Urteil des EuGH vom 13.03.2003

EuGH: kommission, niederlande, verordnung, erlass, mais, grobe fahrlässigkeit, aktiven, ablauf der frist, klage auf nichtigerklärung, klagegrund

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
13. März 2003
„Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung C (2000) 485 endg. - Erstattung der Einfuhrabgaben - Aktiver
Veredelungsverkehr - Fehlende Äquivalenz zwischen Gemeinschaftserzeugnissen und eingeführten
Erzeugnissen“
In der Rechtssache C-156/00
Königreich der Niederlande,
diesen und J. van Bakel als Bevollmächtigte,
Kläger,
gegen
Kommission der Europäischen
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung C (2000) 485 endg. der Kommission vom 23. Februar 2000, mit
der in einem Einzelfall festgestellt wird, dass ein Antrag auf Erstattung von Einfuhrabgaben in Höhe eines
bestimmten Betrages unzulässig und die Erstattung der Einfuhrabgaben in Höhe eines anderen Betrages
nicht gerechtfertigt ist,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer C. W. A. Timmermans in Wahrnehmung der Aufgaben
des Präsidenten der Fünften Kammer sowie der Richter D. A. O. Edward, P. Jann, S. von Bahr
(Berichterstatter) und A. Rosas,
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: M. -F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 16. Mai 2002, in der das Königreich der Niederlande durch N.
A. J. Bel als Bevollmächtigten und die Kommission durch H. M. H. Speyart als Bevollmächtigten vertreten
waren,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juli 2002
folgendes
Urteil
1.
Das Königreich der Niederlande hat mit Klageschrift, die am 27. April 2000 bei der Kanzlei des
Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 230 EG Klage erhoben auf Nichtigerklärung der
Entscheidung C (2000) 485 endg. der Kommission vom 23. Februar 2000, mit der in einem Einzelfall
festgestellt wird, dass ein Antrag auf Erstattung von Einfuhrabgaben in Höhe eines bestimmten
Betrages unzulässig und die Erstattung der Einfuhrabgaben in Höhe eines anderen Betrages nicht
gerechtfertigt ist (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).
Rechtlicher Rahmen
2.
Die Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex
der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex oder ZK) kodifizierte die im Bereich des
gemeinsamen Zollrechts geltende Regelung. Durchführungsbestimmungen zum Zollkodex sind in der
Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der
Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1, im Folgenden: Durchführungsverordnung oder DV)
enthalten. Diese Regelungen gelten seit dem 1. Januar 1994.
3.
Die vorherige Regelung, die auf Sachverhalte vor dem 1. Januar 1994 anwendbar ist, ist im
Folgenden nach Maßgabe dessen in dem Teil des rechtlichen Rahmens über den Zollkodex oder in
dem Teil über die Durchführungsverordnung erwähnt, durch welchen Text sie geändert wurde.
4.
Artikel 220 ZK regelt die nachträgliche buchmäßige Erfassung einer Zollschuld. Nach Absatz 2
Buchstabe b dieses Artikels erfolgt, außer in bestimmten, in dieser Bestimmung angegebenen Fällen,
keine nachträgliche buchmäßige Erfassung der Zollschuld, wenn „der gesetzlich geschuldete
Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern
dieser Irrtum vom Zollschuldner nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und
alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat“.
5.
Artikel 221 Absätze 1 und 3 ZK bestimmt:
„(1) Der Abgabenbetrag ist dem Zollschuldner in geeigneter Form mitzuteilen, sobald der Betrag
buchmäßig erfasst worden ist.
...
(3) Die Mitteilung an den Zollschuldner darf nach Ablauf einer Frist von drei Jahren nach dem
Zeitpunkt des Entstehens der Zollschuld nicht mehr erfolgen. Konnten die Zollbehörden jedoch
aufgrund einer strafbaren Handlung den gesetzlich geschuldeten Abgabenbetrag nicht genau
ermitteln, so kann die Mitteilung noch nach Ablauf der genannten Dreijahresfrist erfolgen, sofern dies
nach geltendem Recht vorgesehen ist.“
6.
Vor dem 1. Januar 1994 war die Artikel 221 Absätze 1 und 3 entsprechende Regelung in Artikel 2
Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung
von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die
zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger
Abgaben beinhaltet (ABl. L 197, S. 1), enthalten. Diese Bestimmung wurde inhaltlich in Artikel 221
Absätze 1 und 3 ZK übernommen.
7.
Nach Artikel 239 Absatz 1 zweiter Gedankenstrich ZK können Einfuhrabgaben in Fällen erlassen
werden, die „sich aus Umständen [ergeben], die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche
Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind“. Der Erlass kann von besonderen
Voraussetzungen abhängig gemacht werden.
8.
Nach Artikel 239 Absatz 2 ZK erfolgt „der Erlass der Abgaben aus den in Absatz 1 genannten
Gründen ... auf Antrag; dieser ist innerhalb von zwölf Monaten nach der Mitteilung der Abgaben an
den Zollschuldner bei der zuständigen Zollstelle zu stellen“.
9.
Artikel 239 ZK trat an die Stelle von Artikel 13 der Verordnung (EWG) Nr. 1430/79 des Rates vom 2.
Juli 1979 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben (ABl. L 175, S. 1) in
der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom 7. Oktober 1986 (ABl. L 286, S. 1).
Dieser Artikel 13 sah in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 des Rates vom 7. Oktober 1986
(ABl. L 286, S. 1) geänderten Fassung in Absatz 1 Unterabsatz 1 vor:
„Die Eingangsabgaben können außer in den in den Abschnitten A bis D genannten Fällen bei
Vorliegen besonderer Umstände erstattet oder erlassen werden, sofern der Beteiligte nicht in
betrügerischer Absicht oder offensichtlich fahrlässig gehandelt hat ...“
10.
Artikel 569 Absatz 1 DV, der zu Kapitel 3 - aktiver Veredelungsverkehr - Abschnitt 4 Unterabschnitt 1
- Ersatz durch äquivalente Waren - gehört, sieht vor:
„... [F]ür die Inanspruchnahme des Ersatzes durch äquivalente Waren ... [müssen] die Ersatzwaren zu
demselben achtstelligen Code der Kombinierten Nomenklatur gehören und dieselbe Handelsqualität
und dieselben technischen Merkmale besitzen wie die Einfuhrwaren.“
11.
