Urteil des EuGH vom 19.10.2000

EuGH: verordnung, kommission, wein, vergleich, anpassung, anhörung, einspruch, regierung, republik, mitgliedstaat

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Erste Kammer)
19. Oktober 2000
„Landwirtschaft- Gemeinsame Agrarmarktorganisation - Weinmarkt - Regelung der obligatorischen
Destillation“
In der Rechtssache C-155/99
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) von der Pretura Treviso,
Außenstelle Oderzo (Italien), in dem bei dieser anhängigen Verfahren
Giuseppe Busolin u. a.
gegen
Ispettorato Centrale Repressione Frodi - Ufficio di Conegliano - Ministero delle Risorse agricole,
alimentari e forestali,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Gültigkeit von Artikel 39 Absätze 3, 4 und 11 der
Verordnung (EWG) Nr. 822/87 des Rates vom 16. März 1987 über die gemeinsame Marktorganisation für
Wein (ABl. L 84, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1566/93 des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L
154, S. 39) und die Gültigkeit der Verordnung (EG) Nr. 343/94 der Kommission vom 15. Februar 1994 zur
Eröffnung der obligatorischen Destillation gemäß Artikel 39 der Verordnung Nr. 822/87 und zur Abweichung
von diesbezüglichen Durchführungsbestimmungen für das Wirtschaftsjahr 1993/94 (ABl. L 44, S. 9)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Wathelet sowie der Richter A. La Pergola und P. Jann
(Berichterstatter),
Generalanwalt: G. Cosmas
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- von G. Busolin, vertreten durch Rechtsanwalt I. Cacciavillani, Venedig, und Rechtsanwalt A. Cimino, Padua,
- der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del Estado R. Silva de Lapuerta als Bevollmächtigte,
- des Rates der Europäischen Union, vertreten durch Rechtsberater J. Carbery und T. Gallas als
Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch F. Ruggeri Laderchi, Juristischer
Dienst, als Bevollmächtigten im Beistand von Rechtsanwalt A. Dal Ferro, Vicenza,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von G. Busolin, des Rates und der Kommission in der Sitzung
vom 18. Mai 2000,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. Juni 2000,
folgendes
Urteil
1.
Die Pretura Treviso, Außenstelle Oderzo, hat mit Beschluss vom 7. April 1999, beim Gerichtshof
eingegangen am 27. April 1999, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) sechs Fragen
nach der Gültigkeit von Artikel 39 Absätze 3, 4 und 11 der Verordnung (EWG) Nr. 822/87 des Rates
vom 16. März 1987 über die gemeinsame Marktorganisation für Wein (ABl. L 84, S. 1) in der Fassung
der Verordnung (EWG) Nr. 1566/93 des Rates vom 14. Juni 1993 (ABl. L 154, S. 39; im Folgenden:
Verordnung Nr. 822/87) und der Gültigkeit der Verordnung (EG) Nr. 343/94 der Kommission vom 15.
Februar 1994 zur Eröffnung der obligatorischen Destillation gemäß Artikel 39 der Verordnung Nr.
822/87 und zur Abweichung von diesbezüglichen Durchführungsbestimmungen für das Wirtschaftsjahr
1993/94 (ABl. L 44, S. 9) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Verfahren zwischen G. Busolin u. a., die sämtlich Weinbauern
sind, (im Folgenden: Betroffene) und dem Ispettorato Centrale Repressione Frodi - Ufficio di
Conegliano - Ministero delle Risorse agricole, alimentari e forestali (im Folgenden: Ministerium)
betreffend Geldbußen, die gegen die Betroffenen nach nationalem Recht wegen Verstoßes gegen die
Gemeinschaftsvorschriften über die obligatorische Destillation von Tafelwein verhängt worden waren.
3.
Wegen der Darstellung der Gemeinschafts- und der nationalen Regelung wird auf das Urteil des
Gerichtshofes vom 29. Oktober 1998 in der Rechtssache C-375/96 (Zaninotto, Slg. 1998, I-6629)
verwiesen, in dem es um die gleichen Regelungen ging.
Das Ausgangsverfahren
4.
