Urteil des EuGH vom 06.11.2003

EuGH: heilbehandlung, anerkennung, begriff, steuerbefreiung, stiftung, ambulanz, vereinigtes königreich, kommission, nummer, grundsatz der gleichbehandlung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
6. November 200
„Mehrwertsteuer - Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG -
Steuerbefreiung - Psychotherapeutische Behandlungen in einer Ambulanz, die durch eine gemeinnützige
Stiftung des privaten Rechts mit nicht als Ärzten zugelassenen Diplompsychologen betrieben wird -
Unmittelbare Wirkung“
In der Rechtssache C-45/01
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Bundesfinanzhof (Deutschland) in dem bei diesem
anhängigen Rechtsstreit
Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie
gegen
Finanzamt Gießen
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben
b und c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem:
einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters D. A. O. Edward in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften
Kammer sowie der Richter P. Jann und A. Rosas (Berichterstatter),
Generalanwältin: C. Stix-Hackl,
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, vertreten durch Rechtsanwalt W. Küntzel,
- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und B. Muttelsee-Schön als Bevollmächtigte,
- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und K. Gross als
Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt A. Böhlke,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische Psychologie, der
deutschen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 18. September 2002,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 10. Dezember 2002
folgendes
Urteil
1.
Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluss vom 14. Dezember 2000, beim Gerichtshof eingegangen am
2. Februar 2001, gemäß Artikel 234 EG vier Fragen nach der Auslegung von Artikel 13 Teil A Absatz 1
Buchstaben b und c der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur
Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames
Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1, im
Folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Christoph-Dornier-Stiftung für Klinische
Psychologie (im Folgenden: Dornier) und dem Finanzamt Gießen (im Folgenden: Finanzamt) über die
Erhebung von Mehrwertsteuer zu einem ermäßigten Satz auf psychotherapeutische Behandlungen,
die Dornier 1990 durchgeführt hat und die nach ihrer Auffassung von der Mehrwertsteuer hätten
befreit sein müssen.
Rechtlicher Rahmen
3.
Nach Artikel 2 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie unterliegen „Lieferungen von Gegenständen und
Dienstleistungen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt“, der
Mehrwertsteuer.
4.
Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Sechsten Richtlinie lautet:
„(1) Als Steuerpflichtiger gilt, wer eine der in Absatz 2 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten
selbständig und unabhängig von ihrem Ort ausübt, gleichgültig zu welchem Zweck und mit welchem
Ergebnis.
(2) Die in Absatz 1 genannten wirtschaftlichen Tätigkeiten sind alle Tätigkeiten eines Erzeugers,
Händlers oder Dienstleistenden einschließlich der Tätigkeiten der Urproduzenten, der Landwirte sowie
der freien Berufe und der diesen gleichgestellten Berufe. Als wirtschaftliche Tätigkeit gilt auch eine
Leistung, die die Nutzung von körperlichen oder nicht körperlichen Gegenständen zur nachhaltigen
Erzielung von Einnahmen umfasst.“
5.
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b, c und g der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„Unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften befreien die Mitgliedstaaten unter den
Bedingungen, die sie zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung der
nachstehenden Befreiungen sowie zur Verhütung von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und
etwaigen Missbräuchen festsetzen, von der Steuer:
...
b) die Krankenhausbehandlung und die ärztliche Heilbehandlung sowie die mit ihnen eng
verbundenen Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen,
welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von
Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß
anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden;
c) die Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem
betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe erbracht werden;
...
g) die eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundenen Dienstleistungen und
Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen der Altenheime, durch Einrichtungen des
öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem
Charakter anerkannte Einrichtungen.“
6.
Artikel 13 Teil A Absatz 2 der Sechsten Richtlinie bestimmt:
„a) Die Mitgliedstaaten können die Gewährung der unter Absatz 1 Buchstaben b), g), h), i), l), m)
und n) vorgesehenen Befreiungen für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts
sind, von Fall zu Fall von der Erfüllung einer oder mehrerer der folgenden Bedingungen abhängig
machen:
- Die betreffenden Einrichtungen dürfen keine systematische Gewinnerzielung anstreben; etwaige
Gewinne, die trotzdem anfallen, dürfen nicht verteilt, sondern müssen zur Erhaltung oder
Verbesserung der erbrachten Leistungen verwendet werden.
- Leitung und Verwaltung müssen im Wesentlichen ehrenamtlich durch Personen erfolgen, die
weder selbst noch über zwischengeschaltete Personen ein unmittelbares oder mittelbares Interesse
an den Ergebnissen der betreffenden Tätigkeiten haben.
- Es müssen Preise angewendet werden, die von den zuständigen Behörden genehmigt sind, oder
solche, die die genehmigten Preise nicht übersteigen; bei Tätigkeiten, für die eine Preisgenehmigung
nicht vorgesehen ist, müssen Preise angewendet werden, die unter den Preisen liegen, die von der
Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen für entsprechende Tätigkeiten gefordert
werden.
- Die Befreiungen dürfen nicht zu Wettbewerbsverzerrungen zu Ungunsten von der
Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen führen.
b) Von der in Absatz 1 Buchstaben b), g), h), i), l), m) und n) vorgesehenen Steuerbefreiung sind
Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen ausgeschlossen, wenn
- sie zur Ausübung der Tätigkeiten, für die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich sind;
- sie im Wesentlichen dazu bestimmt sind, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch
Tätigkeiten zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Tätigkeiten von der Mehrwertsteuer
unterliegenden gewerblichen Unternehmen durchgeführt werden.“
7.
§ 4 Nummern 14 und 16 des Umsatzsteuergesetzes von 1980 (im Folgenden: UStG) in der für den
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens maßgebenden Fassung bestimmt:
„Von den unter § 1 Absatz 1 Nummern 1 bis 3 fallenden Umsätzen sind steuerfrei:
...
14. die Umsätze aus der Tätigkeit als Arzt, Zahnarzt, Heilpraktiker, Krankengymnast, Hebamme oder
aus einer ähnlichen heilberuflichen Tätigkeit im Sinne des § 18 Absatz 1 Nummer 1 des
Einkommensteuergesetzes und aus der Tätigkeit als klinischer Chemiker. Steuerfrei sind auch die
sonstigen Leistungen von Gemeinschaften, deren Mitglieder Angehörige der in Satz 1 bezeichneten
Berufe sind, gegenüber ihren Mitgliedern, soweit diese Leistungen unmittelbar zur Ausführung der
nach Satz 1 steuerfreien Umsätze verwendet werden. ...
...
16. die mit dem Betrieb der Krankenhäuser, Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen ärztlicher
Heilbehandlung, Diagnostik oder Befunderhebung sowie der Altenheime, Altenwohnheime und
Pflegeheime eng verbundenen Umsätze, wenn
a) diese Einrichtungen von juristischen Personen des öffentlichen Rechts betrieben werden oder
...
c) bei Diagnosekliniken und anderen Einrichtungen ärztlicher Heilbehandlung, Diagnostik oder
Befunderhebung die Leistungen unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden und im vorangegangenen
Kalenderjahr mindestens 40 vom Hundert der Leistungen den in Nummer 15 Buchstabe b genannten
Personen zugute gekommen sind ...“
8.
In § 4 Nummer 15 Buchstabe b UStG werden folgende Personen genannt:
„die Versicherten, die Empfänger von Sozialhilfe oder die Versorgungsberechtigten“.
