Urteil des EuGH vom 17.06.1999

EuGH: wirtschaftliche tätigkeit, eröffnung des verfahrens, kommission, staatliche beihilfe, unternehmen, gerichtshof der europäischen gemeinschaften, einstellung der zahlungen, bürgschaft

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
17. Juni 1999
„Staatliche Beihilfen — Artikel 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) — Neue Beihilfe — Vorherige
Meldung“
In der Rechtssache C-295/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG (früher Artikel 177) vom Tribunale Genua (Italien) in dem
bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Industrie Aeronautiche e Meccaniche Rinaldo Piaggio SpA
gegen
International Factors Italia SpA (Ifitalia),
Dornier Luftfahrt GmbH,
Ministero della Difesa
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 92 EG-Vertrag (nach
Änderung jetzt Artikel 87 EG)
erläßt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet sowie der Richter P. Jann, C. Gulmann, D. A. O.
Edward und M. Wathelet (Berichterstatter),
Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
— der Industrie Aeronautiche e Meccaniche Rinaldo Piaggio SpA, vertreten durch Rechtsanwalt Tomaso
Galletto, Genua,
— der Dornier Luftfahrt GmbH, vertreten durch Rechtsanwälte Antonio Fusillo und Alessandro Fusillo, Rom,
und Rechtsanwalt Gianfranco Nasuti, Genua,
— der italienischen Regierung, vertreten durch Professor Umberto Leanza, Leiter des Servizio del
contenzioso diplomatico des Außenministeriums, als Bevollmächtigten, im Beistand von Avvocato dello Stato
Oscar Fiumara,
— der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater Gérard Rozet und
Paolo Stancanelli, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Industrie Aeronautiche e Meccaniche Rinaldo Piaggio SpA,
vertreten durch Rechtsanwälte Tomaso Galletto und Ivano Cavanna, Genua, der Dornier Luftfahrt GmbH,
vertreten durch Rechtsanwälte Antonio und Alessandro Fusillo, der italienischen Regierung, vertreten durch
Oscar Fiumara, und der Kommission, vertreten durch Paolo Stancanelli, in der Sitzung vom 27. Januar 1999,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 4. März 1999,
folgendes
Urteil
1.
Das Tribunale Genua hat mit Beschluß vom 29. Juli 1997, beim Gerichtshof eingegangen am 11.
August 1997, gemäß Artikel 234 EG (früher Artikel 177) zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels
92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Industrie Aeronautiche e Meccaniche
Rinaldo Piaggio SpA (nachstehend: Piaggio) und der Gesellschaft deutschen Rechts Dornier Luftfahrt
GmbH (nachstehend: Dornier) wegen Rückzahlung des von Piaggio an Dornier gezahlten Betrages von
30 028 894 382 LIT.
3.
Piaggio hatte bei Dornier drei Luftfahrzeuge für die italienischen Streitkräfte gekauft. Zur Bezahlung
des Kaufpreises nahm Piaggio von Dezember 1992 an verschiedene Zahlungen,
Zahlungsanweisungen und Forderungsabtretungen zugunsten von Dornier vor.
4.
Aufgrund des vom Industrieminister zusammen mit dem Minister für das Staatsvermögen erlassenen
Dekrets vom 28. November 1994 (GURI Nr. 281 vom 1. Dezember 1994) wurde Piaggio der
Sonderverwaltung nach dem Gesetz Nr. 95/79 vom 3. April 1979 (GURI Nr. 94 vom 4. April 1979;
nachstehend: Gesetz Nr. 95/79) unterstellt. Diese Entscheidung erging nach einem Urteil des
Tribunale Genua vom 29. Oktober 1994, mit dem die Zahlungsunfähigkeit von Piaggio festgestellt und
die Möglichkeit bejaht wurde, dieses Unternehmen zum Verfahren der Sonderverwaltung zuzulassen.
5.
Am 14. Februar 1996 erhob Piaggio vor dem Tribunale Genua Klage mit dem Antrag, zum einen
sämtliche Zahlungen, Forderungsabtretungen und Zahlungsanweisungen, die in den zwei Jahren vor
Eröffnung des Verfahrens der Sonderverwaltung zugunsten von Dornier erfolgt seien, gegenüber der
Gesamtheit der Gläubiger für unwirksam zu erklären, und zum anderen Dornier zu verurteilen, die
entsprechenden Beträge einschließlich der Zinsen zurückzuzahlen. Piaggio trug dazu vor, Dornier
habe, obwohl sie von der Einstellung der Zahlungen gewußt habe, von ihr für den Verkauf der drei
Luftfahrzeuge unter Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung der Gläubiger eine Reihe von
Vorzugszahlungen in Höhe von insgesamt 30 028 894 382 LIT erhalten.
