Urteil des EuGH vom 10.11.1998

EuGH: auswärtige angelegenheiten, allgemeininteresse, ara, regierung, begriff, gemeinde, erfüllung, internationales wirtschaftsrecht, konzern, unternehmen

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
10. November 1998
„Öffentliche Dienstleistungsaufträge — Begriff des öffentlichen Auftraggebers — Einrichtung des öffentlichen
Rechts“
In der Rechtssache C-360/96
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag vom Gerechtshof Arnheim (Niederlande) in dem
bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Gemeente Arnhem,
Gemeente Rheden
gegen
BFI Holding BV
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 1 und 6 der Richtlinie
92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher
Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1)
erläßt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten P. J. G. Kapteyn, J. -P.
Puissochet und P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter G. F. Mancini, J. C. Moitinho de Almeida, D. A. O.
Edward, L. Sevón, M. Wathelet, R. Schintgen und K. M. Ioannou,
Generalanwalt: A. La Pergola
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
— der Gemeente Arnhem und der Gemeente Rheden, vertreten durch Rechtsanwalt L. H. van Lennep, Den
Haag,
— der BFI Holding BV, vertreten durch die Rechtsanwälte P. Glazener, Amsterdam und J. J. M. Essers,
Utrecht,
— der niederländischen Regierung, vertreten durch Rechtsberater A. Bos, Ministerium für Auswärtige
Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
— der dänischen Regierung, vertreten durch P. Biering, Abteilungsleiter im Ministerium für Auswärtige
Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
— der französischen Regierung, vertreten durch Catherine de Salins, Abteilungsleiterin in der Direktion für
Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, und Philippe Lalliot, Sekretär für Auswärtige
Angelegenheiten in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,
— der österreichischen Regierung, vertreten durch Ministerialrat Wolf Okresek, Bundeskanzleramt, als
Bevollmächtigten,
— der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater Hendrik van Lier als
Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
unter Berücksichtigung der schriftlichen Antworten auf die vom Gerichtshof gestellten Fragen
— der Gemeente Arnhem und der Gemeente Rheden, vertreten durch Rechtsanwalt L. H. van Lennep,
— der BFI Holding BV, vertreten durch Rechtsanwalt P. Glazener,
— der niederländischen Regierung, vertreten durch J. G. Lammers, stellvertretender Rechtsberater im
Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
— der dänischen Regierung, vertreten durch Rechtsberater Jørgen Molde, Abteilungsleiter im
Außenministerium, als Bevollmächtigten,
— der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat Ernst Röder, Bundesministerium für Wirtschaft,
als Bevollmächtigten,
— der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del Estado S. Ortiz Vaamonde als
Bevollmächtigten,
— der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger, Leiterin der Abteilung Internationales
Wirtschaftsrecht und Gemeinschaftsrecht in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige
Angelegenheiten, als Bevollmächtigte und Philippe Lalliot,
— der österreichischen Regierung, vertreten durch Wolf Okresek,
— der finnischen Regierung, vertreten durch Holger Rotkirch, Leiter des Juristischen Dienstes des
Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
— der schwedischen Regierung, vertreten durch Rättschef Lotty Nordling, Ministerium für Auswärtige
Angelegenheiten, als Bevollmächtigte,
— der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins, Treasury Solicitor's Department,
als Bevollmächtigten im Beistand von K. P. E. Lasok, QC, und Barrister R. Williams,
— der Kommission, vertreten durch H. van Lier,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Gemeente Arnhem und der Gemeente Rheden, vertreten
durch Rechtsanwalt L. H. van Lennep, der BFI Holding BV, vertreten durch die Rechtsanwälte P. Glazener und
J. J. M. Essers, der niederländischen Regierung, vertreten durch J. S. van den Oosterkamp, Hilfsrechtsberater
im Außenministerium, als Bevollmächtigten, der französischen Regierung, vertreten durch P. Lalliot, der
österreichischen Regierung, vertreten durch M. Fruhmann, Bundeskanzleramt, als Bevollmächtigten, der
Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch J. E. Collins im Beistand von K. P. E. Lasok und R.
Williams, und der Kommission, vertreten durch H. van Lier, in der Sitzung vom 18. November 1997,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 19. Februar 1998,
folgendes
Urteil
1.
Der Gerechtshof Arnheim hat mit Urteil von 29. Oktober 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 5.
November 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag sieben Fragen nach der Auslegung der Artikel 1
Buchstabe b und 6 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der
Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1) zur Vorabentscheidung
vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Gemeente Arnheim und der
Gemeente Rheden (nachstehend: die Gemeinden) und der BFI Holding BV (nachstehend: BFI), die
geltend macht, die Vergabe eines Auftrags zur Sammlung von Abfällen müsse nach dem in der
Richtlinie vorgesehenen Verfahren erfolgen.
