Urteil des EuGH vom 20.02.2001

EuGH: verordnung, genehmigung, vertrag von amsterdam, regierung, mitgliedstaat, rat der europäischen union, unternehmen, reeder, nummer, öffentliches interesse

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
20. Februar 2001
„Freier Dienstleistungsverkehr - Seekabotage - Erteilung und Aufrechterhaltung einer vorherigen
behördlichen Genehmigung - Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen bei gleichzeitigem
Abschluss eines Vertrages über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste“
In der Rechtssache C-205/99
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Tribunal Supremo (Spanien) in dem bei diesem
anhängigen Rechtsstreit
Asociación Profesional de Empresas Navieras de Líneas Regulares (Analir) u. a.
gegen
Administración General del Estado
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 1, 2 und 4 der Verordnung
(EWG) Nr. 3577/92 des Rates vom 7. Dezember 1992 zur Anwendung des Grundsatzes des freien
Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den Mitgliedstaaten (Seekabotage) (ABl. L 364, S. 7)
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten C. Gulmann und M.
Wathelet sowie der Richter D. A. O. Edward, P. Jann, L. Sevón und R. Schintgen, der Richterinnen F. Macken
und N. Colneric und der Richter S. von Bahr und C. W. A. Timmermans (Berichterstatter),
Generalanwalt: J. Mischo
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Abteilungsleiterin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Asociación Profesional de Empresas Navieras de Líneas Regulares (Analir), vertreten durch T. García
Peña, abogado,
- der Fletamientos de Baleares SA, vertreten durch J. L. Goñi Etchevers, abogado,
- der Unión Sindical Obrera (USO), vertreten durch B. Hernández Bataller, abogado,
- der spanischen Regierung, vertreten durch N. Díaz Abad als Bevollmächtigte,
- der griechischen Regierung, vertreten durch K. Paraskevopoulou-Grigoriou und S. Vodina als
Bevollmächtigte,
- der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger und D. Colas als Bevollmächtigte,
- der norwegischen Regierung, vertreten durch H. Seland als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Mongin und M. Desantes als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Asociación Profesional de Empresas Navieras de Líneas
Regulares (Analir), vertreten durch B. Hernández Bataller, derspanischen Regierung, vertreten durch N. Díaz
Abad, der griechischen Regierung, vertreten durch K. Paraskevopoulou-Grigoriou und S. Vodina, der
französischen Regierung, vertreten durch M. Seam als Bevollmächtigten, der norwegischen Regierung,
vertreten durch H. Seland, und der Kommission, vertreten durch M. Desantes, in der Sitzung vom 24. Oktober
2000,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. November 2000,
folgendes
Urteil
1.
Das Tribunal Supremo hat mit Beschluss vom 12. Mai 1999, beim Gerichtshof eingegangen am 31.
Mai 1999, gemäß Artikel 234 EG drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 1, 2 und 4 der
Verordnung (EWG) Nr. 3577/92 des Rates vom 7. Dezember 1992 zur Anwendung des Grundsatzes des
freien Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den Mitgliedstaaten (Seekabotage) (ABl. L 364,
S. 7) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in vier Rechtsstreitigkeiten zwischen der Asociación Profesional de
Empresas Navieras de Líneas Regulares (Analir), der Isleña de Navegación SA, der Fletamientos de
Baleares SA und der Unión Sindical Obrera (USO) (im Folgenden: Klägerinnen) und der Administración
General del Estado, in denen die Klägerinnen die Nichtigerklärung des Real Decreto (Königliches
Dekret) Nr. 1466/1997 vom 19. September 1997 zur rechtlichen Regelung der Seekabotage im
Liniendienst und der Schifffahrtsverbindungen von öffentlichem Interesse (BOE Nr. 226 vom 20.
September 1997, S. 27712, im Folgenden: Real Decreto Nr. 1466) fordern, da es gegen die
Gemeinschaftsregelung verstoße.
Rechtlicher Rahmen
3.
Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3577/92 lautet:
„Mit Wirkung vom 1. Januar 1993 gilt der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs im Seeverkehr
innerhalb eines Mitgliedstaats (Seekabotage) für Gemeinschaftsreeder, deren Schiffe in einem
Mitgliedstaat registriert sind und unter der Flagge eines Mitgliedstaats fahren, sofern diese Schiffe
alle Voraussetzungen erfüllen, um zur Kabotage in diesem Mitgliedstaat zugelassen zu werden; hierin
eingeschlossen sind die in EUROS registrierten Schiffe, sobald dieses Register vom Rat gebilligt ist.“
4.
Artikel 2 der Verordnung Nr. 3577/92 sieht Folgendes vor:
„Im Sinne dieser Verordnung sind
1. .Seeverkehrsdienstleistungen innerhalb eines Mitgliedstaats (Seekabotage)' Dienstleistungen,
die gewöhnlich gegen Entgelt erbracht werden und insbesondere Folgendes umfassen:
a) Festlandkabotage: die Beförderung von Personen oder Gütern auf dem Seeweg zwischen
Häfen auf dem Festland oder auf dem Hauptstaatsgebiet ein und desselben Mitgliedstaats, ohne
dass Inselhäfen angelaufen werden;
b) Offshore-Versorgungsdienste: die Beförderung von Personen oder Gütern auf dem Seeweg
zwischen Häfen eines Mitgliedstaats und Anlagen oder Konstruktionen auf dem Festlandsockel dieses
Mitgliedstaats;
c) Inselkabotage: die Beförderung von Passagieren oder Gütern auf dem Seeweg zwischen
- Häfen auf dem Festland und auf einer oder mehreren Inseln ein und desselben
Mitgliedstaats;
- Häfen auf den Inseln innerhalb eines Mitgliedstaats.
Ceuta und Melilla werden wie Inselhäfen behandelt;
...
3. .Verträge über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes'
Verträge, die zwischen den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats und einem
Gemeinschaftsreeder abgeschlossen werden, um der Allgemeinheit ausreichende Verkehrsdienste zu
bieten.
Ein Vertrag über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes kann
insbesondere Folgendes umfassen:
- Verkehrsdienste, die bestimmten Anforderungen an die Kontinuität, Regelmäßigkeit,
Leistungsfähigkeit und Qualität genügen;
- zusätzliche Verkehrsdienste;
- Verkehrsdienste zu besonderen Tarifen und Bedingungen, vor allem für bestimmte
Personengruppen oder auf bestimmten Verkehrsverbindungen;
- eine Anpassung der Dienste an den tatsächlichen Bedarf;
4. .Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes' Verpflichtungen, die der betreffende
Gemeinschaftsreeder im eigenen wirtschaftlichen Interesse nicht oder nicht im gleichen Umfang und
nicht unter den gleichen Bedingungen übernehmen würde;
...“
5.