9.
Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1999 verbietet es Artikel 3
Absatz 1 des Grundgesetzes, allein nach der Rechtsform zu entscheiden, ob eine
Umsatzsteuerbefreiung für eine heilberufliche Tätigkeit in Betracht kommt oder nicht.
Dementsprechend ist die Steuerbefreiung der Tätigkeit eines Angehörigen der in § 4 Nummer 14 Satz
1 UStG bezeichneten Berufe nicht auf die Person des jeweiligen Berufsangehörigen beschränkt,
sondern kann auch von einer Personen- oder Kapitalgesellschaft beansprucht werden.
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
10.
Dornier ist eine gemeinnützige Stiftung des privaten Rechts mit Sitz in Marburg (Deutschland). Nach
dem Vorlagebeschluss bezweckt sie die Förderung der klinischen Psychologie. Sie will dazu beitragen,
die Behandlungsmethoden durch Grundlagen- und Anwendungsforschung im Bereich der klinischen
Psychologie zu verbessern. Zu diesem Zweck unterhält sie eine Ambulanz, in der bei ihr angestellte
Diplompsychologen Patienten psychotherapeutisch behandeln.
11.
Die 1990 bei Dornier angestellten Diplompsychologen waren keine Ärzte. Sie besaßen jedoch eine
Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz und hatten sich zum Psychotherapeuten fortgebildet.
12.
Im Jahr 1990 erbrachte Dornier mehr als 40 % ihrer Leistungen an Versicherte in der gesetzlichen
Sozialversicherung, an Empfänger von Sozialhilfe oder an Versorgungsberechtigte. Ihre
Vorstandsmitglieder und leitenden Mitarbeiter waren als Heilpraktiker zugelassene
Psychotherapeuten.
13.
Das Finanzamt besteuerte die 1990 von Dornier erbrachten Leistungen mit dem ermäßigten
Steuersatz nach § 12 Absatz 2 Nummer 8 UStG. Im Gegensatz zu Dornier vertrat es die Auffassung,
dass die Umsätze nicht nach § 4 Nummer 16 Buchstabe c UStG von der Steuer befreit seien.
14.
Dornier erhob beim Hessischen Finanzgericht Kassel (Deutschland) Klage gegen den
Steuerbescheid für 1990; dabei machte sie geltend, der fragliche Befreiungstatbestand sei bei
verfassungs- und richtlinienkonformer Auslegung nicht nur auf „Leistungen unter ärztlicher Aufsicht“,
sondern auch auf Leistungen von Einrichtungen psychotherapeutischer Heilbehandlung anwendbar,
die nicht von Ärzten, sondern von Diplompsychologen mit facharztähnlicher Zusatzausbildung in
Psychotherapie und der Zulassung zum Heilpraktiker geleitet würden. Durch die Ablehnung der
Steuerbefreiung werde ohne sachlichen Grund eine Ungleichbehandlung gegenüber der Besteuerung
vergleichbarer, unter ärztlicher Aufsicht erbrachter Leistungen herbeigeführt.
15.
Das Hessische Finanzgericht war der Auffassung, dass eine über den Wortlaut der Vorschrift
hinausgehende Anwendung des § 4 Nummer 16 Buchstabe c UStG weder durch Artikel 13 Teil A Absatz
1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie noch unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geboten
sei. Es wies daher die Klage mit der Begründung ab, dass Dornier die Leistungen im Sinne von § 4
Nummer 16 Buchstabe c UStG nicht unter ärztlicher Aufsicht erbracht habe.
16.
Dornier legte dagegen Revision an den Bundesfinanzhof ein; dieser hat das Verfahren ausgesetzt
und dem Gerichtshof die folgenden vier Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Fallen unter die mit Krankenhausbehandlung und ärztlicher Heilbehandlung „eng verbundenen
Umsätze“ im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 77/388/EWG auch
psychotherapeutische Behandlungen in einer Ambulanz, die eine Stiftung (gemeinnützige Einrichtung)
mit angestellten Diplompsychologen ausführt, die die Erlaubnis nach dem Heilpraktikergesetz
besitzen, aber nicht als Ärzte zugelassen sind?
2. Setzt eine „andere ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung gleicher Art“ im Sinne des Artikels 13
Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Richtlinie 77/388/EWG ein förmliches Anerkennungsverfahren voraus,
oder kann die Anerkennung auch in anderen Regelungen (z. B. in Regelungen über eine
Kostenübernahme durch die Träger der Sozialversicherung) bestehen, die für Krankenanstalten,
Zentren für ärztliche Heilbehandlungen und andere Einrichtungen gemeinsam gelten?
Entfällt eine Steuerbefreiung, soweit die Träger der Sozialversicherung den Patienten die Kosten für
psychotherapeutische Behandlungen durch die erwähnten Mitarbeiter der Klägerin nicht oder nur
teilweise erstatten?
3. Sind die psychotherapeutischen Behandlungen der Klägerin aufgrund der Neutralität der
Mehrwertsteuer deshalb steuerfrei, weil die bei ihr beschäftigten Psychotherapeuten die gleichen
Behandlungen nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 77/388/EWG steuerfrei hätten
erbringen können, wenn sie sie selbständig als Steuerpflichtige ausgeführt hätten?
4. Kann sich die Klägerin auf die Steuerbefreiung ihrer Umsätze durch psychotherapeutische
Behandlung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und c der Richtlinie 77/388/EWG berufen?
Zu den Vorlagefragen
17.
Vorab ist festzustellen, dass die dritte Vorlagefrage, die die Auslegung von Artikel 13 Teil A Absatz 1
Buchstabe c der Sechsten Richtlinie betrifft, im Wesentlichen mit einer Frage identisch ist, über die
der Gerichtshof bereits entschieden hat. Die Antwort auf diese Frage ist von Bedeutung für die
Prüfung der ersten Frage, bei der es um die Auslegung von Buchstabe b desselben Absatzes geht.
Unter diesen Umständen ist zunächst die dritte Frage zu beantworten.
18.
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob die
psychotherapeutischen Behandlungen von Dornier im Hinblick auf den Grundsatz der Neutralität des
gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und darauf, dass die fraglichen Behandlungen nach Artikel 13
Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit gewesen wären, wenn die
bei Dornier tätigen Psychotherapeuten die Behandlungen nicht als ihre Beschäftigten, sondern
selbständig als Steuerpflichtige ausgeführt hätten, unter die genannte Steuerbefreiung fallen
können.
19.
Wie sich sowohl aus dem Wortlaut dieser Frage als auch aus den hierzu eingereichten Erklärungen
ergibt, ist unstreitig, dass die psychotherapeutischen Behandlungen, wenn sie von selbständigen
Psychotherapeuten ausgeführt worden wären, nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der
Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit gewesen wären. Die dritte Frage geht also im Wesentlichen
dahin, ob die Rechtsform des Steuerpflichtigen, der die fraglichen Leistungen erbracht hat - im
vorliegenden Fall eine Stiftung des privaten Rechts -, der Anwendung dieser Befreiung entgegensteht.
20.
Insoweit hat der Gerichtshof bereits für Recht erkannt, dass die Steuerbefreiung in Artikel 13 Teil A
Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie von der Rechtsform des Steuerpflichtigen, der die dort
genannten ärztlichen oder arztähnlichen Leistungen erbringt, unabhängig ist (Urteil vom 10.
