Urteil des EuGH vom 27.02.2003

EuGH: kommission, belgien, abgrenzung, erhaltung, wild, verbindlichkeit, gemeinschaftsrecht, regierung, veröffentlichung, bekanntgabe

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
27. Februar 2003
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Erhaltung der wild lebenden Vogelarten - Besondere
Schutzgebiete“
In der Rechtssache C-415/01
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Königreich Belgien,
Beklagter,
wegen Feststellung, dass das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 4 Absätze
1 und 2 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden
Vogelarten (ABl. L 103, S. 1) in Verbindung mit Artikel 4 Absatz 4 dieser Richtlinie in der gemäß Artikel 7 der
Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild
lebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7) durch deren Artikel 6 Absätze 2 bis 4 teilweise geänderten
Fassung verstoßen hat, dass die Flämische Region weder Artikel 4 Absätze 1 und 2 und Anhang I der
Richtlinie 79/409 umgesetzt noch die besonderen Schutzgebiete in ihrem Gebiet so abgegrenzt hat, dass
diese Abgrenzung Dritten entgegengehalten werden könnte, und auch nicht die erforderlichen Maßnahmen
ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die Erklärung eines Gebietes zum besonderen Schutzgebiet
automatisch und unmittelbar die Anwendung einer mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang stehenden
Schutz- und Erhaltungsregelung umfasst,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-P. Puissochet, der Richter R. Schintgen und C. Gulmann
(Berichterstatter), der Richterin F. Macken und des Richters J. N. Cunha Rodrigues,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: R. Grass
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. November 2002,
folgendes
Urteil
1.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 19. Oktober 2001
bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, in der in der Erwiderung abgeänderten Fassung
des Klageantrags gemäß Artikel 226 EG Klage erhoben auf Feststellung, dass das Königreich Belgien
dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 79/409/EWG des
Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung der wild lebenden Vogelarten (ABl. L 103, S. 1, im
Folgenden: Vogelschutzrichtlinie) in Verbindung mit Artikel 4 Absatz 4 dieser Richtlinie in der gemäß
Artikel 7 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen
Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7, im Folgenden:
Habitatrichtlinie) durch deren Artikel 6 Absätze 2 bis 4 teilweise geänderten Fassung verstoßen hat,
dass die Flämische Region weder Artikel 4 Absätze 1 und 2 und Anhang I der Vogelschutzrichtlinie
umgesetzt noch die besonderen Schutzgebiete in ihrem Gebiet so abgegrenzt hat, dass diese
Abgrenzung Dritten entgegengehalten werden könnte, und auch nicht die erforderlichen Maßnahmen
ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die Erklärung eines Gebietes zum besonderen Schutzgebiet
automatisch und unmittelbar die Anwendung einer mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang
stehenden Schutz- und Erhaltungsregelung umfasst.
Rechtlicher Rahmen
2.
Artikel 4 Absätze 1, 2 und 4 der Vogelschutzrichtlinie bestimmt:
„(1) Auf die in Anhang I aufgeführten Arten sind besondere Schutzmaßnahmen hinsichtlich ihrer
Lebensräume anzuwenden, um ihr Überleben und ihre Vermehrung in ihrem Verbreitungsgebiet
sicherzustellen.
In diesem Zusammenhang ist Folgendes zu berücksichtigen:
a) vom Aussterben bedrohte Arten,
b) gegen bestimmte Veränderungen ihrer Lebensräume empfindliche Arten,
c) Arten, die wegen ihres geringen Bestands oder ihrer beschränkten örtlichen Verbreitung als
selten gelten,
d) andere Arten, die aufgrund des spezifischen Charakters ihres Lebensraums einer besonderen
Aufmerksamkeit bedürfen.
Bei den Bewertungen werden Tendenzen und Schwankungen der Bestände der Vogelarten
berücksichtigt.
Die Mitgliedstaaten erklären insbesondere die für die Erhaltung dieser Arten zahlen- und flächenmäßig
geeignetsten Gebiete zu Schutzgebieten, wobei die Erfordernisse des Schutzes dieser Arten in dem
geographischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, zu
berücksichtigen sind.
(2) Die Mitgliedstaaten treffen unter Berücksichtigung der Schutzerfordernisse in dem
geographischen Meeres- und Landgebiet, in dem diese Richtlinie Anwendung findet, entsprechende
Maßnahmen für die nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden Zugvogelarten
hinsichtlich ihrer Vermehrungs-, Mauser- und Überwinterungsgebiete sowie der Rastplätze in ihren
Wanderungsgebieten. Zu diesem Zweck messen die Mitgliedstaaten dem Schutz der Feuchtgebiete
und ganz besonders der international bedeutsamen Feuchtgebiete besondere Bedeutung bei.
