Urteil des EuGH vom 01.04.2004

EuGH: dienstleistung, kommission, vorsteuerabzug, regierung, unternehmer, juristische person, lieferung, mitgliedstaat, steuerpflichtiger, steuerbefreiung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
1. April 2004
„Vorabentscheidungsersuchen – Auslegung von Artikel 18 Absatz 1 der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie –
Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Abzug der als Vorsteuer entrichteten Mehrwertsteuer –
Empfänger einer Dienstleistung nach Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie –
Gestellung von Personal durch einen im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen – Empfänger, der die
Mehrwertsteuer als Leistungsempfänger schuldet – Erfordernis des Besitzes einer Rechnung – Inhalt der
Rechnung“
In der Rechtssache C-90/02
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom deutschen Bundesfinanzhof in dem bei diesem
anhängigen Rechtsstreit
Finanzamt Gummersbach
gegen
Gerhard Bockemühl
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 18 Absatz 1 und 22 Absatz 3
der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften
der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche
steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der Fassung der Richtlinien 91/680/EWG des
Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung
der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1) und 92/111/EWG
des Rates vom 14. Dezember 1992 zur Änderung der Richtlinie 77/388 und zur Einführung von
Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer (ABl. L 384, S. 47)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Richters P. Jann in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Fünften Kammer
sowie der Richter A. Rosas und S. von Bahr (Berichterstatter),
Generalanwalt: F. G. Jacobs,
Kanzler: M. F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und M. Lumma als Bevollmächtigte,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch E. Traversa und K. Gross als
Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt A. Böhlke,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen des Finanzamts Gummersbach, vertreten durch F. Fürst als
Bevollmächtigten, von Herrn Bockemühl, vertreten durch J. A. Nohl und C. Hesener, Steuerberater, und der
Kommission, vertreten durch K. Gross im Beistand von A. Böhlke, in der Sitzung vom 11. September 2003,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. Oktober 2003,
folgendes
Urteil
1
Mit Beschluss vom 22. November 2001, eingegangen beim Gerichtshof am 15. März 2002, hat der
Bundesfinanzhof gemäß Artikel 234 EG drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 18 Absatz 1 und 22
Absatz 3 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der
Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem:
einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1) in der Fassung der Richtlinien
91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember 1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems
und zur Änderung der Richtlinie 77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen (ABl. L 376, S. 1)
und 92/111/EWG des Rates vom 14. Dezember 1992 zur Änderung der Richtlinie 77/388 und zur Einführung
von Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer (ABl. L 384, S. 47) (im Folgenden: Sechste
Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2
Diese Fragen stellten sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Finanzamt Gummersbach (im Folgenden:
Finanzamt) und Herrn Bockemühl wegen der Weigerung des Finanzamts, Herrn Bockemühl den Abzug der
Mehrwertsteuer auf an ihn erbrachte Dienstleistungen zu erlauben. Sie betreffen im Wesentlichen die
Voraussetzungen für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts nach Artikel 18 Absatz 1 der Sechsten
Richtlinie in den Fällen, in denen der betreffende Steuerpflichtige selbst die genannte Steuer schuldet, weil
der Erbringer der fraglichen Dienstleistungen nicht in dem betreffenden Staat ansässig ist.
Rechtlicher Rahmen
3
Artikel 2 Absatz 1 der Sechsten Richtlinie sieht vor, dass der Mehrwertsteuer Lieferungen von Gegenständen
und Dienstleistungen unterliegen, die ein Steuerpflichtiger als solcher im Inland gegen Entgelt ausführt.
4
Für Dienstleistungen bestimmt sich der Ort des steuerbaren Umsatzes nach Artikel 9 dieser Richtlinie,
dessen Absatz 1 vorsieht, dass als solcher der Ort gilt, an dem der Dienstleistende den Sitz seiner
wirtschaftlichen Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, von wo aus die Dienstleistung erbracht wird,
oder in Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen festen Niederlassung sein Wohnort oder sein
üblicher Aufenthaltsort. Als Ausnahme von dieser Regel gilt jedoch nach Artikel 9 Absatz 2:
„a)
als Ort einer Dienstleistung im Zusammenhang mit einem Grundstück, einschließlich der
Dienstleistung von Grundstücksmaklern und ‑sachverständigen, und als Ort einer Dienstleistung zur
Vorbereitung oder zur Koordinierung von Bauleistungen, wie z. B. die Leistungen von Architekten und
Bauaufsichtsbüros, der Ort, an dem das Grundstück gelegen ist;
e)
als Ort der folgenden Dienstleistungen, die an außerhalb der Gemeinschaft ansässige Empfänger
oder an innerhalb der Gemeinschaft, jedoch außerhalb des Landes des Dienstleistenden ansässige
Steuerpflichtige erbracht werden, der Ort, an dem der Empfänger den Sitz seiner wirtschaftlichen
Tätigkeit oder eine feste Niederlassung hat, für welche die Dienstleistung erbracht worden ist, oder in
Ermangelung eines solchen Sitzes oder einer solchen Niederlassung sein Wohnort oder sein üblicher
Aufenthaltsort:
...