September 2002 in der Rechtssache C-141/00, Kügler, Slg. 2002, I-6833).
21.
Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass die Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1
Buchstabe c der Sechsten Richtlinie von der Rechtsform des Steuerpflichtigen, der die dort
genannten ärztlichen oder arztähnlichen Leistungen erbringt, unabhängig ist, so dass
psychotherapeutische Behandlungen, die eine Stiftung des privaten Rechts mit bei ihr beschäftigten
Psychotherapeuten ausführt, unter diese Befreiung fallen können.
22.
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die
Mehrwertsteuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie für
psychotherapeutische Behandlungen gilt, wenn sie in der Ambulanz einer Stiftung des privaten Rechts
von dort beschäftigten Diplompsychologen ausgeführt werden, die eine Erlaubnis zur Vornahme dieser
Behandlungen besitzen, aber nicht als Ärzte zugelassen sind.
23.
Aus der Antwort auf die dritte Frage folgt, dass psychotherapeutische Behandlungen, die unter
Bedingungen wie denen des Ausgangsverfahrens ausgeführt werden, unter die in Artikel 13 Teil A
Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie vorgesehene Steuerbefreiung fallen können. Da nach
den Angaben im Vorlagebeschluss die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Behandlungen
offenbar in der Ambulanz einer Stiftung des privaten Rechts ausgeführt wurden, wäre es nicht
erforderlich, zu prüfen, ob diese Behandlungen auch die Voraussetzungen für eine
Mehrwertsteuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b erfüllen.
24.
Es ist jedoch nicht völlig auszuschließen, dass eine Auslegung des Wortlauts der letztgenannten
Bestimmung für die Entscheidung des beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreits von
Bedeutung sein kann. Daher ist zur Auslegung von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der
Sechsten Richtlinie Stellung zu nehmen.
25.
Nach dem Wortlaut der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob solche
Behandlungen unter die mit Krankenhausbehandlung und ärztlicher Heilbehandlung „eng
verbundenen Umsätze“ fallen.
26.
Da das vorlegende Gericht den Gerichtshof fragt, ob psychotherapeutische Behandlungen, die
unter den in vorstehender Randnummer genannten Bedingungen ausgeführt werden, mit
Krankenhausbehandlung und ärztlicher Heilbehandlung eng verbundene Umsätze im Sinne von Artikel
13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie darstellen, scheint es nicht die Möglichkeit in
Betracht zu ziehen, dass diese Behandlungen eine „ärztliche Heilbehandlung“ im Sinne der genannten
Bestimmung darstellen. Nach Ansicht von Dornier und der Kommission ist der Begriff „ärztliche
Heilbehandlung“ jedoch weit auszulegen und kann daher auch auf psychotherapeutische
Behandlungen durch Personen angewandt werden, die keine Ärzte sind. Um die erste Frage
sachgerecht zu beantworten, ist unter diesen Umständen, wie in den Schlussanträgen der
Generalanwältin geschehen, nicht nur der Begriff der mit Krankenhausbehandlung oder ärztlicher
Heilbehandlung „eng verbundenen Umsätze“ zu prüfen, sondern auch der Begriff „ärztliche
Heilbehandlung“, die beide in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie zu finden
sind.
27.
Psychotherapeutische Behandlungen könnten nämlich, auch wenn sie keine mit
Krankenhausbehandlung oder ärztlicher Heilbehandlung eng verbundenen Umsätze darstellen sollten,
gleichwohl, wie Dornier und die Kommission geltend machen, unter den Begriff „ärztliche
Heilbehandlung“ im Sinne der oben genanten Bestimmung fallen.
Zum Begriff der mit Krankenhausbehandlung oder ärztlicher Heilbehandlung „eng verbundenen
Umsätze“
- Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
28.
Die deutsche Regierung ist der Ansicht, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden
psychotherapeutischen Behandlungen keine mit Krankenhausbehandlung oder ärztlicher
Heilbehandlung „eng verbundenen Umsätze“ im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der
Sechsten Richtlinie darstellten. Derartige Umsätze müssten mit einer Krankenhausbehandlung oder
einer ärztlichen Heilbehandlung in Verbindung stehen und eine solche Behandlung entweder
ergänzen oder eine notwendige Voraussetzung für sie darstellen. Die Tätigkeit von Dornier sei in sich
abgeschlossen, und die genannten Behandlungen stünden nicht in Zusammenhang mit einer
anderweitigen Heilbehandlung.
29.
Die dänische Regierung ist der Auffassung, dass eine Behandlung nur dann nach Artikel 13 Teil A
Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie von der Steuer befreit werden könne, wenn sie für sich
betrachtet als Krankenhausbehandlung oder ärztliche Heilbehandlung im engeren Sinne anzusehen
sei oder wenn ein hinreichend direkter Zusammenhang zwischen der Behandlung und der
Krankenhaus- oder ärztlichen Heilbehandlung bestehe.
30.
Ohne das Erfordernis eines hinreichend engen Zusammenhangs zwischen den Behandlungen durch
Angehörige arztähnlicher Berufe und der ärztlichen Heilbehandlung im eigentlichen Sinne bestünde
die Gefahr, dass sich die Befreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie
auf Behandlungen erstrecke, die unter Buchstabe c dieses Absatzes fielen. Die Entscheidung
darüber, welche arztähnlichen Behandlungen steuerfrei seien, hätten aber die Mitgliedstaaten in
Anwendung der Ermächtigung in Buchstabe c der genannten Bestimmung zu treffen, und könne nicht
durch die Auslegung von Buchstabe b der Bestimmung in Frage gestellt werden.
31.
Sollte der Gerichtshof der Ansicht sein, dass Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten
Richtlinie dahin auszulegen sei, dass die dort vorgesehene Befreiung auch Behandlungen umfassen
könne, die die Mitgliedstaaten nach Buchstabe c dieses Absatzes von der Steuer befreien könnten, so
müsse der Umfang dieser Überschneidung genau festgelegt werden.
32.
Nach Auffassung der Kommission stellen psychotherapeutische Behandlungen keine mit ärztlichen
Heilbehandlungen „eng verbundenen Umsätze“ im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b
der Sechsten Richtlinie dar. In Randnummer 27 seines Urteils vom 11. Januar 2001 in der Rechtssache
C-76/99 (Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I-249) habe der Gerichtshof hervorgehoben, dass dieser
Begriff dem Verhältnis zwischen einer Nebenleistung und der Hauptleistung entspreche. Die von den
Psychotherapeuten erbrachten Leistungen seien unabhängige Leistungen, die kein Mittel darstellten,
um eine Hauptleistung unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen (Urteil vom 25. Februar
1999 in der Rechtssache C-349/96, CPP, Slg. 1999, I-973, Randnr. 30). Sie stünden nur insoweit mit
ärztlichen Leistungen in Zusammenhang, als die Erstattung ihrer Kosten durch die Krankenkassen
oder Sozialhilfeträger von der vorherigen ärztlichen Bestätigung der Notwendigkeit einer Behandlung
abhänge. Der Bundesfinanzhof habe jedoch festgestellt, dass es nicht zu einer ärztlichen Tätigkeit im
Rahmen der eigentlichen Behandlung komme.
- Antwort des Gerichtshofes
33.
