Urteil des EuGH vom 21.09.2000
EuGH: grundsatz der gleichbehandlung, verordnung, freizügigkeit der arbeitnehmer, auszahlung, soziale sicherheit, mitgliedstaat, staatsangehörigkeit, diskriminierung, kommission, mindestbetrag
WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Vierte Kammer)
21. September 2000
„Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer - Gleichbehandlung -
Nationale Rechtsvorschriften, wonach für die Überweisung einer Rentennachzahlung ins Ausland ein höherer
Mindestbetrag gilt
als für die Überweisung im Inland“
In der Rechtssache C-124/99
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Sozialgericht Münster
(Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Carl Borawitz
gegen
Landesversicherungsanstalt Westfalen,
beigeladen:
Bundesrepublik Deutschland,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet
der sozialen Sicherheit, insbesondere des Grundsatzes der Gleichbehandlung,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward (Berichterstatter) sowie der Richter P. J. G.
Kapteyn und A. La Pergola,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: R. Grass
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater P. Hillenkamp und N.
Yerrell, zum Juristischen Dienst abgeordnete nationale Beamtin, als Bevollmächtigte,
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Februar 2000,
folgendes
Urteil
1.
Das Sozialgericht Münster hat mit Beschluss vom 12. März 1999, beim Gerichtshof eingegangen am
14. April 1999, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung des
Gemeinschaftsrechts auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit, insbesondere des Grundsatzes der
Gleichbehandlung, zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Carl Borawitz (im Folgenden: Kläger) und der
Landesversicherungsanstalt Westfalen (im Folgenden: LVA) über deren Weigerung, dem Kläger eine
Rentennachzahlung auszuzahlen.
Gemeinschaftsrecht
3.
Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) bestimmt:
„(1) Spätestens bis zum Ende der Übergangszeit wird innerhalb der Gemeinschaft die Freizügigkeit
der Arbeitnehmer hergestellt.
(2) Sie umfasst die Abschaffung jeder auf der Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen
Behandlung der Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten in bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und
sonstige Arbeitsbedingungen.
...“
4.
Die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der
sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die
innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 1945/93 des
Rates vom 30. Juni 1993 (ABl. L 181, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr.
1408/71), regelt in Artikel 3 Absatz 1 den Grundsatz der Gleichbehandlung:
„Die Personen, die im Gebiet eines Mitgliedstaats wohnen und für die diese Verordnung gilt, haben
die gleichen Rechte und Pflichten aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats wie die
Staatsangehörigen dieses Staates, soweit besondere Bestimmungen dieser Verordnung nichts
anderes vorsehen.“
5.
Was die Höhe der Leistungen angeht, die von einem Mitgliedstaat an einen in einem anderen
Mitgliedstaat wohnenden Empfänger gezahlt werden, bestimmt Artikel 10 Absatz 1 Unterabsatz 1 der
Verordnung:
„Die Geldleistungen bei Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen, die Renten bei Arbeitsunfällen
oder Berufskrankheiten und die Sterbegelder, auf die nach den Rechtsvorschriften eines oder
mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erworben worden ist, dürfen, sofern in dieser Verordnung nichts
anderes bestimmt ist, nicht deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder
beschlagnahmt werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats als des Staates
wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen Sitz hat.“
6.
Die Verordnung (EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (ABl. L 74, S. 1) in ihrer durch die Verordnung Nr. 1945/93 geänderten
Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 574/72) enthält in Titel IV Kapitel 3 („Invaliditäts- Alters- und
Todesfallrenten“) einenAbschnitt über die Zahlung von Leistungen. In diesem Rahmen sieht Artikel 58
unter der Überschrift „Einbehaltung der mit der Leistungszahlung verbundenen Kosten“ vor:
„Die Zahlstelle kann die mit der Zahlung der Leistung verbundenen Kosten, insbesondere
Postgebühren und Bankspesen, unter den Bedingungen, die in den von ihr anzuwendenden
Rechtsvorschriften vorgesehen sind, von den dem Berechtigten zu zahlenden Beträgen einbehalten.“
Deutsches Recht
7.
