Urteil des EuGH vom 25.10.2001

EuGH: beherrschende stellung, wirtschaftliche tätigkeit, markt, genehmigung, rotes kreuz, unternehmen, notfall, unternehmer, kommission, regierung

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
25. Oktober 2001
„Artikel 85, 86 und 90 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG, 82 EG und 86 EG) - Beförderung von kranken Personen
in Krankentransportwagen - Besondere oder ausschließliche Rechte - Wettbewerbsbeschränkung - Im
Allgemeininteresse liegende Aufgabe des Gemeinwohls - Rechtfertigung - Auswirkung auf den Handel
zwischen Mitgliedstaaten“
In der Rechtssache C-475/99
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz
(Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Firma Ambulanz Glöckner
gegen
Landkreis Südwestpfalz,
beteiligt:
Arbeiter-Samariter-Bund Landesverband Rheinland-Pfalz e.V.,
Deutsches Rotes Kreuz Landesverband Rheinland-Pfalz e.V.,
und
Vertreter des Öffentlichen Interesses, Mainz,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 85, 86 und 90 EG-Vertrag (jetzt
Artikel 81 EG, 82 EG und 86 EG)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten der Vierten Kammer S. von Bahr in Wahrnehmung der Aufgaben des
Präsidenten der fünften Kammer sowie der Richter D. A. O. Edward, A. La Pergola, M. Wathelet
(Berichterstatter), und C. W. A. Timmermans,
Generalanwalt: F. G. Jacobs
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Firma Ambulanz Glöckner, vertreten durch die Rechtsanwälte R. Steiling und C. Bittner,
- des Landkreises Südwestpfalz, vertreten durch R. Spies als Bevollmächtigten,
- des Arbeiter-Samariter-Bundes Landesverband Rheinland-Pfalz e.V., vertreten durch den
Landesvorsitzenden O. Fechner und den stellvertretenden Landesvorsitzenden H. Gauf,
- des Vertreters des Öffentlichen Interesses, vertreten durch W. Demmerle als Bevollmächtigten,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte;
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Erhardt und K. Wiedner als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Firma Ambulanz Glöckner, vertreten durch R. Steiling und
C. Bittner, des Landkreises Südwestpfalz, vertreten durch R. Spies, des Arbeiter-Samariter-Bundes
Landesverband Rheinland-Pfalz e.V., vertreten durch H. Gauf und Landesgeschäftsführer S. Rheinheimer, des
Vertreters des öffentlichen Interesses, Mainz, vertreten durch H.-P. Hennes als Bevollmächtigten, und der
Kommission, vertreten durch M. Erhardt in der Sitzung vom 22. Februar 2001,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Mai 2001,
folgendes
Urteil
1.
Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat mit Beschluss vom 8. Dezember 1999, beim
Gerichtshof eingegangen am 15. Dezember 1999, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der
Auslegung der Artikel 85, 86 und 90 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG, 82 EG und 86 EG) zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit, den die Firma Ambulanz Glöckner (nachstehend:
Klägerin), ein privatrechtliches Unternehmen mit Sitz in Pirmasens, gegen den Landkreis Südwestpfalz
(nachstehend: Beklagter) wegen Ablehnung der Verlängerung einer Genehmigung zur Beförderung
von kranken Personen in Krankentransportwagen führt.
Rechtlicher Rahmen
3.
In Deutschland ist die gesetzliche Regelung des Rettungsdienstes Sache der Länder. In Rheinland-
Pfalz unterscheidet das Rettungsdienstgesetz in der Fassung vom 22. April 1991 (RettDG 1991)
zwischen zwei Arten von Krankentransportleistungen, nämlich dem Notfalltransport und dem
Krankentransport. Beim Notfalltransport geht es um die Beförderung von lebensbedrohlich verletzten
oder erkrankten Personen unter fachgerechter Betreuung mit Notarzt- oder Rettungswagen. Der
Krankentransport besteht in der Beförderung von kranken, verletzten oder sonstigen hilfsbedürftigen
Personen, die keine Notfallpatienten sind, unter fachgerechter Betreuung mit
Krankentransportwagen.
4.
Träger des Rettungsdienstes sind das Land, die Landkreise und die kreisfreien Städte. Nach § 5
Absatz 1 RettDG 1991 überträgt jedoch die zuständige Behörde die Durchführung des
Rettungsdienstes den ohne Gewinnerzielungsabsicht arbeitenden „anerkannten
Sanitätsorganisationen“ (nachstehend: Sanitätsorganisationen), soweit sie in der Lage und bereit
sind, einen ständigen Rettungsdienst zu gewährleisten; die zuständige Behörde behält ein Aufsichts-
und Weisungsrecht und trägt auch die Kosten. Eine Übertragung auf Dritte darf nach § 5 Absatz 3 nur
erfolgen, wenn die Sanitätsorganisationen zur Sicherstellung des Rettungsdienstes nicht in der Lage
oder nicht bereit sind.
5.
In Rheinland-Pfalz übertrugen die zuständigen Kreise und Städte - mit Ausnahme der Stadt Trier, wo
der Rettungsdienst der Berufsfeuerwehr obliegt - die Durchführung des Rettungsdienstes den vier
Sanitätsorganisationen Arbeiter-Samariter-Bund Landesverband Rheinland-Pfalz e.V. (nachstehend:
ASB), Deutsches Rotes Kreuz Landesverband Rheinland-Pfalz e.V. (nachstehend: DRK), Johanniter-
Unfall-Hilfe und Malteser-Hilfsdienst.
6.
Bis 1989 unterfiel der Bereich der Leistungen des Krankentransports, der als eine Art der
Beförderung von Personen in einem Mietwagen angesehen wurde, dem Personenbeförderungsgesetz,
einem in der ganzen Bundesrepublik Deutschland geltenden Bundesgesetz.