Die anwendbaren Gemeinschaftsvorschriften
3.
Artikel 1 der Richtlinie 92/50 bestimmt u. a.:
„Im Sinne dieser Richtlinie
b) gelten als (im folgenden .Auftraggeber' genannt) der Staat,
Gebietskörperschaften, Einrichtungen des öffentlichen Rechts und Verbände, die aus einer oder
mehreren dieser Körperschaften oder Einrichtungen bestehen.
Als gilt jede Einrichtung,
— die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu
erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind, und
— die Rechtspersönlichkeit besitzt und
— die überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des
öffentlichen Rechts finanziert wird oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch letztere
unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern
besteht, die vom Staat, von Gebietskörperschaften
oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts ernannt worden sind.
Die Verzeichnisse der Einrichtungen des öffentlichen Rechts und der Kategorien solcher
Einrichtungen, die die in Unterabsatz 2 dieses Buchstabens genannten Kriterien erfüllen, sind in
Anhang I der Richtlinie 71/305/EWG enthalten. Diese Verzeichnisse sind so vollständig wie möglich und
können nach dem Verfahren gemäß Artikel 30b der Richtlinie 71/305/EWG revidiert werden;
... “
4.
Artikel 6 der Richtlinie 92/50 sieht vor:
„Diese Richtlinie gilt nicht für die Vergabe von Dienstleistungsaufträgen, die an eine Stelle vergeben
werden, die ihrerseits ein Auftraggeber im Sinne des Artikels 1 Buchstabe b) ist, aufgrund eines
ausschließlichen Rechts derselben, das diese gemäß veröffentlichter, mit dem Vertrag
übereinstimmender Rechts- oder Verwaltungsvorschriften innehat.“
Die niederländischen Rechtsvorschriften
5.
Die Richtlinie 92/50 wurde durch ein Rahmengesetz vom 31. März 1993 (Stbl. 12) über die Vergabe
öffentlicher Lieferungsaufträge, Bauaufträge und Dienstleistungsaufträge in Verbindung mit Artikel 13
der Verordnung über öffentliche Aufträge vom 4. Juni 1993 (Stbl. 305) in der durch Verordnung vom
30. Mai 1994 geänderten Fassung (Stbl. 379) in das niederländische Recht umgesetzt.
6.
Die Artikel 10.10 und 10.11 der Wet milieubeheer (Umweltschutzgesetz) legen den Gemeinden die
Verpflichtung auf, dafür zu sorgen, daß Hausmüll auf jedem auf ihrem Gebiet gelegenen Grundstück,
wo solcher Abfall regelmäßig anfallen kann, mindestens einmal pro Woche abgeholt wird, und eine
Stelle zu bestimmen, die diese Müllabfuhr übernimmt.
7.
Gemäß Artikel 2 der Afvalstoffenverordening (Verordnung über Abfälle) der Gemeinde Rheden in der
am 21. Dezember 1993 geänderten Fassung ist die für das Abholen zuständige Einrichtung der
„Dienst Openbare Werken en Woningzaken, Afdeling Wegen en Reiniging (Stadtwerke und
Wohnungsangelegenheiten, Abteilung Wege und Stadtreinigung) oder der an dessen Stelle tretende
selbständige Dienst“. Artikel 2 der Abfallverordnung der Gemeinde Arnheim in der Fassung vom 4. Juli
1994 bestimmt zum Müllabfuhrdienst den Dienst Milieu en Openbare Werken (Umwelt und öffentliche
Arbeiten). Dort heißt es außerdem: „Ab 1. Juli 1994 übernimmt die NV ARA, der neue unabhängige
kommunale Reinigungsdienst, die Müllabfuhr“.
Der Ausgangsrechtsstreit
8.
Im Jahre 1993 beschlossen die Gemeinden, die kommunalen Müllabfuhrdienste zusammenzulegen
und sie einer neuen juristischen Person zu übertragen. Mit Beschlüssen vom 6. bzw. 28. Juni 1994
gründeten sie die Aktiengesellschaft ARA und übertrugen ihr eine Reihe von im Gesetz über die
Abfallbeseitigung vorgesehene Aufgaben, im Fall der Gemeinde Arnheim auch Aufgaben der
Stadtreinigung.
9.
