Urteil des EuGH vom 07.11.2000

EuGH: auswärtige angelegenheiten, luxemburg, rat der europäischen union, vereinigtes königreich, mitgliedstaat, berufsausübung, klage auf nichtigerklärung, qualifikation, zugang, kommission

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
7. November 2000
„Nichtigkeitsklage - Niederlassungsfreiheit - Gegenseitige Anerkennung der Diplome - Harmonisierung -
Begründungspflicht - Richtlinie 98/5/EG - Ständige Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen
Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde“
In der Rechtssache C-168/98
Großherzogtum Luxemburg
wirtschaftliche Beziehungen und Zusammenarbeit im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, dann
durch P. Steinmetz, Direktor für rechtliche und kulturelle Angelegenheiten im selben Ministerium, als
Bevollmächtigte im Beistand vonRechtsanwalt J. Welter, Luxemburg, Zustellungsanschrift: Kanzlei des
Letzteren, 100, boulevard de la Pétrusse, Luxemburg,
Kläger,
gegen
Europäisches Parlament ,
Baas, beide Juristischer Dienst, dann durch C. Pennera und J. Sant'Anna, Hauptverwaltungsrat im Juristischen
Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Generalsekretariat des Europäischen Parlaments,
Luxemburg-Kirchberg,
und
Rat der Europäischen Union
Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: A. Morbilli, Generaldirektor der Direktion für
Rechtsfragen der Europäischen Investitionsbank, 100, boulevard Konrad Adenauer, Luxemburg,
Beklagte,
unterstützt durch
Königreich Spanien
Zustellungsanschrift: Spanische Botschaft, 4-6, boulevard E. Servais, Luxemburg,
Königreich der Niederlande
Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigter, Bezuidenhoutseweg, 67, Den Haag,
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland
Solicitor, als Bevollmächtigten im Beistand von Barrister D. Anderson, Zustellungsanschrift: Britische
Botschaft, 14, boulevard Roosevelt, Luxemburg,
und
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Mongin, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz,
Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Streithelfer,
wegen Nichtigerklärung der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar
1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als
dem, in dem die Qualifikation erworben wurde (ABl. L 77, S. 36),
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten C. Gulmann
(Berichterstatter), A. La Pergola, M. Wathelet und V. Skouris, der Richter D. A. O. Edward, J.-P. Puissochet, P.
Jann, L. Sevón und R. Schintgen sowie der Richterin F. Macken,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Beteiligten in der Sitzung vom 25. Januar 2000, in der das Großherzogtum Luxemburg
durch P. Steinmetz im Beistand von Rechtsanwalt J. Welter, das Parlament durch C. Pennera, der Rat durch F.
Anton, das Königreich Spanien durch M. López-Monís Gallego, das Königreich der Niederlande durch J. van
Bakel, beigeordnete Rechtsberaterin im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigte,
das Vereinigte Königreich durch J. E. Collins im Beistand von Barrister M. Hoskins und die Kommission durch
B. Mongin vertreten waren,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 24. Februar 2000,
folgendes
Urteil
1.
Das Großherzogtum Luxemburg hat mit Klageschrift, die am 4. Mai 1998 bei der Kanzlei des
Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel
230 Absatz 1 EG) Klage auf Nichtigerklärung der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und
des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs
in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde (ABl. L 77, S. 36),
erhoben.
2.
Mit Beschlüssen des Präsidenten des Gerichtshofes vom 16. September, 19. Oktober, 11.
November und 9. Dezember 1998 sind das Königreich Spanien, die Kommission der Europäischen
Gemeinschaften, das Königreich der Niederlande und das Vereinigte Königreich Großbritannien und
Nordirland als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge des Europäischen Parlaments und des Rates
der Europäischen Union zugelassen worden.
Die Richtlinie 98/5
3.
Die Richtlinie 98/5 wurde gemäß dem Verfahren des Artikels 189b EG-Vertrag (nach Änderung jetzt
Artikel 251 EG) auf der Grundlage des Artikels 49 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 40 EG)
erlassen, soweit sie Bestimmungen über die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs als abhängig
Beschäftigter enthält, sowie auf der Grundlage des Artikels 57 Absätze 1 und 2 Sätze 1 und 3 EG-
Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 47 Absätze 1 und 2 Sätze 1 und 3 EG), soweit sie die Ausübung
dieses Berufes als Selbständiger regelt.
4.
Nach Artikel 2 Absatz 1 dieser Richtlinie hat jeder Rechtsanwalt das Recht, die in Artikel 5
genannten Anwaltstätigkeiten auf Dauer in jedem anderen Mitgliedstaat unter seiner ursprünglichen
Berufsbezeichnung auszuüben.
5.
Nach Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie übt der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätige
Rechtsanwalt die gleichen beruflichen Tätigkeiten wie der unter der jeweiligen Berufsbezeichnung des
Aufnahmestaats niedergelassene Rechtsanwalt aus und kann insbesondere Rechtsberatung im Recht
seines Herkunftsstaats, im Gemeinschaftsrecht, im internationalen Recht und im Recht des
Aufnahmestaats erteilen.
6.
