Urteil des EuGH vom 02.12.1999

EuGH: wirtschaftliche einheit, juristische person, unternehmen, vereinigtes königreich, innerstaatliches recht, erworbene rechte, auswärtige angelegenheiten, kommission, regierung, eigentümer

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
2. Dezember 1999
„Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer beim Übergang eines Unternehmens — Übergang innerhalb
desselben Konzerns“
In der Rechtssache C-234/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Industrial Tribunal
Leeds (Vereinigtes Königreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
G. C. Allen u. a.
gegen
Amalgamated Construction Co. Ltd
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom
14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von
Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen (ABl. L 61, S.
26)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward sowie der Richter J. C. Moitinho de Almeida, C.
Gulmann, J.-P. Puissochet (Berichterstatter) und P. Jann,
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
— des G. C. Allen u. a., vertreten durch J. Hendy, QC, und M. Ford, Barrister, beauftragt durch L. Christian,
Solicitor,
— der Amalgamated Construction Co. Ltd, vertreten durch P. Duffy, QC, und G. Clarke, Barrister, beauftragt
durch W. Burton, Solicitor,
— der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Ewing, Treasury Solicitor's Department,
als Bevollmächtigte, Beistand: K. Smith, Barrister,
— der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger, Abteilungsleiterin in der Direktion für
Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, und Anne de Bourgoing, Chargé de mission
in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,
— der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch die Rechtsberater C. Docksey und
P. Hillenkamp als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des G. C. Allen u. a., der Amalgamated Construction Co. Ltd,
der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission in der Sitzung vom 16. Juni 1999,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Juli 1999,
folgendes
Urteil
1.
Das Industrial Tribunal Leeds hat mit Entscheidung vom 5. Mai 1998, beim Gerichtshof eingegangen
am 3. Juli 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen nach der Auslegung
der Richtlinie 77/187/EWG des
Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder
Betriebsteilen (ABl. L 61, S. 26; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in Rechtsstreitigkeiten zwischen G. C. Allen und 23 anderen Bergarbeitern
(im folgenden: Kläger) und der Amalgamated Construction Co. Ltd (im folgenden: ACC).
3.
Die ACC ist eine britische Gesellschaft, deren Bergbautätigkeit seit etwa 20 Jahren darin besteht,
Tunnels und Stollen für Rechnung der Eigentümer von Kohlenzechen zu bohren, damit diese Zugang
zu den Kohlevorkommen erhalten und diese abbauen können. Dazu führen die Zecheneigentümer
regelmäßig Ausschreibungen durch, die sich auf die Durchführung eines bestimmten Pakets von
Arbeiten beziehen. Obwohl es keine dahin gehende Garantie gibt, besteht die Neigung, die
geschlossenen Verträge unbegrenzt mit der Folge fortzuführen, daß die ACC bei einer neuen Vergabe
niemals einen ihr früher erteilten Auftrag verloren haben soll.
4.
Die ACC ist eine Tochtergesellschaft der AMCO Corporation plc (im folgenden: AMCO-Konzern), die
100 % des Kapitals der ACC hält. Zum AMCO-Konzern gehören ein Dutzend Gesellschaften, darunter
eine andere 100%ige Tochtergesellschaft, die AM Mining Services Ltd (im folgenden: AMS). Die AMS
wurde 1993 gegründet, um Aufgaben im Zusammenhang mit der Stillegung von Zechen wie die
Instandhaltung und das Zuschütten von Stollen durchzuführen. Sie stellte dazu eigene Arbeitskräfte
ein, deren Arbeitsbedingungen sich von den bei der ACC geltenden unterscheiden und insbesondere
für die Arbeitnehmer weit ungünstiger sind. Auch wenn die ACC und die AMS rechtlich getrennte
Körperschaften darstellen, haben sie das gleiche Management, und die administrativen und
logistischen Aufgaben in diesen beiden Unternehmen werden gemeinsam innerhalb des AMCO-
Konzerns wahrgenommen.
5.