Vor dem Inkrafttreten der Durchführungsverordnung war die Artikel 569 Absatz 1 entsprechende
Bestimmung Artikel 9 der Verordnung (EWG) Nr. 2228/91 der Kommission vom 26. Juni 1991 mit
Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 1999/85 des Rates über den aktiven
Veredelungsverkehr (ABl. L 210, S. 1), dessen Wortlaut im Wesentlichen in die
Durchführungsverordnung übernommen wurde.
12.
Artikel 589 Absatz 1 DV, der zu Kapitel 3 - aktive Veredelung - Abschnitt 5 Unterabschnitt 2 -
Beendigung der Regelung - gehört, bestimmt:
„Entsteht für Veredelungserzeugnisse oder unveredelte Waren eine Zollschuld, so sind auf den
Betrag der fälligen Einfuhrabgaben Ausgleichszinsen zu zahlen.“
13.
Nach Artikel 589 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich DV sind Ausgleichszinsen nicht zu zahlen, „wenn
der Bewilligungsinhaber [für den aktiven Veredelungsverkehr] im konkreten Fall die Überführung in
den zollrechtlich freien Verkehr beantragt und den Nachweis erbringt, dass besondere Umstände, die
weder auf Fahrlässigkeit noch auf betrügerische Absicht seinerseits zurückzuführen sind, die
beabsichtigte Ausfuhr unter den von ihm vorgesehenen und bei Einreichen des Antrags auf
Bewilligung ordnungsgemäß begründeten Bedingungen unmöglich oder wirtschaftlich unmöglich
machen“.
14.
Artikel 589 Absatz 3 DV regelt das Verfahren der Inanspruchnahme des Absatzes 2 fünfter
Gedankenstrich. Danach ist ein Antrag an die Zollbehörden zu richten, die von dem Mitgliedstaat
benannt werden, der die Bewilligung für den aktiven Veredelungsverkehr erteilt hat. Diese sind für die
Befreiung von der Pflicht zur Zahlung der Ausgleichszinsen zuständig, wenn der als Grundlage für die
Berechnung der Ausgleichszinsen dienende Betrag einen bestimmten Wert nicht übersteigt. Wird
dieser Betrag überstiegen und beabsichtigen die Zollbehörden, dem Antrag stattzugeben, so
übermitteln sie den Antrag der Kommission mit allen für eine vollständige Prüfung erforderlichen
Unterlagen, damit diese über seine Behandlung entscheidet.
15.
Vor dem Inkrafttreten der Durchführungsverordnung waren die Artikel 589 Absätze 1, 2 und 3
entsprechenden Bestimmungen in Artikel 62 Absätze 1, 2 und 3 der Verordnung Nr. 2228/91
enthalten, deren Wortlaut im Wesentlichen in die Durchführungsverordnung übernommen worden ist.
16.
Artikel 859 DV bestimmt in Teil IV - Zollschuld -, dass sieben Verfehlungen als solche gelten, die sich
auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben, sofern es
sich nicht um den Versuch handelt, die Waren der zollamtlichen Überwachung zu entziehen, keine
grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt und alle notwendigen Förmlichkeiten erfüllt werden, um
die Situation der Waren zu bereinigen. Diese Verfehlungen sind nummeriert und umfassen u. a. die
Überschreitung bestimmter Fristen, den nicht bewilligten Ortswechsel einer Ware in einem
Zollverfahren und das Verbringen der Ware aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft ohne Erfüllung der
vorgeschriebenen Zollförmlichkeiten.
17.
Artikel 905 Absatz 1 Unterabsatz 1 DV, der die Entscheidungen betrifft, die von der Kommission im
Rahmen der Anwendung von Artikel 239 ZK zu treffen sind, bestimmt:
„Ist die Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag auf ... Erlass nach Artikel 239 Absatz 2 Zollkodex
gestellt worden ist, nicht in der Lage, ... zu entscheiden, und lässt die Begründung des Antrags auf
einen besonderen Fall schließen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische
Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so legt der Mitgliedstaat, zu
dem diese Behörde gehört, den Fall der Kommission zur Behandlung nach dem Verfahren der Artikel
906 bis 909 vor.“
18.
Nach Artikel 907 DV entscheidet die Kommission, ob die besonderen Umstände des geprüften
Falles den Erlass rechtfertigen.
19.
Artikel 908 Absatz 2 DV sieht vor, dass die Entscheidungszollbehörde ihre Entscheidung über den
Antrag anhand der Entscheidung der Kommission trifft.
20.
Vor dem Inkrafttreten der Durchführungsverordnung waren die in den Artikeln 905, 907 und 908
enthaltenen Bestimmungen in den Artikeln 6, 8 und 9 der Verordnung (EWG) Nr. 3799/86 der
Kommission vom 12. Dezember 1986 zur Durchführung der Artikel 4a, 6a, 11a und 13 der Verordnung
Nr. 1430/79 (ABl. L 352, S. 19) enthalten. Die Durchführungsverordnung hat den Wortlaut der Artikel
6, 8 und 9 der Verordnung Nr. 3799/86 im Wesentlichen übernommen.
Sachverhalt und angefochtene Entscheidung
21.
Die Gesellschaft niederländischen Rechts Cargill BV (im Folgenden: Antragstellerin) betreibt die
Herstellung von Stärke und Glukosesirup. Sie verfügte über eine Genehmigung für den aktiven
Veredelungsverkehr, die es ihr erlaubte, Mais aus Drittländern abgabenfrei einzuführen, sofern der
Mais zu Glukose, einem Hauptveredelungserzeugnis, sowie zu bestimmten anderen
Nebenveredelungserzeugnissen verarbeitet wurde und diese Erzeugnisse aus dem Zollgebiet der
Gemeinschaft wieder ausgeführt wurden. In den Jahren 1992 bis 1994 überführte Cargill 65 000 t Mais
in das Zollverfahren des aktiven Veredelungsverkehrs.
22.
Die Antragstellerin konnte gemäß der ihr erteilten Genehmigung für den aktiven
Veredelungsverkehr für die Zwecke der Herstellung von zur Ausfuhr bestimmter Glukose eine
Ersatzware aus der Gemeinschaft für den aus Drittländern eingeführten Mais verwenden.
23.
