Urteil des EuGH vom 17.07.1997

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URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)
17. Juli 199
​[234s„Natürliche Mineralwässer — Begriff — Gesundheitsdienliches Wasser“​[s
In der Rechtssache C-17/96
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Bundesverwaltungsgericht in dem bei
diesem anhängigen Rechtsstreit
Badische Erfrischungs-Getränke GmbH & Co. KG
gegen
Land Baden-Württemberg
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 80/777/EWG des Rates vom
15. Juli 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Gewinnung von und den
Handel mit natürlichen Mineralwässern (ABl. L 229, S. 1) erläßt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Sevón sowie der Richter P. Jann und M. Wathelet
(Berichterstatter),
Generalanwalt: M. B. Elmer
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der Badischen Erfrischungs-Getränke GmbH & Co. KG, vertreten durch Rechtsanwalt T. Schmidt-
Kötters, Düsseldorf,
des Landes Baden-Württemberg, vertreten durch H. Lauinger, Oberregierungsrat im
Regierungspräsidium Karlsruhe, als Bevollmächtigten,
der französischen Regierung, vertreten durch C. de Salins, Abteilungsleiterin in der Direktion für
Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, und R. Nadal, stellvertretender
Sekretär für Auswärtige Angelegenheiten in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,
der italienischen Regierung, vertreten durch Professor U. Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso
diplomatico des Außenministeriums, als Bevollmächtigten im Beistand von Avvocato dello Stato O.
Fiumara,
der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch S. Ridley, Treasury Solicitor's Department,
als Bevollmächtigten und durch Barrister D. Bethlehem,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch C. Schmidt, Juristischer Dienst, als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Badischen Erfrischungs-Getränke GmbH & Co. KG,
vertreten durch T. Schmidt-Kötters, der französischen Regierung, vertreten durch R. Nadal, der irischen
Regierung, vertreten durch Barrister-at-law P. O'Reilly, der italienischen Regierung, vertreten durch O.
Fiumara, der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch D. Bethlehem, und der Kommission,
vertreten durch C. Schmidt, in der Sitzung vom 29. Januar 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Mai 1997,
folgendes
Urteil
1. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluß vom 31. August 1995, beim Gerichtshof eingegangen
am 19. Januar 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Richtlinie
80/777/EWG des Rates vom 15. Juli 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern (ABl. L 229, S. 1; im
folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2. Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Badischen Erfrischungs-Getränke GmbH
& Co. KG, einer Mineralbrunnengesellschaft (im folgenden: Klägerin), und dem Land Baden-
Württemberg über dessen Weigerung, das Wasser aus einem der Brunnen der Gesellschaft als
natürliches Mineralwasser anzuerkennen.
3. Ende der achtziger Jahre erschloß die Klägerin einen Brunnen. Die Analyse und die Prüfung der
ernährungsphysiologischen Wirkungen des Wassers aus diesem Brunnen ergaben einen geringen
Natrium- und Chloridgehalt, der das Wasser nach Ansicht der Klägerin besonders geeignet für die
kochsalzarme Ernährung und die Bekämpfung von Bluthochdruck machte.
4. Die Klägerin stellte beim Land Baden-Württemberg einen Antrag auf Anerkennung des Wassers als
natürliches Mineralwasser.
5. Mit Bescheiden vom 28. November 1989 und vom 2. April 1990 lehnte das Land Baden-Württemberg
den Antrag mit der Begründung ab, daß Wasser ohne einen bestimmten positiven Gehalt an wichtigen
Bestandteilen nicht die nach der deutschen Regelung erforderlichen ernährungsphysiologischen
Wirkungen haben könne.
6. In § 2 Nummer 2 der deutschen Mineral- und Tafelwasser-Verordnung heißt es:
„Natürliches Mineralwasser ist Wasser, das folgende besondere Anforderungen erfüllt:
...