6.
Piaggio stützte ihre Klage auf Artikel 67 des Konkursgesetzes, der im vorliegenden Fall aufgrund der
Verweisungen in den Artikeln 1 des Gesetzes Nr. 95/79 und 203 des Konkursgesetzes anwendbar ist
und zugunsten der Gesamtheit der Gläubiger des zahlungsunfähigen Unternehmens die
Anfechtbarkeit der Zahlungen vorsieht, die in den zwei Jahren vor der Erklärung der
Zahlungsunfähigkeit und der Eröffnung des Verfahrens der Sonderverwaltung geleistet worden sind.
7.
Dornier machte zu ihrer Verteidigung insbesondere die Unvereinbarkeit des Gesetzes Nr. 95/79 mit
Artikel 92 EG-Vertrag geltend.
8.
Das Gesetz Nr. 95/79 hat ein Verfahren der Sonderverwaltung für in Schwierigkeiten befindliche
Großunternehmen eingeführt.
9.
Nach Artikel 1 Absatz 1 dieses Gesetzes kann dieses Verfahren auf Unternehmen angewandt
werden, die seit mindestens einem Jahr wenigstens 300 Arbeitnehmer beschäftigen und gegenüber
Kreditunternehmen, Vorsorgeeinrichtungen und Einrichtungen der sozialen Sicherheit oder
Gesellschaften, an denen der Staat die Mehrheit des Kapitals hält, Schulden haben, die mindestens
80 444 Milliarden LIT betragen und mehr als das Fünffache des eingezahlten Kapitals der Gesellschaft
ausmachen.
10.
Nach Artikel 1a dieses Gesetzes ist das Verfahren auch anwendbar, wenn sich die
Zahlungsunfähigkeit aus der Verpflichtung ergibt, an den Staat, öffentliche Einrichtungen oder
Gesellschaften, bei denen der Staat die Mehrheit des Kapitals hält, aufgrund der Rückforderung
rechtswidriger oder mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbarer Beihilfen oder im Rahmen von für
technologische Innovationen und Forschungstätigkeiten gewährten Finanzierungen Beträge
zurückzuzahlen, die sich auf mindestens 50 Milliarden LIT, die mindestens 51 % des eingezahlten
Kapitals ausmachen, belaufen.
11.
Um der Sonderverwaltung unterstellt zu werden, muß das Unternehmen nach Artikel 2 Absatz 1 des
Gesetzes Nr. 95/79 aufgrund des Konkursgesetzes oder wegen Nichtzahlung der Löhne und Gehälter
seit mindestens drei Monaten gerichtlich für zahlungsunfähig erklärt worden sein. Der
Industrieminister kann dann nach Anhörung des Ministers für das Staatsvermögen ein Dekret
erlassen, durch das das Unternehmen der Sonderverwaltung unterstellt wird, und dem Unternehmen
unter Berücksichtigung der Gläubigerinteressen erlauben, seine Tätigkeit während eines Zeitraums
von höchstens zwei Jahren, der im Einverständnis mit dem interministeriellen Ausschuß für die
Koordinierung der Industriepolitik (im folgenden: CIPI) um höchstens zwei weitere Jahre verlängert
werden kann, fortzusetzen.
12.
Der Sonderverwaltung unterstellte Unternehmen unterliegen den allgemeinen Vorschriften des
Konkursgesetzes, soweit das Gesetz Nr. 95/79 oder spätere Gesetze keine ausdrücklichen Ausnahmen
vorsehen. So kann der Eigentümer des zahlungsunfähigen Unternehmens im Fall der
Sonderverwaltung ebenso wie in demjenigen des normalen Liquidationsverfahrens nicht über dessen
Aktiva verfügen; diese dienen grundsätzlich der Gläubigerbefriedigung; die Zinsen auf die
bestehenden Schulden werden ausgesetzt; die zur Erfüllung von Verbindlichkeiten in einem
bestimmten Zeitraum vor der Erklärung der Zahlungsunfähigkeit geleisteten Zahlungen sind
anfechtbar; gegen die Vermögensgegenstände des betroffenen Unternehmens dürfen keine
Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen durchgeführt oder fortgesetzt werden. Im Unterschied zum
normalen Konkursverfahren erstreckt sich jedoch im Falle der Sonderverwaltung die Aussetzung
jeglicher Zwangsvollstreckungsmaßnahmen nach Artikel 4 des Gesetzes Nr. 544/81 auch auf
Steuerschulden sowie auf Zwangsgelder, Zinsen und Zuschläge bei verspäteter Zahlung der
Körperschaftsteuer.
13.