Artikel 4 der Verordnung Nr. 3577/92 lautet:
„(1) Ein Mitgliedstaat kann mit Schifffahrtsgesellschaften, die sich an Liniendiensten von, zwischen
und nach Inseln beteiligen, als Voraussetzung für das Recht zur Erbringung von Kabotageleistungen
Verträge über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes schließen
oder ihnen entsprechende Verpflichtungen auferlegen.
Beim Abschluss von Verträgen über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen
Dienstes sowie bei der Auferlegung entsprechender Verpflichtungen haben die Mitgliedstaaten darauf
zu achten, dass kein Gemeinschaftsreeder diskriminiert wird.
(2) Bei der Auferlegung von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes beschränken sich die
Mitgliedstaaten auf Auflagen hinsichtlich der anzulaufenden Häfen, der Regelmäßigkeit, Beständigkeit
und Häufigkeit des Verkehrs, der Dienstleistungskapazität, der zu erhebenden Gebühren sowie der
Schiffsbesatzung.
Für die etwaige Gewährung eines Ausgleichs für solche Verpflichtungen kommen stets alle
Gemeinschaftsreeder in Betracht.
(3) Bestehende Verträge über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen
Dienstes können bis zum jeweiligen Ablaufdatum gültig bleiben.“
6.
Artikel 7 der Verordnung Nr. 3577/92 bestimmt:
„Artikel 62 des Vertrages findet auf die in dieser Verordnung geregelten Bereiche Anwendung.“
7.
In Artikel 7 Absatz 4 des spanischen Gesetzes Nr. 27/1992 vom 24. November 1992 über staatliche
Häfen und die Handelsmarine (BOE Nr. 283 vom 25. November 1992, S. 39953) werden
„Schifffahrtsverbindungen von öffentlichem Interesse“ definiert als die Schifffahrt, die zur
Gewährleistung der Hauptseeverbindungen des Festlands, zwischen dem Festland und den
spanischen Hoheitsgebieten, die nicht auf dem Festland liegen, sowie zwischen letzteren erforderlich
sind. Nach dieser Vorschrift obliegt der Regierung die Festlegung der Schifffahrtsverbindungen von
öffentlichem Interesse und der Mittel zum Schutz dieses Interesses.
8.
Artikel 4 des Real Decreto Nr. 1466 lautet:
„Gemäß Artikel 7 Absatz 4 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 1 Buchstabe h des Gesetzes über
staatliche Häfen und die Handelsmarine werden Liniendienste der Inselkabotage zu
Schifffahrtsverbindungen von öffentlichem Interesse erklärt, wobei darunter im Einklang mit Artikel 2
Nummer 1 Buchstabe c der Verordnung (EWG) Nr. 3577/92 die Beförderung von Passagieren und
Gütern auf dem Seeweg zwischen Häfen auf dem Festland und in den Hoheitsgebieten, die nicht auf
dem Festland liegen, sowie zwischen letzteren zu verstehen ist.
Liniendienste auf Schifffahrtsverbindungen von öffentlichem Interesse bedürfen einer vorherigen
behördlichen Genehmigung, deren Gültigkeit von der Erfüllung der durch die Generaldirektion für die
Handelsmarine auferlegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen abhängt. In Ausnahmefällen kann
die zuständige Behörde Verträge von öffentlichem Interesse schließen, damit gewährleistet ist, dass
ausreichende Dienste zur Aufrechterhaltung der Seeverbindungen vorhanden sind.“
9.
Die im Real Decreto Nr. 1466 vorgesehene behördliche Genehmigung unterliegt zwei Arten von
Voraussetzungen. Zum einen sieht der mit „Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigungen“
überschriebene Artikel 6 des Real Decreto Folgendes vor:
„Die Genehmigung zum Betrieb eines Liniendienstes der Inselkabotage wird unter folgenden
Voraussetzungen erteilt:
a) Der Reeder oder die Reederei muss allen Zahlungsverpflichtungen in Bezug auf Steuern und
Sozialabgaben nachgekommen sein.
b) Mieter oder Charterer müssen nachweisen, dass der Eigentümer oder Vercharterer seinen
Zahlungsverpflichtungen in Bezug auf Steuern und Sozialabgaben nachgekommen ist.
...
e) Der Eigner der im Liniendienst eingesetzten Schiffe muss seinen Zahlungsverpflichtungen in
Bezug auf Steuern und Sozialabgaben nachgekommen sein.
f) Innerhalb der ersten fünfzehn Tage der Monate Juni und Dezember jedes Jahres müssen die in den
Buchstaben a, b und e vorgeschriebenen Nachweise für die Erfüllung der Zahlungsverpflichtungen in
Bezug auf Steuern und Sozialabgaben erneuert werden.
...“
10.
Zum anderen sieht der mit „Gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen“ überschriebene Artikel 8 des
Real Decreto Nr. 1466 Folgendes vor:
„(1) Als gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen können nur die Voraussetzungen für die
Genehmigung des Liniendienstes angesehen werden, die die Regelmäßigkeit und die Beständigkeit
des Verkehrs, die Dienstleistungskapazität, die Besatzung und gegebenenfalls die anzulaufenden
Häfen, die Häufigkeit des Verkehrs sowie unter Umständen die Gebühren betreffen.
Die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen muss jedenfalls auf sachlichen Gründen des
öffentlichen Interesses beruhen, die durch das Erfordernis gerechtfertigt sind, ausreichende
regelmäßige Seeverkehrsdienste zu gewährleisten.
Zur Vermeidung von Wettbewerbsverzerrungen müssen diese Verpflichtungen so gestaltet sein, dass
es nicht zu einer Ungleichbehandlung von Unternehmen kommt, die auf übereinstimmenden oder
vergleichbaren Linien gleiche oder ähnliche Dienstleistungen erbringen.
(2) In Ausnahmefällen kann die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen Anlass zu einem
wirtschaftlichen Ausgleich geben. Der Ausgleich darf nicht zu einer Ungleichbehandlung ähnlicher
Dienstleistungen auf übereinstimmenden Linien führen.
