Urteil des EuGH vom 08.07.1999

EuGH: wiederaufnahme des verfahrens, verfahrensordnung, wiedereröffnung, chemie, klage auf nichtigerklärung, satzung, ablauf der frist, geschäftsordnung, urschrift, rüge

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
8. Juli 1999
„Rechtsmittel — Verfahrensordnung des Gerichts — Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung —
Geschäftsordnung der Kommission — Verfahren für den Erlaß einer Entscheidung des
Kommissionskollegiums“
In der Rechtssache C-245/92 P
Chemie Linz GmbH,
Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts A. Bonn, 22, Côte d'Eich, Luxemburg,
Rechtsmittelführerin,
unterstützt durch
DSM NV
Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts L. Dupong, 14 A, rue des Bains, Luxemburg,
Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,
betreffend ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften
(Erste Kammer) vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-15/89 (Chemie Linz/Kommission, Slg. 1992, II-1275)
wegen Aufhebung dieses Urteils,
anderer Verfahrensbeteiligter:
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner,
Luxemburg-Kirchberg,
Beklagte in der ersten Instanz,
erläßt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. J. G. Kapteyn sowie der Richter G. Hirsch, G. F. Mancini
(Berichterstatter), J. L. Murray und H. Ragnemalm,
Generalanwalt: G. Cosmas
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler, und D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Beteiligten in der Sitzung vom 12. März 1997, in der die Chemie Linz GmbH durch die
Rechtsanwälte O. Lieberknecht und M. Klusmann, Düsseldorf, die DSM NV durch Rechtsanwalt I. G. F. Cath
und die Kommission durch G. zur Hausen vertreten waren,
nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Juli 1997,
folgendes
Urteil
1.
Die Chemie Linz GmbH hat mit Rechtsmittelschrift, die am 26. Mai 1992 bei der Kanzlei des
Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel
gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom
10. März 1992 in der Rechtssache T-15/89 (Chemie Linz/Kommission, Slg. 1992, II-1275; im folgenden:
angefochtenes Urteil) eingelegt.
Sachverhalt und Verfahren vor dem Gericht
2.
Dem Rechtsmittel liegt folgender Sachverhalt, wie er sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt,
zugrunde.
3.
Mehrere in der europäischen Petrochemieindustrie tätige Unternehmen erhoben beim Gericht
Nichtigkeitsklage gegen die Entscheidung 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986 betreffend
ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.149 — Polypropylen) (ABl. L 230, S. 1;
nachstehend: Polypropylen-Entscheidung).
4.
Gemäß den insoweit durch das Gericht bestätigten Feststellungen der Kommission wurde der
Polypropylenmarkt vor 1977 von zehn Herstellern beliefert, von denen vier (Montedison SpA, Hoechst
AG, Imperial Chemical Industries plc und Shell International Chemical Company Ltd) zusammen 64 %
des Marktes innehatten. Nach dem Auslaufen der Hauptpatente der Montedison SpA traten 1977 auf
dem Markt neue Hersteller auf, was zu einem erheblichen Anwachsen der realen Produktionskapazität
führte, ohne daß es dadurch zu einem entsprechenden Anstieg der Nachfrage kam. Dies hatte einen
zwischen 1977 bei 60 % und 1983 bei 90 % liegenden Auslastungsgrad der Produktionskapazitäten
zur Folge. Jeder der damals in der Gemeinschaft niedergelassenen Hersteller verkaufte in die meisten,
wenn nicht in alle Mitgliedstaaten.
5.
Die Chemie Linz AG, vormals Chemische Werke Linz AG, Klägerin in der ersten Instanz, in deren
Rechte die Rechtsmittelführerin eingetreten ist, gehörte zu den Herstellern, die 1977 den Markt
belieferten. Sie hatte am westeuropäischen Markt einen Anteil etwa zwischen 3,2 % und 3,9 %.
6.
Im Anschluß an gleichzeitig in mehreren Unternehmen des Wirtschaftszweigs durchgeführte
Nachprüfungen richtete die Kommission an mehrere Polypropylenhersteller Auskunftsverlangen nach
Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu
den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204). Aus Randnummer 6 des
angefochtenen Urteils geht hervor, daß die Kommission anhand des im Rahmen dieser
Nachprüfungen und Auskunftsverlangen entdeckten Beweismaterials zu der vorläufigen Auffassung
gelangte, die Hersteller hätten von 1977 bis 1983 unter Verstoß gegen Artikel 81 EG (früher Artikel
85) durch Preisinitiativen regelmäßig Zielpreise festgesetzt und ein System jährlicher Mengenkontrolle
entwickelt, um den verfügbaren Markt nach vereinbarten Prozentsätzen oder Mengen unter sich
aufzuteilen. Die Kommission leitete deshalb ein Verfahren gemäß Artikel 3 Absatz 1 der Verordnung Nr.
17 ein und übermittelte mehreren Unternehmen, darunter der Rechtsmittelführerin, die schriftliche
Mitteilung der Beschwerdepunkte.
7.
Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Polypropylen-Entscheidung, mit der sie
feststellte, daß die Rechtsmittelführerin gegen Artikel 81 Absatz 1 EG verstoßen habe, indem sie
zusammen mit anderen Unternehmen von Mitte 1977 bis mindestens November 1983 an einer von
Mitte 1977 stammenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligt gewesen sei,
durch die die Gemeinschaft mit Polypropylen beliefernden Hersteller
— miteinander Verbindung gehabt und sich regelmäßig (von Anfang 1981 an zweimal monatlich) in
einer Reihe geheimer Sitzungen getroffen hätten, um ihre Geschäftspolitik zu erörtern und
festzulegen;
— von Zeit zu Zeit für den Absatz ihrer Erzeugnisse in jedem Mitgliedstaat der EWG Ziel- (oder
Mindest-)Preise festgelegt hätten;
— verschiedene Maßnahmen getroffen hätten, um die Durchsetzung dieser Zielpreise zu erleichtern,
(vor allem) u. a. durch vorübergehende Absatzeinschränkungen, den Austausch von Einzelangaben
über ihre Verkäufe, die Veranstaltung lokaler Sitzungen und ab Ende 1982 ein System der
„Kundenführerschaft“ zwecks Durchsetzung der Preiserhöhungen gegenüber Einzelkunden;
— gleichzeitige Preiserhöhungen vorgenommen hätten, um die besagten Ziele durchzusetzen;
— den Markt aufgeteilt hätten, indem jedem Hersteller ein jährliches Absatzziel bzw. eine Quote
(1979, 1980 und zumindest für einen Teil des Jahres 1983) zugeteilt worden sei oder, falls es zu keiner
endgültigen Vereinbarung für das ganze Jahr gekommen sei, die Hersteller aufgefordert worden seien,
ihre monatlichen Verkäufe unter Bezugnahme auf einen vorausgegangenen Zeitraum (1981, 1982)
einzuschränken (Artikel 1 der Polypropylen-Entscheidung).
8.
Sodann verpflichtete die Kommission die verschiedenen betroffenen Unternehmen, die
festgestellten Zuwiderhandlungen unverzüglich abzustellen und in Zukunft von allen Vereinbarungen
oder aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen, die dasselbe oder ähnliches bezwecken oder
bewirken, Abstand zu nehmen. Ferner erlegte ihnen die Kommission auf, jedes Verfahren zum
Austausch von Informationen, die normalerweise dem Geschäftsgeheimnis unterliegen, abzustellen
und dafür Sorge zu tragen, daß Verfahren zum Austausch allgemeiner Informationen (wie das Fides-
System) unter Ausschluß sämtlicher Informationen geführt werden, aus denen sich das
Marktverhalten einzelner Hersteller ableiten läßt (Artikel 2 der Polypropylen-Entscheidung).
9.
Gegen die Rechtsmittelführerin wurde eine Geldbuße von 1 000 000 ECU bzw. 1 471 590 000 LIT
festgesetzt (Artikel 3 der Polypropylen-Entscheidung).
10.
Am 11. August 1986 erhob die Rechtsmittelführerin beim Gerichtshof Klage auf Nichtigerklärung
dieser Entscheidung. Mit Beschluß vom 15. November 1989 verwies der Gerichtshof die Rechtssache
gemäß dem Beschluß 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung
eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1) an das Gericht.
11.
Die Rechtsmittelführerin hat beim Gericht beantragt, die Polypropylen-Entscheidung, soweit sie sie
selbst betrifft, aufzuheben, hilfsweise, Artikel 3 dieser Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären,
als die gegen sie festgesetzte Geldbuße eine angemessene Geldbuße, um deren Festsetzung durch
das Gericht sie ersucht, überschreitet, und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
12.
Die Kommission hat beantragt, die Klage abzuweisen und der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
13.
Mit gesondertem Schriftsatz vom 28. Februar 1992 hat die Rechtsmittelführerin beim Gericht
beantragt, wegen der Erklärungen, die die Kommission in der mündlichen Verhandlung vor dem
Gericht in den Rechtssachen T-79/89, T-84/89 bis T-86/89, T-89/89, T-91/89, T-92/89, T-94/89, T-96/89,
T-98/89, T-102/89 und T-104/89 (BASF u. a./Kommission, Urteil vom 27. Februar 1992, Slg. 1992, II-315;
im folgenden: PVC-Urteil des Gerichts) abgegeben hat, gemäß den Artikeln 62 und 64 bis 66 seiner
Geschäftsordnung die Urteilsverkündung auszusetzen, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen
und eine Beweisaufnahme anzuordnen.
