Urteil des EuGH vom 06.03.2003

EuGH: kommission, finnland, republik, ausweisung, regierung, europäische union, erhaltung, wild, rüge, staatsgebiet

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
6. März 200
„Richtlinie 79/409/EWG - Schutz der wild lebenden Vogelarten und ihrer Lebensräume - Besondere
Schutzgebiete“
In der Rechtssache C-240/00
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Republik Finnland
Beklagte,
wegen Feststellung, dass die Republik Finnland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absätze 1
und 2 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden
Vogelarten (ABl. L 103, S. 1) verstoßen hat, dass sie keine vollständige und endgültige Ausweisung
besonderer Schutzgebiete vorgenommen hat,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet, der Richter R. Schintgen und C. Gulmann
(Berichterstatter), der Richterin F. Macken und des Richters J. N. Cunha Rodrigues,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 28. Februar 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 25. April 2002,
folgendes
Urteil
1.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 15. Juni 2000 bei der
Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG Klage erhoben auf Feststellung,
dass die Republik Finnland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absätze 1 und 2 der
Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten
(ABl. L 103, S. 1, nachfolgend: Vogelschutzrichtlinie) verstoßen hat, dass sie keine vollständige und
endgültige Ausweisung besonderer Schutzgebiete vorgenommen hat.
Die Vogelschutzrichtlinie
2.
Artikel 4 Absätze 1, 2 und 3 der Vogelschutzrichtlinie sieht vor:
„(1) Auf die in Anhang I aufgeführten Arten sind besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer
Lebensräume anzuwenden, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet
sicherzustellen.
In diesem Zusammenhang ist Folgendes zu berücksichtigen:
a) vom Aussterben bedrohte Arten,
b) gegen bestimmte Veränderungen ihrer Lebensräume empfindliche Arten,
c) Arten, die wegen ihres geringen Bestands oder ihrer beschränkten örtlichen Verbreitung als
selten gelten,
d) andere Arten, die aufgrund des spezifischen Charakters ihres Lebensraums einer besonderen
Aufmerksamkeit bedürfen.
Bei den Bewertungen werden Tendenzen und Schwankungen der Bestände der Vogelarten
berücksichtigt.
Die Mitgliedstaaten erklären insbesondere die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig
geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten, wobei die Erfordernisse des Schutzes dieser Arten in dem
geografischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, zu berücksichtigen
sind.
(2) Die Mitgliedstaaten treffen unter Berücksichtigung der Schutzerfordernisse in dem
geografischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, entsprechende
Maßnahmen für die nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten
hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren
Wanderungsgebieten. Zu diesem Zweck messen die Mitgliedstaaten dem Schutz der Feuchtgebiete
und ganz besonders der international bedeutsamen Feuchtgebiete besondere Bedeutung bei.
(3) Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission alle sachdienlichen Informationen, so dass diese
geeignete Initiativen im Hinblick auf die erforderliche Koordinierung ergreifen kann, damit die in Absatz
1 und die in Absatz 2 genannten Gebiete ein zusammenhängendes Netz darstellen, das den
Erfordernissen des Schutzes der Arten in dem geografischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese
Richtlinie Anwendung findet, Rechnung trägt.“
Das Vorverfahren
3.
Mit Schreiben vom 11. Oktober 1996 übermittelte Finnland der Kommission Informationen über 15
als besondere Schutzgebiete ausgewiesene Gebiete mit einer Gesamtfläche von 967 km
2
.
4.
Am 10. Juli 1998 richtete die Kommission eine schriftliche Aufforderung zur Äußerung an die
Republik Finnland, in der sie beanstandete, dass Finnland Artikel 4 Absätze 1, 2 und 3 der
Vogelschutzrichtlinie nicht beachtet habe. In diesem Schreiben wurde festgestellt, dass die Liste der
besonderen Schutzgebiete, die der genannte Mitgliedstaat der Kommission am 11. Oktober 1996
übermittelt habe, offenkundig unvollständig sei und den Anforderungen der Vogelschutzrichtlinie nicht
genüge. In dem Schreiben wurden einige konkrete Beispiele genannt, darunter die Moore von
Kemihaara, die als besondere Schutzgebiete hätten ausgewiesen werden müssen.
5.