...
(4) Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen, um die Verschmutzung oder
Beeinträchtigung der Lebensräume sowie die Belästigung der Vögel, sofern sich diese auf die
Zielsetzungen dieses Artikels erheblich auswirken, [in den] in den Absätzen 1 und 2 genannten
Schutzgebieten zu vermeiden. Die Mitgliedstaaten bemühen sich ferner, auch außerhalb dieser
Schutzgebiete die Verschmutzung oder Beeinträchtigung der Lebensräume zu vermeiden.“
3.
Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der Habitatrichtlinie bestimmt:
„(2) Die Mitgliedstaaten treffen die geeigneten Maßnahmen, um in den besonderen Schutzgebieten
die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten sowie Störungen von
Arten, für die die Gebiete ausgewiesen worden sind, zu vermeiden, sofern solche Störungen sich im
Hinblick auf die Ziele dieser Richtlinie erheblich auswirken könnten.
(3) Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen
oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch einzeln oder in Zusammenwirkung mit
anderen Plänen und Projekten erheblich beeinträchtigen könnten, erfordern eine Prüfung auf
Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgelegten Erhaltungszielen. Unter Berücksichtigung der
Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung und vorbehaltlich des Absatzes 4 stimmen die zuständigen
einzelstaatlichen Behörden dem Plan bzw. Projekt nur zu, wenn sie festgestellt haben, dass das Gebiet
als solches nicht beeinträchtigt wird, und nachdem sie gegebenenfalls die Öffentlichkeit angehört
haben.
(4) Ist trotz negativer Ergebnisse der Verträglichkeitsprüfung aus zwingenden Gründen des
überwiegenden öffentlichen Interesses einschließlich solcher sozialer oder wirtschaftlicher Art ein Plan
oder Projekt durchzuführen und ist eine Alternativlösung nicht vorhanden, so ergreift der Mitgliedstaat
alle notwendigen Ausgleichsmaßnahmen, um sicherzustellen, dass die globale Kohärenz von Natura
2000 geschützt ist. Der Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über die von ihm ergriffenen
Ausgleichsmaßnahmen.
Ist das betreffende Gebiet ein Gebiet, das einen prioritären natürlichen Lebensraumtyp und/oder eine
prioritäre Art einschließt, so können nur Erwägungen im Zusammenhang mit der Gesundheit des
Menschen und der öffentlichen Sicherheit oder im Zusammenhang mit maßgeblichen günstigen
Auswirkungen für die Umwelt oder, nach Stellungnahme der Kommission, andere zwingende Gründe
des überwiegenden öffentlichen Interesses geltend gemacht werden.“
4.
Nach Artikel 7 der Habitatrichtlinie treten, was die nach Artikel 4 Absatz 1 der Vogelschutzrichtlinie
zu besonderen Schutzgebieten erklärten oder nach Artikel 4 Absatz 2 derselben Richtlinie als solche
anerkannten Gebiete anbelangt, die Verpflichtungen nach Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der
Habitatrichtlinie ab dem Datum für die Anwendung der letztgenannten Richtlinie bzw. danach ab dem
Datum, zu dem das betreffende Gebiet von einem Mitgliedstaat entsprechend der
Vogelschutzrichtlinie zum besonderen Schutzgebiet erklärt oder als solches anerkannt wird, an die
Stelle der Pflichten, die sich aus Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie ergeben.
5.
Nach Artikel 23 Absatz 1 der Habitatrichtlinie erlassen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Rechts-
und Verwaltungsvorschriften, um dieser Richtlinie binnen zwei Jahren nach ihrer Bekanntgabe
nachzukommen. Da die Richtlinie im Juni 1992 bekannt gegeben wurde, lief diese Frist im Juni 1994 ab.
Vorverfahren
6.
Mit Mahnschreiben vom 4. April 2000 an die belgische Regierung machte die Kommission
insbesondere geltend, ihrem Erkenntnisstand nach habe die Flämische Region weder Artikel 4
Absätze 1 und 2 und Anhang I der Vogelschutzrichtlinie umgesetzt noch die besonderen
Schutzgebiete in ihrem Gebiet so abgegrenzt, dass diese Abgrenzung Dritten entgegengehalten
werden könnte, und auch nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die
Erklärung eines Gebietes zum besonderen Schutzgebiet automatisch und unmittelbar die Anwendung
einer mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang stehenden Schutz- und Erhaltungsregelung umfasse;
daher habe das Königreich Belgien gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 4 Absätze 1 und 2 der
Vogelschutzrichtlinie in Verbindung mit Artikel 4 Absatz 4 dieser Richtlinie in der gemäß Artikel 7 der
Habitatrichtlinie durch Artikel 6 Absätze 2 bis 4 der letztgenannten Richtlinie teilweise geänderten
Fassung verstoßen.
