Urteil des EuGH vom 09.09.1999

EuGH: kommission, ausschreibung, verordnung, tabak, klage auf verurteilung, öffentliche versteigerung, neues vorbringen, rechtsmittelgrund, markt, verfälschung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Dritte Kammer)
9. September 1999
„Rechtsmittel — Schadensersatzklage — Gemeinsame Marktorganisation für Rohtabak — Entscheidungen
der Kommission über die Ablehnung von Angeboten im Rahmen von Ausschreibungen zum Verkauf von Tabak
aus Beständen der Interventionsstellen — Unzureichende Begründung, Grundsätze der Verhältnismäßigkeit,
der Gleichbehandlung und der Beachtung der Verteidigungsrechte“
In der Rechtssache C-64/98 P
Odette Nicos Petrides Co. Inc.
Nikolaos Vassilakakis, Evangelos Vassilakakis, Thessaloniki, und Evangelia Pallioudi, Kavala,
Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Carlos Zeyen, 67, rue Ermesinde, Luxemburg,
Rechtsmittelführerin,
betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
(Vierte Kammer) vom 17. Dezember 1997 in der Rechtssache T-152/95 (Petrides/Kommission, Slg. 1997, II-
2427) wegen Aufhebung dieses Urteils,
anderer Verfahrensbeteiligter:
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre
Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Beklagte im ersten Rechtszug,
erläßt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet sowie der Richter J. C. Moitinho de Almeida
(Berichterstatter) und C. Gulmann,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: R. Grass
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. Februar 1999,
folgendes
Urteil
1.
Die Odette Nicos Petrides Co. Inc. hat mit Rechtsmittelschrift, die am 3. März 1998 bei der Kanzlei
des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein
Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 17. Dezember 1997 in der Rechtssache
T-152/95 (Petrides/Kommission, Slg. 1997, II-2427; im folgenden: angefochtenes Urteil) eingelegt, mit
dem das Gericht ihre Klage auf Verurteilung der Kommission zur Zahlung von Schadensersatz gemäß
den Artikeln 178 und 215 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 235 EG und 288 EG) wegen
Wiedergutmachung des Schadens, der durch bestimmte Handlungen der Kommission bei der
Verwaltung der gemeinsamen Marktorganisation für Rohtabak im Zeitraum 1990/1991 entstanden ist,
abgewiesen hat.
2.
Aus dem angefochtenen Urteil geht hervor, daß nach Artikel 7 Absatz 2 Unterabsatz 2 der
Verordnung (EWG) Nr. 727/70 des Rates vom 21. April 1970 über die Errichtung einer gemeinsamen
Marktorganisation für Rohtabak (ABl. L 94, S. 1) beim Absatz des von den Interventionsstellen der
Mitgliedstaaten zum Interventionspreis angekauften Tabaks keine Störung des Marktes auftreten darf
und den Käufern gleicher Zugang zu den Waren und gleiche Behandlung zu
gewährleisten ist (Randnr. 1 des angefochtenen Urteils). Nach Artikel 3 der Verordnung (EWG) Nr.
327/71 des Rates vom 15. Februar 1971 zur Festsetzung bestimmter Grundregeln für die Verträge
über die erste Bearbeitung und Aufbereitung, für Lagerverträge sowie für den Absatz des im Besitz der
Interventionsstellen befindlichen Tabaks (ABl. L 39, S. 3) erfolgt der Absatz auf der Grundlage von im
Einzelfall festgesetzten Preisbedingungen, wobei insbesondere die Marktentwicklung und der
Marktbedarf berücksichtigt werden (Randnr. 2 des angefochtenen Urteils).
3.
Gemäß den Artikeln 1 und 6 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3389/73 der Kommission vom 13.
Dezember 1973 zur Festlegung der Verfahren und Bedingungen für den Verkauf von Tabak aus den
Beständen der Interventionsstellen (ABl. L 345, S. 47) erfolgt der Verkauf dieses Tabaks u. a. durch
Ausschreibung, wobei die Kommission für jede Partie einen Mindestverkaufspreis festsetzen oder
beschließen kann, die Ausschreibung aufzuheben (Randnrn. 3 und 4 des angefochtenen Urteils).