Mit Schreiben vom 9. Oktober 1998 teilte die finnische Regierung der Kommission mit, dass der
finnische Staatsrat am 20. August 1998 eine Entscheidung über den finnischen Vorschlag Natura
2000 gemäß der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen
Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7, nachfolgend:
Habitatrichtlinie) erlassen habe. Diese Entscheidung (nachfolgend: Entscheidung des Staatsrats)
enthalte die Liste der gemäß Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie ausgewiesenen
besonderen Schutzgebiete.
6.
In diesem Schreiben wurde ausgeführt, dass die der Kommission mit Schreiben vom 3. September
1998 vorläufig übermittelte Entscheidung des Staatsrats ihr nach Ablauf der nach finnischem Recht
für Klagen gegen Entscheidungen des Staatsrats vorgesehenen Frist, also frühestens im November
1998, zugestellt werde. Außerdem wies die finnische Regierung darauf hin, dass die der Kommission zu
übermittelnde Liste der besonderen Schutzgebiete auch die Gebiete ausweise, gegen die Klagen vor
einem nationalen Gericht anhängig seien und die deshalb erst als besondere Schutzgebiete in das
Netz Natura 2000 aufgenommen werden könnten, wenn über die entsprechenden Klagen entschieden
worden sei. Am Ende des genannten Schreibens wurde klargestellt, dass die Moore von Kemihaara
nicht in den Vorschlag für das Programm Natura 2000 aufgenommen worden seien.
7.
Mit Schreiben vom 15. Dezember 1998 erklärte die finnische Regierung, dass das finnische Korkein
hallinto-oikeus innerhalb der Klagefrist mit etwa 850 Klagen befasst worden sei, die auf die Änderung
von 610 Punkten der Entscheidung des Staatsrats gerichtet seien. Zahlreiche Klagen zielten auf eine
Änderung der Entscheidung in mehreren Punkten ab. Daher behalte sich die finnische Regierung vor,
die der Kommission übermittelte Liste der in das Netz Natura 2000 einbezogenen Gebiete in dem vom
Korkein hallinto-oikeus vorgegebenen Sinne zu ändern, wenn dieses über die bei ihm anhängigen
Klagen entschieden habe. Deshalb habe im Hinblick auf die Europäische Union die oben genannte
Entscheidung nicht die Gebiete betroffen, gegen die Klagen anhängig seien. Die in der
Vogelschutzrichtlinie vorgesehenen besonderen Schutzgebiete könnten also erst in das genannte
Netz einbezogen werden, wenn das Korkein hallinto-oikeus über die Klagen in einem Sinne
entschieden habe, der eine solche Einbeziehung gestatte.
8.
Mit Schreiben vom 17. Dezember 1998 gab die Kommission eine mit Gründen versehene
Stellungnahme ab, in der sie die Auffassung vertrat, dass die Ausweisung bestimmter Gegenden als
besondere Schutzgebiete durch Finnland nicht ausreiche oder dass Finnland ihr zumindest weder die
vollständige Liste der als solche auszuweisenden besonderen Schutzgebiete noch die hierfür
erforderlichen Informationen geografischer Natur vorgelegt habe. Nach Ansicht der Kommission hätte
die Republik Finnland angesichts der verfügbaren wissenschaftlichen Daten mindestens die 91
Gebiete als besondere Schutzgebiete ausweisen müssen, die in dem BirdLife-Bericht von 1997
(nachfolgend: BirdLife-Bericht) als wichtige Vogelschutzgebiete geführt worden seien (es handelt sich
um „Important Bird Areas“, nachfolgend: IBA). Von diesen Gebieten seien nur 12 als besondere
Schutzgebiete ausgewiesen worden. Die Kommission wies erneut darauf hin, dass u. a. die Moore von
Kemihaara nicht als besonderes Schutzgebiet ausgewiesen worden seien, obwohl diese Gegend in
dem genannten Bericht aufgeführt werde.
9.
Mit Schreiben vom 23. Dezember 1998 übermittelte Finnland der Kommission die Entscheidung des
Staatsrats, die u. a. eine Liste von 439 besonderen Schutzgebieten umfasst, deren Gesamtfläche sich
auf etwa 2,81 Millionen Hektar beläuft.
10.