Die AMS hat ihre Tätigkeit immer weiter dadurch diversifiziert, daß sie erreicht hat, daß ihr
Hilfsarbeiten für den Streckenvortrieb, wie Aufräum- und Instandhaltungsarbeiten in den Stollen,
übertragen wurden. Sie übernahm insbesondere neue Aufgaben in der Kohlenzeche Prince of Wales in
Yorkshire. Die ACC war auf dieser Zeche bereits tätig und führte dort Vortriebsarbeiten für Rechnung
der staatlichen britischen Kohlenbergwerksgesellschaft British Coal und dann nach deren
Privatisierung und dem Verkauf eines Teils des Vermögens für Rechnung der RJB Mining (UK) Ltd (im
folgenden: RJB) durch.
6.
Im August 1994 und dann im März 1995 bewarb sich die ACC, deren Verträge ausliefen, um neue
Aufträge für Vortriebsarbeiten in der Kohlenzeche Prince of Wales. Die Angebote sahen jeweils vor,
daß die Arbeiten an die AMS, deren Arbeitskosten unter denjenigen der ACC lagen, als
Subunternehmer vergeben
werden sollten. Die ACC erhielt den Zuschlag für diese Aufträge. Da die Untervergabe an die AMS
jedoch zu einem Rückgang des Arbeitsvolumens der ACC führte, entließ diese eine Reihe ihrer auf der
Zeche beschäftigten Arbeitnehmer, wobei sie ihnen gleichzeitig mitteilte, daß sie nach einer
Unterbrechung von einem Wochenende von der AMS wieder eingestellt werden könnten.
7.
1994 und 1995 erhielten die von der ACC entlassenen Arbeitnehmer Kündigungsabfindungen und
wurden anschließend von der AMS eingestellt. Da die ACC ihre eigenen Vortriebsarbeiten wie jedesmal
erst abgeschlossen hatte, nachdem die AMS ihre Arbeiten begonnen hatte, war es jedoch schwierig,
während dieses Übergangszeitraums zu bestimmen, ob die betreffenden Arbeitnehmer für Rechnung
der einen oder der anderen Gesellschaft arbeiteten.
8.
Als Subunternehmerin für die Streckenvortriebsarbeiten verfügte die AMS über alle Anlagen und
Ausrüstungen, die die British Coal und dann die RJB bis dahin der ACC zur Verfügung gestellt hatten,
wie die Sanitäreinrichtungen, die Kantine und die für die Beseitigung des Abraums, die Beförderung
des Materials oder den Vortrieb erforderlichen Geräte und Anlagen.
9.
In der Folge äußerte die RJB jedoch Vorbehalte in bezug auf die bei ihren einzelnen
Leistungserbringern, darunter bei der AMS, geltenden Arbeitsbedingungen und vertrat die
Auffassung, daß diese Bedingungen das Personal dieser Unternehmen demotivierten. Auf Anregung
der RJB beschloß die ACC daraufhin, den neuen Arbeitsauftrag, den sie erhalten hatte, nicht an die
AMS als Subunternehmerin zu vergeben und die Durchführung dieses Auftrags selbst zu übernehmen.
Zu diesem Zweck stellte sie ihre früheren Arbeitnehmer, die zur AMS übergetreten waren, deren
Subunternehmerverträge ausliefen, wieder ein, darunter auch die Kläger. Diese Wiedereinstellung
erfolgte unter Beschäftigungsbedingungen, die besser waren als bei der AMS, aber weniger günstig
als die Bedingungen, die die ACC vor 1994 oder 1995 eingeräumt hatte.
10.
Die Kläger waren der Auffassung, daß sie Anspruch auf die Beschäftigungsbedingungen hätten, die
die ACC ihnen bis zu ihrem Weggang zur AMS geboten habe, und erhoben Klage beim Industrial
Tribunal. Zur Begründung ihrer Forderung machten sie geltend, nach dem Transfer of Undertakings
(Protection of Employment) Regulations 1981, durch die die Richtlinie in innerstaatliches Recht
umgesetzt worden ist, sei ein doppelter Unternehmensübergang erfolgt, zunächst von der ACC auf die
AMS und dann von der AMS auf die ACC. Die ACC ihrerseits hat bestritten, daß ein solcher Übergang
stattgefunden habe.
11.