Bei 1994 und 1995 vorgenommenen Kontrollen stellte der allgemeine Inspektionsdienst des
niederländischen Ministeriums für Landwirtschaft, Landschaftspflege und Fischerei (im Folgenden:
Inspektionsdienst) fest, dass das von der Antragstellerin ausgeführte Hauptveredelungserzeugnis
nicht vollständig aus eingeführtem Mais, sondern aus 25 % eingeführtem Mais und 75 % Weizen aus
der Gemeinschaft gewonnen wurde. Die beiden Erzeugnisse sind nicht in dieselbe Tarifposition der
Kombinierten Nomenklatur eingereiht.
24.
Nach diesen Kontrollen fragten die Niederlande bei der Kommission an, ob sie die Äquivalenz des
aus Drittländern eingeführten Maises und des Weizens aus der Gemeinschaft anerkenne. Mit
Schreiben vom 23. November 1995 antwortete die Kommission, sie könne diese Äquivalenz nicht
anerkennen, und verwies insbesondere auf den unterschiedlichen tariflichen Schutz beider
Erzeugnisse.
25.
Mit Schreiben vom 18. November 1996 forderte die Kommission die Niederlande auf, sämtliche 1992
bis 1995 zugunsten der Antragstellerin vorgenommenen Überführungen in den aktiven
Veredelungsverkehr anzugeben und sie erneut von Fällen von Unregelmäßigkeiten oder Betrügereien
zu unterrichten.
26.
Die Niederlande übermittelten der Antragstellerin mit Schreiben vom 3. Dezember 1996 den Betrag
der von ihr für die Jahre 1992 bis 1994 geschuldeten Einfuhrabgaben zuzüglich Ausgleichszinsen,
insgesamt 17 491 244,45 NLG.
27.
Die Antragstellerin legte bei den zuständigen Zollbehörden Einspruch gegen diesen
Abgabenbescheid ein. Ferner beantragte sie die Aussetzung der Einforderung der Zollschuld gegen
Stellung einer Bürgschaft in gleicher Höhe; diesem Antrag wurde stattgegeben.
28.
Am 2. Dezember 1997 beantragte die Antragstellerin die Erstattung oder den Erlass der
Einfuhrabgaben.
29.
Mit Schreiben vom 22. April 1999 übermittelte die niederländische Regierung diesen Antrag der
Kommission, die nach vollständiger Prüfung des Vorgangs die angefochtene Entscheidung erließ.
30.
In Nummer 14 der angefochtenen Entscheidung stellte die Kommission erstens fest, dass der
Erstattungsantrag unzulässig sei, soweit er die Ausgleichszinsen in Höhe von 732 093,78 NLG
betreffe. Diese seien kein Teil der Zollschuld; sie habe daher über ihre Erstattung nicht zu
entscheiden. Diese Entscheidung obliege den nationalen Behörden.
31.
Zweitens stellt die Kommission in Nummer 15 der angefochtenen Entscheidung fest, dass der
Antrag auch insoweit unzulässig sei, als er sich auf Abgaben für vor dem 3. Dezember 1993, also mehr
als drei Jahre vor der Mitteilung der niederländischen Zollbehörden an die Antragstellerin vom 3.
Dezember 1996, getätigte Einfuhren in Höhe von 15 679 301,49 NLG beziehe. Diese Abgaben seien
gemäß Artikel 221 Absatz 3 ZK verjährt und könnten von der Antragstellerin nicht mehr gefordert
werden.
32.
Drittens ist nach den Nummern 17 bis 35 der angefochtenen Entscheidung der Erstattungsantrag
unbegründet, soweit er die Abgaben betrifft, die nicht zu der verjährten Zollschuld gehören, also für 1
079 849,18 NLG. Die Kommission stellt fest, dass die Praxis der Antragstellerin nicht mit den
geltenden Bestimmungen oder der Genehmigung für den aktiven Veredelungsverkehr im Einklang
stehe, die ihr erteilt worden sei. Der Weizen aus der Gemeinschaft könne im Rahmen einer
Genehmigung für den aktiven Veredelungsverkehr nicht für die Verarbeitung von Mais zu Glukose im
Wege des Ersatzes durch äquivalente Waren verwendet werden.
33.
Die anderen anwendbaren Zollregelungen seien hingegen eingehalten worden. Die zuständigen
Zollbehörden hätten die Praxis der Antragstellerin auch mehrere Jahre lang in Bezug auf erhebliche
Mengen Waren nicht beanstandet. All diese Umstände seien geeignet, einen Ausnahmefall im Sinne
von Artikel 239 ZK zu begründen. Ein Erlass der Einfuhrabgaben komme jedoch nur dann in Betracht,
wenn der Betroffene weder betrügerische Absichten noch offensichtliche Fahrlässigkeit gezeigt habe.
34.
Die Antragstellerin habe zwar keine betrügerische Absicht gehabt, jedoch offensichtlich fahrlässig
gehandelt.
Einleitende Ausführungen
35.
Vorab ist festzustellen, dass sich der der Zollschuld zugrunde liegende Sachverhalt teilweise vor
dem 1. Januar 1994, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zollkodex und der
Durchführungsverordnung, und teils nach diesem Zeitpunkt zugetragen hat.
36.
Daher sind nicht nur diese beiden Regelungen, sondern gemäß der Rechtsprechung des
Gerichtshofes in Bezug auf die Zeit vor dem 1. Januar 1994 die materiell-rechtlichen Vorschriften der
vor Inkrafttreten des Zollkodex geltenden Regelung heranzuziehen (vgl. Urteil vom 7. September 1999
in der Rechtssache C-61/98, De Haan, Slg. 1999, I-5003, Randnr. 14).
Zum ersten Klagegrund
37.
Mit seinem ersten Klagegrund macht das Königreich der Niederlande geltend, dass die
angefochtene Entscheidung gegen Artikel 589 DV und hilfsweise gegen die Begründungspflicht
gemäß Artikel 253 EG verstoße, soweit mit ihr der Teil des Antrags für unzulässig erklärt werde, der
sich auf den Erlass von Ausgleichszinsen beziehe.
38.
Das Königreich der Niederlande macht geltend, nach Artikel 589 Absatz 1 DV seien, wenn für
Veredelungserzeugnisse eine Zollschuld entstehe, auf den Betrag der fälligen Einfuhrabgaben
Ausgleichszinsen zu zahlen. Nach Artikel 589 Absatz 3 DV hätten die Zollbehörden, die unter
bestimmten Umständen einem Antrag, diese Zinsen nicht zu erheben, stattgeben wollten, diesen
Antrag der Kommission zu übermitteln. Erhebe diese nicht innerhalb einer Frist von zwei Monaten vom
Datum der Empfangsbestätigung an Einwände, gewähre der betreffende Mitgliedstaat den Erlass.