Das angefochtene Urteil
14.
In seiner Entscheidung über den in Randnummer 393 wiedergegebenen Antrag auf
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung hat das Gericht in Randnummer 394 festgestellt, daß
es ihm nach erneuter Anhörung des Generalanwalts nicht angezeigt erscheine, gemäß Artikel 62
seiner Verfahrensordnung die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung und, wie von der
Rechtsmittelführerin beantragt, eine Beweisaufnahme anzuordnen.
15.
In Randnummer 395 hat das Gericht ausgeführt:
„Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß das zitierte Urteil vom 27. Februar 1992 als solches keine
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung in diesem Verfahren rechtfertigt. Im übrigen hat die
Klägerin in diesem Verfahren bis zum Ende der mündlichen Verhandlung nicht einmal
andeutungsweise vorgetragen, daß die angebliche Entscheidung wegen der Mängel inexistent sei, die
in dem angeführten Urteil vom 27. Februar 1992 festgestellt worden sind. Es fragt sich daher schon,
ob die Klägerin hinreichend dargelegt hat, warum sie die angeblichen Mängel, die ja vor der
Klageerhebung bestanden haben sollen, nicht eher in dieses Verfahren eingeführt hat. Selbst wenn
der Gemeinschaftsrichter die Frage der Existenz der angefochtenen Entscheidung im
Nichtigkeitsverfahren des Artikels 173 Absatz 2
EWG-Vertrag [nach Änderung jetzt Artikel 230 Absatz 2 EG] von Amts wegen zu prüfen hat, bedeutet
dies aber nicht, daß in jedem Verfahren nach Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag von Amts wegen
Ermittlungen über eine eventuelle Inexistenz der angefochtenen Entscheidung zu führen sind. Nur
soweit die Parteien hinreichende Anhaltspunkte für eine Inexistenz der angefochtenen Entscheidung
vortragen, ist das Gericht gehalten, dieser Frage von Amts wegen nachzugehen. Im vorliegenden Fall
ergibt das Vorbringen der Klägerin keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine derartige Inexistenz
der Entscheidung: Aus der Erklärung der Vertreter der Kommission in der mündlichen Verhandlung in
den verbundenen Rechtssachen T-79/89 u. a., auf die sich die Klägerin bezogen hat, soll hervorgehen,
daß auch im vorliegenden Verfahren eine ordnungsgemäß unterzeichnete Urschrift der
angefochtenen Entscheidung fehlt. Dieser angebliche Mangel, selbst wenn er bestehen sollte, führt
jedoch für sich genommen noch nicht zur Inexistenz der angefochtenen Entscheidung. Die Klägerin
hat nämlich keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, warum die Kommission auch im Jahr 1986, also in
einer normalen Situation, die sich von den besonderen Umständen der PVC-Verfahren beim Ablauf
ihres Mandats im Januar 1988 erheblich unterschied, nachträgliche Änderungen an der Entscheidung
vorgenommen haben soll. Hierfür genügt die Ankündigung entsprechender Rügen nicht. Dann aber ist
nichts dafür ersichtlich, daß nach Erlaß der angefochtenen Entscheidung der Grundsatz der
Unantastbarkeit eines beschlossenen Rechtsakts verletzt worden ist und damit die angefochtene
Entscheidung — zugunsten der Klägerin — die Vermutung ihrer Rechtmäßigkeit verloren hat, die ihr
aufgrund des Anscheins zukommt. Das bloße Fehlen einer ausgefertigten Urschrift führt mithin noch
nicht zur Inexistenz der angefochtenen Entscheidung. Die mündliche Verhandlung braucht daher nicht
für eine Beweisaufnahme wiedereröffnet zu werden. Da das Vorbringen der Klägerin im übrigen auch
keine Wiederaufnahme des Verfahrens begründen würde, war ihrer Anregung, die mündliche
Verhandlung wiederzueröffnen, nicht stattzugeben.“
16.
Das Gericht hat die Klage abgewiesen und der Rechtsmittelführerin die Kosten auferlegt.
Das Rechtsmittel
17.
In ihrer Rechtsmittelschrift beantragt die Rechtsmittelführerin,
— prinzipaliter,
— unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Polypropylen-Entscheidung für nichtig zu
erklären, soweit sie die Rechtsmittelführerin betrifft;
— der Kommission die Kosten aufzuerlegen;
— hilfsweise,
— das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Gericht
zurückzuverweisen.
18.
Die Rechtsmittelführerin beantragt außerdem, der Kommission aufzugeben, die bei ihrer
Beschlußfassung vorliegenden Fassungen, die unterzeichneten Urschriften der Entscheidungen und
das Protokoll der Kommissionssitzung vom 23. April 1986 vorzulegen, soweit es diese Beschlußfassung
betrifft.
19.
Mit Beschluß vom 30. September 1992 hat der Gerichtshof die DSM NV (im folgenden auch: DSM)
als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Rechtsmittelführerin zugelassen. Die Streithelferin
beantragt,
— das angefochtene Urteil aufzuheben;
— die Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung festzustellen oder sie für nichtig zu erklären;
— unabhängig davon, ob die Adressaten der Polypropylen-Entscheidung ein Rechtsmittel gegen das
sie betreffende Urteil eingelegt haben und ob ihr Rechtsmittel zurückgewiesen worden ist, gegenüber
allen Adressaten dieser Entscheidung, jedenfalls aber gegenüber ihr selbst, die Inexistenz der
Polypropylen-Entscheidung festzustellen oder sie für nichtig zu erklären;
— hilfsweise, die Sache zur Entscheidung darüber, ob die Polypropylen-Entscheidung inexistent oder
ob sie für nichtig zu erklären ist, an das Gericht zurückzuverweisen und
— der Kommission auf jeden Fall die Kosten sowohl für das Verfahren vor dem Gerichtshof als auch
für das Verfahren vor dem Gericht einschließlich der ihr für die Streithilfe entstandenen Kosten
aufzuerlegen.
20.
Die Kommission beantragt,
— das Rechtsmittel als unzulässig, hilfsweise, als unbegründet zurückzuweisen;
— der Rechtsmittelführerin die Kosten des Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen;
— die Streithilfe insgesamt als unzulässig zurückzuweisen;
— hilfsweise, den Antrag der Streithelferin, der dahin geht, unabhängig davon, ob die Adressaten
der Polypropylen-Entscheidung ein Rechtsmittel gegen das sie betreffende Urteil eingelegt haben und
ob ihr Rechtsmittel zurückgewiesen worden ist, gegenüber allen Adressaten dieser Entscheidung,
jedenfalls aber gegenüber der Streithelferin, die Inexistenz
der Polypropylen-Entscheidung festzustellen oder sie für nichtig zu erklären, als unzulässig und die
Streithilfe im übrigen als unbegründet zurückzuweisen;
— weiter hilfsweise, die Streithilfe als unbegründet zurückzuweisen und
— der Streithelferin auf jeden Fall die durch die Streithilfe entstandenen Kosten aufzuerlegen.
21.
Zur Begründung ihres Rechtsmittels rügt die Rechtsmittelführerin Verfahrensfehler und die
Verletzung des Gemeinschaftsrechts im Sinne von Artikel 51 Absatz 1 der EG-Satzung des
Gerichtshofes in bezug auf die ablehnende Entscheidung des Gerichts über die Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung, den Erlaß prozeßleitender Maßnahmen und die Anordnung einer
Beweisaufnahme.
22.
Auf Antrag der Kommission ist ungeachtet des Widerspruchs der Rechtsmittelführerin das
Verfahren durch Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofes vom 27. Juli 1992 bis zum 15.
September 1994 zur Prüfung der Konsequenzen ausgesetzt worden, die aus dem Urteil vom 15. Juni
1994 in der Rechtssache C-137/92 P (Kommission/BASF u. a., Slg. 1994, I-2555; im folgenden: PVC-
Urteil des Gerichtshofes), das auf das Rechtsmittel gegen das PVC-Urteil des Gerichts ergangen ist, zu
ziehen sind.
Zur Zulässigkeit der Streithilfe
23.
Die Kommission vertritt die Ansicht, der Streithilfeantrag von DSM sei für unzulässig zu erklären. DSM
habe nämlich erklärt, daß sie als Streithelferin ein Interesse an der Nichtigerklärung des
angefochtenen Urteils gegenüber der Rechtsmittelführerin habe. Nach Ansicht der Kommission kann
die Nichtigerklärung nicht allen einzelnen Adressaten einer Entscheidung zugute kommen, sondern
nur denjenigen, die eine dahin gehende Klage erhoben haben; gerade dies sei einer der
Unterschiede zwischen der Nichtigerklärung eines Rechtsakts und seiner Inexistenz. Durch eine
Leugnung dieses Unterschieds würde den Fristen für die Erhebung einer Nichtigkeitsklage jede
Verbindlichkeit genommen. DSM könnte sich somit nicht auf eine eventuelle Nichtigerklärung berufen,
da sie selbst das sie betreffende Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-
8/89 (DSM/Kommission, Slg. 1991, II-1833) nicht beim Gerichtshof angefochten habe. Mit ihrer
Streithilfe versuche sie somit, eine Ausschlußfrist zu umgehen.