Nach Artikel 5 Absatz 2 können jedoch Mitgliedstaaten, die in ihrem Gebiet einer bestimmten
Gruppe von Rechtsanwälten die Abfassung von Urkunden gestatten, mit denen das Recht auf
Verwaltung des Vermögens verstorbener Personen verliehen oder Rechte an Grundstücken
begründet oder übertragen werden und die in anderen Mitgliedstaaten anderen Berufen als dem des
Rechtsanwalts vorbehalten sind, den unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätigen
Rechtsanwalt aus einem dieser anderen Mitgliedstaaten von diesen Tätigkeiten ausschließen. Gemäß
Artikel 5 Absatz 3 kann der Aufnahmemitgliedstaat für die Ausübung der Tätigkeiten, die mit der
Vertretung und der Verteidigung von Mandanten vor Gerichten verbunden sind, soweit er diese
Tätigkeiten den unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats tätigen Rechtsanwälten vorbehält,
den unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung tätigen Rechtsanwälten als Bedingung auferlegen,
dass sie im Einvernehmen mit einem bei dem angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt, der
gegebenenfalls diesem Gericht gegenüber die Verantwortung trägt, oder mit einem bei diesem
Gericht tätigen „avoué“ handeln. Im Übrigen können die Mitgliedstaaten nach Artikel 5 Absatz 3, um
das ordnungsgemäße Funktionieren der Rechtspflege sicherzustellen, besondere Regeln für den
Zugang zu den höchsten Gerichten vorsehen und zum Beispiel nur spezialisierte Rechtsanwälte
zulassen.
7.
Die Artikel 3, 4, 6 und 7 enthalten Vorschriften zu folgenden Punkten:
- Eintragung des Rechtsanwalts, der seinen Beruf in einem anderen Mitgliedstaat ausüben möchte
als dem, in dem er seine Berufsqualifikation erworben hat, bei der zuständigen Stelle;
- Wortlaut der Berufsbezeichnung, die der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätige
Rechtsanwalt verwendet;
- Berufs- und Standesregeln;
- Disziplinarverfahren.
8.
Nach Artikel 10 Absatz 1 hat der Rechtsanwalt, der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung
tätig ist und eine mindestens dreijährige effektive und regelmäßige Tätigkeit im Aufnahmestaat im
Recht dieses Mitgliedstaats, einschließlich des Gemeinschaftsrechts, nachweist, Zugang zum
Rechtsanwaltsberuf im Aufnahmestaat, ohne einen höchstens dreijährigen Anpassungslehrgang
absolvieren oder eine Eignungsprüfung ablegen zu müssen, wie dies Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b
der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur
Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen
(ABl. 1989, L 19, S. 16), voraussetzt.
9.
Nach Artikel 10 Absatz 3 der Richtlinie 98/5 kann auch der unter seiner ursprünglichen
Berufsbezeichnung tätige Rechtsanwalt, der den Nachweis einer mindestens dreijährigen effektiven
und regelmäßigen Tätigkeit im Aufnahmestaat erbringt, im Recht des Aufnahmestaats jedoch nur
während eines kürzeren Zeitraums tätig war, bei der zuständigen Stelle dieses Mitgliedstaats, die in
diesem Rahmen bestimmte zusätzliche Gesichtspunkte berücksichtigt, die Zulassung zum
Rechtsanwaltsberuf im Aufnahmestaat und das Recht erlangen, diesen unter der entsprechenden
Berufsbezeichnung dieses Mitgliedstaats auszuüben, ohne dass die in Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b
der Richtlinie 89/48 genannten Voraussetzungen eines Anpassungslehrgangs oder einer
Eingangsprüfung auf ihn Anwendung finden.
10.
Nach Artikel 10 Absatz 2 kann der in einem Aufnahmestaat unter seiner ursprünglichen
Berufsbezeichnung tätige Rechtsanwalt jederzeit die Anerkennung seines Diploms nach der Richtlinie
89/48 beantragen, um zum Rechtsanwaltsberuf im Aufnahmestaat zugelassen zu werden und ihn
unter der entsprechenden Berufsbezeichnung dieses Mitgliedstaats auszuüben.
11.
Die Artikel 11 und 12 regeln die gemeinsame Ausübung der Rechtsanwaltsberufs.
12.
Sofern die gemeinsame Berufsausübung für Rechtsanwälte, die unter der jeweiligen
Berufsbezeichnung tätig sind, im Aufnahmestaat gestattet ist, erlaubt Artikel 11 denAnwälten, die in
diesem Staat unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung tätig sind, unter bestimmten Vorbehalten,
- ihre beruflichen Tätigkeiten im Rahmen einer Zweigstelle oder Niederlassung der Gruppe, der sie in
ihrem Herkunftsstaat angehören, auszuüben;
- Zugang zu einer Form der gemeinsamen Berufsausübung zu haben, wenn sie ein und derselben
Gruppe angehören oder aus ein und demselben Herkunftsstaat kommen;
- ihren Beruf gemeinsam mit anderen, ebenfalls unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung
tätigen Rechtsanwälten aus verschiedenen Mitgliedstaaten und/oder mit Rechtsanwälten des
Aufnahmestaats auszuüben.
13.
Artikel 12 sieht vor, dass die ihren Beruf gemeinsam ausübenden Rechtsanwälte die Bezeichnung
der Gruppe angeben können, der sie im Herkunftsstaat angehören, und dass der Aufnahmestaat
verlangen kann, dass neben dieser Bezeichnung auch die Rechtsform der Gruppe im Herkunftsstaat
und/oder die Namen der im Aufnahmestaat tätigen Mitglieder der Gruppe angegeben werden.
Begründetheit
14.
Das Großherzogtum Luxemburg trägt drei Nichtigkeitsgründe vor, die aus einem Verstoß gegen
Artikel 52 Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 43 Absatz 2 EG), einem Verstoß gegen
Artikel 57 Absatz 2 Satz 2 EG-Vertrag und einem Verstoß gegen Artikel 190 EG-Vertrag (jetzt Artikel
253 EG) hergeleitet werden.
15.