Gestellung von Personal,
…“
5
Zum Recht auf Vorsteuerabzug bestimmt Artikel 17 Absatz 2 der Sechsten Richtlinie:
„Soweit die Gegenstände und Dienstleistungen für Zwecke seiner besteuerten Umsätze verwendet werden,
ist der Steuerpflichtige befugt, von der von ihm geschuldeten Steuer folgende Beträge abzuziehen:
a)
die im Inland geschuldete oder entrichtete Mehrwertsteuer für Gegenstände und Dienstleistungen,
die ihm von einem anderen Steuerpflichtigen geliefert wurden oder geliefert werden bzw. erbracht
wurden oder erbracht werden,
…“
6
Artikel 18 dieser Richtlinie über die Einzelheiten der Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug lautet wie
folgt:
„(1) Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss der Steuerpflichtige
a)
über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a abziehbare Steuer eine nach Artikel 22 Absatz 3
ausgestellte Rechnung besitzen;
b)
über die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe b abziehbare Steuer ein die Einfuhr bescheinigendes
Dokument besitzen, das ihn als Empfänger oder Importeur ausweist und aus dem sich der
geschuldete Steuerbetrag ergibt oder aufgrund dessen seine Berechnung möglich ist;
c)
in Bezug auf die nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe c abziehbare Steuer die von jedem Mitgliedstaat
vorgeschriebenen Formalitäten erfüllen;
d)
bei der Entrichtung der Steuer als Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger im Falle der Anwendung
des Artikels 21 Ziffer 1 die von jedem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfüllen;
(3) Die Mitgliedstaaten legen die Bedingungen und Einzelheiten fest, nach denen einem Steuerpflichtigen
gestattet werden kann, einen Abzug vorzunehmen, den er nach den Absätzen 1 und 2 nicht vorgenommen
hat.
…“
7
Hinsichtlich der Steuerschuldner bestimmt Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe a Unterabsatz 1 der Sechsten
Richtlinie, dass der Steuerpflichtige, der eine steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen durchführt bzw.
eine steuerpflichtige Dienstleistung erbringt, mit Ausnahme der Dienstleistungen nach Buchstabe b die
Mehrwertsteuer im inneren Anwendungsbereich schuldet. Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe a Unterabsätze 2
und 3 der Sechsten Richtlinie sieht jedoch vor:
„Wird die steuerpflichtige Lieferung von Gegenständen bzw. die steuerpflichtige Dienstleistung von einem
nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen bewirkt bzw. erbracht, so können die Mitgliedstaaten die
erforderlichen Regelungen treffen, nach denen die Steuer von einer anderen Person geschuldet wird. Als
solche kann unter anderem ein Steuervertreter oder der Empfänger der steuerpflichtigen Lieferung von
Gegenständen bzw. der steuerpflichtigen Dienstleistung bestimmt werden.
Die Steuer wird jedoch vom Empfänger der steuerpflichtigen Lieferung geschuldet, wenn folgende
Voraussetzungen gegeben sind:
Die von dem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen ausgestellte Rechnung entspricht Artikel 22
Absatz 3.
…“
8
Nach Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie schuldet der Empfänger einer Dienstleistung
im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe e dieser Richtlinie die Mehrwertsteuer, wenn die Dienstleistung
von einem im Ausland ansässigen Steuerpflichtigen erbracht wird.
9
Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe c bestimmt, dass jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung
oder einem ähnlichen Dokument ausweist, diese schuldet.
10
Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie sieht vor:
„(3)
a)
Jeder Steuerpflichtige hat für die Lieferungen von Gegenständen und die Dienstleistungen, die
er an einen anderen Steuerpflichtigen oder an eine nichtsteuerpflichtige juristische Person
bewirkt, eine Rechnung oder ein an deren Stelle tretendes Dokument auszustellen. …
b)
Die Rechnung muss getrennt den Preis ohne Steuer und den auf die einzelnen Steuersätze
entfallenden Steuerbetrag sowie gegebenenfalls die Steuerbefreiung ausweisen.
c)
Die Mitgliedstaaten legen die Kriterien fest, nach denen ein Dokument als Rechnung betrachtet
werden kann.
…“
11
Die Bundesrepublik Deutschland hat nach Artikel 21 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie in § 51 der
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993 (BGBl. 1993 I S. 565, im Folgenden: UStDV 1993) bestimmt:
„(1) Für folgende steuerpflichtige Umsätze hat der Leistungsempfänger die Steuer von der Gegenleistung
einzubehalten und an das für ihn zuständige Finanzamt abzuführen.