Krankentransportunternehmer benötigten für die Aufnahme dieser Tätigkeit eine Genehmigung. Die
Erteilung der Genehmigung setzte die Gewährleistung der Sicherheit und Leistungsfähigkeit des
Betriebes und den Nachweis der Zuverlässigkeit und fachlichen Eignung des Unternehmers voraus.
Dies bedeutet, dass es neben den Sanitätsorganisationen, die mit der flächendeckenden
Sicherstellung des Rettungsdienstes rund um die Uhr beauftragt waren, unabhängige Unternehmer
gab, die Krankentransport hauptsächlich tagsüber und in anderen als Notfällen übernahmen.
7.
1989 wurde das Personenbeförderungsgesetz so abgeändert, dass der Bereich der Leistungen des
Krankentransports nicht mehr diesem Gesetz unterfiel. Daher sind im Rettungsdienstgesetz von 1991
nicht nur der Rettungsdienst, sondern auch allgemein die Leistungen des Krankentransports
geregelt. So setzt nach § 18 Absatz 1 RettDG 1991 die Erteilung der Genehmigung zur Durchführung
von Leistungen des Krankentransports (im Folgenden: Krankentransportgenehmigung) wie schon
nach der früheren bundesgesetzlichen Regelung voraus, dass die Sicherheit und Leistungsfähigkeit
des Betriebes gewährleistet und die Zuverlässigkeit und fachliche Eignung des Unternehmers
nachgewiesen sind. Weiter bestimmt § 18 Absatz 3 RettDG 1991:
„Die Genehmigung ist zu versagen, wenn zu erwarten ist, dass durch ihren Gebrauch das öffentliche
Interesse an einem funktionsfähigen Rettungsdienst beeinträchtigt wird. Hierbei sind im Rahmen der
Festlegung des Landesrettungsdienstplanes ... insbesondere die flächendeckende Vorhaltung und
Auslastung im Rettungsdienstbereich zu berücksichtigen, wobei auch die Einsatzzahlen, die Eintreffzeit
und Dauer derEinsätze sowie die Entwicklung der Kosten- und Ertragslage zugrunde zu legen sind ...“
8.
Das vorlegende Gericht versteht diese Regelung dahin, dass den Sanitätsorganisationen auf dem
Markt für die Leistungen des Notfall- und des Krankentransports faktisch ein Monopol eingeräumt
werde, denn die danach vorgesehene Prüfung, ob die von den Sanitätsorganisationen vorgehaltenen
Kapazitäten ausgelastet seien, führe angesichts des Umfangs der von ihnen vorgehaltenen
Rettungsmittel praktisch immer zur Ablehnung von Neuanträgen. Um die Aufgabe einer
flächendeckenden Sicherstellung des Rettungsdienstes rund um die Uhr ordnungsgemäß zu erfüllen,
müssten nämlich Rettungsmittel in einem für Notfälle und Katastrophen ausreichenden Umfang
vorgehalten werden. Eine Auslastung sei mithin nicht denkbar, so dass es für
Krankentransportgenehmigungen für unabhängige Unternehmer niemals einen Nutzen oder Bedarf
geben werde, denn ihre Erteilung würde die Auslastung des Rettungsdienstes verringern und sich auf
die Kosten- und Ertragslage negativ auswirken.
9.
Nach Auffassung des Beklagten und des ASB ist § 18 Absatz 3 RettDG 1991 dagegen dahin
auszulegen, dass eine Genehmigung an unabhängige Unternehmer nur dann nicht erteilt werden
dürfe, wenn aufgrund der Erteilung mit einer erheblichen Beeinträchtigung des Rettungsdienstes zu
rechnen sei.
10.
Es ist nicht Sache des Gerichtshofes über die Auslegung nationaler Vorschriften zu befinden;
jedoch hat er im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Gerichten der
Gemeinschaft und denen der Mitgliedstaaten den Sachverhalt und die Rechtslage, in denen sich die
Vorabentscheidungsfrage, wie sie vorgelegt worden ist, stellt, zu berücksichtigen.
Ausgangsrechtsstreit
11.
Der Klägerin war im Jahr 1990, also vor Inkrafttreten des Rettungsdienstgesetzes von 1991 und
noch nach der alten bundesgesetzlichen Regelung, eine Krankentransportgenehmigung erteilt
worden, die im Oktober 1994 ablief.
12.
Im Juli 1994 beantragte sie beim Beklagten eine Verlängerung der Genehmigung. Der Beklagte
befragte die beiden im Raum Pirmasens mit dem öffentlichen Rettungsdienst beauftragten
Sanitätsorganisationen, den ASB und das DRK, zu den Auswirkungen der beantragten Genehmigung.
13.
Beide Sanitätsorganisationen äußerten sich dahin, dass ihre eigenen Rettungseinrichtungen im
Raum Pirmasens nicht ausgelastet seien und defizitär arbeiteten, so dass sie beim Hinzutreten eines
weiteren Anbieters gezwungen seien, entweder die Benutzungsentgelte zu erhöhen oder ihre
Leistungen zu verringern. Der Beklagte lehnte es daraufhin unter Berufung auf § 18 Absatz 3 RettDG
1991 ab, die Genehmigung der Klägerin zu verlängern, und führte aus, der Rettungsdienst sei im
fraglichen Bereich im Jahr 1993 nur zu 26 % ausgelastet gewesen.
14.