Jeder Bieter stellt bei der betreffenden Interventionsstelle eine Kaution, deren Höhe abweichend von
Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3389/73 durch die Verordnung (EWG) Nr. 3040/91 der
Kommission vom 15. Oktober 1991 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2436/91 über die
Ausschreibung des Verkaufs zur Ausfuhr von Tabakballen aus Beständen der deutschen, griechischen
und italienischen Interventionsstelle (ABl. L 288, S. 18) auf 0,7 ECU/kg festgesetzt wurde (Randnrn. 5
und 6 des angefochtenen Urteils).
4.
Im Zeitraum von April 1990 bis Ende 1991 beteiligte sich die Klägerin, bei der es sich um eine
griechische Gesellschaft handelt, die in Griechenland und im Ausland Tabak verarbeitet und
vermarktet, an vier während dieser Zeit von der Kommission veranstalteten Ausschreibungen. In
diesem Zeitraum erließ die Kommission außerdem die Verordnung Nr. 3040/91, mit der die Sicherheit
erhöht wurde, die jeder Bieter bei der betreffenden Interventionsstelle stellen mußte (Randnrn. 7 und
8 des angefochtenen Urteils).
5.
Das angefochtene Urteil beschreibt den Ablauf der vier Ausschreibungen wie folgt:
„9 Die erste streitige Ausschreibung (im folgenden: erste Ausschreibung) wurde durch die
Verordnung (EWG) Nr. 899/90 der Kommission vom 5. April 1990 über eine Ausschreibung zum Verkauf
von zur Ausfuhr bestimmten Tabakballen aus Beständen der griechischen Interventionsstelle (ABl. L
93, S. 7) veranstaltet und umfaßte vier Partien Rohtabakballen der Ernten 1986 und 1987 aus
Beständen der griechischen Interventionsstelle, aufgeteilt nach Sorten mit einer Gesamtmenge von 5
271 428 kg. Die Frist für die Entscheidung der Kommission über die Ausschreibung lief am 14. Juni
1990 ab. Die erste Partie umfaßte 1 805 903 kg Tabak. Sie setzte sich aus den Sorten Mavra,
klassischer Kaba Kulak und Elassona, nicht klassischer Kaba Kulak, Katerini, Burley EL und Basmas
zusammen. Die
zweite Partie umfaßte 1 519 836 kg Tabak der gleichen Sorten mit Ausnahme der Sorte Basmas. Die
dritte Partie umfaßte 1 519 991 kg Tabak der gleichen Sorten wie die zweite Partie. Die vierte Partie
umfaßte 425 698 kg Tabak, die sich nur aus den Sorten Mavra und Basmas zusammensetzte. Die
Klägerin reichte ein Angebot für die erste und die zweite Partie ein (in Höhe von 76,11 DR und 63,11
DR je Kilogramm). Die Kommission beschloß jedoch am 14. Juni 1990, die Angebote der Bieter nicht
anzunehmen, weil die Angebotspreise die Gefahr einer Marktstörung darstellten.
10 Die zweite streitige Ausschreibung (im folgenden: zweite Ausschreibung) wurde durch die
Verordnung (EWG) Nr. 1560/90 der Kommission vom 8. Juni 1990 über eine Ausschreibung zum Verkauf
von zur Ausfuhr bestimmten Tabakballen aus Beständen der griechischen Interventionsstelle (ABl. L
148, S. 7; im folgenden: Verordnung Nr. 1560/90) veranstaltet. Sie umfaßte die gleichen vier Partien
Rohtabakballen. Die Frist für die Entscheidung der Kommission über die Ausschreibung lief am 9.
August 1990 ab. Die Klägerin gab ein Angebot für die erste und die vierte Partie ab (in Höhe von
91,11 DR und 101,11 DR je Kilogramm). Am 7. August 1990 erteilte die Kommission den Zuschlag für
das Angebot eines anderen Bieters für die zweite Partie (in Höhe von 102 DR je Kilogramm) und lehnte
alle Angebote über die erste, die dritte und die vierte Partie ab, wobei sie sich auf die Gefahr einer
Marktstörung berief.