1.
Werklieferungen und sonstige Leistungen eines im Ausland ansässigen Unternehmers,
...
(3) Ein im Ausland ansässiger Unternehmer ist ein Unternehmer, der weder im Inland noch in einem
Zollfreigebiet einen Wohnsitz, seinen Sitz, seine Geschäftsleitung oder eine Zweigniederlassung hat.
Maßgebend ist der Zeitpunkt, in dem die Gegenleistung erbracht wird. Ist es zweifelhaft, ob der
Unternehmer diese Voraussetzungen erfüllt, so darf der Leistungsempfänger die Einbehaltung und
Abführung der Steuer nur unterlassen, wenn ihm der Unternehmer durch eine Bescheinigung des nach den
abgabenrechtlichen Vorschriften für die Besteuerung seiner Umsätze zuständigen Finanzamtes nachweist,
dass er kein Unternehmer im Sinne des Satzes 1 ist.
(4) Gegenleistung im Sinne des Absatzes 1 ist das Entgelt zuzüglich der Umsatzsteuer.“
12
In § 52 Absätze 2 und 3 UStDV 1993 sind jedoch Ausnahmen von den Verpflichtungen nach § 51 geregelt:
„(2) Der Leistungsempfänger ist nicht verpflichtet, die Steuer für die Leistung des Unternehmers
einzubehalten und abzuführen, wenn
1.
der Unternehmer keine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Steuer erteilt hat und
2.
der Leistungsempfänger im Falle des gesonderten Ausweises der Steuer den Vorsteuerabzug
hinsichtlich dieser Steuer voll in Anspruch nehmen könnte.
(3) Für die Voraussetzung in Absatz 2 Nr. 2 ist es nicht erforderlich, dass der leistende Unternehmer zum
gesonderten Ausweis der Steuer in einer Rechnung berechtigt ist.
...“
Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen
13
Herr Bockemühl betreibt in Deutschland ein Bauunternehmen. Im streitigen Veranlagungszeitraum setzte er
englische Bauarbeiter ein, die ihm von einem Unternehmen unter der Firma „Jaylink Bau Ltd Building
Contractors“ zur Verfügung gestellt worden waren. Dieses Unternehmen unterhielt eine Kontaktadresse in
den Niederlanden.
14
Die von diesen englischen Bauarbeitern verrichteten Arbeiten wurden ihm unter der genannten Firma in
Rechnung gestellt; die Rechnungen wiesen eine englische Umsatzsteuer-Identifikationsnummer aus. Die
Rechnungen vom 14. Dezember 1994 bis 22. März 1995 und vom 29. März 1995 bis 19. Juli 1995 gaben zwei
unterschiedliche Londoner Adressen an. Sie wiesen außerdem die in Rechnung gestellte Leistung als
Gewerke aus, obwohl es sich in Wirklichkeit um die Gestellung von Personal handelte.
15
Nach den Ermittlungen des Bundesamts für Finanzen gab es eine Gesellschaft mit der Firma „Jaylink Building
Contractors Ltd“, die am 21. Mai 1992 in das englische Handelsregister eingetragen worden war und deren
eingetragener Sitz sich an der auf den ersten Rechnungen angegebenen Adresse befand. In den lokalen
Telefonverzeichnissen war diese Gesellschaft nicht eingetragen.
16
Die Rechnungen wiesen keine Umsatzsteuer aus, sondern enthielten vielmehr den Vermerk „Nullregelung
Par. 52 UStDV vereinbart“. Nach einer Betriebsprüfung ging das Finanzamt allerdings davon aus, dass die in
Rechnung gestellten Leistungen nicht von dem darin genannten, sondern von einem unbekannten dritten
Unternehmen ausgeführt worden waren. Deshalb verlangte es mit Haftungsbescheid vom 23. August 1996
von Herrn Bockemühl als Empfänger der Dienstleistungen die Zahlung von Mehrwertsteuer in Höhe von
17 219,17 DM auf die fraglichen steuerbaren Umsätze.
17
Auf die Klage des Herrn Bockemühl hob das Finanzgericht Köln (Deutschland) diesen Bescheid sowie die
dazu ergangene Einspruchsentscheidung vom 27. März 1997 auf und stellte fest, es gebe „keine
vernünftigen Zweifel daran, dass die Identität zwischen Rechnungsaussteller und leistendem Unternehmer
gegeben ist“.
18
Das Finanzamt legte gegen dieses Urteil Revision zum Bundesfinanzhof ein und machte geltend, die
Voraussetzungen der so genannten Nullregelung des § 52 Absatz 2 Nummer 2 UStDV 1993 seien nicht
erfüllt, da zweifelhaft sei, wer die Leistungen erbracht habe. Herr Bockemühl hafte daher
gesamtschuldnerisch für die Steuer.