24.
Der schon erwähnte Beschluß vom 30. September 1992, durch den die Streithilfe zugelassen
worden sei, sei zu einer Zeit ergangen, als die Entscheidung des Gerichtshofes über die
Nichtigerklärung oder die Inexistenz in seinem PVC-Urteil noch nicht vorgelegen habe. Nach Ansicht
der Kommission können die geltend gemachten Mängel nach Erlaß des genannten Urteils, sofern sie
tatsächlich vorliegen, lediglich zur Nichtigerklärung der Polypropylen-Entscheidung und nicht
zur Feststellung ihrer Inexistenz führen. Demgemäß habe DSM kein Interesse an einer Streithilfe mehr.
25.
Insbesondere bestreitet die Kommission die Zulässigkeit des Antrags von DSM, der dahin gehe, daß
das Urteil des Gerichts unabhängig davon, ob die Adressaten der Polypropylen-Entscheidung ein
Rechtsmittel gegen das Urteil eingelegt hätten und ob ihr Rechtsmittel zurückgewiesen worden sei,
Bestimmungen zur Feststellung der Inexistenz oder zur Nichtigerklärung der Polypropylen-
Entscheidung gegenüber allen ihren Adressaten, zumindest aber gegenüber DSM, enthalten solle.
Dieser Antrag sei unzulässig, weil DSM damit eine nur sie selbst betreffende Frage aufzuwerfen
versuche, obwohl sie den Rechtsstreit nur in der Lage annehmen könne, in der er sich befinde. Nach
Artikel 37 Absatz 4 der EG-Satzung des Gerichtshofes könne der Streithelfer nur die Anträge einer
Partei unterstützen und keine eigenen Anträge stellen. Der genannte Antrag von DSM bestätige, daß
sie die Streithilfe dazu verwenden wolle, um sich dem Ablauf der Frist für die Einlegung eines
Rechtsmittel gegen das genannte sie betreffende Urteil DSM/Kommission zu entziehen.
26.
In bezug auf die gegen die Streithilfe insgesamt erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist vorab zu
bemerken, daß der Beschluß vom 30. September 1992, durch den der Gerichtshof DSM als
Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Rechtsmittelführerin zugelassen hat, einer erneuten
Prüfung der Zulässigkeit der Streithilfe von DSM nicht entgegensteht (siehe in diesem Sinne Urteil
vom 29. Oktober 1980 in der Rechtssache 138/79, Roquette Frères/Rat, Slg. 1980, 3333).
27.
Nach Artikel 37 Absatz 2 der EG-Satzung des Gerichtshofes steht das Recht, einem beim
Gerichtshof anhängigen Rechtsstreit beizutreten, allen Personen zu, die ein berechtigtes Interesse
am Ausgang dieses Rechtsstreits glaubhaft machen. Nach Absatz 4 derselben Bestimmung können
mit den aufgrund des Beitritts gestellten Anträgen nur die Anträge einer Partei unterstützt werden.
28.
Die Anträge der Rechtsmittelführerin in der Rechtsmittelschrift sind u. a. darauf gerichtet, das
angefochtene Urteil aufzuheben, weil das Gericht nicht die Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung
festgestellt habe. Wie sich aus Randnummer 49 des PVC-Urteils des Gerichtshofes ergibt, entfalten
Rechtsakte, die offenkundig mit einem so schweren Fehler behaftet sind, daß die
Gemeinschaftsrechtsordnung ihn nicht tolerieren kann, abweichend von der Gültigkeitsvermutung für
Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane nicht einmal vorläufig Rechtswirkung, sind also rechtlich
inexistent.
29.
Entgegen dem Vorbringen der Kommission ist das Interesse von DSM nicht infolge des Erlasses des
Urteils entfallen, durch das der Gerichtshof das PVC-Urteil des Gerichts aufgehoben und die von
diesem festgestellten Mängel nicht für geeignet angesehen hat, die Inexistenz der in den PVC-Sachen
angefochtenen Entscheidung nach sich zu ziehen. Das PVC-Urteil betraf nämlich nicht die Inexistenz
der
Polypropylen-Entscheidung und hat daher das Interesse von DSM an der Feststellung dieser Inexistenz
nicht entfallen lassen.
30.
Zwar hat die Rechtsmittelführerin in ihrer Erwiderung angesichts dessen, was der Gerichtshof im
PVC-Urteil bezüglich der Inexistenz entschieden hat, auf einen Teil ihrer Anträge verzichtet.
31.
Da die Rechtsmittelführerin aber weiterhin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, da die
genannte Entscheidung fehlerhaft erlassen worden sei und das Gericht die zur Feststellung der
betreffenden Mängel erforderlichen Nachprüfungen hätte vornehmen müssen, ist die Streithelferin
immer noch berechtigt, diesen Antrag im Rahmen ihrer Streithilfe mit der Begründung zu stellen, daß
das Gericht wegen eben dieser Mängel die Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung hätte feststellen
müssen.
32.
Nach ständiger Rechtsprechung (u. a. Urteil vom 19. November 1998 in der Rechtssache C-150/94,
Vereinigtes Königreich/Rat, Slg. 1998, I-7235, Randnr. 36) verwehrt es nämlich Artikel 37 Absatz 4 der
EG-Satzung des Gerichtshofes einem Streithelfer nicht, andere Argumente als die von ihm unterstützte
Partei vorzubringen, solange er damit die Unterstützung der Anträge dieser Partei bezweckt.
33.
Im vorliegenden Fall soll durch das Vorbringen der Streithelferin zur Inexistenz der Polypropylen-
Entscheidung u. a. dargetan werden, daß es das Gericht durch die Zurückweisung des Antrags der
Rechtsmittelführerin auf Wiedereröffnung des Verfahrens und Anordnung einer Beweisaufnahme
unterlassen hat, die Frage der Inexistenz der genannten Entscheidung zu prüfen, und daß es damit
das Gemeinschaftsrecht verletzt hat. Obwohl die Ausführungen der Streithelferin von denen der
Rechtsmittelführerin abweichende Argumente enthalten, beziehen sie sich somit auf die von der
Rechtsmittelführerin im Rahmen des Rechtsmittels vorgebrachten Rügen und bezwecken die
Unterstützung von deren Antrag auf Aufhebung des Urteils. Sie sind daher zu prüfen.
34.
Zur Einrede der Kommission gegen den Antrag der Streithelferin auf Feststellung der Inexistenz
oder der Nichtigerklärung der Polypropylen-Entscheidung gegenüber allen ihren Adressaten,
zumindest aber gegenüber ihr selbst, ist festzustellen, daß dieser Antrag speziell die Streithelferin
betrifft und nicht den Anträgen der Rechtsmittelführerin entspricht. Daher genügt er nicht den
Anforderungen des Artikels 37 Absatz 4 der EG-Satzung des Gerichtshofes und ist deshalb für
unzulässig zu erklären.
Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels
35.
Nach Ansicht der Kommission ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig. Die Rechtsmittelführerin
trage in erheblichem Umfang erstmals Tatsachen und Argumente vor, die im Verfahren vor dem
Gericht nicht angesprochen worden
seien. Sie spreche in ihrer Rechtsmittelschrift selbst von neuen Tatsachen und beziehe sich auf die
Rechtsmittelschrift der Kommission in den PVC-Sachen und auf die Polyäthylen niedriger Dichte
betreffenden Verfahren vor dem Gericht (Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in den Rechtssachen T-
80/89, T-81/89, T-83/89, T-87/89, T-88/89, T-90/89, T-93/89, T-95/89, T-97/89, T-99/89, T-100/89, T-
101/89, T-103/89, T-105/89, T-107/89 und T-112/89, BASF u. a./Kommission, Slg. 1995, II-729; im
folgenden: LDPE-Sachen). Zum ersten Mal trage sie vor, daß die Polypropylen-Entscheidung von der
Kommission nicht in niederländischer und italienischer Sprache beschlossen worden sei; auch die
angeblichen Anhaltspunkte für nachträgliche Änderungen der von der Kommission beschlossenen
Texte würden erstmals jetzt vorgetragen.
36.
Die Kommission führt weiter aus, der Streitgegenstand könne mit dem Rechtsmittel nicht verändert
werden und alle neuen Rügen seien daher unzulässig. Da die Funktion des Rechtsmittelverfahrens
darin bestehe, das erstinstanzliche Urteil in rechtlicher Hinsicht zu überprüfen, müsse es sich auf den
bei der Urteilsfindung des Gerichts vorliegenden Streitstand beziehen (Urteil des Gerichtshofes vom
19. Juni 1992 in der Rechtssache C-18/91 P, V./Parlament, Slg. 1992, I-3997).
37.
