56.
Aufgrund dessen ist die zweite Rüge zurückzuweisen.
Kosten
57.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung trägt die unterliegende Partei auf Antrag die Kosten des
Verfahrens. Nach Artikel 69 § 3 Absatz 1 kann der Gerichtshof jedoch die Kosten teilen oder
beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils
unterliegt. Da die Italienische Republik und die Kommission mit ihrem Vorbringen teils obsiegt haben
und teils unterlegen sind, haben sie jeweils ihre eigenen Kosten zu tragen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Italienische Republik hat gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie 78/687/EWG
des Rates vom 25. Juli 1978 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für
die Tätigkeiten des Zahnarztes verstoßen, indem sie einen zweiten Ausbildungsgang für
den Zugang zu dem Beruf des Zahnarztes vorgesehen hat, der mit der genannten
Richtlinie nicht in Einklang steht.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Italienische Republik und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften
tragen jeweils ihre eigenen Kosten.
Jann
Edward
La Pergola
Sevón Timmermans
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 29. November 2001.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
P. Jann
Verfahrenssprache: Italienisch.