Der Betroffene Busolin ist ein Weinerzeuger der Region Venezien. Das Ministerium verhängte gegen
ihn am 17. April 1996 eine Geldbuße wegen Zuwiderhandlung gegen Artikel 39 der Verordnung Nr.
822/87 mit der Begründung, er habe seine Verpflichtungen im Zusammenhang mit der obligatorischen
Destillation von Tafelwein im Wirtschaftsjahr 1993/94 nicht erfüllt, da er es unterlassen habe, 379,47
Hektoliter Wein zur obligatorischen Destillation zu liefern.
5.
Der Betroffene legte gegen diese Entscheidung am 31. Mai 1996 Einspruch beim vorlegenden
Gericht ein. Mit besonderen Schriftsätzen legten auch andere Weinbauern fristgemäß Einspruch
gegen Entscheidungen des Ministeriums ein, mit denen gegen sie ähnliche Sanktionen verhängt
worden waren. Die Verfahren wurden miteinander verbunden.
6.
Die Betroffenen machten geltend, die Gemeinschaftsregelung über die Verpflichtung der
italienischen Erzeuger, bestimmte Mengen Tafelwein im Weinwirtschaftsjahr 1993/94 zu destillieren, sei
rechtswidrig.
7.
Da die Pretura Treviso Bedenken hinsichtlich der Gültigkeit einiger Gemeinschaftsbestimmungen
über die obligatorische Destillation von Tafelwein hatte, hat sie das Verfahren ausgesetzt und dem
Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die Entscheidung der Kommission, die obligatorische Menge für das Wirtschaftsjahr 1993/94
gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 343/94 auf die einzelnen Erzeugungsregionen aufzuteilen, wegen
Verstoßes gegen Artikel 39 Absatz 11 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 822/87 in der Fassung
der Verordnung Nr. 1972/87 ungültig, da nicht festgestellt worden ist, dass dessen gesetzliche
Voraussetzung einer „merklichen Veränderung“ des Verhältnisses zwischen der „Verfügbarkeit“ und
den „normalen Verwendungszwecken“ für das Wirtschaftsjahr 1993/94 im Vergleich zum Verhältnis
zwischen der „Verfügbarkeit“ und den „normalen Verwendungszwecken“ für die
Bezugswirtschaftsjahre 1981/82, 1982/83 und 1983/84 erfüllt ist?
2. Hilfsweise gegenüber der ersten Frage:
Ist die Entscheidung der Kommission, die obligatorische Menge für das Wirtschaftsjahr 1993/94
gemäß der Verordnung (EG) Nr. 343/94 auf die einzelnen Erzeugungsregionen aufzuteilen, wegen
Verstoßes gegen Artikel 190 EG-Vertrag (und zwar wegen Begründungsmangels) ungültig, da in der
Verordnung Nr. 343/94 und in den dieser vorausgegangenen Rechtsakten und Dokumenten jeder
Hinweis auf eine Prüfung der Frage fehlt, ob die gesetzliche Voraussetzung einer „merklichen
Veränderung“ des Verhältnisses zwischen der „Verfügbarkeit“ und den „normalen
Verwendungszwecken“ für das Wirtschaftsjahr 1993/94 im Vergleich zum Verhältnis zwischen der
„Verfügbarkeit“ und den „normalen Verwendungszwecken“ für die Bezugswirtschaftsjahre 1981/82,
1982/83 und 1983/84 erfüllt ist?
3. Ist die Verordnung (EG) Nr. 343/94, wonach Italien zur Destillation von 12 150 000 hl Wein
verpflichtet ist, angesichts der im Bericht vom 13. März 1998 beschriebenen, von der Kommission
angewandten „Berechnungsmethode“ wegen Verstoßes gegen das Vernunftprinzip, offensichtlichen
Irrtums und Verstoßes gegen den Regelungszweck deshalb rechtswidrig, weil die Aktualisierung des
Prozentsatzes von 85 % sachwidrig und unlogisch ist, bei der Parameter miteinander in Beziehung
gesetzt worden sind, die mit der Realität des Weinmarktes des Jahres 1993/94 nichts zu tun haben?