7.
Da die Kommission auf dieses Schreiben keine Antwort erhielt, richtete sie mit Schreiben vom 19.
Juli 2000 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an das Königreich Belgien, in der sie die in dem
Mahnschreiben aufgeführten Rügen wiederholte und das Königreich Belgien aufforderte, die
erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um der mit Gründen versehenen Stellungnahme innerhalb von
zwei Monaten nach ihrer Zustellung nachzukommen.
8.
Mit Schreiben vom 6. Oktober 2000 übermittelte die belgische Regierung der Kommission eine
Antwort der Flämischen Region auf die mit Gründen versehenen Stellungnahme.
9.
Da die Kommission insbesondere der Auffassung war, dass diese Antwort ihr nicht den Schluss
erlaube, dass das Königreich Belgien die erforderlichen Maßnahmen ergriffen habe, um die gerügte
Vertragsverletzung abzustellen, hat sie beim Gerichtshof die vorliegende Klage erhoben.
Zur Klage
10.
Die Kommission macht geltend, dass die für die Erhaltung der in Anhang I der Vogelschutzrichtlinie
aufgeführten Vogelarten sowie der nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden
Zugvogelarten zahlen- und flächenmäßig geeignetsten Gebiete in keiner im Gebiet der Flämischen
Region anwendbaren rechtsverbindlichen Bestimmung zu besonderen Schutzgebieten erklärt würden.
Daher sei Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie nicht vollständig umgesetzt worden.
11.
Die belgische Regierung trägt zwar vor, dass Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie
teilweise umgesetzt worden sei, tritt der genannten Rüge aber nicht entgegen.
12.
Daher ist der Klage in diesem Punkt stattzugeben.
13.
Die Kommission trägt vor, dass es an einer im Gebiet der Flämischen Region geltenden Bestimmung
fehle, die an die Erklärung eines Gebietes zum besonderen Schutzgebiet automatisch die Anwendung
der vom einschlägigen Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Schutz- und Erhaltungsregelung knüpfe.
14.
Die belgische Regierung verweist zwar einerseits darauf, dass in der Flämischen Region bereits
allgemeine und sektorale Schutzmaßnahmen bestünden, die sich in den besonderen Schutzgebieten
auswirkten, räumt andererseits aber ein, dass keine im Gebiet dieser Region anwendbare
Bestimmung vorsehe, dass die Erklärung eines Gebietes zum besonderen Schutzgebiet automatisch
mit der Anwendung der in der Vogelschutzrichtlinie festgelegten Schutzregelung auf dieses Gebiet
einhergehe.
15.
Dazu ist darauf zu verweisen, dass Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie die
Mitgliedstaaten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes dazu verpflichtet, ein besonderes
Schutzgebiet mit einem rechtlichen Schutzstatus auszustatten, der geeignet ist, u. a. das Überleben
und die Vermehrung der in Anhang I der Richtlinie aufgeführten Vogelarten sowie die Vermehrung, die
Mauser und die Überwinterung der nicht in Anhang I aufgeführten, regelmäßig auftretenden
Zugvogelarten sicherzustellen (Urteil vom 18. März 1999 in der Rechtssache C-166/97,
Kommission/Frankreich, Slg. 1999, I-1719, Randnr. 21).
16.
Da nach Artikel 7 der Habitatrichtlinie die Verpflichtungen u. a. nach Artikel 6 Absatz 2 derselben
Richtlinie, was die besonderen Schutzgebiete anbelangt, an die Stelle der Pflichten treten, die sich
aus Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 der Vogelschutzrichtlinie ergeben, muss der rechtliche Schutzstatus
dieser Gebiete auch gewährleisten, dass dort die Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und
der Habitate der Arten sowie erhebliche Störungen von Arten, für die die Gebiete ausgewiesen
worden sind, vermieden werden.
17.