In dieser Entscheidung wird allerdings klargestellt, dass im Hinblick auf die Europäische
Gemeinschaft der finnische Vorschlag nicht die Gebiete betreffe, die Gegenstand von Klagen seien.
Was die von der Vogelschutzrichtlinie vorgesehenen besonderen Schutzgebiete anbelange, bedeute
dies, dass die der Kommission übermittelte Liste dieser Gebiete die Gebiete ausweise, gegen die beim
Korkein hallinto-oikeus Klage erhoben worden sei und die deshalb erst als besondere Schutzgebiete in
das Netz Natura 2000 aufgenommen werden könnten, nachdem das genannte Gericht über diese
Klagen in einem Sinne entschieden habe, der die Aufnahme der betreffenden Gebiete in dieses Netz
gestatte.
11.
Mit Schreiben vom 11. Februar 1999 beantwortete Finnland die mit Gründen versehene
Stellungnahme der Kommission. Es wies u. a. darauf hin, dass die zur Aufnahme in das Netz Natura
2000 vorgeschlagenen besonderen Schutzgebiete anhand wissenschaftlicher Kriterien abgegrenzt
worden seien. Ferner wurde in diesem Schreiben bestätigt, dass die Entscheidung des Staatsrats in
Anbetracht der dagegen anhängigen Klagen nicht rechtskräftig sei.
12.
Mit Schreiben an die Kommission vom 19. März 1999 wies Finnland darauf hin, dass die
Entscheidung des Staatsrats auch hinsichtlich der besonderen Schutzgebiete, die nicht Gegenstand
einer spezifischen Klage gewesen seien, aufgrund von gerichtlichen Entscheidungen geändert werden
könnte, die auf Klagen ergingen, mit denen Verfahrensfehler gerügt worden seien.
Zur Klage
13.
Die Kommission wirft der Republik Finnland vor, sie habe erstens keine endgültige und zweitens
keine vollständige Ausweisung der besonderen Schutzgebiete vorgenommen.
Vorbringen der Parteien
14.
Die Kommission macht geltend, die ihr von Finnland am 23. Dezember 1998 übermittelte Liste der
als besondere Schutzgebiete ausgewiesenen Gebiete sei nicht endgültig, da sie aufgrund von Urteilen
über die derzeit beim Korkein hallinto-oikeus anhängigen Klagen geändert werden könne. Die Republik
Finnland habe daher gegen Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie verstoßen. Da die
Kommission außerdem keine endgültige Liste der im finnischen Staatsgebiet belegenen besonderen
Schutzgebiete erhalten habe, habe sie nicht, wie in Artikel 4 Absatz 3 dieser Richtlinie vorgesehen, die
zur Errichtung eines kohärenten Netzes erforderlichen Maßnahmen ergreifen können.
15.
Die finnische Regierung räumt ein, dass sie die endgültige Liste der besonderen Schutzgebiete bis
zum Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist nicht übermittelt habe.
Zu diesem Zeitpunkt sei nämlich die Entscheidung des Staatsrats aufgrund der dagegen anhängigen
Klagen noch nicht in Kraft gewesen. Die finnische Regierung bestreitet jedoch, dass diese
Verzögerung die Verwirklichung der Ziele der Vogelschutz- und der Habitatrichtlinie und die
Fortführung der Arbeiten der Kommission beeinträchtigt habe. Denn Finnland habe der Kommission
mit Schreiben vom 18. Dezember 1998, also vor Ablauf der genannten Frist, Auskünfte über alle
aufgrund der Habitatrichtlinie vorgeschlagenen Gebiete und über alle gemäß der Vogelschutzrichtlinie
ausgewiesenen besonderen Schutzgebiete erteilt. Diese Auskünfte, die mittels des durch die
Entscheidung 97/266/EG der Kommission vom 18. Dezember 1996 über das Formular für die
Übermittlung von Informationen zu den im Rahmen von NATURA 2000 vorgeschlagenen Gebieten (ABl.
1997, L 107, S. 1) vorgeschriebenen Formulars übermittelt worden seien, genügten den
Erfordernissen des Artikels 4 Absatz 3 der Vogelschutzrichtlinie.
Würdigung durch den Gerichtshof
16.
