Urteil des EuGH vom 22.11.2001

EuGH: staatliche beihilfe, händler, abgabe, unternehmen, arzneimittel, steuerliche vergünstigung, erfüllung, unterliegen, kommission, handel

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
22. November 2001
„Staatliche Beihilfen - Steuerliche Vergünstigung für bestimmte Unternehmen - Großhändler“
In der Rechtssache C-53/00
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Tribunal des affaires de sécurité sociale Créteil
(Frankreich) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Ferring SA
gegen
Agence centrale des organismes de sécurité sociale (ACOSS)
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung
jetzt Artikel 49 EG), 90 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 86 Absatz 2 EG) und 92 EG-Vertrag (nach Änderung
jetzt Artikel 87 EG)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin F. Macken, der Richterin N. Colneric sowie der Richter C. Gulmann
(Berichterstatter), J.-P. Puissochet und J. N. Cunha Rodrigues,
Generalanwalt: A. Tizzano
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Ferring SA, vertreten durch B. Pigalle, B. Geneste und O. Davidson, avocats,
- der Agence centrale des organismes de sécurité sociale (ACOSS), vertreten durch H. Calvet, avocat,
- der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger, G. Taillandier und F. Million als
Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch G. Rozet und M. Patakia als
Bevollmächtigte,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Ferring SA, der Agence centrale des organismes de
sécurité sociale (ACOSS), der französischen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 14. Februar
2001,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Mai 2001,
folgendes
Urteil
1.
Das Tribunal des affaires de sécurité sociale Créteil hat mit Urteil vom 11. Januar 2000, beim
Gerichtshof eingegangen am 21. Februar 2000, gemäß Artikel 234 EG dreiFragen nach der Auslegung
der Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG), 90 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 86
Absatz 2 EG) und 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit der Ferring SA (im Folgenden: Klägerin) gegen die
Agence centrale des organismes de sécurité sociale (im Folgenden: ACOSS) vor dem Tribunal des
affaires de sécurité sociale Créteil, den die Klägerin führt, um die Erstattung des Betrages zu
erlangen, den sie der ACOSS an Abgabe auf den Direktverkauf von Arzneimitteln gezahlt hat.
Rechtlicher Rahmen
3.
In der letzten Begründungserwägung der Richtlinie 92/25/EWG des Rates vom 31. März 1992 über
den Großhandelsvertrieb von Humanarzneimitteln (ABl. L 113, S. 1) heißt es, dass einige
Mitgliedstaaten Großhändlern, die Apotheker und zur Abgabe von Arzneimitteln an die Öffentlichkeit
befugte Personen mit Arzneimitteln beliefern, bestimmte gemeinwirtschaftliche Verpflichtungen
auferlegten. Es müsse den Mitgliedstaaten möglich sein, diese Verpflichtungen den in ihrem Gebiet
niedergelassenen Großhändlern aufzuerlegen. Sie müssten die Möglichkeit haben, diese
Verpflichtungen auch den Großhändlern der anderen Mitgliedstaaten aufzuerlegen, sofern sie diesen
keine strengeren Verpflichtungen als den eigenen Großhändlern vorschrieben und sofern die
Verpflichtungen aus Gründen des Schutzes der Volksgesundheit als gerechtfertigt gelten könnten
und in einem angemessenen Verhältnis zu diesem Ziel stünden.
4.
Nach Artikel 1 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich der Richtlinie 92/25 gilt im Sinne dieser Richtlinie als
gemeinwirtschaftliche Verpflichtung „die Verpflichtung der betreffenden Großhändler, ständig ein
Sortiment von Arzneimitteln bereitzuhalten, das den Anforderungen eines bestimmten geographischen
Gebietes genügt, und die rasche Verfügbarkeit dieser Arzneimittel innerhalb des genannten Gebietes
zu gewährleisten“.
5.
Nach Artikel R 5106-5 des Code de la santé publique gelten als „Großhändler“ „alle Unternehmen,
die sich zwecks Vertriebes im Großhandel ohne Weiterverarbeitung mit dem Kauf und der Bevorratung
von Arzneimitteln befassen, soweit diese nicht zu Experimenten am Menschen bestimmt sind“.
6.
Die bis Februar 1998 geltende Ministerialverordnung vom 3. Oktober 1962 betreffend die Pflichten
der Großhändler in Bezug auf die Bedarfsdeckung der Apotheken (JORF vom 12. Oktober 1962, S.