§ 118 Absatz 2a des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches - SGB VI - betrifft den Mindestbetrag
für die Vornahme einer Nachzahlung. Diese Vorschrift unterscheidet je nachdem, ob die Zahlung des
Betrages innerhalb Deutschlands oder ins Ausland erfolgt, und sieht vor:
„Nachzahlungsbeträge, die bei Auszahlungen
1. im Inland ein Zehntel des aktuellen Rentenwerts,
2. im Ausland drei Zehntel des aktuellen Rentenwerts
nicht übersteigen, werden nicht ausgezahlt.“
8.
Aus dem Vorlagebeschluss geht hervor, dass diese Vorschrift mit Wirkung vom 1. Juli 1993
eingeführt wurde, um zu vermeiden, dass die Verwaltungs- und Buchungskosten den Betrag von
Nachzahlungen übersteigen.
9.
Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass der „aktuelle Rentenwert“ eine Bezugszahl darstellt,
die dem Rentenbetrag nicht entspricht.
Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorabentscheidungsfrage
10.
Der am 8. Oktober 1930 geborene Kläger bezieht seit dem 1. August 1993 eine von der LVA
gewährte Erwerbsunfähigkeitsrente in Höhe von monatlich 660,63 DM. Mit Schreiben vom 20. Juni
1995 teilte die LVA ihm mit, dass dieser Betrag nach dem Rentenanpassungsgesetz ab 1. September
1995 auf 663,94 DM angehoben werde.
11.
Am selben Tag unterrichtete die LVA den Kläger davon, dass sich für die Zeit vom 1. Juli bis 31.
August 1995 ein Anspruch auf eine Nachzahlung in Höhe von 6,62 DM ergebe. Nach § 118 Absatz 2a
SGB VI könne dieser Betrag jedoch nicht ausgezahlt werden, weil er 3/10 des aktuellen Wertes der
Erwerbsunfähigkeitsrente (d. h. 13,80 DM) nicht übersteige und der Kläger in der maßgeblichen Zeit
seinen Wohnsitz in den Niederlanden gehabt habe. Unstreitig übersteigt dieser Betrag die
„inländische“ Schwelle von 1/10 des aktuellen Wertes der Erwerbsunfähigkeitsrente des Klägers (d. h.
4,60 DM).
12.
Dagegen legte der Kläger Widerspruch bei der LVA ein und machte geltend, es verstoße gegen den
Grundsatz der Gleichbehandlung gemäß Artikel 3 der Verordnung Nr. 1408/71, wenn zwischen
Auszahlungen innerhalb Deutschlands und Auszahlungen in anderen Mitgliedstaaten ein Unterschied
gemacht werde.
13.
Mit Bescheid vom 16. April 1996 wies die Widerspruchsstelle der LVA den Widerspruch mit der
Begründung zurück, dass § 118 Absatz 2a SGB VI nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 10
Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 falle. Diese Vorschrift betreffe Bestimmungen der
Mitgliedstaaten, nach denen Leistungen gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder
beschlagnahmt würden; diesen Charakter habe § 118 Absatz 2a SGB VI nicht.
14.
Am 3. Mai 1996 erhob der Kläger Klage beim Sozialgericht Münster. Die beigeladene Bundesrepublik
Deutschland machte im Wesentlichen geltend, § 118 Absatz 2a SGB VI unterscheide nicht nach
Inländern und Ausländern, sondern lediglich nach Auszahlungen innerhalb Deutschlands und solchen
in anderen Mitgliedstaaten (die in der Praxis häufig an Deutsche erfolgten).
15.