Das Industrial Tribunal Leeds ist der Auffassung, daß die Entscheidung des Rechtsstreits von der
Auslegung der Richtlinie abhänge; es hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende
Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die Richtlinie 77/187/EWG über erworbene Rechte auf zwei Gesellschaften desselben Konzerns
mit gemeinsamem Eigentümer und Management, gemeinsamen Gebäuden und gemeinsamer Arbeit
anwendbar oder sind diese Gesellschaften ein einziges Unternehmen im Sinne der Richtlinie? Liegt
insbesondere ein Unternehmensübergang im Sinne der Richtlinie vor, wenn die Gesellschaft A einen
wesentlichen Teil ihrer Belegschaft auf die Gesellschaft B innerhalb desselben Konzerns überträgt?
2. Wenn die Frage 1 zu bejahen ist: Nach welchen Kriterien ist zu entscheiden, ob ein solcher
Übergang stattgefunden hat? Liegt ein Unternehmensübergang insbesondere unter folgenden
Umständen vor:
a) Während eines bestimmten Zeitraums wurden die in Frage kommenden Arbeitnehmer von
der Gesellschaft A wegen angeblichen Arbeitsmangels entlassen, und es wurde ihnen eine
Beschäftigung bei der Konzerngesellschaft B angeboten, deren Unternehmenstätigkeit räumlich
getrennt oder Teil der Unternehmenstätigkeit der Gesellschaft A ist, nämlich der Streckenvortrieb in
Bergwerken.
b) Zwischen den Gesellschaften A und B fand keine Übertragung von Gebäuden, kein Wechsel
von Führungskräften, keine Übertragung der Infrastruktur, von Material oder Wirtschaftsgütern statt,
und der überwiegende Teil der bedeutenden Wirtschaftsgüter, die von beiden Gesellschaften beim
Vortrieb der Hauptstollen eingesetzt wurden, wurde von einem Dritten, dem Grubenbetreiber geliefert.
c) Die Gesellschaft A blieb der einzige Vertragspartner des Dritten und Auftraggebers, der das
Unternehmen mit Arbeiten im Rahmen von Bauprojekten betraute, die auf „gleitender“ Basis
durchgeführt wurden.
d) Der Wechsel der Arbeitnehmer von der Gesellschaft A zur Gesellschaft B und der Beginn
und/oder das Ende der Verträge, aufgrund deren die Arbeiten durchgeführt wurden, fielen zeitlich
kaum oder überhaupt nicht zusammen.
e) Die Gesellschaft A und die Gesellschaft B haben die gleiche Leitung und die gleichen Gebäude.
f) Nach ihrer Anstellung bei der Gesellschaft B führen die Arbeitnehmer die Arbeit sowohl für die
Gesellschaft A als auch für die Gesellschaft B je nach Bedarf der örtlichen Leitung aus, die für beide
Gesellschaften verantwortlich ist.
g) Die Arbeiten wurden ständig weitergeführt, es gab zu keinem Zeitpunkt eine Unterbrechung
der Tätigkeiten oder eine Änderung der Art, in der diese durchgeführt wurden?
Zum ersten Teil der ersten Frage
12.
Der erste Teil der ersten Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob die Richtlinie auf einen
Übergang zwischen zwei Gesellschaften desselben Konzerns mit demselben Eigentümer, demselben
Management, denselben Gebäuden und derselben Arbeit anwendbar sein kann.
13.
Die Kläger, die französische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die
Kommission schlagen vor, diese Frage zu bejahen. Sie machen geltend, Artikel 2 der Richtlinie
definiere den „Veräußerer“ und den „Erwerber“ als jede natürliche oder juristische Person, die
aufgrund eines Übergangs als Inhaber aus dem Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil ausscheide
bzw. darin eintrete. Auch wenn die beiden Tochtergesellschaften zu demselben Konzern gehörten,
stellten sie aber dennoch zwei unterschiedliche rechtliche Einheiten dar, die gegenüber ihren
jeweiligen Arbeitnehmern gesonderte Verpflichtungen eingingen.
14.