11 Die dritte streitige Ausschreibung (im folgenden: dritte Ausschreibung) wurde für die drei
restlichen Partien durch die Verordnung (EWG) Nr. 2610/90 der Kommission vom 10. September 1990
über eine Ausschreibung zum Verkauf von zur Ausfuhr bestimmten Tabakballen aus Beständen der
griechischen Interventionsstelle (ABl. L 248, S. 5) veranstaltet. Die Frist für die Entscheidung der
Kommission über die Ausschreibung lief am 12. November 1990 ab. Die Klägerin gab ein Angebot für
alle drei Partien ab (in Höhe von 152,26 DR, 132,26 DR, und 121,26 DR je Kilogramm). Ihr Angebot für
die erste Partie war das höchste der eingegangenen Angebote. Die Kommission beschloß am 16.
November 1990 erneut, die Angebote der Bieter abzulehnen, weil die angebotenen Preise eine
anormale Marktentwicklung hervorrufen könnten.
12 Die vierte streitige Ausschreibung (im folgenden: vierte Ausschreibung) wurde durch die
Verordnung (EWG) Nr. 2436/91 der Kommission vom 7. August 1991 über eine Ausschreibung zum
Verkauf von zur Ausfuhr bestimmten Tabakballen aus Beständen der deutschen, der griechischen und
der italienischen Interventionsstelle (ABl. L 222, S. 23; im folgenden: Verordnung Nr. 2436/91)
veranstaltet. Die Gesamtmenge von 105 486 276 kg war auf elf in vier Gruppen aufgeteilte Partien
verteilt. Eine Gruppe von Partien konnte erst dann zum Verkauf gestellt werden, wenn für die
vorhergehende Gruppe der Zuschlag erteilt war. Damit wurde
bezweckt, für alle Tabaksorten Angebote zu erhalten, wobei mit den am wenigsten nachgefragten
Sorten begonnen werden sollte. In jeder Partie war der Tabak einer bestimmten Sorte aus den
Beständen der verschiedenen Interventionsstellen der betreffenden Mitgliedstaaten zusammengefaßt.
Die Klägerin beteiligte sich an einigen Vorgängen dieser Serie. Ihre Angebote, die für eine geringere
Menge galten, als für die fraglichen Partien festgesetzt war, wurden als nicht vorschriftsmäßig
abgelehnt.“
6.
Unter diesen Umständen hat die Klägerin mit Klageschrift, die am 24. Juli 1995 bei der Kanzlei des
Gerichts eingegangen ist, eine auf Artikel 215 Absatz 2 des Vertrages gestützte Schadensersatzklage
erhoben.
7.
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die Klage in bezug auf die erste Ausschreibung für
unzulässig erklärt und in bezug auf die übrigen drei Ausschreibungen abgewiesen.
8.
Die Rechtsmittelführerin beanstandet in ihrer Rechtsmittelschrift die Ausführungen des Gerichts zur
Rechtswidrigkeit des Verhaltens der Kommission und macht folgende sieben Rechtsmittelgründe
geltend: 1. unzureichende Begründung im Hinblick auf das Vorliegen einer Marktstörung im Rahmen
der Beurteilung der zweiten und der dritten Ausschreibung; 2. fehlerhafte Tatsachenwürdigung bei der
Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen der zweiten Ausschreibung; 3. Verfälschung
der von der Rechtsmittelführerin vorgelegten Beweismittel bei der Prüfung der Einhaltung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes im Rahmen der zweiten Ausschreibung; 4. Verstoß gegen die Artikel 1
und 6 der Verordnung Nr. 3389/73 und gegen Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 727/70; 5.
Verstoß gegen die Grundsätze des kontradiktorischen Verfahrens und der Waffengleichheit; 6.
fehlerhafte Würdigung des Vorbringens der Rechtsmittelführerin in bezug auf den
Gleichbehandlungsgrundsatz und die Erhöhung der Sicherheitsleistung im Rahmen der vierten
Ausschreibung; 7. Verstoß gegen die Verordnung Nr. 3389/73.
Begründungsmangel im Hinblick auf das Vorliegen einer Marktstörung im Rahmen der
Beurteilung der zweiten und der dritten Ausschreibung
9.