Die Anerkennung eines Anspruchs auf wirtschaftlichen Ausgleich für die Erfüllung
gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen kann auf Antrag einer Partei oder nach allgemeiner
Ausschreibung von Liniendiensten mit gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen, für die ein
wirtschaftlicher Ausgleich gewährt wird, durch das Ministerium für Inlandsentwicklung erfolgen.
Begehrt der Betroffene die Anerkennung seines Anspruchs, so muss das Unternehmen, das die
Genehmigung des Liniendienstes beantragt, zuvor in einer von der Generaldirektion für die
Handelsmarine als ausreichend angesehenen Weise belegen, dass die Linie, deren Genehmigung
beantragt wird, für sich betrachtet rentabel wäre, wenn sie nicht mit gemeinwirtschaftlichen
Verpflichtungen belastet wäre.
Das beantragende Unternehmen hat diese Belege von sich aus zusammen mit den Unterlagen
einzureichen, die es vorlegen muss, um die Genehmigung zu erhalten.
Die Generaldirektion für die Handelsmarine hat bei ihrer Beurteilung insbesondere den Umfang des
Wettbewerbs der beantragten Linie mit anderen bestehenden Linien und die angewandten Gebühren
zu berücksichtigen.
(3) Neben den in der Verordnung (EWG) Nr. 3577/92 genannten und in der Genehmigung
festgelegten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen kann die Generaldirektion für die Handelsmarine
gemäß Artikel 83 Absatz 2 des Gesetzes überstaatliche Häfen und die Handelsmarine den
Schifffahrtsunternehmen, die Kabotagedienste erbringen, spezielle gemeinwirtschaftliche
Verpflichtungen in Bezug auf die Bergung, die Sicherheit im Seeverkehr, die Bekämpfung der
Verschmutzung, die Gesundheitsfürsorge oder andere schwerwiegende Gründe des Gemeinwohls
oder von sozialem Interesse auferlegen. Aufgrund dieser Anforderungen erwerben die betroffenen
Unternehmen unter Umständen einen Anspruch auf wirtschaftlichen Ausgleich für die ihnen
entstehenden zusätzlichen Kosten.“
Der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens und die Vorlagefragen
11.
Die Klägerinnen erhoben beim Tribunal Supremo, dem im vorliegenden Fall erst- und letztinstanzlich
zuständigen Gericht, gesonderte und später verbundene Klagen auf Nichtigerklärung des Real
Decreto Nr. 1466. Zur Begründung ihrer Klagen führen sie aus, das Real Decreto Nr. 1466 stehe nicht
im Einklang mit dem Gemeinschaftsrecht und insbesondere mit der Verordnung Nr. 3577/92.
12.
Da der Ausgang des Verfahrens nach Ansicht des Tribunal Supremo von der Auslegung der
genannten Verordnung abhängt, hat es das Verfahren ausgesetzt und den Gerichtshof um
Vorabentscheidung über folgende Fragen ersucht:
1. Kann Artikel 4 in Verbindung mit Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3577/92 des Rates vom 7.
Dezember 1992 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf den
Seeverkehr in den Mitgliedstaaten (Seekabotage) dahin ausgelegt werden, dass die Erbringung von
Inselkabotagediensten durch Unternehmen, die Seeverkehrslinien betreiben, von einer vorherigen
behördlichen Genehmigung abhängig gemacht werden darf?
2. Können im Fall der Bejahung der ersten Frage die Erteilung und die Aufrechterhaltung der
genannten behördlichen Genehmigung von der Erfüllung anderer als der in Artikel 4 Absatz 2 der
genannten Verordnung erwähnten Auflagen abhängig gemacht werden, wie derjenigen, den
Zahlungsverpflichtungen in Bezug auf Steuern und Sozialabgaben nachgekommen zu sein?
3. Kann Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3577/92 dahin ausgelegt werden, dass auf ein und
derselben Seeverkehrslinie oder -verbindung zur Durchführung desselben Liniendienstes von,
zwischen oder nach Inseln einigen Schifffahrtsunternehmen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen
auferlegt und gleichzeitig mit anderen Unternehmen Verträge über gemeinwirtschaftliche
Verkehrsdienste im Sinne von Artikel 1 Nummer 3 der Verordnung geschlossen werden dürfen?
Zur ersten Frage
13.
Die Klägerinnen tragen vor, nach Artikel 4 in Verbindung mit Artikel 1 der Verordnung Nr. 3577/92
dürfe die Erbringung von Inselkabotagediensten nicht voneiner vorherigen behördlichen Genehmigung
abhängig gemacht werden, wie sie das Real Decreto Nr. 1466 verlange. Es reiche aus, den Beginn der
Tätigkeit im Rahmen eines Systems von Gruppenlizenzen und Meldeverfahren anzuzeigen,
unbeschadet der Möglichkeit der Verwaltung, gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen aufzuerlegen.
14.
Sie werden von der norwegischen Regierung und der Kommission unterstützt, die der Ansicht sind,
ein allgemein geltendes System vorheriger behördlicher Genehmigungen, das in keinem wirklichen
Zusammenhang mit der Notwendigkeit gemeinwirtschaftlicher Dienstleistungen im gesamten
Seeverkehr zwischen dem Festland und den spanischen Inseln sowie zwischen den Inseln stehe,
erfülle die Voraussetzungen der Artikel 2 und 4 der Verordnung Nr. 3577/92 nicht. Bei der
Durchführung der letztgenannten Bestimmung sei diese Notwendigkeit im Einzelfall und für jede Linie
zu prüfen.
15.
Die spanische Regierung macht dagegen geltend, das Erfordernis einer vorherigen behördlichen
Genehmigung sei kein Hindernis für die Liberalisierung der Inselkabotage. Die Praxis habe gezeigt,
dass eine eingehende Prüfung jeder Linie unmöglich sei, und für Dienstleistungen gebe es auch noch
auf anderen liberalisierten Märkten wie dem Telekommunikationsmarkt ein Genehmigungssystem.
Übertrage man die im Bereich der Telekommunikation in Betracht kommenden Rechtfertigungsgründe
auf die Seekabotage, so müsse die Tatsache, dass es um Inseln gehe, die Mitgliedstaaten dazu
berechtigen, mittels vorheriger behördlicher Genehmigungen Pflichten zur Erbringung eines
Universaldienstes aufzuerlegen.
16.
Die spanische Regierung wird durch die griechische Regierung unterstützt, die ausführt, Artikel 4
der Verordnung Nr. 3577/92, der im Kontext des allgemein liberalen Geistes dieser Verordnung zu
sehen sei, sehe gerade zum Schutz des öffentlichen Interesses die Möglichkeit vor, durch vorherige
behördliche Genehmigungen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen aufzuerlegen.