Nach erfolglosem Widerspruch erhob die Klägerin Klage beim Verwaltungsgericht Neustadt an der
Weinstrasse. Das Verwaltungsgericht verpflichtete den Beklagten mit Urteil vom 28. Januar 1998 zur
Erteilung der beantragten Genehmigung. Es befand im Wesentlichen, § 18 Absatz 3 RettDG 1991 sei
so zu verstehen, dass der Landesgesetzgeber die Zulassung privater Unternehmer zur Durchführung
von Krankentransport außerhalb des öffentlichen Rettungsdienstes ermöglichen wolle, auch wenn
dies zu Kostensteigerungen führe. Da die Klägerin über 7 Jahre lang Krankentransporte durchgeführt
habe, sei deutlich geworden, dass durch ihre Tätigkeit der Rettungsdienst in seinem Bestand und
seiner Funktionsfähigkeit nicht gefährdet werde.
15.
Der Beklagte legte gegen dieses Urteil beim vorlegenden Gericht Berufung ein.
16.
Das vorlegende Gericht fragt sich im Vorlagebeschluss, ob die Voraussetzungen des Artikels 90
Absatz 1 EG-Vertrag für die Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte an Unternehmen
erfüllt seien. Die Sanitätsorganisationen seien als Unternehmen anzusehen, denen aufgrund der
ihnen übertragenen Aufgabe des Notfalltransports besondere oder ausschließliche Rechte im Sinne
dieser Vorschrift gewährt worden seien. Auch die Übertragung des Marktes für Leistungen des
Krankentransports im Jahr 1991 stelle eine „Maßnahme“ im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 dar. Ein
Grund der Wahrnehmung einer Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne von
Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag, der es rechtfertige, den Wettbewerb für Leistungen des
Krankentransports auszuschließen, liege nicht vor. Dieses Verständnis ergebe sich daraus, dass diese
Leistungen bis zum 30. Juni 1991 im freien Wettbewerb erbracht worden seien, ohne dass hinsichtlich
der Versorgung der Bevölkerung mit diesen Leistungen Probleme aufgetreten seien.
17.
Aus diesen Gründen hat das vorlegende Gericht das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof
folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist die Einräumung eines Monopols für Krankentransportleistungen für einen abgegrenzten
geographischen Bereich mit den Artikeln 86 Absatz 1, 81 f. EG vereinbar?
18.
Vor der Erörterung der Vorlagefrage ist zu prüfen, ob Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag auf
Sanitätsorganisationen wie die im Ausgangsrechtsstreit fraglichen, denen die zuständigen Behörden
den Rettungsdienst übertragen haben, in Anbetracht ihres besonderen Schutzes gemäß § 18 Absatz
3 RettDG 1991 Anwendung findet. Diese Frage umfasst zum einen die Frage, ob die
Sanitätsorganisationen Unternehmen sind, und zum anderen, ob sie besondere oder ausschließliche
Rechte haben.
19.
Was den ersten Punkt anbelangt, so umfasst der Begriff des Unternehmens im Rahmen des
Wettbewerbsrechts jede Einheit unabhängig von ihrer Rechtsform und der Art ihrerFinanzierung, die
eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt (vgl. Urteil vom 12. September 2000 in den Rechtssachen C-
180/98 bis C-184/98, Pavlov u. a., Slg. 2000, I-6451, Randnr. 74). Eine wirtschaftliche Tätigkeit ist jede
Tätigkeit, die darin besteht, Güter oder Dienstleistungen auf einem bestimmten Markt anzubieten
(Urteil Pavlov u. a., Randnr. 75).
20.
Im Ausgangsrechtsstreit erbringen die Sanitätsorganisationen Leistungen auf dem Markt für Notfall-
und für Krankentransport. Diese Tätigkeiten wurden nicht immer und werden nicht notwendigerweise
von diesen Sanitätsorganisationen oder von den Behörden erbracht. So ergibt sich aus dem Akten,
dass die Klägerin selbst beide Arten von Leistungen erbrachte. Die Erbringung dieser Leistungen stellt
also für die Zwecke der Anwendung der Wettbewerbsregeln des EG-Vertrags eine wirtschaftliche
Tätigkeit dar.
21.
Zwar können Pflichten der Daseinsvorsorge die Leistungen einer Sanitätsorganisation gegenüber
den Leistungen anderer Unternehmer, die keinen solchen Pflichten unterliegen, im Wettbewerb
benachteiligen, doch hindert dies nicht daran, die fraglichen Tätigkeiten als wirtschaftliche Tätigkeiten
anzusehen.
22.
Folglich sind Einrichtungen wie die Sanitätsorganisationen, was die Erbringung von Notfall- und von
Krankentransportleistungen angeht, als Unternehmen im Sinne der Wettbewerbsregeln des EG-
Vertrags anzusehen.
23.
Zum zweiten Punkt ist festzustellen, dass die zuständige Behörde die erforderliche
Krankentransportgenehmigung gemäß § 18 Absatz 3 RettDG 1991 versagen kann, wenn aufgrund
ihres Gebrauchs mit einer erheblichen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit
des den Sanitätsorganisationen übertragenen Rettungsdienstes zu rechnen ist.
24.
Dass in diesem Fall die Leistungen des Krankentransports den mit dem Rettungsdienst betrauten
Sanitätsorganisationen vorbehalten werden, reicht aus, um diese Maßnahme als besonderes oder
ausschließliches Recht im Sinne des Artikels 90 Absatz 1 EG-Vertrag anzusehen. Es wird nämlich einer
begrenzten Zahl von Unternehmen durch Rechtsvorschrift ein Schutz verliehen, der die Fähigkeit
anderer Unternehmen, die fragliche wirtschaftliche Tätigkeit im selben Gebiet zu im Wesentlichen
gleichen Bedingungen auszuüben, wesentlich beeinträchtigen kann.
25.
Daher wurde den Sanitätsorganisationen durch § 18 Absatz 3 RettDG 1991 ein besonderes oder
ausschließliches Recht im Sinne des Artikels 90 Absatz 1 EG-Vertrag verliehen.
26.