Nach den Artikeln 225 EG (früher Artikel 168a) und 51 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes
kann ein Rechtsmittel nur auf Gründe gestützt werden, die sich auf die Verletzung von
Rechtsvorschriften beziehen und jede Tatsachenwürdigung ausschließen. Die vom Gericht
vorgenommene Würdigung der ihm vorgelegten Beweismittel ist, sofern diese nicht verfälscht werden,
keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofes unterliegt (u. a. Urteil vom 2. März
1994 in der Rechtssache C-53/92 P, Hilti/Kommission, Slg. 1994, I-667, Randnrn. 10 und 42).
38.
Außerdem kann das Rechtsmittel nach Artikel 113 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes
den vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstand nicht verändern.
39.
Soweit die Rügen der Rechtsmittelführerin die vom Gericht vorgenommene Würdigung des
Sachverhalts betreffen sollten, den die Rechtsmittelführerin im Zusammenhang mit dem Antrag auf
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung dem Gericht unterbreitet hat, können sie im
Rechtsmittelverfahren nicht geprüft werden. Ebenfalls unzulässig sind die erstmals im
Rechtsmittelverfahren vorgebrachten Rügen.
40.
Dagegen steht es dem Gerichtshof zu, zu klären, ob das Gericht dadurch einen Rechtsirrtum
begangen hat, daß es entgegen dem Antrag der Rechtsmittelführerin die Feststellung der
angeblichen Mängel der Polypropylen-Entscheidung unterlassen oder die Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung, den Erlaß prozeßleitender Maßnahmen und die Anordnung einer
Beweisaufnahme abgelehnt hat.
41.
Somit sind die von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Rügen, die sich auf die Feststellung und
Überprüfung des vom Gericht zu würdigenden Sachverhalts beziehen, nacheinander auf ihre
Zulässigkeit im Rechtsmittelverfahren zu überprüfen.
Zu den Rechtsmittelgründen: Verfahrensfehler und Verletzung des Gemeinschaftsrechts
42.
Zur Begründung ihres Rechtsmittels macht die Rechtsmittelführerin unter Hinweis auf die
Randnummern 393 bis 395 des angefochtenen Urteils geltend, das Gericht habe durch
Zurückweisung ihres Antrags auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, Erlaß der
erforderlichen prozeßleitenden Maßnahmen und Anordnung der erforderlichen Beweiserhebungen ihre
Interessen beeinträchtigende Verfahrensfehler begangen und das Gemeinschaftsrecht, nämlich die
Artikel 220 EG (früher Artikel 164) und 173 EWG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 EG) sowie 48
Absatz 2, 49, 62, 64 und 65 seiner Verfahrensordnung verletzt.
43.
Die Rechtsmittelführerin rügt erstens, daß das Gericht ihrem Antrag auf Wiedereröffnung der
mündlichen Verhandlung und Anordnung einer Beweisaufnahme nicht stattgegeben habe. Wenn das
Gericht nach den Artikeln 62 und 64 ff. seiner Verfahrensordnung solche Maßnahmen treffen könne,
so folge aus der in Artikel 220 EG niedergelegten Verpflichtung zur Wahrung des Rechts, daß diese
Maßnahmen nicht dem freien Ermessen des Gerichts unterlägen, sondern daß es sich vielmehr um
rechtlich gebundenes Ermessen handele. Das Gericht müsse die mündliche Verhandlung
wiedereröffnen, wenn eine Partei neue entscheidungserhebliche Tatsachen vorbringe, die sie vor
Schluß der mündlichen Verhandlung nicht habe vorbringen können. Es müsse eine
Aufklärungsmaßnahme ergreifen, wenn konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen von
entscheidungserheblichen Umständen bekannt würden, die die sich darauf berufende Partei nicht
selbst beweisen könne.
44.
Die Begründung des Gerichts für die Zurückweisung ihres Antrags vom 28. Februar 1992 halte
einer rechtlichen Prüfung nicht stand. Die angeführten Mängel wögen so schwer, daß sie zur
Nichtigerklärung der Polypropylen-Entscheidung führen würden und das Gericht zu
Aufklärungsmaßnahmen hätten veranlassen müssen. Wenn mit der Kommission davon auszugehen
sei, daß der Gemeinschaftsrichter die mündliche Verhandlung zum Zwecke der Beweisaufnahme
wiedereröffnen müsse, wenn entweder ein entscheidungserheblicher Sachverhalt von Amts wegen zu
klären oder wenn entscheidungserhebliches und rechtzeitiges Tatsachenvorbringen zwischen den
Parteien streitig sei, so sei die erste dieser Voraussetzungen offensichtlich erfüllt.
45.
Sie habe ihren Antrag nicht früher stellen können. Die Berufung auf Artikel 48 § 2 der
Verfahrensordnung des Gerichts gehe fehl; gleiches gelte für die von der Kommission vertretene
Ansicht, daß der Antrag wegen des Zeitablaufs zwischen dem 10. Dezember 1991 und dem 28.
Februar 1992 verspätet gewesen sei. Das
Gericht habe sich nicht auf die genannte Vorschrift bezogen. Außerdem sei klar, daß ein Urteil, aus
dem sich ergebe, daß eine in einem Verfahren angefochtene Entscheidung mit bis dahin
unbekannten zu ihrer Nichtigkeit führenden Mängeln behaftet sei, in einem anderen Verfahren ein
rechtlicher oder tatsächlicher Grund im Sinne von Artikel 48 § 2 sei, wenn sich daraus für dieses
Verfahren unmittelbare Folgerungen ergäben. Schließlich habe sie sich nicht in erster Linie auf das
PVC-Urteil berufen, sondern darauf, daß sich im Verfahren in den LDPE-Sachen gezeigt habe, daß
auch dort eine Urschrift der Entscheidung gefehlt habe.
46.
Nach Ansicht der Rechtsmittelführerin kann die Rüge der verspäteten Stellung des
Wiedereröffnungsantrags auch nicht mit einer analogen Anwendung des die Wiederaufnahme des
Verfahrens betreffenden Artikels 125 der Verfahrensordnung des Gerichts begründet werden. Eine
analoge Anwendung von Ausschlußfristen scheide schon nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen aus.
Auch die Ratio der Ausschlußfrist im Wiederaufnahmeverfahren spreche gegen deren analoge
Anwendung auf den Fall des Artikels 62 der Verfahrensordnung des Gerichts. Hintergrund sei die
Wahrung des Rechtsfriedens, der durch eine rechtskräftige Entscheidung begründet werde und eine
Rechtssicherheit garantiere, die nur unter sehr engen Voraussetzungen und innerhalb kurzer Fristen
in Frage gestellt werden solle. Vergleichbare Gründe, die für eine Restriktion der Möglichkeit sprechen
könnten, bei Bekanntwerden neuer Tatsachen neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorzutragen
oder eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu beantragen, ließen sich für diese
prozessualen Konstellationen nicht anführen. Im Gegenteil müsse das Erfordernis einer umfassenden
Aufklärung des maßgeblichen Sachverhalts außer im Fall mutwilliger Prozeßverschleppung zu einer
großzügigen Auslegung der durch die Verfahrensordnung zuerkannten Befugnisse führen.
47.
Die Rechtsmittelführerin macht geltend, daß das Gericht ihren neuen Tatsachenvortrag zugelassen
und nicht wegen Verspätung zurückgewiesen habe. Diese Ermessensentscheidung des Gerichts sei
vorbehaltlich der Nachprüfung auf Ermessensfehler auch für den Gerichtshof bindend.
48.
Die Rechtsmittelführerin bestreitet außerdem die Behauptung der Kommission, die Chemie Linz AG
habe bald nach der mündlichen Verhandlung in den PVC-Verfahren Kenntnis von den Erklärungen der
Kommissionsbevollmächtigten erhalten. Sie sei an den PVC-Verfahren nicht beteiligt und in der
mündlichen Verhandlung nicht vertreten gewesen, habe erst zu einem späteren, nicht mehr
feststellbaren Zeitpunkt von den Äußerungen des Kommissionsbevollmächtigten in dieser mündlichen
Verhandlung erfahren und erst am 27. Februar 1992, dem Tag des Erlasses des PVC-Urteils des
Gerichts, genaue Kenntnis davon erlangt. Vor diesem Zeitpunkt habe sie keinen Anlaß gehabt, an der
Rechtmäßigkeit der Beschlußfassung der Kommission zu zweifeln. Man könne daher der Klägerin in der
ersten Instanz keinen Vorwurf daraus machen, daß sie mit der Stellung ihres Antrags bis zum Erlaß
des PVC-Urteils gewartet habe.
49.
Das Vorbringen der Kommission, die Chemie Linz AG habe keine hinreichenden Anhaltspunkte für
einen Verstoß gegen Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission vorgetragen, sei
zurückzuweisen. Die vorgetragenen Tatsachen seien hinreichend konkret gewesen, um das Gericht zu
einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung zu verpflichten. Konkretere Anhaltspunkte habe
sie zu diesem Zeitpunkt schlechterdings nicht vortragen können. Da die Kommission generell
eingeräumt habe, daß Artikel 12 ihrer Geschäftsordnung nicht beachtet worden sei, habe dieser
Nichtigkeitsgrund mit den besonderen, mit der Neubesetzung der Kommission zusammenhängenden
Umständen der PVC-Verfahren nichts zu tun gehabt.
50.