Die ACC ist dagegen der Auffassung, die Richtlinie könne bei einem Übergang zwischen zwei
Gesellschaften, die denselben Eigentümer, dasselbe Management und dasselbe Leitungspersonal
hätten und die im Verhältnis zueinander über keine wirkliche Selbständigkeit bei der Festlegung ihres
Vorgehens auf dem Markt besäßen, nicht angewendet werden. Derartige Gesellschaften seien
nämlich im Rahmen des Wettbewerbsrechts als ein einheitliches Unternehmen anzusehen (Urteil vom
24. Oktober 1996 in der Rechtssache C-73/95 P, Viho/Kommission, Slg. 1996, I-5457). Die notwendige
Berücksichtigung der wirtschaftlichen Realität gebiete es aber in gleicher Weise, zwei derartige
Tochtergesellschaften als einen einzigen Arbeitgeber im Sinne der Richtlinie anzusehen.
15.
Nach Artikel 1 Absatz 1 ist die Richtlinie auf den Übergang von Unternehmen, Betrieben oder
Betriebsteilen auf einen anderen Inhaber durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung
anwendbar. Nach Artikel 2 Buchstaben a und b der Richtlinie gilt als „Veräußerer“ bzw. „Erwerber“
jede natürliche oderjuristische Person, die aufgrund eines Übergangs im Sinne des Artikels 1 Absatz 1
als Inhaber aus dem Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil ausscheidet bzw. darin eintritt.
16.
Wenn durch vertragliche Übertragung oder durch Verschmelzung des Unternehmens die natürliche
oder juristische Person, die für den Betrieb des Unternehmens verantwortlich ist und insoweit
gegenüber den in dem Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmern die Arbeitgeberverpflichtungen
eingeht, wechselt, ist die Richtlinie daher anwendbar, ohne daß es darauf ankommt, ob das Eigentum
an dem Unternehmen übertragen worden ist (Urteile vom 17. Dezember 1987 in
der Rechtssache 287/86, Ny Mølle Kro, Slg. 1987, 5465, Randnr. 12, und vom 10. Februar 1988 in der
Rechtssache 324/86, Tellerup, genannt „Daddy's Dance Hall“, Slg. 1988, 739, Randnr. 9).
17.
Daraus folgt, daß die Richtlinie eine rechtliche Änderung der Person des Arbeitgebers regeln soll,
wenn die sonstigen in ihr aufgestellten Voraussetzungen im übrigen erfüllt sind, und daß sie daher auf
einen Übergang zwischen zwei Tochtergesellschaften desselben Konzerns, die gesonderte juristische
Personen darstellen und jeweils spezifische Arbeitsverhältnisse mit ihren Arbeitnehmern eingegangen
sind, anwendbar sein kann. Der Umstand, daß die betreffenden Gesellschaften nicht nur denselben
Eigentümer, sondern auch dasselbe Management und dieselben Räumlichkeiten besitzen und daß sie
an demselben Vorhaben arbeiten, ist in diesem Zusammenhang unerheblich.
18.
Diese Schlußfolgerung wird auch durch das bereits genannte Urteil Viho/Kommission nicht in Frage
gestellt, in dem der Gerichtshof in den Randnummern 15 bis 17 entschieden hat, daß Artikel 85
Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 Absatz 1 EG) nicht anwendbar ist auf die Beziehungen zwischen
einer Muttergesellschaft und ihren Tochtergesellschaften, wenn diese Gesellschaften eine
wirtschaftliche Einheit bilden, in deren Rahmen die Tochtergesellschaften ihr Vorgehen auf dem Markt
nicht wirklich autonom bestimmen können, sondern die Anweisungen der sie zu 100 %
kontrollierenden Muttergesellschaft befolgen.
19.
Dieser Unternehmensbegriff ist nämlich dem Wettbewerbsrecht eigen und ergibt sich daraus, daß
die Beziehungen innerhalb einer wirtschaftlichen Einheit mangels wirtschaftlich unabhängiger
Entscheidungsträger keine Vereinbarung und kein abgestimmtes Verhalten zwischen Unternehmen
darstellen können, die den Wettbewerb im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages einschränken.
20.