17.
Nach Artikel 3 Buchstabe c EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c EG)
umfasst die Tätigkeit der Gemeinschaft einen Binnenmarkt, der u. a. durch die Beseitigung der
Hindernisse für den freien Dienstleistungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist.
18.
Nach Artikel 61 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 51 EG) gelten für den freien
Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs die Bestimmungen des Titels des EG-Vertrags
über den Verkehr, zu denen Artikel 84 Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 80 Absatz 2
EG) gehört, wonach der Rat der Europäischen Union geeignete Vorschriften für die Seeschifffahrt
erlassen kann.
19.
Gestützt auf den letztgenannten Artikel hat der Rat die Verordnung Nr. 3577/92 erlassen, mit der
der freie Dienstleistungsverkehr im Bereich der Seekabotage unter den Voraussetzungen und mit den
Ausnahmen, die sie vorsieht, verwirklicht werden soll.
20.
Zu diesem Zweck wird in Artikel 1 der Verordnung klar zum Ausdruck gebracht, dass in der
Gemeinschaft der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs bei der Seekabotage gilt. Dabei
wurden für den Bereich der Seekabotage die Voraussetzungen für die Anwendung des insbesondere
in den Artikeln 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) und 61 EG-Vertrag verankerten
Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs festgelegt.
21.
Nach ständiger Rechtsprechung verlangt der freie Dienstleistungsverkehr nicht nur die Beseitigung
jeder Diskriminierung des in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen Dienstleistenden aufgrund
seiner Staatsangehörigkeit, sondern auch die Aufhebung aller Beschränkungen - selbst wenn sie
unterschiedslos für inländische Dienstleistende wie für solche aus anderen Mitgliedstaaten gelten -,
sofern sie geeignet sind, die Tätigkeiten des Dienstleistenden, der in einem anderen Mitgliedstaat
ansässig ist und dort rechtmäßig ähnliche Dienstleistungen erbringt, zu unterbinden, zu behindern
oder weniger attraktiv zu machen (vgl. u. a. Urteile vom 25. Juli 1991 in der Rechtssache C-76/90,
Säger, Slg. 1991, I-4221, Randnr. 12, vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-43/93, Vander Elst,
Slg. 1994, I-3803, Randnr. 14, vom 28. März 1996 in der Rechtssache C-272/94, Guiot, Slg. 1996, I-
1905, Randnr. 10, vom 18. Juni 1998 in der Rechtssache C-266/96, Corsica Ferries France, Slg. 1998, I-
3949, Randnr. 56, und vom 23. November 1999 in den Rechtssachen C-369/96 und C-376/96, Arblade
u. a., Slg. 1999, I-8453, Randnr. 33).
22.
Eine nationale Bestimmung wie Artikel 4 des Real Decreto Nr. 1466, die die Erbringung von
Seekabotagediensten von der Erteilung einer vorherigen behördlichen Genehmigung abhängig macht,
ist geeignet, die Erbringung dieser Dienstleistungen zu behindern oder weniger attraktiv zu machen
und stellt deshalb eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs dar (in diesem Sinne auch
Urteil Vander Elst, Randnr. 15, und Urteil vom 9. März 2000 in der Rechtssache C-355/98,
Kommission/Belgien, Slg. 2000, I-1221, Randnr. 35).
23.
Die spanische Regierung macht jedoch geltend, nach Artikel 4 der Verordnung Nr. 3577/92 könnten
die Mitgliedstaaten als Voraussetzung für das Recht zur Erbringung von Seekabotagediensten
gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegen und zu diesem Zweck ein System vorheriger
behördlicher Genehmigungen einführen.
24.
Hierzu ist erstens festzustellen, dass der Wortlaut von Artikel 4 der Verordnung Nr. 3577/92 als
solcher keinen Anhaltspunkt für die Beantwortung der Frage gibt, ob ein System vorheriger
behördlicher Genehmigungen als Mittel zur Auferlegung der in diesem Artikel angesprochenen
gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen benutzt werden kann.
25.
Zweitens kann der freie Dienstleistungsverkehr als tragender Grundsatz des Vertrages nur durch
Regelungen beschränkt werden, die durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt
sind und für alle im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats tätigen Personen oder Unternehmen
gelten. Ferner ist die fragliche nationale Regelung nur dann gerechtfertigt, wenn sie geeignet ist,
dieVerwirklichung des mit ihr verfolgten Zieles zu gewährleisten, und nicht über das hinausgeht, was
zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (in diesem Sinne auch Urteil Säger, Randnr. 15, Urteil vom
31. März 1993 in der Rechtssache C-19/92, Kraus, Slg. 1993, I-1663, Randnr. 32, Urteil vom 30.
November 1995 in der Rechtssache C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165, Randnr. 37, und Urteil Guiot,
Randnrn. 11 und 13).
26.
Daher ist zu prüfen, ob die Einführung eines Systems vorheriger behördlicher Genehmigungen als
Mittel zur Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen gerechtfertigt sein kann.
27.
Insoweit ist erstens unbestreitbar, dass es sich bei dem verfolgten Ziel - der Gewährleistung
ausreichender regelmäßiger Seeverkehrsdienste von, zwischen und nach Inseln - um ein legitimes
öffentliches Interesse handelt.
28.
Zum einen wird nämlich die Möglichkeit der Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen für
die Seekabotage von, zwischen und nach Inseln in Artikel 4 der Verordnung Nr. 3577/92 ausdrücklich
anerkannt. Zum anderen wird im Vertrag in seiner durch den Vertrag von Amsterdam geänderten
Fassung unter den dort genannten Voraussetzungen der besondere Charakter der Inselgebiete
berücksichtigt, wie sich aus den Artikeln 158 Absatz 2 EG und 299 Absatz 2 EG ergibt. Dieser
besondere Charakter kommt auch in der die Inselgebiete betreffenden Erklärung Nr. 30 zur
Schlussakte des Vertrages von Amsterdam zum Ausdruck.
29.
Aus diesen Bestimmungen kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass alle Seekabotagedienste
von, zwischen und nach Inseln, die zu einem Mitgliedstaat gehören, wegen der Insellage als
gemeinwirtschaftliche Dienstleistungen anzusehen sind.
30.
Zweitens stellt sich daher die Frage, ob ein System vorheriger behördlicher Genehmigungen im
Hinblick auf das verfolgte Ziel erforderlich ist.