Zur Stützung seiner Klagegründe stellt das Großherzogtum die Artikel 2, 5 und 11 der Richtlinie 98/5
über das Recht des zuwandernden Rechtsanwalts auf Berufsausübung unter seiner ursprünglichen
Berufsbezeichnung, über sein Tätigkeitsfeld und über die gemeinsame Ausübung des Berufes in
Frage.
16.
Der auf Artikel 52 Absatz 2 des Vertrages gestützte Klagegrund besteht aus zwei Teilen, mit denen
erstens die Schaffung einer Ungleichbehandlung von Inländern und Zuwanderern und zweitens eine
Beeinträchtigung der im Allgemeininteresse liegenden Belange des Verbraucherschutzes und einer
geordneten Rechtspflege geltend gemacht wird.
Zum ersten Teil
17.
Das Großherzogtum Luxemburg trägt vor, dass Artikel 52 Absatz 2 des Vertrages den Grundsatz der
Gleichstellung des zuwandernden Selbständigen mit seinem inländischen Kollegen einführe. Dieser
Grundsatz der Inländerbehandlung bedeute, dass die Gleichbehandlung oder Nichtdiskriminierung am
Recht des Aufnahmestaats und nichtan dem des Herkunfts- oder Heimatstaats des zuwandernden
Selbständigen zu messen sei und das Niederlassungsrecht nicht unter Verstoß gegen zwingende
Grundsätze zur Regelung der selbständigen Berufe gewährt werden könne, die den Rechtsordnungen
der verschiedenen Mitgliedstaaten gemeinsam seien.
18.
Zwar könne eine Harmonisierung den Verzicht auf jegliche Überprüfung der Kenntnisse auf dem
Gebiet des internationalen Rechts, des Gemeinschaftsrechts und des Rechts des Herkunftsstaats
rechtfertigen, für das nationale Recht des Aufnahmestaats sei ein solcher Verzicht jedoch nicht
denkbar. Im Unterschied zu den in der Ausbildung zu anderen Berufen vermittelten Kenntnissen seien
nämlich die im nationalen Recht zu erwerbenden Kenntnisse in den Mitgliedstaaten weder dieselben
noch auch nur weitgehend ähnlich. Das Besondere der Kenntnisse im nationalen Recht werde im
Übrigen in der Richtlinie 89/48 anerkannt.
19.
Artikel 52 des Vertrages sei ein besonderer Ausdruck des allgemeinen
Gleichbehandlungsgrundsatzes.
20.
Dadurch, dass die Richtlinie 98/5 jegliche Verpflichtung zur vorherigen Ausbildung im Recht des
Aufnahmestaats beseitige und zuwandernden Rechtsanwälten gestatte, in diesem Recht zu
praktizieren, schaffe sie eine Ungleichbehandlung von Inländern und Zuwanderern, die im Hinblick auf
Artikel 52 des Vertrages nicht gerechtfertigt sei, da dieser dem Gemeinschaftsgesetzgeber nicht
erlaube, in einer Richtlinie, die die Harmonisierung der Ausbildungsvoraussetzungen betreffe, das
Erfordernis einer vorherigen Qualifikation zu beseitigen.
21.
Zugleich lasse die Richtlinie 98/5 den wesentlichen Unterschied außer Acht, der zwischen der
Niederlassung und der Erbringung von Dienstleistungen bestehe und weiterhin bestehen müsse, da
bereits die Richtlinie 77/249/EWG des Rates vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen
Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte (ABl. L 78, S. 17) dem
Dienstleistungen erbringenden Rechtsanwalt gestatte, im Recht des Aufnahmestaats zu praktizieren,
ohne Kenntnisse in diesem Recht nachweisen zu müssen.
22.
Das Parlament und der Rat, unterstützt durch die Streithelfer, bestreiten, dass eine umgekehrte
Diskriminierung vorliege. Bei den unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung und den unter der
Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats tätigen Rechtsanwälten lägen unterschiedliche Sachverhalte
vor, da die Ersteren mehreren Beschränkungen hinsichtlich der Bedingungen für die Ausübung ihrer
Tätigkeit unterlägen. Jedenfalls gehöre die Festlegung von Schranken für den Prozess der
Liberalisierung des Zugangs zu den selbständigen Tätigkeiten nicht zu den Aufgaben des Artikels 52
des Vertrages.
23.
Das in dieser Vorschrift niedergelegte Diskriminierungsverbot ist nur der spezifische Ausdruck des
allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes, der als eines der Grundprinzipien des Gemeinschaftsrechts vom
Gemeinschaftsgesetzgeber zu beachten ist und verlangt,dass vergleichbare Sachverhalte nicht
unterschiedlich behandelt werden, es sei denn, dass eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre
(vgl. in diesem Sinne Urteile vom 5. Oktober 1994 in der Rechtssache C-280/93, Deutschland/Rat, Slg.
1994, I-4973, Randnr. 67, und vom 15. April 1997 in der Rechtssache C-27/95, Bakers of Nailsea, Slg.
1997, I-1847, Randnr. 17).
24.
Im vorliegenden Fall hat der Gemeinschaftsgesetzgeber diesen Grundsatz nicht verletzt, da beim
zuwandernden Rechtsanwalt, der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätig ist, und bei
dem unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats tätigen Rechtsanwalt keine vergleichbaren
Sachverhalte vorliegen.
25.
Im Unterschied zu Letzterem, der sämtlichen Tätigkeiten nachgehen kann, deren Ausübung der
Aufnahmestaat dem Berufsstand des Rechtsanwalts gestattet oder vorbehält, sind Ersterem unter
Umständen bestimmte Tätigkeiten untersagt und bei der Vertretung und der Verteidigung eines
Mandanten vor Gericht bestimmte Verpflichtungen auferlegt.
