Urteil des EuGH vom 26.09.2000

EuGH: muster und modelle, mitgliedstaat, durchfuhr, urheberrecht und verwandte schutzrechte, kommission, regierung, republik, verordnung, geistiges eigentum, freier warenverkehr

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES
26. September 2000
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Freier Warenverkehr - Zollamtliches Zurückhaltungsverfahren -
Waren im Durchfuhrverkehr - Recht des gewerblichen Eigentums - Ersatzteile für Kraftfahrzeuge“
In der Rechtssache C-23/99
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
und O. Couvert-Castéra, zum Juristischen Dienst abgeordneter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte,
Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Klägerin,
gegen
Französische Republik
Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, und R. Loosli-Surrans, Chargé de mission in
derselben Direktion, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Französische Botschaft, 8 B, boulevard
Joseph II, Luxemburg,
Beklagte,
wegen Feststellung, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-
Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen hat, dass sie auf der Grundlage des Code de la
propriété intellectuelle Verfahren zur Zurückhaltung von Waren durch die Zollbehörden durchgeführt hat,
die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft rechtmäßig hergestellt und dazu bestimmt waren,
nach ihrer Durchfuhr durch französisches Hoheitsgebiet in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie
rechtmäßig vertrieben werden dürfen, in den Verkehr gebracht zu werden,
erlässt
DER GERICHTSHOF
unter Mitwirkung des Präsidenten G. C. Rodríguez Iglesias, der Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida
und L. Sevón, der Richter P. J. G. Kapteyn, J.-P. Puissochet, P. Jann, H. Ragnemalm (Berichterstatter), M.
Wathelet und V. Skouris,
Generalanwalt: J. Mischo
Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Hauptverwaltungsrätin
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 15. Februar 2000, in der die Kommission durch R. Tricot,
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigten, und die französische Regierung durch R. Loosli-Surrans vertreten
waren,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. April 2000,
folgendes
Urteil
1.
Die Kommission hat mit Klageschrift, die am 2. Februar 1999 bei der Kanzlei des Gerichtshofes
eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage erhoben auf Feststellung,
dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag (nach
Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen hat, dass sie auf der Grundlage des Code de la propriété
intellectuelle Verfahren zur Zurückhaltung von Waren durch die Zollbehörden durchgeführt hat, die in
einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft rechtmäßig hergestellt und dazu bestimmt waren,
nach ihrer Durchfuhr durch französisches Hoheitsgebiet in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie
rechtmäßig vertrieben werden dürfen, in den Verkehr gebracht zu werden.
Das Gemeinschaftsrecht
2.
Nach Artikel 36 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 EG) stehen die Bestimmungen über den
freien Warenverkehr „der Artikel 30 bis 34 ... Einfuhr-, Ausfuhr- und Durchfuhrverboten oder -
beschränkungen nicht entgegen, die ... zum Schutze ... des gewerblichen und kommerziellen
Eigentums gerechtfertigt sind. Diese Verbote oder Beschränkungen dürfen jedoch weder ein Mittel zur
willkürlichen Diskriminierung noch eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den
Mitgliedstaaten darstellen.“
3.
Im Bereich des gewerblichen Rechtsschutzes von Mustern und Modellen erfasst die Verordnung
(EG) Nr. 3295/94 des Rates vom 22. Dezember 1994 über Maßnahmen zum Verbot der Überführung
nachgeahmter Waren und unerlaubt hergestellter Vervielfältigungsstücke oder Nachbildungen in den
zollrechtlich freien Verkehr oder in ein Nichterhebungsverfahren sowie zum Verbot ihrer Ausfuhr und
Wiederausfuhr (ABl. L 341, S. 8) nur nachgeahmte Waren aus Drittländern, aber nicht solche, die in
der Gemeinschaft hergestellt oder in den Verkehr gebracht werden.
4.
Die Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Oktober 1998 (ABl. L
289, S. 28) behandelt den rechtlichen Schutz von Mustern und Modellen, ohne jedoch eine
vollständige Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in diesem Bereich
herbeizuführen. Die Richtlinie ist bis zum 28. Oktober 2001 umzusetzen.