Die Interpretation der Kommission, die Beachtung der Vorschrift über die Ausfertigung der
Polypropylen-Entscheidung sei lediglich dann von Bedeutung, wenn konkrete Anhaltspunkte für
Zweifel über den Wortlaut des beschlossenen Textes vorgetragen würden, würde dazu führen, daß
Verstöße gegen die wesentliche Formvorschrift des Artikels 12 so lange ohne rechtliche Konsequenz
blieben, wie nicht im Einzelfall konkret nachgewiesen werden könne, daß nach Beschlußfassung eine
Änderung vorgenommen worden sei. Diese Auffassung stehe überdies im Widerspruch zu
Randnummer 76 des PVC-Urteils des Gerichtshofes, wonach eine Vorschrift über die Ausfertigung von
Rechtsakten eine wesentliche Formvorschrift im Sinne des Artikels 173 des Vertrages sei. Daher sei in
jedem Fall sicherzustellen, daß der definitive Text der Entscheidung festgestellt werden könne und mit
der Unterschrift des Präsidenten der Kommission und ihres Generalsekretärs versehen sei.
51.
Da das nachträgliche Bekanntwerden eines Nichtigkeitsgrundes einen Grund zur Wiederaufnahme
eines Verfahrens darstelle, hätte dem Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung
bereits deshalb stattgegeben werden müssen, weil die nachträglich bekanntgewordene Tatsache
auch ein Grund zur Wiederaufnahme des Verfahrens gewesen wäre. Im Rahmen des Instituts der
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung dürften aus Gründen der Prozeßökonomie zwar mehr
Tatsachen zu berücksichtigen sein, als dies im Wiederaufnahmeverfahren der Fall sei. Umgekehrt
werde jedoch ein Wiederaufnahmegrund stets auch ein Grund für die Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung sein müssen. Das Bekanntwerden des Verstoßes gegen Artikel 12 der Geschäftsordnung
der Kommission stelle einen Wiederaufnahmegrund dar und hätte daher erst recht Anlaß für die
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung sein müssen.
52.
Die Rechtsmittelführerin rügt ferner, daß das Gericht gegen seine Pflicht zur Aufklärung des
Sachverhalts gemäß Artikel 64 § 3 Buchstabe d seiner Verfahrensordnung verstoßen habe, wonach
das Gericht die Vorlage von Unterlagen oder Beweisstücken im Zusammenhang mit der Rechtssache
verlangen kann. In diesem Zusammenhang mache die Kommission zu Unrecht geltend, daß sie aus
Artikel 173 des Vertrages eine generelle Aufklärungspflicht hinsichtlich verspätet und nicht konkret
vorgetragener Tatsachen herleite. Die Tatsachen seien
weder verspätet noch nicht hinreichend konkret vorgetragen worden; daher sei das Gericht
verpflichtet gewesen, die zur Klärung des maßgeblichen Sachverhalts erforderlichen prozeßleitenden
Maßnahmen zu treffen.
53.
Erst nach einer solchen Aufklärung wäre es der Chemie Linz AG möglich gewesen, zur weiteren
Konkretisierung des Verstoßes der Kommission gegen wesentliche Formvorschriften hinreichend
genaue Argumente vorzutragen. Die gegenteilige Ansicht käme einer Rechtsschutzverweigerung
gleich. Wenn nämlich für die Zulässigkeit eines Wiedereröffnungsantrags bereits konkrete Beweise
erforderlich wären, obwohl es sich um den Betroffenen grundsätzlich nicht zugängliche Interna der
Kommission handele, würde das Beweisantragsrecht zur Makulatur und erhielte die Kommission so
einen Freibrief, sich über die für sie geltenden Verfahrensvorschriften hinwegzusetzen.
54.
Zwar brauche das Gericht nicht automatisch, sondern nur wenn ausreichende Anhaltspunkte
vorlägen, die Einhaltung aller Förmlichkeiten durch die Kommission nachzuprüfen. Die Anforderungen
dürften jedoch nicht zu hoch angesetzt werden, weil es sich um Interna der Kommission handele, die
den von deren Entscheidungen Betroffenen nicht zugänglich seien. Unter diesen Umständen hätten
die Erklärungen der Kommission in den PVC-Verfahren vor dem Gerichtshof einen hinreichenden Anlaß
zur Aufklärung der Frage darstellen müssen, ob die Kommission auch bei der Polypropylen-
Entscheidung gemäß derselben Praxis verfahren sei.
55.
Im übrigen habe dieselbe Kammer offensichtlich gleichlautende Aufklärungsanträge in anderen
Verfahren positiv beschieden, obwohl sie sich auf keineswegs konkretere Anhaltspunkte gestützt
hätten. Die Rechtsmittelführerin macht sich insoweit die Ausführungen der Streithelferin zu eigen.
Besonders signifikant erscheine die unterschiedliche Behandlung der Verfahrensrügen in den jeweils
mit Urteil vom 29. Juni 1995 abgeschlossenen Rechtssachen T-30/91 (Solvay/Kommission, Slg. 1995, II-
1775) und T-36/91 (ICI/Kommission, Slg. 1995, I-1847) (im folgenden Soda-Sachen), die eine
Entscheidung der Kommission betroffen hätten, die zu einem Zeitpunkt erlassen worden sei, als die
Kommission nicht unter Zeitdruck gestanden habe. In diesen Rechtssachen habe die Erste Kammer
des Gerichts die Einwände, die ebenfalls erst nach Erlaß des PVC-Urteils des Gerichts vorgebracht
worden seien, für beachtlich genug gehalten, um die Kommission zur Vorlage einer ordnungsgemäß
ausgefertigten Urschrift ihrer Entscheidung aufzufordern. Das Gericht habe seine Pflicht zur
Aufklärung des Sachverhalts demnach in zwei nicht miteinander zu vereinbarenden Weisen
unterschiedlich ausgeübt.
56.
Die Rechtsmittelführerin ersucht zweitens den Gerichtshof, die Verstöße der Kommission gegen
Verfahrensvorschriften zu prüfen, ohne das Verfahren zur Ermittlung der die Nichtigkeit der
Polypropylen-Entscheidung begründenden Tatumstände an das Gericht zurückzuverweisen.
Verfahrensrechtliche und prozeßökonomische Gründe sprächen für ein solches Vorgehen. Der
Gerichtshof
könne dabei die erforderlichen Feststellungen durch prozeßleitende Maßnahmen selbst treffen.
Soweit er selbst entscheide, habe er den Streitstoff wie ein erstinstanzliches Gericht zu würdigen und
könne deshalb im Rechtsmittelverfahren die Ausführungen zu allen Verfahrensverstößen der
Kommission zulassen, soweit sie erst nach Erlaß des erstinstanzlichen Urteils bekanntgeworden seien.
Dieswürde sogar in bezug auf Umstände gelten, die noch vor dem Schluß der mündlichen Verhandlung
hätten vorgetragen werden können. Somit sei sie im Verfahren vor dem Gerichtshof so zu stellen, wie
wenn die mündliche Verhandlung wiedereröffnet worden wäre. In einem solchen Fall seien die Parteien
vorbehaltlich des Artikels 48 der Verfahrensordnung des Gerichts befugt, auch andere Tatsachen
vorzutragen, die sie bis zur Verhandlung hätten anführen können, soweit diese Tatsachen sich auf die
vom Gerichtshof zu entscheidende Frage der Gültigkeit der Entscheidung bezögen. Der Gerichtshof sei
nach Artikel 60 seiner Verfahrensordnung befugt, auch im Rechtsmittelverfahren die erforderlichen
Aufklärungsmaßnahmen zu treffen und Tatsachen festzustellen.
57.
Die Streithelferin trägt vor, es hätten neue Entwicklungen in anderen Fällen vor dem Gericht
stattgefunden. Dadurch werde bestätigt, daß die Kommission die Beweislast für die Beachtung der
von ihr selbst festgelegten grundlegenden Verfahrensregeln trage und daß das Gericht, um diesen
Punkt aufzuklären, von Amts wegen oder auf Antrag eines Beteiligten Aufklärungsmaßnahmen zur
Überprüfung der sich darauf beziehenden Beweisurkunden hätte anordnen müssen. In den Soda-
Sachen habe die Kommission geltend gemacht, daß die von der Imperial Chemical Industries plc (im
folgenden:ICI) nach Erlaß des PVC-Urteils des Gerichts vorgelegte Ergänzung der Erwiderung keinen
Beweis für einen Verstoß der Kommission gegen ihre Geschäftsordnung enthalte und daß der Antrag
von ICI auf Durchführung von Ermittlungen einen neuen Rechtsvortrag darstelle. Das Gericht habe der
Kommission und ICI jedoch Fragen nach den aus dem PVC-Urteil des Gerichtshofes zu ziehenden
Konsequenzen gestellt und die Kommission in Anbetracht der Randnummer 32 des PVC-Urteils des
Gerichtshofes aufgefordert anzuzeigen, ob sie die Auszüge aus dem Protokoll und die beglaubigten
Fassungen der Entscheidungen vorlegen könne. Nach weiteren Entwicklungen des Verfahrens habe
die Kommission schließlich eingeräumt, daß die als beglaubigte Schriftstücke vorgelegten Unterlagen
erst nach der vom Gericht ausgesprochenen Aufforderung zur Vorlage beglaubigt worden seien.