26.
So darf der Aufnahmemitgliedstaat nach Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie 98/5 unter bestimmten
Voraussetzungen die Abfassung von Urkunden, mit denen das Recht auf Verwaltung des Vermögens
verstorbener Personen verliehen oder Rechte an Grundstücken begründet oder übertragen werden,
vom Tätigkeitsbereich des unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätigen zuwandernden
Rechtsanwalts ausschließen.
27.
Nach Artikel 5 Absatz 3 Unterabsatz 1 darf der Aufnahmestaat den unter ihrer ursprünglichen
Berufsbezeichnung tätigen Rechtsanwälten unter bestimmten Voraussetzungen als Bedingung
auferlegen, dass sie im Einvernehmen mit einem unter der Berufsbezeichnung dieses Staates bei dem
angerufenen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt oder mit einem bei diesem Gericht tätigen „avoué“
handeln. Nach Unterabsatz 2 können die Mitgliedstaaten besondere Regeln für den Zugang zu den
höchsten Gerichten vorsehen und zum Beispiel nur spezialisierte Rechtsanwälte zulassen.
28.
Außerdem hat nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie 98/5 der in einem Mitgliedstaat unter seiner
ursprünglichen Berufsbezeichnung tätige Rechtsanwalt diese Berufsbezeichnung zu führen; die
Bezeichnung „muss verständlich und so formuliert sein, dass keine Verwechslung mit der
Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats möglich ist“.
29.
Die Rüge, dass der unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats tätige Rechtsanwalt
diskriminiert werde, ist daher nicht begründet. Der erste Teil des ersten Klagegrundes ist somit
zurückzuweisen.
Zum zweiten Teil
30.
Das Großherzogtum Luxemburg trägt vor, es bestreite die Gültigkeit der Richtlinie 98/5 im Interesse
des Verbraucherschutzes und einer geordneten Rechtspflege. Nach der Rechtsprechung des
Gerichtshofes biete die Anwendung von Berufsregelungen auf die Anwälte - namentlich von
Vorschriften über Organisation, Befähigung, Standespflichten, Kontrolle und Haftung - den
Empfängern rechtlicher Dienstleistungen und der Rechtspflege die erforderliche Gewähr für Integrität
und Erfahrung (Urteil vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache C-3/95, Reisebüro Broede, Slg.
1996, I-6511, Randnr. 38). Dadurch, dass die Richtlinie 98/5 jegliche Verpflichtung zur Ausbildung im
Recht des Aufnahmestaats beseitige, beeinträchtige sie die im Allgemeininteresse liegenden Belange
insbesondere des Verbraucherschutzes, die die verschiedenen Mitgliedstaaten mittels des
Erfordernisses des Erwerbs einer gesetzlich festgelegten Qualifikation für den Zugang zum Beruf des
Rechtsanwalts und seine Ausübung verfolgten. Lasse man insoweit eine Ausbildung durch
Berufsausübung zu, so bedeute dies zwangsläufig, dass die Berufsausübung der Ausbildung
vorausgehe. Wenn man behaupte, dass der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätige
Rechtsanwalt nicht in dem ihm unbekannten nationalen Recht des Aufnahmestaats praktizieren
werde, verkenne man zudem die zwingenden Erfordernisse, die den Ausschluss dieses Risikos
geböten, das unabhängig davon, wie hoch es sei, nicht hingenommen werden könne.
31.
Das Parlament und der Rat, unterstützt durch die Streithelfer, sind der Auffassung, das die
Richtlinie 98/5 zwingende Gründe des Allgemeininteresses, insbesondere den des
Verbraucherschutzes, in ihren Artikeln 4, 5, 6 und 7 berücksichtigt habe. Das Parlament und das
Vereinigte Königreich heben hervor, dass Rechtsanwälte nach den Standesregeln jedenfalls
verpflichtet seien, ein Mandat abzulehnen, wenn sie wüssten oder wissen müssten, dass es ihnen an
den erforderlichen Kenntnissen fehle; jeder Verstoß gegen diese Regel stelle eine standesrechtlich zu
ahndende Pflichtverletzung dar.
32.
Die Mitgliedstaaten können, solange die Gemeinschaft nicht handelt, unter bestimmten
Voraussetzungen nationale Maßnahmen erlassen, mit denen ein mit dem Vertrag vereinbarer legitimer
Zweck verfolgt wird und die aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, zu denen der
Verbraucherschutz gehört, gerechtfertigt sind. Sie können auf diese Weise unter bestimmten
Umständen Maßnahmen erlassen oder beibehalten, die den freien Verkehr behindern. Gerade solche
Hindernisse darf die Gemeinschaft nach Artikel 57 Absatz 2 des Vertrages zur Erleichterung der
Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten beseitigen. Beim Erlass derartiger Maßnahmen
trägt der Gemeinschaftsgesetzgeber dem von den verschiedenen Mitgliedstaaten verfolgten
Allgemeininteresse Rechnung und legt zur Wahrung dieses Interesses ein Schutzniveau fest, das in
der Gemeinschaft akzeptabel erscheint (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Mai 1997 in der
Rechtssache C-233/94, Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 1997, I-2405, Randnrn. 16 und 17). Bei
der Bestimmung des akzeptablen Schutzniveaus verfügt er über ein weites Ermessen.
33.
Im vorliegenden Fall enthalten mehrere Bestimmungen der Richtlinie 98/5 Regeln zur
Gewährleistung des Verbraucherschutzes und einer geordneten Rechtspflege.