Nach Artikel 2a des Gesetzes Nr. 95/79 kann der Staat für Verbindlichkeiten, die die unter
Sonderverwaltung gestellten Gesellschaften zur Finanzierung der laufenden Verwaltung und zur
Wiederinbetriebnahme und Fertigstellung von Anlagen, Gebäuden und betrieblichen Einrichtungen
eingehen, unter den durch Dekret des Ministers für das Staatsvermögen nach Zustimmung des CIPI
festgesetzten Bedingungen und Modalitäten ganz oder teilweise eine Bürgschaft übernehmen.
14.
Im Rahmen der Sanierung dürfen unter den im Gesetz Nr. 95/79 vorgesehenen Modalitäten
sämtliche Betriebsstätten des zahlungsunfähigen Unternehmens verkauft werden. In diesem Fall
unterliegt die vollständige oder teilweise Übertragung des Eigentums an dem Unternehmen nach
Artikel 5a dieses Gesetzes einer pauschalen Registersteuer in Höhe von einer Million LIT.
15.
Ferner sind die unter Sonderverwaltung gestellten Unternehmen nach Artikel 3 Absatz 2 des
Gesetzes Nr. 19/87 vom 6. Februar 1987 (GURI Nr. 32 vom 9. Februar 1987) von der Zahlung der
wegen Nichtzahlung der Sozialversicherungspflichtbeiträge verhängten Geldbußen und Zwangsgelder
befreit.
16.
Wird einem unter Sonderverwaltung gestellten Unternehmen gestattet, seine Tätigkeit fortzusetzen,
so muß der hierfür bestellte Verwalter nach Artikel 2 zweiter Gedankenstrich des Gesetzes Nr. 95/79
einen geeigneten Verwaltungsplan aufstellen, dessen Vereinbarkeit mit den Leitlinien der staatlichen
Industriepolitik vom CIPI geprüft wird, bevor der Industrieminister ihn genehmigt. Auch Entscheidungen
wie diejenigen über die Restrukturierung, den Verkauf der Aktiva, die Liquidation oder die Beendigung
der Sonderverwaltung müssen von diesem Minister genehmigt werden.
17.
Erst nach Beendigung des Verfahrens der Sonderverwaltung können die Gläubiger des dieser
Verwaltung unterstellten Unternehmens durch Liquidation seiner Aktiva oder aus seinen neuen
Gewinnen ganz oder teilweise befriedigt werden. Nach den Artikeln 111 und 212 des Konkursgesetzes
werden die durch die Sonderverwaltung und die Fortführung des Betriebes des Unternehmens
verursachten Kosten einschließlich der eingegangenen Verbindlichkeiten durch Verwertung der Masse
vorrangig vor den bei der Eröffnung des Verfahrens der Sonderverwaltung bestehenden Forderungen
befriedigt.
18.
Das Verfahren der Sonderverwaltung endet, wenn ein Vergleich durchgeführt worden ist, die Aktiva
vollständig verteilt sind, die Forderungen vollständig erfüllt oder die Aktiva unzureichend sind oder
aber wenn das Unternehmen wieder in der Lage ist, seinen Verpflichtungen nachzukommen, und
damit wieder eine ausgeglichene Finanzlage besteht.
19.
Die Kommission wies in ihrem Schreiben E 13/92 (ABl. 1994, C 395, S. 4) an die italienische
Regierung gemäß Artikel 88 Absatz 1 EG (früher Artikel 93 Absatz 1
EG-Vertrag) darauf hin, daß das Gesetz Nr. 95/79 in vielfacher Hinsicht unter die Artikel 92 ff. EG-
Vertrag falle, und forderte die Regierung auf, ihr alle Fälle der Anwendung dieses Gesetzes im voraus
zu melden, damit diese anhand der Beihilfenregelung für in Schwierigkeiten befindliche Unternehmen
geprüft werden könnten.
20.
Da sich die italienischen Behörden in ihrer Antwort hierauf nur zu einer vorherigen Unterrichtung in
den Fällen der Gewährung der staatlichen Bürgschaft nach Artikel 2a des Gesetzes Nr. 95/79 bereit
erklärten, beschloß die Kommission, das Verfahren nach Artikel 88 Absatz 2 EG zu eröffnen. Aus den
Akten ergibt sich nicht, daß dieses Verfahren bis jetzt zu einer endgültigen Entscheidung der
Kommission geführt hat.
21.
Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht wegen Zweifeln an der Vereinbarkeit des
Gesetzes Nr. 95/79 mit Artikel 92 EG-Vertrag beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem
Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist es zulässig, daß ein nationales Gericht den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
ersucht, sich unmittelbar zur Vereinbarkeit einer Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats mit Artikel 92
EG-Vertrag (staatliche Beihilfen) zu äußern?