5.
Artikel 14 der Richtlinie 98/71 („Übergangsbestimmungen“) bestimmt:
„Solange nicht auf Vorschlag der Kommission gemäß Artikel 18 Änderungen dieser Richtlinie
angenommen worden sind, behalten die Mitgliedstaaten ihre bestehenden Rechtsvorschriften über
die Benutzung des Musters eines Bauelements zur Reparatur eines komplexen Erzeugnisses im
Hinblick auf die Wiederherstellung von dessen ursprünglicher Erscheinungsform bei und führen nur
dann Änderungen an diesen Bestimmungen ein, wenn dadurch die Liberalisierung des Handels mit
solchen Bauelementen ermöglicht wird.“
6.
Die zwanzigste Begründungserwägung der Richtlinie 98/71 lautet:
„Die Übergangsbestimmung in Artikel 14 betreffend die Benutzung des Musters eines Bauelements zur
Reparatur eines komplexen Erzeugnisses im Hinblick auf die Wiederherstellung von dessen
ursprünglicher Erscheinungsform darf keinesfalls als Hindernis für den freien Verkehr mit einem
Erzeugnis, das ein derartiges Bauelement bildet, ausgelegt werden.“
7.
Als Maßnahmen, die den freien Warenverkehr behindern, nennt Artikel 1 der Entscheidung Nr.
3052/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1995 zur Einführung
eines Verfahrens der gegenseitigen Unterrichtung über einzelstaatliche Maßnahmen, die vom
Grundsatz des freien Warenverkehrs in der Gemeinschaft abweichen (ABl. L 321, S. 1) insbesondere
Maßnahmen, die unmittelbar oder mittelbar ein grundsätzliches Verbot oder eine Verweigerung der
Genehmigung zum Inverkehrbringen von Waren bewirken.
Das französische Recht
8.
Der Code de la propriété intellectuelle (Gesetz über geistiges Eigentum) sieht in den Artikeln L. 335-
10, L. 521-7, L. 716-8 in Bezug auf das Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, geschützte Muster
und Modelle und das Markenrecht ein Verfahren der zollamtlichen Zurückhaltung von mutmaßlich
nachgeahmten Waren vor. Die Zollverwaltung ist befugt, auf schriftlichen Antrag des Inhabers des
geschützten Rechts im Rahmen ihrer zollamtlichen Prüfungen die angeblich nachgeahmten Waren
zurückzuhalten. Die Zurückhaltungsmaßnahme wird aufgehoben, wenn der Antragsteller den
Zolldienststellen nicht innerhalb von zehn Arbeitstagen nach Mitteilung der Zurückhaltung der Waren
die Befassung der zuständigen Gerichte nachweist.
9.
Der Verkauf, die Herstellung, die Einfuhr und der Besitz von nachgeahmten Waren im Hoheitsgebiet
stellen Straftaten dar, die in den Artikeln L. 335-2 (Urheberrecht), L. 521-4 (Muster und Modelle) und
L. 716-9 (Markenrecht) des Code de la propriété intellectuelle festgelegt sind.
10.
Die Cour de cassation hat mehrere Urteile zur Straftat der Nachahmung in Rechtssachen erlassen,
in denen die nachgeahmten Waren lediglich durch französisches Staatsgebiet durchgeführt wurden.
In einem Urteil der Strafkammer vom 26. April 1990, Asin Crespo Ricardo u. a. gegen Ministère public
(, 1990, Nr. 160), in dem es um Kraftfahrzeugteile ging, entschied das
Gericht, dass das Recht des Eigentümers einer Marke oder eines Modells durch eine Ware, die sich in
Frankreich lediglich im Verkehr befindet, beeinträchtigt wird. Dieser Rechtsprechung wird selbst dann
gefolgt, wenn die Ware in einem Mitgliedstaat rechtmäßig hergestellt wurde, um in einem anderen
Mitgliedstaat, ebenfalls rechtmäßig, vertrieben zu werden.
Sachverhalt und Vorverfahren
11.