34.
So hat nach Artikel 4 der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätige zuwandernde
Rechtsanwalt diese Berufsbezeichnung zu führen, damit der Verbraucher erfährt, dass der Anwalt,
dem er die Wahrnehmung seiner Interessen anvertraut, seine Qualifikation nicht im Aufnahmestaat
erworben hat und dass sich seine ursprüngliche Ausbildung nicht unbedingt auf das nationale Recht
dieses Staates erstreckte.
35.
Wie bereits festgestellt wurde, darf der Aufnahmestaat dem zuwandernden Anwalt nach Artikel 5
Absätze 2 und 3 unter bestimmten Voraussetzungen bestimmte Tätigkeiten untersagen und ihm bei
der Vertretung und der Verteidigung eines Mandanten vor Gericht bestimmte Verpflichtungen
auferlegen.
36.
Nach Artikel 6 Absatz 1 unterliegt der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätige
Rechtsanwalt nicht nur den in seinem Herkunftsstaat geltenden Berufs- und Standesregeln, sondern
hinsichtlich aller Tätigkeiten, die er im Aufnahmestaat ausübt, auch den gleichen Berufs- und
Standesregeln wie die Rechtsanwälte, die unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats
praktizieren.
37.
Nach Artikel 6 Absatz 3 darf der Aufnahmestaat dem unter seiner ursprünglichen
Berufsbezeichnung tätigen Rechtsanwalt zur Auflage machen, nach den Regeln, die er für sein Gebiet
festlegt, eine Berufshaftpflichtversicherung abzuschließen oder einer Berufsgarantiekasse
beizutreten, es sei denn, der betreffende Anwalt hat dies bereits nach den Regeln des
Herkunftsstaats getan. Bei nur partieller Gleichwertigkeit kann der Abschluss einer
Zusatzversicherung oder einer ergänzenden Garantie verlangt werden.
38.
Verletzt der unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätige Rechtsanwalt die im
Aufnahmestaat geltenden Verpflichtungen, so sind nach Artikel 7 Absatz 1 die in diesem Mitgliedstaat
geltenden Bestimmungen über Verfahren, Ahndung und Rechtsmittel anwendbar.
39.
Artikel 7 Absätze 2 und 3 sieht im Disziplinarbereich Verpflichtungen zur gegenseitigen
Unterrichtung und zur Zusammenarbeit zwischen der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats und der
des Aufnahmestaats vor.
40.
Nach Artikel 7 Absatz 4 entscheidet die zuständige Stelle des Herkunftsstaats nach den eigenen
Rechts- und Verfahrensregeln über die Folgen der von der zuständigen Stelle des Aufnahmestaats im
Disziplinarbereich gegen den unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung tätigen Rechtsanwalt
getroffenen Entscheidung.
41.
Schließlich bestimmt Artikel 7 Absatz 5, dass die zeitweilige oder endgültige Rücknahme der
Genehmigung zur Berufsausübung seitens der zuständigen Stelle des Herkunftsstaats für den
betreffenden Rechtsanwalt automatisch das einstweilige oder endgültige Verbot nach sich zieht,
seine Anwaltstätigkeit im Aufnahmestaat unter seiner ursprünglichen Berufsbezeichnung auszuüben.
42.
Im Übrigen enthalten die für Rechtsanwälte geltenden Standesregeln meist nach dem Vorbild von
Nummer 3.1.3 der vom Rat der Anwaltschaften der Europäischen Union (CCBE) beschlossenen
Standesregeln unbeschadet der Anwendung der geltenden Haftungsregeln für den Anwalt eine
disziplinarrechtlich abgesicherte Verpflichtung, ein Mandat abzulehnen, wenn er weiß oder wissen
muss, dass es ihm an den erforderlichen Kenntnissen fehlt.
43.
Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat also, um einer bestimmten Kategorie zuwandernder
Rechtsanwälte die Ausübung der Niederlassungsfreiheit, einer Grundfreiheit, zu erleichtern, einer
Regelung, die eine Unterrichtung des Verbrauchers, Beschränkungen hinsichtlich des Umfangs und
der Modalitäten der Ausübung bestimmter mit dem Beruf verbundener Tätigkeiten, eine Kumulierung
der zu beachtenden Berufs- und Standesregeln, eine Versicherungspflicht sowie eine die zuständigen
Stellen des Herkunftsstaats und des Aufnahmestaats einbeziehende Disziplinarregelung miteinander
verknüpft, den Vorzug vor einem System der Vorabkontrolle einer Qualifikation im nationalen Recht
des Aufnahmestaats gegeben. Er hat nicht die Verpflichtung zur Kenntnis des nationalen Rechts
beseitigt, das in den vom betreffenden Anwalt bearbeiteten Rechtssachen anwendbar ist, sondern
lediglich den Anwalt von der Verpflichtung befreit, diese Kenntnisse im Voraus nachzuweisen. Damit
hat er zugelassen, dass Kenntnisse gegebenenfalls schrittweise durch die praktische Tätigkeit
erworben werden, was durch die im Herkunftsstaat in anderen Rechtsordnungen gesammelte
Erfahrung erleichtert wird. Er konnte dabei auch die abschreckende Wirkung der Disziplinar- und der
Berufshaftpflichtregelung berücksichtigen.
44.
Durch seine Entscheidung für diese Art und dieses Niveau des Verbraucherschutzes und der
Gewährleistung einer geordneten Rechtspflege hat der Gemeinschaftsgesetzgeber die Grenzen
seines Ermessens nicht überschritten.