Da es aber an einer im Gebiet der Flämischen Region geltenden Bestimmung fehlt, die an die
Erklärung eines Gebietes zum besonderen Schutzgebiet automatisch die Anwendung eines
Schutzstatus knüpft, wie er in den Randnummern 15 und 16 dieses Urteils beschrieben wird, ist die
Verwirklichung des mit Artikel 4 der Vogelschutzrichtlinie verfolgten Zieles des besonderen Schutzes
der wild lebenden Vogelfauna gefährdet (vgl. u. a. Urteil vom 7. Dezember 2000 in der Rechtssache C-
374/98, Kommission/Frankreich, Slg. 2000, I-10799, Randnr. 55).
18.
Demzufolge ist der Klage in diesem Punkt stattzugeben.
19.
Die Kommission trägt vor, die Vogelschutzrichtlinie sei nicht ordnungsgemäß umgesetzt worden, weil
die Landkarten, auf denen die besonderen Schutzgebiete in der Flämischen Region abgegrenzt
würden, Dritten gegenüber keine Verbindlichkeit hätten und ihnen daher nicht entgegengehalten
werden könnten. Nach belgischem Recht müssten von den regionalen Behörden erlassene
Maßnahmen zwingend im veröffentlicht werden, um Verbindlichkeit zu erlangen. Nur
diese Veröffentlichung erzeuge die unwiderlegliche Vermutung, dass die getroffenen Maßnahmen den
Normadressaten bekannt seien, und gewährleiste damit, dass sie Dritten entgegengehalten werden
könnten. Die Karten, auf denen die besonderen Schutzgebiete im Gebiet der Flämischen Region
abgegrenzt würden, würden jedoch nicht im veröffentlicht. Sie würden lediglich in den
Rathäusern ausgelegt, um der Bevölkerung eine Kenntnisnahme zu ermöglichen.
20.
Das Königreich Belgien macht geltend, dass die Frage der Verbindlichkeit der Karten, auf denen die
besonderen Schutzgebiete abgegrenzt würden, unter das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten
falle. Diese verfügten bei ihrer Entscheidung darüber, wie sie die Verbindlichkeit von Maßnahmen zur
Umsetzung einer Richtlinie sicherstellten, über einen erheblichen Ermessensspielraum. Dass im
belgischen Recht die Veröffentlichung im die Regel sei, schließe nicht aus, dass in
besonderen Fällen eine andere Form der Bekanntmachung gewählt werden könne, sofern jeder
Normadressat tatsächlich von der fraglichen Regelung Kenntnis nehmen könne. Der belgische
Kassationshof habe diesen Grundsatz in Bezug auf die Bekanntmachung von Regional- und
Bezirksplänen im Rahmen der Regelung über die Raumordnung anerkannt. Die belgische Regierung
beruft sich darauf, dass die Auslegung der Karten zur Abgrenzung der besonderen Schutzgebiete in
den jeweiligen Rathäusern, wie sie Artikel 3 des Erlasses der flämischen Regierung vom 17. Oktober
1988 über die Ausweisung der besonderen Schutzgebiete nach Artikel 4 der Vogelschutzrichtlinie
( vom 29. Oktober 1988, S. 15068) vorschreibe, im vorliegenden Fall eine angemessene
Form der Bekanntgabe darstelle, da die Betroffenen die tatsächliche Möglichkeit hätten, von den
genannten Karten Kenntnis zu nehmen. Gleichwohl werde an einer Änderung des Dekrets der
Flämischen Gemeinschaft vom 21. Oktober 1997 über die Erhaltung der Natur und die natürlichen
Lebensräume ( vom 10. Januar 1998, S. 599) gearbeitet, um die Landkarten, auf denen
die besonderen Schutzgebiete abgegrenzt würden, im zu veröffentlichen.
21.
Dazu ist darauf zu verweisen, dass die Bestimmungen einer Richtlinie nach ständiger
Rechtsprechung mit unbestreitbarer Verbindlichkeit und mit der Konkretheit, Bestimmtheit und
Klarheit umgesetzt werden müssen, die notwendig sind, um den Erfordernissen der Rechtssicherheit
zu genügen (insbesondere Urteil vom 17. Mai 2001 in der Rechtssache C-159/99, Kommission/Italien,
Slg. 2001, I-4007, Randnr. 32). Der Grundsatz der Rechtssicherheit verlangt eine angemessene
Bekanntmachung der aufgrund einer Gemeinschaftsregelung eingeführten nationalen Maßnahmen,
damit die von diesen Maßnahmen betroffenen Rechtssubjekte den Umfang ihrer Rechte und Pflichten
in dem besonderen gemeinschaftsrechtlich geregelten Bereich erkennen können (Urteil vom 20. Juni
2002 in der Rechtssache C-313/99, Mulligan u. a., Slg. 2002, I-5719, Randnrn. 51 und 52).
