Urteil des EuGH vom 16.10.2003

EuGH: unternehmen, kommission, regierung, belgien, wirtschaftliche leistungsfähigkeit, kategorie, bekanntmachung, ausführung, amtsblatt, rückgriff

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
16. Oktober 200
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge -
Richtlinie 92/50/EWG - Verlängerung eines Vertrages über die Beobachtung der belgischen Küste mittels
Luftfotografie“
In der Rechtssache C-252/01
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Beistand von J. Stuyck, advocaat, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Königreich Belgien,
Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagter,
wegen Feststellung, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie
92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher
Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1), insbesondere aus den Artikeln 11 Absatz 3 und 15 Absatz 2 dieser
Richtlinie, verstoßen hat, dass es
- entgegen den Bestimmungen dieser Richtlinie die Vergabe eines Dienstleistungsauftrags betreffend die
Küstenbeobachtung mittels Luftfotografie nicht im bekannt
gemacht hat und
- sich ungerechtfertigterweise des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Vergabebekanntmachung
bedient hat,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet sowie der Richter R. Schintgen und V. Skouris, der
Richterin N. Colneric und des Richters J. N. Cunha Rodrigues (Berichterstatter),
Generalanwalt: S. Alber,
Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 30. Januar 2003,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. April 2003
folgendes
Urteil
1.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 29. Juni 2001 bei der
Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG Klage erhoben auf Feststellung,
dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 92/50/EWG des
Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher
Dienstleistungsaufträge (ABl. L 209, S. 1), insbesondere aus den Artikeln 11 Absatz 3 und 15 Absatz 2
dieser Richtlinie, verstoßen hat, dass es
- entgegen den Bestimmungen dieser Richtlinie die Vergabe eines Dienstleistungsauftrags
betreffend die Küstenbeobachtung mittels Luftfotografie nicht im
bekannt gemacht hat und
- sich ungerechtfertigterweise des Verhandlungsverfahrens ohne vorherige
Vergabebekanntmachung bedient hat.
Rechtlicher Rahmen
2.
Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 92/50 lautet:
„Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf öffentliche Dienstleistungsaufträge, die gemäß den
Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats für geheim erklärt werden oder
deren Ausführung nach diesen Vorschriften besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordert, oder wenn
der Schutz wesentlicher Interessen der Sicherheit dieses Staates es gebietet.“
3.
Artikel 8 der Richtlinie 92/50 bestimmt:
„Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen des Anhangs IA sind, werden nach den Vorschriften
der Abschnitte III bis VI vergeben.“
4.
Artikel 9 der Richtlinie 92/50 sieht vor:
„Aufträge, deren Gegenstand Dienstleistungen des Anhangs IB sind, werden gemäß den Artikeln 14
und 16 vergeben.“
5.
In Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie 92/50 heißt es:
„Die Auftraggeber können in folgenden Fällen Dienstleistungsaufträge im Verhandlungsverfahren
ohne vorherige Vergabebekanntmachung vergeben:
...
b) wenn die Dienstleistungen aus technischen oder künstlerischen Gründen oder aufgrund des
Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Dienstleistungserbringer
ausgeführt werden können;
...“
6.
Artikel 15 Absatz 2 der Richtlinie 92/50 lautet:
„Die Auftraggeber, die einen Dienstleistungsauftrag im Wege eines offenen, eines nicht offenen oder -
in den in Artikel 11 genannten Fällen - eines Verhandlungsverfahrens vergeben wollen, teilen ihre
Absicht durch Bekanntmachung mit.“
7.
Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie 92/50 bestimmt:
„Müssen Bewerber um einen öffentlichen Auftrag oder Bieter eine bestimmte Berechtigung besitzen
oder im Ursprungsmitgliedstaat Mitglieder einer bestimmten Organisation sein, um die betreffende
Dienstleistung erbringen zu können, so kann der Auftraggeber den Nachweis ihrer Berechtigung oder
Mitgliedschaft verlangen.“
8.