Die ARA wurde am 1. Juli 1994 gegründet. Artikel 2 ihrer Satzung bestimmt:
„1. Gesellschaftszweck ist
a) die Vornahme aller Handlungen auf wirtschaftlichem Gebiet, die darauf gerichtet sind, Abfälle —
wie z. B. Hausmüll, Industriemüll und die verschiedenen Sorten dieses Mülls — auf effiziente, wirksame
und umweltverträgliche Weise abzuholen (und wenn möglich wiederzuverwerten), sowie die Ausübung
von Tätigkeiten auf dem Gebiet der Reinigung von Straßen und Kanälen, der Ungezieferbekämpfung
und der Desinfektion;
b) die (Mit-)Gründung von, die Zusammenarbeit mit, die Beteiligung an, die (Mit-)Leitung von und die
Beaufsichtigung von sowie die Übernahme und Finanzierung von anderen Unternehmen, deren
Tätigkeiten irgendeinen Bezug zu den unter a) beschriebenen Tätigkeiten haben;
c) die Vornahme aller Handlungen auf wirtschaftlichem Gebiet, die mit den oben genannten
Tätigkeiten zusammenhängen oder ihnen förderlich sein können (sofern dadurch im
Allgemeininteresse liegende Aufgaben erfüllt werden).
2. Die Gesellschaft führt diese Tätigkeiten in sozial annehmbarer Weise durch.“
10.
Artikel 6 der Satzung bestimmt, daß Aktionäre nur juristische Personen des öffentlichen Rechts
oder Gesellschaften sein dürfen, deren Anteile zu mindestens 90 % von diesen juristischen Personen
gehalten werden, und ferner die Gesellschaft selbst. Gemäß Artikel 13 Absatz 2 ernennen die
Gemeinden fünf der mindestens sieben und höchstens neun Mitglieder des Aufsichtsrats.
11.
In der Präambel der zwischen den Gemeinden und der ARA geschlossenen Rahmenvereinbarungen
ist u. a. vorgesehen, daß die Gemeinden diese Aufgaben ausschließlich der ARA übertragen möchten
und sie ihr deshalb entsprechende Konzessionen erteilt hätten.
12.
Zum Entgelt der ARA bestimmt Artikel 8 der Rahmenvereinbarung zwischen der Gemeinde Rheden
und der ARA u. a.:
„8.1. Die Gemeinde Rheden zahlt der ARA für die von ihr geleisteten Dienste noch zu bestimmende
Vergütungen.
8.2. Die in Absatz 1 genannten Vergütungen werden durch Hinzufügung eines entsprechenden
Absatzes zu den Spezifikationen und Qualitätsnormen für die verschiedenen Tätigkeiten, die in den
Teilverträgen enthalten sind, bestimmt.
8.3. Die effektiven Vergütungen für die erbrachten Dienstleistungen werden festgelegt:
a. entweder aufgrund der zuvor je Maßnahme, je Ergebnis oder je Leistungseinheit vereinbarten
Einheitspreise;
b. oder aufgrund eines zuvor für eine bestimmte Aufgabe vereinbarten Festpreises;
c. oder aufgrund der Inrechnungstellung der tatsächlich entstandenen Kosten.
...“
13.
Artikel 9 dieser Rahmenvereinbarung enthält folgende Bestimmungen:
„9.1. Vorschüsse auf die oben genannten Vergütungen werden zu Fälligkeitsterminen bezahlt, die
noch festzulegen sind, oder für Gruppen von Maßnahmen, Ergebnissen oder Leistungseinheiten.
Diese Vorschüssewerden von den endgültigen Zahlungen abgezogen.
9.2. Wenn die ARA für die Gemeinde Rheden Handlungen in Rechnung stellt und/oder
Inkassogeschäfte durchführt oder andere Zahlungen von Dritten im Namen der Gemeinde Rheden
erhält, sind diese Einkünfte der Gemeinde nach den noch zu vereinbarenden Modalitäten zu
übertragen. Was das Zahlungsrisiko dieser Beträge angeht, ist ebenfalls noch eine genauere
Regelung zu treffen.“
14.
Artikel 7 der zwischen der Gemeinde Rheden und der ARA geschlossenen
Dienstleistungsvereinbarung über das Abholen von Haushaltsabfällen sieht vor, daß die von der
Gemeinde an die ARA für das Abholen und die Beförderung der Abfälle zu zahlende Vergütung sowie
die hinsichtlich dieser Vergütung anzuwendende Berechnungsmethode im Durchführungsplan
beschrieben werden.
15.
Die gleichen Vergütungsmodalitäten wurden zwischen der Gemeinde Arnheim und der ARA
vereinbart.
16.
Während die ARA zunächst alle Aktivitäten des Abholens von Haushaltsabfällen, der Stadtreinigung
und des Abholens industrieller Abfälle wahrnahm, wurden diese später auf sie und die
Aktiengesellschaft Aracom aufgeteilt. Während die ARA weiterhin das Abholen von Haushaltsabfällen
besorgt, wurde der Aracom das Abholen gewerblicher Abfälle übertragen. Außerdem wurde eine
Holdinggesellschaft, die ARA Holding NV, gegründet, die das gesamte Kapital dieser beiden
Gesellschaften hält.