Wie der Gerichtshof in Randnummer 22 des Urteils Kommission/Frankreich festgestellt hat, enthält
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie keine Definition des Begriffes der mit
Krankenhausbehandlung oder ärztlicher Heilbehandlung „eng verbundenen“ Umsätze. Gleichwohl
ergibt sich schon aus dem Wortlaut dieser Bestimmung, dass sie sich nicht auf Leistungen bezieht, die
in keinem Zusammenhang mit einer etwaigen Krankenhausbehandlung oder ärztlichen
Heilbehandlung der Leistungsempfänger stehen.
34.
Im vorliegenden Fall steht fest, dass die in der Ambulanz von Dornier von Diplompsychologen
ausgeführten psychotherapeutischen Behandlungen im Allgemeinen Leistungen darstellen, die ihren
Zweck in sich tragen und nicht als Mittel dienen, um andere Leistungen unter optimalen Bedingungen
in Anspruch zu nehmen. Da diese Behandlungen keine Nebenleistung zu einer
Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung sind, stellen sie keine mit befreiten
Leistungen „eng verbundenen Umsätze“ im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der
Sechsten Richtlinie dar.
35.
Folglich ist davon auszugehen, dass die in der Ambulanz einer Stiftung des privaten Rechts von
Diplompsychologen, die keine Ärzte sind, ausgeführten psychotherapeutischen Behandlungen nur
dann unter den Begriff der mit Krankenhausbehandlung oder ärztlicher Heilbehandlung „eng
verbundenen Umsätze“ im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie
fallen, wenn diese Behandlungen tatsächlich als Nebenleistungen zu einer Krankenhausbehandlung
oder ärztlichen Heilbehandlung ihrer Empfänger, die die Hauptleistung darstellt, erbracht werden.
Zum Begriff „ärztliche Heilbehandlung“
- Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
36.
Dornier trägt vor, die psychotherapeutischen Behandlungen, die sie in ihrer Ambulanz mit
Diplompsychologen durchführe, stellten „ärztliche Heilbehandlungen“ im Sinne von Artikel 13 Teil A
Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie dar. Die von den Psychotherapeuten erbrachten
Behandlungsleistungen umfassten die Diagnose, die Behandlung und die Heilung psychischer
Krankheiten oder Störungen. Somit handele es sich um medizinische Leistungen im Sinne des Urteils
vom 14. September 2000 in der Rechtssache C-384/98 (D., Slg. 2000, I-6795, Randnrn. 17 und 18), die
die menschliche Gesundheit beträfen.
37.
Nach der Definition der „ärztlichen Heilbehandlung“ durch den Gerichtshof sei der materielle Inhalt
der Leistung festzustellen und zu qualifizieren, d. h. die dauerhafte Fähigkeit zur Erbringung einer
medizinischen Leistung, und nicht die formale Zulassung des Leistungserbringers als Arzt oder als
eine den Ärzten berufsrechtlich gleichgestellte Person. Diese Gleichstellung sei aufgrund der im Jahr
1990 noch unzulänglichen berufsrechtlichen Lage der Psychotherapeuten nicht gegeben gewesen.
38.
Es sei nicht Voraussetzung für die Befreiung von der Mehrwertsteuer gemäß Artikel 13 Teil A Absatz
1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie, dass die Heilbehandlung durch eine bestimmte
Personengruppe, nämlich die approbierten Ärzte im Sinne der Bundesärzteordnung, ausgeführt
werde. In diesem Fall hätte eine Formulierung wie „Heilbehandlung durch Ärzte“ gewählt werden
müssen. Die Prüfung verschiedener Sprachfassungen der Sechsten Richtlinie bestätige, dass es sich
bei dem Begriff „ärztliche Heilbehandlung“ um einen tätigkeitsbezogenen materiellen Begriff handele.
Für die Steuerbefreiung könne es deshalb nicht darauf ankommen, dass die Tätigkeit durch einen Arzt
oder auch nur unter Aufsicht eines Arztes durchgeführt werde. Vielmehr reiche die Heilbehandlung
durch einen zugelassenen Angehörigen eines Heilberufs aus, dessen Qualifikation - wie bei den im
Ausgangsverfahren in Rede stehenden Diplompsychologen - mit der eines Arztes vergleichbar sei.
39.
Auch die Kommission ist der Ansicht, dass der Begriff „ärztliche Heilbehandlung“ weit zu verstehen
sei und sich nicht auf ärztliche Tätigkeiten im eigentlichen Sinne beschränke. Die Bestimmungen des
Artikels 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und c der Sechsten Richtlinie zielten einheitlich entsprechend
der Definition des Gerichtshofes in den Randnummern 17 und 18 seines Urteils D. auf
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin im Sinne medizinischer Leistungen ab, die die
Gesundheit von Menschen beträfen. Die Leistungen nach den Buchstaben b und c unterschieden sich
weniger in ihrer Art als in der Form ihrer Erbringung. So bestünden die Leistungen nach Absatz 1
Buchstabe b aus einer Gesamtheit von ärztlichen Heilbehandlungen, die üblicherweise ohne
Gewinnerzielungsabsicht in Einrichtungen mit sozialer Zweckbestimmung wie der des Schutzes der
menschlichen Gesundheit erbracht würden, während die Leistungen nach Absatz 1 Buchstabe c
außerhalb von Krankenanstalten im Rahmen einer auf Vertrauen gegründeten Beziehung zwischen
Patient und Behandelndem, und zwar normalerweise in dessen Praxisräumen, erbracht würden.
Insoweit sei auf das Urteil vom 23. Februar 1988 in der Rechtssache 353/85 (Kommission/Vereinigtes
Königreich, Slg. 1988, 817, Randnrn. 32 und 33) zu verweisen.
40.
Die Anwendbarkeit des Begriffes „ärztliche Heilbehandlung“ auf die im Ausgangsverfahren streitigen
psychotherapeutischen Behandlungen stehe auch in Einklang mit Sinn und Zweck der
Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie, durch die
„gewährleistet werden soll, dass der Zugang zu [ärztlicher Heilbehandlung und
Krankenhausbehandlung] nicht durch die höheren Kosten versperrt wird, die entstünden, wenn die
Behandlungen selbst oder die eng mit ihnen verbundenen Umsätze der Mehrwertsteuer unterworfen
wären“ (Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 23). Psychotherapeutische Behandlungen dienten
regelmäßig zur Behandlung einer Krankheit oder einer anderen Gesundheitsstörung und seien damit
als Heilbehandlungen anzusehen.
41.
Die deutsche Regierung führt aus, Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie
gelte nur für „ärztliche Heilbehandlungen“ im eigentlichen Wortsinne. In dieser Bestimmung werde im
Gegensatz zu Absatz 1 Buchstabe c nicht der Oberbegriff „Heilbehandlung“ verwendet und keine
Differenzierung zwischen „ärztlich“ und „arztähnlich“ vorgenommen.
- Antwort des Gerichtshofes
42.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sind die Steuerbefreiungen des Artikels 13 der
Sechsten Richtlinie eng auszulegen, da sie Ausnahmen von dem allgemeinen Grundsatz darstellen,
dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer
unterliegt (vgl. u. a. Urteil vom 5. Juni 1997 in der Rechtssache C-2/95, SDC, Slg. 1997, I-3017, Randnr.