Die European Automobile Panel Association beschwerte sich bei der Kommission darüber, dass die
französischen Zollbehörden an der spanischen Grenze Kraftfahrzeugteile zurückhielten, die in Spanien
hergestellt worden waren und nach Durchfuhr durch Frankreich in einem anderen Mitgliedstaat, in
dem ihr Vertrieb erlaubt ist, in den Verkehr gebracht werden sollten.
12.
Nach Ansicht der französischen Zollbehörden handelte es sich bei den fraglichen, für
Kraftfahrzeuge französischer Marken bestimmten Einzelteilen nach französischem Recht um
nachgeahmte Waren, die nach den Vorschriften des Code de la propriété intellectuelle über den
Schutz von Geschmacksmustern und des Urheberrechts geschützte Rechte beinträchtigten. Die
Zollbehörden beschlagnahmten die mutmaßlich nachgeahmten Waren, um den Rechtsinhabern zu
ermöglichen, innerhalb der vorgeschriebenen Fristen die notwendigen Schritte zum Schutz ihrer
Rechte zu unternehmen.
13.
Die Beamten der Direction générale des douanes et droits indirects des Ministeriums für Wirtschaft,
Finanzen und Haushalt erstellten insbesondere zwei Protokolle vom 16. Januar und 26. Februar 1997
über Ersatzteile für Kraftfahrzeuge französischer Marken, die von spanischen Firmen hergestellt und
an italienische Firmen verkauft worden waren.
14.
Mit Schreiben vom 13. Mai 1997 teilte die Kommission den französischen Behörden mit, dass die
Zurückhaltung der Ersatzteile möglicherweise eine gegen Artikel 30 EG-Vertrag verstoßende
Behinderung des freien Warenverkehrs darstelle, da diese Teile nicht dazu bestimmt seien, in
Frankreich vertrieben zu werden. Vielmehr würden sie in Spanien rechtmäßig hergestellt und in Italien
ebenso rechtmäßig vertrieben.
15.
Mit Schreiben vom 2. Juni 1997 antworteten die französischen Behörden, dass die fraglichen
nachgeahmten Einzelteile wegen ihrer zweifelhaften Qualität eine Gefahr für die Sicherheit der
Abnehmer darstellten, dass die von den Zollbehörden vor dem Inverkehrbringen der mutmaßlich
nachgeahmten Waren durchgeführten zollamtlichen Prüfungen dem Verhältnismäßigkeitsprinzip
entsprächen, da sie unerlässlich seien, um eines der in Artikel 36 EG-Vertrag genannten Ziele
wirksam zu schützen, und dass die Bekämpfung der Nachahmung zur Verteidigung der Interessen der
innovativen Industrien und zur Lauterkeit des Wettbewerbs im Gemeinsamen Markt beitrage.
16.
Da die Kommission diese Antwort als nicht zufriedenstellend beurteilte, richtete sie am 3. Dezember
1997 ein Schreiben an die Französische Republik mit der Aufforderung, binnen zwei Monaten dazu
Stellung zu nehmen. In diesem Schreiben führte die Kommission aus, dass die fraglichen Prüfungs-
und Zurückhaltungsmaßnahmen ihrer Ansicht nach gegen Artikel 30 und 36EG-Vertrag und
möglicherweise auch gegen Artikel 7a Absatz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 14 Absatz 2
EG) verstießen.
17.
In ihrem Antwortschreiben vom 13. Februar 1998 erhielt die Französische Republik ihre bisherige
Argumentation aufrecht und machte insbesondere geltend, dass nach dem vorerwähnten Urteil der
Cour de cassation Asin crespo u. a. gegen Ministère public gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen
der Anwendung innerstaatlicher Vorschriften, die die Zurückhaltung von in Frankreich im Verkehr
befindlichen nachgeahmten Waren erlaubten, nicht entgegenstünden. Die Zollbehörden führten die
zollamtlichen Prüfungen im gesamten Staatsgebiet durch, also auch in den Grenzgebieten; keinesfalls
seien diese Prüfungen aber durch den Grenzübertritt veranlasst.
18.