31.
Zum einen soll nach der neunten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 3577/92 die
Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen ausreichende Liniendienste von, zwischen und
nach Inseln gewährleisten.
32.
Ferner werden die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen in Artikel 2 Nummer 4 der Verordnung Nr.
3577/92 definiert als Verpflichtungen, die der betreffende Gemeinschaftsreeder im eigenen
wirtschaftlichen Interesse nicht oder nicht im gleichen Umfang und nicht unter den gleichen
Bedingungen übernehmen würde.
33.
Überdies soll der in Artikel 4 der Verordnung Nr. 3577/92 vorgesehene Vertrag über
gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste nach der ausdrücklichen Definition in Artikel 2 Nummer 3 der
Allgemeinheit ausreichende Verkehrsdienste bieten.
34.
Folglich setzt die Anwendung eines Systems vorheriger behördlicher Genehmigungen als Mittel zur
Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen voraus, dass die zuständigen nationalen
Behörden zunächst für ganz bestimmte Verbindungen festgestellt haben, dass die regelmäßigen
Verkehrsdienste nicht ausreichen würden, wenn ihre Erbringung allein den Marktkräften überlassen
bliebe. Es muss mit anderen Worten ein wirklicher Bedarf an gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen
nachweisbar sein.
35.
Zum anderen ist ein System vorheriger behördlicher Genehmigungen nur dann gerechtfertigt, wenn
nachgewiesen wird, dass es zur Auferlegung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen erforderlich ist
und in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht, d. h., dass das gleiche Ziel nicht durch
Maßnahmen erreicht werden kann, die - wie ein System nachträglicher Anmeldungen - den freien
Dienstleistungsverkehr weniger beschränken (in diesem Sinne auch Urteil vom 14. Dezember 1995 in
den Rechtssachen C-163/94, C-165/94 und C-250/94, Sanz de Lera u. a., Slg. 1995, I-4821, Randnrn.
23 bis 28).
36.
Insoweit kann nicht ausgeschlossen werden, dass die vorherige behördliche Genehmigung als
solche ein geeignetes Mittel ist, das es erlaubt, den Inhalt der einem bestimmten Reeder auferlegten
gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung seiner speziellen Situation näher zu
bestimmen oder die Eignung eines Reeders zur Erfüllung solcher Verpflichtungen im Voraus zu
überprüfen.
37.
Ein solches System kann jedoch keine Ermessensausübung der nationalen Behörden rechtfertigen,
die geeignet ist, den Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, insbesondere wenn sie eine
Grundfreiheit wie die hier in Rede stehende betreffen, ihre praktische Wirksamkeit zu nehmen (in
diesem Sinne auch Urteil vom 23. Februar 1995 in den Rechtssachen C-358/93 und C-416/93,
Bordessa u. a., Slg. 1995, I-361, Randnr. 25, und Urteil Sanz de Lera u. a., Randnr. 25).
38.
Damit ein System vorheriger behördlicher Genehmigungen trotz des Eingriffs in eine Grundfreiheit
gerechtfertigt ist, muss es daher jedenfalls auf objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien
beruhen, die den betroffenen Unternehmen im Voraus bekannt sind, damit dem Ermessen der
nationalen Behörden Grenzen gesetzt werden, die seine missbräuchliche Ausübung verhindern. Natur
und Tragweite der mittels eines Systems vorheriger behördlicher Genehmigungen auferlegten
gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen müssen den betroffenen Unternehmen daher im Voraus
erläutert werden. Zudem muss jedem, der von einer auf einem solchen Eingriff beruhenden
einschränkenden Maßnahme betroffen ist, der Rechtsweg offen stehen.
39.
Das vorlegende Gericht hat zu prüfen und festzustellen, ob das System vorheriger behördlicher
Genehmigungen, um das es in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit geht, diese Voraussetzungen
und Kriterien erfüllt.
40.
In Anbetracht dessen ist auf die erste Frage zu antworten, dass nach Artikel 4 in Verbindung mit
Artikel 1 der Verordnung Nr. 3577/92 die Erbringung regelmäßigerSeekabotagedienste von, zwischen
und nach Inseln nur dann von einer vorherigen behördlichen Genehmigung abhängig gemacht werden
darf, wenn
- ein wirklicher Bedarf an gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen nachgewiesen werden kann, weil
bei freiem Wettbewerb keine ausreichenden regelmäßigen Verkehrsdienste angeboten würden;
- ferner nachgewiesen wird, dass dieses System vorheriger behördlicher Genehmigungen
erforderlich ist und zu dem verfolgten Ziel in angemessenem Verhältnis steht;
- ein solches System auf objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien beruht, die den
betroffenen Unternehmen im Voraus bekannt sind.
Zur zweiten Frage
41.
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht für den Fall der Bejahung der ersten Frage
wissen, ob die Erteilung und die Aufrechterhaltung einer vorherigen behördlichen Genehmigung von
der Erfüllung anderer als der in Artikel 4 Absatz 2 der genannten Verordnung erwähnten Auflagen
abhängig gemacht werden können, wie derjenigen, den Zahlungsverpflichtungen in Bezug auf Steuern
und Sozialabgaben nachgekommen zu sein.
42.
Hierzu machen die Klägerinnen, unterstützt von der norwegischen Regierung, geltend, die Auflage,
den Zahlungsverpflichtungen in Bezug auf Steuern und Sozialabgaben nachgekommen zu sein, stehe
in keinem speziellen Zusammenhang mit dem Seeverkehr, der Gegenstand der vorherigen
behördlichen Genehmigung sei. Eine solche Auflage gehöre auch nicht zu den in Artikel 4 Absatz 2 der
Verordnung angesprochenen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen. Eine nationale Regelung, die
die Erteilung und die Aufrechterhaltung einer vorherigen behördlichen Genehmigung von der
Einhaltung anderer als der in der Verordnung Nr. 3577/92 genannten Auflagen abhängig mache, sei
folglich eine nationale Maßnahme, die eine neue Beschränkung der tatsächlich erreichten Freiheit im
Sinne von Artikel 62 EG-Vertrag (aufgehoben durch den Vertrag von Amsterdam) darstelle und
deshalb gegen den EG-Vertrag verstoße.
43.
Nach Ansicht der spanischen Regierung handelt es sich bei der Auflage in Artikel 6 des Real
Decreto Nr. 1466, den Zahlungsverpflichtungen in Bezug auf Steuern und Sozialabgaben
nachgekommen zu sein, um eine allgemeine Auflage für die Erteilung einer vorherigen behördlichen
Genehmigung und nicht um eine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung im Sinne der Verordnung Nr.