20, und Urteil Kügler, Randnr. 28). Die Auslegung des Wortlauts dieser Bestimmung muss jedoch mit
den Zielen in Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden, und den Erfordernissen des
Grundsatzes der steuerlichen Neutralität entsprechen, auf dem das gemeinsame
Mehrwertsteuersystem beruht.
43.
Insoweit geht aus der Rechtsprechung hervor, dass das Ziel, die Kosten der Heilbehandlungen zu
senken und diese Behandlungen dem Einzelnen zugänglicher zu machen, ein gemeinsames Ziel der
Steuerbefreiungen sowohl nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie als
auch nach Buchstabe c dieses Absatzes ist (vgl. Urteile Kommission/Frankreich, Randnr. 23, und
Kügler, Randnr. 29).
44.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz der steuerlichen Neutralität es insbesondere
verbietet, dass Wirtschaftsteilnehmer, die gleichartige Umsätze bewirken, bei der
Mehrwertsteuererhebung unterschiedlich behandelt werden (Urteil Kügler, Randnr. 30).
45.
Wie sich aus der Antwort des Gerichtshofes auf die dritte Frage ergibt, findet die Steuerbefreiung
nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie Anwendung auf
psychotherapeutische Behandlungen durch Diplompsychologen, wenn diese Leistungen außerhalb
von Einrichtungen des öffentlichen Rechts und anderen von Absatz 1 Buchstabe b erfassten
Einrichtungen erbracht werden.
46.
Zur Frage, ob von Diplompsychologen in Krankenhäusern erbrachte psychotherapeutische
Behandlungen unter den Begriff „ärztliche Heilbehandlung“ in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b
der Sechsten Richtlinie fallen, ist zunächst festzustellen, dass nur einige Sprachfassungen der
Richtlinie, darunter die deutsche und die französische, eine Unterscheidung zwischen der Art der
gemäß dieser Bestimmung und der gemäß Absatz 1 Buchstabe c befreiten Leistungen zu treffen
scheinen.
47.
Zudem ist, wie die Generalanwältin in den Nummern 44 bis 46 ihrer Schlussanträge zutreffend
ausgeführt hat, das Kriterium für die Abgrenzung des Anwendungsbereichs der beiden
Befreiungstatbestände in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und c weniger die Art der Leistung
als vielmehr der Ort ihrer Erbringung. Der Gerichtshof hat nämlich festgestellt, dass solche Leistungen
nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b zu befreien sind, die aus einer Gesamtheit von ärztlichen
Heilbehandlungen in Einrichtungen mit sozialer Zweckbestimmung wie der des Schutzes der
menschlichen Gesundheit bestehen, während Buchstabe c dieses Absatzes auf Leistungen
anwendbar ist, die außerhalb von Krankenhäusern im Rahmen eines Vertrauensverhältnisses zwischen
Patient und Behandelndem erbracht werden (Urteil Kommission/Vereinigtes Königreich, Randnr. 33). In
diesem Urteil ist der Gerichtshof zwar zu dem Ergebnis gelangt, dass sich die Steuerbefreiung für
Gegenstände, die im Zusammenhang mit den in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c genannten
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin geliefert werden, nicht durch Absatz 1 Buchstabe b
rechtfertigen lässt, doch beruht diese Auslegung insbesondere darauf, dass sich die letztgenannte
Vorschrift auf ordnungsgemäß anerkannte Einrichtungen mit sozialer Zweckbestimmung bezieht und
ausdrücklich die Befreiung der eng mit ärztlichen Heilbehandlungen verbundenen Umsätze vorsieht,
was bei Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c nicht der Fall ist.
48.
Überdies ist davon auszugehen, dass der Begriff „ärztliche Heilbehandlung“ in Artikel 13 Teil A
Absatz 1 Buchstabe b angesichts des Zieles, die Heilbehandlungskosten zu senken, nicht besonders
eng auszulegen ist (in diesem Sinne auch Urteil Kommission/Frankreich, Randnr. 23). Unter diesen
Begriff fallende Leistungen müssen jedoch ebenso wie Leistungen, die unter den Begriff
„Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin“ in Absatz 1 Buchstabe c fallen, zur Diagnose,
Behandlung und, soweit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen
(Urteile D., Randnr. 18, und Kügler, Randnr. 38). Es ist aber unstreitig, dass die von
Diplompsychologen in Krankenhäusern durchgeführten Behandlungen die Bedingung einer
therapeutischen Zielsetzung erfüllen.
49.
Schließlich ist festzustellen, dass diese Auslegung des in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b
enthaltenen Begriffes „ärztliche Heilbehandlung“ mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität in
Einklang steht, da arztähnliche Leistungen wie die Behandlungen durch Diplompsychologen
unabhängig vom Ort der Leistung von der Mehrwertsteuer befreit sind.
50.
Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, dass der Begriff „ärztliche Heilbehandlung“ in Artikel 13
Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie dahin auszulegen ist, dass er sämtliche
Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin im Sinne von Absatz 1 Buchstabe c und insbesondere
Leistungen von Personen umfasst, die keine Ärzte sind, aber arztähnliche Leistungen erbringen, wie
es bei psychotherapeutischen Behandlungen durch Diplompsychologen der Fall ist.
51.
Folglich ist auf die erste Frage zu antworten, dass die in der Ambulanz einer Stiftung des privaten
Rechts von Diplompsychologen, die keine Ärzte sind, ausgeführten psychotherapeutischen
Behandlungen keine mit Krankenhausbehandlung oder ärztlicher Heilbehandlung „eng verbundenen
Umsätze“ im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie darstellen, es sei
denn, dass diese Behandlungen tatsächlich als Nebenleistungen zu einer die Hauptleistung
darstellenden Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung ihrer Empfänger erbracht
werden. Dagegen ist der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „ärztliche Heilbehandlung“ dahin
auszulegen, dass er sämtliche Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin im Sinne von Absatz 1
Buchstabe c und insbesondere Leistungen von Personen umfasst, die keine Ärzte sind, aber
arztähnliche Leistungen erbringen, wie es bei psychotherapeutischen Behandlungen durch
Diplompsychologen der Fall ist.
52.
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob der Begriff „andere
ordnungsgemäß anerkannte Einrichtungen gleicher Art“ in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der
Sechsten Richtlinie ein förmliches Anerkennungsverfahren der Ambulanz einer Stiftung des privaten
Rechts voraussetzt oder ob die Anerkennung einer solchen Einrichtung z. B. auch darin bestehen
kann, dass die Behandlungskosten durch die Träger der Sozialversicherung aufgrund von Regelungen
übernommen werden, die für Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlungen und andere
Einrichtungen gemeinsam gelten; zum anderen möchte es wissen, ob die Tatsache, dass die Träger
der Sozialversicherung den Patienten die Kosten solcher Behandlungen nicht oder nur teilweise
erstatten, einen Wegfall der Steuerbefreiung rechtfertigt.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
53.
Dornier trägt vor, die von ihr betriebene Ambulanz sei als Zentrum für psychotherapeutische
Heilbehandlung und Diagnostik eine Einrichtung gleicher Art wie Einrichtungen des öffentlichen
Rechts, Krankenanstalten oder Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik im Sinne von
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie. Ob die Ambulanz im Sinne dieser
Bestimmung „ordnungsgemäß anerkannt“ sei, richte sich nach nationalem Recht. Für den Betrieb
einer solchen Ambulanz sei in Deutschland weder eine Erlaubnis erforderlich, noch sei eine besondere
Aufsicht über die Einrichtung vorgesehen. Lediglich die dort tätigen Psychologen stünden gemäß dem
Heilpraktikergesetz unter der Aufsicht des Gesundheitsamts der Stadt Marburg.