19
Laut Vorlagebeschluss wurde das Abzugsverfahren nach den §§ 51 ff. UStDV 1993 ab 1. Januar 2002 durch
ein Verfahren mit einer Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers ersetzt, da das Abzugsverfahren
nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar gewesen sei. Das vorlegende Gericht ist jedoch der Ansicht,
dass die genannten Paragrafen des UStDV 1993 für den streitigen Veranlagungszeitraum weiterhin
anwendbar blieben, soweit sie gemeinschaftsrechtskonform ausgelegt werden könnten.
20
Vor diesem Hintergrund geht das vorlegende Gericht zum Zwecke einer Auslegung der maßgeblichen
nationalen Bestimmungen im Einklang mit der Sechsten Richtlinie davon aus, dass die fraglichen
Dienstleistungen, sei es im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie über
Dienstleistungen im Zusammenhang mit einem Grundstück, sei es im Sinne des Artikels 9 Absatz 2
Buchstabe e dieser Richtlinie über die Gestellung von Personal, von einem im Ausland ansässigen
Steuerpflichtigen erbracht wurden und der Ort dieser Leistungen in Deutschland lag. Im Falle des Artikels 9
Absatz 2 Buchstabe e der Sechsten Richtlinie sei die Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 21 Nummer
1 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie verpflichtet, Herrn Bockemühl als Empfänger der Leistung als
Schuldner der Mehrwertsteuer zu behandeln.
21
Was das Recht auf Vorsteuerabzug im Sinne des § 52 Absatz 2 Nummer 2 UStDV 1993 anbelangt, ist das
vorlegende Gericht der Auffassung, dass Herr Bockemühl, da er die fraglichen Leistungen für Zwecke seiner
besteuerten Umsätze verwendet habe, befugt sein müsse, die Vorsteuer gemäß Artikel 17 Absatz 2
Buchstabe a der Sechsten Richtlinie abzuziehen. Da es gleichwohl Zweifel hinsichtlich der Voraussetzungen
des Rechts auf Vorsteuerabzug hegt, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende drei
Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1.
Muss der Empfänger von Dienstleistungen, der gemäß Artikel 21 Nummer 1 der Richtlinie 77/388/EWG
Steuerschuldner und als solcher in Anspruch genommen worden ist, um das Recht auf
Vorsteuerabzug ausüben zu können, gemäß Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 77/388 eine
nach Artikel 22 Absatz 3 der Richtlinie 77/388 ausgestellte Rechnung besitzen?
2.
Falls diese Frage zu bejahen ist: Welche Angaben muss die Rechnung enthalten? Ist es schädlich,
wenn statt der Gestellung von Personal die mit Hilfe dieses Personals erstellten Gewerke als
Leistungsgegenstand bezeichnet werden?
3.
Welche Rechtsfolgen hätten nicht behebbare Zweifel daran, dass der Rechnungsaussteller die
berechnete Leistung erbracht hat?
Zur ersten und zur zweiten Frage
22
Mit der ersten und der zweiten Frage, die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht
erstens wissen, ob das Recht eines Steuerpflichtigen, der als Empfänger einer Dienstleistung die darauf
anfallende Mehrwertsteuer schuldet, auf Vorsteuerabzug im Falle einer so genannten „Verlagerung der
Steuerschuld“ nur ausgeübt werden kann, wenn dieser Steuerpflichtige eine nach Artikel 22 Absatz 3 der
Sechsten Richtlinie ausgestellte Rechnung besitzt. Für den Fall der Bejahung dieser Frage möchte es
zweitens erfahren, welche Angaben diese Rechnung enthalten muss und insbesondere, ob der
Mehrwertsteuerbetrag sowie der Name und die Anschrift des Erbringers der Dienstleistungen anzugeben
sind und ob eine falsche Bezeichnung der Dienstleistung rechtliche Folgen für das Bestehen des
Vorsteuerabzugsrechts nach sich zieht.
23
Nach Ansicht der deutschen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die als
Einzige schriftliche Erklärungen eingereicht haben, steht die Anwendbarkeit des Artikels 18 Absatz 1
Buchstabe a der Sechsten Richtlinie auf den vorliegenden Fall außer Frage. Sie betonen, dass diese
Bestimmung ausdrücklich das Erfordernis des Besitzes einer nach Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie
ausgestellten Rechnung vorsehe, von dem es keine Ausnahme gebe.
24
Die deutsche Regierung ist der Auffassung, auch in den Fällen, in denen der Leistungsempfänger die
Mehrwertsteuer schulde, sei diese Verlagerung der Schuldnerschaft zu dessen Lasten nicht mehr als eine
andere Art der Erhebung der Mehrwertsteuer und könne keine Auswirkungen auf die Voraussetzungen des
Vorsteuerabzugs haben.