39.
Somit seien die Ausgleichszinsen Teil der Zollschuld, und die Kommission könne nicht ohne
ergänzende Prüfung oder zumindest ohne weitere Begründung entscheiden, dass der Antrag auf
Erlass der Ausgleichszinsen unzulässig sei.
40.
Artikel 239 ZK ermächtige die Kommission, den Erlass der Einfuhrabgaben zu genehmigen; eine
derartige Entscheidung habe auch Folgen für die davon erhobenen Ausgleichszinsen.
41.
Die Kommission macht dagegen geltend, dass sie für einen Antrag auf Erlass der Ausgleichszinsen
nicht zuständig sei.
42.
Erstens bedeute die Wendung „sind ... zu zahlen“ in Artikel 589 Absatz 1 DV, der bestimme
„Entsteht für Veredelungserzeugnisse oder unveredelte Waren eine Zollschuld, so sind auf den
Betrag der fälligen Einfuhrabgaben Ausgleichszinsen zu zahlen“, dass die betreffenden Zinsen kein
Teil der Zollschuld seien, wie sie im Gemeinschaftsrecht definiert sei.
43.
Ferner gehe aus Artikel 589 Absatz 3 DV hervor, dass die Kommission für einen Antrag auf Erlass
der Ausgleichszinsen nur in dem in Artikel 589 Absatz 2 fünfter Gedankenstrich DV angegebenen Fall
zuständig sei, nämlich dann, wenn diese Zollschuld durch die Überführung der betreffenden Waren in
den zollrechtlich freien Verkehr entstehe. Dies sei hier jedoch nicht der Fall, da der eingeführte Mais
unstreitig nach seiner Verarbeitung zu Glukose wieder aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft
ausgeführt worden sei.
44.
Zu Artikel 239 ZK macht die Kommission schließlich geltend, dass sie zwar nach dieser Bestimmung
für die Entscheidung über den Erlass einer Zollschuld zuständig sei. Die Entscheidung über einen
Erlass der Ausgleichszinsen obliege ihr jedoch nicht, da diese kein Teil der Zollschuld seien. Nach der
im Zollrecht der Gemeinschaft vorgesehenen Zuständigkeitsverteilung sei es grundsätzlich Sache der
nationalen Behörden, die Einzelfallentscheidungen zu treffen, sofern der Kommission keine besondere
Zuständigkeit übertragen worden sei.
45.
Zunächst stellt Artikel 589 Absatz 1 DV die allgemeine Regel auf, dass beim Entstehen einer
Zollschuld für Veredelungserzeugnisse auf den Betrag der fälligen Einfuhrabgaben Ausgleichszinsen
zu zahlen sind.
46.
Artikel 589 Absatz 2 DV regelt die Ausnahmen von dieser Regel. Das Königreich der Niederlande
beruft sich auf die Ausnahme im fünften Gedankenstrich dieser Bestimmung sowie auf das in Artikel
589 Absatz 3 DV geregelte Verfahren für deren Inanspruchnahme und gelangt zu dem Ergebnis, dass
es Sache der Kommission sei, über den Antrag auf Erlass der Ausgleichszinsen zu entscheiden.
47.
Zwar sieht das Verfahren des Artikels 589 Absatz 3 DV in bestimmten Fällen die Beteiligung der
Kommission vor, doch betrifft es nur die Fälle, in denen die Ware zum freien Verkehr in der
Gemeinschaft abgefertigt wird. Wie die Kommission zu Recht ausführt, ist die in Rede stehende Ware
jedoch nicht zum zollrechtlich freien Verkehr abgefertigt, sondern aus dem Zollgebiet der
Gemeinschaft ausgeführt worden. Daher ist die Bestimmung, auf die sich das Königreich der
Niederlande zur Stützung seines ersten Klagegrundes beruft, auf den vorliegenden Fall nicht
anwendbar und somit nicht erheblich.
48.
Was sodann Artikel 239 ZK angeht, so bedeutet der bloße Umstand, dass ein Erlass der
Einfuhrabgaben aufgrund einer Entscheidung der Kommission gemäß den Artikeln 905 und 907 DV
Folgen für die von den zuständigen Zollbehörden auf diese Abgaben erhobenen Ausgleichszinsen hat,
nicht, dass die Kommission diese Zinsen erlassen könnte.
49.
Vielmehr ist die Kommission gemäß Artikel 905 DV nur für eine Entscheidung über die Erstattung
von Einfuhrabgaben zuständig, kann aber nicht über die Ausgleichszinsen entscheiden. Für diese
Zinsen, die von den Zollbehörden gemäß Artikel 589 Absatz 1 DV erhoben werden, gilt einfach
dasselbe wie für die Einfuhrabgaben, ohne dass die Kommission hierzu eine Entscheidung zu treffen
hätte.
50.
Dasselbe gilt für die vor dem 1. Januar 1994 anwendbare Regelung, nämlich Artikel 62 Absätze 1, 2
und 3 der Verordnung Nr. 2228/91, Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 in der durch die
Verordnung Nr. 3069/86 geänderten Fassung sowie die Artikel 6 und 8 der Verordnung Nr. 3799/86.
51.
Daher hat die Kommission entgegen der Ansicht des Königreichs der Niederlande in Nummer 14 der
angefochtenen Entscheidung den Erlassantrag in Bezug auf die Ausgleichszinsen zu Recht für
unzulässig erklärt.
52.
Die Rüge der unzureichenden Begründung der angefochtenen Entscheidung im Hinblick auf die
Anforderungen des Artikels 253 EG schließlich wird vom Königreich der Niederlande erhoben, ohne
dass sie in irgendeiner Weise substanziiert würde. Zudem ergibt sich aus Nummer 14 der
angefochtenen Entscheidung, dass die Kommission die Gründe angibt, deretwegen sie der Ansicht ist,
dass ein Erlassantrag in Bezug auf die Ausgleichszinsen unzulässig ist, und insbesondere angibt, dass
sie über deren Erlass nicht entscheiden könne und dass es Sache der nationalen Zollbehörden sei,
hierüber zu entscheiden. Daher ist dem Vorbringen, es fehle an einer Begründung der angefochtenen
Entscheidung, nicht zu folgen.
53.
Somit ist der erste Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.
Zum zweiten Klagegrund
54.