Die Rechtsmittelführerin macht geltend, das Gericht habe nicht erläutert, inwieweit das Ziel der
Vermeidung von Marktstörungen bei der zweiten und der dritten Ausschreibung erreicht worden sei.
Sie führt aus, das Gericht hätte die Gründe angeben müssen, aus denen der Zuschlag für eine Partie
an einen anderen Bieter den Tabakmarkt nicht gestört habe, obwohl die Ablehnung dieses Angebots
ebenfalls zu einem weiteren, höheren Preisangebot für diese Partie geführt hätte, ein Umstand, auf
den die Ablehnung des Angebots der Rechtsmittelführerin gestützt worden sei. Eine solche
Begründung sei erforderlich, um die Prüfung zu ermöglichen, ob der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz
eingehalten worden sei.
10.
In bezug auf die zweite Ausschreibung geht aus Randnummer 50 des angefochtenen Urteils hervor,
daß die Rechtsmittelführerin im ersten Rechtszug vorgetragen hat, die Ablehnung ihres Angebots sei
nicht durch die Sorge begründet, den Markt nicht zu stören, sondern dadurch, daß die Kommission
angeblich die Marktpreise nicht gekannt habe. Das Gericht hat hierzu ausgeführt, daß diese mögliche
Unkenntnis für die Beurteilung der Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht von Nutzen
sei (Randnr. 51) und daß diese Entscheidung der Kommission die fraglichen Wirtschaftsteilnehmer
jedenfalls veranlaßt habe, ihr im Rahmen der dritten Ausschreibung höhere Preise vorzuschlagen, als
für die gleichen Partien im Rahmen der zweiten Ausschreibung angeboten worden seien (Randnr. 52).
11.
Das Gericht brauchte sich außerdem für die Zurückweisung des Klagegrundes, daß die Weigerung
der Kommission, das Angebot der Rechtsmittelführerin bei der zweiten Ausschreibung anzunehmen,
nicht durch die Notwendigkeit, Marktstörungen zu vermeiden, gerechtfertigt gewesen sei, nicht zu der
Frage zu äußern, ob die bei dieser Ausschreibung vergebene Partie bei einer erneuten Ausschreibung
einen höheren Preis hätte erzielen können. Diese Frage betrifft die Rüge der Rechtsmittelführerin in
bezug auf einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz oder die Gültigkeit einer solchen
Ausschreibung, die nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist.
12.
Zur dritten Ausschreibung hat das Gericht in Randnummer 65 ausgeführt, daß „die Klägerin nichts
dafür vorgetragen [hat], daß die Kommission, als sie am 16.November 1990 beschloß, sämtliche
Angebote abzulehnen, um den Markt nicht zu stören, dem Marktbedarf ... nicht Rechnung getragen
hätte“.
13.
Diese Begründung ist ausreichend.
14.
Der erste Rechtsmittelgrund kann daher nicht durchgreifen.
Fehlerhafte Tatsachenwürdigung bei der Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes
im Rahmen der zweiten Ausschreibung
15.
Die Rechtsmittelführerin trägt vor, das Gericht habe dadurch gegen den
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen, daß es in Randnummern 48 bis 52 des angefochtenen
Urteils ausgeführt habe, daß die Entscheidung der Kommission vom 7. August 1990 im Hinblick auf
das Ziel, den betreffenden Markt nicht zu stören, angemessen gewesen sei, obwohl diese
Entscheidung zwei widersprüchliche Maßnahmen enthalten habe, nämlich den Zuschlag für die zweite
und die Ablehnung für die vierte Partie, und diese Maßnahmen dem angestrebten Ziel daher nicht
hätten dienen können. Außerdem habe das Gericht zu Unrecht ausgeführt, daß die Ablehnung der bei
der zweiten Ausschreibung eingegangenen Angebote durch die Kommission die Wirtschaftsteilnehmer
veranlaßt habe, im Rahmen der nachfolgenden Ausschreibung höhere Preise anzubieten, um
darzutun, daß die Entscheidung über die Ablehnung der Angebote im Hinblick auf das Ziel,
den Markt nicht zu stören, angemessen gewesen sei, obwohl die Geeignetheit einer Maßnahme nicht
an ihren Ergebnissen beurteilt werden könne, sondern an ihren Zielen zum Zeitpunkt ihres Erlasses.