Die Klägerin trägt vor, § 18 Absatz 3 RettDG 1991 sei mit Artikel 90 Absatz 1 in Verbindung mit
Artikel 85 Absatz 1 Buchstabe c EG-Vertrag unvereinbar, da er es denSanitätsorganisationen, die zu
jedem Antrag eines unabhängigen Unternehmers auf Marktzugang Stellung zu nehmen hätten,
ermögliche, den Markt der Leistungen des Krankentransports mittels einer Abstimmung untereinander
und mit den Behörden unter sich aufzuteilen.
27.
Der Vorlagebeschluss enthält jedoch keinen Hinweis auf das Bestehen irgendeiner nach Artikel 85
Absatz 1 EG-Vertrag verbotenen Vereinbarung zwischen den Sanitätsorganisationen.
28.
Im Übrigen ist auch nicht erwiesen, dass sich die Behörden, die die Genehmigung zur Durchführung
von nicht unter den Rettungsdienst fallenden Leistungen des Krankentransports zu erteilen haben,
mit den genannten Sanitätsorganisationen abstimmen. Sie befragen diese zwar, was, wie aus
Randnummer 43 hervorgeht, bei der Beurteilung, ob ein Missbrauch einer beherrschenden Stellung
nach Artikel 90 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 86 EG-Vertrag vorliegt, berücksichtigt werden kann.
Jedoch wird, wie der Generalanwalt in Nummer 103 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die
Entscheidung über Erteilung oder Versagung der Genehmigung nach Maßgabe der durch das
Rettungsdienstgesetz 1991 vorgesehenen Voraussetzungen von den zuständigen Behörden einseitig
und in alleiniger Verantwortung getroffen.
29.
Es liegt also keine Verletzung von Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 85 Absatz
1 Buchstabe c EG-Vertrag vor.
30.
Das vorlegende Gericht fragt, ob durch eine Vorschrift wie § 18 Absatz 3 RettDG 1991 eine Lage
geschaffen werden könnte, in der die Sanitätsorganisationen einen gegen Artikel 86 EG-Vertrag
verstoßenden Missbrauch einer beherrschenden Stellung begehen.
Zum Vorliegen einer beherrschenden Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes
31.
Zur Beantwortung dieser Frage wird das vorlegende Gericht zunächst zu prüfen haben, ob die
fraglichen Sanitätsorganisationen tatsächlich eine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen
Teil des Gemeinsamen Marktes haben. Hierzu sind sowohl der Markt für die fraglichen Leistungen als
auch dessen geographische Erstreckung zu definieren.
32.
Die Kommission trägt hierzu vor, es lägen zwei getrennte Dienstleistungsmärkte vor, nämlich der
Markt für Notfalltransport und der Markt für Krankentransport.
33.
Dem ist zu folgen. Die fraglichen Dienstleistungen sind zwar ähnlich, doch sind sie hinsichtlich ihrer
Eigenschaften, Preise und ihres vorgesehenen Verwendungszwecksweder austauschbar noch
substituierbar. Zum einen nämlich können Transportleistungen, die keine Notfalltransporte sind,
Leistungen des Notfalltransports, der - Tag und Nacht - hochqualifiziertes Personal und eine
besonders hoch entwickelte Ausstattung erfordert, nicht immer ersetzen; zum anderen kann der
Notfalltransport, der besonders teuer ist, nicht als Substitut des sonstigen Krankentransports
angesehen werden.
34.
Zur geographischen Erstreckung des fraglichen Marktes wird das vorlegende Gericht zu beachten
haben, dass auf dem zu berücksichtigenden Markt die Wettbewerbsbedingungen hinreichend
homogen sein müssen, d. h. es muss sich um ein Gebiet handeln, in dem die objektiven
Wettbewerbsbedingungen für die fraglichen Dienstleistungen und insbesondere die Nachfrage der
Verbraucher für alle Wirtschaftsteilnehmer gleich sind (Urteil vom 14. Februar 1978 in der
Rechtssache 27/76, United Brands/Kommission, Slg. 1978, 207, Randnr. 44).
35.
Hier wird das vorlegende Gericht zu prüfen haben, ob dieser Markt
- auf den fraglichen Rettungsdienstbereich, für den die Genehmigung beantragt wurde, begrenzt ist,
oder
- sich auf das ganze Land Rheinland-Pfalz erstreckt, wofür sich die Kommission ausspricht, da der
rechtliche Rahmen, die Organisationsstrukturen und die Benutzungsentgelte überall im Land gleich
seien, oder
- das Gebiet der gesamten Bundesrepublik Deutschland umfasst, wie dies die Klägerin vorträgt, da
die Rechtsvorschriften für Leistungen des Krankentransports in den verschiedenen Ländern gleich
seien; der Vertreter des öffentlichen Interesses bestreitet dies.
36.
Sind der Markt für die Leistungen und seine geographische Erstreckung bestimmt, so wird das
vorlegende Gericht gegebenenfalls weiter zu prüfen haben, ob eine Sanitätsorganisation allein oder
mehrere von ihnen kollektiv eine beherrschende Stellung im Sinne des Artikels 86 EG-Vertrag haben
und ob diese beherrschende Stellung „auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes“
besteht; dies ist eine Würdigung von Tatsachen, die dem vorlegenden Gericht obliegt.
37.
Insoweit könnte es dem vorlegenden Gericht dienlich sein, zu prüfen, ob die tatsächlichen Angaben
des Generalanwalts in Nummer 121 seiner Schlussanträge zur Tätigkeit des DRK, das in einem großen
Teil des Landes Rheinland-Pfalz tätig sei, zutreffen. In diesem Fall könnte der Nachweis erbracht sein,
dass diese Sanitätsorganisation eine beherrschende Stellung auf den Märkten für die Leistungen des
Notfall- und des Krankentransports hat.