Mit seinem zweiten Klagegrund rügt das Königreich der Niederlande, dass die angefochtene
Entscheidung gegen Artikel 221 ZK verstoße, indem sie den Erlassantrag wegen Verjährung für
unzulässig erkläre, soweit er sich auf die für die Zeit vor dem 3. Dezember 1993 geschuldeten
Einfuhrabgaben beziehe.
55.
Die Kommission lege den Zollkodex falsch aus und vergesse, dass die Frage der Verjährung einer
Zollschuld der Zuständigkeit des nationalen Gerichts und nicht der Kommission unterliege.
56.
Die Kommission verkenne, dass bereits der Wortlaut von Artikel 221 Absatz 3 ZK dafür spreche,
dass in Fällen, in denen die Zollbehörden aufgrund einer strafbaren Handlung den gesetzlich
geschuldeten Abgabenbetrag nicht genau hätten ermitteln können, die Mitteilung des Betrages der
Abgaben an den Schuldner auch nach Ablauf der Verjährungsfrist von drei Jahren vom Zeitpunkt des
Entstehens der Zollschuld an erfolgen könne.
57.
Es sei Sache des nationalen Gerichts, bei dem eine Klage gegen die Mitteilung des Betrages der
Zollschuld anhängig sei, zu entscheiden, ob die in Artikel 221 Absatz 3 Satz 2 ZK festgelegten
Voraussetzungen für eine derartige Mitteilung nach Ablauf der Frist von drei Jahren erfüllt seien. Die
Verjährung und insbesondere die Möglichkeit ihrer Unterbrechung sowie die Art und Weise, auf die
diese Unterbrechung erfolgen könne, würden nicht vom Gemeinschaftsrecht geregelt, sondern
unterlägen der Beurteilungsbefugnis des nationalen Gerichts.
58.
Das Königreich der Niederlande teile nicht den Standpunkt der Kommission, dass sich die
Entscheidungen über die Erstattung auf Zollschulden zu beziehen hätten, die tatsächlich erhoben
werden könnten. Diese Auslegung entbehre jeder Rechtsgrundlage.
59.
Auch aus Artikel 908 Absatz 2 DV ergebe sich nicht, dass die Kommission entscheiden könne, ob
die Zollschuld verjährt sei, oder dass sie über eine derartige Befugnis verfüge.
60.
Die Kommission macht geltend, eine Entscheidung im Sinne von Artikel 239 ZK in Verbindung mit
Artikel 905 DV müsse sich auf eine Zollschuld beziehen, die tatsächlich erhoben werden könne, nicht
aber auf theoretische oder hypothetische Fälle. Wenn sie einen Erlassantrag prüfe und anhand der
ihr übermittelten Angaben feststelle, dass die Einfuhrabgaben nicht angefallen seien oder nicht mehr
anfielen oder aber dass sie nicht oder nicht mehr wirksam erhoben werden könnten, weil sie
beispielsweise nach Ablauf der Verjährungsfrist berechnet oder mitgeteilt worden seien, müsse sie die
Möglichkeit haben, sich einer Entscheidung über sie durch Erklärung des Antrags für unzulässig zu
enthalten.
61.
Aus den nationalen Akten gehe hervor, dass die Voraussetzungen des Artikels 221 Absatz 3 Satz 2
ZK nicht erfüllt seien. Wenn es, wie im vorliegenden Fall, offenkundig sei, dass sich der Erlassantrag
auf einen Betrag an Einfuhrabgaben beziehe, der dem Schuldner nicht mehr rechtmäßig mitgeteilt
und daher nicht mehr rechtmäßig erhoben werden könne, brauche die Kommission nicht mehr über
den Antrag auf Erlass derartiger Abgaben zu entscheiden, sondern müsse diesen als unzulässig
ablehnen.
62.
Nach Artikel 221 Absatz 1 ZK ist der Abgabenbetrag dem Zollschuldner in geeigneter Form
mitzuteilen, sobald dieser Betrag buchmäßig erfasst worden ist. Nach Artikel 221 Absatz 3 ZK ist bei
der Mitteilung eine Verjährungsfrist von drei Jahren zu beachten, die zum Zeitpunkt des Entstehens
der Zollschuld zu laufen beginnt, sofern die Zollbehörden nicht aufgrund einer strafbaren Handlung
den gesetzlich geschuldeten Abgabenbetrag nicht genau ermitteln konnten.
63.
Aus der Systematik des Kapitels des Zollkodex über die Erhebung des Zollschuldbetrags, nämlich
Kapitel 3 des Titels VII dieses Kodex, zu dem Artikel 221 über die Mitteilung der Zollschuld an den
Schuldner gehört, geht hervor, dass die Adressaten dieses Kapitels hauptsächlich die Mitgliedstaaten
und ihre Zollbehörden sind.
64.
Da es keine Bestimmung im Zollkodex oder der Durchführungsverordnung gibt, die der Kommission
die Zuständigkeit für die Anwendung der Verjährungsbestimmung überträgt, obliegt die Umsetzung
dieser Bestimmung allein den Mitgliedstaaten und ihren zuständigen Behörden; die Kommission ist
nicht berechtigt, die Frage zu entscheiden, ob die Erhebung der Zollschuld im Einklang mit dieser
Bestimmung erfolgt ist.
65.
Daher hat die Kommission bei der Entscheidung über einen von einem Mitgliedstaat übermittelten
Antrag auf Erlass von Einfuhrabgaben aufgrund eines Antrags des Schuldners dieser Abgaben an die
zuständigen Zollbehörden diesen Antrag so zu prüfen, wie er übermittelt worden ist, ohne dass sie die
Fristen überprüfen könnte, innerhalb deren die Schuld von den Zollbehörden erhoben worden ist.
66.
Im vorliegenden Fall konnte sich die Kommission daher nicht mit der Begründung weigern, über
einen Erlassantrag oder einen Teil dieses Antrags zu entscheiden, dass die geforderten Abgaben dem
Schuldner unter Verstoß gegen Artikel 221 Absatz 3 ZK verspätet mitgeteilt worden seien.
67.
Dies gilt entsprechend für die auf die Zeit vor dem 1. Januar 1994 anwendbare Regelung, nämlich
Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1697/79.
68.
Daher rügt das Königreich der Niederlande zu Recht, dass die Kommission den Erlassantrag für
unzulässig erklärt hat, soweit er sich auf die Einfuhrabgaben für die Zeit vor dem 3. Dezember 1993,
also mehr als drei Jahre vor der Mitteilung des Betrages der geschuldeten Einfuhrabgaben an die
Antragstellerin, bezieht.