2. es ist von ursprünglicher Reinheit und besitzt bestimmte ernährungsphysiologische Wirkungen auf
Grund seines Gehalts an Mineralstoffen, Spurenelementen oder sonstigen Bestandteilen ...“
7. Die von der Klägerin beim Verwaltungsgericht Karlsruhe erhobene Klage wurde mit Urteil vom 8.
November 1991 abgewiesen. Dieses Urteil wurde am 30. November 1993 vom Verwaltungsgerichtshof
Baden-Württemberg mit der Begründung bestätigt, daß die Klägerin nicht nachgewiesen habe, daß
das Wasser aufgrund seiner Bestandteile ernährungsphysiologische Wirkungen habe, wie es nach
den deutschen Rechtsvorschriften erforderlich sei. Der fehlende oder geringe Gehalt des Wassers an
bestimmten Mineralstoffen reiche für eine Anerkennung als natürliches Mineralwasser nicht aus.
8. Das mit der Revision angerufene Bundesverwaltungsgericht bestätigte, daß die deutsche Regelung so
auszulegen sei, daß zwischen dem positiven Gehalt des Wassers an Bestandteilen und seinen
ernährungsphysiologischen Wirkungen ein ursächlicher Zusammenhang bestehen müsse.
9. Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch Zweifel an der Vereinbarkeit dieser Erfordernisse mit der
Richtlinie, in der die Definition der natürlichen Mineralwässer und die Bedingungen für ihre
Anerkennung sowie die Regelung ihrer Nutzung und Vermarktung harmonisiert werden.
10. Artikel 1 Absatz 1 der Richtlinie lautet:
„Diese Richtlinie betrifft die aus dem Boden eines Mitgliedstaats gewonnenen und von der
zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats als natürliche Mineralwässer nach Anhang I Abschnitt I
anerkannten Wässer.“
In Anhang I Abschnitt I („Definition“) Nummern 1 und 2 heißt es:
„1. .Natürliches Mineralwasser' ist ein im Sinne des Artikels 5 bakteriologisch einwandfreies Wasser,
das seinen Ursprung in einem unterirdischen Quellvorkommen hat und aus einer oder mehreren
natürlichen oder künstlich erschlossenen Quellen gewonnen wird.
Natürliches Mineralwasser unterscheidet sich von gewöhnlichem Trinkwasser deutlich durch
a) seine Eigenart, die durch seinen Gehalt an Mineralien, Spurenelementen oder sonstigen
Bestandteilen und gegebenenfalls durch bestimmte Wirkungen gekennzeichnet ist,
b) seine ursprüngliche Reinheit,
wobei beide Merkmale aufgrund der unterirdischen Herkunft des Wassers, das vor jedem
Verunreinigungsrisiko geschützt ist, unverändert erhalten sind.
2. Diese Merkmale, die natürlichem Mineralwasser gesundheitsdienliche Eigenschaften verleihen
können, müssen überprüft worden sein:
a) unter
1) geologischen und hydrologischen,
2) physikalischen, chemischen und physikalisch-chemischen,
3) mikrobiologischen,
4) erforderlichenfalls pharmakologischen, physiologischen und klinischen Gesichtspunkten;
b) nach den in Abschnitt II aufgeführten Kriterien;
c) nach von der zuständigen Behörde wissenschaftlich anerkannten Verfahren.
...“
11. Das Bundesverwaltungsgericht hat Zweifel, ob die Richtlinie die Anerkennung von Wasser als
natürlichem Mineralwasser davon abhängig macht, daß es gesundheitsdienliche Eigenschaften
besitzt, und ob diese Eigenschaften gegebenenfalls nachgewiesen werden müssen. Bejahendenfalls
fragt sich das Gericht, ob die gesundheitsdienlichen Eigenschaften auf dem Fehlen eines Bestandteils
in dem betreffenden Wasser oder auf seinem geringen Gehalt an diesem Bestandteil beruhen
können. Schließlich fragt sich das Bundesverwaltungsgericht in Anbetracht der Verwendung des
Begriffes „ernährungsphysiologische Wirkungen“ in der deutschen Regelung, welche Bedeutung den
in Anhang I Abschnitt I Nummern 1 und 2 der Richtlinie verwendeten Begriffen „Wirkungen“ und
„gesundheitsdienliche Eigenschaften“ zukommt.