Mit Schreiben vom 24. Juli 1998 richtete die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme
an die Französische Republik, in der sie ihren Standpunkt zur Natur der von den französischen
Zollbehörden durchgeführten Zurückhaltungsmaßnahmen wiederholte und die Französische Republik
aufforderte, die Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich seien, um dem Gemeinschaftsrecht binnen
zwei Monaten nach Bekanntgabe der Stellungnahme nachzukommen.
19.
In Beantwortung der mit Gründen versehenen Stellungnahme machten die französischen Behörden
mit Schreiben vom 29. September 1998 geltend, dass die Zurückhaltung der Waren den Schutz des
gewerblichen und kommerziellen Eigentums im Sinne des Artikels 36 EG-Vertrag bezwecke und dass
die französischen Rechtsvorschriften die Folgen, die der Gerichtshof aus dem Grundsatz der
Territorialität des nationalen Rechts ableite, in vollem Umfang beachteten.
20.
In Anbetracht dieser Antwort und der Feststellung, dass die Französische Republik die Maßnahmen,
die erforderlich waren, um der begründeten Stellungnahme nachzukommen, nicht ergriffen hatte, hat
die Kommission die vorliegende Klage erhoben.
Gerügte Vertragsverletzung und Würdigung durch den Gerichtshof
21.
Nach Ansicht der Kommission stellt die von den französischen Zollbehörden vorgenommene
Zurückhaltung von Einzelteilen eine gegen Artikel 30 EG-Vertrag verstoßende Beschränkung des
freien Warenverkehrs dar.
22.
Hierzu ist festzustellen, dass die französische Regelung die nationalen Zollbehörden ermächtigt, auf
Antrag des Inhabers eines Rechts an Mustern oder Modellen von Kraftfahrzeugteilen die Teile, die
mutmaßlich nachgeahmte Waren sind, für die Dauer von zehn Tagen zurückzuhalten. Innerhalb dieser
Frist steht es dem Antragsteller frei, die zuständigen nationalen Gerichte zu befassen. Eine solche
Zurückhaltung, die den Verkehr der Waren aufhält und, falls das zuständigeGericht die Einziehung
verfügt, zu deren völliger Blockierung führen kann, bewirkt eine Beschränkung des freien
Warenverkehrs.
23.
Diese Feststellung kann nicht durch das Argument der französischen Regierung in Frage gestellt
werden, dass das Zurückhaltungsverfahren den Warenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten nicht
beschränke, da es nicht nur bei der Einfuhr der Waren nach Frankreich angewendet werde, sondern
an jedem Ort des französischen Staatsgebiets, wo sich die Teile befänden, eingeleitet werden könne.
Da die Zurückhaltung nämlich insbesondere Waren betrifft, die aus anderen Mitgliedstaaten kommen
oder für andere Mitgliedstaaten bestimmt sind, behindert sie den Handel zwischen den
Mitgliedstaaten und stellt grundsätzlich eine gegen Artikel 30 EG-Vertrag verstoßende Maßnahme mit
gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung dar.
24.
Daher ist zu prüfen, ob diese Maßnahme gerechtfertigt sein kann.
25.
Bevor die französische Regierung versucht, das fragliche Zurückhaltungsverfahren auf der
Grundlage von Artikel 36 EG-Vertrag zu rechtfertigen, trägt sie vor, dass die französischen
Rechtsvorschriften über die zollamtliche Zurückhaltung mit verschiedenen abgeleiteten Rechtsakten,
nämlich der Entscheidung Nr. 3052/95, der Verordnung Nr. 3295/94 und Artikel 14 der Richtlinie
98/71, in Einklang stünden.
26.
Die französische Regierung macht zunächst geltend, dass die Mitgliedstaaten ihre Prärogativen im
Bereich der Kontrolle von Waren, die sich in ihrem Staatsgebiet im Verkehr befänden, im Wesentlichen
behalten hätten, und beruft sich hierfür auf die Entscheidung Nr. 3052/95 zur Einführung eines
Verfahrens der gegenseitigen Unterrichtung über einzelstaatliche Maßnahmen, die vom Grundsatz des
freien Warenverkehrs in der Gemeinschaft abweichen. Es sei schwer vorstellbar, dass Maßnahmen, die
gemäß dieser Entscheidung ergriffen und dann mitgeteilt würden, wie z. B. die zollamtliche
Zurückhaltung, um die es im vorliegenden Fall gehe, als solche gegen Gemeinschaftsrecht verstoßen
könnten.