58.
In den LDPE-Sachen habe das Gericht der Kommission ebenfalls aufgegeben, eine beglaubigte
Fassung der Urschrift der angefochtenen Entscheidung vorzulegen. Die Kommission habe eingeräumt,
daß in der Sitzung, in der das Kommissionskollegium diese Entscheidung beschlossen habe, keine
Beglaubigung vorgenommen worden sei. Das Verfahren für die Beglaubigung der Rechtsakte der
Kommission müsse demnach erst nach März 1992 eingeführt worden sein. Daraus folge, daß auch die
Polypropylen-Entscheidung mit dem gleichen, aus der fehlenden Beglaubigung herrührenden Mangel
behaftet sei.
59.
Die Streithelferin trägt weiter vor, das Gericht habe in den Urteilen vom 27. Oktober 1994 in den
Rechtssachen T-34/92 (Fiatagri und New Holland Ford/Kommission, Slg. 1994, II-905, Randnrn. 24 bis
27) und T-35/92 (Deere/Kommission, Slg. 1994, II-957, Randnrn. 28 bis 31) in gleicher Weise wie in den
Polypropylen-Sachen argumentiert, als es das Vorbringen der Klägerinnen mit der Begründung
zurückgewiesen habe, sie hätten nicht den geringsten Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit der
Vermutung der Gültigkeit der von ihnen angefochtenen Entscheidung vorgebracht. Im Urteil vom 7. Juli
1994 in der Rechtssache T-43/92 (Dunlop Slazenger/Kommission, Slg. 1994, II-441) sei die
Argumentation der Klägerin mit der Begründung zurückgewiesen worden, daß die Entscheidung
gemäß der Geschäftsordnung der Kommission erlassen und zugestellt worden sei. In keiner dieser
Rechtssachen habe das Gericht das Vorbringen der Klägerinnen zurückgewiesen, daß der
angefochtene Rechtsakt wegen Mißachtung der Verfahrensvorschriften auf rechtswidrige Weise
erlassen worden sei.
60.
Die einzige Ausnahme ergebe sich aus den Beschlüssen vom 26. März 1992 in der Rechtssache T-
4/89 REV (BASF/Kommission, Slg. 1992, II-1591) und vom 4. November 1992 in der Rechtssache T-8/89
REV (DSM/Kommission, Slg. 1992, II-2399). Sogar in diesen Fällen hätten sich die Antragstellerinnen
jedoch nicht auf das PVC-Urteil des Gerichts als neue Tatsache, sondern auf andere Tatsachen
berufen. In seinem Urteil vom 15. Dezember 1994 in der Rechtssache C-195/91 P (Bayer/Kommission,
Slg. 1994, I-5619) habe der Gerichtshof die Rüge eines Verstoßes der Kommission gegen ihre
Geschäftsordnung zurückgewiesen, weil sie nicht wirksam vor dem Gericht erhoben worden sei. Im
Polypropylen-Verfahren sei dagegen dieselbe Rüge vor dem Gericht erhoben und mit der Begründung
zurückgewiesen worden, daß keine ausreichenden Anhaltspunkte vorlägen.
61.
Die Streithelferin macht geltend, die Verteidigung der Kommission in der vorliegenden Rechtssache
stütze sich auf Verfahrensargumente, die für den Inhalt des angefochtenen Urteils keine Bedeutung
hätten. Dieses beziehe sich im wesentlichen auf die Frage der Beweislast. Die Rechtsmittelführerin
meint, wenn die Kommission in den Polypropylen-Sachen selbst keine Beweise für die Rechtmäßigkeit
der anzuwendenden Verfahren vorbringe, so deshalb, weil sie nicht imstande sei, die Beachtung ihrer
eigenen Geschäftsordnung zu beweisen.
62.
Die Kommission macht geltend, aus Artikel 62 der Verfahrensordnung des Gerichts ergebe sich für
dieses entgegen der Ansicht der Rechtsmittelführerin keine Pflicht, sondern nur eine Befugnis zur
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Das Gericht habe in überzeugender Weise begründet,
weshalb weder eine Wiedereröffnung der Verhandlung noch eine Beweisaufnahme erforderlich seien,
weil weder ein entscheidungserheblicher Sachverhalt von Amts wegen habe geklärt werden müssen,
noch ein entscheidungserhebliches und rechtzeitiges Tatsachenvorbringen zwischen den Parteien
streitig gewesen sei.
63.
Eine Aufklärung von Amts wegen wäre nur notwendig gewesen, wenn die Parteien hinreichende
Anhaltspunkte für die Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung vorgetragen hätten. Insoweit mache
die Rechtsmittelführerin zu Unrecht geltend, das Gericht habe das Fehlen einer Urschrift unterstellt.
Tatsächlich habe es nur das Vorbringen der Klägerin wiedergegeben, ohne es zu bewerten. Das
Gericht, dem grundsätzlich die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Beweisaufnahme obliege, habe
auch im Rahmen einer Amtsermittlung die Frage offenlassen können, ob eine ordnungsgemäß
unterzeichnete Urschrift vorhanden sei, da deren Fehlen keinesfalls entscheidungserheblich gewesen
sei. Seit dem Erlaß des PVC-Urteils des Gerichtshofes stehe fest, daß das Fehlen einer Ausfertigung
einer Entscheidung gemäß Artikel 12 der Geschäftsordnung der Kommission zur Nichtigerklärung und
nicht zur Inexistenz der angefochtenen Entscheidung führen könne. Da die Chemie Linz AG jedoch eine
auf Verletzung dieser Formvorschrift gestützte Rüge nicht hinreichend konkret und nicht rechtzeitig
erhoben habe, habe das Gericht der Frage, ob eine ordnungsgemäß unterzeichnete Urschrift
vorgelegen habe, auch unter dem Gesichtspunkt der Nichtigkeit der Polypropylen-Entscheidung nicht
nachzugehen brauchen.
64.
Der Antrag der Chemie Linz AG vom 28. Februar 1992 sei auf die angebliche Inexistenz und nicht auf
die Nichtigkeit der Polypropylen-Entscheidung der Kommission gestützt gewesen. Auch wenn man in
diesem Antrag eine Nichtigkeitsrüge sehen wollte, sei diese nicht hinreichend konkret und
substantiiert sowie verspätet gewesen. Zur Begründung dieser Rüge hätte die Klägerin in der ersten
Instanz, wie das Gericht in vergleichbaren Fällen nach Erlaß des PVC-Urteils des Gerichtshofes
entschieden habe (Urteile des Gerichts Dunlop Slazenger/Kommission, Fiatagri und New Holland
Ford/Kommission und John Deere/Kommission), Anhaltspunkte vorbringen müssen. Eine Rüge, die sich
auf die Behauptung beschränke, daß es von der betreffenden Entscheidung keine ordnungsgemäß
unterzeichnete Urschrift gebe, sei jedoch nicht ausreichend substantiiert und daher nicht geeignet,
die Vermutung der Gültigkeit der Entscheidung zu erschüttern. Die in anderen Verfahren erlassenen
Entscheidungen des Gerichts seien in Anbetracht konkreter Anhaltspunkte gegen die
Gültigkeitsvermutung ergangen. In den PVC-Sachen hätten die Klägerinnen konkrete Anhaltspunkte
vorgetragen, die sich auf diese Verfahren bezogen hätten. Gleiches gelte für andere Verfahren
(Beschlüsse vom 25. Oktober 1994 in den Soda-Sachen und vom 10. März 1992 in den Rechtssachen
T-80/89, T-81/89, T-83/89, T-87/89, T-88/89, T-90/89, T-93/89, T-95/89, T-97/89, T-99/89, T-100/89, T-
101/89, T-103/89, T-105/89, T-107/89 und T-112/89, BASF u. a./Kommission, nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht), in denen jeweils deutlich Bezug auf die besonderen Umstände des Falles
genommen werde. In dem Verfahren, das zum Erlaß des angefochtenen Urteils geführt habe, habe
nichts dergleichen stattgefunden.
65.
Das Gericht habe den Antrag der Chemie Linz AG vom 28. Februar 1992 geprüft, sei aber zu der
Auffassung gelangt, daß diese nicht rechtzeitig entscheidungserhebliche Tatsachen vorgetragen
habe. Es habe zu Recht daran
gezweifelt, daß die angeblichen Mängel der Polypropylen-Entscheidung rechtzeitig in das Verfahren
eingeführt worden seien. Es habe sich dabei auf Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung bezogen,
wonach neue Angriffs- oder Verteidigungsmittel nach Abschluß des schriftlichen Verfahrens nur
vorgebracht werden könnten, wenn sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt würden, die
erst während des Verfahrens zutage getreten seien.
66.
Das PVC-Urteil des Gerichts könne kein während des Verfahrens zutage getretener Grund sein, da
die Rechtsprechung zu Artikel 41 Absatz 1 der EG-Satzung des Gerichtshofes auch für Artikel 48 § 2
der Verfahrensordnung gelte. Nach dieser Rechtsprechung (Beschluß des Gerichts BASF/Kommission,
Randnr. 12, und Urteil des Gerichtshofes vom 19. März 1991 in der Rechtssache C-403/85 Rev.,
Ferrandi/Kommission, Slg. 1991, I-1215) sei ein Urteil in einem anderen Verfahren kein Grund für ein
Wiederaufnahmeverfahren.