Anhang I A Kategorie 12 der Richtlinie 92/50 betrifft:
Kategorie Titel
CPC-
Referenz-
Nr.
12
Architektur, technische Beratung und Planung; integrierte technische
Leistungen; Stadt- und Landschaftsplanung; zugehörige wissenschaftliche und
technische Beratung; technische Versuche und Analysen
867
9.
Anhang I B Kategorie 27 der Richtlinie 92/50 betrifft:
Kategorie Titel
CPC-Referenz-Nr.
27
Sonstige Dienstleistungen
Sachverhalt und Vorverfahren
10.
Am 7. April 1988 schrieb die belgische Wasserstraßenverwaltung einen nicht offenen Auftrag zur
luftfotografischen Beobachtung der belgischen Küste aus.
11.
Der Auftrag wurde dem belgischen Unternehmen Eurosense Belfotop NV (nachfolgend: Eurosense
Belfotop) erteilt, das sowohl aus technischer als auch aus finanzieller Sicht am besten beurteilt
worden war.
12.
Im Hinblick auf die Regionalisierung des belgischen Staates entschied der damalige
Ministerialausschuss für wirtschaftliche und soziale Industrialisierung, den Auftrag nur für ein Jahr zu
vergeben.
13.
Am 29. Juli 1989 beschloss die flämische Regierung, den Vertrag auf der Grundlage der
Ausschreibung von 1988 um sechs Jahre zu verlängern.
14.
Dieser Vertrag bezog sich im Wesentlichen auf die regelmäßige Beobachtung des Dünengürtels
sowie der trockenen und überfluteten Strände der belgischen Küste mittels Luftfernerkundung
einschließlich der Verarbeitung der gesammelten Daten.
15.
Ab 1992 prüften die flämischen Behörden die Möglichkeit einer Anpassung des Vertrages durch
einen Nachtrag.
16.
Nach einem Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung unterzeichnete der Minister
für öffentliche Aufträge mit Eurosense Belfotop am 13. April 1995 einen Nachtrag zum Vertrag über
einen Wert von 534 000 000 BEF (ohne Mehrwertsteuer) und mit einer Laufzeit von neun Jahren.
17.
Am 27. Dezember 1995 richtete die Kommission ein Mahnschreiben an das Königreich Belgien, in
dem sie geltend machte, dass der mit dem Nachtrag vom 13. April 1995 vergebene Auftrag
(nachfolgend: fraglicher Auftrag) in den Anwendungsbereich der Richtlinie 92/50 falle und dass gemäß
Artikel 15 Absätze l und 2 der Richtlinie eine nicht verbindliche Bekanntmachung und eine
Vergabebekanntmachung im hätten veröffentlicht
werden müssen. Die unterbliebene Bekanntmachung des Auftrags stelle einen Verstoß gegen Artikel
15 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 92/50 dar. Außerdem sei die freihändige Vergabe nicht nach Artikel
11 Absatz 3 dieser Richtlinie gerechtfertigt, der die Voraussetzungen bestimme, unter denen die
Auftraggeber ihre Aufträge in einem Verhandlungsverfahren ohne vorherige Vergabebekanntmachung
vergeben könnten, da keine der in diesem Absatz vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sei.
18.
In ihrer Antwort vom 2. Februar 1996 wies die belgische Regierung die im Mahnschreiben vom 27.
Dezember 1995 formulierten Beanstandungen zurück.
19.