54.
Außerdem seien den Patienten die Kosten für die Leistungen der Ambulanz durch die gesetzlichen
Krankenkassen und Ersatzkassen in gleicher Weise erstattet worden wie die Kosten für
entsprechende Leistungen von Ärzten auf dem Gebiet der Psychotherapie. Die dabei vorgenommenen
Abschläge auf die Rechnungen der Stiftung seien auf den „niedrigen Punktewert“
psychotherapeutischer Behandlungen zurückzuführen, der auch für Leistungen von Kassenärzten
gelte. Insgesamt habe daher eine Anerkennung ihrer Ambulanz als Leistungserbringer im Rahmen der
gesetzlichen Krankenversicherung vorgelegen.
55.
Im Ergebnis sei die Ambulanz, die erlaubnisfrei betrieben werden könne und psychotherapeutische
Leistungen erbringe, wie sie auch von Ärzten zu denselben Erstattungsbedingungen erbracht würden,
eine „andere ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung gleicher Art“ im Sinne von Artikel 13 Teil A
Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie.
56.
Die deutsche Regierung hält die Beantwortung der zweiten Frage nicht für erforderlich, da die im
Ausgangsverfahren in Rede stehenden psychotherapeutischen Behandlungen weder eine
„Krankenhausbehandlung“ noch eine „ärztliche Heilbehandlung“ im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz
1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie darstellten. Hilfsweise stellt sie jedoch fest, dass das
Gemeinschaftsrecht keine Aussage zum Verfahren der Anerkennung treffe, sondern den
Mitgliedstaaten bei der Anerkennung der entsprechenden Einrichtungen des Gesundheitswesens
einen großen Spielraum einräume. Diese Absicht des Gemeinschaftsgesetzgebers ergebe sich sehr
deutlich aus den Vorarbeiten des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Sechsten Richtlinie in
den Jahren 1974 und 1975. Sie komme auch an mehreren Stellen im Wortlaut des Artikels 13 Teil A
Absatz 1 der Richtlinie zum Ausdruck.
57.
Dem Wortsinn nach setze eine solche Anerkennung zwar einen Rechtsakt voraus; dieser sei jedoch
nicht näher bestimmt. Die Anerkennung müsse daher nicht zwingend auf legislativem Wege durch ein
nationales Gesetz zur Umsetzung der Sechsten Richtlinie erfolgen. Sie könne sich auch aus anderen,
außersteuerlichen Bedingungen ergeben, wie etwa der im Vorlagebeschluss erwähnten Erstattung
der Kosten für die Behandlung durch die Einrichtung. Auf ein außersteuerliches Kriterium müsse
jedoch in der nationalen Mehrwertsteuerregelung Bezug genommen werden. Andernfalls wäre nämlich
eine solche Regelung als Umsetzungsakt nicht hinreichend bestimmt.
58.
In Deutschland regele § 4 Nummer 16 Buchstabe c UStG die Voraussetzungen der Anerkennung für
die Zwecke der Mehrwertsteuer. Danach könnten nur Einrichtungen, die Leistungen unter ärztlicher
Aufsicht erbrächten und im vorangegangenen Kalenderjahr mindestens 40 % ihrer Leistungen
zugunsten von Versicherten, Sozialhilfeempfängern oder Versorgungsberechtigten erbracht hätten,
als „andere ordnungsgemäß anerkannte Einrichtungen gleicher Art“ im Sinne von Artikel 13 Teil A
Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie in Betracht kommen. Somit sei klar, dass in diesem
Mitgliedstaat die Anerkennung einer Einrichtung aus Gründen der Kostenübernahme durch die
Sozialversicherungsträger nicht zu einer Anerkennung für mehrwertsteuerliche Zwecke führe.
59.
Im Übrigen richte es sich nach dem nationalen Recht, ob eine Steuerbefreiung entfalle, soweit die
Träger der Sozialversicherung den Patienten die Kosten für psychotherapeutische Behandlungen
durch Diplompsychologen, die keine Ärzte seien, nicht oder nur teilweise erstatteten.
60.
Die dänische Regierung ist der Ansicht, die Qualifizierung als „andere ordnungsgemäß anerkannte
Einrichtung gleicher Art“ nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie setze kein
förmliches Anerkennungsverfahren voraus. Sie könne auch aus anderen Umständen abgeleitet
werden, wie z. B. daraus, dass die fraglichen Behandlungen einen Erstattungsanspruch nach dem
öffentlichen Krankenversicherungssystem begründeten.
61.
Die Kommission weist darauf hin, dass die Sechste Richtlinie kein förmliches
Anerkennungsverfahren vorsehe. Die Form der Anerkennung sei daher Sache des mitgliedstaatlichen
Rechts, wobei sich die Anerkennung auch aus Bedingungen außerhalb des Steuerrechts ergeben
könne, sofern diese sich auf die Umsatztätigkeit bezögen. Das komme etwa für Bedingungen in
Betracht, nach denen Krankenkassen und andere Sozialversicherungsträger die Kosten von
Heilbehandlungen erstatteten. Es sei Sache des nationalen Gerichts, festzustellen, ob dies vorliegend
der Fall sei.
62.
Eine teilweise Erstattung der Kosten für die betreffende Heilbehandlung könne allerdings nicht zu
einer teilweisen Anerkennung der Einrichtungen führen. Eine einheitliche Leistung sei entweder
insgesamt steuerbar oder insgesamt von der Steuer befreit. Eine Regelung, die eine teilweise
Anerkennung der Einrichtungen nach Maßgabe des Grades der Kostenerstattung für die erbrachten
Leistungen vorsähe, wäre weder eindeutig noch berechenbar. Sie wäre daher für die Gewährleistung
einer korrekten und einfachen Anwendung der Steuerbefreiung wenig förderlich.
63.
Die Preise und damit die Kosten der Heilbehandlungen durch die betreffenden Einrichtungen seien
weitere Faktoren, denen bei der Anerkennung Rechnung zu tragen sei. Die Mitgliedstaaten könnten
gemäß Artikel 13 Teil A Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie die Gewährung der in Artikel 13
Teil A Absatz 1 Buchstabe b vorgesehenen Befreiung für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des
öffentlichen Rechts seien, von der Erfüllung bestimmter Bedingungen abhängig machen, zu denen ein
relativ niedriges Preisniveau und das Fehlen einer systematischen Gewinnerzielungsabsicht gehörten.
Sämtliche Befreiungen nach Artikel 13 Teil A sollten bestimmte dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten
weniger kostspielig gestalten.
Antwort des Gerichtshofes
64.
Zum Begriff „andere ordnungsgemäß anerkannte Einrichtungen gleicher Art“ ist festzustellen, dass
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie die Bedingungen und Modalitäten dieser
Anerkennung nicht festlegt. Es ist daher grundsätzlich Sache des innerstaatlichen Rechts jedes
Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen eine solche Anerkennung den Einrichtungen
gewährt werden kann, die sie beantragen.
65.
