Urteil des EuGH vom 09.10.2001
EuGH: pensionskasse, grundsatz der gleichbehandlung, gleichbehandlung von mann und frau, ersatzkasse, innerstaatliches recht, satzung, anwendungsbereich, verwaltung, hinterbliebenenrente, regierung
WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
9. Oktober 2001
„Gleiches Entgelt für Männer und Frauen - Betriebliche Altersversorgung - Pensionskasse, der die Erfüllung
der Verpflichtungen des Arbeitgebers hinsichtlich der Gewährung einer Zusatzrente obliegt -
Hinterbliebenenrente“
In der Rechtssache C-379/99
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom deutschen Bundesarbeitsgericht in dem bei diesem
anhängigen Rechtsstreit
Pensionskasse für die Angestellten der Barmer Ersatzkasse V.V.a.G.
gegen
Hans Menauer
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung des Artikels 119 EG-Vertrag (die Artikel
117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin F. Macken, der Richterin N. Colneric sowie der Richter C. Gulmann,
J.-P. Puissochet und V. Skouris (Berichterstatter),
Generalanwalt: A. Tizzano
Kanzler: R. Grass
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Pensionskasse für die Angestellten der Barmer Ersatzkasse V.V.a.G., vertreten durch Rechtsanwalt J.
Bornheimer,
- der deutschen Regierung, vertreten durch W.-D. Plessing und B. Muttelsee-Schön als Bevollmächtigte,
- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. A. Fierstra als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch H. Michard und C. Ladenburger als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 27. März 2001,
folgendes
Urteil
1.
Das Bundesarbeitsgericht hat mit Beschluss vom 23. März 1999, beim Gerichtshof eingegangen am
7. Oktober 1999, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung des Artikels 119 EG-Vertrag
(die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis 143 EG ersetzt worden) zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Pensionskasse für die Angestellten der
Barmer Ersatzkasse V.V.a.G. (im Folgenden: beklagte Pensionskasse) und Hans Menauer (im
Folgenden: Kläger) darüber, ob dem Kläger ein Anspruch auf Witwerversorgung zusteht und ob die
Pensionskasse dafür einstehen muss.
Rechtlicher Rahmen
3.
Artikel 119 EG-Vertrag normiert den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei
gleicher Arbeit.
4.
Artikel 119 Absatz 2 bestimmt:
„Unter .Entgelt' im Sinne dieses Artikels sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter
sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber aufgrund des Dienstverhältnisses
dem Arbeitnehmer mittelbar und unmittelbar in bar oder in Sachleistungen zahlt.“
Das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Alterversorgung (BetrAVG)
5.
Wie aus den Akten hervorgeht, können die Leistungen aus den zusätzlichen
Altersversorgungssystemen der Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland auf
unterschiedliche Weise erbracht werden. Einerseits kann der Arbeitgeber die Leistungen, zu denen er
aufgrund des Betriebsrentensystems seines Unternehmens verpflichtet ist, unmittelbar erbringen.
Andererseits kann er diese Leistungen durch externe Einrichtungen erbringen lassen. Er erbringt
dann selbst keine Leistungen, sondern sorgt mittelbar für ihre Erbringung entweder durch eine
„Direktversicherung“, d. h. eine vom Arbeitgeber zugunsten des Arbeitnehmers abgeschlossene
Lebensversicherung, oder durch eine „Unterstützungskasse“, d. h. eine Vorsorgekasse, oder durch
eine „Pensionskasse“, d. h. eine Rentenkasse, die vom Arbeitgeber mit der Durchführung des
Betriebsrentensystems seines Unternehmens betraut ist.
6.
Für den letztgenannten Fall sieht § 1 Absatz 3 BetrAVG vor, dass die Pensionskasse eine
rechtsfähige Versorgungseinrichtung ist, die dem Arbeitnehmer oder seinen Hinterbliebenen einen
Rechtsanspruch gewährt.
7.