4. Ist die Verordnung (EG) Nr. 343/94, wonach Italien zur Destillation von 12 150 000 hl verpflichtet
ist, wegen Verstoßes gegen Artikel 39 Absatz 11 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 822/87 in der
Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1972/87 rechtswidrig, weil die Änderung desProzentsatzes durch
die Kommission danach festgestellt worden ist, inwieweit sich das Verhältnis zwischen der in den
Jahren 1981/82, 1982/83 und 1983/84 erzeugten Menge Tafelwein (145 Mio. hl) und den normalen
Verwendungszwecken für das Jahr 1984/85 im Vergleich zu dem Verhältnis zwischen der Erzeugung der
Jahre 1981/82, 1982/83 und 1983/84 (145 Mio. hl) und den normalen Verwendungszwecken für das
Jahr 1993/94 geändert hat, was mit dem Wortlaut der fraglichen Vorschrift nicht in Einklang steht?
5. Hilfsweise gegenüber der dritten und der vierten Frage:
Ist Artikel 39 Absatz 11 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 822/87 in der Fassung der
Verordnung (EWG) Nr. 1972/87 für den Fall, dass er dahin auszulegen ist, dass er zu einer solchen
Berechnungsmethode ermächtigt, aus den Gründen und unter Berücksichtigung der Berechnungen,
die im Vorlagebeschluss dargelegt worden sind, wegen Verstoßes gegen das Vernunftprinzip,
offensichtlichen Irrtums, Verstoßes gegen den Regelungszweck und Verstoßes gegen das
Diskriminierungsverbot des Artikels 40 EG-Vertrag rechtswidrig?
6. Sind Artikel 39 Absätze 3, 4 und 11 der Verordnung (EWG) Nr. 822/87 in der Fassung der
Verordnung (EG) Nr. 1566/93 und die Verordnung (EG) Nr. 343/94, die zur Durchführung der
erstgenannten Rechtsakte ergangen ist, unter Berücksichtigung der Ausführungen des
Vorlagebeschlusses wegen Verstoßes gegen das Vernunftprinzip, offensichtlichen Irrtums,
Ermessensmißbrauchs und Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit rechtswidrig?
Zu den Vorlagefragen
8.
Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof im Urteil Zaninotto, das auf die Vorlage der
Pretura circondariale Treviso zu einem gleichartigen Sachverhalt hin ergangen ist, festgestellt hat,
dass die Prüfung der zahlreichen Fragen, die in dieser Rechtssache gestellt worden waren, nichts
ergeben hat, was der Gültigkeit der fraglichen Regelung entgegenstünde, mit der für das
Weinwirtschaftsjahr 1993/94 die im Rahmen der obligatorischen Destillation von Tafelwein zu
destillierende Menge aufgeteilt und die von Italien insgesamt zu destillierende Menge auf 12 150 000
hl festgesetzt wurde. Der Gerichtshof hat insbesondere ausgeführt, dass der ursprünglich in Artikel 39
Absatz 3 Unterabsatz 3 der Verordnung Nr. 822/87 vorgesehene Referenzsatz von 85 % von der
Kommission im Rahmen ihrer Befugnisse für das Weinwirtschaftsjahr 1993/94 auf 55,01 % angepasst
werden musste, um der Entwicklung des Verbrauchs Rechnung zu tragen, der im Laufe der Zeit
deutlich zurückgegangen war (Urteil Zaninotto, Randnrn. 25 ff.). Außerdem war Italien bei der
Anwendung dieses Prozentsatzesnicht zu seinen Lasten anders als die anderen Mitgliedstaaten
behandelt worden (Urteil Zaninotto, Randnr. 31).
9.
Die vorliegende Rechtssache betrifft erneut die Rechtmäßigkeit der Anpassung des Referenzsatzes
von 85 %, die die Kommission für das Wirtschaftsjahr 1993/94 vorgenommen hat und aufgrund deren
sie die von jedem Mitgliedstaat zu destillierende Menge festgesetzt hat. Vor dem vorlegenden Gericht
haben die Betroffenen weitere ähnliche Fragen zur Rechtmäßigkeit der Italien auferlegten
Destillationsverpflichtung aufgeworfen. Das vorlegende Gericht meint, dass diese Fragen gegenüber
der Rechtssache Zaninotto neu und nicht offensichtlich unbeachtlich seien. Es hat daher eine
erneute Anrufung des Gerichtshofes für notwendig gehalten.