2. Bejahendenfalls: Ist davon auszugehen, daß der italienische Staat mit dem Gesetz Nr. [95] vom 3.
April 1979 zur Einführung der Sonderverwaltung von Großunternehmen in der Krise, insbesondere mit
den in der Begründung dieses Vorlagebeschlusses aufgeführten Maßnahmen dieses Gesetzes,
bestimmten, in dieser Regelung bezeichneten Unternehmen (nämlich Großunternehmen) Beihilfen
gewährt hat, die gegen Artikel 92 EG-Vertrag verstoßen?
Zur Zulässigkeit der Vorlage
22.
Nach Ansicht von Piaggio ist die Vorlage unzulässig, da in dem Vorlagebeschlußnicht hinreichend
und klar der rechtliche Rahmen angegeben worden sei, in dem die Auslegung, um die ersucht werde,
vorzunehmen sei. Auch seien die vorgelegten Fragen für die Lösung des Rechtsstreits nicht erheblich,
da die Anfechtungsklage auf allgemeine konkursrechtliche Vorschriften gestützt werde, nach denen
Zahlungen anfechtbar seien, die in den zwei Jahren vor der Erklärung der Zahlungsunfähigkeit
geleistet worden seien.
23.
Der Vorlagebeschluß stellt den rechtlichen Rahmen, der dem Vorabentscheidungsersuchen
zugrunde liegt, in der Tat nur in knapper Form dar, doch kann dies nicht zur Unzulässigkeit des
Ersuchens führen. Die Darstellung ist nämlich ausreichend, um die vorgelegten Fragen klar zu
verstehen.
24.
Im übrigen ist es allein Sache des mit dem Rechtsstreit befaßten nationalen Gerichts, das die
Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung übernehmen muß, im Hinblick auf die
Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlaß
seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu
beurteilen (vgl. insbesondere Urteil vom 1. Dezember 1998 in der Rechtssache C-200/97, Ecotrade,
Slg, 1998, I-0000, Randnr. 25).
25.
Des weiteren genügt die Feststellung, daß im vorliegenden Fall die Frage, ob eine Regelung, wie sie
das Gesetz Nr. 95/79 eingeführt hat, als neue oder als bestehende Beihilfe zu qualifizieren ist, was der
Gerichtshof im Rahmen der engen Zusammenarbeit mit den nationalen Gerichten, zu der er
verpflichtet ist, von sich aus prüfen muß, nicht ohne Bedeutung für die Entscheidung des
Ausgangsrechtsstreits ist, berücksichtigt man die Konsequenzen, die das vorlegende Gericht aus dem
Fehlen einer vorherigen Mitteilung der eventuell vorliegenden Beihilferegelung an die Kommission im
Hinblick auf die Artikel 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) und Artikel 88 EG (früher
Artikel 93) möglicherweise ziehen muß.
26.
Zudem läßt sich nicht ohne weiteres behaupten, daß im Fall der Durchführung des allgemeinen
Konkursverfahrens gegenüber Piaggio die Lage von Dornier in jeder Hinsicht gleich gewesen wäre,
insbesondere hinsichtlich der Chancen dieses Unternehmens, seine Geldforderungen zumindest
teilweise einzutreiben, trotz der Tatsache, daß die Zahlungen während des Verdachtzeitraums vor der
Erklärung der Zahlungsunfähigkeit auch in allgemeinen Konkursverfahren anfechtbar sind. Die
Beurteilung dieser Frage ist Sache des nationalen Gerichts.
27.
Somit sind die Vorlagefragen zu beantworten.
Zur ersten Vorlagefrage
28.
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es den Gerichtshof ersuchen
kann, sich unmittelbar zu der Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit Artikel 92 EG-Vertrag zu
äußern.
29.
Der Gerichtshof ist nach ständiger Rechtsprechung in einem nach Artikel 234 EG eingeleiteten
Verfahren nicht zur Auslegung des nationalen Rechts oder zur Entscheidung über die Vereinbarkeit
einer nationalen Maßnahme mit dem Gemeinschaftsrecht befugt (vgl. u. a. Urteil vom 21. Januar 1993
in der Rechtssache C-188/91, Deutsche Shell, Slg. 1993, I-363, Randnr. 27).
30.
Was im einzelnen die Kontrolle angeht, ob die Mitgliedstaaten ihre Verpflichtungen aus den Artikeln
92 EG-Vertrag und 88 EG eingehalten haben, so ist den unterschiedlichen, einander ergänzenden
Rollen der nationalen Gerichte und der Kommission Rechnung zu tragen, die der Gerichtshof in seinem
Urteil vom 11. Juli
1996 in der Rechtssache C-39/94 (SFEI u. a., Slg. 1996, I-3547, Randnrn. 41 ff.) angeführt hat.