Zunächst sei die Richtlinie 92/50 auf den fraglichen Auftrag aufgrund ihres Artikels 4 Absatz 2 nicht
anwendbar. Sodann sei die freihändige Vergabe jedenfalls nach Artikel 11 Absatz 3 Buchstabe b
dieser Richtlinie gerechtfertigt. Folgende Kriterien rechtfertigten die freihändige Vergabe: a) Das
Unternehmen müsse über eine militärische Sicherheitsbescheinigung verfügen, b) es müsse über eine
Genehmigung der Luftfahrtverwaltung zur Vornahme jedweder Arbeiten in der Luft verfügen, c) es
müsse über das notwendige Know-how sowie die erforderliche Technologie und Ausrüstung verfügen,
d) innerhalb ein und desselben Unternehmens müssten sämtliche Voraussetzungen in Bezug auf das
notwendige Know-how sowie die erforderliche Technologie und Ausrüstung vorliegen, und e) das
Unternehmen müsse eine hinreichende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit besitzen, um jährlich
Dienstleistungen in einem Wert von etwa 80 000 000 BEF erbringen zu können. Schließlich
rechtfertigten noch weitere Gesichtspunkte den Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren, nämlich
das Bestehen von Ausschließlichkeitsrechten (Urheberrechten), die Verfügbarkeit von Flugzeugen an
der belgischen Küste innerhalb zweier Flugstunden und das Beherrschen der niederländischen
Sprache.
20.
Da die Kommission ihre Einwände durch diese Antwort nicht ausgeräumt sah, richtete sie am 10.
März 1999 gemäß Artikel 226 EG eine mit Gründen versehene Stellungnahme an das Königreich
Belgien, in der sie ihre Beanstandungen wiederholte und die Auffassung äußerte, dass das Königreich
Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 92/50, insbesondere aus deren
Artikeln 11 Absatz 3 und 15 Absätze 1 und 2, verstoßen habe, dass es
- die nicht verbindliche Bekanntmachung und die Vergabebekanntmachung, die nach der Richtlinie
92/50 vorgeschrieben seien, nicht im veröffentlicht habe
und
- den Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Vergabebekanntmachung nicht
gerechtfertigt habe.
21.
Die Kommission forderte das Königreich Belgien auf, innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung
dieser mit Gründen versehenen Stellungnahme die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um der
Stellungnahme nachzukommen.
22.
Die belgische Regierung beantwortete die mit Gründen versehene Stellungnahme mit Schreiben
vom 1. Juni 1999. Sie machte insbesondere geltend, der fragliche Auftrag bestehe im Wesentlichen
aus Dienstleistungen der Luftfotografie, die nicht unter Kategorie 12 des Anhangs I A der Richtlinie
92/50, sondern unter Kategorie 27 („Sonstige Dienstleistungen“) des Anhangs I B dieser Richtlinie
fielen. Im Übrigen verwies die belgische Regierung auf ihre Antwort auf das Mahnschreiben.
23.
Da der Kommission diese Antwort nicht genügte, hat sie die vorliegende Klage erhoben.
Zur Begründetheit
24.
Die Kommission macht mit ihrer Klage im Wesentlichen geltend, die Vergabe des fraglichen Auftrags
im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Vergabebekanntmachung verstoße gegen die Richtlinie
92/50.
25.
Die belgische Regierung bringt drei Verteidigungsmittel vor. Erstens gelte die Richtlinie 92/50 für
den fraglichen Auftrag nicht, weil seine Ausführung besondere Sicherheitsmaßnahmen im Sinne von
Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie erfordere. Zweitens fielen die Dienstleistungen, die Gegenstand des
Auftrags seien, unter Anhang I B der Richtlinie 92/50, so dass die Bestimmungen der Richtlinie, die
den Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren beschränkten und eine Vergabebekanntmachung
vorschrieben, für den fraglichen Auftrag nicht gälten. Drittens sei der Rückgriff auf das
Verhandlungsverfahren nach Artikel 11 Absatz 3 der Richtlinie insbesondere aus technischen Gründen
und zum Schutz von Ausschließlichkeitsrechten gerechtfertigt.
26.
