Urteil des EuGH vom 20.01.2005

EuGH: arzneimittel, nummer, berechnung der frist, empfehlung, kommission, regierung, erlass, nichtigerklärung, aussetzung, transparenz

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
20. Januar 200
„Richtlinie 89/105/EWG – Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch – Antrag auf Aufnahme in eine
Positivliste – Natur der Frist für die Beantwortung – Zwingender Charakter – Folgen einer Überschreitung der
Frist im Fall der Nichtigerklärung einer ablehnenden Entscheidung“
In der Rechtssache C-296/03
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Artikel 234 EG, eingereicht vom Conseil d'État (Belgien)
mit Beschluss vom 27. Juni 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Juli 2003, in dem Verfahren
Glaxosmithkline SA
gegen
Belgischer Staat
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richterin R. Silva de Lapuerta
(Berichterstatterin) sowie der Richter C. Gulmann, P. Kūris und G. Arestis,
Generalanwalt: A. Tizzano,
Kanzler: M. Múgica Arzamendi, Hauptverwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. Juli 2004,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
der Glaxosmithkline SA, vertreten durch S. Callens und S. Brillon, avocats,
der belgischen Regierung, vertreten durch E. Dominkovits als Bevollmächtigte im Beistand von L. Levi und
L. Depré, avocats,
der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten,
der niederländischen Regierung, vertreten durch H. G. Sevenster als Bevollmächtigte,
der finnischen Regierung, vertreten durch T. Pynnä und A. Guimaraes-Purokoski als Bevollmächtigte,
der norwegischen Regierung, vertreten durch A. Enersen und F. Platou Amble als Bevollmächtigte,
der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Stromsky als Bevollmächtigten,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 30. September 2004,
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 6 Nummer 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie
89/105/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung
der Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die
staatlichen Krankenversicherungssysteme (ABl. 1989, L 40, S. 8, im Folgenden: Richtlinie).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Glaxosmithkline SA (im Folgenden:
Klägerin) und dem Belgischen Staat wegen der Weigerung, des Ministers für Soziales und Renten (im
Folgenden: Minister), die Arzneispezialität Infanrix Hexa im Rahmen der Gesundheitspflege‑ und
Entschädigungspflichtversicherung zur Erstattung zuzulassen. Diese Entscheidung erging, nachdem der
Conseil d’État eine frühere Entscheidung dieses Ministers für nichtig erklärt hatte. Die Klägerin begehrt ihre
Nichtigerklärung im Wesentlichen mit der Begründung, der Minister sei für ihren Erlass ratione temporis nicht
mehr zuständig gewesen.
Rechtlicher Rahmen
3
Artikel 6 der Richtlinie bestimmt:
„Ist ein Arzneimittel durch das staatliche Krankenversicherungssystem nur gedeckt, wenn die zuständigen
Behörden beschlossen haben, das betreffende Arzneimittel in eine Positivliste der unter das staatliche
Krankenversicherungssystem fallenden Arzneimittel aufzunehmen, so gilt Folgendes:
1.
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Entscheidung über einen Antrag auf Aufnahme eines
Arzneimittels in die Liste der unter das Krankenversicherungssystem fallenden Arzneimittel, der vom
Inhaber einer Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß den Vorschriften des betreffenden
Mitgliedstaats gestellt worden ist, innerhalb von neunzig Tagen nach Eingang des Antrags getroffen
und dem Antragsteller mitgeteilt wird. Kann ein Antrag nach diesem Artikel gestellt werden, bevor die
zuständigen Behörden dem Preis zugestimmt haben, der für das Erzeugnis gemäß Artikel 2 verlangt
werden soll, oder wird über den Preis eines Arzneimittels und über dessen Aufnahme in die Liste der
unter das Krankenversicherungssystem fallenden Erzeugnisse in einem einzigen Verwaltungsverfahren
entschieden, wird die Frist um neunzig Tage verlängert. Der Antragsteller macht den zuständigen
Behörden ausreichende Angaben. Sind die Angaben zur Begründung des Antrags unzureichend, so
wird die Frist ausgesetzt, und die zuständigen Behörden teilen dem Antragsteller unverzüglich mit,
welche zusätzlichen Einzelangaben erforderlich sind.
Lässt ein Mitgliedstaat nicht zu, dass ein Antrag nach diesem Artikel gestellt werden kann, bevor die
zuständigen Behörden dem Preis zugestimmt haben, der für das Erzeugnis gemäß Artikel 2 verlangt werden
soll, so muss er sicherstellen, dass die Dauer der beiden Verfahren zusammen 180 Tage nicht übersteigt.
Diese Frist kann nach Artikel 2 verlängert oder nach Unterabsatz 1 ausgesetzt werden.
2.