22.
Was die Karten zur Abgrenzung der besonderen Schutzgebiete anbelangt, so müssen sie zwingend
unbestreitbare Verbindlichkeit aufweisen. Andernfalls könnte nämlich die räumliche Abgrenzung der
besonderen Schutzgebiete jederzeit in Frage gestellt werden. Zudem bestünde die Gefahr, dass das
in Randnummer 17 dieses Urteils dargelegte Schutzziel des Artikels 4 der Vogelschutzrichtlinie nicht
voll erreicht würde.
23.
In der Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme wird nun aber eingeräumt, dass
grundsätzlich allein die Veröffentlichung einer Maßnahme im die unwiderlegliche
Vermutung begründet, dass Dritte von dieser Maßnahme Kenntnis haben. Dass der Kassationshof im
Rahmen des Raumordnungsrechts die Verbindlichkeit von Regional- und Bezirksplänen anerkannt hat,
obwohl sie in anderer Weise als durch die Veröffentlichung im bekannt gegeben
werden, ist hier kein Beweis dafür, dass es sich ebenso mit den Landkarten verhält, auf denen die
besonderen Schutzgebiete in der Flämischen Region abgegrenzt werden und die nach der in
Randnummer 20 dieses Urteils angeführten Änderung im Übrigen im veröffentlicht
werden müssten.
24.
Selbst wenn man annimmt, dass auch eine andere Form der Bekanntgabe als die vollständige
Veröffentlichung im eine unwiderlegliche Vermutung der Kenntnis einer Maßnahme
begründen kann, so wie es in der Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme vorgetragen
wird, weisen die Karten zur Abgrenzung der besonderen Schutzgebiete, für die eine solche Vermutung
gilt, keine unbestreitbare Verbindlichkeit auf.
25.
Daraus folgt, dass die Klage auch in diesem Punkt begründet ist.
26.
Angesichts der vorstehenden Ausführungen ist festzustellen, dass das Königreich Belgien dadurch
gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 4 Absätze 1 und 2 der Vogelschutzrichtlinie in Verbindung mit
Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 dieser Richtlinie in der gemäß Artikel 7 der Habitatrichtlinie durch deren
Artikel 6 Absätze 2 bis 4 geänderten Fassung verstoßen hat, dass die Flämische Region weder Artikel
4 Absätze 1 und 2 und Anhang I der Vogelschutzrichtlinie umgesetzt noch die besonderen
Schutzgebiete in ihrem Gebiet so abgegrenzt hat, dass diese Abgrenzung Dritten entgegengehalten
werden könnte, und auch nicht die erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um sicherzustellen, dass
die Erklärung eines Gebietes zum besonderen Schutzgebiet automatisch und unmittelbar die
Anwendung einer mit dem Gemeinschaftsrecht im Einklang stehenden Schutz- und
Erhaltungsregelung umfasst.
Kosten
27.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da das Königreich Belgien mit seinem Vorbringen im Wesentlichen unterlegen
ist, sind ihm gemäß dem entsprechenden Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Das Königreich Belgien hat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 4
Absätze 1 und 2 der Richtlinie 79/409/EWG des Rates vom 2. April 1979 über die Erhaltung
der wild lebenden Vogelarten in Verbindung mit Artikel 4 Absatz 4 Satz 1 dieser Richtlinie
in der gemäß Artikel 7 der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung
der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen durch deren
Artikel 6 Absätze 2 bis 4 geänderten Fassung verstoßen, dass die Flämische Region weder
Artikel 4 Absätze 1 und 2 und Anhang I der Richtlinie 79/409 umgesetzt noch die
besonderen Schutzgebiete in ihrem Gebiet so abgegrenzt hat, dass diese Abgrenzung
Dritten entgegengehalten werden könnte, und auch nicht die erforderlichen Maßnahmen
ergriffen hat, um sicherzustellen, dass die Erklärung eines Gebietes zum besonderen
Schutzgebiet automatisch und unmittelbar die Anwendung einer mit dem
Gemeinschaftsrecht im Einklang stehenden Schutz- und Erhaltungsregelung umfasst.
2. Das Königreich Belgien trägt die Kosten des Verfahrens.
Puissochet
Schintgen
Gulmann
Macken
Cunha Rodrigues
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. Februar 2003.
Der Kanzler
Der Präsident der Sechsten Kammer
R. Grass
J.-P. Puissochet
Verfahrenssprache: Französisch.