3577/92. Die genannte Bestimmung gehe somit nicht über die Anforderungen von Artikel 4 Absatz 2
der Verordnung Nr. 3577/92 hinaus und sei deshalb mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar.
44.
Die Kommission trägt vor, die in Artikel 6 des Real Decreto Nr. 1466 genannten Voraussetzungen
seien durch die Bezugnahme auf die „Dienstleistungskapazität“ in Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung
Nr. 3577/92 gedeckt. Unter diesen Begriff falle nicht nur die Wirtschaftskraft des
Gemeinschaftsreeders, sondern auch seine Finanzkraft.
45.
Aus der Antwort auf die erste Frage geht hervor, dass es - sofern bestimmte Voraussetzungen
erfüllt sind - mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sein kann, wenn die Mitgliedstaaten für bestimmte
Seekabotagedienste mittels einer vorherigen behördlichen Genehmigung gemeinwirtschaftliche
Verpflichtungen auferlegen.
46.
Für diesen Fall möchte das vorlegende Gericht mit seiner zweiten Frage wissen, ob ein
Mitgliedstaat, der für die Seekabotage von, zwischen und nach Inseln gemeinwirtschaftliche
Verpflichtungen auferlegen möchte, die Erteilung einer Genehmigung für einen solchen Dienst davon
abhängig machen darf, dass der Reeder seinen Zahlungsverpflichtungen in Bezug auf Steuern und
Sozialabgaben nachgekommen ist.
47.
Nach Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3577/92 können gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen
hinsichtlich der anzulaufenden Häfen, der Regelmäßigkeit, Beständigkeit und Häufigkeit des Verkehrs,
der Dienstleistungskapazität, der zu erhebenden Gebühren sowie der Schiffsbesatzung auferlegt
werden. Die Auflage, dass der Reeder seinen Zahlungsverpflichtungen in Bezug auf Steuern und
Sozialabgaben nachgekommen sein muss, wird nicht ausdrücklich erwähnt. Es ist richtig, dass eine
solche Auflage isoliert gesehen nicht als gemeinwirtschaftliche Verpflichtung eingestuft werden kann.
48.
Werden den Gemeinschaftsreedern mittels einer vorherigen behördlichen Genehmigung
gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen für die Seekabotage auferlegt, so kann jedoch die von einem
Mitgliedstaat vorgenommene Prüfung, ob diese Reeder ihren Zahlungsverpflichtungen in Bezug auf
Steuern und Sozialabgaben nachgekommen sind, als auf eine Anforderung bezogen angesehen
werden, die unter den in Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 3577/92 genannten Begriff
„Dienstleistungskapazität“ fällt.
49.
Unterliegt ein Gemeinschaftsreeder gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen wie der Regelmäßigkeit
der durchzuführenden Seekabotage, so kann nämlich dem Umstand, dass dieser Reeder sich in einer
prekären finanziellen Lage befindet - wofür die Tatsache, dass er seinen Zahlungsverpflichtungen in
Bezug auf Steuern und Sozialabgaben nicht nachgekommen ist, ein Indiz sein könnte -, zu entnehmen
sein, dass er über kurz oder lang außerstande sein könnte, die ihm auferlegten
gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen zu erbringen.
50.
Folglich kann der Mitgliedstaat die Solvenz eines Gemeinschaftsreeders prüfen, der im Bereich der
Seekabotage gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen erfüllt, um festzustellen, ob dieser Reeder
finanziell in der Lage ist, die ihm übertragenen Dienste zu leisten, und dabei verlangen, dass er seinen
Zahlungsverpflichtungen in Bezug aufSteuern und Sozialabgaben nachgekommen ist. Eine solche
Voraussetzung muss selbstverständlich in nicht diskriminierender Weise angewandt werden.
51.
Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, dass das Gemeinschaftsrecht der Befugnis eines
Mitgliedstaats nicht entgegensteht, die Erteilung und die Aufrechterhaltung einer vorherigen
behördlichen Genehmigung, mit der einem Gemeinschaftsreeder gemeinwirtschaftliche
Verpflichtungen auferlegt werden, von einer Voraussetzung abhängig zu machen, die wie die Auflage,
dass er seinen Zahlungsverpflichtungen in Bezug auf Steuern und Sozialabgaben nachgekommen sein
muss, eine Beurteilung seiner Solvenz erlaubt und dem Mitgliedstaat damit die Möglichkeit gibt, die
„Dienstleistungskapazität“ dieses Reeders zu prüfen, sofern diese Voraussetzung in nicht
diskriminierender Weise angewandt wird.
Zur dritten Frage
52.
Das vorlegende Gericht möchte mit seiner dritten Frage wissen, ob Artikel 4 Absatz 1 der
Verordnung Nr. 3577/92 dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat auf ein und derselben
Seeverkehrslinie oder -verbindung zur Durchführung desselben Liniendienstes von, zwischen oder
nach Inseln einigen Schifffahrtsunternehmen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegen und
gleichzeitig mit anderen Unternehmen Verträge über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste im Sinne
von Artikel 2 Nummer 3 der Verordnung schließen darf.
53.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass diese Frage einen offensichtlichen Schreibfehler enthält. Die
Bezugnahme auf „Artikel 1 Nummer 3“ der Verordnung Nr. 3577/92 ist als Bezugnahme auf Artikel 2
Nummer 3 dieser Verordnung zu verstehen, da Artikel 1 für die Beantwortung der Frage nicht relevant
ist. Zudem enthält Artikel 1 der Verordnung keine Nummer 3.
54.
Zu dieser Frage machen die Klägerinnen im Wesentlichen geltend, der Abschluss eines Vertrages
über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste oder die Auferlegung gemeinwirtschaftlicher
Verpflichtungen gemäß Artikel 4 der Verordnung Nr. 3577/92 seien zwei Optionen, zwischen denen die
Mitgliedstaaten wählen und die nicht miteinander kombiniert werden könnten. Wenn für bestimmte
Linien ein Vertrag über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste geschlossen werde, sei es
widersprüchlich und stelle eine Verzerrung des freien Wettbewerbs im Sinne der einschlägigen
Bestimmungen des Vertrages dar, wenn anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleichen Linien
bedienten, gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegt würden.
55.