Nach Angabe des vorlegenden Gerichts muss der Arbeitgeber, wenn die von der betreffenden
Pensionskasse satzungsgemäß festgelegten Versicherungsbedingungen hinter dem zurückbleiben,
was der Arbeitgeber aus dem arbeitsrechtlichen Grundverhältnis an Versorgung schuldet, selbst die
bestehende Lücke schließen; hierbei handelt es sich um eine auf dem Grundsatz der
Gleichbehandlung beruhende Versorgungsverbindlichkeit im Sinne von § 1 Absatz 1 Satz 4 BetrAVG.
8.
Der sich hieraus für den Arbeitnehmer ergebende Anspruch gegen seinen Arbeitgeber ist nach § 7
BetrAVG insolvenzgeschützt.
Die Satzung der beklagten Pensionskasse
9.
In § 11 („Leistungsarten“) der Satzung der beklagten Pensionskasse heißt es:
„Als Leistungen werden gewährt an Mitglieder, die wegen des Eintritts des Versorgungsfalles aus den
Diensten der BEK ausscheiden ...:
...
2. Pensionen an Hinterbliebene nach Wegfall der Pensionszahlung an Mitglieder bzw. der
Dienstbezüge:
a) Witwenpension an die Witwe des verstorbenen Mitglieds. Witwerpension erhält der Ehemann
nach dem Tode seiner versicherten Ehefrau, wenn die Verstorbene den Unterhalt ihrer Familie
überwiegend bestritten hat“.
Der Ausgangsrechtsstreit und die Vorabentscheidungsfrage
10.
Die Ehefrau des Klägers war vom 1. September 1956 bis zu ihrem Tod am 12. November 1993 bei
der Barmer Ersatzkasse in Straubing beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis der Ehefrau des Klägers
war aufgrund einzelvertraglicher Bezugnahme der Ersatzkassentarifvertrag (EKTV) anwendbar.
11.
Nach den Bestimmungen des EKTV schuldet die Barmer Ersatzkasse ihren Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern Leistungen der betrieblichen Altersversorgung. Diese setzen sich zusammen aus einem
Ruhegeld, das die Barmer Ersatzkasse selbst schuldet, und einer Pension, die durch die beklagte
Pensionskasse an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Barmer Ersatzkasse gezahlt wird, die
Mitglieder der Pensionskasse sind. Die Barmer Ersatzkasse hat nach dem EKTV für ihre
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Beiträge zur beklagten Pensionskasse zu tragen. Die
verstorbene Ehefrau des Klägers war während der gesamten Dauer ihres Arbeitsverhältnisses Mitglied
der beklagten Pensionskasse.
12.
Der Kläger erhob beim Arbeitsgericht Klage gegen die Barmer Ersatzkasse und die beklagte
Pensionskasse auf Zahlung einer Witwerrente. Das Arbeitsgericht gab dieser Klage gegenüber der
beklagten Pensionskasse statt und wies die Klage gegen die Barmer Ersatzkasse ab. Die beklagte
Pensionskasse legte Berufung beim Landesarbeitsgericht ein. Da der Kläger keine Berufung einlegte,
erlangte die Abweisung seiner Klage gegen die Barmer Ersatzkasse Rechtskraft. Das
Landesarbeitsgericht wies die Berufung der beklagten Pensionskasse zurück. Diese legte daraufhin
beim Bundesarbeitsgericht Revision mit dem Antrag ein, die vorinstanzlichen Entscheidungen
aufzuheben und abzuändern und die Klage abzuweisen.
13.
Der Kläger vertrat den Standpunkt, die nach § 11 der Satzung der beklagten Pensionskasse
vorgesehene zusätzliche Anspruchsvoraussetzung für die Witwerpension sei gleichheitswidrig und
deshalb unwirksam. Ihm stehe die gleicheHinterbliebenenversorgung zu wie der Witwe eines früheren
Mitarbeiters der Barmer Ersatzkasse. Hierfür hafte die beklagte Pensionskasse als für die betriebliche
Altersversorgung der Barmer Ersatzkasse zuständige und von dieser eingeschaltete Organisation.
14.