25
Die Kommission trägt außerdem vor, diese Ansicht entspreche der Systematik des Artikels 21 Nummer 1 der
Sechsten Richtlinie. Danach werde die Mehrwertsteuer nämlich bei Lieferungen von Gegenständen durch
einen nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen nur dann vom Empfänger geschuldet, wenn die Rechnung
Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie entspreche.
26
Sie verweist ferner auf die Änderungen, die inzwischen durch die Richtlinie 2001/115/EG des Rates vom 20.
Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 77/388 mit dem Ziel der Vereinfachung, Modernisierung und
Harmonisierung der mehrwertsteuerlichen Anforderungen an die Rechnungstellung (ABl. L 15, S. 24)
eingeführt worden seien. Der neue Wortlaut des Artikels 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie bestimme, dass
bei Steuerbefreiung oder wenn der Kunde Steuerschuldner sei, die Rechnung den Verweis auf die
einschlägige Bestimmung der Sechsten Richtlinie oder die entsprechende einzelstaatliche Bestimmung oder
einen Hinweis darauf enthalten müsse, dass für die Leistung eine Steuerbefreiung gelte bzw. diese der
Verlagerung der Steuerschuld unterliege.
27
Die deutsche Regierung bemerkt im Übrigen, dass die Rechnung aus der Sicht der Steuerverwaltung eine
wichtige Dokumentationsfunktion habe, da sie nachprüfbare Angaben darüber enthalte, in welcher Höhe der
Vorsteuerabzug zulässig sei, wenn der Mitgliedstaat Vorsteuerabzugsausschlüsse für bestimmte Leistungen
geregelt habe.
28
Auf eine schriftliche Frage des Gerichtshofes haben sowohl das Finanzamt als auch die deutsche Regierung
und die Kommission geantwortet, dass Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben a und d der Sechsten Richtlinie
kumulativ anzuwenden seien, so dass der Steuerpflichtige bei einer Verlagerung der Steuerschuld die
zusätzlichen Förmlichkeiten erfüllen müsse, die die Mitgliedstaaten in Wahrnehmung der ihnen nach Artikel
18 Absatz 1 Buchstabe d der Richtlinie eröffneten Möglichkeit vorschrieben. Diese Vorschrift ermächtige die
Mitgliedstaaten also nicht zu Ausnahmen im Sinne von Erleichterungen gegenüber den in Artikel 18 Absatz 1
Buchstabe a der Sechsten Richtlinie verlangten Voraussetzungen.
29
Die Kommission stellt fest, dass Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie jedenfalls
ausdrücklich auf die Anwendung des Artikels 21 Nummer 1 dieser Richtlinie verweise, wonach die
Steuerschuldverlagerung voraussetze, dass „[d]ie von dem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen
ausgestellte Rechnung … Artikel 22 Absatz 3 [entspreche]“. Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d halte damit
unverändert am Erfordernis des Besitzes einer Rechnung fest.
30
Zur Frage, ob die Rechnung den fraglichen Mehrwertsteuerbetrag ausweisen müsse, sind sowohl die
deutsche Regierung als auch die Kommission der Ansicht, dass Sinn und Zweck des Artikels 22 Absatz 3
Buchstabe b der Sechsten Richtlinie dafür sprächen, diesen in dem Fall, dass der Leistungsempfänger
Steuerschuldner sei, eng auszulegen und auf das Erfordernis eines getrennten Ausweises der
Mehrwertsteuer zu verzichten.
31
Die deutsche Regierung führt dafür verschiedene Gründe an. Erstens müsse der Leistungsempfänger als
Steuerschuldner den von ihm abzuführenden Mehrwertsteuerbetrag selbst berechnen, ohne auf
entsprechende Angaben des leistenden Unternehmers angewiesen zu sein. Zweitens würde der leistende
Unternehmer im Falle eines gesonderten Ausweises der Mehrwertsteuer nach Artikel 21 Nummer 1
Buchstabe c der Sechsten Richtlinie neben dem Leistungsempfänger Mehrwertsteuer schulden, was dem
Grundgedanken der Sechsten Richtlinie zuwiderliefe. Drittens macht die deutsche Regierung unter
Verweisung auf den Wortlaut des Artikels 22 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie in der inzwischen
durch die Richtlinie 2001/115 geänderten Fassung geltend, dass das dadurch geschaffene System Regeln
enthalte, die einen getrennten Ausweis des Mehrwertsteuerbetrags überflüssig machten.
32
Nach Auffassung der Kommission behandelt Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie eine
derartige Verlagerung der Steuerschuld wie eine Steuerbefreiung. Andernfalls würde der
Rechnungsaussteller die Mehrwertsteuer gemäß Artikel 21 Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie
allein wegen ihres Ausweises schulden, ohne dass der Leistungsempfänger hinsichtlich dieser
Mehrwertsteuer den Vorsteuerabzug geltend machen könnte. Sei der Leistungsempfänger Steuerschuldner,
genüge es also, in der Rechnung auf diesen Umstand oder auf die einschlägige Bestimmung hinzuweisen,
nach der dies der Fall sei.