12. Unter diesen Umständen hat das Bundesverwaltungsgericht das Verfahren ausgesetzt, um dem
Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen:
1. Ist Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Anhang I (I. Definition) der Richtlinie 80/777/EWG des Rates
vom 15. Juli 1980 dahin gehend auszulegen, daß ein Wasser — abgesehen von der Fallgruppe der
„Altwässer“ gemäß Anhang I, I. Definition Nummer 2 Unterabsatz 2 — nur dann als natürliches
Mineralwasser anerkannt werden darf, wenn es gesundheitsdienliche Eigenschaften hat,
bejahendenfalls, daß diese Eigenschaften nachzuweisen sind?
2. Dürfen sich die gegebenenfalls erforderlichen gesundheitsdienlichen Eigenschaften auch aus
dem fehlenden oder geringen Gehalt der in Abschnitt I Nummer 1 Buchstabe a des Anhangs I
bezeichneten Bestandteile (z. B. natriumarme Wässer) ergeben?
3. Wie sind die Begriffe „gesundheitsdienliche Eigenschaften“ in Abschnitt I Nummer 2 des Anhangs
I und „bestimmte Wirkungen“ in Abschnitt I Nummer 1 Buchstabe a (siehe auch: Abschnitt II Nummer
1.4.1. des Anhangs I) voneinander abzugrenzen?
Zur ersten Frage
13. Das Land Baden-Württemberg, unterstützt durch die französische und die italienische Regierung, trägt
vor, Wasser könne nur dann als natürliches Mineralwasser anerkannt werden, wenn es
gesundheitsdienliche Eigenschaften habe. Natürliches Mineralwasser sei nicht nur durch Ursprung,
Inhalt und Zustand gekennzeichnet, sondern auch durch ernährungsphysiologische Wirkungen, da
diese von dem Gehalt an Mineralien, Spurenelementen oder sonstigen Bestandteilen ausgingen, die
die Eigenart des Wassers bestimmten. Aus Anhang I Abschnitt I Nummer 2 ergebe sich, daß die
gesundheitsdienlichen Eigenschaften des Wassers nachzuweisen seien. Die Nummer 2 ergänze und
verdeutliche die Nummer 1, indem sie eine Überprüfung der in dieser angeführten Merkmale zum
Zweck der konkreten Feststellung der gesundheitsdienlichen Eigenschaften verlange.
14. Die Kommission vertritt die Ansicht, die Nummern 1 und 2 des Anhangs I Abschnitt I, die beide
Elemente der Definition von natürlichem Mineralwasser darstellten, seien zusammen zu lesen. Die
deutsche, die englische, die niederländische und die dänische Fassung der Nummer 2 entsprächen
einander und seien im Hinblick auf die gestellte Frage doppeldeutig. Dagegen ließen weder die
französische noch die italienische und die spanische Fassung der Nummer 2 Zweifel daran zu, daß
natürliches Mineralwasser stets solche Eigenschaften haben müsse.