Nach Artikel 4 Absatz 1 der Vogelschutzrichtlinie müssen die Mitgliedstaaten die für die Erhaltung
der in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführten Arten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete zu
besonderen Schutzgebieten erklären (siehe Urteil vom 19. Mai 1998 in der Rechtssache C-3/96,
Kommission/Niederlande, Slg. 1998, I-3031, Randnr. 55). Nach Artikel 4 Absatz 2 müssen die
Mitgliedstaaten auch die Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie die Rastplätze in
den Wanderungsgebieten der in dem genannten Anhang nicht aufgeführten, regelmäßig
auftretenden Zugvogelarten zu besonderen Schutzgebieten erklären (siehe in diesem Sinne Urteile
vom 18. März 1999 in der Rechtssache C-166/97, Kommission/Frankreich, Slg. 1999, I-1719, Randnrn.
14 und 15, und vom 7. Dezember 2000 in der Rechtssache C-374/98, Kommission/Frankreich, Slg.
2000, I-10799, Randnr. 16).
17.
Es ist unstreitig, dass einige der Gebiete, die auf der Liste der in der Entscheidung des Staatsrats
aufgezählten besonderen Schutzgebiete erscheinen, nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der
Vogelschutzrichtlinie als besondere Schutzgebiete hätten ausgewiesen werden müssen.
18.
Da die Entscheidung des Staatsrats bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme
gesetzten Frist wegen der gegen sie anhängigen Klagen noch nicht in Kraft getreten war, waren die
genannten Gebiete unstreitig nicht endgültig als besondere Schutzgebiete ausgewiesen.
19.
Eine nur mögliche Ausweisung von Gebieten als besondere Schutzgebiete, wie sie sich aus der
Entscheidung des Staatsrats ergibt, die nach Maßgabe von Urteilen über die gegen diese
Entscheidung erhobenen Klagen geändert werden kann, kann aber nicht als rechtswirksame Erfüllung
der Ausweisungspflicht der Mitgliedstaaten nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie
angesehen werden.
20.
Zudem kann die fehlende endgültige Ausweisung der fraglichen Gebiete als besondere
Schutzgebiete die Kommission daran hindern, gemäß Artikel 4 Absatz 3 der Vogelschutzrichtlinie
geeignete Initiativen im Hinblick auf die Koordinierung zu ergreifen, die erforderlich ist, damit die
besonderen Schutzgebiete ein zusammenhängendes Netz darstellen.
21.
Nach alledem ist festzustellen, dass die Republik Finnland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus
Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie verstoßen hat, dass sie bestimmte Gebiete, die auf
der Liste der in der Entscheidung des Staatsrats aufgezählten besonderen Schutzgebiete erscheinen,
nicht endgültig als besondere Schutzgebiete ausgewiesen hat. Die Klage der Kommission ist daher in
diesem Punkt begründet.
Vorbringen der Parteien
22.
Die Kommission weist darauf hin, dass der in Zusammenarbeit mit der finnischen Umweltdirektion
ausgearbeitete und im Hinblick auf die Erstellung der IBA-Liste vorgelegte BirdLife-Bericht 96 Gebiete
aufgezählt habe, die im finnischen Staatsgebiet in die Liste der besonderen Schutzgebiete
aufgenommen werden sollten. Die Republik Finnland habe jedoch nur 69 dieser Gebiete ausgewiesen.
Insbesondere ständen die Moore von Kemihaara, die im BirdLife-Bericht als ein international
bedeutsames Gebiet verzeichnet seien, nicht auf der Liste der in der Entscheidung des Staatsrats
erfassten besonderen Schutzgebiete. Die ornithologische Bedeutung dieser Moore liege darin, dass
sie eines der Nistgebiete der in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie aufgezählten Arten darstellten.
Dass diese Gegend sowie 17 weitere für die Erhaltung wild lebender Vogelarten bedeutsame
Gegenden nicht unter den von dem genannten Mitgliedstaat vorgeschlagenen besonderen
Schutzgebieten aufgeführt würden, beweise, dass Finnland wissenschaftliche Kriterien bei dem
Verfahren zur Ausweisung der besonderen Schutzgebiete nicht berücksichtigt habe.
23.