31.
Während für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfemaßnahmen mit dem Gemeinsamen Markt
ausschließlich die Kommission zuständig ist und dabei der Kontrolle des Gerichtshofes unterliegt,
wachen die nationalen Gerichte über die Wahrung der Rechte des einzelnen bei Verstößen gegen die
Verpflichtung nach Artikel 88 Absatz 3 EG, staatliche Beihilfen der Kommission im voraus zu melden.
32.
Um entscheiden zu können, ob eine staatliche Maßnahme, die ohne Beachtung des nach Artikel 88
Absatz 3 EG vorgeschalteten Prüfungsverfahrens eingeführt worden ist, diesem Verfahren hätte
unterworfen werden müssen, kann ein nationales Gericht zur Auslegung des Begriffes der Beihilfe im
Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag gezwungen sein. Hat es wie im vorliegenden Fall ausweislich des
Vorlagebeschlusses Zweifel, ob die betreffende Maßnahme als staatliche Beihilfe zu qualifizieren ist,
kann es die Kommission um entsprechende Erläuterungen bitten, oder es kann oder muß nach Artikel
234 Absätze 2 und 3 EG dem Gerichtshof eine Frage nach der Auslegung des Artikels 92 EG-Vertrag
zur Vorabentscheidung vorlegen (Urteil SFEI u. a., Randnrn. 49 bis 51).
33.
Für eine sachgerechte Antwort auf die Frage des vorlegenden Gerichts ist daher zu prüfen, ob eine
Regelung wie die des Gesetzes Nr. 95/79, die vom allgemeinen Konkursrecht abweicht, als staatliche
Beihilfe im Sinne von Artikel 92 EG-Vertrag zu qualifizieren ist und vor ihrer Durchführung der
Kommission gemäß Artikel 88 Absatz 3 EG hätte gemeldet werden müssen.
34.
Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ist der Begriff der Beihilfe weiter als der Begriff der
Subvention, denn er umfaßt nicht nur positive Leistungen wie Subventionen selbst, sondern auch
Maßnahmen, die in verschiedener Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen
normalerweise zu tragen hat und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes
darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen (vgl. Urteile vom 15. März 1994 in der
Rechtssache C-387/92, Banco Exterior de España, Slg. 1994, I-877, Randnr. 13, und Ecotrade, Randnr.
34).
35.
Der Begriff Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag schließt zwangsläufig Vorteile ein, die
unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln finanziert werden oder die eine zusätzliche
Belastung für den Staat oder die für diesen Zweck benannten oder errichteten Einrichtungen
darstellen (vgl. Urteil vom 7. Mai 1998 in den Rechtssachen C 52/97 bis C-54/97, Viscido u. a., Slg.
1998, I-2629, Randnr. 13).
36.
Wie der Gerichtshof im Urteil Ecotrade zu Artikel 4 Buchstabe c EGKS-Vertrag ausgeführt hat,
könnten mehrere Elemente der durch das Gesetz Nr. 95/79
eingeführten Regelung, insbesondere unter Berücksichtigung der Umstände des
Ausgangssachverhalts, als Beweis dafür dienen, daß eine Beihilfe im Sinne des Artikels 92 Absatz 1
EG-Vertrag vorliegt, sofern die Bedeutung, die diesen Elementen im folgenden beigelegt wird, durch
das vorlegende Gericht bestätigt wird.
37.
Wie sich aus den Akten ergibt, soll das Gesetz Nr. 95/79 gezielt zugunsten von in Schwierigkeiten
befindlichen großen Industrieunternehmen angewandt werden, die sehr hohe Schulden gegenüber
bestimmten Kategorien von — überwiegend öffentlich-rechtlichen — Gläubigern haben. Wie der
Gerichtshof in Randnummer 38 des Urteils Ecotrade festgestellt hat, ist es sogar
höchstwahrscheinlich, daß der Staat oder öffentliche Einrichtungen zu den Hauptgläubigern des
betroffenen Unternehmens zählen.
38.
Auch wenn der Industrieminister bei seinen Entscheidungen, das in Schwierigkeiten befindliche
Unternehmen unter Sonderverwaltung zu stellen und ihm die Fortführung seiner Tätigkeit zu erlauben,
soweit wie möglich die Interessen der Gläubiger und insbesondere die Möglichkeiten zur Aufwertung
der Aktiva des Unternehmens berücksichtigen sollte, sind diese Entscheidungen, wie der Gerichtshof
in Randnummer 39 des Urteils Ecotrade festgestellt und das vorlegende Gericht bestätigt hat, doch
auch von dem Bestreben getragen, die wirtschaftliche Tätigkeit des Unternehmens aus Erwägungen
der staatlichen Industriepolitik aufrechtzuerhalten.