69.
Nach allem ist dem zweiten Klagegrund des Königreichs der Niederlande stattzugeben; Artikel 1
Absatz 1 des verfügenden Teils der angefochtenen Entscheidung ist für nichtig zu erklären, soweit
damit der Antrag der Cargill BV auf Erlass von Einfuhrabgaben in Höhe von 15 679 301,49 NLG, der
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften am 22. April 1999 vom Königreich der Niederlande
übermittelt worden ist, für unzulässig erklärt wird.
Zum dritten Klagegrund
70.
Mit seinem dritten Klagegrund rügt das Königreich der Niederlande, dass die angefochtene
Entscheidung gegen die Artikel 239 ZK und 905 DV verstoße. Hilfsweise macht es geltend, sie
verstoße auch gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, und weiter hilfsweise, sie genüge nicht
der Begründungspflicht in Artikel 253 EG.
71.
Es wendet sich hingegen nicht gegen die Ansicht der Kommission, dass die Voraussetzungen des
Ersatzes durch äquivalente Waren nicht erfüllt seien.
72.
Dagegen wendet sich das Königreich der Niederlande gegen die Ansicht der Kommission, die
Antragstellerin habe offensichtlich fahrlässig gehandelt. Die Antragstellerin verfüge zwar über eine
umfangreiche fachliche Erfahrung im Bereich der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, doch folge daraus
nicht notwendigerweise, dass sie sich darüber hätte im Klaren sein müssen, dass sie für die
Herstellung der zur Ausfuhr bestimmten Glukose keinen Weizen anstelle von Mais hätte verwenden
dürfen.
73.
Erstens verlange die Kommission von der Antragstellerin umfangreichere Kenntnisse, als sie die
Zollbeamten besäßen. Denn, wie die Kommission selbst ausführe, hätten die zuständigen Behörden
während mehrerer Jahre keine Einwände gegen das Vorgehen der Antragstellerin erhoben.
74.
Zweitens habe die Antragstellerin unter Berufung auf den von der Kommission in einem Schreiben
vom 15. Dezember 1994 an die niederländischen Behörden zum Ausdruck gebrachten Standpunkt,
dass zwei verschiedene Kategorien Mais für die Zwecke der Glukoseherstellung als Ersatzerzeugnisse
betrachtet werden könnten, der Ansicht sein dürfen, dass die verwendeten Erzeugnisse
Ersatzerzeugnisse seien. Aufgrund dieser Erwägung sei der Schluss erlaubt, dass Mais und Weizen
ebenfalls untereinander austauschbare Grundstoffe seien.
75.
Drittens sei das von der Antragstellerin angewandte Verfahren in Europa üblich. Daher könne das
Verhalten der Antragstellerin nicht als „fahrlässig“ bezeichnet werden; erst recht könne ihr keine
offensichtliche Fahrlässigkeit zur Last gelegt werden.
76.
Nach Ansicht des Königreichs der Niederlande verstößt die angefochtene Entscheidung zudem
gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, da sich im Verfahren eine Zollschuld von 17 491
244,45 NLG ergebe, während die Antragstellerin im gesamten fraglichen Zeitraum insgesamt einen
relativ begrenzten Gewinn erzielt habe, der auf 710 700 NLG geschätzt werde. Ferner sei die
angefochtene Entscheidung unzureichend begründet, da sie die Frage der Verhältnismäßigkeit der
verlangten Abgaben nicht behandele.
77.
Die Kommission macht geltend, für die Entscheidung, ob die Antragstellerin offensichtlich fahrlässig
gehandelt habe, seien die vom Gerichtshof zur Anwendung der Artikel 220 Absatz 2 und 239 Absatz 1
ZK aufgestellten Kriterien heranzuziehen.
78.
Die drei einschlägigen Kriterien seien die Art des Irrtums, die fachliche Erfahrung der betreffenden
Wirtschaftsteilnehmer und die von ihnen angewandte Sorgfalt.
79.
Was zunächst die Art des Irrtums angehe, so sei die Komplexität der Vorschriften zu
berücksichtigen.
80.
Die im vorliegenden Fall anwendbare Regelung sei ganz einfach. Maßgeblich sei, ob der
Gemeinschaftsweizen ein dem eingeführten Mais äquivalentes Erzeugnis sei. Dabei sei Artikel 114
Absatz 2 Buchstabe e ZK in Verbindung mit Artikel 569 Absatz 1 DV heranzuziehen und insbesondere
zu prüfen, ob die Waren aus der Gemeinschaft und die Einfuhrwaren zu demselben achtstelligen Code
der Kombinierten Nomenklatur gehörten.
81.
Die Kommission ist der Ansicht, dass die beiden in Rede stehenden Waren nicht zum gleichen Code
gehörten, und führt aus, dass die fehlende Äquivalenz dieser Waren namentlich deshalb offensichtlich
sei, weil es in allen der Antragstellerin erteilten Genehmigungen des aktiven Veredelungsverkehrs
ausdrücklich heiße, dass die Regelung des Ersatzes durch äquivalente Waren nur für „Mais, der nicht
zur Aussaat bestimmt ist“, zulässig sei. In der Genehmigung für die Zeit vom 1. Januar 1994 bis zum
31. Dezember 1995 sei sogar der Code angegeben, zu dem das Erzeugnis gehöre, nämlich 1005 90
00.
82.
Im Übrigen reiße das Königreich der Niederlande das Schreiben betreffend die Verwendung der
verschiedenen Kategorien von Mais für die Glukoseherstellung, das sie ihm übersandt habe, aus dem
Zusammenhang. Im Schreiben vom 8. August 1995 habe sie ausgeführt, dass die Äquivalenz zweier
Erzeugnisse nicht nach Maßgabe des Enderzeugnisses, der Glukose, sondern der Einfuhrware, des
Maises, zu beurteilen sei.
83.
In Bezug auf die fachliche Erfahrung des Wirtschaftsteilnehmers bestreite das Königreich der
Niederlande nicht, dass die Antragstellerin, ein Unternehmen, dass Teil eines großen multinationalen
Konzerns sei, seit Jahren an zahlreichen Zollverfahren teilgenommen habe und damit über eine
umfangreiche fachliche Erfahrung verfüge. Dieses Kriterium sei somit offensichtlich erfüllt.
84.