27.
Hierzu genügt es festzustellen, dass die Entscheidung Nr. 3052/95 gemäß ihrer fünften
Begründungserwägung im Wesentlichen darauf abzielt, eine bessere Kenntnis der Durchführung des
freien Warenverkehrs in den nichtharmonisierten Bereichen zu erlangen und die aufgetretenen
Probleme zu ermitteln, um dafür sachgerechte Lösungen zu finden. Sie soll nicht festlegen, welche Art
von Maßnahmen mit den Bestimmungen des Vertrages über den freien Warenverkehr vereinbar sind.
Die Tatsache, dass das Verfahren der zollamtlichen Zurückhaltung zu der Art von Maßnahmen gehört,
die in der Entscheidung Nr. 3052/95 genannt sind, kann daher keinesfalls die Vereinbarkeit eines
solchen Verfahrens mit den Bestimmungen des Vertrages zur Folge haben.
28.
Die französische Regierung trägt ferner vor, dass nach der Verordnung Nr. 3295/94 der Inhaber
eines Rechts an einem Muster oder Modell bei den Zollbehördeneinen schriftlichen Antrag auf deren
Tätigwerden für den Fall stellen könne, dass nachgeahmte Waren aus Drittländern zur Überführung in
den zollrechtlich freien Verkehr, zur Ausfuhr oder zur Wiederausfuhr angemeldet oder im Rahmen einer
zollamtlichen Prüfung entdeckt würden.
29.
Die Verordnung Nr. 3295/94 betreffe zwar nicht den innergemeinschaftlichen Handel, doch könne
der durch die Verordnung im Fall der Einfuhr nachgeahmter Waren aus Drittländern gewährte Schutz
ausgehöhlt werden, wenn diese zunächst in einem Mitgliedstaat, wie z. B. Spanien, in den zollrechtlich
freien Verkehr überführt und so zu Gemeinschaftswaren würden und dann ungehindert durch einen
anderen Mitgliedstaat durchgeführt werden könnten. Die Mitgliedstaaten brauchten demnach nur die
Waren in ihrem Gebiet in den zollrechtlich freien Verkehr zu überführen, um zu verhindern, dass ein
anderer Mitgliedstaat, der sich mehr um den Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums
bemühe, die Waren aufhalte, wenn sein Staatsgebiet nur zur Durchfuhr benutzt werde. Solche
Praktiken nähmen der Verordnung Nr. 3295/94 ihre Substanz oder schränkten zumindest ihr Ziel
beträchtlich ein.
30.
Nach Ansicht der Kommission ist die Verordnung Nr. 3295/94 im vorliegenden Fall nicht einschlägig,
da sie nur den Handel mit Drittländern betreffe. Ferner sei zwar zutreffend, dass die Verordnung
wichtige Kontrollmöglichkeiten eröffne, um die Einfuhr von nachgeahmten Waren aus Drittländern in
die Mitgliedstaaten zu bekämpfen, während solche Möglichkeiten hinsichtlich der Gemeinschaftswaren
nicht bestünden; dies liege aber darin begründet, dass letzteren der im EG-Vertrag bestätigte
Grundsatz des freien Warenverkehrs zugute komme.
31.
Hierzu ist festzustellen, dass Erwägungen zur praktischen Wirksamkeit der Verordnung Nr. 3295/94
einen Verstoß gegen die Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr innerhalb der
Gemeinschaft nicht rechtfertigen können.
32.
Die französische Regierung beruft sich schließlich auf die Vereinbarkeit der französischen
Vorschriften mit Artikel 14 der Richtlinie 98/71. In Ermangelung einer Harmonisierung im Bereich des
Schutzes von Mustern und Modellen könnten die Mitgliedstaaten ihre Rechtsvorschriften in diesem
Bereich beibehalten. Daraus ergebe sich, dass nach Artikel 14 die französischen Vorschriften, die das
fragliche Recht - auch anlässlich der Durchfuhr von Ersatzteilen - schützen sollen, zulässig seien.