45.
Folglich ist auch der zweite Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.
46.
Im Rahmen seines zweiten Klagegrundes macht das Großherzogtum Luxemburg geltend, die
Richtlinie 98/5 hätte nicht mit qualifizierter Mehrheit gemäß dem Verfahren des Artikels 189b des
Vertrages erlassen werden dürfen, sondern hätte des einstimmigen Erlasses gemäß Artikel 57 Absatz
2 Satz 2 des Vertrages bedurft.
47.
Das Großherzogtum erinnert an den Wortlaut von Artikel 57 Absatz 2 des Vertrages:
„Zu dem gleichen Zweck [Erleichterung der Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten]
erlässt der Rat ... Richtlinien zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten. Der Rat beschließt
einstimmig auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Europäischen Parlaments über
Richtlinien, deren Durchführung in mindestens einem Mitgliedstaat eine Änderung
bestehendergesetzlicher Grundsätze der Berufsordnung hinsichtlich der Ausbildung und der
Bedingungen für den Zugang natürlicher Personen zum Beruf umfasst. Im Übrigen beschließt der Rat
nach dem Verfahren des Artikels 189b.“
48.
Die Richtlinie 98/5 habe aber in ihren Artikeln 2, 5 und 11 in mehreren Mitgliedstaaten bestehende
wichtige Grundsätze hinsichtlich der Ausbildung und des Zugangs natürlicher Personen zum Beruf des
Rechtsanwalts geändert.
49.
Bezüglich der Ausbildung sei die Änderung offenkundig, da keine vorherige Ausbildung im Recht des
Aufnahmestaats und keine Anerkennung der Gleichwertigkeit nach einer Eignungsprüfung mehr
verlangt würden.
50.
Die für den Zugang zum Beruf geltenden Grundsätze seien durch die Richtlinie 98/5 ebenfalls
geändert worden, da diese
- in ihren Artikeln 2 und 5 die uneingeschränkte Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unter der
ursprünglichen Berufsbezeichnung gestatte, was zuvor in der großen Mehrzahl der Mitgliedstaaten
nicht möglich gewesen sei, und für zuwandernde Rechtsanwälte die Verpflichtung zum Erwerb von
Kenntnissen im Recht des Aufnahmestaats beseitige;
- in ihrem Artikel 11 die gemeinsame Ausübung des Rechtsanwaltsberufs liberalisiere, und zwar auch
in Mitgliedstaaten, die diese Art der Ausübung und diese Zugangsmodalität nicht zuließen.
51.
Vor allem habe die Richtlinie 98/5 zum Nachteil des Verbrauchers den gesetzlichen Grundsatz
abgeschafft, dass jeder Anwärter auf den Rechtsanwaltsberuf auf seine Kenntnisse im
luxemburgischen Recht geprüft werde.
52.
Der Rat und das Parlament führen aus, dass Artikel 57 Absatz 2 Satz 2 des Vertrages eng
auszulegen sei, da es sich um eine Ausnahmebestimmung gegenüber dem allgemeinen Verfahren
handele. Die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung seien im vorliegenden Fall nicht
erfüllt. Das Parlament, unterstützt durch das Königreich Spanien, trägt vor, dass die Richtlinie 98/5
den Grundsatz einer gegenseitigen Anerkennung der Berufsbezeichnungen, die nach den vom
jeweiligen Mitgliedstaat vorgesehenen Modalitäten erworben seien, festschreibe, um das
Niederlassungsrecht der Anwälte auf der Grundlage einer dieser Bezeichnungen im gesamten
Gemeinschaftsgebiet zu gewährleisten. Insoweit falle die angefochtene Maßnahme somit unter Artikel
57 Absatz 1 des Vertrages. Die Kommission macht geltend, dass die Richtlinie 98/5 einen
Mechanismus der gegenseitigen Anerkennung der Genehmigungen zur Berufsausübung schaffe, der
als solcher unter Artikel 57 Absätze 1 und 2 Sätze 1 und 3 des Vertrages falle.
53.
Die gemeinsame Ausübung des Rechtsanwaltsberufs gehört nach Ansicht des Rates, des
Königreichs der Niederlande und der Kommission auf jeden Fall zu den Modalitätender
Berufsausübung und nicht zu den gesetzlichen Grundsätzen hinsichtlich des Zugangs zum Beruf.
54.
Artikel 57 Absatz 1 des Vertrages bestimmt:
„Um die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten zu erleichtern, erlässt der Rat nach dem
Verfahren des Artikels 189b Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung der Diplome,
Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise.“
55.
Die Richtlinie 98/5, die tatsächlich u. a. die Ausübung des Rechtsanwaltsberufs als Selbständiger
erleichtern soll, schreibt in ihren Artikeln 2 und 5 vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen das Recht
jedes Rechtsanwalt fest, auf Dauer in jedem anderen Mitgliedstaat unter seiner ursprünglichen
Berufsbezeichnung die gleichen beruflichen Tätigkeiten auszuüben wie der unter der jeweiligen
Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats niedergelassene Rechtsanwalt, einschließlich der
Rechtsberatung im Recht des Aufnahmestaats.
56.
Sie schafft so einen Mechanismus der gegenseitigen Anerkennung der Berufsbezeichnungen der
zuwandernden Rechtsanwälte, die unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung arbeiten wollen.
Dieser Mechanismus ergänzt den durch die Richtlinie 89/84 eingeführten, der es Rechtsanwälten
ermöglichen soll, ihren Beruf ohne Einschränkungen unter der Berufsbezeichnung des
Aufnahmestaats auszuüben.
57.