10.
Zwar werden die Fragen in der vorliegenden Rechtssache unter einem anderen Gesichtspunkt als
in der Rechtssache Zaninotto gestellt; sie betreffen jedoch dieselben Aspekte der fraglichen
Gemeinschaftsregelung und deren Auswirkungen auf die Weinbauern der Italienischen Republik, was
das vorlegende Gericht auch eingeräumt hat.
11.
Die in der vorliegenden Rechtssache vorgetragenen Aspekte,
- die merkliche Veränderung des Verhältnisses zwischen der Verfügbarkeit und den normalen
Verwendungszwecken für das Wirtschaftsjahr 1993/94 im Vergleich zu den Bezugswirtschaftsjahren sei
nicht im Rahmen von Artikel 1 der Verordnung Nr. 343/94 festgestellt worden (erste und vierte Frage),
so dass eine Verletzung der Begründungspflicht vorliege (zweite Frage),
- die Anpassung des von der Kommission für das Wirtschaftsjahr 1993/94 berechneten
Referenzsatzes sei fehlerhaft (dritte Frage),
- die Berechnungsmethode für die Anpassung des Referenzsatzes, wie sie mit der Verordnung Nr.
1972/87 des Rates vom 2. Juli 1987 zur Änderung der Verordnung Nr. 822/87 (ABl. L 184, S. 26)
eingeführt worden sei, sei rechtswidrig (fünfte Frage) und
- der allgemeine Vorwurf, die Regelung der obligatorischen Destillation von Tafelwein sei insgesamt
nicht den Marktbedingungen angepasst und sei dies auch nie gewesen (sechste Frage),
sind jedoch nicht geeignet, das in Randnummer 8 dieses Urteils in Erinnerung gerufene Ergebnis, zu
dem der Gerichtshof im Urteil Zaninotto gelangt ist, in Frage zu stellen, dass die genannte Regelung
der obligatorischen Destillation gültig ist.
12.
Dieses Ergebnis wird durch die Ausführungen des Generalanwalts in den Nummern 42 bis 54 (zur
ersten und vierten Frage), 58 bis 62 (zur zweiten Frage), 66 bis 71(zur dritten Frage), 79 bis 82 (zur
fünften Frage) und 88 bis 100 (zur sechsten Frage) seiner Schlussanträge bestätigt.
13.
Daraus folgt, dass die Prüfung der vorgelegten Fragen nichts ergeben hat, was der Gültigkeit von
Artikel 39 Absätze 3, 4 und 11 der Verordnung Nr. 822/87 sowie der Verordnung Nr. 343/94
entgegenstünde.
Kosten
14.
Die Auslagen der spanischen Regierung, des Rates und der Kommission, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens;
die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
auf die ihm vom Pretore von Treviso, Auswärtige Kammer Oderzo, mit Beschluss vom 7. April 1999
vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
Die Prüfung der vorgelegten Fragen hat nichts ergeben, was der Gültigkeit von Artikel 39
Absätze 3, 4 und 11 der Verordnung (EWG) Nr. 822/87 des Rates vom 16. März 1987 über die
gemeinsame Marktorganisation für Wein in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 1566/93
des Rates vom 14. Juni 1993 sowie der Gültigkeit der Verordnung (EG) Nr. 343/94 der
Kommission vom 15. Februar 1994 zur Eröffnung der obligatorischen Destillation gemäß
Artikel 39 der Verordnung Nr. 822/87 und zur Abweichung von diesbezüglichen
Durchführungsbestimmungen für die Wirtschaftsjahre 1993/94 entgegenstünde.
Wathelet
La Pergola
Jann
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. Oktober 2000.
Der Kanzler
Der Präsident der Ersten Kammer
R. Grass
M. Wathelet
Verfahrenssprache: Italienisch.