Der Erlass innerstaatlicher Vorschriften in diesem Bereich ist im Übrigen in Artikel 13 Teil A Absatz 2
Buchstabe a der Sechsten Richtlinie vorgesehen, wonach die „Mitgliedstaaten ... die Gewährung der
unter Absatz 1 [Buchstabe b] vorgesehenen Befreiungen für Einrichtungen, die keine Einrichtungen
des öffentlichen Rechts sind, von Fall zu Fall von der Erfüllung einer oder mehrerer der folgenden
Bedingungen abhängig machen [können]“.
66.
Da Artikel 13 Teil A Absatz 2 Buchstabe a die Mitgliedstaaten jedoch nicht zum Erlass solcher
Maßnahmen verpflichtet, hat die Tatsache, dass ein Mitgliedstaat von dieser Befugnis keinen
Gebrauch gemacht hat, keine Auswirkungen auf die Möglichkeit, eine Einrichtung zum Zweck der
Gewährung der dort genannten Befreiungen anzuerkennen.
67.
Ferner ist festzustellen, dass keine Bestimmung der Sechsten Richtlinie verlangt, dass die
Anerkennung in einem förmlichen Verfahren erfolgt oder in innerstaatlichen Vorschriften mit
steuerrechtlichem Charakter ausdrücklich vorgesehen ist.
68.
Nach den Angaben der deutschen Regierung enthält § 4 Nummer 16 Buchstabe c UStG die
innerstaatlichen Vorschriften für die Anerkennung einer Einrichtung zum Zweck der Gewährung der in
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung. Daraus ergibt
sich, dass eine Stiftung des privaten Rechts in den Genuss der genannten Befreiung kommen kann,
wenn sie die im nationalen Recht aufgestellten Bedingungen erfüllt, zu denen insbesondere gehört,
dass die Leistungen unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden.
69.
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof in Bezug auf Artikel 13 Teil A
Absatz 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie ausgeführt hat, dass, wenn ein Steuerpflichtiger die
Eigenschaft als Einrichtung mit sozialem Charakter beansprucht, die nationalen Gerichte zu prüfen
haben, ob die zuständigen Behörden die Grenzen des ihnen durch diese Bestimmung eingeräumten
Ermessens bei der Anwendung der Gemeinschaftsgrundsätze, insbesondere des Grundsatzes der
Gleichbehandlung, beachtet haben (Urteil Kügler, Randnr. 56).
70.
Insoweit geht aus der Antwort des Gerichtshofes auf die erste Frage hervor, dass die Bedingung,
wonach die Leistungen unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden müssen, die Grenzen des den
Mitgliedstaaten durch Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie eingeräumten
Ermessens überschreitet, da sie dazu führt, dass Leistungen, die unter der alleinigen Verantwortung
von Angehörigen arztähnlicher Berufe erbracht werden, von der Befreiung ausgeschlossen werden.
Der Begriff „ärztliche Heilbehandlung“ in dieser Bestimmung umfasst nämlich nicht nur Leistungen, die
unmittelbar von Ärzten oder anderen Heilkundigen unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden, sondern
auch arztähnliche Leistungen, die in Krankenhäusern unter der alleinigen Verantwortung von
Personen erbracht werden, die keine Ärzte sind.
71.
Folglich kann ein Mitgliedstaat nicht rechtswirksam zum Zweck der in Artikel 13 Teil A Absatz 1
Buchstabe b der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung die Anerkennung von Einrichtungen von
der Bedingung abhängig machen, dass die arztähnlichen Leistungen dieser Einrichtungen unter
ärztlicher Aufsicht erbracht werden.
72.
In den Randnummern 57 und 58 des Urteils Kügler hat der Gerichtshof hinzugefügt, dass die
nationalen Behörden bei der Bestimmung der Einrichtungen, die als Einrichtungen mit sozialem
Charakter im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie anzuerkennen
sind, nach dem Gemeinschaftsrecht und unter der Kontrolle der nationalen Gerichte verschiedene
Gesichtspunkte zu berücksichtigen haben. Dazu gehören das mit den Tätigkeiten des betreffenden
Steuerpflichtigen verbundene Gemeinwohlinteresse, die Tatsache, dass andere Steuerpflichtige mit
den gleichen Tätigkeiten bereits in den Genuss einer ähnlichen Anerkennung kommen, sowie der
Umstand, dass die Kosten der fraglichen Leistungen unter Umständen zum großen Teil von
Krankenkassen oder anderen Einrichtungen der sozialen Sicherheit übernommen werden.
73.
Wie die Generalanwältin in Nummer 55 ihrer Schlussanträge zutreffend ausgeführt hat, gelten diese
Hinweise auch für die Auslegung von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie in
Bezug auf die Anerkennung der dort genannten Einrichtungen.
74.
Im Ausgangsverfahren ist es daher Sache des vorlegenden Gerichts, anhand all dieser
Gesichtspunkte zu klären, ob die Weigerung, der Klägerin die Anerkennung zum Zweck der in Artikel
13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung zu gewähren, gegen
den Grundsatz der Gleichbehandlung mit anderen Wirtschaftsteilnehmern verstößt, die die gleichen
Leistungen unter vergleichbaren Umständen erbringen.
75.
Im Hinblick darauf ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Träger der Sozialversicherung den
Patienten die Kosten psychotherapeutischer Behandlungen nicht oder nur teilweise erstatten. Ist die
Situation der Klägerin insoweit mit der anderer Wirtschaftsteilnehmer vergleichbar, die die gleichen
Behandlungen durchführen, so rechtfertigt der bloße Umstand, dass die Kosten dieser Leistungen
nicht vollständig von den Trägern der Sozialversicherung übernommen werden, keine unterschiedliche
Behandlung der Leistungserbringer in Bezug auf die Mehrwertsteuerpflicht.
76.
Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, dass die Anerkennung einer Einrichtung im Sinne von
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie kein förmliches Anerkennungsverfahren
voraussetzt und dass sie sich nicht unbedingt aus innerstaatlichen Vorschriften mit steuerrechtlichem
Charakter ergeben muss. Enthalten die innerstaatlichen Vorschriften über die Anerkennung
Beschränkungen, die die Grenzen des den Mitgliedstaaten durch die genannte Bestimmung
eingeräumten Ermessens überschreiten, so ist es Sache des nationalen Gerichts, anhand aller
relevanten Gesichtspunkte zu ermitteln, ob ein Steuerpflichtiger gleichwohl als „andere
ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung gleicher Art“ im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist.
77.
Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob sich ein Steuerpflichtiger unter
Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens vor dem nationalen Gericht auf Artikel 13 Teil A Absatz
1 Buchstaben b und c der Sechsten Richtlinie berufen kann, um die Steuerbefreiung der von ihm
erbrachten Leistungen zu erlangen.
78.
Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung (vgl. u. a. Urteile vom 19.
Januar 1982 in der Rechtssache 8/81, Becker, Slg. 1982, 53, Randnr. 25, vom 25. Mai 1993 in der
Rechtssache C-193/91, Mohsche, Slg. 1993, I-2615, Randnr. 17, und vom 26. September 2000 in der
Rechtssache C-134/99, IGI, Slg. 2000, I-7717, Randnr. 36, sowie Urteil Kügler, Randnr. 51) in allen
Fällen, in denen Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, eine
Berufung auf diese Bestimmungen bei Fehlen fristgemäß erlassener Umsetzungsmaßnahmen
gegenüber allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften möglich ist; sie ist auch
möglich, soweit diese Bestimmungen so geartet sind, dass sie Rechte festlegen, die der Einzelne
gegenüber dem Staat geltend machen kann.