38.
Sollte das vorlegende Gericht tatsächlich feststellen, dass eine beherrschende Stellung jedenfalls
im gesamten Land Rheinland-Pfalz gegeben ist, so wäre, wie der Generalanwalt in Nummer 129 seiner
Schlussanträge ausgeführt hat, angesichts dergroßen Fläche dieses Landes von fast 20 000 qkm und
seiner hohen Einwohnerzahl von etwa vier Millionen, die über der einiger Mitgliedstaaten liegt,
anzunehmen, dass diese Stellung einen wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes betrifft.
Zum Missbrauch einer beherrschenden Stellung
39.
Die Schaffung einer beherrschenden Stellung durch Gewährung besonderer oder ausschließlicher
Rechte im Sinne von Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag ist als solche noch nicht mit Artikel 86 EG-Vertrag
unvereinbar. Ein Mitgliedstaat verstößt nur dann gegen die in diesen beiden Bestimmungen
enthaltenen Verbote, wenn das betreffende Unternehmen bereits durch die Ausübung der ihm
übertragenen besonderen oder ausschließlichen Rechte seine beherrschende Stellung
missbräuchlich ausnutzen oder wenn durch diese Rechte eine Lage geschaffen werden könnte, in der
dieses Unternehmen einen solchen Missbrauch begeht (vgl. Urteil Pavlov u. a., Randnr. 127).
40.
Nach ständiger Rechtsprechung stellt es einen Missbrauch im Sinne von Artikel 86 EG-Vertrag dar,
wenn ein Unternehmen, das auf einem bestimmten Markt eine beherrschende Stellung innehat, sich
ohne objektives Bedürfnis eine Hilfstätigkeit vorbehält, die von einem dritten Unternehmen im Rahmen
seiner Tätigkeit auf einem benachbarten, aber getrennten Markt ausgeübt werden könnte, so dass
jeglicher Wettbewerb seitens dieses Unternehmens ausgeschaltet zu werden droht (Urteil vom 13.
Dezember 1991 in der Rechtssache C-18/88, GB-Inno-BM, Slg. 1991, I-5941, Randnr. 18). Geht die
Erweiterung der beherrschenden Stellung des Unternehmens, dem der Staat besondere oder
ausschließliche Rechte gewährt hat, auf eine staatliche Maßnahme zurück, so stellt diese Maßnahme
einen Verstoß gegen Artikel 90 in Verbindung mit Artikel 86 EG-Vertrag dar (vgl. Urteile GB-Inno-BM,
Randnr. 21, und vom 25. Juni 1998 in der Rechtssache C-203/96, Dusseldorp u. a., Slg. 1998, I-4075,
Randnr. 61).
41.
Im Ausgangsrechtsstreit macht die Klägerin nun geltend, ihr Ausschluss vom Markt für
Krankentransport beruhe auf der Anwendung von § 18 Absatz 3 RettDG 1991, der es den
Sanitätsorganisationen ermögliche, in Abstimmung mit den Behörden den Zugang zu diesem Markt zu
beschränken.
42.
Auch die Kommission trägt vor, die Erstreckung der beherrschenden Stellung vom Markt für
Notfalltransport auf den benachbarten, aber getrennten Markt für Krankentransport sei auf die
Änderungen der gesetzlichen Regelungen für Krankentransporte des Bundes und des Landes
Rheinland-Pfalz und namentlich den Erlass von § 18 Absatz 3 RettDG 1991 zurückzuführen. Eine solche
Beschränkung des Wettbewerbs stelle einen Verstoß gegen Artikel 90 in Verbindung mit Artikel 86 EG-
Vertrag dar.
43.
Durch den Erlass von § 18 Absatz 3 RettDG 1991, dessen Anwendung dazu führt, dass bei jedem
Antrag eines unabhängigen Unternehmers auf Genehmigung zur Durchführung von nicht durch Notfall
veranlassten Leistungen des Krankentransportszunächst die Sanitätsorganisationen befragt werden,
hat der rheinland-pfälzische Gesetzgeber diese Sanitätsorganisationen, die auf dem Markt für
Notfalltransport bereits ein ausschließliches Recht innehatten, begünstigt, indem er ihnen gestattete,
auch diese Leistungen ausschließlich zu erbringen. Die Anwendung von § 18 Absatz 3 RettDG 1991 hat
also eine „Einschränkung ... des Absatzes ... zum Schaden der Verbraucher“ im Sinne des Artikels 86
Absatz 2 Buchstabe b EG-Vertrag zur Folge, indem den Sanitätsorganisationen eine Hilfstätigkeit
vorbehalten wird, die von einem unabhängigen Unternehmen ausgeübt werden könnte.
Auswirkung auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten
44.
Für die Annahme der Unvereinbarkeit einer Maßnahme wie § 18 Absatz 3 RettDG 1991 mit Artikel 90
Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 86 EG-Vertrag bedarf es noch des Nachweises, dass die
Durchführung der Maßnahme den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt.
45.
Der Beklagte, der ASB, der Vertreter des öffentlichen Interesses und die österreichische Regierung
tragen vor, die streitige Maßnahme habe keine spürbaren Auswirkungen auf den Handel zwischen
Mitgliedstaaten, da die Krankentransportgenehmigung nur für einen bestimmten Bereich erteilt
werde. Überdies werde Krankentransport definitionsgemäß örtlich beschränkt durchgeführt und ein
grenzüberschreitender Krankentransport komme selten vor.
46.
Die Kommission, nach deren Auffassung die Beurteilung dieser Frage Sache des vorlegenden
Gerichts ist, trägt vor, grenzüberschreitende Transporte seien wegen der Nähe des Landes Rheinland-
Pfalz zu Belgien, Frankreich und Luxemburg nicht auszuschließen. Hinzu komme, dass es durchaus
Fälle von Transporten über größere Entfernungen geben könne, wenn kranke oder verletzte Personen
wünschten, in einen anderen Staat oder in ihren Heimatstaat gebracht zu werden.