Nichts rechtfertigt es, daß das einheitliche Verhalten der Muttergesellschaft und ihrer
Tochtergesellschaften auf dem Markt Vorrang erhält vor der förmlichen Trennung dieser
Gesellschaften, die voneinander getrennte Rechtspersönlichkeiten darstellen. Eine solche Lösung, die
dazu führen würde, Übergänge zwischen Gesellschaften desselben Konzerns vom Anwendungsbereich
der Richtlinie auszuschließen, würde deren Ziel nämlich gerade entgegenlaufen; diese soll die
Aufrechterhaltung der Rechte der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Unternehmensinhabers
soweit wie möglich gewährleisten, indem sie den Arbeitnehmern die Möglichkeit einräumt, ihr
Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Inhaber zu denselben Bedingungen fortzusetzen, wie sie mit
dem Veräußerer vereinbart waren (siehe u. a. Urteile Ny Mølle Kro, Randnr. 12, und Daddy's Dance
Hall, Randnr. 9).
21.
Auf den ersten Teil der ersten Frage ist daher zu antworten, daß die Richtlinie auf einen Übergang
zwischen zwei Gesellschaften desselben Konzerns, die denselben
Eigentümer, dasselbe Management, dieselben Räumlichkeiten haben und die am selben Vorhaben
arbeiten, angewendet werden kann.
Zum zweiten Teil der ersten Frage und zur zweiten Frage
22.
Der zweite Teil der ersten Frage und die zweite Frage des vorlegenden Gerichts gehen im
wesentlichen dahin, welche Kriterien entscheidend dafür sind, ob ein Übergang vorliegt, und ob diese
Kriterien im vorliegenden Fall erfüllt sind.
23.
Die Richtlinie soll die Kontinuität der im Rahmen einer wirtschaftlichen Einheit bestehenden
Arbeitsverhältnisse unabhängig von einem Inhaberwechsel gewährleisten. Entscheidend für einen
Übergang im Sinne der Richtlinie ist, ob die fragliche Einheit ihre Identität bewahrt, was namentlich
dann zu bejahen ist, wenn der Betrieb tatsächlich weitergeführt oder wiederaufgenommen wird
(Urteile vom 18. März 1986 in der Rechtssache 24/85, Spijkers, Slg. 1986, 1119, Randnrn. 11 und 12,
und vom 11. März 1997 in der Rechtssache C-13/95, Süzen, Slg. 1997, I-1259, Randnr. 10).
24.
Die Anwendung der Richtlinie setzt erstens voraus, daß es um den Übergang einer auf Dauer
angelegten wirtschaftlichen Einheit geht, deren Tätigkeit nicht auf die Ausführung eines bestimmten
Vorhabens beschränkt ist (Urteil vom 19. September 1995 in der Rechtssache C-48/94, Rygaard, Slg.
1995, I-2745, Randnr. 20). Der Begriff Einheit bezieht sich dabei auf eine organisierte Gesamtheit von
Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mit eigener Zielsetzung (Urteil
Süzen, Randnr. 13).
25.
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, anhand der vorstehenden Auslegungsgesichtspunkte
festzustellen, ob die Vortriebsarbeiten der ACC im Kohlenbergwerk Prince of Wales in Form einer
wirtschaftlichen Einheit organisiert waren, bevor dieses Unternehmen diese Arbeiten an die AMS als
Subunternehmer vergab.
26.
Zweitens müssen bei der Prüfung, ob eine Einheit übergegangen ist, sämtliche den betreffenden
Vorgang kennzeichnenden Tatsachen berücksichtigt werden. Dazu gehören namentlich die Art des
betreffenden Unternehmens oder Betriebes, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie
Gebäude und bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die
etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft durch den neuen Inhaber, der etwaige Übergang der
Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten
Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeiten. Diese Umstände sind
jedoch nur Teilaspekte der vorzunehmenden Gesamtbewertung und dürfen deshalb nicht isoliert
betrachtet werden (siehe u. a. Urteile Spijkers, Randnr. 13, und Süzen, Randnr. 14).
27.
Daher erlaubt im Ausgangsverfahren allein der Umstand, daß die Dienstleistungen, die von dem
Unternehmen, das den Auftrag für die Vortriebsarbeiten erhalten hat,
und dann von dem Unternehmen erbracht worden sind, dem diese Arbeiten anschließend als
Subunternehmer übertragen worden sind, ähnlich sind, nicht den Schluß, daß der Übergang einer
wirtschaftlichen Einheit vorliege. Eine Einheit darf nämlich nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden.