9999) sah insbesondere vor:
„Artikel 1 - Alle Betriebe des Großhandels mit Arzneimitteln im Sinne von Artikel R. 5116-6 Absatz 4 des
Code de la santé publique und ihre Zweigniederlassungen haben ständig einen Vorrat von
Arzneispezialitäten vorzuhalten, der die Deckung des monatlichen Bedarfes der zu ihren ständigen
Kunden zählenden Apotheken des von ihnen belieferten Sektors sicherstellt.
Dieser Arzneimittelvorrat muss einen Bestand nach einem Sortiment von Spezialitäten entsprechen,
das zumindest zwei Drittel der effektiv gehandelten Aufmachungen an Spezialitäten ausmacht, sowie
seinem Wert nach dem durchschnittlichen Monatsumsatz des Vorjahres.
Artikel 2 - Alle Betriebe des Großhandels mit Arzneimitteln und ihre Zweigniederlassungen müssen in
der Lage sein, die Belieferung jeder zu ihren ständigen Kunden zählenden Apotheke innerhalb ihres
Vertriebsgebiets mit jeder gehandelten Spezialität sowie die Lieferung jeder zu ihrem Programm
zählenden Spezialität binnen 24 Stunden nach Eingang der Bestellung sicherzustellen. Sie haben
ihren Spezialitätenbezug zu überwachen, um jede Bevorratungslücke zu vermeiden.
Artikel 3 - Das in Artikel 2 genannte Vertriebsgebiet entspricht dem geographischen Raum, den der
Apotheker, der für einen Betrieb des Großhandels mit Arzneimitteln oder für eine Zweigniederlassung
eines Betriebes des Großhandels mit Arzneimitteln verantwortlich ist, in einer Erklärung als das Gebiet
bezeichnet hat, in dem er seine Tätigkeit ausübt ...“
7.
Diese Regelung wurde insbesondere durch das Dekret Nr. 98-79 vom 11. Februar 1998 betreffend
die Apotheken und zur Änderung des Code de la santé publique (JORF vom 13. Februar 1998, S. 2287)
geändert. Artikel R 5115-13 des Code de la santé publique in der durch dieses Dekret geänderten
Fassung bestimmt:
„...
In seinem Vertriebsgebiet hat jeder Betrieb die folgenden gemeinwirtschaftlichen Pflichten zu erfüllen:
1. - Er hat einen Vorrat an Arzneimitteln bereit zu halten, der mindestens neun Zehnteln der in
Frankreich effektiv gehandelten Aufmachungen entspricht.
2. - Er muss in der Lage sein:
a) jederzeit den Bedarf seiner üblichen Kundschaft für mindestens zwei Wochen zu decken;
b) jedes zu seinem Sortiment zählende Arzneimittel binnen 24 Stunden nach Eingang der Bestellung zu
liefern;
c) jeder Apotheke auf Verlangen jedes Arzneimittel und, soweit er deren Vertrieb unter den
Voraussetzungen des Artikels R. 5108-1 sicherstellt, alle anderen in Artikel L. 512 genannten
Erzeugnisse, Gegenstände oder Artikel sowie jedes in Nr. 4 des Artikels L. 511-1 aufgeführte und in
Frankreich gehandelte Teilarzneiprodukt zu liefern.
...“
8.
Artikel 12 des Gesetzes Nr. 97-1164 vom 19. Dezember 1997 über die Finanzierung der sozialen
Sicherheit für 1998 (JORF vom 23. Dezember 1997, S. 18635), durch das u. a. Artikel L. 245-6-1 in den
Code de la securité sociale eingefügt wurde, führt eine Abgabe von 2,5 % des Umsatzes vor Steuern,
der in Frankreich von Pharmaherstellern bei Apotheken, Genossenschaftsapotheken und Apotheken
von Knappschaftsvereinen mit dem Großhandelsverkauf von Arzneispezialitäten erzielt wurde, ein.
Diese Abgabe wird als „Direktverkaufsabgabe“ bezeichnet.
9.
Wie der französische Conseil constitutionnel in seiner Entscheidung 97-393 vom 18. Dezember 1997
(JORF vom 23. Dezember 1997, S. 18649), die aufgrund einer Klage gegen Artikel 12 des Gesetzes Nr.
97-1164 erging, entschieden hat, wurde diese Abgabe, die nicht bei Arzneimittelverkäufen durch
Großhändler erhoben wird, eingeführt, um zur Finanzierung der Caisse nationale d'assurance maladie
(nationale Krankenkasse) beizutragen und die Bedingungen des Wettbewerbs zwischen den
Vertriebswegen für Arzneimittel auszugleichen, die als verfälscht betrachtet würden, da die
Großhändler gemeinschaftlichen Pflichten unterlägen, die nicht für Pharmahersteller gälten.