Darüber hinaus sei § 118 Absatz 2a SGB VI eine rentenversicherungsrechtliche Sonderregelung und
eine Ausnahme von dem auf diesem Gebiet geltenden allgemeinen Grundsatz, dass die Auszahlung
von Sozialleistungen kostenfrei sei, auch wenn es sich um Zahlungen ins Ausland handele. Da die
Kosten für Zahlungen ins Ausland oft viel höher seien, die Empfänger aber keine höheren Beiträge
zum Sozialversicherungssystem geleistet hätten, sei diese Ausnahme bei „unwirtschaftlichen“
Zahlungen offensichtlich gerechtfertigt.
16.
Das Sozialgericht Münster zweifelt an der Vereinbarkeit der deutschen Regelung mit dem
Gemeinschaftsrecht; es hat beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende
Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Verstößt § 118 Absatz 2a SGB VI gegen das Recht der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere
gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, soweit darin die Auszahlung von
Rentennachzahlungsbeträgen im Ausland weiter eingeschränkt ist als die im Inland?
Zur Vorabentscheidungsfrage
17.
Zunächst ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof in einem nach Artikel 177 des Vertrages
eingeleiteten Verfahren nicht zur Entscheidung über die Vereinbarkeit einer nationalen Maßnahme mit
dem Gemeinschaftsrecht befugt ist. Er kann jedoch dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur
Auslegung des Gemeinschaftsrechts geben, die es diesem ermöglichen, die Frage der Vereinbarkeit
bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens zu beurteilen (vgl. z. B. Urteil vom 30. April
1998 in den verbundenen Rechtssachen C-37/96 und C-38/96, Sodiprem u. a., Slg. 1998, I-2039,
Randnr, 22).
18.
Die Vorlagefrage ist demnach so zu verstehen, dass das vorlegende Gericht wissen möchte, ob das
Gemeinschaftsrecht, insbesondere der Grundsatz der Gleichbehandlung, wie er in Artikel 3 Absatz 1
der Verordnung Nr. 1408/71 niedergelegt ist, nationalen Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach
eine Geldleistung an einen in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Gemeinschaftsbürger nur
ausgezahlt wird, wenn sie einen Mindestbetrag übersteigt, der höher ist als der Betrag, der für eine
solche Zahlung innerhalb desselben Mitgliedstaats gilt.
19.
Die Kommission weist darauf hin, dass bei dem Schwellenwert für Auszahlungen nicht zwischen
deutschen und ausländischen Staatsangehörigen, sondern zwischen Auszahlungen im In- oder
Ausland unterschieden werde; es handle sich daher nicht um eine direkte Diskriminierung aufgrund
der Staatsangehörigkeit.
20.
Zur Frage einer mittelbaren Diskriminierung trägt die Kommission vor, dass im Ausland lebende
Rentenempfänger insoweit benachteiligt würden, als die deutsche Regelung für Auszahlungen im
Ausland einen höheren Schwellenwert vorschreibe.
21.
Fraglich sei jedoch, ob dieser Nachteil typischerweise eher deutsche oder Staatsangehörige
anderer Mitgliedstaaten treffe. Unstreitig seien aber auch Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten
betroffen, nämlich alle diejenigen, die nach Beendigung ihres Erwerbslebens in Deutschland in ihre
Heimatländer zurückkehrten, sowie diejenigen Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die eine
deutsche Rente als ehemalige Grenzgänger bezögen.
22.
Das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung sei daher zweifelhaft; von einer solchen könne nur
dann ausgegangen werden, wenn entweder die eine oder die andere Gruppe deutlich stärker
betroffen sei. Dies festzustellen sei Sache des nationalen Gerichts.
23.
Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1408/71 soll gemäß Artikel 48 Vertrages zugunsten der
Personen, für die die Verordnung gilt, die Gleichbehandlung im Bereich der sozialen Sicherheit ohne
Unterscheidung nach der Staatsangehörigkeit dadurch sicherstellen, dass er alle Diskriminierungen
beseitigt, die sich insoweit aus den nationalen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten ergeben (Urteil
vom 25. Juni 1997 in der Rechtssache C-131/96, Mora Romero, Slg. 1997, I-3659, Randnr. 29).