33.
Zwar können nach Artikel 14 der Richtlinie 98/71 die Mitgliedstaaten ihre Rechtsvorschriften über
den Schutz von Mustern oder Modellen der dort genannten Teile beibehalten, doch besteht diese
Möglichkeit nur, soweit die nationalen Rechtsvorschriften mit den Vertragsbestimmungen vereinbar
sind. Artikel 14 der genannten Richtlinie kann nicht bewirken, dass alle nationalen Vorschriften im
Bereich des Schutzes der betreffenden Rechte als gültig anzusehen wären. Nach der zwanzigsten
Begründungserwägung der Richtlinie 98/71 müssennämlich die nationalen Rechtsvorschriften in jedem
Fall die Vertragsbestimmungen über den freien Warenverkehr beachten.
34.
Es ist daher zu prüfen, ob die Behinderung des freien Warenverkehrs durch das Verfahren der
zollamtlichen Zurückhaltung - wie die französische Regierung vorträgt - durch die Notwendigkeit
gerechtfertigt ist, das gewerbliche und kommerzielle Eigentum im Sinne des Artikels 36 EG-Vertrag zu
schützen.
35.
Nach Ansicht der Kommission rechtfertigt der Schutz des gewerblichen und kommerziellen
Eigentums nicht die zollamtliche Zurückhaltung von Gemeinschaftswaren im Durchfuhrverkehr, denen
der Grundsatz des freien Warenverkehrs zugute komme, da die bloße Durchfuhr den spezifischen
Inhalt des geschützten Rechts nicht beeinträchtige.
36.
Die französische Regierung ist demgegenüber der Auffassung, dass die
Zurückhaltungsmaßnahmen, die vom Inhaber eines Rechts an Mustern oder Modellen beantragt
würden, zum spezifischen Inhalt des geschützten Rechts, wie er durch die Gemeinschaftsregelung
anerkannt sei, gehörten, da sie die Beachtung seines ausschließlichen Rechts sicherstellen sollten. In
Frankreich fielen die Ersatzteile in den Schutzbereich des Rechts an Mustern und Modellen; jedes
hergestellte Teil, das ohne Zustimmung des Rechtsinhabers in den Handel gebracht worden sei und
sich auf französischem Staatsgebiet befinde, ob zur Ein- oder Ausfuhr bestimmt oder im
Durchfuhrverkehr, stelle eine Nachahmung dar, so dass das Tätigwerden der Zollbehörden in Form
der Zurückhaltung der Ware gerechtfertigt sei.
37.
Um die Frage zu beantworten, ob die im französischen Recht vorgesehene zollamtliche
Zurückhaltung von Waren im Durchfuhrverkehr durch die Ausnahmeregelung des Artikels 36 EG-
Vertrag zum Schutz des gewerblichen und industriellen Eigentums gerechtfertigt ist, ist auf den Zweck
dieser Vorschrift abzustellen, nämlich die Abstimmung der Erfordernisse des freien Warenverkehrs mit
dem Recht am gewerblichen und kommerziellen Eigentum unter Vermeidung der Beibehaltung oder
Schaffung künstlicher Abschottungen innerhalb des Gemeinsamen Marktes. Artikel 36 lässt
Ausnahmen von dem fundamentalen Grundsatz des freien Warenverkehrs innerhalb des
Gemeinsamen Marktes nur insoweit zu, als diese Ausnahmen zur Wahrung der Rechte gerechtfertigt
sind, die den spezifischen Gegenstand dieses Eigentums ausmachen (siehe u. a. Urteile vom 17.
Oktober 1990 in der Rechtssache C-10/89, Hag GF, Slg. 1990, I-3711, Randnr. 12, und vom 22.
September 1998 in der Rechtssache C-61/97, FDV, Slg. 1998, I-5171, Randnr. 13).
38.