Der BirdLife-Bericht sei in Bezug auf die Liste der finnischen IBA durch das Werk „.Important Bird
Areas in Europe‘, Volume 1: Northern Europe, , BirdLife International,
2000“ über die IBA in Europa bestätigt worden. Angesichts der europäischen Dimension dieses IBA-
Verzeichnisses und seines wissenschaftlichen Wertes hätte die Republik Finnland, wenn sie es hätte
in Zweifel ziehen wollen, wissenschaftliche Beweise vorlegen müssen. Trotz entsprechender
Aufforderungen der Kommission habe Finnland aber keine Angaben vorgelegt, aufgrund deren sich
hätte feststellen lassen, dass Finnland sich bei der Auswahl der als besondere Schutzgebiete
auszuweisenden Gegenden auf wissenschaftliche Kriterien gestützt hätte. Jedenfalls seien
offensichtlich Gebiete von hoher ornithologischer Bedeutung nicht als besondere Schutzgebiete
ausgewiesen worden.
24.
Die finnische Regierung macht erstens geltend, sie habe sich auf die in der Vogelschutzrichtlinie
genannten wissenschaftlichen Kriterien gestützt, um die Liste der finnischen besonderen
Schutzgebiete zu erstellen. Sie habe der Kommission vollständige Informationen über die Kriterien
übermittelt, von denen sie sich bei der Auswahl dieser besonderen Schutzgebiete habe leiten lassen;
dabei habe sie das in der Entscheidung 97/266 vorgesehene Formular verwendet. Außerdem habe
das Korkein hallinto-oikeus im Laufe des Sommers 2000 über alle gegen die Entscheidung des
Staatsrats gerichteten Klagen entschieden. Es habe die Auffassung vertreten, dass die Kriterien für
die Auswahl und die Abgrenzung der besonderen Schutzgebiete ökologischer Natur gewesen seien,
wie es die Vogelschutz- und die Habitatrichtlinie verlangten. Zu diesem Ergebnis sei es gelangt,
nachdem es jede Klage eingehend geprüft und festgestellt habe, dass die genannte Entscheidung in
Bezug auf jedes einzelne Gebiet und seine Abgrenzung auf zutreffenden Tatsachen und auf
Untersuchungen über den ökologischen Wert der betreffenden Gegend beruhe, denen zuverlässige
wissenschaftliche Erkenntnisse zugrunde lägen. Nach Abschluss dieser Prüfung habe das Korkein
hallinto-oikeus
- den Klagen in Bezug auf 50 Gebiete, darunter 18 in der Entscheidung des Staatsrats genannte
besondere Schutzgebiete, stattgegeben;
- Änderungen der Abgrenzung von 4 besonderen Schutzgebieten angeordnet und die Angelegenheit
für 14 weitere besondere Schutzgebiete an den Staatsrat verwiesen, damit er sie je nach Fall
vergrößere oder verkleinere;
- für 4 Gegenden, die nicht vom Projekt Natura 2000 erfasst würden, die Angelegenheit an den
Staatsrat verwiesen. Es handele sich um die Moore von Kemihaara und die Gebiete Karunginjärvi,
Peuralamminneva und Korpoo Långviken.
25.
Zweitens macht die finnische Regierung geltend, der BirdLife-Bericht sei kein wissenschaftliches
Beweismittel, anhand dessen beurteilt werden könne, ob die Republik Finnland die geeignetsten
Gebiete im Sinne des Artikels 4 der Vogelschutzrichtlinie als besondere Schutzgebiete ausgewiesen
habe. Zunächst sei dieser Bericht bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme
gesetzten Frist nicht vollständig gewesen, so dass weder sicher gewesen sei, dass alle darin als IBA
vorgeschlagenen Gebiete auf internationaler Ebene bestätigt würden, noch dass nicht andere
Gegenden von BirdLife Finnland, einer Organisation, in der die finnischen Ornithologievereinigungen
zusammengefasst seien, vorgeschlagen würden. Sodann eigneten sich die Kriterien, die angewandt
worden seien, um die genannten Gebiete als IBA vorzuschlagen, nicht besonders zur Beurteilung der
finnischen Vogelwelt, und bei der Zählung von Exemplaren geschützter Vogelarten seien Fehler
begangen worden. Schließlich fehlten im BirdLife-Bericht bestimmte Gebiete, obwohl sie für die
Vogelwelt - auch auf internationaler Ebene - von Bedeutung seien.
26.