15. In Anhang I Abschnitt I Nummer 1, der die Definition von natürlichem Mineralwasser enthält, werden
„gesundheitsdienliche Eigenschaften“ nicht erwähnt. In Nummer 1 Absatz 1 wird natürliches
Mineralwasser als ein bakteriologisch einwandfreies Wasser unterirdischen Ursprungs definiert. Absatz
2 enthält lediglich den Hinweis, daß sich natürliches Mineralwasser von gewöhnlichem Trinkwasser
durch zwei Merkmale unterscheidet, nämlich zum einen durch seine Eigenart, die durch seinen Gehalt
an Mineralien, Spurenelementen oder sonstigen Bestandteilen und gegebenenfalls durch bestimmte
Wirkungen gekennzeichnet ist, und zum anderen durch seine ursprüngliche Reinheit, wobei
hinzugefügt wird, daß die unterirdische Herkunft des Wassers es ermöglicht, daß diese Merkmale
unverändert erhalten sind. Der Begriff „gesundheitsdienliche Eigenschaften“ kommt erst in Anhang I
Abschnitt I Nummer 2 vor.
16. In dieser Hinsicht ist der Rat vom Richtlinienvorschlag der Kommission (ABl. 1970, C 69, S. 14)
abgewichen, der das Erfordernis der gesundheitsdienlichen Eigenschaften in Nummer 1 erwähnte.
Diese Umstellung deutet darauf hin, daß der Rat die Anerkennung von Wasser als natürlichem
Mineralwasser nicht davon abhängig machen wollte, daß es gesundheitsdienliche Eigenschaften
besitzt.
17. Für diese Auslegung spricht, daß die Richtlinie keine Definition des Begriffes der
gesundheitsdienlichen Eigenschaften enthält. Hätte der Rat ein Merkmal natürlicher Mineralwässer
darin sehen wollen, daß sie gesundheitsdienliche Eigenschaften besitzen, so hätte die Richtlinie, die
genau und detailliert gefaßt ist, wie der Generalanwalt in Nummer 18 seiner Schlußanträge zutreffend
ausgeführt hat, zu diesem Punkt Vorschriften enthalten.
18. Schließlich wird mit der Wendung „die natürlichem Mineralwasser gesundheitsdienliche Eigenschaften
verleihen können“ nur auf eine mögliche Wirkung der Merkmale des Wassers verwiesen. Die rein
deskriptive Bedeutung dieses Ausdrucks steht in deutlichem Kontrast zur zwingenden Formulierung
der Hauptaussage des Satzes, daß die in Nummer 1 genannten Merkmale des natürlichen
Mineralwassers unter verschiedenen Gesichtspunkten, nach bestimmten Kriterien und nach von der
zuständigen Behörde wissenschaftlich anerkannten Verfahren überprüft worden sein „müssen“ (siehe
Anhang I Abschnitt I Nummer 2 Satz 1).
19. Aufgrund all dieser Erwägungen ist auf die erste Frage zu antworten, daß Artikel 1 Absatz 1 in
Verbindung mit Anhang I Abschnitt I Nummern 1 und 2 der Richtlinie dahin auszulegen ist, daß er es
einem Mitgliedstaat verwehrt, für die Anerkennung von Wasser als natürlichem Mineralwasser zu
verlangen, daß es gesundheitsdienliche Eigenschaften besitzt.
Zur zweiten und zur dritten Frage
20. Angesichts der Antwort auf die erste Frage brauchen die zweite und die dritteFrage nicht beantwortet
zu werden.
Kosten
21. Die Auslagen der französischen und der italienischen Regierung, der Regierung des Vereinigten
Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens
ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
auf die ihm vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluß vom 31. August 1995 vorgelegten Fragen für
Recht erkannt:
Artikel 1 Absatz 1 in Verbindung mit Anhang I Abschnitt I Nummern 1 und 2 der Richtlinie
80/777/EWG des Rates vom 15. Juli 1980 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der
Mitgliedstaaten über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern
ist dahin auszulegen, daß er es einem Mitgliedstaat verwehrt, für die Anerkennung von
Wasser als natürlichem Mineralwasser zu verlangen, daß es gesundheitsdienliche
Eigenschaften besitzt.
SevónJann
Wathelet
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Juli 1997.
Der Kanzler
Der Präsident der Ersten Kammer
R. Grass
L. Sevón
Verfahrenssprache: Deutsch.