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen
10.
Bei der Klägerin handelt es sich um eine Gesellschaft französischen Rechts mit Sitz in Frankreich,
die einer multinationalen Gruppe pharmazeutischer Unternehmen angehört und in diesem
Mitgliedstaat über ein System des Direktverkaufs an die Apotheken das in Deutschland von einem
anderen Unternehmen der Gruppe hergestellte Arzneimittel Lutrelef vertreibt. Bei der Klägerin wurde
die Direktverkaufsabgabe erhoben, und sie musste hierfür einen Betrag von 40 155 FRF an die ACOSS
entrichten.
11.
Die Klägerin war der Ansicht, dass die Abgabe rechtswidrig sei, und erhob daher am 17. September
1998 Klage beim Tribunal des affaires de sécurité sociale Créteil auf Erstattung des an die ACOSS
entrichteten Betrages. Zur Begründung ihrer Klage machte sie geltend, zum einem stelle der
Umstand, dass diese Abgabe nur bei den Verkäufen der Pharmahersteller erhoben werde, eine
staatliche Beihilfe dar, die den Großhändlern unter Verstoß gegen die Pflicht zur vorherigen
Unterrichtung gemäß Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 Absatz 3 EG) gewährt werde, und
zum anderen führe diese Maßnahme unter Verstoß gegen Artikel 59 des Vertrages ein Hemmnis für
den freien Dienstleistungsverkehr ein.
12.
Die ACOSS machte geltend, die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Abgabenregelung stelle
keine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages dar, sie sei auf alle Fälle
wegen Art und Aufbau des französischen Systems zur Verteilung von Arzneimitteln gerechtfertigt, und
selbst wenn sie als Beihilfe eingestuft würde, sei diese Regelung durch die Ausnahme des Artikels 90
Absatz 2 des Vertrages gedeckt. Zur angeblichen Verletzung von Artikel 59 des Vertrages machte die
ACOSS geltend, diese Bestimmung sei auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar, da es sich um einen
rein inländischen Sachverhalt in einem Mitgliedstaat handele; jedenfalls verstoße die
Abgabenregelung, um die es im Ausgangsverfahren gehe, nicht gegen die gemeinschaftliche
Regelung des freien Dienstleistungsverkehrs.
13.
Das Tribunal des affaires de sécurité sociale Créteil hat das Verfahren ausgesetzt und dem
Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Kann die durch Artikel L. 245-6-1 des Code de la sécurité sociale eingeführte Abgabe als
staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 87 EG (früher Artikel 92 EG-Vertrag) angesehen werden?
Falls ja, ist sie dann durch die Natur und den inneren Aufbau des Systems gerechtfertigt?
2. Sind Großhändler mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse in Sinne des
Artikels 86 Absatz 2 EG (früher Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag) betraut?
Fällt die eingeführte Abgabe, falls sie als staatliche Beihilfe eingestuft werden kann, nur dann unter
die Ausnahme des Artikels 86 Absatz 2, wenn sie lediglich die zusätzlichen Kosten ausgleicht, die den
Großhändlern aus den ihnen auferlegten Verpflichtungen entstehen?
3. Ist Artikel 49 EG (früher Artikel 59 EG-Vertrag) dahin auszulegen, dass er einer nationalen
Regelung wie dem Gesetz vom 19. Dezember 1997 entgegensteht?
Zur Auslegung von Artikel 92 des Vertrages
14.
Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages lautet:
„Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen
Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen
oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem
Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“
15.
Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, ist der Begriff der Beihilfe weiter als der Begriff der
Subvention, denn er umfasst nicht nur positive Leistungen wieSubventionen selbst, sondern auch
Maßnahmen, die in unterschiedlicher Form die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen
normalerweise zu tragen hat und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes
darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen (vgl. Urteile vom 15. März 1994 in der
Rechtssache C-387/92, Banco Exterior de España, Slg. 1994, I-877, Randnr. 13, und vom 17. Juni 1999
in der Rechtssache C-295/97, Piaggio, Slg. 1999, I-3735, Randnr. Randnr. 34).
16.