Entgegen dem Vorbringen des Großherzogtums Luxemburg fallen die Artikel 2 und 5 der Richtlinie
98/5 daher unter Artikel 57 Absatz 1 des Vertrages und nicht unter Artikel 57 Absatz 2 Satz 2.
58.
Somit ist das Argument, dass bestehende gesetzliche Grundsätze der Berufsordnung im Sinne von
Artikel 57 Absatz 2 Satz 2 des Vertrages geändert worden seien und deshalb die Richtlinie 98/5
einstimmig hätte erlassen werden müssen, hinsichtlich der Artikel 2 und 5 der Richtlinie nicht
zutreffend.
59.
Was Artikel 11 der Richtlinie 98/5 über die gemeinsame Ausübung des Rechtsanwaltsberufs betrifft,
so regelt er keine Bedingung für den Zugang zum Rechtsanwaltsberuf, sondern eine Modalität der
Ausübung dieses Berufes. Wie das Parlament, der Rat, das Königreich Spanien und die Kommission
betonen, verpflichtet diese Bestimmung zudem den Aufnahmestaat nicht, eine solche Modalität
zuzulassen, wenn er den unter der jeweiligen Berufsbezeichnung tätigen Anwälten die gemeinsame
Berufsausübung nicht gestattet. Somit konnten die Vorschriften über die gemeinsame
Berufsausübung rechtmäßig auf der Grundlage des Artikels 57 Absatz 2 Sätze 1 und 3 des Vertrages
erlassen werden.
60.
Demnach ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.
61.
Das Großherzogtum Luxemburg macht geltend, dass die Richtlinie 98/5 die Begründungspflicht nach
Artikel 190 des Vertrages verletze, da sie keine ernsthafte Rechtfertigung dafür enthalte, dass jedes
Erfordernis einer vorherigen Qualifikation im nationalen Recht des Aufnahmestaats aufgegeben
worden sei. Ebenso wenig werde in ihr erklärt, weshalb dem unter seiner ursprünglichen
Berufsbezeichnung tätigen Rechtsanwalt sofortiger Zugang zum Beruf mit allen Befugnissen vom
ersten Tag an, darunter im nationalen Recht, gewährt und später eine unbeschränkte
Berufsausübung unter dieser Bezeichnung erlaubt werden müsse. Schließlich sei die Begründung der
dritten, der vierten und der vierzehnten Begründungserwägung teilweise widersprüchlich. Die in
diesen Begründungserwägungen enthaltenen Ausführungen zu dem Ziel, dass der zuwandernde
Rechtsanwalt nach einem bestimmten Zeitraum die Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats müsse
erlangen können, stünden im Widerspruch zu der Entscheidung, die Ausübung unter der
ursprünglichen Berufsbezeichnung zeitlich unbeschränkt zuzulassen.
62.
Nach ständiger Rechtsprechung hängt der Umfang der Begründungspflicht von der Rechtsnatur
der betreffenden Maßnahme ab; bei Rechtsakten mit allgemeiner Geltung kann sich die Begründung
darauf beschränken, die Gesamtlage anzugeben, die zum Erlass der Maßnahme geführt hat, und die
allgemeinen Ziele zu bezeichnen, die mit ihr erreicht werden sollen. Wenn der angefochtene Rechtsakt
den von dem Gemeinschaftsorgan verfolgten Zweck in seinen wesentlichen Zügen erkennen lässt,
ginge es zu weit, eine besondere Begründung für die verschiedenen technischen Entscheidungen, die
das Organ getroffen hat, zu verlangen (Urteil des Gerichtshofes vom 19. November 1998 in der
Rechtssache C-150/94, Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1998, I-7235, Randnrn. 25 und 26).
63.
Im vorliegenden Fall enthält die Richtlinie 98/5 eine zusammenhängende und ausreichende
Beschreibung der Gesamtlage, die zu ihrem Erlass geführt hat:
- Die Beseitigung der Hindernisse für den freien Personen- und Dienstleistungsverkehr zwischen den
Mitgliedstaaten ist eines der Ziele der Gemeinschaft. Für die Angehörigen der Mitgliedstaaten
bedeutet die Freizügigkeit insbesondere, dass sie als Selbständige oder als abhängig Beschäftigte
die Möglichkeit haben, einen Beruf in einem anderen Mitgliedstaat als dem auszuüben, in dem sie ihre
berufliche Qualifikation erworben haben (erste Begründungserwägung).
- Ein in einem Mitgliedstaat voll qualifizierter Rechtsanwalt kann schon jetzt aufgrund der Richtlinie
89/48 die Anerkennung seines Diploms beantragen, um sich in einem anderen Mitgliedstaat zwecks
Integration in den Berufsstand des Aufnahmestaats und Ausübung des Rechtsanwaltsberufs unter
der Berufsbezeichnung dieses Mitgliedstaats niederzulassen (zweite Begründungserwägung).
- Im Bereich der Dienstleistungen erlaubte die Richtlinie 77/249 den Rechtsanwälten eines
Mitgliedstaats bereits unter bestimmten Vorbehalten, ihreTätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat
auszuüben und dabei im Recht ihres Herkunftsstaats, im Gemeinschaftsrecht, im internationalen
Recht und im Recht des Aufnahmestaats zu praktizieren (zehnte Begründungserwägung).