33
Zum Namen und zur Adresse des Leistungserbringers verweist die deutsche Regierung zunächst auf die
Urteile des Gerichtshofes vom 14. Juli 1988 in den Rechtssachen 123/87 und 330/87 (Jeunehomme, Slg.
1988, 4517, Randnr. 17) und vom 17. September 1997 in der Rechtssache C-141/96 (Langhorst, Slg. 1997, I-
5073, Randnr. 17). Sie ist der Ansicht, wenn Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie und die
Rechtsprechung des Gerichtshofes die Mitgliedstaaten nicht verpflichteten, diese Angaben zu verlangen,
hätten diese auch nicht das Recht, zusätzliche Angaben zu fordern.
34
Die Kommission ist der Meinung, aus dem Urteil vom 13. Dezember 1989 in der Rechtssache 342/87 (Genius
Holding, Slg. 1989, 4227), nach dem das Vorliegen eines steuerpflichtigen Umsatzes überprüfbar sein
müsse, ergebe sich, dass die Rechnung die Identifizierung des Steuerpflichtigen mit Namen und Anschrift
sowie des betroffenen Umsatzes ermöglichen müsse.
35
Nach Ansicht der deutschen Regierung sollten die Mitgliedstaaten eine präzise Angabe der Art der Leistung
auf der Rechnung verlangen dürfen, um die genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen und
Steuerhinterziehung zu verhindern.
36
Die Kommission vertritt die Auffassung, da die Rechnung das wesentliche Mittel zur Kontrolle der korrekten
Handhabung der Mehrwertsteuer darstelle, müsse die Beschreibung der Umsätze hinreichend genau sein,
um die Art, die Steuerbarkeit und den Ort der Umsätze und damit gegebenenfalls den Steuerschuldner
bestimmen zu können.
37
Zunächst kann ein die Mehrwertsteuer schuldender Steuerpflichtiger, wie der Generalanwalt in Nummer 37
seiner Schlussanträge ausgeführt hat, als Empfänger von Gegenständen oder Dienstleistungen das Recht
auf Vorsteuerabzug nach Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie geltend machen. Die
späteren Änderungen dieser Bestimmung durch die Richtlinie 95/7/EG des Rates vom 10. April 1995 zur
Änderung der Richtlinie 77/388 und zur Einführung weiterer Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der
Mehrwertsteuer – Geltungsbereich bestimmter Steuerbefreiungen und praktische Einzelheiten ihrer
Durchführung (ABl. L 102, S. 18), mit der die in dieser Hinsicht bestehenden Unterschiede zwischen einigen
Sprachfassungen beseitigt wurden, bestätigen diese Ansicht.
38
Nach ständiger Rechtsprechung ist ferner das in Artikel 17 der Sechsten Richtlinie geregelte Recht auf
Vorsteuerabzug integrierender Bestandteil des Mechanismus der Mehrwertsteuer und kann grundsätzlich
nicht eingeschränkt werden. Dieses Recht kann für die gesamte Steuerbelastung der vorausgehenden
Umsatzstufen sofort ausgeübt werden (vgl. u. a. Urteile vom 6. Juli 1995 in der Rechtssache C-62/93, BP
Soupergaz, Slg. 1995, I-1883, Randnr. 18, und vom 21. März 2000 in den Rechtssachen C-110/98 bis C-
147/98, Gabalfrisa u. a., Slg. 2000, I-1577, Randnr. 43).
39
Durch die Regelung über den Vorsteuerabzug soll der Unternehmer vollständig von der im Rahmen seiner
wirtschaftlichen Tätigkeit geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlastet werden. Das
gemeinsame Mehrwertsteuersystem gewährleistet daher, dass alle wirtschaftlichen Tätigkeiten unabhängig
von ihrem Zweck und ihrem Ergebnis in neutraler Weise steuerlich belastet werden, sofern diese Tätigkeiten
selbst der Mehrwertsteuer unterliegen (vgl. u. a. Urteile vom 14. Februar 1985 in der Rechtssache 268/83,
Rompelman, Slg. 1985, 655, Randnr. 19, vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C‑37/95, Ghent Coal
Terminal, Slg. 1998, I-1, Randnr. 15, und vom 21. März 2000, Gabalfrisa u. a., Randnr. 44).
40
Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie sieht hinsichtlich der Voraussetzungen des
Vorsteuerabzugsrechts als allgemeine Regel vor, dass der Steuerpflichtige für den Vorsteuerabzug im Sinne
des Artikels 17 Absatz 2 Buchstabe a dieser Richtlinie eine nach Artikel 22 Absatz 3 dieser Richtlinie
ausgestellte Rechnung besitzen muss.