Im Rahmen ihres ersten Verteidigungsmittels weist die belgische Regierung darauf hin, dass als
eines von fünf Kriterien für den Zuschlag des fraglichen Auftrags der Besitz einer militärischen
Sicherheitsbescheinigung gefordert worden sei. Unternehmen, die bei der Ausführung öffentlicher
Aufträge Zugang zu Daten, Orten oder Ausrüstungsgegenständen erhielten, die von den nationalen
Behörden oder von der NATO als geheimhaltungsbedürftig klassifiziert worden seien, könnten eine
militärische Sicherheitsbescheinigung nach einer Sicherheitsprüfung erhalten. Unternehmen, die nicht
über eine solche Bescheinigung verfügten, müssten ihre Aufnahmen vor jeder Datenverarbeitung dem
Service des renseignements généraux (Allgemeiner Nachrichtendienst) übermitteln, der prüfe, ob auf
ihnen geheimhaltungsbedürftige Objekte zu sehen seien, und diese gegebenenfalls unkenntlich
mache. Unternehmen, die eine solche Bescheinigung besäßen, erhielten eine Liste der
geheimhaltungsbedürftigen Objekte, die es ihnen erlaube, ihre Aufnahmen direkt zu bearbeiten und
diese Objekte bei späteren Veröffentlichungen oder Anzeigen selbst unkenntlich zu machen. Der
Zweck dieser Regelung liege auf der Hand: Die geheimhaltungsbedürftigen Objekte seien von großer
strategischer Bedeutung. Die Verbreitung geografischer Informationen über diese Objekte berge die
ernsthafte Gefahr von Terrorismus, Sabotageakten oder Spionage. Die militärische
Sicherheitsbescheinigung sei also eine besondere Sicherheitsmaßnahme im Sinne von Artikel 4 Absatz
2 der Richtlinie 92/50, die somit für den fraglichen Auftrag nicht gelte.
27.
Die Kommission macht geltend, die eng auszulegende Ausnahme des Artikels 4 Absatz 2 der
Richtlinie 92/50 finde auf den vorliegenden Fall keine Anwendung. Nach belgischem Recht müssten
Unternehmen, die nicht über eine militärische Sicherheitsbescheinigung verfügten, ihre Aufnahmen
vor jeder Datenverarbeitung den belgischen Sicherheitsbehörden übermitteln, die prüften, ob auf den
Aufnahmen geheimhaltungsbedürftige Objekte zu sehen seien, und diese gegebenenfalls unkenntlich
machten. Die Erteilung einer militärischen Sicherheitsbescheinigung mache diese Maßnahmen für das
Unternehmen, das die Bescheinigung besitze, gerade entbehrlich. Denn bei einem solchen
Unternehmen sei die Überprüfung seiner Aufnahmen durch die Sicherheitsbehörden nicht
erforderlich, weil es damit befugt sei, mit unzensierten Luftaufnahmen zu arbeiten.
28.
Nach Ansicht der Kommission stellt somit die für den fraglichen Auftrag vorausgesetzte militärische
Sicherheitsbescheinigung des Vertragsunternehmens keine besondere Sicherheitsmaßnahme im
Sinne von Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 92/50, sondern eine von den Bietern geforderte bestimmte
Berechtigung im Sinne von Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie dar. Die letztgenannte Bestimmung
schließe die Anwendung der Richtlinie 92/50 nicht aus, sondern gestatte es dem Auftraggeber nur,
ein zusätzliches Erfordernis aufzustellen. Dass für den fraglichen Auftrag eine militärische
Sicherheitsbescheinigung erforderlich sei, führe also nicht zur Unanwendbarkeit der Richtlinie.
29.
Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 92/50 sieht u. a. vor, dass diese Richtlinie keine Anwendung auf
öffentliche Dienstleistungsaufträge findet, deren Ausführung nach den Rechts- und
Verwaltungsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordert.
30.
Das Königreich Belgien ist unstreitig für die Gewährleistung der Sicherheit nicht nur seiner
nationalen Einrichtungen, sondern auch der auf seinem Hoheitsgebiet belegenen Einrichtungen
internationaler Organisationen wie der NATO verantwortlich. Es ist somit Sache der belgischen
Behörden, die Sicherheitsmaßnahmen zu bestimmen, die zum Schutz solcher Einrichtungen
erforderlich sind.
31.
