Urteil des EuGH vom 08.07.1999

EuGH: republik, kommission, internationales wirtschaftsrecht, auswärtige angelegenheiten, gleichbehandlung, luxemburg, parlament, unvereinbarkeit, rechtssicherheit, regierung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)
8. Juli 1999
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats — Nichtumsetzung der Richtlinie 96/97/EG“
In der Rechtssache C-354/98
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre
Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Klägerin,
gegen
Französische Republik
Wirtschaftsrecht und Gemeinschaftsrecht in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige
Angelegenheiten, und Anne de Bourgoing, Chargé de mission in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,
Zustellungsanschrift: Französische Botschaft, 8 B, boulevard Joseph II, Luxemburg,
Beklagte,
wegen Feststellung, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie
96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 zur Änderung der Richtlinie 86/378/EWG zur Verwirklichung des
Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den betrieblichen Systemen der
sozialen Sicherheit (ABl. 1997, L 46, S. 20) verstoßen hat, daß sie nicht die erforderlichen Rechts- und
Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen,
erläßt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann sowie der Richter D. A. O. Edward (Berichterstatter) und L.
Sevón,
Generalanwalt: A. La Pergola
Kanzler: R. Grass
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 20. Mai 1999,
folgendes
Urteil
1.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 25. September 1998
bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG)
Klage erhoben auf Feststellung, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen
aus der Richtlinie 96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 zur Änderung der Richtlinie 86/378/EWG
zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den
betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit (ABl. 1997, L 46, S. 20; im folgenden: Richtlinie)
verstoßen hat, daß sie nicht die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um
dieser Richtlinie nachzukommen.
2.
Mit der Richtlinie wurden die Bestimmungen der Richtlinie 86/378/EWG des Rates vom 24. Juli 1986
(ABl. L 225, S. 40) angepaßt, die durch das Urteil vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C-262/88
(Barber, Slg. 1990, I-1889) betroffen waren.
3.
Gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen,
um dieser Richtlinie zum 1. Juli 1997 nachzukommen, und setzen die Kommission unverzüglich davon in
Kenntnis.
4.
Die Kommission stellte fest, daß diese Frist abgelaufen war, ohne daß die Französische Republik ihr
den Erlaß von Maßnahmen mitgeteilt hätte. Sie forderte diesen Mitgliedstaat mit Schreiben vom 9.
September 1997 auf, sich binnen zwei Monaten zu äußern.
5.
Mit Schreiben vom 26. November 1997 teilten die französischen Stellen mit, daß die zur Umsetzung
der Richtlinie erforderlichen Maßnahmen in Vorbereitung seien.
6.
Die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen Bestimmungen wurden der Kommission nicht mitgeteilt.
Sie richtete mit Schreiben vom 22. April 1998 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die
Französische Republik, in der sie diese aufforderte, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung
dieser Stellungnahme die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um ihren Verpflichtungen aus der
Richtlinie nachzukommen.
7.
Mit Schreiben vom 17. Juli 1998 antworteten die französischen Stellen, daß die Rechtsvorschriften
über die Arbeitnehmer in dem nächsten, verschiedene soziale Maßnahmen beinhaltenden
Gesetzentwurf enthalten seien, der dem Parlament vorgelegt werde. Im übrigen verwiesen sie darauf,
daß die betroffenen betrieblichen Systeme von den Sozialpartnern im Rahmen des nationalen Rechts
und unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts frei definiert und geändert werden könnten und daß ein
großer Teil der privaten Systeme vor dem Erlaß der Richtlinie unmittelbar auf der Grundlage des Urteils
Barber, das den für diese Systeme Verantwortlichen seinerzeit bekannt gewesen sei, im erforderlichen
Umfang angepaßt worden sei.
8.
Da die Kommission keine weitere Mitteilung von der Französischen Republik erhielt, hat sie die
vorliegende Klage erhoben.
9.
Die französische Regierung bestreitet nicht, daß die Richtlinie nicht innerhalb der vorgeschriebenen
Frist umgesetzt worden ist. Sie bestätigt, daß ein Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie vom
Parlament verabschiedet werden müsse.
10.
Sie macht jedoch geltend, daß die betroffenen betrieblichen Systeme von den Sozialpartnern im
Rahmen des nationalen Rechts und unter Wahrung des Gemeinschaftsrechts frei definiert und
geändert werden könnten. Außerdem sei ein großer Teil der privaten Systeme bereits vor dem Erlaß
der Richtlinie im erforderlichen Umfang angepaßt worden. Gemäß dem Grundsatz der unmittelbaren
Wirkung und des Vorrangs des Gemeinschaftsrechts könne schließlich Artikel L 913-1 Absatz 3 des
Code de la sécurité sociale (Sozialgesetzbuch), der Diskriminierungen hinsichtlich der Festsetzung des
Rentenalters oder der Bedingungen für die Gewährung von Hinterbliebenenrenten zulasse, von den
Bürgern vor französischen Gerichten nicht geltend gemacht werden.
11.
Dieses Vorbringen greift nicht durch. Nach ständiger Rechtsprechung läßt sich die Unvereinbarkeit
von nationalem Recht mit den Gemeinschaftsvorschriften, auch soweit diese unmittelbar anwendbar
sind, letztlich nur durch verbindliche nationale Bestimmungen ausräumen, die denselben rechtlichen
Rang haben wie die zu ändernden Bestimmungen. Zudem müssen Richtlinien mit Bestimmungen
umgesetzt werden, die zweifelsfrei verbindlich und so konkret, bestimmt und klar sind, daß sie dem
Gebot der Rechtssicherheit genügen. Danach muß den Begünstigten bei Richtlinien, die Rechte für
einzelne begründen sollen, der volle Umfang dieser Rechte erkennbar sein (vgl. Urteil vom 13. März
1997 in der Rechtssache C-197/96, Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-1489, Randnrn. 14 und 15).
12.
Da die Umsetzung der Richtlinie nicht innerhalb der in dieser festgesetzten Frist erfolgt ist, ist die
Klage der Kommission somit begründet.
13.
Folglich ist festzustellen, daß die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus
der Richtlinie verstoßen hat, daß sie nicht alle erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften
erlassen hat, um dieser Richtlinie nachzukommen.
Kosten
14.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Kommission diesen Antrag gestellt hat und die Französische Republik mit
ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind dieser die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie
96/97/EG des Rates vom 20. Dezember 1996 zur Änderung der Richtlinie 86/378/EWG zur
Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen bei den
betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit verstoßen, daß sie nicht alle
erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um dieser Richtlinie
nachzukommen.
2. Die Französische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.
Jann
Edward
Sevón
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. Juli 1999.
Der Kanzler
Der Präsident der Ersten Kammer
R. Grass
P. Jann
Verfahrenssprache: Französisch.