17.
Die BFI ist ein Privatunternehmen, das u. a. auf dem Gebiet der Abfuhr und der Behandlung von
Haushaltsabfällen und gewerblichen Abfällen tätig ist.
18.
Am 2. November 1994 erhob die BFI Klage bei der Arrondissementsrechtbank Arnheim auf
Feststellung, daß die Richtlinie 92/50 auf die Vergabe des der ARA erteilten Auftrags anwendbar sei,
so daß die Gemeinden das in dieser Richtlinie vorgesehene Vergabeverfahren hätten anwenden
müssen. Die Arrondissementsrechtbank Arnheim gab der Klage der BFI mit Urteil vom 18. Mai 1995
statt. Sie stellte fest, die betreffende Tätigkeit sei nicht aufgrund eines ausschließlichen Rechts einer
Einrichtung übertragen worden, die gemäß veröffentlichter Rechts- oder Verwaltungsvorschriften ein
solches innehabe, so daß die Ausnahme des Artikels 6 der Richtlinie 92/50 nicht anwendbar sei.
19.
Die Gemeinden legten gegen diese Entscheidung Berufung beim Gerechtshof Arnheim ein.
20.
In seinem Zwischenurteil vom 25. Juni 1996 wies der Gerechtshof Arnheim die Auslegung der
Arrondissementsrechtbank zurück, der Auftrag sei nicht im Sinne des Artikels 6 der Richtlinie 92/50 an
eine Einrichtung vergeben worden, die nach veröffentlichten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften
über ein ausschließliches Recht verfüge.
21.
Er stellte fest, nach dem Umweltschutzgesetz seien die Gemeinden verpflichtet, dafür zu sorgen,
daß der Hausmüll abgeholt werde. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung hätten sie durch die Beschlüsse
vom 6. bzw. 28. Juni 1994 die ARA als einzigen Müllabfuhrdienst bestimmt. Sie hätten außerdem
ausdrücklich ihre Abfallverordnungen geändert; diese räumten der ARA ein ausschließliches Recht ein,
da sie es anderen Müllabfuhrdiensten verböten, Haushaltsabfälle ohne vorherige Genehmigung des
Gemeindevorstands abzuholen.
22.
Der Gerechtshof Arnheim war also der Auffassung, die ARA falle unter die in Artikel 6 der Richtlinie
92/50 vorgesehene Ausnahme, wenn sie als Einrichtung des öffentlichen Rechts im Sinne des Artikels
1 Buchstabe b der Richtlinie 92/50 anzusehen sei.
23.
Er hat demgemäß das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist Artikel 1 Buchstabe b erster Gedankenstrich der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni
1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (im
folgenden: Richtlinie), wo es heißt, daß „als Einrichtung des öffentlichen Rechts ... jede Einrichtung
[gilt], die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu
erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind“, im Rahmen der Auslegung von Artikel 6 dahin auszulegen,
i) daß zu unterscheiden ist zwischen im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben auf der einen und
Aufgaben gewerblicher Art auf der anderen Seite,
oder
ii) daß zu unterscheiden ist zwischen im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben, die nicht
gewerblicher Art sind, auf der einen und im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben, die gewerblicher
Art sind, auf der anderen Seite?
2 Falls die erste Frage dahin beantwortet werden sollte, daß die dort unter i) genannte
Unterscheidung zu treffen ist:
a) Ist der Begriff der „im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben“ dann so zu verstehen, daß von
einer Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben keine Rede sein kann, wenn
Privatunternehmen derartige Aufgaben erfüllen?
b) Falls Frage 2 a) bejaht wird: Ist der Begriff der „Aufgaben gewerblicher Art“ dann so zu
verstehen, daß eine Erfüllung von Aufgaben gewerblicher Art immer dann vorliegt, wenn
Privatunternehmen derartige Aufgaben erfüllen?
3. Falls die erste Frage dahin beantwortet werden sollte, daß die dort unter ii) genannte
Unterscheidung zu treffen ist: Sind die Begriffe der „im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben, die
nicht gewerblicher Art sind“ bzw. der „im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben, die gewerblicher Art
sind“ dann so zu verstehen, daß sich der Unterschied zwischen diesen Begriffen danach bestimmt, ob
(konkurrierende) Privatunternehmen derartige Aufgaben erfüllen oder nicht?