- Erst einige Mitgliedstaaten gestatten, dass Rechtsanwälte aus anderen Mitgliedstaaten unter ihrer
ursprünglichen Berufsbezeichnung eine Anwaltstätigkeit in anderer Form denn als Dienstleistung in
ihrem Gebiet ausüben. In den Mitgliedstaaten, in denen diese Möglichkeit gegeben ist, gelten sehr
unterschiedliche Modalitäten. Solche unterschiedlichen Situationen führen zu Ungleichheiten und
Wettbewerbsverzerrungen im Verhältnis zwischen den Rechtsanwälten der Mitgliedstaaten und bilden
ein Hindernis für die Freizügigkeit (sechste Begründungserwägung).
64.
Die Richtlinie 98/5 bezeichnet auch die mit ihr angestrebten allgemeinen Ziele:
- Vollständig qualifizierte Rechtsanwälte, die sich nicht insbesondere durch erfolgreiche Ablegung
der in der Richtlinie 89/48 vorgesehenen Eignungsprüfung rasch in den Berufsstand des
Aufnahmestaats integrieren, sollten diese Integration nach einem bestimmten Zeitraum der
Berufsausübung im Aufnahmestaat unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung erreichen oder aber
ihre Tätigkeit unter der ursprünglichen Berufsbezeichnung fortsetzen können (dritte
Begründungserwägung).
- Ein Tätigwerden auf Gemeinschaftsebene soll den Rechtsanwälten neben der allgemeinen
Anerkennungsregelung eine leichtere Möglichkeit der Eingliederung in den Berufsstand des
Aufnahmestaats bieten und den Erfordernissen der Rechtsuchenden entsprechen, die einer Beratung
bei grenzübergreifenden Transaktionen bedürfen (fünfte Begründungserwägung).
- Dadurch sollen ferner die Probleme gelöst werden, die durch die Wettbewerbsverzerrung und die
Behinderung der Freizügigkeit aufgeworfen werden, die durch die sehr unterschiedlichen Modalitäten
für die Ausübung des Berufes unter der ursprünglichen Berufsbezeichnung in den Mitgliedstaaten
verursacht werden, die diese Ausübung bereits gestatten (sechste Begründungserwägung).
- Die Richtlinie soll die Information der Verbraucher sichern und sieht zu diesem Zweck vor, dass die
Rechtsanwälte, die nicht in den Berufsstand des Aufnahmestaats integriert sind, gehalten sind, ihre
Anwaltstätigkeit in diesem Mitgliedstaat unter ihrer ursprünglichen Berufsbezeichnung auszuüben
(neunte Begründungserwägung).
65.
Ersichtlich hat somit der Gemeinschaftsgesetzgeber beim Erlass eines Rechtsaktes mit allgemeiner
Geltung die Begründungspflicht des Artikels 190 des Vertrages erfüllt.
66.
Im Rahmen dieser Verpflichtung brauchte er nicht gesondert zu begründen, weshalb er sich zur
Verfolgung seiner allgemeinen Ziele für die Befreiung vom Nachweis einer vorherigen Qualifikation im
nationalen Recht des Aufnahmestaats und für die Gewährung des entsprechenden Rechts auf
sofortige Ausübung des Berufes auf dem Gebiet dieses Rechts entschieden hat. Er brauchte auch
nicht gesondert die zum selben Zweck getroffene Entscheidung zu begründen, das Recht auf
Berufsausübung im Aufnahmestaat unter der ursprünglichen Berufsbezeichnung zeitlich nicht zu
beschränken. Im Übrigen ist der Gemeinschaftsgesetzgeber nicht verpflichtet, eine Maßnahme zur
Erleichterung der Ausübung der Niederlassungsfreiheit zeitlich zu beschränken, da diese Freiheit per
definitionem die Möglichkeit einer gesicherten und dauerhaften Teilnahme am wirtschaftlichen Leben
des Aufnahmestaats voraussetzt.
67.
Schließlich lässt sich kein Widerspruch feststellen zwischen den Begründungserwägungen, die sich
auf das Ziel beziehen, dass der zuwandernde Rechtsanwalt nach einem bestimmten Zeitraum die
Berufsbezeichnung des Aufnahmestaats muss erlangen können, und der Entscheidung des
Gemeinschaftsgesetzgebers, die Berufsausübung unter der ursprünglichen Berufsbezeichnung zeitlich
unbeschränkt zuzulassen. Die beiden Arten der Berufsausübung sind nämlich unterschiedlich
geregelt, da die Letztere besonderen Beschränkungen unterliegt, die mit der Befreiung vom Nachweis
einer vorherigen Qualifikation im nationalen Recht des Aufnahmestaats einhergehen. Zudem braucht,
wie bereits festgestellt, die Wirkung einer Gemeinschaftsmaßnahme zur Erleichterung der Ausübung
der Niederlassungsfreiheit zeitlich nicht beschränkt zu werden.
68.
Daher ist auch der dritte Klagegrund zurückzuweisen.
69.
Da keiner der drei Klagegründe durchgreift, ist die Klage abzuweisen.
Kosten
70.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da das Großherzogtum Luxemburg mit seinem Vorbringen unterlegen ist, sind
ihm entsprechend den Anträgen des Parlaments und des Rates die Kosten aufzuerlegen. Nach Artikel
69 § 4 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als
Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Das Königreich Spanien, das Königreich der
Niederlande, das Vereinigte Königreich und die Kommission tragen somit ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Das Großherzogtum Luxemburg trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Königreich Spanien, das Königreich der Niederlande, das Vereinigte Königreich
Großbritannien und Nordirland sowie die Kommission der Europäischen Gemeinschaften
tragen ihre eigenen Kosten.
Rodríguez Iglesias
Gulmann
La Pergola
Wathelet
Skouris
Edward
Puissochet
Jann
Sevón
Schintgen Macken
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 7. November 2000.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
Verfahrenssprache: Französisch.