Eine Entscheidung, ein Arzneimittel nicht in die Liste der unter das Krankenversicherungssystem
fallenden Erzeugnisse aufzunehmen, muss eine auf objektiven und überprüfbaren Kriterien beruhende
Begründung enthalten; gegebenenfalls sind zugrunde liegende Stellungnahmen oder Empfehlungen
von Sachverständigen hierin anzugeben. Der Antragsteller ist über Rechtsmittel und
Rechtsmittelfristen zu belehren.“
4
An dem Tag, an dem der streitige Aufnahmeantrag gestellt wurde, war die Aufnahme von Arzneimitteln in die
Liste der erstattungsfähigen Arzneispezialitäten durch das am 14. Juli 1994 koordinierte Gesetz über die
Gesundheitspflege‑ und Entschädigungspflichtversicherung in der Fassung des am 1. Januar 2002 in Kraft
getretenen Gesetzes vom 10. August 2001 über Maßnahmen im Bereich der Gesundheitspflege geregelt,
durch das die Richtlinie in belgisches Recht umgesetzt wurde. Der Königliche Erlass vom 21. Dezember 2001
über die Verfahren, Fristen und Voraussetzungen für die Beteiligung der Gesundheitspflege‑ und
Entschädigungspflichtversicherung an den Kosten von Arzneispezialitäten vervollständigt diesen nationalen
rechtlichen Rahmen.
5
Artikel 35bis § 3 des am 14. Juli 1994 koordinierten Gesetzes bestimmt:
„…
Ergeht innerhalb von 180 Tagen ab dem Tag des Erhalts der Akte, der durch das Sekretariat der Kommission
für die Erstattung von Arzneimitteln mitgeteilt wird, keine Entscheidung [über den Antrag auf Aufnahme in
die Liste der erstattungsfähigen Arzneispezialitäten], so gilt dies als positive Entscheidung in Bezug auf die
Erstattungsgrundlage, die Erstattungsvoraussetzungen und die Erstattungskategorien, wie sie der
Antragsteller vorgeschlagen hat …“
6
Artikel 22 § 3 des Gesetzes vom 10. August 2001 bestimmt:
„Anträge auf Intervention, die vor dem 1. Januar 2002 ordnungsgemäß gestellt und deren Akten bereits als
vollständig angesehen worden sind, werden weiterhin nach den vor dem 1. Januar 2002 geltenden Regeln
behandelt, wobei diese Anträge innerhalb einer Frist von 90 Tagen ab der Mitteilung des vom für Wirtschaft
zuständigen Minister festgesetzten Preises oder ab der Mitteilung der Stellungnahme der
Transparenzkommission, wenn diese später erfolgt, zu prüfen sind.
Für Anträge, für die der Antragsteller am 1. Januar 2002 bereits den vom für Wirtschaft zuständigen Minister
festgesetzten Preis sowie die Stellungnahme der Transparenzkommission mitgeteilt hat, beginnt die Frist von
90 Tagen am 1. Januar 2002.
Ergeht innerhalb der in den Absätzen 1 und 2 genannten Fristen von 90 Tagen keine Entscheidung, wird die
Akte der Kommission für die Erstattung von Arzneimitteln übersandt.
Der König bestimmt die Bedingungen für diese Übersendung und das einzuhaltende Verfahren.“
7
Zu den Anträgen im Sinne von Artikel 22 § 3 des zitierten Gesetzes heißt es in Artikel 100 § 3 des Königlichen
Erlasses vom 21. Dezember 2001:
„…
Ist in diesen Fällen innerhalb der in Artikel 22 § 3 des Gesetzes vom 10. August 2001 genannten Frist von 90
Tagen keine Entscheidung getroffen worden, leitet der Vorsitzende des Fachbeirats für Arzneispezialitäten
sie an das Sekretariat der Kommission für die Erstattung von Arzneimitteln weiter.
Ergeht innerhalb von 90 Tagen ab dem Tag der Übersendung keine Entscheidung des Ministers, setzt der
beauftragte Beamte die betroffenen Antragsteller hiervon unverzüglich in Kenntnis. Dieser Mitteilung sind
der jüngste Vorschlag des Antragstellers zur Änderung der Liste und der Hinweis beizufügen, dass die Liste
mit Wirkung vom ersten Tag des Monats, der auf den Ablauf einer Frist von 10 Tagen ab ihrer
Veröffentlichung im [] folgt, entsprechend angepasst wird“.
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefrage
8
Am 3. Dezember 2001 beantragte die Klägerin beim Institut national d’assurance maladie-invalidité
(staatliche Anstalt für Kranken- und Invaliditätsversicherung; im Folgenden: INAMI) „die Zulassung der
Arzneispezialität Infanrix Hexa, eines Diphtherie‑, Tetanus‑, azellulären Pertussis-, rekombinanten Hepatitis B
(adsorbiert)‑, inaktivierten Poliomyelitis‑ und adsorbierten konjugierten Haemophilus-influenzae-
Typ‑b‑Impfstoffs, … zur Erstattung“.