In Bezug auf das Kriterium der Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers macht die Kommission geltend,
die Antragstellerin habe, selbst nachdem die Zollbehörde sie auf die Auslegung der anwendbaren
Regelung hingewiesen habe, sie nicht darum ersucht, ihr ihren Standpunkt schriftlich mitzuteilen. Alles
deute darauf hin, dass die Antragstellerin die beanstandete Praxis noch intensiver betrieben habe,
selbst nachdem ihr die Beanstandungen der Zollbehörden im ersten Halbjahr 1994 bekannt
geworden seien. So seien im August 1994 umfangreiche Partien Mais zum Zweck der Verarbeitung im
Rahmen des aktiven Veredelungsverkehrs eingeführt worden. Dieses Verhalten beruhe auf
offensichtlicher Fahrlässigkeit, selbst wenn auch das Vorgehen der niederländischen Zollbehörden
einige Fragen aufwerfe.
85.
Unter Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes weist die Kommission das Vorbringen
des Königreichs der Niederlande zurück, die Anforderungen an die Einführer seien höher als die an die
Zollbehörden.
86.
Zum angeblichen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verweist die Kommission
auf die Artikel 859 und 860 DV in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof. Der Sachverhalt des
vorliegenden Falles erfülle keinen der in Artikel 859 DV abschließend aufgeführten Tatbestände, so
dass das Vorbringen des Königreichs der Niederlande unbegründet sei.
87.
Unter Berufung auf Artikel 253 EG in seiner Auslegung durch den Gerichtshof bestreitet die
Kommission auch, dass die Begründung der angefochtenen Entscheidung mangelhaft sei.
88.
Zur angeblich fehlenden Sorgfalt der Antragstellerin macht das Königreich der Niederlande geltend,
dass die von der Inspektion durchgeführte Untersuchung den Zeitraum von April bis Oktober 1994
betreffe. Am 16. Juni 1994 habe der Prüfer der zuständigen Behörde einen Antrag auf Auslegung der
betreffenden Regelung in Bezug auf die Äquivalenz von Mais und Weizen zugeleitet. Er habe am 29.
Juni 1994 eine schriftliche Antwort erhalten. Am 5. Oktober 1994 habe der Prüfer mit der
Antragstellerin erstmals die Feststellungen seiner Untersuchung erläutert. Die letzte Partie
eingeführten Maises sei unter Anwendung der Äquivalenzregelung am 16. August 1994 in den aktiven
Veredelungsverkehr überführt worden. Im Übrigen habe die zuständige Behörde der Antragstellerin
mit Schreiben vom 11. Januar 1995 mitgeteilt, nach welchen Modalitäten die Regelung des aktiven
Veredelungsverkehrs anzuwenden sei; diese seien ab dem 15. Juni 1995 angewandt worden. Die
Auffassung der Kommission, dass das Verhalten der Antragstellerin von offensichtlicher Fahrlässigkeit
zeuge, sei daher unbegründet.
89.
Zum Antrag auf teilweisen Erlass der erhobenen Beträge aus Gründen der Verhältnismäßigkeit
macht das Königreich der Niederlande geltend, dieser beruhe nicht auf Artikel 859 DV, sondern auf
Billigkeitsgründen, die auf Artikel 239 Absatz 1 ZK in Verbindung mit Artikel 905 Absatz 1 DV gestützt
würden.
90.
Die beiden Teile des Klagegrundes - fehlende offensichtliche Fahrlässigkeit der Klägerin und
Verstoß gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz sowie mangelnde Begründung der angefochtenen
Entscheidung - sind getrennt zu prüfen.
Zur Frage der offensichtlichen Fahrlässigkeit
91.
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Erstattung oder der Erlass von Einfuhr- oder
Ausfuhrabgaben, die nur unter bestimmten Voraussetzungen und in den eigens dafür vorgesehenen
Fällen gewährt werden können, eine Ausnahme vom gewöhnlichen Einfuhr- und Ausfuhrsystem
darstellen, so dass die Vorschriften, die eine solche Erstattung oder einen solchen Erlass vorsehen,
eng auszulegen sind (Urteil vom 11. November 1999 in der Rechtssache C-48/98, Söhl & Söhlke, Slg.
1999, I-7877, Randnr. 52).
92.
Für die Beurteilung, ob der Antragstellerin „offensichtliche Fahrlässigkeit“ im Sinne von Artikel 239
Absatz 1 zweiter Gedankenstrich ZK vorzuwerfen ist, sind, wie der Gerichtshof bereits entschieden hat,
die im Rahmen von Artikel 220 ZK für die Prüfung, ob der Irrtum der Zollbehörde einem
Wirtschaftsteilnehmer erkennbar war, herangezogenen Kriterien entsprechend anzuwenden (Urteil
Söhl & Söhlke, Randnrn. 55 und 56). Somit durfte die Kommission diese Kriterien im vorliegenden Fall
anwenden.
93.
In Bezug auf das erste Kriterium, die Komplexität der anwendbaren Regelung, ist die Definition des
Begriffes der Ersatzwaren im Sinne von Artikel 569 Absatz 1 DV heranzuziehen. Nach dieser
Bestimmung müssen die Ersatzwaren zum selben achtstelligen Code der Kombinierten Nomenklatur
gehören sowie die gleiche Qualität und die gleiche Beschaffenheit wie die Einfuhrwaren aufweisen.
Nach dem Urteil vom 13. März 1997 in der Rechtssache C-103/96 (Eridania Beghin-Say, Slg. 1997, I-
1453, Randnr. 23) müssen diese drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein.
94.
Diese Regelung war auf den vorliegenden Fall ohne Schwierigkeit anzuwenden, da das Ergebnis,
dass es sich nicht um äquivalente Waren handelte, sich bereits daraus ergab, dass die in Rede
stehenden Waren, nämlich der aus Drittländern eingeführte Mais und der Weizen aus der
Gemeinschaft, nicht derselben Tarifunterposition angehörten.
95.
Somit ist das Vorbringen des Königreichs der Niederlande zur angeblichen Komplexität der
anwendbaren Regelung unbegründet.
96.
Zum zweiten Kriterium, der Erfahrung des Wirtschaftsteilnehmers, ist festzustellen, dass, wie die
Kommission zu Recht anführt, die Antragstellerin ein multinationales Unternehmen ist, das seit vielen
Jahren regelmäßig das Zollrecht und insbesondere die Regelungen der verschiedenen Zollverfahren
anwendet.
97.
Somit ist das zweite Kriterium offensichtlich erfüllt.
98.