Der Begriff der Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag kann nur Vorteile bezeichnen,
die unmittelbar oder mittelbar aus staatlichen Mitteln finanziert werden oder die eine zusätzliche
Belastung für den Staat oder die für diesen Zweck benannten oder errichteten Einrichtungen
darstellen (vgl. Urteil vom 7. Mai 1998 in den Rechtssachen C 52/97 bis C-54/97, Viscido u. a., Slg.
1998, I-2629, Randnr. 13).
17.
Allerdings kann von der unterschiedlichen Behandlung der betroffenen Unternehmen nicht
automatisch auf das Bestehen eines Vorteils im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages
geschlossen werden. Denn an einem solchen Vorteil fehlt es, wenn die unterschiedliche Behandlung
aus Gründen gerechtfertigt ist, die systemimmanent sind (vgl. Urteil vom 9. Dezember 1997 in der
Rechtssache C-353/95 P, Tiercé Ladbroke/Kommission, Slg. 1997, I-7007, insbesondere Randnr. 33
und 35).
18.
Daher ist, wie der Generalanwalt in Nummer 30 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, zunächst zu
prüfen, ob, abgesehen von den gemeinwirtschaftlichen Pflichten, die der französische Gesetzgeber
vorgesehen hat, die Nichterhebung der Direktverkaufsabgabe bei den Großhändlern dem Grundsatz
nach eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages darstellen kann, und
bejahendenfalls ist zu prüfen, ob die Beihilfenatur dieser Maßnahme wegen der besonderen
gemeinwirtschaftlichen Pflichten, die das französische System den Großhändlern bei der Versorgung
der Apotheken mit Arzneimitteln auferlegt, auszuschließen ist.
19.
In diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass in Frankreich zwei in unmittelbarem Wettbewerb
miteinander stehende Vertriebswege für Arzneimittel bestehen, zum einen über die Großhändler und
zum anderen über die Pharmahersteller, die den Direktverkauf betreiben. Ferner steht fest, dass die
Direktverkaufsabgabe insbesondere der Wiederherstellung des Gleichgewichts der
Wettbewerbsbedingungen zwischen den beiden Vertriebswegen für Arzneimittel dient, die nach
Ansicht des französischen Gesetzgebers durch die gemeinwirtschaftlichen Pflichten verfälscht worden
sind, die nur den Großhändlern auferlegt wurden. Im Übrigen ist nicht bestritten, dass nach der
Einführung der Abgabe durch das Gesetz Nr. 97-1164 der in den unmittelbar vorhergehenden Jahren
verzeichnete Anstieg der Direktverkäufe nicht nur unterbrochen wurde, sondern dass sich die Tendenz
sogar umgekehrt hat, indem die Großhändler Marktanteile zurückgewonnen haben.
20.
Somit erweist sich, dass die Tatsache, dass die Großhändler der Direktverkaufsabgabe, die zur
Finanzierung der Caisse nationale d'assurance maladie bestimmt ist, nichtunterliegen, einer
Abgabenbefreiung zu deren Gunsten gleichsteht. Damit haben die französischen Behörden in der
Praxis zugunsten der Großhändler auf Einnahmen aus Abgaben verzichtet und diesen somit einen
wirtschaftlichen Vorteil gewährt. Daher ist festzustellen, dass dieser Vorteil aus staatlichen Mitteln
gewährt worden ist und die Wettbewerbsstellung der Großhändler gegenüber dem anderen
Vertriebsweg für Arzneimittel verstärkt hat.
21.
Verstärkt im Übrigen ein von einem Mitgliedstaat gewährter Vorteil die Stellung einer Gruppe von
Unternehmen gegenüber anderen, mit ihnen im innergemeinschaftlichen Handel im Wettbewerb
stehenden Unternehmen, so muss dieser Handel als von diesem Vorteil beeinflusst betrachtet werden
(vgl. insbesondere Urteil vom 17. September 1980 in der Rechtssache 730/79, Philip
Morris/Kommission. Slg. 1980, 2671, Randnr. 11). Da die Arzneimittelmärkte durch die große Zahl der
auf ihnen tätigen multinationalen Unternehmen gekennzeichnet sind, die ihre Erzeugnisse in den
Mitgliedstaaten vertreiben, besteht kein Zweifel, dass eine Maßnahme von der Art der
Direktverkaufsabgabe die Handelsströme zwischen den Mitgliedstaaten beeinflussen kann.
22.
Nach allem ist festzustellen, dass, abgesehen von den gemeinwirtschaftlichen Pflichten, die der
französische Gesetzgeber vorgesehen hat, die Direktverkaufsabgabe als solche, da sie bei den
Großhändlern nicht erhoben wird, eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des
Vertrages darstellen kann.