47.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes müssen Auslegung und Anwendung des
Tatbestandsmerkmals der Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten in den Artikeln 85
und 86 EG-Vertrag von dessen Zweck ausgehen, auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts den
Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts von dem des Rechts der Mitgliedstaaten abzugrenzen.
Unter den Geltungsbereich des Gemeinschaftsrechts fallen so alle Kartelle und alle Verhaltensweisen,
die geeignet sind, die Freiheit des Handels zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise zu gefährden, die
der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen Marktes zwischen den Mitgliedstaaten nachteilig sein
kann, indem insbesondere die nationalen Märkte abgeschottet werden oder die Wettbewerbsstruktur
im Gemeinsamen Markt verändert wird (Urteil vom 31. Mai 1979 in der Rechtssache 22/78,
Hugin/Kommission, Slg. 1979, 1869, Randnr. 17).
48.
Ein Beschluss, eine Vereinbarung oder eine Verhaltensweise kann den Handel zwischen
Mitgliedstaaten nur beeinträchtigen, wenn sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher und
tatsächlicher Umstände mit hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass sie unmittelbar
oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell denHandel zwischen Mitgliedstaaten in einer Weise
beeinflussen kann, die der Verwirklichung der Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes
nachteilig sein kann. Außerdem darf diese Beeinträchtigung nicht nur geringfügig sein (Urteil vom 28.
April 1998 in der Rechtssache C-306/96, Javico, Slg. 1998, I-1983, Randnr. 16).
49.
Soweit es um Dienstleistungen geht, kann dieser Einfluss, wie der Gerichtshof bereits entschieden
hat, darin bestehen, dass die fraglichen Tätigkeiten in einer Weise organisiert sind, dass sie eine
Aufteilung des Gemeinsamen Marktes und eine Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs, eines
der Ziele des EG-Vertrags, zur Folge haben (vgl. Urteil vom 4. Mai 1988 in der Rechtssache 30/87,
Bodson, Slg. 1988, 2479, Randnr. 24). Desgleichen kann der Handel zwischen Mitgliedstaaten durch
eine Maßnahme beeinträchtigt werden, die ein Unternehmen daran hindert, in einem anderen
Mitgliedstaat eine Niederlassung zu errichten, um dort auf dem fraglichen Markt Leistungen zu
erbringen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 161/84, Pronuptia, Slg.
1986, 353, Randnr. 26).
50.
Es ist also Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob es angesichts der wirtschaftlichen
Beschaffenheit der Märkte für Notfall- und für Krankentransport ausreichend wahrscheinlich ist, dass
eine Vorschrift wie § 18 Absatz 3 RettDG 1991 Unternehmer mit Sitz in einem anderen als dem
betreffenden Mitgliedstaat tatsächlich daran hindert, dort Krankentransport zu betreiben oder sich
dort niederzulassen.
51.
Falls unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen festgestellt werden sollte, dass § 18
Absatz 3 RettDG 1991 gegen Artikel 90 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 86 EG-Vertrag verstößt,
bleibt noch zu prüfen, ob diese nationale Vorschrift dadurch gerechtfertigt werden kann, dass eine
Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne von Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag
vorliegt.
52.
Der Beklagte, der ASB, der Vertreter des öffentlichen Interesses und die österreichische Regierung
tragen vor, ein gewisses Maß an Schutz des Rettungsdienstes vor Wettbewerb durch unabhängige
Betreiber sei auch auf dem Markt des nicht durch Notfall veranlassten Krankentransports erforderlich.
53.
Der flächendeckend und rund um die Uhr sicherzustellende Notfalltransport erfordere kostspielige
Investitionen in Ausstattung und qualifiziertes Personal. Es müsse verhindert werden, dass diese
Kosten nicht wenigstens teilweise durch Einnahmen aus dem nicht durch Notfall veranlassten
Transport gedeckt werden könnten. Doch führe nicht nur bereits die bloße Anwesenheit
unabhängiger Unternehmer auf dem Markt zu einem Rückgang der Einnahmen des Rettungsdienstes,
sondern es sei überdies zu erwarten, dass diese als gewinnorientierte Unternehmer ihre Leistungen
vorzugsweise in dichtbesiedelten Gebieten mit kurzen Wegen erbrächten, so dass den
Sanitätsorganisationen neben dem Notfalltransport nur noch der Krankentransport inabgelegenen
Gebieten bleibe. Die österreichische Regierung fügt hinzu, da der öffentliche Rettungsdienst letztlich
durch Steuern oder durch Krankenversicherungsbeiträge finanziert werde, bestehe ernsthaft die
Gefahr, dass die unvermeidbaren Verluste des Rettungsdienstes der Gesellschaft aufgebürdet
würden, während die möglichen Gewinne den unabhängigen Unternehmern zuflössen.
54.
Außerdem liege es im Allgemeininteresse, dass die Preise nicht von Gebiet zu Gebiet
unterschiedlich seien.
55.
Unzweifelhaft sind die Sanitätsorganisationen mit einer Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichem
Interesse betraut, nämlich ohne Rücksicht auf besondere Situationen oder die Wirtschaftlichkeit des
konkreten Einsatzes den Notfalltransport von kranken oder verletzten Personen flächendeckend zu
jeder Zeit, zu einheitlichen Benutzungsentgelten und bei gleicher Qualität sicherzustellen.
56.