Ihre Identität ergibt sich auch aus anderen Merkmalen wie ihrem Personal, ihren Führungskräften,
ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und gegebenenfalls den ihr zur Verfügung
stehenden Betriebsmitteln (Urteile Süzen, Randnr. 15, und vom 10. Dezember 1998 in den
verbundenen Rechtssachen C-127/96, C-229/96 und C-74/97, Hernández Vidal u. a., Slg. 1998, I-8179,
Randnr. 30, sowie in den verbundenen Rechtssachen C-173/96 und C-247/96, Hidalgo u. a., Slg. 1998,
I-8237, Randnr. 30).
28.
Wie in Randnummer 26 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat das innerstaatliche Gericht bei der
Bewertung der maßgeblichen Tatsachen u. a. die Art des betroffenen Unternehmens oder Betriebes
zu berücksichtigen. Den für das Vorliegen eines Übergangs im Sinne der Richtlinie maßgeblichen
Kriterien kommt notwendigerweise je nach der ausgeübten Tätigkeit und selbst nach den Produktions-
oder Betriebsmethoden, die in dem betreffenden Unternehmen, Betrieb oder Betriebsteil angewendet
werden, unterschiedliches Gewicht zu. Da eine wirtschaftliche Einheit insoweit in bestimmten Branchen
ohne relevante materielle oder immaterielle Betriebsmittel tätig sein kann, kann die Wahrung der
Identität einer solchen Einheit über ihren Übergang hinaus nicht von der Übertragung von
Betriebsmitteln abhängen (Urteile Süzen, Randnr. 18, Hernández Vidal u. a., Randnr. 31 und Hidalgo u.
a., Randnr. 31).
29.
Der Gerichtshof hat daher entschieden, daß — soweit in bestimmten Branchen, in denen es im
wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die
durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden sind, eine wirtschaftliche Einheit darstellt —
eine solche Einheit ihre Identität über ihren Übergang hinaus bewahren kann, wenn der neue
Unternehmensinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl
und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser
Tätigkeit eingesetzt hatte. Denn in diesem Fall erwirbt der neue Unternehmensinhaber eine
organisierte Gesamtheit von Faktoren, die ihm die Fortsetzung der Tätigkeiten oder bestimmter
Tätigkeiten des übertragenden Unternehmens auf Dauer erlaubt (Urteile Süzen, Randnr. 21,
Hernández Vidal u. a., Randnr. 32, und Hidalgo u. a., Randnr. 32).
30.
Zwar kann im Ausgangsverfahren der Vortrieb von Bergwerksstollen nicht als eine Tätigkeit
angesehen werden, bei der es im wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, da er einen
erheblichen Material- und Geräteeinsatz erfordert. Wie aus der Vorlageentscheidung jedoch
hervorgeht, ist es im Bergbausektor üblich, daß der wesentliche Teil der zur Durchführung der
Vortriebsarbeiten erforderlichen Vermögensgegenstände vom Zecheneigentümer selbst zur
Verfügung gestellt wird. Somit konnte die zum Subunternehmer gewordene AMS über die Ausrüstung
verfügen, die die RJB zuvor der ACC zur
Verfügung gestellt hatte. Der Umstand, daß das Eigentum an den für den Betrieb des Unternehmens
erforderlichen Aktiva nicht auf den neuen Betriebsinhaber übertragen worden ist, stellt aber kein
Hindernis für das Vorliegen einer Übertragung dar (siehe Urteile Ny Mølle Kro und Daddy's Dance Hall,
und Urteil vom 12. November 1992 in der Rechtssache C-209/91, Watson Rask und Christensen, Slg.
1992, I-5755). Unter diesen Umständen ist es nicht entscheidungserheblich, daß zwischen der ACC
und der AMS keine Übertragung von Aktiva stattgefunden hat.
31.