39.
Berücksichtigt man dazu, welche Unternehmen unter die streitige Regelung fallen und wieweit das
Ermessen des Ministers reicht, insbesondere wenn er einem unter Sonderverwaltung stehenden
zahlungsunfähigen Unternehmen die Fortsetzung seiner Tätigkeit gestattet, dann erfüllt die
betreffende Regelung die Voraussetzung der Spezifizität, die eines der Merkmale des Begriffes der
staatlichen Beihilfe ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. September 1996 in der Rechtssache C-
241/94, Frankreich/Kommission, Slg. 1996, I-4551, Randnrn. 23 und 24).
40.
Unabhängig von dem vom nationalen Gesetzgeber verfolgten Ziel ist die streitige Regelung
offensichtlich geeignet, die Unternehmen, für die sie gilt, in eine günstigere Lage zu versetzen als
andere, indem sie ihnen erlaubt, ihre wirtschaftliche Tätigkeit unter Umständen fortzusetzen, unter
denen dies bei Anwendung der normalen konkursrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen wäre, da
diese entscheidend auf den Schutz der Gläubigerinteressen abstellen. Angesichts des Vorrangs der
Forderungen, die mit der Fortsetzung der wirtschaftlichen Tätigkeit zusammenhängen, kann die
Genehmigung zu einer solchen Fortsetzung unter diesen Umständen eine zusätzliche Belastung für die
öffentliche Hand mit sich bringen, wenn tatsächlich feststeht, daß der Staat oder öffentliche
Einrichtungen zu den Hauptgläubigern des in Schwierigkeiten befindlichen Unternehmens gehören,
zumal dieses definitionsgemäß erhebliche Beträge schuldet.
41.
Die Anordnung der Sonderverwaltung hat neben der Gewährung der staatlichen Bürgschaft nach
Artikel 2a des Gesetzes Nr. 95/79, zu deren vorheriger Mitteilung an die Kommission sich die
italienischen Behörden bereit erklärt haben, zur Folge, daß das Verbot und die Aussetzung jeglicher
Einzelzwangsvollstreckungsmaßnahmen auf Steuerschulden sowie auf Zwangsgelder, Zinsen und
Zuschläge im Fall der verspäteten Zahlung der Körperschaftsteuer ausgedehnt werden, wegen
Nichtzahlung der Sozialabgaben verhängte Geldbußen und Zwangsgelder erlassen werden und im
Falle der vollständigen oder teilweisen Übertragung des Unternehmens ein Vorzugssatz angewandt
wird, da die Übertragung einer pauschalen Registersteuer in Höhe von einer Million LIT unterliegt,
während die normale Registersteuer 3 % des Wertes der übertragenen Gegenstände beträgt.
42.
Derartige vom nationalen Gesetzgeber gewährte Vergünstigungen können ebenfalls eine
zusätzliche Belastung der öffentlichen Hand in Form einer staatlichen Bürgschaft, eines tatsächlichen
Verzichts auf öffentliche Forderungen, des Erlasses von Geldbußen oder anderen Zwangsgeldern
oder einer Verringerung des Abgabensatzes bewirken. Etwas anderes könnte nur gelten, wenn
nachgewiesen wäre, daß die Anordnung der Sonderverwaltung und die Fortsetzung der
wirtschaftlichen Tätigkeit des Unternehmens tatsächlich nicht zu einer zusätzlichen Belastung für den
Staat im Vergleich zu derjenigen, die sich aus der Anwendung der normalen konkursrechtlichen
Vorschriften ergeben hätte, geführt haben oder führen sollen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts,
dies im einzelnen zu prüfen, nachdem es gegebenenfalls die Kommission um Erläuterungen gebeten
hat.
43.
Aufgrund all dessen ist festzustellen, daß die Anwendung einer Regelung wie derjenigen des
Gesetzes Nr. 95/79, die von den allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften abweicht, auf ein
Unternehmen sich als Gewährung einer staatlichen Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-
Vertrag darstellt, wenn feststeht, daß diesem Unternehmen
— erlaubt worden ist, seine wirtschaftliche Tätigkeit unter Umständen fortzusetzen, unter denen
dies bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen gewesen wäre,
oder
— eine oder mehrere Vergünstigungen wie eine staatliche Bürgschaft, ein verringerter Abgabensatz,
ein Erlaß von Geldbußen und anderen Zwangsgeldern oder ein völliger oder teilweiser tatsächlicher
Verzicht auf öffentliche Forderungen gewährt worden sind, auf die ein anderes zahlungsunfähiges
Unternehmen bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften keinen Anspruch hätte
erheben können.