Artikel 90 Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 1 erlaubt es den Mitgliedstaaten, Unternehmen, die sie
mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse betrauen, ausschließliche Rechte zu
verleihen, die der Anwendung der Wettbewerbsregeln des EG-VERTRAGS entgegenstehen können,
soweit Wettbewerbsbeschränkungen oder sogar der Ausschluss jeglichen Wettbewerbs von Seiten
anderer Wirtschaftsteilnehmer erforderlich sind, um die Erfüllung der den Unternehmen, die über die
ausschließlichen Rechte verfügen, übertragenen besonderen Aufgabe sicherzustellen (vgl. Urteil vom
19. Mai 1993 in der Rechtssache C-320/91, Corbeau, Slg. 1993, I-2533, Randnr. 14).
57.
Daher ist zu prüfen, ob die Beschränkung des Wettbewerbs erforderlich ist, um es dem Inhaber
eines ausschließlichen Rechts zu ermöglichen, seine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe unter
wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu erfüllen. Bei dieser Prüfung ist nach der Rechtsprechung des
Gerichtshofes davon auszugehen, dass die Verpflichtung des mit dieser Aufgabe Betrauten, seine
Dienstleistungen unter wirtschaftlich ausgewogenen Bedingungen sicherzustellen, die Möglichkeit
eines Ausgleichs zwischen den rentablen und den weniger rentablen Tätigkeitsbereichen voraussetzt
und daher eine Einschränkung des Wettbewerbs von Seiten einzelner Unternehmer in wirtschaftlich
rentablen Bereichen rechtfertigt (Urteil Corbeau, Randnrn. 16 und 17).
58.
Im Ausgangsrechtsstreit ergibt sich aus den vom Beklagten, vom ASB, vom Vertreter des
öffentlichen Interesses und von der österreichischen Regierung vorgetragenen, in Randnummer 53
dargelegten Gründen, deren Nachprüfung Sache des vorlegenden Gerichts ist, dass das durch das
Rettungsdienstgesetz 1991 eingeführte System es den Sanitätsorganisationen ermöglichen kann,
ihre Aufgabe unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu erfüllen. Insbesondere ergibt sich aus
den Akten, dass die Einnahmen aus dem nicht durch Notfall veranlassten Transport zur Deckung der
Kosten des Notfalltransports beitragen.
59.
Zwar befand der Gerichtshof in Randnummer 19 des Urteils Corbeau, dass der Ausschluss des
Wettbewerbs in bestimmten Fällen, wenn es sich um spezifische, von der fraglichen Dienstleistung von
allgemeinem Interesse trennbare Dienstleistungen handele, nicht gerechtfertigt sei, sofern diese
Dienstleistungen das wirtschaftliche Gleichgewicht der vom Inhaber des ausschließlichen Rechts
übernommenen Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse nicht in Frage stellten.
60.
So verhält es sich bei den beiden im Ausgangsrechtsstreit fraglichen Dienstleistungen
insbesondere aus zwei Gründen aber nicht. Erstens hängen, anders als beim Sachverhalt, der dem
Urteil Corbeau zugrunde lag, die beiden herkömmlich von den Sanitätsorganisationen durchgeführten
Dienstleistungen so eng zusammen, dass sich die nicht durch Notfall veranlassten Leistungen des
Krankentransports kaum von der Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse, nämlich dem
Rettungsdienst, trennen lassen, mit dem sie im Übrigen gemeinsame Merkmale aufweisen.
61.
Zweitens wird es den Sanitätsorganisationen durch die Erstreckung ihrer ausschließlichen Rechte
auf den Bereich des nicht durch Notfall veranlassten Krankentransports gerade ermöglicht, ihre im
Allgemeininteresse liegende Aufgabe Notfalltransport unter wirtschaftlich ausgewogenen
Bedingungen zu erfüllen. Die Möglichkeit privater Unternehmer, sich auf lukrativere Fahrten zu
konzentrieren, könnte die wirtschaftliche Durchführbarkeit des von den Sanitätsorganisationen
erbrachten Dienstes gefährden und damit dessen Qualität und Zuverlässigkeit in Frage stellen.
62.
Wie der Generalanwalt in Nummer 188 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, wäre die Erstreckung
der ausschließlichen Rechte der Sanitätsorganisationen allerdings dann nicht mit ihrer Aufgabe von
allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu rechtfertigen, wenn die mit dem Rettungsdienst betrauten
Sanitätsorganisationen offensichtlich nicht in der Lage wären, die Nachfrage nach Notfalltransport
und nach Krankentransport jederzeit zu decken.
63.
Die Klägerin trägt hierzu vor, § 18 Absatz 3 RettDG 1991 begünstige gerade eine Situation, in der
die Sanitätsorganisationen nicht immer in der Lage seien, die Nachfrage auf dem Markt für
Krankentransport voll und zu akzeptablen Preisen zu decken (vgl. sinngemäß Urteile vom 23. April
1991 in der Rechtssache C-41/90, Höfner und Elser, Slg. 1991, I-1979, Randnr. 31, und vom 11.
Dezember 1997 in der Rechtssache C-55/96, Job Centre, Slg. 1997, I-7119, Randnr. 35). Nach
Auffassung des Beklagten und des ASB ist dagegen der öffentliche Rettungsdienst unbestreitbar in
der Lage, die Nachfrage nach Notfalltransport und nach Krankentransport auch ohne private
Unternehmer zu decken.
64.
Das vorlegende Gericht wird daher zu prüfen haben, ob die Sanitätsorganisationen, wenn sie denn
eine beherrschende Stellung auf den fraglichen Märkten haben sollten, tatsächlich in der Lage sind,
die Nachfrage zu decken und nicht nur ihre gesetzliche Verpflichtung zu erfüllen, die Leistungen des
Rettungsdienstes in allen Situationen Tagund Nacht sicherzustellen, sondern auch die
Krankentransportleistungen effizient anzubieten.
65.