67.
Was die Erklärungen der Bevollmächtigten der Kommission in der mündlichen Verhandlung in den
PVC-Sachen im November 1991 angehe, so sei die Chemie Linz AG in diesem Verfahren vertreten
gewesen und es sei davon auszugehen, daß sie bald nach der mündlichen Verhandlung in den PVC-
Sachen Kenntnis von den Erklärungen der Kommissionsbevollmächtigten erhalten habe. Das
Vorbringen der Rechtsmittelführerin, daß die Chemie Linz AG erst durch das PVC-Urteil des Gerichts
sichere Kenntnis von den Äußerungen des Kommissionsbevollmächtigten in den PVC-Verfahren erlangt
habe, stehe im Widerspruch zum Wiedereröffnungsantrag der Chemie Linz AG vom 28. Februar 1992, in
dem diese sich auf Angaben von Teilnehmern an der mündlichen Verhandlung in den PVC-Sachen
berufen habe. Die Chemie Linz AG habe die Nichtigkeitsrüge somit nicht rechtzeitig, sondern mehr als
drei Monate später erhoben. Die Kommission weist darauf hin, daß für den analogen Fall eines
Wiederaufnahmeverfahrens nach Artikel 125 der Verfahrensordnung des Gerichts eine Frist von drei
Monaten nach dem Tag gelte, an dem der Antragsteller Kenntnis von der von ihm angeführten
Tatsache erhalten habe.
68.
Die Rüge, daß keine Urschrift der Polypropylen-Entscheidung vorgelegen habe, habe das Gericht
weder unter dem im angefochtenen Urteil behandelten Gesichtspunkt der Inexistenz noch unter dem
Gesichtspunkt der Nichtigkeit der Polypropylen-Entscheidung zu einer Beweisaufnahme veranlassen
müssen. Das Gericht habe festgestellt, daß die Chemie Linz AG keine konkreten Anhaltspunkte für
einen Verstoß gegen den Grundsatz der Unantastbarkeit eines beschlossenen Rechtsakts
vorgetragen habe. Überdies sei die betreffende Rüge wegen Verstoßes gegen Artikel 48 § 2 der
Verfahrensordnung des Gerichts verspätet erhoben worden. Entgegen dem Vorbringen der
Rechtsmittelführerin habe das Gericht keineswegs anerkannt, daß diese ihre Argumentation
rechtzeitig vorgebracht habe. Es habe im Gegenteil daran Zweifel geäußert, die Frage aber
offengelassen, weil es dann die Frage der Inexistenz der Polypropylen-Entscheidung unter dem
Gesichtspunkt der Prüfung von Amts wegen untersucht habe.
69.
Zum Vorbringen der Rechtsmittelführerin, daß auch ein Grund für eine Wiederaufnahme des
Verfahrens vorgelegen habe und deshalb die mündliche Verhandlung hätte wiedereröffnet werden
müssen, erklärt die Kommission, daß die Äußerung ihres Bevollmächtigten im PVC-Verfahren für sich
genommen nicht zu einer anderen Entscheidung in der Polypropylen-Sache geführt hätte. Nur
entscheidungserhebliche Tatsachen könnten aber ein Wiederaufnahmegrund nach Artikel 41 der EG-
Satzung des Gerichtshofes sein.
70.
Zur angeblichen Verletzung einer Aufklärungspflicht durch das Gericht trägt die Kommission vor,
weder Artikel 49 noch Artikel 64 § 3 Buchstabe d der Verfahrensordnung des Gerichts legten die
Voraussetzungen für die Anordnung von prozeßleitenden Maßnahmen fest. Aus den gleichen Gründen,
aus denen das Gericht eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung abgelehnt habe, habe das
Gericht auch von den von der Chemie Linz AG geforderten prozeßleitenden Maßnahmen absehen
können. Der Zweck solcher Maßnahmen, wie er in Artikel 64 § 1 der Verfahrensordnung des Gerichts
beschrieben werde, bestehe nämlich darin, die Vorbereitung der Entscheidungen und den Ablauf der
Verfahren zu gewährleisten, nicht aber darin, Versäumnisse des Klägers beim Vorbringen seiner
Klagegründe zu überspielen.
71.
Schließlich hält es die Kommission für fraglich, inwiefern das Gericht Artikel 65 seiner
Verfahrensordnung verletzt hat, da dieser doch nur die im Verfahren zulässigen Beweismittel
bezeichne.
72.
Zu den Argumenten der Streithelferin trägt die Kommission vor, sie enthielteneinen unheilbaren
Mangel, da darin die Unterschiede zwischen den PVC-Sachen und dieser Rechtssache außer acht
gelassen würden und sie auf einem falschen Verständnis des PVC-Urteils des Gerichtshofes beruhten.
73.
Außerdem vertritt die Kommission weiterhin die Ansicht, die Klägerinnen hätten in den Soda-Sachen
keine so ausreichenden Anhaltspunkte vorgebracht, daß eine Anforderung von Dokumenten bei der
Kommission durch das Gericht gerechtfertigt gewesen wäre. Jedenfalls habe das Gericht sowohl in den
genannten Rechtssachen als auch in den ebenfalls von der Streithelferin angeführten LDPE-Sachen
unter Berücksichtigung besonderer Umstände des bei ihm anhängigen Falles entschieden. Im
Polypropylen-Verfahren hätte schon 1986 auf die angeblichen Unzulänglichkeiten der Polypropylen-
Entscheidung hingewiesen werden können, doch habe dies niemand getan.
74.
Wenn das Gericht in den Urteilen Fiatagri und New Holland Ford/Kommission und Deere/Kommission
die rechtzeitig erhobenen Rügen zurückgewiesen habe, weil sie nicht mit Beweisen einhergegangen
seien, so sei dies in dieser Rechtssache, in der die Argumente zu den formellen Mängeln der
Polypropylen-Entscheidung verspätet vorgebracht und nicht durch Beweise untermauert worden
seien, erst recht geboten.
75.
Die Rechtsmittelgründe, mit denen Verfahrensfehler und die Verletzung des Gemeinschaftsrechts
gerügt werden, sind zusammen zu prüfen. Denn die von der Rechtsmittelführerin geltend gemachte
Rüge der Verletzung des Gemeinschaftsrechts, sei es der Artikel 220 EG und 173 des Vertrages oder
der verschiedenen in diesem Zusammenhang angeführten Vorschriften der Verfahrensordnung des
Gerichts, betrifft im wesentlichen die ablehnende Entscheidung des Gerichts über die
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, den Erlaß prozeßleitender Maßnahmen und die
Anordnung einer Beweisaufnahme und fällt demnach mit dem aus Verfahrensfehlern hergeleiteten
Rechtsmittelgrund zusammen.
76.
Somit ist zu prüfen, ob das Gericht dadurch, daß es die Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung, den Erlaß prozeßleitender Maßnahmen und die Anordnung einer Beweisaufnahme
abgelehnt hat, Rechtsirrtümer begangen hat.
77.
Zunächst ist zu den prozeßleitenden Maßnahmen darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof nach
Artikel 21 seiner EG-Satzung von den Parteien die Vorlage aller Urkunden und die Erteilung aller
Auskünfte verlangen kann, die er für wünschenswert hält. Nach Artikel 64 § 1 der Verfahrensordnung
des Gerichts sollen prozeßleitende Maßnahmen die Vorbereitung der Entscheidungen, den Ablauf der
Verfahren und die Beilegung der Rechtsstreitigkeiten unter den bestmöglichen Bedingungen
gewährleisten.
78.
Nach Artikel 64 § 2 Buchstaben a und b der Verfahrensordnung des Gerichts haben prozeßleitende
Maßnahmen insbesondere zum Ziel, den ordnungsgemäßen Ablauf des schriftlichen Verfahrens oder
der mündlichen Verhandlung zu gewährleisten und die Beweiserhebung zu erleichtern sowie die
Punkte zu bestimmen, zu denen die Parteien ihr Vorbringen ergänzen sollen oder die eine
Beweisaufnahme erfordern. Nach Artikel 64 § 3 Buchstabe d gehören zu diesen Maßnahmen die
Aufforderung zur Vorlage von Unterlagen oder Beweisstücken, und nach Artikel 64 § 4 können die
Parteien sie in jedem Verfahrensstadium vorschlagen.
79.
Wie der Gerichtshof im Urteil vom 17. Dezember 1998 in der Rechtssache C-185/95
P(Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1998, I-8417, Randnr. 93) entschieden hat, kann eine Partei beim
Gericht beantragen, durch eine prozeßleitende Maßnahme der Gegenpartei aufzugeben, in ihrem
Besitz befindliche Unterlagen vorzulegen.
80.
Jedoch ergibt sich aus dem Zweck der prozeßleitenden Maßnahmen, wie er in Artikel 64 §§ 1 und 2
der Verfahrensordnung des Gerichts dargelegt ist, daß diese Maßnahmen in den Rahmen der
verschiedenen Abschnitte des Verfahrens vor dem Gericht eingefügt sind, deren Ablauf sie erleichtern
sollen.
81.