44.
Der Vertrag hat in Artikel 88 EG die fortlaufende Überprüfung und Überwachung der Beihilfen durch
die Kommission vorgesehen und geregelt. Bei neuen Beihilfen,
die die Mitgliedstaaten einführen wollen, ist nach dieser Bestimmung vorher ein Verfahren
durchzuführen, ohne das eine Beihilfe nicht als rechtmäßig eingeführt angesehen werden kann. Nach
Artikel 88 Absatz 3 Satz 1 EG ist die beabsichtigte Einführung oder Umgestaltung einer Beihilfe vor
deren Gewährung der Kommission zu melden.
45.
Die Kommission hat die Regelung des Gesetzes Nr. 95/79 jedoch als „bestehende staatliche
Beihilfe“ qualifiziert, obwohl dieses Gesetz, wie sie selbst einräumt, nach dem Inkrafttreten des
Vertrages erlassen und ihr trotzdem nicht nach Artikel 88 Absatz 3 EG gemeldet worden ist. Sie führt
für ihre Auffassung Zweckmäßigkeitsgründe an, u. a. ihre Zweifel, die sich über 14 Jahre hingezogen
hätten, ob das Gesetz Nr. 95/79 als staatliche Beihilfe zu qualifizieren sei, das Vertrauen der dieser
Regelung unterliegenden Wirtschaftsteilnehmer, die seltene Anwendung der Regelung und die
praktische Unmöglichkeit, die Rückzahlung der eventuell rückforderbaren Beträge zu erreichen.
46.
Diese Auffassung ist abzulehnen.
47.
Die Antwort auf die Frage, ob eine neue Beihilfe vorliegt und folglich vor ihrer Einführung das
Prüfungsverfahren nach Artikel 88 Absatz 3 EG eingeleitet werden muß, kann nicht von der subjektiven
Einschätzung der Kommission abhängen.
48.
Wie der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 9. August 1994 in der Rechtssache C-44/93
(Namur-Les assurances du crédit, Slg. 1994, I-3829, Randnr. 13) entschieden hat, ergibt sich sowohl
aus dem Inhalt als auch aus den Zielsetzungen der Bestimmungen des Artikels 88 EG (früher 93), daß
als bestehende Beihilfen im Sinne des Absatzes 1 dieses Artikels die Beihilfen anzusehen sind, die vor
dem Inkrafttreten des Vertrages bestanden oder die unter den Voraussetzungen des Artikels 88
Absatz 3 EG einschließlich derjenigen, die sich aus der Auslegung dieser Vorschrift durch den
Gerichtshof in dem Urteil vom 11. Dezember 1973 in der Rechtssache 120/73 (Lorenz, Slg. 1973, 1471,
Randnrn. 4 bis 6) ergeben, ordnungsgemäß durchgeführt werden durften. Als neue Beihilfen, für die
die Anzeigepflicht gemäß der letztgenannten Bestimmung gilt, sind dagegen die Maßnahmen
anzusehen, die auf die Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen gerichtet sind, wobei sich die
Umgestaltung auf bestehende Beihilfen oder auf der Kommission mitgeteilte ursprüngliche Vorhaben
beziehen kann.
49.
Wenn feststeht, daß eine Regelung wie die des Gesetzes Nr. 95/79 als solche staatliche Beihilfen im
Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag gewähren kann, kann sie infolgedessen nicht angewandt
werden, wenn sie der Kommission nicht gemeldet worden ist, und falls sie gemeldet worden ist, bevor
eine Entscheidung der Kommission ergangen ist, mit der die Vereinbarkeit der geplanten Beihilfe mit
dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird, oder falls die Kommission binnen zwei Monaten vom
Zeitpunkt der Anmeldung an keine Entscheidung erläßt, bevor diese Frist abgelaufen ist (vgl. Urteil
Lorenz, Randnr. 4).
50.
Somit ist auf die erste Frage zu antworten:
Der Gerichtshof ist in einem nach Artikel 234 EG eingeleiteten Verfahren nicht zur Auslegung des
nationalen Rechts oder zur Entscheidung über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit
Artikel 92 EG-Vertrag befugt. Das nationale Gericht kann jedoch, wenn es mit einem Antrag wegen der
Konsequenzen aus einem Verstoß gegen Artikel 88 Absatz 3 letzter Satz EG befaßt ist, die Kommission
um Erläuterungen bitten oder es kann oder muß nach Artikel 234 Absätze 2 und 3 EG dem Gerichtshof
eine Frage nach der Auslegung des Artikels 92 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorlegen, um
entscheiden zu können, ob die betreffenden staatlichen Maßnahmen staatliche Beihilfen darstellen,
die der Kommission hätten gemeldet werden müssen.