4. Ist das Erfordernis, daß die Einrichtung „zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im
Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind“, dahin auszulegen,
daß von einem „besonderen Zweck“ nur dann die Rede ist, wenn die Einrichtung ausschließlich diese
Aufgaben erfüllt?
5. Falls Frage 4 verneint wird: Muß eine Einrichtung fast ausschließlich, in erheblichem Maße, in
überwiegendem Maße oder in irgendeinem anderen Maße im Allgemeininteresse liegende Aufgaben,
die nicht gewerblicher Art sind, erfüllen, um (weiterhin) dem Erfordernis zu genügen, daß die
Einrichtung zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, diese Aufgaben zu erfüllen?
6. Macht es für die Beantwortung der Fragen 1 bis 5 einen Unterschied, ob die im
Allgemeininteresse liegenden Aufgaben, die nicht gewerblicher Art sind, sich aus einem formellen
Gesetz, Verordnungen, Verwaltungsakten oder dergleichen ergeben?
7. Macht es für die Beantwortung der Frage 4 einen Unterschied, ob die gewerblichen Tätigkeiten
einer separaten juristischen Person zugeordnet sind, die zu einer Gruppe/einem Konzern gehören,
die/der auch Tätigkeiten ausübt, die auf die Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben
gerichtet sind?
24.
Die französische Regierung hat in ihren schriftlichen Erklärungen die Auffassung vertreten, die
Verträge zwischen den Gemeinden und der ARA könnten als öffentliche Dienstleistungskonzessionen
angesehen werden und seien deshalb vom Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50 ausgeschlossen.
Eine solche Konzession im Sinne des Gemeinschaftsrechts liege vor, wenn der Inhaber der Konzession
als Entgelt entweder das Recht zur Gebührenerhebung oder dieses Recht zuzüglich eines Preises
erhalte.
25.
Der Begriff der öffentlichen Dienstleistungskonzession ist nicht Gegenstand der Vorlagefragen des
nationalen Gerichts. Er braucht hier nicht ausgelegt zu werden, da sich aus der Antwort der
Gemeinden auf eine Frage des Gerichtshofes, insbesondere aus den Artikeln 8 und 9 der zwischen
der Gemeinde Rheden und der ARA geschlossenen Rahmenvereinbarung und aus Artikel 7 der
zwischen denselben Parteien geschlossenen Übereinkunft über die Erbringung von Dienstleistungen
im Zusammenhang mit dem Abholen von Haushaltsabfällen ergibt, daß die ARA als Entgelt
ausschließlich einen Preis, nicht aber das Recht zur Gebührenerhebung erhält.
26.
Die französische Regierung macht weiter geltend, die ARA sei als Verband im Sinne des Artikel 1
Buchstabe b der Richtlinie 92/50 anzusehen, der aus mehreren Gebietskörperschaften bestehe. Ein
solcher Verband sei ein öffentlicher Auftraggeber, ohne daß geprüft werden müsse, ob es sich um
eine Einrichtung des öffentlichen Rechts handele.
27.
Wie der Generalanwalt in den Nummern 40 und 41 seiner Schlußanträge ausgeführt hat, kann eine
bestimmte Stelle nicht gleichzeitig unter zwei in Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 92/50 aufgeführte
Kategorien fallen; der Begriff „Verband“ hat nur eine Auffangfunktion, wie sich auch aus seiner
Stellung im
Rahmen dieser Bestimmung ergibt. Es ist folglich zu prüfen, ob eine Gesellschaft wie die ARA, mag sie
auch von zwei Gemeinden gegründet worden sein, als Einrichtung des öffentlichen Rechts angesehen
werden kann.
28.
Gemäß Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 92/50 ist eine Einrichtung des
öffentlichen Rechts eine Einrichtung, die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im
Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind, die
Rechtspersönlichkeit besitzt und eng mit dem Staat, den Gebietskörperschaften oder anderen
Einrichtungen des öffentlichen Rechts verbunden ist (vgl. Urteil vom 15. Januar 1998 in der
Rechtssache C-44/96, Mannesmann Anlagenbau Austria u. a., Slg. 1998, I-73, Randnr. 20).
29.
Wie der Gerichtshof in Randnummer 21 des Urteils Mannesmann Anlagenbau Austria u. a.
festgestellt hat, müssen die in dieser Vorschrift genannten drei Tatbestandsmerkmale gleichzeitig
vorliegen.
30.
Das nationale Gericht ist der Auffassung, daß das zweite und das dritte Tatbestandsmerkmal
vorliegen. Seine Fragen betreffen also nur das erste Tatbestandsmerkmal.
Zur ersten Frage
31.