In seinem Vorlagebeschluss stellt das Bundesarbeitsgericht u. a. fest, dass der vom Kläger geltend
gemachte Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung eine sonstige Vergütung im Sinne von Artikel 119
EG-Vertrag darstelle und dass § 11 Nummer 2 Buchstabe a der Satzung der beklagten Pensionskasse
im Widerspruch zu dieser Vertragsbestimmung stehe. Fraglich sei jedoch, ob der Kläger einen
Anspruch gegen die beklagte Pensionskasse habe. Eine Erstreckung des Geltungsbereichs des
Artikels 119 EG-Vertrag auch auf eine Pensionskasse würde zu schwer auflösbaren Ungereimtheiten
und Brüchen im nationalen Recht führen, ohne dass es dessen bedürfte, um die Arbeitnehmer vor
Geschlechtsdiskriminierung zu schützen.
15.
Das Bundesarbeitsgericht führt insbesondere Folgendes aus:
- Nach deutschem Arbeitsrecht bleibe der Arbeitgeber der Schuldner der dem Arbeitnehmer
zustehenden Leistungen auch in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Satzung der
Pensionskasse das Diskriminierungsverbot verletze. Er habe daher die bestehende Lücke durch
Einstehen für die betreffenden Leistungen zu schließen, ohne dass er sich dieser Verpflichtung
entziehen könne. Darüber hinaus sei der Arbeitnehmer im Fall der Insolvenz des Arbeitgebers
geschützt.
- Ausgehend davon werde in der deutschen Literatur ungeachtet des Umstands, dass die
Pensionskassen nach § 1 Absatz 3 BetrAVG als Versicherer bestimmte Versorgungsrisiken
übernähmen, die eigene Einstandspflicht einer Pensionskasse für arbeitsrechtliche
Gleichbehandlungspflichten überwiegend abgelehnt. Dabei werde unterstrichen, dass die
Pensionskasse zwar rechtlich selbständig sei, aber der Versicherungsaufsicht und dem
Versicherungsrecht unterliege; der versicherungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz gebiete
jedoch, gleiche Leistungen für gleiche Beiträge zu erbringen. Würde bei einer Pensionskasse das
durch ihre Satzung festgelegte Volumen der Versicherungsverbindlichkeiten erhöht, so hätte sie den
Mehraufwand durch erhöhte Beitragsleistungen auszugleichen, die, wenn der Arbeitgeber nicht für
seine Arbeitnehmer die Beiträge allein übernommen habe, nicht den Arbeitgeber, der Schuldner der
Leistungen sei, sondern die Gemeinschaft der versicherten Arbeitnehmer belasten würden.
16.
In Anbetracht der Rechtsprechung des Gerichtshofes (Urteile vom 28. September 1994 in der
Rechtssache C-200/91, Coloroll Pension Trustees, Slg. 1994, I-4389, und in der Rechtssache C-128/93,
Fisscher, Slg. 1994, I-4583) hat das Bundesarbeitsgericht jedoch beschlossen, das Verfahren
auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:
Muss Artikel 119 EG-Vertrag dahin ausgelegt werden, dass Pensionskassen als Arbeitgeber
anzusehen sind und Gleichbehandlung von Mann und Frau bei Leistungen der betrieblichen
Altersversorgung schulden, obwohl den benachteiligten Arbeitnehmern gegenüber ihren
unmittelbaren Versorgungsschuldnern, den Arbeitgebern als Parteien der Arbeitsverträge, ein
insolvenzgeschützter, die Diskriminierung ausschließender Anspruch zusteht?
Zur Vorabentscheidungsfrage
17.
Nach ständiger Rechtsprechung stellt eine im Rahmen eines durch Tarifvertrag geschaffenen
betrieblichen Rentensystems gezahlte Altersrente eine Vergütung dar, die der Arbeitgeber aufgrund
des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer zahlt, und fällt somit in den Anwendungsbereich von Artikel
119 EWG-Vertrag, und zwar unabhängig davon, ob dieses System an die Stelle des gesetzlichen
Systems tritt oder ergänzenden Charakter hat (vgl. u. a. Urteile vom 13. Mai 1986 in der Rechtssache
170/84, Bilka, Slg. 1986, 1607, Randnrn. 20 und 22, vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C-262/88,
Barber, Slg. 1990, I-1889, Randnr. 28, und vom 14. Dezember 1993 in der Rechtssache C-110/91,
Moroni, Slg. 1993, I-6591, Randnr. 15).