24.
Nach ständiger Rechtsprechung verbietet der in diesem Artikel niedergelegte
Gleichbehandlungsgrundsatz nicht nur offenkundige Diskriminierungen aufgrund der
Staatsangehörigkeit der nach den Systemen der sozialen Sicherheit leistungsberechtigten Personen,
sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch Anwendung anderer
Unterscheidungskriterien tatsächlich zum gleichen Ergebnis führen (Urteil Mora Romero, Randnr. 32).
25.
Als mittelbar diskriminierend sind daher Voraussetzungen des nationalen Rechts anzusehen, die
zwar unabhängig von der Staatsangehörigkeit gelten, aber im Wesentlichen oder ganz überwiegend
Wanderarbeitnehmer betreffen, sowieunterschiedslos geltende Voraussetzungen, die von
inländischen Arbeitnehmern leichter zu erfüllen sind als von Wanderarbeitnehmern, oder auch solche,
bei denen die Gefahr besteht, dass sie sich besonders zum Nachteil von Wanderarbeitnehmern
auswirken (Urteil vom 23. Mai 1996 in der Rechtssache C-237/94, O'Flynn, Slg. 1996, I-2617, Randnr.
18).
26.
Anders verhält es sich nur dann, wenn diese Vorschriften durch objektive, von der
Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer unabhängige Erwägungen gerechtfertigt sind und
in einem angemessenen Verhältnis zu dem Zweck stehen, der mit den nationalen Rechtsvorschriften
zulässigerweise verfolgt wird (Urteil O'Flynn, Randnr. 19).
27.
Aus dieser Rechtsprechung geht insgesamt hervor, dass eine Vorschrift des nationalen Rechts, die
nicht objektiv gerechtfertigt ist und nicht in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck
steht, mittelbar diskriminiert, wenn sie sich ihrem Wesen nach eher auf Wanderarbeitnehmer als auf
inländische Arbeitnehmer auswirkt und folglich die Gefahr besteht, dass sie Wanderarbeitnehmer
besonders benachteiligt (vgl. in diesem Sinne das Urteil vom 27. November 1997 in der Rechtssache
C-57/96, Meints, Slg. 1997, I-6689, Randnr. 45).
28.
Dies ist bei einer Vorschrift der Fall, die wie die im Ausgangverfahren streitige für Auszahlungen im
Ausland einen höheren Schwellenwert als für solche im Inland festlegt. Sie wirkt praktisch wie eine
Wohnsitzklausel, die inländische Leistungsempfänger leichter erfüllen können als Leistungsempfänger
in anderen Mitgliedstaaten.
29.
Eine solche Vorschrift kann sich vor allem auf die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten
auswirken, da deren Anteil bei den Empfängern von Rentenzahlungen außerhalb Deutschlands
typischerweise höher ist als bei den Empfängern von Rentenzahlungen im Inland.
30.
Entgegen den Erklärungen, die das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vor dem
vorlegenden Gericht abgegeben hat, ist es in diesem Zusammenhang unerheblich, ob die außerhalb
Deutschlands wohnenden Empfänger von Rentenzahlungen überwiegend deutsche Staatsangehörige
sind. Um festzustellen, ob eine mittelbare Diskriminierung vorliegt, sind vielmehr der Anteil der Inländer
und der der Nichtinländer bei den Empfängern derartiger Zahlungen in Deutschland einerseits und in
den Mitgliedstaaten andererseits zu vergleichen.
31.
Da zur zweiten Gruppe insbesondere die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten gehören, die
nach Beendigung ihres Erwerbslebens in ihre Heimatländer zurückkehren oder die eine deutsche
Rente als ehemalige Grenzgänger beziehen, ist der Anteil der Staatsangehörigen anderer
Mitgliedstaaten in dieser Gruppe von Empfängern von Rentenzahlungen tendenziell höher als in der
erstgenannten Gruppe.