Daraus folgt, daß eine Partei nach dem Ende der mündlichen Verhandlung nur dann noch
prozeßleitende Maßnahmen beantragen kann, wenn das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung beschließt. Daher hätte das Gericht nur dann über einen solchen Antrag entscheiden
müssen, wenn es dem Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung stattgegeben hätte.
Es besteht daher kein Anlaß zu einer gesonderten Prüfung der Rügen, die die Rechtsmittelführerin
insoweit erhoben hat.
82.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes (u. a. Urteile vom 16. Juni 1971 in der Rechtssache
77/70, Prelle/Kommission, Slg. 1971, 561, Randnr. 7, und vom 15. Dezember 1995 in der Rechtssache
C-415/93, Bosman, Slg. 1995, I-4921, Randnr. 53) kann einem Antrag auf Beweisaufnahme, der nach
dem Schluß der mündlichen Verhandlung gestellt worden ist, nur stattgegeben werden, wenn er
Tatsachen von entscheidender Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits betrifft, die der
Betroffene nicht schon vor dem Ende der mündlichen Verhandlung geltend machen konnte.
83.
Das gleiche gilt für den Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung. Zwar verfügt das
Gericht nach Artikel 62 seiner Verfahrensordnung auf diesem Gebiet über ein Ermessen. Es braucht
einem solchen Antrag jedoch nur stattzugeben, wenn die betroffene Partei sich auf Tatsachen von
entscheidender Bedeutung beruft, die sie nicht schon vor dem Ende der mündlichen Verhandlung
geltend machen konnte.
84.
Im vorliegenden Fall war der vor dem Gericht gestellte Antrag auf Wiedereröffnung der mündlichen
Verhandlung und Beweisaufnahme auf das PVC-Urteil des Gerichts, Erklärungen der Bevollmächtigten
der Kommission in der mündlichen Verhandlung in den PVC-Sachen und im Laufe des Verfahrens in
den LDPE-Sachen zutage getretene Umstände gestützt.
85.
Die eine mutmaßliche Praxis der Kommission betreffenden Hinweise allgemeiner Art, die sich aus
einem Urteil in anderen Rechtssachen oder aus anläßlich anderer Verfahren zutage getretenen
Tatsachen ergaben, konnten als solche nicht als entscheidend für den Ausgang des beim Gericht
anhängigen Rechtsstreits angesehen werden.
86.
Soweit die Rechtsmittelführerin geltend macht, die im Antrag der Chemie Linz AG vom 28. Februar
1992 angeführten Tatsachen hätten die Wiederaufnahme des durch das angefochtene Urteil
abgeschlossenen Verfahrens nach sich ziehen oder jedenfalls das Gericht veranlassen müssen, dem
genannten Antrag stattzugeben, ist lediglich festzustellen, daß die vorgetragenen Tatsachen aus den
oben angegebenen Gründen nicht von entscheidender Bedeutung im Sinne von Artikel 41 der EG-
Satzung des Gerichtshofes waren und daher nicht die Wiederaufnahme des genannten Verfahrens
rechtfertigten.
87.
Außerdem hätte die Rechtsmittelführerin dem Gericht schon in ihrer Klageschrift wie einige Kläger in
den von der Rechtsmittelführerin angeführten PVC-Sachen und LDPE-Sachen zumindest einen
Anhaltspunkt für die Sachdienlichkeit der prozeßleitenden Maßnahmen oder der Beweisaufnahme für
das Verfahren geben können, um nachzuweisen, daß die Polypropylen-Entscheidung unter Verstoß
gegen die anzuwendende Sprachenregelung erlassen oder nach ihrem Erlaß durch das
Kommissionskollegium geändert worden war oder aber daß es an Urschriften gefehlt habe (dahin
gehend Urteil Baustahlgewebe/Kommission, Randnrn. 93 f.).
88.
Ohne daß geklärt zu werden braucht, ob die Chemie Linz AG, wie die Kommission geltend macht,
schon vor der Verkündung des PVC-Urteils des Gerichts Kenntnis von den in ihrem Antrag vom 28.
Februar 1992 angeführten Tatsachen erlangte, ergibt sich daraus, daß dieser Antrag jedenfalls
verspätet war.
89.
Entgegen dem Vorbringen der Rechtsmittelführerin hat das Gericht im angefochtenen Urteil nicht
entschieden, daß die im Antrag der Rechtsmittelführerin vom 28. Februar 1992 angeführten
Umstände rechtzeitig vorgetragen worden sind.
90.
Im übrigen war das Gericht nicht gehalten, aufgrund einer angeblichen Verpflichtung, Rügen in
bezug auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens zum Erlaß der Polypropylen-Entscheidung von Amts
wegen aufzugreifen, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen. Eine solche Verpflichtung, den
Ordre public betreffende Rügen von Amts wegen aufzugreifen, könnte nämlich nur eventuell aufgrund
im Verfahren vorgetragener tatsächlicher Anhaltspunkte bestehen.
91.
Somit ist festzustellen, daß das Gericht nicht dadurch einen Rechtsirrtum begangen hat, daß es die
Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung, den Erlaß prozeßleitender Maßnahmen und die
Anordnung einer Beweisaufnahme abgelehnt hat.
92.
Im Hinblick auf das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zu den Mängeln, mit denen die
Polypropylen-Entscheidung angeblich behaftet ist, und auf die von der Streithelferin vertretene
Ansicht, daß die Polypropylen-Entscheidung infolgedessen rechtlich inexistent sei, ist ferner zu prüfen,
ob das Gericht bei der Auslegung der Voraussetzungen für die Inexistenz eines Rechtsakts das
Gemeinschaftsrecht verletzt hat.
93.
Wie sich u. a. aus den Randnummern 48 bis 50 des PVC-Urteils des Gerichtshofes ergibt, spricht für
die Rechtsakte der Gemeinschaftsorgane grundsätzlich die Vermutung der Gültigkeit, und sie
entfalten daher selbst dann, wenn sie fehlerhaft sind, Rechtswirkungen, solange sie nicht aufgehoben
oder zurückgenommen werden.
94.
Abweichend von diesem Grundsatz entfalten allerdings Rechtsakte, die offenkundig mit einem so
schweren Fehler behaftet sind, daß die Gemeinschaftsrechtsordnung
ihn nicht tolerieren kann, nicht einmal vorläufig Rechtswirkung, sind also rechtlich inexistent. Diese
Ausnahme von dem Grundsatz soll einen Ausgleich zwischen zwei grundlegenden, manchmal jedoch
einander widerstreitenden Erfordernissen herstellen, denen eine Rechtsordnung genügen muß,
nämlich die Stabilität der Rechtsbeziehungen und die Wahrung der Rechtmäßigkeit.
95.
Die Schwere der Folgen, die mit der Feststellung der Inexistenz eines Rechtsakts der
Gemeinschaftsorgane verbunden sind, verlangt aus Gründen der Rechtssicherheit, daß diese
Feststellung auf ganz außergewöhnliche Fälle beschränkt wird.
96.
Ebenso wie in den PVC-Sachen sind die von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Fehler, die
das Verfahren des Erlasses der Polypropylen-Entscheidung betreffen, aber — für sich allein oder auch
insgesamt betrachtet — nicht so offenkundig schwer, daß die genannte Entscheidung als rechtlich
inexistent anzusehen wäre.
97.
Somit hat das Gericht hinsichtlich der Voraussetzungen für die Inexistenz eines Rechtsakts nicht
das Gemeinschaftsrecht verletzt.
98.
Schließlich ist zu dem Antrag der Rechtsmittelführerin vor dem Gerichtshof, die Rechtmäßigkeit der
Polypropylen-Entscheidung zu prüfen und eine Beweisaufnahme zur Klärung der Umstände
anzuordnen, unter denen die Kommission die Polypropylen-Entscheidung erlassen hat, lediglich
festzustellen, daß in dem auf Rechtsfragen beschränkten Rechtsmittelverfahren kein Raum für
Beweiserhebungen ist.
99.
Denn zum einen würden Beweiserhebungen den Gerichtshof notwendigerweise zu Entscheidungen
über Tatsachenfragen veranlassen und unter Verstoß gegen Artikel 113 § 2 der Verfahrensordnung
des Gerichtshofes den vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstand verändern.
100.
Zum anderen betrifft das Rechtsmittel nur das angefochtene Urteil und ermöglicht es dem
Gerichtshof gemäß Artikel 54 Absatz 1 seiner EG-Satzung nur bei dessen Aufhebung, den Rechtsstreit
selbst zu entscheiden. Infolgedessen hat der Gerichtshof, solange das angefochtene Urteil nicht
aufgehoben ist, nicht über eventuelle Mängel der Polypropylen-Entscheidung zu befinden.
101.
Nach alledem ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.
Kosten
102.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der nach deren Artikel 118 auf das
Rechtsmittelverfahren anwendbar ist, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten
zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem
Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen. Die Streithelferin hat ihre eigenen Kosten
zu tragen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsmittelführerin trägt die Kosten.
3. Die Streithelferin trägt ihre eigenen Kosten.
Kapteyn
Hirsch
Mancini
Murray Ragnemalm
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 8. Juli 1999.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
P. J. G. Kapteyn
Verfahrenssprache: Deutsch.