Daher ist eine Vorschrift wie § 18 Absatz 3 RettDG 1991 nach Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag
gerechtfertigt, soweit sie nicht ausschließt, dass unabhängigen Unternehmern eine Genehmigung
erteilt wird, falls die mit dem Rettungsdienst betrauten Sanitätsorganisationen offensichtlich nicht in
der Lage sind, die Nachfrage im Bereich der Leistungen des Notfall- und des Krankentransports zu
decken.
66.
Nach alledem ist auf die Vorabentscheidungsfrage zu antworten:
- Durch eine nationale Rechtsvorschrift wie § 18 Absatz 3 RettDG 1991, nach der die zuständige
Behörde die zur Durchführung von Leistungen des Krankentransports erforderliche Genehmigung
versagt, wenn aufgrund ihres Gebrauchs mit einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und
Wirtschaftlichkeit des Rettungsdienstes zu rechnen ist, dessen Durchführung Sanitätsorganisationen
wie den im Ausgangsrechtsstreit fraglichen übertragen wurde, kann diesen ein besonderes oder
ausschließliches Recht im Sinne des Artikels 90 Absatz 1 EG-Vertrag verliehen werden;
- sofern die Entscheidung über Erteilung oder Versagung der Genehmigung von den zuständigen
Behörden einseitig und in alleiniger Verantwortung nach Maßgabe des Gesetzes getroffen wird, ohne
dass es zwischen ihnen und den Sanitätsorganisationen oder zwischen diesen zu einer Vereinbarung
oder Abstimmung kommt, liegt keine Verletzung von Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag in Verbindung mit
Artikel 85 Absatz 1 Buchstabe c EG-Vertrag vor;
- eine nationale Rechtsvorschrift wie § 18 Absatz 3 RettDG 1991 verstößt gegen Artikel 90 Absatz 1
in Verbindung mit Artikel 86 EG-Vertrag, soweit feststeht, dass
- die Sanitätsorganisationen eine beherrschende Stellung auf dem Markt für Notfalltransport
haben,
- diese beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes besteht,
und
- es angesichts der wirtschaftlichen Beschaffenheit des fraglichen Marktes ausreichend
wahrscheinlich ist, dass diese Vorschrift Unternehmer mit Sitz in einem anderen als dem betreffenden
Mitgliedstaat tatsächlich daran hindert, dort Krankentransport zu betreiben oder sich dort
niederzulassen;
- eine Vorschrift wie § 18 Absatz 3 RettDG 1991 ist jedoch nach Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag
gerechtfertigt, soweit sie nicht ausschließt, dass unabhängigen Unternehmern eine Genehmigung
erteilt wird, falls die mit demRettungsdienst betrauten Sanitätsorganisationen offensichtlich nicht in
der Lage sind, die Nachfrage im Bereich der Leistungen des Notfall- und des Krankentransports zu
decken.
Kosten
67.
Die Auslagen der österreichischen Regierung und der Kommission, die vor dem Gerichtshof
Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens
ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz mit Beschluss vom 8. Dezember 1999
vorgelegte Frage für Recht erkannt:
- Durch eine nationale Rechtsvorschrift wie § 18 Absatz 3 des Rettungsdienstgesetzes in
der Fassung vom 22. April 1991, nach der die zuständige Behörde die zur Durchführung
von Leistungen des Krankentransports erforderliche Genehmigung versagt, wenn
aufgrund ihres Gebrauchs mit einer Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit und
Wirtschaftlichkeit des Rettungsdienstes zu rechnen ist, dessen Durchführung
Sanitätsorganisationen wie den im Ausgangsrechtsstreit fraglichen übertragen wurde,
kann diesen ein besonderes oder ausschließliches Recht im Sinne des Artikels 90 Absatz 1
EG-Vertrag (jetzt Artikel 86 Absatz 1 EG) verliehen werden;
- sofern die Entscheidung über Erteilung oder Versagung der Genehmigung von den
zuständigen Behörden einseitig und in alleiniger Verantwortung nach Maßgabe des
Gesetzes getroffen wird, ohne dass es zwischen ihnen und den Sanitätsorganisationen
oder zwischen diesen zu einer Vereinbarung oder Abstimmung kommt, liegt keine
Verletzung von Artikel 90 Absatz 1 EG-Vertrag in Verbindung mit Artikel 85 Absatz 1
Buchstabe c EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 Absatz 1 Buchstabe c EG) vor;
- eine nationale Rechtsvorschrift wie § 18 Absatz 3 des Rettungsdienstgesetzes 1991
verstößt gegen Artikel 90 Absatz 1 inVerbindung mit Artikel 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 82
EG), soweit feststeht, dass
- die Sanitätsorganisationen eine beherrschende Stellung auf dem Markt für
Notfalltransport haben,
- diese beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen
Marktes besteht, und
- es angesichts der wirtschaftlichen Beschaffenheit des fraglichen Marktes
ausreichend wahrscheinlich ist, dass diese Vorschrift Unternehmer mit Sitz in einem
anderen als dem betreffenden Mitgliedstaat tatsächlich daran hindert, dort
Krankentransport zu betreiben oder sich dort niederzulassen;
- eine Vorschrift wie § 18 Absatz 3 des Rettungsdienstgesetzes 1991 ist jedoch nach
Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag gerechtfertigt, soweit sie nicht ausschließt, dass
unabhängigen Unternehmern eine Genehmigung erteilt wird, falls die mit dem
Rettungsdienst betrauten Sanitätsorganisationen offensichtlich nicht in der Lage sind,
die Nachfrage im Bereich der Leistungen des Notfall- und des Krankentransports zu
decken.
von Bahr
Edward
La Pergola
Wathelet Timmermans
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 25. Oktober 2001.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
P. Jann
Verfahrenssprache: Deutsch.