16.
Hierzu genügt die Feststellung, daß das Rechtsmittel gemäß Artikel 51 der EG-Satzung des
Gerichtshofes auf Rechtsfragen beschränkt ist und der Gerichtshof eine Überprüfung der
Tatsachenwürdigung durch das Gericht nur dann vornimmt, wenn die Tatsachen verfälscht worden
sind. Die Rechtsmittelführerin behauptet nicht, daß dies der Fall sei.
17.
Die Rechtsmittelführerin trägt zudem vor, die Ablehnungsentscheidung für die vierte Partie verstoße
gegen den Wortlaut der Aufforderung zur Abgabe von Angeboten sowie gegen Artikel 1 Absatz 2 der
Verordnung Nr. 3389/73, wonach bei der Ausschreibung der Zuschlag demjenigen erteilt werde,
dessen Angebot das günstigste sei und den Bedingungen dieser Verordnung entspreche.
18.
Hierbei handelt es sich in Wirklichkeit um eine eigenständige Rüge, die die Rechtsmittelführerin
erstmals im Rechtsmittelverfahren geltend gemacht hat. Nach ständiger Rechtsprechung können
jedoch gemäß den Artikeln 113 § 2 und 116 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes neue
Angriffs- und Verteidigungsmittel, die in der Klageschrift nicht enthalten waren, im
Rechtsmittelverfahren nicht vorgebracht werden (vgl. u. a. Urteil vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache
C-153/96 P, De Rijk/Kommission, Slg. 1997, I-2901, Randnr. 18).
19.
Folglich ist der zweite Rechtsmittelgrund unzulässig.
Verfälschung der von der Rechtsmittelführerin vorgelegten Beweiselemente bei der
Prüfung der Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes im Rahmen der zweiten
Ausschreibung
20.
Nach Auffassung der Rechtsmittelführerin hat das Gericht die Angaben im Protokoll des
Verwaltungsausschusses Tabak und im Sonderbericht des Rechnungshofes in bezug auf den Umstand
verfälscht, daß ihr Angebot für die vierte Partie deutlich höher gewesen sei als das bei der
Ausschreibung der zweiten Partie. Aus dem Protokoll gehe hervor, daß das erste Angebot 75 % des
Tabakwerts ausgemacht habe, während dasjenige, das für die zweite Partie angenommen worden sei,
nur 23 % ausgemacht habe. Im Sonderbericht des Rechnungshofes sei in den Nummern 4.53 und
4.55 angegeben, daß das Angebot für die vierte Partie insoweit deutlich besser gewesen sei, als
diese Partie eine größere Menge Tabak minderer Qualität umfaßt habe, während das Angebot für die
zweite Partie eine größere Menge höherwertigen Tabaks umfaßt habe. Die Verfälschung der Angaben
in diesen beiden Unterlagen habe das Gericht veranlaßt, in den Randnummern 54, 57 und 59 des
angefochtenen Urteils zu Unrecht festzustellen, daß kein Verstoß gegen den
Gleichbehandlungsgrundsatz vorgelegen habe.
21.
Das Gericht hat in Randnummer 55 hierzu ausgeführt, daß die zweite und die vierte Partie der
zweiten Ausschreibung unterschiedlich zusammengesetzt gewesen seien und Tabak unterschiedlicher
Qualität umfaßt hätten, und in Randnummer 56 festgestellt, daß die Kommission auf der Grundlage
der Angaben, über die sie damals verfügt habe, entschieden habe, daß das Angebot der
Rechtsmittelführerin für die vierte Partie niedrig, für die zweite Partie jedoch akzeptabel gewesen sei,
vor allem im Vergleich zu dem Angebotspreis für die dritte Partie, die eine fast identische
Zusammensetzung aufgewiesen habe.
22.