Wie die belgische Regierung von der Kommission unwidersprochen vor dem Gerichtshof vorgebracht
hat, muss jede Luftaufnahme in Belgien den belgischen Sicherheitsbehörden zur Überprüfung und
etwaigen Unkenntlichmachung vorgelegt werden, es sei denn, das betreffende Unternehmen besitzt
eine militärische Sicherheitsbescheinigung; in diesem Fall muss das Unternehmen die Bilder von als
geheim klassifizierten Stätten selbst unkenntlich machen, bevor es die Aufnahmen verbreitet.
32.
Nach dem von der Kommission nicht bestrittenen Vortrag der belgischen Regierung wird das
Verfahren zur Erteilung der militärischen Sicherheitsbescheinigung streng angewandt und impliziert
eine umfassende Überprüfung des betreffenden Unternehmens. Jedes Belegschaftsmitglied, das
Zugang zu den Aufnahmen hat, sowie die Aktionäre und der Geschäftsführer des Unternehmens
werden eingehend auf ihre Vergangenheit, ihr Umfeld, ihre Auslandsreisen und ihre Mitgliedschaften
in Organisationen hin überprüft.
33.
Außerdem muss das betreffende Unternehmen nach den unbestrittenen Ausführungen der
belgischen Regierung, um den Schutz der in seinem Besitz befindlichen geheimhaltungsbedürftigen
Informationen sicherzustellen, Sicherheitsanforderungen erfüllen, die der Vertraulichkeitsstufe der
aufbewahrten Informationen entsprechen. Für den Zugang zum gespeicherten Material sind
besondere Verfahren vorgeschrieben, und die Anlagen zur Archivierung und Verwendung der
unzensierten Aufnahmen müssen bestimmte Sicherheitsanforderungen erfüllen, wie z. B. die
Aufbewahrung der Aufnahmen und der damit zusammenhängenden Dokumente in einem gepanzerten
Gebäude mit metallener Eingangstür und einer doppelten Alarmanlage, die durchgehend mit einem
Wachdienst verbunden ist.
34.
Die Erteilung einer militärischen Sicherheitsbescheinigung ist also keine bloße
Verwaltungsförmlichkeit, sondern setzt die Erfüllung bestimmter betrieblicher Voraussetzungen durch
das Unternehmen, dem die Bescheinigung erteilt wird, voraus. Außerdem impliziert die Erteilung, dass
das Unternehmen auch künftig die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen bei seinen Tätigkeiten
garantiert.
35.
Die Erteilung einer militärischen Sicherheitsbescheinigung stellt das Unternehmen, dem die
Bescheinigung erteilt wird, nicht davon frei, alle sonstigen Sicherheitsmaßnahmen zu treffen. Allein die
regelmäßige Einschaltung der nationalen Sicherheitsbehörden entfällt, und das Unternehmen, das
die Bescheinigung erhalten hat, muss weiterhin den Sicherheitsanforderungen nachkommen,
insbesondere der Verpflichtung, die geheimhaltungsbedürftigen Objekte vor einer etwaigen
Verbreitung seiner Aufnahmen selbst unkenntlich zu machen.
36.
Insgesamt ergibt sich aus den belgischen Vorschriften, wie sie dem Gerichtshof unterbreitet
worden sind, dass die Ausführung der Dienstleistungen, die Gegenstand des fraglichen Auftrags sind,
besondere Sicherheitsmaßnahmen im Sinne von Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 92/50 erfordert, zu
denen die Erteilung einer militärischen Sicherheitsbescheinigung an das die Dienstleistungen
erbringende Unternehmen gehört.
37.
Folglich ist die Richtlinie 92/50 nach der letztgenannten Vorschrift auf die Dienstleistungen, die
Gegenstand des fraglichen Auftrags sind, nicht anwendbar.
38.
Die Klage ist daher abzuweisen, ohne dass auf das zweite und das dritte Verteidigungsmittel der
belgischen Regierung eingegangen werden müsste.
Kosten
39.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die belgische Regierung keinen Kostenantrag gestellt hat, trägt jede Partei
ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
Puissochet
Schintgen
Skouris
Colneric
Cunha Rodrigues
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 16. Oktober 2003.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
V. Skouris
Verfahrenssprache: Niederländisch.