23.
Es ist jedoch zu prüfen, ob die Einstufung dieser Regelung als Beihilfe wegen der besonderen
gemeinwirtschaftlichen Pflichten auszuschließen ist, die das französische System der Versorgung der
Apotheken mit Arzneimitteln den Großhändlern auferlegt.
24.
Die französische Regelung erlegt nur den Großhändlern die Verpflichtung auf, ständig ein Sortiment
von Arzneimitteln bereitzuhalten, das dem Bedarf eines bestimmten geographischen Gebietes
entspricht, und die rasche Verfügbarkeit dieser Arzneimittel innerhalb dieses Gebietes zu
gewährleisten, so dass eine Versorgung der gesamten Bevölkerung mit Arzneimitteln jederzeit
gewährleistet ist.
25.
Die Erfüllung dieser Pflichten verursacht den Großhändlern zusätzliche Kosten, die die
Pharmahersteller nicht zu tragen haben.
26.
In diesem Zusammenhang sind die Ausführungen des Gerichtshofes im Zusammenhang mit einem
in der Richtlinie 75/439/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 über die Altölbeseitigung (ABl. L 194, S. 23)
vorgesehenen Zuschuss ins Gedächtnis zu rufen. Dieser Zuschuss, der nach dem Grundsatz finanziert
wurde, dass der Verursacher die Kosten zu tragen hat, und zwar gegebenenfalls durch eine Abgabe,
die auf Erzeugnisse, durch deren Verwendung Altöle entstehen, oder auf Altöl erhoben wurde und die
nicht die jährlichen tatsächlichen Kosten überstieg, konnte Unternehmen, die Altöle sammelten
und/oder beseitigten, als Ausgleich für die ihnen obliegende Verpflichtung gewährt werden, von den
Besitzern angebotene Erzeugnisse zu sammeln und/oder zu beseitigen. Der Gerichtshof hat
entschieden, dass ein derartiger Zuschusskeine Beihilfe im Sinne der Artikel 92 ff. des Vertrages
darstellt, sondern eine Gegenleistung für die von den Abhol- oder Beseitigungsunternehmen
erbrachten Leistungen (vgl. Urteil vom 7. Februar 1985 in der Rechtssache 240/83, ADBHU, Slg. 1985,
531, Randnr. 18).
27.
Ähnlich kann, soweit die bei den Pharmaherstellern erhobene Direktverkaufsabgabe den
tatsächlich den Großhändlern für die Erfüllung ihrer gemeinwirtschaftlichen Pflichten entstandenen
zusätzlichen Kosten entspricht, die Tatsache, dass die Großhändler dieser Abgabe nicht unterliegen,
als Gegenleistung für die erbrachten Leistungen und somit als Maßnahme betrachtet werden, die
keine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 92 des Vertrages darstellt. Im Übrigen genießen, wenn
die gewährte Befreiung den entstandenen zusätzlichen Kosten entspricht, die Großhändler tatsächlich
keinen Vorteil im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages, denn die betreffende Maßnahme
bewirkt nur, dass sie und die Pharmahersteller vergleichbaren Wettbewerbsbedingungen unterworfen
sind.
28.
Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzung
erfüllt ist.
29.
Daher ist zu antworten, dass Artikel 92 des Vertrages so auszulegen ist, dass eine Maßnahme der
in Artikel 12 des Gesetzes Nr. 97-1164 vorgesehenen Art, die nur Direktverkäufe von Arzneimitteln
durch Pharmahersteller betrifft, nur insoweit eine staatliche Beihilfe zugunsten der Großhändler
darstellt, als der Vorteil, den diese daraus ziehen, dass sie der Abgabe auf Direktverkäufe von
Arzneimitteln nicht unterliegen, die zusätzlichen Kosten übersteigt, die ihnen für die Erfüllung der
ihnen durch die nationale Regelung auferlegten gemeinwirtschaftlichen Pflichten entstehen.
Zur Auslegung von Artikel 90 Absatz 2 des Vertrages
30.
Für den Fall, dass der Vorteil, den die Großhändler daraus ziehen, dass sie der Abgabe auf den
Direktverkauf von Arzneimitteln nicht unterliegen, die zusätzlichen Kosten übersteigt, die ihnen durch
die Erfüllung ihrer gemeinwirtschaftlichen Pflichten entstehen, möchte das vorlegende Gericht wissen,
ob dieser Vorteil von Artikel 90 Absatz 2 des Vertrages gedeckt ist.