Zum dritten Kriterium, der Sorgfalt des Wirtschaftsteilnehmers, ist festzustellen, dass wegen der
Einfachheit der im vorliegenden Fall anwendbaren Regelung die fehlende Äquivalenz zwischen den in
Rede stehenden Waren der Aufmerksamkeit eines erfahrenen Wirtschaftsteilnehmers wie der
Antragstellerin nicht hätte entgehen dürfen. Das Königreich der Niederlande kann sich daher nicht
darauf berufen, dass die zuständigen Zollbehörden über längere Zeit keine Einwände erhoben haben.
99.
Im Übrigen muss sich ein Wirtschaftsteilnehmer, der Zweifel an der Richtigkeit der Tarifierung der in
Rede stehenden Waren hat, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes informieren und sich,
so weit möglich, Aufschluss darüber verschaffen, ob seine Zweifel berechtigt sind (Urteile vom 26. Juni
1990 in der Rechtssache C-64/89, Deutsche Fernsprecher, Slg. 1990, I-2535, Randnr. 22, und vom 1.
April 1993 in der Rechtssache C-250/91, Hewlett Packard France, Slg. 1993, I-1819, Randnr. 24).
100.
Im vorliegenden Fall ist wenig wahrscheinlich, dass die Antragstellerin Zweifel an der fehlenden
Äquivalenz der betreffenden Waren hatte. Hatte sie sie doch, hätte es ihr oblegen, die Begründetheit
ihrer Zweifel mit allen Mitteln zu überprüfen.
101.
Die Antragstellerin hat nicht die erforderliche Sorgfalt an den Tag gelegt, da sie derartige
Nachforschungen nicht angestellt und vor einer Änderung der Modalitäten der Überführung ihrer
Waren in das Zollverfahren des aktiven Veredelungsverkehrs einfach eine Reaktion der
niederländischen Zollbehörden abgewartet hat.
102.
Somit hat die Kommission nicht gegen die Artikel 239 ZK und 905 DV verstoßen, als sie in Nummer
26 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, dass Cargill offensichtliche Fahrlässigkeit an den
Tag gelegt hat.
103.
Das gilt entsprechend für die auf die Zeit vor dem 1. Januar 1994 anwendbare Regelung, nämlich
Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 geänderten
Fassung und Artikel 6 der Verordnung (EWG) Nr. 3799/86.
Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und zur mangelnden Begründung der
angefochtenen Entscheidung
104.
Nach Ansicht des Königreichs der Niederlande hat die Kommission dadurch gegen den Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit und zugleich gegen Artikel 239 ZK in Verbindung mit 905 DV verstoßen, dass
sie nicht gesehen habe, dass die bei der Antragstellerin eingeforderten Abgaben nicht im rechten
Verhältnis zu dem von dieser erzielten Vorteil gestanden hätten und dass sie daher teilweise zu
erlassen seien.
105.
Artikel 239 ZK in Verbindung mit Artikel 905 DV verlangt nicht, dass der Betrag der beim
Wirtschaftsteilnehmer erhobenen Abgaben auf den Vorteil zu beschränken wäre, den dieser aus der
begangenen Unregelmäßigkeit gezogen hat.
106.
Wie die Kommission zu Recht geltend macht, sind die Fälle, in denen die zuständigen Behörden
davon ausgehen können, dass sich die Verstöße gegen das Zollrecht auf die ordnungsgemäße
Abwicklung des Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben und keine Zollschuld entstehen lassen,
in Artikel 859 DV abschließend aufgeführt. Diese Bestimmung schließt jedoch im zweiten
Gedankenstrich ausdrücklich „grobe Fahrlässigkeit der Beteiligten“ aus.
107.
Somit hat die Kommission dadurch, dass sie den Betrag der Zollschuld nicht auf den angeblich von
der Antragstellerin erzielten finanziellen Vorteil begrenzt hat, weder gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit noch gegen Artikel 239 ZK in Verbindung mit Artikel 905 DV verstoßen.
108.
Das gilt entsprechend für die auf die Zeit vor dem 1. Januar 1994 anwendbare Regelung, nämlich
Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 geänderten
Fassung und Artikel 6 der Verordnung (EWG) Nr. 3799/86.
109.
Auch die vom Königreich der Niederlande erhobene Rüge, die angefochtene Entscheidung sei in
Bezug auf die Frage der Verhältnismäßigkeit der erhobenen Abgaben unter Verstoß gegen Artikel 253
EG nicht ausreichend begründet, geht fehl. Da weder aus Artikel 239 ZK noch aus Artikel 13 der
Verordnung Nr. 1430/79 in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 3069/86 geänderten Fassung
hervorgeht, dass der Betrag der beim Betroffenen erhobenen Einfuhrabgaben auf den von diesem
gezogenen Vorteil begrenzt sein müsste, hat die angefochtene Entscheidung nicht gegen die
Begründungspflicht in Artikel 253 EG verstoßen.
110.
Daher ist der dritte Klagegrund des Königreichs der Niederlande zurückzuweisen.
111.
Nach allem ist die angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie den von der
Antragstellerin gestellten und am 22. April 1999 vom Königreich der Niederlande der Kommission
übermittelten Antrag auf Erlass der Einfuhrabgaben in Höhe von 15 679 301,49 NLG für unzulässig
erklärt hat; im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
Kosten
112.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung des Königreichs der Niederlande beantragt
hat und dieses mit seinem ersten und dritten Klagegrund unterlegen ist und da ferner die praktischen
Folgen des Obsiegens mit dem zweiten Klagegrund geringfügig sind, sind ihm die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Entscheidung C (2000) 485 endg. der Kommission vom 23. Februar 2000, mit der in
einem Einzelfall festgestellt wird, dass ein Antrag auf Erstattung von Einfuhrabgaben in
Höhe eines bestimmten Betrages unzulässig und die Erstattung der Einfuhrabgaben in
Höhe eines anderen Betrages nicht gerechtfertigt ist, wird für nichtig erklärt, soweit mit
ihr der von der Cargill BV eingereichte und der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften vom Königreich der Niederlande am 22. April 1999 übermittelte Antrag auf
Erlass von Einfuhrabgaben in Höhe von 15 679 301,49 NLG für unzulässig erklärt worden
ist.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Das Königreich der Niederlande trägt die Kosten des Verfahrens.
Timmermans
Edward
Jann
von Bahr Rosas
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 13. März 2003.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
M. Wathelet
Verfahrenssprache: Niederländisch.