Schließlich hat das Gericht in Randnummer 57 festgestellt, daß die Kommission ausgeführt habe,
wenn in der zweiten und in der vierten Partie die Menge Mavra, die in beiden Partien fast die gleiche
gewesen sei (306 491 kg für die zweite und 333 872 kg für die vierte Partie), außer Betracht bleibe,
zeige sich, daß die Rechtsmittelführerin für die Tabaksorte Basmas der vierten Partie einen geringeren
Preis je Kilogramm angeboten habe, als je Kilogramm für die anderen Tabaksorten der zweiten Partie
von dem Bieter angeboten worden sei, dem diese Partie zugeschlagen worden sei, obwohl die Sorte
Basmas gefragter gewesen sei als die übrigen Sorten, aus denen sich die zweite Partie
zusammengesetzt habe, was die Klägerin nicht bestritten habe. Das Gericht hat weiter festgestellt,
daß die Rechtsmittelführerin im Verfahren nicht dargetan habe, warum diese Beurteilung
offensichtlich fehlerhaft gewesen sei, sondern sich damit begnügt habe, einen Auszug aus dem
Sonderbericht zu zitieren, in dem es geheißen habe, daß das abgelehnte Angebot für die vierte Partie
interessanter gewesen sei als das für die zweite Partie angenommene Angebot, ohne überzeugend
auf die Argumente der Kommission einzugehen, die der in dem zitierten Auszug aus dem
Sonderbericht enthaltenen Schlußfolgerung widersprochen hätten.
23.
In Anbetracht des Vorstehenden und des weiten Ermessens, das der Kommission bei der
Wahrnehmung ihrer Aufgabe als Verwalterin der gemeinsamen Marktorganisation für Tabak
zuzuerkennen sei (Randnr. 58 des angefochtenen Urteils), hat das Gericht in Randnummer 59
ausgeführt, daß die Rechtsmittelführerin nicht den Beweis erbracht habe, daß die Kommission zwei
vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt habe.
24.
Im Rahmen dieses Rechtsmittelgrundes begnügt sich die Rechtsmittelführerin damit, die
Beweiskraft des vorerwähnten Protokolls des Verwaltungsausschusses Tabak sowie des genannten
Sonderberichts des Rechnungshofes geltend zu machen und vorzutragen, die Kommission habe „nach
der Aussonderung der Sorte Mavra aus einer Partie den Mechanismus der Preisanpassung“ außer
acht gelassen. Solche Umstände, die das Gericht berücksichtigt hat, können jedoch nicht dazu
führen, daß die von ihm ohne Verfälschung der vorgelegten Beweiselemente vorgenommene
Tatsachenwürdigung in Frage gestellt wird.
25.
Der Rechtsmittelgrund einer Verfälschung des Sachverhalts bei der Prüfung der Einhaltung des
Gleichbehandlungsgrundsatzes im Rahmen der zweiten Ausschreibung ist daher zurückzuweisen.
Verstoß gegen die Artikel 1 und 6 der Verordnung Nr. 3389/73 und gegen Artikel 7 Absatz 2
der Verordnung Nr. 727/70
26.
Die Rechtsmittelführerin macht unter Berufung auf die Artikel 1 und 6 der Verordnung Nr. 3389/73
und Artikel 7 Absatz 2 der Verordnung Nr. 727/70 geltend, daß den Gemeinschaftsorganen, wenn es
um einfache Entscheidungen über die Verwaltung des betreffenden Landwirtschaftssektors wie die
vorliegenden gehe, nicht der gleiche Ermessensspielraum zustehen dürfe, der ihnen eingeräumt
werde, wenn sie wirtschaftspolitische Entscheidungen träfen. Sie behauptet außerdem, daß die
Kommission, wenn sie den Zuschlag für eine Partie verweigere und sich dafür entscheide, einen
Mindestverkaufspreis für die nicht vergebene Partie festzulegen, damit eine Beurteilung hinsichtlich
des Marktbedarfs und des Fehlens einer Marktstörung vornehme, so daß sie kein Ermessen mehr
habe. Sie verpflichte sich, bei der anschließenden Ausschreibung sämtlichen Angeboten, die
wenigstens den Mindestverkaufspreis erreichten, den Zuschlag zu erteilen.
27.