Mit seiner ersten Frage begehrt das nationale Gericht Auskunft über das Verhältnis zwischen den
Ausdrücken „im Allgemeininteresse liegende Aufgaben“ und „nicht gewerblicher Art“. Es fragt
insbesondere, ob der letztere Ausdruck den Begriff der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben auf
solche reduzieren soll, die nicht gewerblicher Art sind, oder ob er im Gegenteil bedeutet, daß alle im
Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art sind.
32.
Aus dem Wortlaut des Artikels 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 92/50 in ihren
verschiedenen Sprachfassungen ergibt sich hierzu, daß das Kriterium der „nicht gewerblichen Art“ den
Begriff der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben im Sinne dieser Bestimmung präzisieren soll.
33.
Im Urteil Mannesmann Anlagenbau Austria u. a. hat der Gerichtshof in den Randnummern 22 bis 24
im Hinblick auf Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni
1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L 199, S. 54), der im
wesentlichen mit Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 92/50 übereinstimmt, die gleiche
Auslegung vorgenommen.
34.
Außerdem kann nur die Auslegung des Artikels 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 92/50
dahin, daß durch ihn innerhalb der Gruppe der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben eine
Untergruppe derjenigen Aufgaben
geschaffen wurde, die nicht gewerblicher Art sind, seine praktische Wirksamkeit sicherstellen.
35.
Wäre der Richtliniengeber nämlich der Auffassung gewesen, alle im Allgemeininteresse liegenden
Aufgaben seien nicht gewerblicher Art, so hätte er dies nicht eigens festgehalten, da von diesem
Standpunkt aus der zweite Teil der Definition überflüssig wäre.
36.
Die erste Vorlagefrage ist demgemäß dahin zu beantworten, daß Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz
2 der Richtlinie 92/50 zwischen den im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben, die nicht gewerblicher
Art sind, einerseits und den im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben, die gewerblicher Art sind,
andererseits unterscheidet.
Zur zweiten Frage
37.
Angesichts der Antwort auf die erste Frage erübrigt sich die Beantwortung der zweiten Frage.
Zur dritten Frage
38.
Die dritte Frage des nationalen Gerichts geht dahin, ob der Begriff der im Allgemeininteresse
liegenden Aufgaben, die nicht gewerblicher Art sind, Aufgaben ausschließt, die auch von
Privatunternehmen erfüllt werden.
39.
Nach dem Vorbringen der BFI kann es sich nicht um eine Einrichtung des öffentlichen Rechts
handeln, wenn Privatunternehmen dieselben Aufgaben erfüllen könnten, also ein Wettbewerb
hinsichtlich dieser Aufgaben möglich ist. Im vorliegenden Fall übertrage mehr als die Hälfte der
niederländischen Gemeinden die Müllabfuhr privaten Unternehmen. Es handele sich also um einen
gewerblichen Markt; die Marktteilnehmer seinen keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts imSinne
des Artikels 1 Buchstabe b der Richtlinie 92/50.
40.
Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 erster Gedankenstrich der Richtlinie 92/50 stellt nur auf die
Aufgaben ab, die die Einrichtung zu erfüllen hat, nicht aber darauf, ob diese Aufgaben auch von
Privatunternehmen erfüllt werden können.
41.
Weiter soll die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge in der
Gemeinschaft die Hemmnisse für den freien Dienstleistungsverkehr beseitigen und somit die
Interessen der in einem Mitgliedstaat niedergelassen Wirtschaftsteilnehmer schützen, die den in
einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen öffentlichen Auftraggebern Waren oder Dienstleistungen
anbieten möchten.
42.
Folglich besteht der Zweck der Richtlinie 92/50 darin, die Gefahr einer Bevorzugung einheimischer
Bieter oder Bewerber bei der Auftragsvergabe durch
öffentliche Auftraggeber auszuschließen (vgl. in diesem Sinne Urteil Mannesmann Anlagenbau Austria
u. a., Randnr. 33).
43.
Das Vorliegen von Wettbewerb schließt es jedoch, für sich genommen, nicht aus, daß eine vom
Staat, von Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanzierte
oder kontrollierte Stelle sich von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten läßt. So könnte
eine solche Stelle z. B. finanzielle Einbußen hinnehmen, um eine bestimmte Einkaufspolitik der
Einrichtung zu verfolgen, mit der sie eng verbunden ist.
44.
Da Aufgaben, die in keinem Fall von Privatunternehmen erfüllt werden könnten, kaum vorstellbar
sind, würde zudem der Begriff „Einrichtung des öffentlichen Rechts“ in Artikel 1 Buchstabe b der
Richtlinie 92/50 möglicherweise seines Inhalts entleert, wenn er zur Voraussetzung hätte, daß kein
Privatunternehmen die Aufgaben erfüllen könnte.
45.
Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß sich die Auftraggeber durch Anwendung des
Artikels 6 der Richtlinie 92/50 dem Wettbewerb mit Privatunternehmen entziehen könnten, die sich für
fähig halten, die gleichen im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben wie die betreffende Einrichtung
zu erfüllen. Der Schutz von Unternehmen, die mit Einrichtungen des öffentlichen Rechts im
Wettbewerb stehen, ist schon durch die Artikel 85 ff. EG-Vertrag gewährleistet, da Artikel 6 der
Richtlinie 92/50 voraussetzt, daß die Rechts- oder Verwaltungsvorschriften, aufgrund deren der
Einrichtung ein ausschließliches Recht eingeräumt wurde, mit dem EG-Vertrag vereinbar sind.
46.
So hat der Gerichtshof im Urteil Mannesmann Anlagenbau Austria u. a. in Randnummer 24
festgestellt, daß eine Staatsdruckerei im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art
erfüllt, ohne die Frage zu prüfen, ob Privatunternehmen die gleichen Aufgaben erfüllen könnten.
47.
Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 92/50 kann demgemäß auf eine bestimmte Stelle angewandt
werden, selbst wenn Privatunternehmen die gleichen Aufgaben erfüllen oder erfüllen könnten, und
das Fehlen von Wettbewerb ist keine notwendige Voraussetzung des Begriffes „Einrichtung des
öffentlichen Rechts“.
48.
Jedoch ist das Vorliegen von Wettbewerb für die Beantwortung der Frage, ob eine im
Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht gewerblicher Art ist, nicht völlig unerheblich.
49.
Das Vorliegen eines entwickelten Wettbewerbs und insbesondere der Umstand, daß die
betreffende Einrichtung auf dem betreffenden Markt im Wettbewerb steht, kann darauf hinweisen,
daß es sich nicht um eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht gewerblicher Art handelt.
50.
Solche Aufgaben werden nämlich im allgemeinen auf andere Art als durch das Angebot von Waren
oder Dienstleistungen auf dem Markt erfüllt, wie das in Anhang I der Richtlinie 71/305/EWG des Rates
vom 26. Juli 1971 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge (ABl. L
185, S. 5) in der Fassung der Richtlinie 93/37 enthaltene Verzeichnis zeigt, auf das Artikel 1 Buchstabe
b der Richtlinie 92/50 Bezug nimmt. Dieses Verzeichnis ist zwar nicht abschließend, soll aber so
vollständig wie möglich sein.
51.
Aus diesem Verzeichnis ergibt sich, daß es sich im allgemeinen um Aufgaben handelt, die der Staat
aus Gründen des Allgemeininteresses selbst erfüllen oder bei denen er einen entscheidenden Einfluß
behalten möchte.
52.
Das Abholen und die Behandlung von Haushaltsabfällen ist unbestreitbar eine im
Allgemeininteresse liegende Aufgabe. Sie kann möglicherweise durch das Angebot von
Dienstleistungen der Müllabfuhr, das zur Gänze oder zum Teil private Unternehmer den Bürgern
machen, nicht in dem Maß erfüllt werden, das aus Gründen der öffentlichen Gesundheit und des
Umweltschutzes für erforderlich gehalten wird. Daher gehört sie zu denjenigen Aufgaben, die ein Staat
von Behörden wahrnehmen lassen kann oder auf die er einen entscheidenden Einfluß behalten
möchte.
53.
Somit ist die dritte Frage dahin zu beantworten, daß der Begriff der im Allgemeininteresse liegenden
Aufgaben nicht gewerblicher Art Aufgaben nicht ausschließt, die von Privatunternehmen erfüllt werden
oder erfüllt werden könnten.
Zur vierten, zur fünften und zur siebten Frage
54.
Die vierte, die fünfte und die siebte Frage des nationalen Gerichts gehen dahin, ob das
Tatbestandsmerkmal, daß eine Einrichtung zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im
Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, voraussetzt, daß die Tätigkeit dieser Einrichtung in
erheblichem Maße die Erfüllung solcher Aufgaben zum Gegenstand hat.
55.
Wie der Gerichtshof im Urteil Mannesmann Anlagenbau Austria u. a. in Randnummer 25 festgestellt
hat, kommt es nicht darauf an, ob eine Einrichtung neben den im Allgemeininteresse liegenden
Aufgaben noch andere Tätigkeiten ausüben darf. Ebensowenig kommt es darauf an, ob die Erfüllung
der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben tatsächlich nur einen relativ geringen Teil der
Tätigkeiten der Einrichtung ausmacht, solange sie weiterhin die Aufgaben wahrnimmt, die sie als
besondere Pflicht zu erfüllen hat.
56.