79.
Auch wenn außerdem nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 der Sechsten Richtlinie die Mitgliedstaaten die
dort vorgesehenen Steuerbefreiungen „unter den Bedingungen [vornehmen], die sie zur
Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung [dieser] Befreiungen sowie zur Verhütung
von Steuerhinterziehungen, Steuerumgehungen und etwaigen Missbräuchen festsetzen“, so kann ein
Mitgliedstaat einem Steuerpflichtigen, der belegen kann, dass seine steuerliche Situation unter einen
Befreiungstatbestand der Sechsten Richtlinie fällt, nicht entgegenhalten, dass er die Vorschriften, die
gerade die Anwendung dieser Steuerbefreiung erleichtern sollen, nicht erlassen hat (Urteil Kügler,
Randnr. 52).
80.
Zum Inhalt der Bestimmungen von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und c der Sechsten
Richtlinie ist festzustellen, dass sie entgegen dem Vorbringen der deutschen Regierung die
Tätigkeiten, die steuerfrei sind, hinreichend genau und unbedingt aufzählen (vgl. analog dazu in Bezug
auf Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe g der Sechsten Richtlinie Urteil Kügler, Randnr. 53).
81.
Dass diese Bestimmungen den Mitgliedstaaten ein Ermessen einräumen bei der Festlegung der
Einrichtungen, die keine „Einrichtungen des öffentlichen Rechts“ sind, aber in den Genuss der in
Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b vorgesehenen Befreiung kommen können, sowie der
arztähnlichen Berufe, denen die in Buchstabe c dieses Absatzes vorgesehene Befreiung gewährt
werden kann, hindert den Einzelnen, der nach objektiven Kriterien die dem Gemeinwohl dienenden
Leistungen erbringt, auf die sich die genannten Befreiungen beziehen, nicht daran, sich gegenüber
allen nicht richtlinienkonformen innerstaatlichen Vorschriften unmittelbar auf die Bestimmungen der
Sechsten Richtlinie zu berufen.
82.
Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der Antwort auf die zweite Frage, dass die innerstaatlichen
Vorschriften über die Anerkennung einer Einrichtung zum Zweck der in Artikel 13 Teil A Absatz 1
Buchstabe b der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung eine mit dem Wortlaut dieser
Bestimmung unvereinbare Beschränkung enthalten. Der Steuerpflichtige kann sich daher vor dem
nationalen Gericht unmittelbar auf Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie
berufen, um gegen die Anwendung der innerstaatlichen Vorschrift vorzugehen, nach der die
Leistungen unter ärztlicher Aufsicht erbracht werden müssen. Aus der Antwort auf die zweite Frage
ergibt sich jedoch auch, dass es zur Erlangung der Eigenschaft als „andere ordnungsgemäß
anerkannte Einrichtung gleicher Art“ und damit der in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der
Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung einer vom nationalen Gericht anhand aller relevanten
Gesichtspunkte und insbesondere der tatsächlichen Umstände des Ausgangsverfahrens
vorzunehmenden Prüfung bedarf, ob der Steuerpflichtige die Voraussetzungen für die Anwendung der
Befreiung erfüllt.
83.
Zu der in Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie vorgesehenen Befreiung
ergibt sich aus der Antwort auf die dritte Frage, dass diese Befreiung auf psychotherapeutische
Behandlungen Anwendung findet, die eine Stiftung des privaten Rechts durch bei ihr beschäftigte
Diplompsychologen ausführt. Folglich kann sich ein Steuerpflichtiger gegenüber innerstaatlichen
Rechtsvorschriften oder Verwaltungspraktiken, die die Gewährung der Befreiung davon abhängig
machen, dass der Leistungserbringer eine bestimmte Rechtsform hat, auf die genannte Bestimmung
berufen.
84.
Auf die vierte Frage ist daher zu antworten, dass sich ein Steuerpflichtiger unter Umständen wie
denen des Ausgangsverfahrens vor einem nationalen Gericht auf Artikel 13 Teil A Absatz 1
Buchstaben b und c der Sechsten Richtlinie berufen kann, um gegen die Anwendung einer mit dieser
Bestimmung unvereinbaren innerstaatlichen Regelung vorzugehen.
Kosten
85.
Die Auslagen der deutschen und der dänischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem
Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht
anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 14. Dezember 2000 vorgelegten Fragen für Recht
erkannt:
1. Die in der Ambulanz einer Stiftung des privaten Rechts von Diplompsychologen, die
keine Ärzte sind, ausgeführten psychotherapeutischen Behandlungen stellen keine mit
Krankenhausbehandlung oder ärztlicher Heilbehandlung „eng verbundenen Umsätze“ im
Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des
Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten
über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche
steuerpflichtige Bemessungsgrundlage dar, es sei denn, dass diese Behandlungen
tatsächlich als Nebenleistungen zu einer die Hauptleistung darstellenden
Krankenhausbehandlung oder ärztlichen Heilbehandlung ihrer Empfänger erbracht
werden. Dagegen ist der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „ärztliche
Heilbehandlung“ dahin auszulegen, dass er sämtliche Heilbehandlungen im Bereich der
Humanmedizin im Sinne von Absatz 1 Buchstabe c und insbesondere Leistungen von
Personen umfasst, die keine Ärzte sind, aber arztähnliche Leistungen erbringen, wie es
bei psychotherapeutischen Behandlungen durch Diplompsychologen der Fall ist.
2. Die Anerkennung einer Einrichtung im Sinne von Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe b
der Sechsten Richtlinie 77/388 setzt kein förmliches Anerkennungsverfahren voraus und
muss sich nicht unbedingt aus innerstaatlichen Vorschriften mit steuerrechtlichem
Charakter ergeben. Enthalten die innerstaatlichen Vorschriften über die Anerkennung
Beschränkungen, die die Grenzen des den Mitgliedstaaten durch die genannte
Bestimmung eingeräumten Ermessens überschreiten, so ist es Sache des nationalen
Gerichts, anhand aller relevanten Gesichtspunkte zu ermitteln, ob ein Steuerpflichtiger
gleichwohl als „andere ordnungsgemäß anerkannte Einrichtung gleicher Art“ im Sinne
dieser Bestimmung anzusehen ist.
3. Die Steuerbefreiung nach Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten
Richtlinie 77/388 ist von der Rechtsform des Steuerpflichtigen, der die dort genannten
ärztlichen oder arztähnlichen Leistungen erbringt, unabhängig, so dass
psychotherapeutische Behandlungen, die eine Stiftung des privaten Rechts mit bei ihr
beschäftigten Psychotherapeuten ausführt, unter diese Befreiung fallen können.
4. Ein Steuerpflichtiger kann sich unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens
vor einem nationalen Gericht auf Artikel 13 Teil A Absatz 1 Buchstaben b und c der
Sechsten Richtlinie 77/388 berufen, um gegen die Anwendung einer mit dieser Bestimmung
unvereinbaren innerstaatlichen Regelung vorzugehen.
Edward
Jann
Rosas
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 6. November 2003.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
V. Skouris
Verfahrenssprache: Deutsch.