Dazu ist — mit der Kommission — festzustellen, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes zur
gemeinsamen Marktorganisation für Wein (Urteil vom 7. April 1992 in der Rechtssache C-358/90,
Compagnia italiana alcool/Kommission, Slg. 1992, I-2457, Randnr. 42) die Kommission, wenn sie
beschließt, wegen der Gefahr einer Marktstörung eine Ausschreibung aufzuheben, über ein weites
Ermessen bei der Beurteilung komplexer wirtschaftlicher Situationen verfügt. Die Entscheidung über
die Annahme oder Ablehnung eines Angebots ist daher nicht eine bloße mechanische
Verwaltungsmaßnahme, sondern umfaßt die Beurteilung einer komplexen wirtschaftlichen Situation.
Das gleiche gilt für die Regelung der Ausschreibungen in der vorliegenden Rechtssache.
28.
Das Gericht hat daher in Randnummer 58 des angefochtenen Urteils unter Hinweis auf die
Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteil vom 11. März 1987 in der Rechtssache 27/85,
Vandemoortele/Kommission, Slg. 1987, 1129, Randnrn. 31 bis 34) zutreffend ausgeführt, daß unter
diesen Umständen selbst Entscheidungen, die sich hinterher als angreifbar erweisen könnten, nicht
notwendigerweise die Haftung der Gemeinschaft begründeten, wenn kein offensichtlicher
Beurteilungsfehler des Organs vorliege.
29.
Was den Verstoß gegen die Artikel 1 und 6 der Verordnung Nr. 3389/73 und Artikel 7 Absatz 2 der
Verordnung Nr. 727/70 angeht, der darin bestehen soll, daß die Kommission kein Ermessen mehr
habe, wenn sie für eine nicht vergebene Partie einen Mindestverkaufspreis festsetze, so handelt es
sich um ein neues Vorbringen, das aus den gleichen Gründen, wie sie in Randnummer 18 des
vorliegenden Urteils angeführt sind, unzulässig ist.
30.
Der vierte Rechtsmittelgrund ist folglich zurückzuweisen.
Verstoß gegen die Grundsätze des kontradiktorischen Verfahrens und der
Waffengleichheit
31.
Nach Auffassung der Rechtsmittelführerin hätte das Gericht sich nicht allein auf die Unterlagen
stützen dürfen, die die Kommission in ihrer Antwort auf seine schriftlichen Fragen angegeben habe,
um die Klagegründe der Rechtsmittelführerin in bezug auf einen Verstoß gegen die Grundsätze des
kontradiktorischen Verfahrens und der Waffengleichheit im Rahmen der vierten Ausschreibung und
der Erhöhung der Sicherheitsleistung zurückzuweisen. Die Rechtsmittelführerin weist darauf hin, daß
sie in Anbetracht des Zeitpunkts, zu dem diese Unterlagen vorgelegt worden seien, und der
Kompliziertheit der Rechtssache nicht die Möglichkeit gehabt habe, die Angaben in diesen Unterlagen
zu prüfen, so daß die Erfordernisse des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens und
desjenigen der Waffengleichheit nicht beachtet worden seien. Im übrigen sei die Antwort der
Kommission am 16. April 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden, obwohl das
festgesetzte Datum der 15. April 1997 gewesen sei.
32.
Hierzu genügt die Feststellung, daß, wie die Kommission unwidersprochen ausgeführt hat, die
Rechtsmittelführerin in der Sitzung jede von ihr erforderlich gehaltene Stellungnahme zu diesen
Unterlagen hätte abgeben oder die Verschiebung der mündlichen Verhandlung hätte beantragen
können, um die Antwort der Kommission zu prüfen, was sie jedoch nicht getan hat. Unter diesen
Umständen kann sich die Rechtsmittelführerin im Rechtsmittelverfahren nicht auf eine
Verfahrensgarantie berufen, auf deren Inanspruchnahme sie damit verzichtet hat.
33.
Was die — übrigens nicht nachgewiesene — Verspätung bei der Einreichung der Antwort der
Kommission betrifft, so geht aus der Beweisaufnahme nicht hervor, daß sie irgendeinen Einfluß auf die
Ausübung der Rechte, die der Rechtsmittelführerin beim Verfahrensablauf zustehen, hätte haben
können.
34.
Dieser Rechtsmittelgrund ist daher ebenfalls zurückzuweisen.