Im Einzelnen führen sie aus, der Wirtschaftsteilnehmer, der mit den zuständigen Behörden einen
Vertrag über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste schließe, erhalte im Gegensatz zu den übrigen
Wirtschaftsteilnehmern spezielle Subventionen für die geleisteten Verkehrsdienste. Dies führe
zusammen mit der Tatsache, dass es sich bei den Wirtschaftsteilnehmern, die einen solchen Vertrag
über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste schlössen, entweder um öffentliche Betreiber oder um
ehemaligeMonopolinhaber handele, zu einer Situation, die wegen Diskriminierung und Verzerrung der
Regeln des freien Wettbewerbs gegen Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 86 Absatz 1 EG)
verstoße.
56.
Die spanische Regierung ist dagegen der Ansicht, dass die beiden in Artikel 4 der Verordnung Nr.
3577/92 genannten Formen der Erbringung von Seekabotagediensten - der Vertrag über
gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste und die gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen -
nebeneinander bestehen könnten. Die beiden Systeme, die es ermöglichten, die Erbringung der
gemeinwirtschaftlichen Dienstleistung zu gewährleisten - Abschluss eines Vertrages oder Auferlegung
gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen für die Reeder -, hätten ganz verschiedene Zielsetzungen. Der
Mitgliedstaat erlege gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auf, um ein Mindestangebot einer
bestimmten gemeinwirtschaftlichen Dienstleistung zu gewährleisten. Er könne dies gegebenenfalls
durch den Abschluss eines Vertrages ergänzen.
57.
Die französische Regierung, deren schriftliche Erklärungen sich auf diese dritte Frage beschränken,
schließt sich dem Vorbringen der spanischen Regierung an. Sie ist der Ansicht, dass sich die Kriterien
für den Rückgriff auf den Vertrag über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste oder die
gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen voneinander unterschieden und dass deshalb beide Formen
gleichzeitig auf derselben Linie benutzt werden könnten, unabhängig davon, welche Form zuerst
eingeführt worden sei.
58.
Die norwegische Regierung hat sich in der mündlichen Verhandlung abweichend von ihren
schriftlichen Erklärungen dahin gehend geäußert, dass jeder Mitgliedstaat zunächst festlegen müsse,
in welchem Umfang er in seinem Hoheitsgebiet für bestimmte oder alle Seekabotagelinien von,
zwischen und nach Inseln Seekabotagedienste wünsche. Dann müsse er prüfen, ob der Markt selbst,
ohne staatliche Eingriffe, in diesem Umfang Linien oder Verbindungen anbieten könne. Sei dies nicht
der Fall, müsse der betreffende Mitgliedstaat schließlich prüfen, ob die Seekabotagedienste in dem
von ihm gewünschten Umfang dadurch gewährleistet werden könnten, dass er Gemeinschaftsreedern
gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlege. Nur wenn ein solcher Umfang durch diesen Reedern
auferlegte gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen nicht gewährleistet werden könne, dürfe der
Mitgliedstaat auf das Mittel des Abschlusses eines Vertrages über gemeinwirtschaftliche
Verkehrsdienste mit einem der Reeder zurückgreifen.
59.
Nach Ansicht der Kommission ist ein Mitgliedstaat grundsätzlich nicht daran gehindert, generell
gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen aufzuerlegen und für eine oder mehrere Linien, für die solche
Verpflichtungen bestünden, einen Vertrag über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste zu schließen,
um Dienstleistungen in ausreichendem Umfang zu gewährleisten. Würden diese beiden Formen jedoch
gleichzeitig verwendet, so müsse der Umfang der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen so gering
wie möglich sein, damit keine Hindernisse geschaffen würden, die zu Wettbewerbsverzerrungen führen
könnten.
60.
Der Wortlaut von Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3577/92 allein erlaubt nicht die
Beantwortung der Frage, ob die zwei in dieser Bestimmung vorgesehenen Formen der Erbringung
gemeinwirtschaftlicher Dienstleistungen - der Vertrag über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste
oder gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen für die Reeder - von den Mitgliedstaaten gleichzeitig oder
nur alternativ verwendet werden können.
61.
Nach der neunten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 3577/92 soll mit beiden Formen das
gleiche Ziel erreicht werden, nämlich ausreichende regelmäßige Seeverkehrsdienste von, zwischen
und nach Inseln zu gewährleisten.
62.
Die beiden Formen unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer Natur und ihres Wirkungsgrads
voneinander.
63.
Mit dem Abschluss eines Vertrages erreicht die Behörde, dass sich der Reeder verpflichtet, die
darin vereinbarten Verkehrsdienste zu erbringen. Der Reeder wird aber grundsätzlich nur dann zu
solchen Vereinbarungen bereit sein, wenn sich der Mitgliedstaat verpflichtet, ihm eine Gegenleistung
wie z. B. einen finanziellen Ausgleich zu gewähren.
64.
Werden außerhalb eines Vertrages gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegt, so steht es
dem Reeder dagegen grundsätzlich frei, die fraglichen Verkehrsdienste zu erbringen. Nur wenn er sie
erbringt, muss er dabei die auferlegten Verpflichtungen beachten. Im Übrigen kann gemäß Artikel 4
Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr. 3577/92 auch in diesem Fall ein finanzieller Ausgleich
gewährt werden, wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende spanische Regelung zeigt.
65.
Ein Vergleich der Merkmale beider Formen der Erbringung von Seekabotagediensten ergibt somit,
dass das Instrument des Vertrages dem Staat größere Gewähr dafür bietet, dass die betreffende
Dienstleistung tatsächlich erbracht wird. Zudem bietet ein Vertrag, wie die spanische Regierung zu
Recht ausgeführt hat, die Gewähr dafür, dass im Fall seiner Kündigung der Dienstleistende die
Leistung bis zum Abschluss eines neuen Vertrages weiter erbringt, wobei dafür normalerweise eine
Gegenleistung gewährt werden muss.
66.
In Anbetracht der Merkmale beider Formen und ihrer Zielsetzung gibt es keinen Grund, sie nicht auf
ein und derselben Verkehrslinie oder -verbindung nebeneinander zu verwenden, um einen bestimmten
Umfang gemeinwirtschaftlicher Dienstleistungen zu gewährleisten. Aus den vom Generalanwalt in den
Nummern 109 bis 111 seiner Schlussanträge genannten Gründen könnte in Fällen, in denen der
erreichte Umfang der Dienstleistungen, auch nachdem den Reedern gemeinwirtschaftliche
Verpflichtungen auferlegt wurden, nicht für ausreichend erachtet wird oder spezielle Lücken bleiben,
für die Erbringung ergänzender Leistungen - wie in der spanischen Regelung vorgesehen - durch den
Abschluss eines Vertrages über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste gesorgt werden.