Da die Eigenschaft einer Stelle als Einrichtung des öffentlichen Rechts nicht davon abhängt,
welchen Anteil die Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art an
der Tätigkeit der betreffenden Stelle ausmacht, ist es erst recht unerheblich, ob von einer separaten
juristischen Person, die zu
derselben Gruppe oder demselben Konzern gehört, gewerbliche Tätigkeiten ausgeübt werden.
57.
Umgekehrt genügt der Umstand, daß ein Unternehmen, das zu einer Gruppe oder zu einem Konzern
gehört, eine Einrichtung des öffentlichen Rechts ist, nicht, um alle Konzernunternehmen als
öffentliche Auftraggeber anzusehen (vgl. in diesem Sinne Urteil Mannesmann Anlagenbau Austria u.
a., Randnr. 39).
58.
Die vierte, die fünfte und die siebte Frage sind demgemäß dahin zu beantworten, daß die
Eigenschaft einer Stelle als Einrichtung des öffentlichen Rechts nicht davon abhängt, welchen Anteil
die Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art an der Tätigkeit der
betreffenden Stelle ausmacht. Es ist ebenfalls unerheblich, ob von einer separaten juristischen
Person, die zu derselben Gruppe oder demselben Konzern gehört, gewerbliche Tätigkeiten ausgeübt
werden.
Zur sechsten Frage
59.
Die sechste Frage des nationalen Gerichts geht schließlich dahin, ob es von Belang ist, daß die
Bestimmungen, durch die die betreffende Stelle errichtet wurde und in denen die von ihr zu
erfüllenden Aufgaben genannt sind, in einem formellen Gesetz, verwaltungsrechtlichen Vorschriften,
Verwaltungsakten oder dergleichen enthalten sind.
60.
Während es für die Anwendung des Artikels 6 der Richtlinie 92/50 wesentlich ist, daß das
ausschließliche Recht seine Rechtsgrundlage in veröffentlichten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften
hat, ist dies nicht Teil der Definition der Einrichtung des öffentlichen Rechts.
61.
Der Wortlaut des Artikels 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 92/50 bezieht sich nämlich
nicht auf die Rechtsgrundlage der Aufgaben der betreffenden Stelle.
62.
Außerdem ist der Begriff „öffentliche Auftraggeber“ im funktionellen Sinne zu verstehen, um dem
Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs seine volle Wirksamkeit zu sichern (vgl. in diesem Sinne
Urteil vom 20. September 1988 in der Rechtssache 31/87, Beentjes, Slg. 1988, 4635, Randnr. 11). Das
verbietet es, nach der Rechtsform der Bestimmungen zu unterscheiden, durch die die Stelle
geschaffen wird und in der die von ihr zu erfüllenden Aufgaben genannt sind.
63.
Die sechste Frage ist demgemäß dahin zu beantworten, daß das Vorliegen von im
Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art nach Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz
2 der Richtlinie 92/50 objektiv zu beurteilen und die Rechtsform der Bestimmungen, in denen diese
Aufgaben genannt sind, insoweit unerheblich ist.
Kosten
64.
Die Auslagen der niederländischen, der dänischen, der deutschen, der spanischen, der
französischen, der österreichischen, der finnischen und der schwedischen Regierung, der Regierung
des Vereinigten Königreichs und der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben
haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein
Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung
ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Gerechtshof Arnheim am 29. Oktober 1996 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni
1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher
Dienstleistungsaufträge unterscheidet zwischen den im Allgemeininteresse liegenden
Aufgaben, die nicht gewerblicher Art sind, einerseits und den im Allgemeininteresse
liegenden Aufgaben, die gewerblicher Art sind, andererseits.
2. Der Begriff der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art
schließt Aufgaben nicht aus, die von Privatunternehmen erfüllt werden oder erfüllt
werden könnten.
3. Die Eigenschaft einer Stelle als Einrichtung des öffentlichen Rechts hängt nicht davon
ab, welchen Anteil die Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht
gewerblicher Art an der Tätigkeit der betreffenden Stelle ausmacht. Es ist ebenfalls
unerheblich, ob von einer separaten juristischen Person, die zu derselben Gruppe oder
demselben Konzern gehört, gewerbliche Tätigkeiten ausgeübt werden.
4. Nach Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 92/50 ist das Vorliegen von im
Allgemeininteresse liegenden Aufgaben nicht gewerblicher Art objektiv zu beurteilen und
die Rechtsform der Bestimmungen, in denen diese Aufgaben genannt sind, insoweit
unerheblich.
Rodríguez Iglesias Kapteyn Puissochet
Jann Mancini Moitinho de Almeida Edward
Sevón Wathelet Schintgen Ioannou
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 10. November 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
Verfahrenssprache: Niederländisch.