32.
Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass eine solche Ungleichbehandlung dadurch gerechtfertigt ist,
dass bei Zahlungen ins Ausland höhere Kosten entstehen, doch müsste hierfür nachgewiesen
werden, dass diese Kosten nicht vermieden werden können. Auch die Einbehaltung der mit der
Leistungszahlung verbundenen Kosten gemäß Artikel 58 der Verordnung Nr. 574/72 kann nicht
geltend gemacht werden, wenn derartige Kosten nicht entstanden sind.
33.
In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass - wie der Kläger vor dem vorlegenden Gericht
vorgetragen hat - bei Zahlungsvorgängen im Bereich der sozialen Sicherheit zwischen Deutschland
und den Niederlanden ein „Clearing“-Verfahren angewendet wird, was die Kommission im Übrigen
bestätigt hat. Bei diesem Verfahren werden die Daten bezüglich einer Rentenzahlung wie derjenigen
an den Kläger an eine Verbindungsstelle im Wohnland des Rentenberechtigten übermittelt; diese zahlt
die Renten dann durch innerstaatliche Überweisung aus. Dieses „Clearing“-Verfahren führt nicht zu
zusätzlichen Kosten, da tatsächlich keine Auslandszahlung erfolgt.
34.
Da es sich im Ausgangsverfahren um eine einmalige Nachzahlung im Rahmen einer regelmäßig
wiederkehrenden Rentenzahlung handelt, würde die Auszahlung dieses Betrages zudem keine
Überweisungskosten verursachen, wenn diese Nachzahlung in die nächste Rentenzahlung einbezogen
würde. Außer wenn sich das als unmöglich erweist, darf der Betroffene durch die getrennte
Auszahlung des Nachzahlungsbetrags keine Nachteile erleiden.
35.
Auf die Vorabentscheidungsfrage ist daher zu antworten, dass der in Artikel 3 Absatz 1 der
Verordnung Nr. 1408/71 niedergelegte Grundsatz der Gleichbehandlung nationalen
Rechtsvorschriften entgegensteht, wonach eine Geldleistung an einen in einem anderen Mitgliedstaat
wohnenden Gemeinschaftsbürger nur ausgezahlt wird, wenn sie einen Mindestbetrag übersteigt, der
höher ist als der Betrag, der für eine solche Zahlung innerhalb desselben Mitgliedstaats gilt, sofern
die Auszahlung in einem anderen Mitgliedstaat nicht zu höheren Kosten führt als die Auszahlung
derselben Leistung innerhalb des erstgenannten Mitgliedstaats.
Kosten
36.
Die Auslagen der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben hat, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in
dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache
dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
auf die ihm vom Sozialgericht Münster mit Beschluss vom 12. März 1999 vorgelegte Frage für Recht
erkannt:
Der in Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur
Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige
sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in
der durch die Verordnung (EWG) Nr. 1945/93 des Rates vom 30. Juni 1993 geänderten
Fassung niedergelegte Grundsatz der Gleichbehandlung steht nationalen
Rechtsvorschriften entgegen, wonach eine Geldleistung an einen in einem anderen
Mitgliedstaat wohnenden Gemeinschaftsbürger nur ausgezahlt wird, wenn sie einen
Mindestbetrag übersteigt, der höher ist als der Betrag, der für eine solche Zahlung
innerhalb desselben Mitgliedstaats gilt, sofern die Auszahlung in einem anderen
Mitgliedstaat nicht zu höheren Kosten führt als die Auszahlung derselben Leistung
innerhalb des erstgenannten Mitgliedstaats.
Edward
Kapteyn
La Pergola
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 21. September 2000.
Der Kanzler
Der Präsident der Vierten Kammer
R. Grass
D. A. O. Edward
Verfahrenssprache: Deutsch.