Auch der Umstand, daß die ACC immer der einzige Vertragspartner der RJB geblieben ist und daß
sie die Arbeitsaufträge an die AMS als Subunternehmer vergeben hat, kann als solcher nicht
ausschließen, daß ein Übergang im Sinne der Richtlinie vorliegt. Zum einen stellt der Übergang oder
der Nichtübergang der Kundschaft vom Veräußerer auf den Erwerber nämlich nur einen der
Gesichtspunkte dar, die bei der Beurteilung zu berücksichtigen sind, ob ein Übergang vorliegt (Urteil
Spijkers, Randnr. 13). Zum anderen ist die Richtlinie in allen Fällen anwendbar, in denen die für den
Betrieb des Unternehmens verantwortliche natürliche oder juristische Person, die die
Arbeitgeberverpflichtungen gegenüber den Beschäftigten des Unternehmens eingeht, im Rahmen
vertraglicher Beziehungen wechselt (siehe u. a. Urteil vom 7. März 1996 in den verbundenen
Rechtssachen C-171/94 und C-172/94, Merckx und Neuhuys, Slg. 1996, I-1253, Randnr. 28).
32.
Was die fehlende zeitliche Übereinstimmung zwischen der Übernahme der Arbeitnehmer der ACC
durch die AMS und den Beginn oder das Ende der Verträge angeht, ist mit der Kommission
festzustellen, daß ein Unternehmensübergang ein rechtlich und tatsächlich komplexes Vorhaben ist,
dessen Durchführung eine gewisse Zeit in Anspruch nehmen kann. Darüber hinaus geht aus der
Vorlageentscheidung hervor, daß die Entlassung der Arbeitnehmer der ACC und ihre Einstellung durch
die AMS offensichtlich im Zusammenhang mit der Entscheidung der ACC standen, die betreffenden
Arbeiten an die AMS als Subunternehmerin zu vergeben. Im übrigen hat die ACC, als sie die
Vortriebsarbeiten wieder selbst übernahm, die Arbeitnehmer, die von der AMS eingestellt worden
waren, wieder eingestellt. Unter diesen Voraussetzungen kann man dem fehlenden zeitlichen
Zusammentreffen des Beginns der Durchführung der an die AMS als Subunternehmerin vergebenen
Arbeiten und der Übernahme der Arbeitnehmer der ACC durch die AMS keine besondere Bedeutung
beimessen.
33.
Auch wenn eine vorübergehende Unterbrechung der Tätigkeit des Unternehmens für sich allein im
übrigen nicht geeignet ist, das Vorliegen eines Übergangs auszuschließen (siehe Urteil Ny Mølle Kro,
Randnr. 19), stellt der Umstand, daß die Arbeiten ohne Unterbrechung oder Änderung in der Art und
Weise ihrer Durchführung ständig fortgesetzt worden sind, dennoch eine der gängigsten Merkmale
von Unternehmensübergängen dar.
34.
Daß die ACC und die AMS sich dasselbe Management und dieselben Räumlichkeiten teilen und kein
Übergang von Führungspersonal von der einen auf die andere Gesellschaft erfolgt ist, kann insoweit
nicht daran hindern, daß ein Übergang vorliegt, als der Vorgang, der zwischen den beiden
Tochtergesellschaften abgelaufen ist, sich tatsächlich auf eine wirtschaftliche Einheit im Sinne der
Rechtsprechung des Gerichtshofes bezogen hat.
35.
Das vorlegende Gericht hat auch darauf hingewiesen, daß die von der ACC entlassenen und von
der AMS übernommenen Arbeitnehmer in der Folge für die eine oder die andere Gesellschaft je nach
dem Bedarf der örtlichen Leitung, die die beiden Gesellschaften führt, gearbeitet haben. Wie der
Generalanwalt in Nummer 40 seiner Schlußanträge festgestellt hat, verfügt der Gerichtshof jedoch
nicht über genügend Angaben, um sich dazu äußern zu können. Wenn diese Lage— wie es in der
Vorlageentscheidung angedeutet wird und wie die Kläger in der mündlichen Verhandlung behauptet
haben — mit dem Anfangszeitraum zusammenhing, während dessen die Vortriebsarbeiten der ACC
und der AMS sich überschnitten, so kann sie jedenfalls das Vorliegen eines Übergangs aus den in
Randnummer 32 dieses Urteils dargelegten Gründen nicht berühren.
36.