Im Falle von Musterrechten sind gewisse Beschränkungen des freien Warenverkehrs für zulässig
erklärt worden, soweit diese den Schutz des spezifischen Inhalts des Rechts am gewerblichen und
kommerziellen Eigentum bezweckten (indiesem Sinne Urteil vom 5. Oktober 1988 in der Rechtssache
53/87, CICRA und Maxicar, Slg. 1988, 6039, Randnr. 11).
39.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes bildet die Befugnis des Inhabers eines geschützten
Modells, Dritte an der Herstellung und dem Verkauf oder der Einfuhr der das Modell verkörpernden
Erzeugnisse ohne seine Zustimmung zu hindern, den spezifischen Inhalt seines Rechts (siehe
insbesondere Urteil vom 5. Oktober 1988 in der Rechtssache 238/87, Volvo, Slg. 1988, 6211, Randnr.
8).
40.
Es ist daher zu prüfen, ob die Befugnis des Inhabers eines geschützten Modells an Ersatzteilen,
Dritte an der Durchfuhr der das genannte Modell verkörpernden Erzeugnisse ohne seine Zustimmung
zu hindern, ebenfalls zum spezifischen Inhalt seines Rechts gehört.
41.
Die französische Regierung macht geltend, dass die zollamtliche Zurückhaltung im Zusammenhang
mit dem spezifischen Inhalt des Rechts an Mustern und Modellen stehe, nämlich dem ausschließlichen
Recht des Inhabers, als erster ein Erzeugnis einer bestimmten Erscheinungsform zu vertreiben. Unter
Berufung auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes und insbesondere auf das Urteil vom 22. Juni
1994 in der Rechtssache C-9/93 (IHT Internationale Heiztechnik und Danziger, Slg. 1994, I-2789) ist die
französische Regierung der Ansicht, dass die Hersteller von Nachbildungen geschützter Teile dieses
ausschließliche Recht missachteten, wenn sie ihre Erzeugnisse ohne Zustimmung des Rechtsinhabers
im Wege der Durchfuhr erstmals im französischem Staatsgebiet in den Verkehr brächten.
42.
Hierzu ist festzustellen, dass die Herstellung, der Verkauf und die Einfuhr eine Nutzung der
Erscheinungsform des Erzeugnisses durch den Dritten implizieren, deren Schutz das Recht an Mustern
und Modellen gerade bezweckt. Die einem Dritten erteilte Erlaubnis, baugleiche Teile herzustellen und
zu vertreiben und so die Erscheinungsform des Originalmodells zu nutzen, ist normalerweise mit der
Zahlung einer Vergütung an den Rechtsinhaber verbunden.
43.
Demgegenüber besteht die innergemeinschaftliche Durchfuhr darin, Waren von einem Mitgliedstaat
in einen anderen zu befördern und dabei das Staatsgebiet eines oder mehrerer Mitgliedstaaten zu
durchqueren; dies impliziert keinerlei Nutzung der Erscheinungsform des geschützten
Geschmacksmusters. Wie der Generalanwalt in Nummer 84 seiner Schlussanträge ausführt, gibt die
Durchfuhr auch keinen Anlass zur Zahlung einer Nutzungsvergütung, wenn die Beförderung von einem
Dritten mit Zustimmung des Rechtsinhabers durchgeführt wird. Die innergemeinschaftliche Durchfuhr
steht daher nicht im Zusammenhang mit dem spezifischen Inhalt des Rechts am gewerblichen oder
kommerziellen Eigentum an Mustern oder Modellen.
44.
Das Inverkehrbringen, um das es in der in Randnummer 41 erwähnten Rechtsprechung - auf die
sich die französische Regierung stützt - geht, bedeutet daher nicht die rein tatsächliche Beförderung
der Waren, sondern besteht darin,die Waren auf den Markt zu bringen, d. h., sie zu vertreiben. Im
vorliegenden Fall wird das Erzeugnis jedoch nicht auf französischem Gebiet, durch das es lediglich
durchgeführt wird, sondern in einem anderen Mitgliedstaat vertrieben, in dem es nicht geschützt ist
und daher rechtmäßig verkauft werden kann.