Die finnische Regierung kommt zu dem Schluss, dass sie ihre Auswahl der besonderen
Schutzgebiete nicht allein auf den BirdLife-Bericht habe stützen können, es sei denn, es hätte eine
endgültige und auf internationaler Ebene anerkannte Liste der IBA gegeben.
27.
Drittens macht die finnische Regierung geltend, die Liste der finnischen besonderen Schutzgebiete
sei nur dann unzureichend, wenn die Anzahl und die Fläche der entsprechend ausgewiesenen
Gegenden offenkundig hinter der Anzahl und der Fläche der Gebiete zurückblieben, die als am
geeignetsten zur Erhaltung der in Artikel 4 der Vogelschutzrichtlinie genannten Vogelarten gälten.
Finnland habe aber eine größere Anzahl von Gebieten und eine größere Gesamtfläche als besondere
Schutzgebiete ausgewiesen, als im 1989 veröffentlichten IBA-Verzeichnis oder in der im BirdLife-Bericht
vorgeschlagenen IBA-Liste vorgesehen sei. Jedenfalls folge weder aus Artikel 4 der Richtlinie noch aus
der Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass die Liste der finnischen besonderen Schutzgebiete mit
der Liste der im BirdLife-Bericht aufgezählten IBA übereinstimmen müsse. Aus der Rechtsprechung
gehe auch nicht hervor, dass Finnland es wissenschaftlich rechtfertigen müsse, wenn Gebiete, die
sich auf der genannten IBA-Liste fänden, nicht in die Liste der besonderen Schutzgebiete
aufgenommen würden.
Würdigung durch den Gerichtshof
28.
Es ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung des Staatsrats bei Ablauf der in der mit Gründen
versehenen Stellungnahme gesetzten Frist eine Liste besonderer Schutzgebiete enthielt, die nicht nur
nicht in Kraft, sondern auch nicht endgültig war, da diese Liste, wie die finnische Regierung erklärt
hat, namentlich durch Hinzufügungen oder Herausnahmen von Gegenden geändert werden konnte.
29.
Daher ist die Rüge der Kommission nicht zu prüfen, soweit sie darauf gestützt wird, dass die in der
Entscheidung des Staatsrats enthaltene Liste der besonderen Schutzgebiete deshalb unvollständig
sei, weil sie von den 96 Gegenden, die nach dem BirdLife-Bericht eine Ausweisung als besondere
Schutzgebiete verdienten, nur 69 als solche ausweise.
30.
Da die fragliche Liste bei Ablauf der genannten Frist weder in Kraft noch endgültig war und
geändert werden konnte, betrifft die von der Kommission erhobene Rüge einen Zustand, der zu dem
Zeitpunkt, der für die Beurteilung des Vorliegens einer etwaigen Vertragsverletzung maßgeblich ist,
noch offen war.
31.
Allerdings steht fest, dass zu diesem Zeitpunkt in Finnland nur 15 Gegenden endgültig als
besondere Schutzgebiete ausgewiesen waren. Ferner steht fest, dass diese Ausweisung im Hinblick
auf die Verpflichtungen der Republik Finnland nach der Vogelschutzrichtlinie und insbesondere nach
deren Artikel 4 Absätze 1 und 2 nicht ausreichend war.
32.
Daher ist festzustellen, dass die Republik Finnland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4
Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie verstoßen hat, dass sie die geeignetsten Gegenden im
Sinne dieser Bestimmung nicht vollständig als besondere Schutzgebiete ausgewiesen hat. Der Klage
der Kommission ist folglich auch in diesem Punkt stattzugeben.
33.
Somit ist festzustellen, dass die Republik Finnland dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4
Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie verstoßen hat, dass sie keine endgültige und vollständige
Ausweisung der in ihrem Staatsgebiet belegenen besonderen Schutzgebiete vorgenommen hat.
Kosten
34.
Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Republik Finnland beantragt hat und
diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Republik Finnland hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absätze 1
und 2 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wild
lebenden Vogelarten verstoßen, dass sie keine endgültige und vollständige Ausweisung
der in ihrem Staatsgebiet belegenen besonderen Schutzgebiete vorgenommen hat.
2. Die Republik Finnland trägt die Kosten des Verfahrens.
Puissochet
Schintgen
Gulmann
Macken
Cunha Rodrigues
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 6. März 2003.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
J.-P. Puissochet
Verfahrenssprache: Finnisch.