Die ACC macht jedoch geltend, der dem Ausgangsverfahren zugrunde liegende Sachverhalt
entspreche auf jeden Fall dem Sachverhalt, der Anlaß zu dem bereits genannten Urteil Rygaard
gegeben habe, in dem der Gerichtshof entschieden habe, daß kein Unternehmensübergang im Sinne
der Richtlinie vorliege, wenn ein erster Unternehmer einem zweiten Unternehmer Arbeitnehmer und
Material zur Durchführung bestimmter Arbeiten zur Verfügung stelle.
37.
Zwar hat der Gerichtshof im Urteil Rygaard entschieden, daß ein Sachverhalt, in dem ein
Unternehmen eine seiner Baustellen einem anderen Unternehmen zwecks Fertigstellung überträgt
und sich dabei darauf beschränkt, dem letztgenannten Unternehmen Arbeitnehmer und Material zur
Durchführung der laufenden Arbeiten zur Verfügung zu stellen, nicht in den Anwendungsbereich der
Richtlinie fällt. Diese Fallgestaltung unterscheidet sich jedoch insoweit von der vorliegenden
Rechtssache, als der AMS die vollständigen Arbeitsaufträge als Subunternehmerin übertragen worden
sind. Außerdem hat der Gerichtshof im Urteil Rygaard in Randnummer 21 hinzugefügt, daß eine
Übertragung einer Baustelle zwecks Fertigstellung unter die Richtlinie fallen könnte, wenn sie mit der
Übertragung einer organisierten Gesamtheit von Faktoren einherginge, die eine dauerhafte
Fortsetzung der Tätigkeiten oder bestimmter Tätigkeiten des übertragenden Unternehmens erlauben
würde. Der Umstand, daß die ACC nur die Durchführung bestimmter Vortriebsarbeiten der AMS als
Subunternehmerin übertragen hat, würde daher nicht genügen, um die Anwendung der Richtlinie
auszuschließen, wenn nachgewiesen würde, daß die AMS anläßlich dieses Vorgangs von der ACC die
organisierten Mittel erworben hätte, die es ihr ermöglichen, ihre Vortriebsarbeiten im Kohlenbergwerk
Prince of Wales dauerhaft vorzunehmen.
38.
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, anhand aller vorstehenden Auslegungsgesichtspunkte
festzustellen, ob im vorliegenden Fall ein Übergang stattgefunden hat.
39.
Auf den zweiten Teil der ersten Frage und auf die zweite Frage ist daher zu antworten, daß die
Richtlinie auf den Fall anwendbar ist, daß eine zu einem Konzern gehörende Gesellschaft beschließt,
Aufträge über Stollenvortriebsarbeiten an eine andere Gesellschaft desselben Konzerns als
Subunternehmerin zu vergeben, sofern dieser Vorgang mit dem Übergang einer wirtschaftlichen
Einheit zwischen den beiden Gesellschaften einhergeht. Der Begriff wirtschaftliche Einheit bezieht sich
dabei auf eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen
Tätigkeit mit eigener Zielsetzung.
Kosten
40.
Die Auslagen der französischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie
der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig.
Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses
Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Industrial Tribunal Leeds mit Entscheidung vom 5. Mai 1998 vorgelegten Fragen für
Recht erkannt:
1. Die Richtlinie 77/187/EWG des Rates vom 14. Februar 1977 zur Angleichung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der
Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Betriebsteilen kann auf
einen Übergang zwischen zwei Gesellschaften desselben Konzerns angewendet werden.
2. Die Richtlinie 77/187 ist auf den Fall anwendbar, daß eine zu einem Konzern
gehörende Gesellschaft beschließt, Aufträge über Stollenvortriebsarbeiten an eine
andere Gesellschaft desselben Konzerns als Subunternehmerin zu vergeben, sofern
dieser Vorgang mit dem Übergang einer wirtschaftlichen Einheit zwischen den beiden
Gesellschaften einhergeht. Der Begriff wirtschaftliche Einheit bezieht sich dabei auf eine
organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen zur Ausübung einer wirtschaftlichen
Tätigkeit mit eigener Zielsetzung.
Edward
Moitinho de Almeida
Gulmann
Puissochet Jann
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 2. Dezember 1999.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
D. A. O. Edward
Verfahrenssprache: Englisch.