Fehlerhafte Würdigung des Vorbringens der Rechtsmittelführerin in bezug auf den
Gleichbehandlungsgrundsatz und die Erhöhung der Sicherheitsleistung im Rahmen der
vierten Ausschreibung
35.
Was die vierte Ausschreibung betrifft, so vertritt die Rechtsmittelführerin die Auffassung, das
Gericht habe den Klagegrund eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der
Gleichbehandlung in der Weise beurteilt, daß es die Rechtmäßigkeit der der Kommission
vorgeworfenen Handlungen einzeln geprüft habe, anstatt sie in ihrem Zusammenhang zu betrachten.
36.
Das Gericht hatte sich zu den einzelnen Rügen der Rechtsmittelführerin zu äußern, und keiner der
von ihr angeführten Gründe läßt den Schluß zu, daß es das
Verhalten der Kommission nicht im ganzen berücksichtigt hat, als es entschied, daß die Klagegründe
eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung nicht
stichhaltig waren.
37.
Dieser Rechtsmittelgrund ist daher zurückzuweisen.
Verstoß gegen die Verordnung Nr. 3389/73
38.
Nach Auffassung der Rechtsmittelführerin hat das Gericht in Randnummer 91 des angefochtenen
Urteils zu Unrecht angenommen, daß die Kommission berechtigt gewesen sei, von Artikel 3 der
Verordnung Nr. 3389/73 abzuweichen, und daß die Verkürzung der Frist zwischen der
Bekanntmachung der Ausschreibung und dem Angebotstermin von 45 Tagen auf 20 Tage durch die
Verordnung Nr. 2436/91 gerechtfertigt gewesen sei. Sie meint, Artikel 3 Absatz 2 der Verordnung Nr.
3389/73, die eine höherrangige Regelung sei, lasse eine Ausnahme von der Frist von 45 Tagen nur für
Tabakpartien zu, die durch öffentliche Versteigerung auf den Markt gebracht würden. Die Kommission
habe daher von dieser Frist nur für die öffentlich versteigerten Partien abweichen können, nämlich für
diejenigen, für die die dritte Ausschreibung der griechischen und der italienischen Interventionsstelle
aufgehoben worden sei, d. h. für eine kleine Menge von etwa 8 Tonnen Tabak.
39.
Im Hinblick auf die vierte Ausschreibung hat die Verordnung (EWG) Nr. 395/90 der Kommission vom
15. Februar 1990 zur Änderung der Verordnung Nr. 3389/73 (ABl. L 42, S. 46) die in Artikel 3 der
Verordnung Nr. 3389/73 vorgesehene Frist von 45 Tagen auf 20 Tage verkürzt. Wie das Gericht in
Randnummer 91 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, ist diese Verkürzung im Rahmen des der
Kommission zustehenden weiten Ermessens beschlossen worden, und die Rechtsmittelführerin hat
nicht nachgewiesen, daß dieses Organ einen offensichtlichen Fehler begangen hat. Außerdem hat die
Rechtsmittelführerin nicht dargelegt, inwieweit die Verkürzung andere Wirtschaftsteilnehmer hätte
begünstigen können.
40.
Die Rechtsmittelführerin erklärt lediglich, daß die Verordnung Nr. 3389/73 deshalb einen höheren
Rang habe als die Verordnung Nr. 395/90, weil es sich um einen gemäß der Verordnung Nr. 727/70
des Rates erlassenen wesentlichen Rechtsakt handele.
41.
Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Die beiden Verordnungen sind nämlich gleichrangig
und wurden auf derselben Rechtsgrundlage, nämlich Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung Nr. 727/70,
erlassen.
42.
Folglich greift dieser Rechtsmittelgrund nicht durch und ist daher ebenso wie das Rechtsmittel
insgesamt zurückzuweisen.
Kosten
43.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem Rechtsmittel unterlegen ist und die
Kommission einen entsprechenden Antrag gestellt hat, sind der Rechtsmittelführerin die Kosten
aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsmittelführerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Puissochet
Moitinho de Almeida
Gulmann
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. September 1999.
Der Kanzler
Der Präsident der Dritten Kammer
R. Grass
J.-P. Puissochet
Verfahrenssprache: Französisch.