45.
Da die Herstellung und der Vertrieb des Erzeugnisses in den Mitgliedstaaten, in denen sich diese
Vorgänge abspielen, rechtmäßig sind und die Durchfuhr nicht im Zusammenhang steht mit dem
spezifischen Inhalt des Geschmackmusterrechts in dem Mitgliedstaat, durch den die Durchfuhr erfolgt,
ist die Behinderung des freien Warenverkehrs, die durch die zollamtliche Zurückhaltung des
Erzeugnisses im Durchfuhrstaat mit dem Ziel der Verhinderung der Durchfuhr erfolgt, nicht durch
Gründe des Schutzes des gewerblichen und kommerziellen Eigentums gerechtfertigt.
46.
Die französische Regierung trägt ferner vor, dass die auf zehn Tage begrenzte zollamtliche
Zurückhaltung jedenfalls notwendig sei, um sich davon zu überzeugen, dass die Waren tatsächlich
nicht in Frankreich, sondern in einem anderen Mitgliedstaat hergestellt worden und auch für einen
anderen Mitgliedstaat bestimmt seien.
47.
Hierzu ist festzustellen, dass sich aus den Akten und den Ausführungen der französischen
Regierung in der mündlichen Verhandlung ergibt, dass die zehntägige zollamtliche Zurückhaltung
nicht in erster Linie dazu dient, den Mitgliedstaat der Herkunft und den der Bestimmung der Waren zu
identifizieren, sondern dem Rechtsinhaber zu erlauben, die Waren untersuchen zu lassen, um den
Beweis zu erbringen, dass sie nichtgenehmigte Nachbildungen von Teilen und daher nach
französischem Recht nachgeahmte Waren darstellen. Da aber die bloße Durchfuhr von
nichtgenehmigten Nachbildungen nicht im Zusammenhang mit dem spezifischen Inhalt des
Geschmacksmusterrechts steht, kann die Prüfung der Teile mit dem Ziel des Nachweises, dass sie
solche Nachbildungen sind, ihre zollamtliche Zurückhaltung nicht rechtfertigen.
48.
Eine Überprüfung der Herkunft und des Zieles der Waren im Durchfuhrverkehr sollte an Ort und
Stelle durchgeführt werden können, soweit der Beförderer die einschlägigen Unterlagen mitführt oder
sie sich sofort beschaffen kann. Jedenfalls ist eine Zurückhaltung für die Dauer von bis zu zehn Tagen
- gemessen am Zweck einer solchen Überprüfung - unverhältnismäßig und kann daher nicht durch
den Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums im Sinne des Artikels 36 EG-Vertrag
gerechtfertigt sein.
49.
Demzufolge ist festzustellen, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen
aus Artikel 30 EG-Vertrag verstoßen hat, dass sie auf der Grundlage des Code de la propriété
intellectuelle durch die Zollbehörden Verfahren zur Zurückhaltung von Waren durchgeführt hat, die in
einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft rechtmäßig hergestellt und dazubestimmt waren,
nach ihrer Durchfuhr durch französisches Hoheitsgebiet in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie
rechtmäßig vertrieben werden dürfen, in den Verkehr gebracht zu werden.
Kosten
50.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Französischen Republik beantragt hat
und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind der Französischen Republik die Kosten
aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-
Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen, dass sie auf der Grundlage des
Code de la propriété intellectuelle Verfahren zur Zurückhaltung von Waren durch die
Zollbehörden durchgeführt hat, die in einem Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaft
rechtmäßig hergestellt und dazu bestimmt waren, nach ihrer Durchfuhr durch
französisches Hoheitsgebiet in einem anderen Mitgliedstaat, in dem sie rechtmäßig
vertrieben werden dürfen, in den Verkehr gebracht zu werden.
2. Die Französische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.
Rodríguez Iglesias
Moitinho de Almeida
Sevón
Kapteyn Puissochet
Jann
Ragnemalm Wathelet
Skouris
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 26. September 2000.
Der Kanzler
Der Präsident
R. Grass
G. C. Rodríguez Iglesias
Verfahrenssprache: Französisch.