67.
Die Verordnung Nr. 3577/92 und speziell ihr Artikel 4 stehen somit einer nationalen Regelung der im
Ausgangsverfahren in Rede stehenden Art nicht entgegen, die den Rückgriff auf einen Vertrag über
gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste erlaubt, falls sich gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen, die
dem Reeder für eine bestimmte Linie oder regelmäßige Seeverkehrsverbindungen von, zwischen und
nach Inseln auferlegt wurden, als unzureichend erwiesen haben, um ein ausreichendes
Verkehrsangebot zu gewährleisten, doch ist eine solche gleichzeitige Anwendung beider Formen in
einem konkreten Fall nur bei Einhaltung einer Reihe ganz bestimmter Voraussetzungen mit dem
Gemeinschaftsrecht vereinbar.
68.
Hierzu geht erstens aus Randnummer 34 des vorliegenden Urteils hervor, dass die Mitgliedstaaten
den Gemeinschaftsreedern nur dann gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegen dürfen, wenn
ein wirklicher Bedarf an gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen nachweisbar ist. Dies gilt auch für
den Abschluss eines Vertrages über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste. Eine Kombination beider
Formen bei derselben Linie oder Verbindung wäre ebenfalls nur bei Einhaltung dieser Voraussetzung
gerechtfertigt.
69.
Zweitens ist nach Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 3577/92 bei der gleichzeitigen
Anwendung beider Formen darauf zu achten, dass kein Gemeinschaftsreeder diskriminiert wird.
70.
Drittens ist, da es sich um eine Beeinträchtigung des freien Dienstleistungsverkehrs im Bereich der
Seekabotage handelt, eine gleichzeitige Anwendung beider Formen nur dann gerechtfertigt und mit
Artikel 4 Absätze 1 und 2 in Verbindung mit Artikel 1 der Verordnung vereinbar, wenn sie mit dem
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Einklang steht. Die Kombination beider Formen der
Durchführung der genannten Dienstleistungen muss mit anderen Worten geeignet sein, einen
ausreichenden Leistungsumfang zu gewährleisten, und darf keine den freien Dienstleistungsverkehr
im Bereich der Seekabotage einschränkenden Wirkungen entfalten, die über das zur Erreichung des
verfolgten Zieles erforderliche Maß hinausgehen.
71.
Auf die dritte Frage ist deshalb zu antworten, dass Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3577/92
dahin auszulegen ist, dass ein Mitgliedstaat auf ein und derselben Seeverkehrslinie oder -verbindung
zur Durchführung desselben Liniendienstes von, zwischen oder nach Inseln einigen
Schifffahrtsunternehmen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegen und gleichzeitig mit
anderen Unternehmen Verträge über gemeinwirtschaftliche Verkehrsdienste im Sinne von Artikel 2
Nummer 3 der Verordnung schließen darf, sofern ein wirklicher Bedarf an gemeinwirtschaftlichen
Dienstleistungen nachweisbar ist und sofern diese gleichzeitige Anwendung beider Formen in nicht
diskriminierender Weise erfolgt und im Hinblick auf das im öffentlichen Interesse verfolgte Ziel
gerechtfertigt ist.
Kosten
72.
Die Auslagen der spanischen, der griechischen, der französischen und der norwegischen Regierung
sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in
dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache
dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Tribunal Supremo mit Beschluss vom 12. Mai 1999 vorgelegten Fragen für Recht
erkannt:
1. Nach Artikel 4 in Verbindung mit Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 3577/92 des Rates
vom 7. Dezember 1992 zur Anwendung des Grundsatzes des freien
Dienstleistungsverkehrs auf den Seeverkehr in den Mitgliedstaaten (Seekabotage) darf
die Erbringung regelmäßiger Seekabotagedienste von, zwischen und nach Inseln nur dann
von einer vorherigen behördlichen Genehmigung abhängig gemacht werden, wenn
- ein wirklicher Bedarf an gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen nachgewiesen
werden kann, weil bei freiem Wettbewerb keine ausreichenden regelmäßigen
Verkehrsdienste angeboten würden;
- ferner nachgewiesen wird, dass dieses System vorheriger behördlicher
Genehmigungen erforderlich ist und zu dem verfolgten Ziel in angemessenem Verhältnis
steht;
- ein solches System auf objektiven und nicht diskriminierenden Kriterien beruht, die
den betroffenen Unternehmen im Voraus bekannt sind.
2. Das Gemeinschaftsrecht steht der Befugnis eines Mitgliedstaats nicht entgegen, die
Erteilung und die Aufrechterhaltung einer vorherigen behördlichen Genehmigung, mit der
einem Gemeinschaftsreeder gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegt werden, von
einer Voraussetzung abhängig zu machen, die wie die Auflage, dass er seinen
Zahlungsverpflichtungen in Bezug auf Steuern und Sozialabgaben nachgekommen sein
muss, eine Beurteilung seiner Solvenz erlaubt und dem Mitgliedstaat damit die
Möglichkeit gibt, die „Dienstleistungskapazität“ dieses Reeders zu prüfen, sofern diese
Voraussetzung in nicht diskriminierender Weise angewandt wird.
3. Artikel 4 Absatz 1 der Verordnung Nr. 3577/92 ist dahin auszulegen, dass ein
Mitgliedstaat auf ein und derselben Seeverkehrslinie oder -verbindung zur Durchführung
desselben Liniendienstes von, zwischen oder nach Inseln einigen
Schifffahrtsunternehmen gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen auferlegen und
gleichzeitig mit anderen Unternehmen Verträge über gemeinwirtschaftliche
Verkehrsdienste im Sinne von Artikel 2 Nummer 3 der Verordnung schließen darf, sofern
ein wirklicher Bedarf an gemeinwirtschaftlichen Dienstleistungen nachweisbar ist und
sofern diese gleichzeitige Anwendung beider Formen in nicht diskriminierender Weise
erfolgt und im Hinblick auf das im öffentlichen Interesse verfolgte Ziel gerechtfertigt ist.
Rodríguez Iglesias
Gulmann
Wathelet
Edward Jann Sevón
Schintgen
Macken Colneric von Bahr
Timmermans
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 20. Februar 2001.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
Verfahrenssprache: Spanisch.