18.
Auch eine in einem Betriebsrentensystem vorgesehene Hinterbliebenenrente fällt, wie der
Gerichtshof anerkannt hat, in den Anwendungsbereich von Artikel 119 EG-Vertrag. Dieser Auslegung
steht nicht entgegen, dass die genannte Rente ihrem Begriff gemäß nicht dem Arbeitnehmer,
sondern seinem Hinterbliebenen gezahlt wird, da eine solche Leistung eine Vergütung ist, die ihren
Ursprung in der Zugehörigkeit des Ehegatten des Hinterbliebenen zu dem Rentensystem hat, so dass
der Hinterbliebene den Rentenanspruch im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses zwischen
seinem Ehegatten und dessen Arbeitgeber erwirbt und ihm die Rente aufgrund des
Beschäftigungsverhältnisses seines Ehegatten gezahlt wird (vgl. Urteil vom 6. Oktober 1993 in der
Rechtssache C-109/91, Ten Oever, Slg. 1993, I-4879, Randnrn. 12 und 13, Urteil Coloroll Pension
Trustees, Randnr. 18, und Urteil vom 17. April 1997 in der Rechtssache C-147/95, Evrenopoulos, Slg.
1997, I-2057, Randnr. 22).
19.
Daraus folgt, dass der überlebende Ehegatte des verstorbenen Arbeitnehmers sich für die
Anerkennung seines Anspruchs auf eine Hinterbliebenenrente dem Grunde und der Höhe nach auf
Artikel 119 EG-Vertrag berufen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil Coloroll Pension Trustees, Randnr.
19).
20.
Was die Frage angeht, ob der überlebende Ehegatte sich auf diesen Artikel gegenüber einer
externen Einrichtung, wie z. B. einer Pensionskasse deutschen Rechts, berufen kann, die der
Arbeitgeber mit der Zahlung der betreffenden Leistungen betraut hat und die rechtlich selbständig
ist, so steht der Anwendbarkeit von Artikel 119 EG-Vertrag auf ein Betriebsrentensystem nach den
Urteilen Barber und Coloroll Pension Trustees nicht entgegen, dass dieses System treuhänderisch
ausgestaltet ist und von Treuhändern verwaltet wird, die vom Arbeitgeber formal unabhängig sind, da
Artikel 119 auch fürVergütungen gilt, die der Arbeitgeber mittelbar zahlt (vgl. Urteile Barber, Randnrn.
28 und 29, und Coloroll Pension Trustees, Randnr. 20).
21.
Der Gerichtshof hat ebenfalls entschieden, dass die Treuhänder, obwohl am Arbeitsverhältnis nicht
beteiligt, mit der Erbringung von Leistungen betraut sind, die dadurch ihren Charakter als Entgelt im
Sinne von Artikel 119 nicht verlieren, und dass sie deshalb verpflichtet sind, alles in ihrer
Zuständigkeit Liegende zu tun, um die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung auf diesem
Gebiet sicherzustellen (Urteil Coloroll Pension Trustees, Randnr. 22).
22.
In Randnummer 31 des Urteil Fisscher ist der Gerichtshof in Bezug auf die Verwalter eines
Betriebsrentensystems niederländischen Rechts, die wie die Treuhänder nicht am Arbeitsverhältnis
beteiligt waren, zu demselben Ergebnis gelangt.
23.
Da diejenigen, die mit der Verwaltung eines Betriebsrentensystems betraut sind, Leistungen zu
erbringen haben, die ein Entgelt im Sinne von Artikel 119 EG-Vertrag darstellen, haben sie folglich den
in dieser Vorschrift niedergelegten Grundsatz des gleichen Entgelts ungeachtet ihrer Rechtsform und
unabhängig davon zu beachten, in welcher Weise sie mit der Verwaltung dieses Rentensystems
betraut sind.
24.