Die Anwendung einer Regelung wie derjenigen des Gesetzes Nr. 95/79, die von den allgemeinen
konkursrechtlichen Vorschriften abweicht, auf ein Unternehmen stellt sich als Gewährung einer
staatlichen Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag dar, wenn feststeht, daß diesem
Unternehmen
— erlaubt worden ist, seine wirtschaftliche Tätigkeit unter Umständen fortzusetzen, unter denen
dies bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften ausgeschlossen gewesen wäre,
oder
— eine oder mehrere Vergünstigungen wie eine staatliche Bürgschaft, ein verringerter Abgabensatz,
ein Erlaß von Geldbußen und anderen Zwangsgeldern oder ein völliger oder teilweiser tatsächlicher
Verzicht auf öffentliche Forderungen gewährt worden sind, auf die ein anderes zahlungsunfähiges
Unternehmen bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften keinen Anspruch hätte
erheben können.
Wenn feststeht, daß eine Regelung wie die des Gesetzes Nr. 95/79 als solche staatliche Beihilfen im
Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag gewähren kann, kann sie nicht angewandt werden, wenn sie
der Kommission nicht gemeldet worden ist, und falls sie gemeldet worden ist, bevor eine Entscheidung
der Kommission ergangen ist, mit der die Vereinbarkeit der geplanten Beihilfe mit dem Gemeinsamen
Markt festgestellt wird, oder falls die Kommission binnen zwei Monaten vom Zeitpunkt der Anmeldung
an keine Entscheidung erläßt, bevor diese Frist abgelaufen ist.
Zur zweiten Vorlagefrage
51.
Angesichts der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich eine Antwort auf die zweite Frage.
Kosten
52.
Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof
abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das
Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Tribunale Genua mit Beschluß vom 29. Juli 1997 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Der Gerichtshof ist in einem nach Artikel 234 EG (früher Artikel 177) eingeleiteten
Verfahren nicht zur Auslegung des nationalen Rechts oder zur Entscheidung über die
Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit Artikel 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt
Artikel 87 EG) befugt. Das nationale Gericht kann jedoch, wenn es mit einem Antrag wegen
der Konsequenzen aus einem Verstoß gegen Artikel 88 Absatz 3 letzter Satz EG (früher
Artikel 93 Absatz 3 letzter Satz) befaßt ist, die Kommission um Erläuterungen bitten oder
es kann oder muß nach Artikel 234 Absätze 2 und 3 EG dem Gerichtshof eine Frage nach
der Auslegung des Artikels 92 EG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorlegen, um
entscheiden zu können, ob die betreffenden staatlichen Maßnahmen staatliche Beihilfen
darstellen, die der Kommission hätten gemeldet werden müssen.
2. Die Anwendung einer Regelung wie derjenigen des Gesetzes Nr. 95/79 vom 3. April
1979, die von den allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften abweicht, auf ein
Unternehmen stellt sich als Gewährung einer staatlichen Beihilfe im Sinne von Artikel 92
Absatz 1 EG-Vertrag dar, wenn feststeht, daß diesem Unternehmen
— erlaubt worden ist, seine wirtschaftliche Tätigkeit unter Umständen fortzusetzen,
unter denen dies bei Anwendung der allgemeinen konkursrechtlichen Vorschriften
ausgeschlossen gewesen wäre, oder
— eine oder mehrere Vergünstigungen wie eine staatliche Bürgschaft, ein verringerter
Abgabensatz, ein Erlaß von Geldbußen und anderen Zwangsgeldern oder ein völliger oder
teilweiser tatsächlicher Verzicht auf öffentliche Forderungen gewährt worden sind, auf
die ein anderes zahlungsunfähiges Unternehmen bei Anwendung der allgemeinen
konkursrechtlichen Vorschriften keinen Anspruch hätte erheben können.
3. Wenn feststeht, daß eine Regelung wie die des Gesetzes Nr. 95/79 als solche
staatliche Beihilfen im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag gewähren kann, kann sie
nicht angewandt werden, wenn sie der Kommission nicht gemeldet worden ist, und falls
sie gemeldet worden ist, bevor eine Entscheidung der Kommission ergangen ist, mit der
die Vereinbarkeit der geplanten Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt wird,
oder falls die Kommission binnen zwei Monaten vom Zeitpunkt der Anmeldung an keine
Entscheidung erläßt, bevor diese Frist abgelaufen ist.
Puissochet
Jann
Gulmann
Edward
Wathelet
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Juni 1999.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
J. -P. Puissochet
Verfahrenssprache: Italienisch.