41
Für den Fall, dass die Mehrwertsteuer nach Artikel 21 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie vom
Leistungsempfänger geschuldet wird, bestimmt Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d dieser Richtlinie jedoch,
dass dieser die von jedem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfüllen muss.
42
Aus dem Vorlagebeschluss ergibt sich, dass Herr Bockemühl im vorliegenden Fall grundsätzlich berechtigt
ist, als Mehrwertsteuerschuldner das Vorsteuerabzugsrecht auszuüben. Er besitzt jedoch keine nach Artikel
22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellte Rechnung.
43
Daher stellt sich die Frage, ob bei einer Verlagerung der Steuerschuld wie im vorliegenden Fall nur Artikel 18
Absatz 1 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie oder, wie die deutsche Regierung, das Finanzamt und die
Kommission vortragen, auch Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a anwendbar ist.
44
In dieser Hinsicht ist erstens darauf hinzuweisen, dass Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie in der im
Ausgangsverfahren maßgebenden Fassung das Verfahren der Steuerschuldverlagerung nicht ausdrücklich
regelte. Wie die deutsche Regierung und die Kommission in ihren Erklärungen dargelegt haben, ergeben
sich bei der Anwendung dieser Vorschrift im Rahmen dieses Verfahrens Auslegungsschwierigkeiten
insbesondere hinsichtlich der Bestimmung, wonach die Angabe des Mehrwertsteuerbetrags Voraussetzung
für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts ist (vgl. Randnrn. 30 bis 32 des vorliegenden Urteils).
Außerdem wird zwar, wie in Randnummer 26 des vorliegenden Urteils ausgeführt, in den Änderungen des
Artikels 22 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie durch die Richtlinie 2001/115 die Verlagerung der
Steuerschuld genannt, Artikel 22 der Sechsten Richtlinie über die Pflicht zur Ausstellung einer Rechnung
regelt jedoch als solcher nicht die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs.
45
Zweitens ist zum Vorbringen der Kommission hinsichtlich der Systematik des Artikels 21 Nummer 1
Buchstabe a Unterabsatz 3 der Sechsten Richtlinie, diese Bestimmung sehe für Lieferungen von
Gegenständen durch einen nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen vor, dass die Mehrwertsteuer nur
dann vom Empfänger geschuldet werde, wenn die Rechnung Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie
entspreche, festzustellen, dass Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Sechsten Richtlinie
lediglich die Voraussetzungen nennt, unter denen der Empfänger einer Lieferung von Gegenständen zum
Schuldner der Mehrwertsteuer bestimmt werden kann.
46
Drittens kann aus einem ähnlichen Grund dem Vorbringen der Kommission, Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d
der Sechsten Richtlinie halte unverändert am Erfordernis des Besitzes einer Rechnung fest, nicht gefolgt
werden, denn diese Bestimmung verweist ausdrücklich auf die Anwendung des Artikels 21 Nummer 1 dieser
Richtlinie, und dessen Buchstabe a Unterabsatz 3 verlangt als Voraussetzung für eine Verlagerung der
Steuerschuld, dass „[d]ie von dem nicht im Inland ansässigen Steuerpflichtigen ausgestellte Rechnung …
Artikel 22 Absatz 3 [entspricht]“. Wie nämlich in der vorstehenden Randnummer festgestellt wurde, nennt
Artikel 21 Nummer 1 Buchstabe a Unterabsatz 3 der Sechsten Richtlinie lediglich die Voraussetzungen, unter
denen der Empfänger einer Lieferung von Gegenständen zum Schuldner der Mehrwertsteuer bestimmt
werden kann.
47
Artikel 18 Absatz 1 Buchstaben a und d der Sechsten Richtlinie sind folglich dahin auszulegen, dass nur
Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d auf das Verfahren der Steuerschuldverlagerung wie das im vorliegenden Fall
anwendbar ist. Ein Steuerpflichtiger, der als Empfänger einer Dienstleistung die darauf anfallende
Mehrwertsteuer schuldet, braucht für die Ausübung seines Vorsteuerabzugsrechts keine nach Artikel 22
Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellte Rechnung zu besitzen und muss nur die Förmlichkeiten
erfüllen, die der betreffende Mitgliedstaat in Wahrnehmung der ihm nach Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d
dieser Richtlinie eröffneten Möglichkeit vorgeschrieben hat.
48
Diese Auslegung wird im Übrigen durch den Wortlaut des Artikels 18 Absatz 1 Buchstabe c der Sechsten
Richtlinie bestätigt, wo mit derselben Formulierung wie in Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d zur Voraussetzung
gemacht wird, dass der Steuerpflichtige die von jedem Mitgliedstaat vorgeschriebenen Förmlichkeiten erfüllt.
Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe c ist auf Situationen der Zuordnung zum eigenen Unternehmen anwendbar, in
denen das Vorsteuerabzugsrecht folgerichtig nicht an das Erfordernis gebunden ist, eine nach Artikel 22
Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellte Rechnung zu besitzen.
49
Die den Mitgliedstaaten durch Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie eröffnete Möglichkeit
erlaubt diesen zwar, die Förmlichkeiten für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts bei einer
Steuerschuldverlagerung vorzuschreiben, diese Befugnis muss jedoch im Einklang mit einem der Ziele der
Sechsten Richtlinie ausgeübt werden, das darin besteht, die Erhebung der Mehrwertsteuer und ihre
Überprüfung durch die Steuerverwaltung sicherzustellen (vgl. zu Artikel 22 Absatz 3 Buchstabe c der
Sechsten Richtlinie das Urteil Langhorst, Randnr. 17). Außerdem kann diese Befugnis nur ausgeübt werden,
soweit die Auferlegung dieser Förmlichkeiten nicht wegen deren Zahl oder deren technischem Charakter die
Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts praktisch unmöglich macht oder übermäßig erschwert (vgl. zu Artikel
22 Absatz 3 Buchstabe b der Sechsten Richtlinie in Verbindung mit Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a dieser
Richtlinie das Urteil Jeunehomme, Randnr. 17).
50
Was Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe d der Sechsten Richtlinie anbelangt, darf daher weder die Zahl noch der
Umfang der für die Ausübung des Vorsteuerabzugsrechts zu erfüllenden Förmlichkeiten über das zur
Gewährleistung der korrekten Anwendung des betreffenden Verfahrens der Steuerschuldverlagerung
absolut Notwendige hinausgehen.
51
In diesem Zusammenhang erfüllt eine Rechnung zwar eine wichtige Dokumentationsfunktion, da sie
überprüfbare Angaben enthalten kann. Im Falle einer Steuerschuldverlagerung müsste jedoch die
Feststellung, dass und in welcher Höhe der Steuerpflichtige, der Empfänger einer Lieferung oder einer
Dienstleistung ist, Mehrwertsteuer schuldet, gerade auf der Grundlage überprüfbarer Angaben getroffen
worden sein. Verfügt die Steuerverwaltung über die Angaben, die für die Feststellung erforderlich sind, dass
der Steuerpflichtige als Empfänger der fraglichen Leistung die Mehrwertsteuer schuldet, so darf sie
hinsichtlich des Rechts des Steuerpflichtigen auf Abzug der Mehrwertsteuer keine zusätzlichen
Voraussetzungen festlegen, die die Ausübung dieses Rechts verhindern können.
52
Wenn also ein Steuerpflichtiger als Empfänger einer Dienstleistung zum Schuldner der darauf entfallenden
Mehrwertsteuer bestimmt wird, kann die Steuerverwaltung nicht als zusätzliche Voraussetzung für das
Vorsteuerabzugsrecht verlangen, dass er eine nach Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellte
Rechnung besitzt. Ein derartiges Erfordernis würde nämlich dazu führen, dass der Steuerpflichtige einerseits
als Dienstleistungsempfänger die entsprechende Mehrwertsteuer schuldet, andererseits aber Gefahr läuft,
diese nicht abziehen zu können.
53
Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass ein Steuerpflichtiger, der nach Artikel 21 Nummer 1 der
Sechsten Richtlinie als Empfänger einer Dienstleistung die darauf entfallende Mehrwertsteuer schuldet, im
Rahmen eines Verfahrens der Steuerschuldverlagerung für die Ausübung seines Vorsteuerabzugsrechts
keine nach Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellte Rechnung zu besitzen braucht.
Zur zweiten und dritten Frage
54
Angesichts der Antwort auf die erste Frage sind die zweite und die dritte Frage nicht zu beantworten.
Kosten
55
Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen
abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren
ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 22. November 2001 vorgelegten Fragen für Recht
erkannt:
Ein Steuerpflichtiger, der nach Artikel 21 Nummer 1 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des
Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern – Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige
Bemessungsgrundlage in der Fassung der Richtlinien 91/680/EWG des Rates vom 16. Dezember
1991 zur Ergänzung des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems und zur Änderung der Richtlinie
77/388 im Hinblick auf die Beseitigung der Steuergrenzen und 92/111/EWG des Rates vom 14.
Dezember 1992 zur Änderung der Richtlinie 77/388 und zur Einführung von
Vereinfachungsmaßnahmen im Bereich der Mehrwertsteuer als Empfänger einer Dienstleistung
die darauf entfallende Mehrwertsteuer schuldet, braucht für die Ausübung seines
Vorsteuerabzugsrechts keine nach Artikel 22 Absatz 3 der Sechsten Richtlinie ausgestellte
Rechnung zu besitzen.
Jann
Rosas
von Bahr
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 1. April 2004.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
V. Skouris
Verfahrenssprache: Deutsch.