Diese Feststellung gilt auch für Pensionskassen deutschen Rechts wie die beklagte Pensionskasse.
Da diese mit der Verwaltung von Betriebsrentensystemen betraut sind und den bei ihnen versicherten
Arbeitnehmern und deren anspruchsberechtigten Angehörigen Leistungen zu gewähren haben, die,
wie in den Randnummern 17 und 18 dieses Urteils hervorgehoben worden ist, in den
Anwendungsbereich des Artikels 119 EG-Vertrag fallen, sind sie verpflichtet, den in dieser Vorschrift
niedergelegten Grundsatz des gleichen Entgelts zu beachten, ohne dass es dabei auf ihre rechtliche
Selbständigkeit oder ihre Eigenschaft als Versicherungsunternehmen ankommt.
25.
Insbesondere stellt der Umstand, dass eine Pensionskasse deutschen Rechts in ihrer Eigenschaft
als Versicherungsunternehmen dem Versicherungsrecht und damit dem eigenständigen
versicherungsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz unterliegt und dass die Erhöhung des
Volumens ihrer Verbindlichkeiten im Versicherungsbereich infolge der Anwendung des Artikels 119 EG-
Vertrag zu Maßnahmen zum Ausgleich dieser Erhöhung führen könnte, zu denen gegebenenfalls die
Erhöhung der Beiträge für alle versicherten Arbeitnehmer gehören könnte, ein Problem dar, das durch
das innerstaatliche Recht gelöst werden muss. Jedenfalls kann das Bestehen eines solchen Problems
die in der vorstehenden Randnummer getroffene Feststellung nicht entkräften.
26.
Wie der Gerichtshof in den Randnummern 42 und 43 des Urteils Coloroll Pension Trustees in Bezug
auf ein als Trust ausgestaltetes Betriebsrentensystem festgestellt hat, ist die Tatsache, dass die
Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts mit Schwierigkeiten verbunden ist, die sich aus
der Unzulänglichkeit der von den Treuhändern verwalteten Mittel ergeben, ein Problem des nationalen
Rechts. Etwaige Probleme, die sich aus der Unzulänglichkeit dieser Mittel für die Angleichung
derLeistungen ergeben, sind daher auf der Grundlage des nationalen Rechts unter Beachtung des
Grundsatzes des gleichen Entgelts zu lösen und können insbesondere die Feststellung in
Randnummer 24 des Urteils Coloroll Pension Trustees nicht berühren, wonach sowohl die
Arbeitnehmer als auch ihre anspruchsberechtigten Angehörigen sich gegenüber den Treuhändern
eines Betriebsrentensystems, die im Rahmen ihrer Befugnisse und Pflichten den Grundsatz der
Gleichbehandlung zu beachten haben, auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 EG-Vertrag
berufen können.
27.
Die gleiche Feststellung ist hinsichtlich der ähnlichen, ebenfalls auf der Unzulänglichkeit der Mittel
beruhenden Probleme geboten, denen sich eine Pensionskasse deutschen Rechts, die Artikel 119 EG-
Vertrag anzuwenden hat, aufgrund der Besonderheiten des deutschen Versicherungsrechts
gegenübersieht.
28.
Es ist ferner zu prüfen, ob die Verpflichtung, Artikel 119 EG-Vertrag zu beachten, auch eine
Einrichtung wie eine Pensionskasse deutschen Rechts trifft, wenn Arbeitnehmer, die aufgrund ihres
Geschlechts von dieser Einrichtung diskriminierend behandelt werden, oder ihre
anspruchsberechtigten Angehörigen sich an den Arbeitgeber wenden können, der nach
innerstaatlichem Recht unmittelbarer Schuldner der von dieser Einrichtung erbrachten Leistungen
bleibt, und wenn ihnen insoweit ein bei Insolvenz des Arbeitgebers geschützter, die Diskriminierung
ausschließender Anspruch zusteht.
29.