31.
Nach Artikel 90 Absatz 2 gelten für Unternehmen, die mit Dienstleistungen von allgemeinem
wirtschaftlichem Interesse betraut sind oder den Charakter eines Finanzmonopols haben, die
Vorschriften dieses Vertrages, insbesondere die Wettbewerbsregeln, soweit die Anwendung dieser
Vorschriften nicht die Erfüllung der ihnen übertragenen besonderen Aufgabe rechtlich oder
tatsächlich verhindert. Die Entwicklung des Handelsverkehrs darf nicht in einem Ausmaß
beeinträchtigt werden, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft.
32.
Wenn sich somit erweist, dass die Großhändler daraus, dass sie der Abgabe auf den Direktverkauf
von Arzneimitteln nicht unterliegen, einen Vorteil ziehen, der die zusätzlichen Kosten übersteigt, die
ihnen für die Erfüllung der ihnen durch dienationale Regelung auferlegten gemeinwirtschaftlichen
Pflichten entstehen, so kann dieser Vorteil, soweit er diese zusätzlichen Kosten übersteigt, jedenfalls
nicht als notwendig betrachtet werden, damit diese Marktbeteiligten ihre besondere Aufgabe erfüllen
können.
33.
Daher ist zu antworten, dass Artikel 90 Absatz 2 des Vertrages so auszulegen ist, dass er eine
Abgabenvergünstigung für Unternehmen, die mit einer gemeinschaftlichen Aufgabe betraut sind, wie
das im Ausgangsverfahren klagende Unternehmen, nicht deckt, soweit diese Vergünstigung die sich
aus der gemeinschaftlichen Aufgabe ergebenden zusätzlichen Kosten übersteigt.
Zur Auslegung von Artikel 59 des Vertrages
34.
Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Direktverkaufsabgabe wird auf Verkäufe von
Arzneimitteln durch die Klägerin erhoben und steht hier nicht im Zusammenhang mit einer
Dienstleistung im Sinne von Artikel 60 des Vertrages (jetzt Artikel 50 EG). Die Erhebung dieser
Abgabe, wie sie im Ausgangsverfahren erfolgt ist, wird daher nicht vom Geltungsbereich des Artikels
59 des Vertrages erfasst, der Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs innerhalb der
Gemeinschaft untersagt.
35.
Daher ist zu antworten, dass Artikel 59 des Vertrages auf einen Sachverhalt wie den des
Ausgangsverfahrens, der nicht im Zusammenhang mit einer Dienstleistung steht, keine Anwendung
findet.
Kosten
36.
Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission, die Erklärungen vor dem
Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens
ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die
Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
auf die ihm vom Tribunal des affaires de sécurité sociale Créteil mit Urteil vom 11. Januar 2000
vorgelegte Frage für Recht erkannt:
1. Artikel 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) ist so auszulegen, dass eine
Maßnahme der in Artikel 12 des Gesetzes Nr. 97-1164 vom 19. Dezember 1997 zur
Finanzierung der sozialen Sicherheit für1998 vorgesehenen Art, die nur Direktverkäufe
von Arzneimitteln durch Pharmahersteller betrifft, nur insoweit eine staatliche Beihilfe
zugunsten der Großhändler darstellt, als der Vorteil, den diese daraus ziehen, dass sie
der Abgabe auf Direktverkäufe von Arzneimitteln nicht unterliegen, die zusätzlichen
Kosten übersteigt, die ihnen für die Erfüllung der ihnen durch die nationale Regelung
auferlegten gemeinwirtschaftlichen Pflichten entstehen.
2. Artikel 90 Absatz 2 EG-Vertrag (jetzt Artikel 86 Absatz 2 EG) ist so auszulegen, dass er
eine Abgabenvergünstigung für Unternehmen, die mit einer gemeinschaftlichen Aufgabe
betraut sind, wie das im Ausgangsverfahren klagende Unternehmen, nicht deckt, soweit
diese Vergünstigung die sich aus der gemeinschaftlichen Aufgabe ergebenden
zusätzlichen Kosten übersteigt.
3. Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) findet auf einen Sachverhalt,
wie er im Ausgangsverfahren vorliegt, der nicht im Zusammenhang mit einer
Dienstleistung steht, keine Anwendung.
Macken
Colneric
Gulmann
Puissochet
Cunha Rodrigues
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 22. November 2001.
Der Kanzler
Die Präsidentin der Sechsten Kammer
R. Grass
F. Macken
Verfahrenssprache: Französisch.