Nach ständiger Rechtsprechung würde die praktische Wirksamkeit von Artikel 119 EG-Vertrag
beträchtlich geschmälert und der für eine wirkliche Gleichstellung notwendige Rechtsschutz stark
eingeschränkt, wenn sich ein Arbeitnehmer oder seine anspruchsberechtigten Angehörigen auf diese
Bestimmung nur gegenüber dem Arbeitgeber berufen könnten und nicht auch gegenüber denjenigen,
die ausdrücklich mit der Erfüllung der Verpflichtungen des Arbeitgebers betraut sind (vgl. in diesem
Sinne die Urteile Coloroll Pension Trustees, Randnr. 23, und Fisscher, Randnr. 31).
30.
Entgegen den insoweit vom vorlegenden Gericht zum Ausdruck gebrachten Zweifeln bleibt diese
Feststellung auch dann gültig, wenn Arbeitnehmer, die aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert sind,
oder ihre anspruchsberechtigten Angehörigen nach innerstaatlichem Recht umfassenden
Rechtsschutz gegenüber dem Arbeitgeber genießen. Die praktische Wirksamkeit des Artikels 119 EG-
Vertrag gebietet, dass diese Vorschrift von jedem zu beachten ist, der Leistungen zu erbringen hat,
die in ihren Anwendungsbereich fallen. Könnten sich der Arbeitnehmer oder seine
anspruchsberechtigten Angehörigen nur an den Arbeitgeber wenden und wäre ihnen die
Inanspruchnahme der mit der Erbringung der Leistungen betrauten Einrichtung verwehrt, so würde
dies die Zahl der Personen beschränken, denen gegenüber sie ihre Ansprüche geltend machen
können.
31.
Eine solche Beschränkung würde aber die praktische Wirksamkeit des Artikels 119 EG-Vertrag
schmälern. Sie wäre darüber hinaus umso weniger vereinbar mit dieser Vorschrift, als die fragliche
Diskriminierung wie im Ausgangsverfahren auf derSatzung der Einrichtung beruhen kann, die mit der
Erbringung der Leistungen betraut ist und die daher insbesondere in den Augen eines
Anspruchsberechtigten als der normale Schuldner der betreffenden Leistung erscheint.
32.
Die Anwendbarkeit von Artikel 119 EG-Vertrag auf Pensionskassen deutschen Rechts ist folglich
erforderlich, um für Arbeitnehmer, die aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert sind, oder
gegebenenfalls ihre anspruchsberechtigten Angehörigen umfassenden und einheitlichen Rechtschutz
zu gewährleisten.
33.
Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 119 EG-Vertrag dahin auszulegen
ist, dass Einrichtungen wie die Pensionskassen deutschen Rechts, die damit betraut sind, Leistungen
eines Betriebsrentensystems zu erbringen, die Gleichbehandlung von Männern und Frauen
sicherzustellen haben, auch wenn Arbeitnehmern, die aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert sind,
gegenüber ihren unmittelbaren Versorgungsschuldnern, den Arbeitgebern als Parteien der
Arbeitsverträge, ein insolvenzgeschützter, die Diskriminierung ausschließender Anspruch zusteht.
Kosten
34.
Die Auslagen der deutschen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission, die vor
dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des
Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht
anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm vom Bundesarbeitsgericht mit Beschluss 23. März 1999 vorgelegte Frage für Recht
erkannt:
Artikel 119 EG-Vertrag (die Artikel 117 bis 120 EG-Vertrag sind durch die Artikel 136 EG bis
143 EG ersetzt worden) ist dahin auszulegen, dass Einrichtungen wie die Pensionskassen
deutschen Rechts, die damit betraut sind, Leistungen eines Betriebsrentensystems zu
erbringen, die Gleichbehandlung von Männern und Frauen sicherzustellen haben, auch
wenn Arbeitnehmern, die aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert sind, gegenüber ihren
unmittelbaren Versorgungsschuldnern, den Arbeitgebern als Parteien der
Arbeitsverträge, ein insolvenzgeschützter, die Diskriminierung ausschließender Anspruch
zusteht.
Macken
Colneric
Gulmann
Puissochet Skouris
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. Oktober 2001.
Der Kanzler
Die Präsidentin der Sechsten Kammer
R. Grass
F. Macken
Verfahrenssprache: Deutsch.