9
Die Klägerin vervollständigte ihre Unterlagen vor dem 1. Januar 2002. Am 22. Januar sandte sie ein Schreiben
an den Conseil technique des spécialités pharmaceutiques (Fachbeirat für Arzneispezialitäten; im
Folgenden: CTSP), in dem sie u. a. klarstellte, dass sie für diesen Impfstoff eine Erstattung nach der
Kategorie A (vollständige Erstattung) beantrage.
10
Am 7. Mai 2002 teilte der CTSP der Klägerin mit, da er innerhalb der ihm nach nationalem Recht gesetzten
Frist keine endgültige Empfehlung abgegeben habe, habe er den fraglichen Antrag an die Commission de
remboursement des médicaments (Kommission für die Erstattung von Arzneimitteln; im Folgenden: CRM)
weitergeleitet; diese habe am 7. Mai 2002 eine mit Gründen versehene vorläufige Empfehlung abgegeben, in
der sie sich – unter bestimmten Bedingungen – für die Zulassung des fraglichen Impfstoffs zur Erstattung
nach dem Kriterium „B-neu“ ausgesprochen habe.
11
Am 21. Mai 2002 gab die CRM, nachdem die Klägerin sich zu dieser Empfehlung geäußert hatte, ihre
endgültige mit Gründen versehene Empfehlung ab, die ihre vorläufige Empfehlung bestätigte.
12
Am 29. Mai 2002 gab die CRM der Klägerin diese Empfehlung bekannt. Sie wies darauf hin, dass diese
endgültige Empfehlung dem Minister übermittelt worden sei und dass dieser innerhalb von 90 Tagen nach
der Übermittlung der Unterlagen vom CTSP an die CRM eine begründete Entscheidung treffen werde.
13
Mit Schreiben vom 27. Juni 2002 teilte der Minister der Klägerin mit, er habe entschieden, den Impfstoff
Infanrix Hexa nicht in die Liste der erstattungsfähigen Arzneimittel aufzunehmen, und zwar aus folgenden
Gründen:
„Die Bestandteile dieses Impfstoffs sind bereits einzeln erstattungsfähig. Die interministerielle Konferenz
Öffentliches Gesundheitswesen hat sich für eine einheitliche Politik der Grundimpfung ausgesprochen, die
noch von den Gemeinschaften und der föderalen Regierung gemeinsam festzulegen ist. Um die zukünftigen
Verhandlungen nicht zu beeinflussen, entspreche ich Ihrem Antrag nicht …“
14
Die Klägerin erhob gegen diese Entscheidung eine Nichtigkeitsklage beim Conseil d’État und stellte einen
Antrag auf Aussetzung des Vollzugs.
15
Mit Urteil vom 11. Dezember 2002 erklärte der Conseil d’État die angefochtene Entscheidung für nichtig. Er
begründete dies im Wesentlichen wie folgt:
Zum einen habe der Minister nur aufgrund von sozialen oder budgetären Erwägungen oder einer
Kombination von beiden von der endgültigen Empfehlung der CRM abweichen können,
zum anderen sei die Begründung der angefochtenen Entscheidung zum Teil sachlich unrichtig und
enthalte im Übrigen keine ausreichende Rechtfertigung durch soziale oder budgetäre Erwägungen.
16
Mit Schreiben vom 7. Januar 2003 stellte die Klägerin beim INAMI den Antrag, den Impfstoff Infanrix Hexa
entsprechend der zuletzt erfolgten Zulassungsempfehlung in die Liste der erstattungsfähigen
Arzneispezialitäten aufzunehmen. Über den Antrag auf Zulassung dieses Impfstoffs zur Erstattung könne
nämlich keine ordnungsgemäße Entscheidung mehr getroffen werden, da die nach nationalem Recht
gesetzten Fristen für die Entscheidung über den Zulassungsantrag abgelaufen seien und dem Antrag auf
Aufnahme nach nationalem Recht in einem solchen Fall automatisch stattgegeben werden müsse.
17
Am 17. Januar 2003 teilte der Minister der Klägerin mit, dass er die Aufnahme des Impfstoffs Infanrix Hexa in
die Liste der erstattungsfähigen Arzneimittel aus sozialen oder budgetären Gründen, die er im Einzelnen
anführte, ablehne. Im Übrigen vertrat er, im Gegensatz zur Klägerin, die Auffassung, das Urteil des Conseil
d’État eröffne ihm eine neue Frist von 30 Tagen nach Zustellung des Urteils, um über den Antrag zu
entscheiden; er sei nicht verpflichtet, die Arzneispezialität automatisch in die Positivliste der
erstattungsfähigen Arzneimittel aufzunehmen.
18
Die Klägerin ersuchte den Conseil d’État um Nichtigerklärung dieser Entscheidung vom 17. Januar 2003, im
Wesentlichen mit der Begründung, der Minister sei für den Erlass einer solchen Entscheidung ratione
temporis nicht mehr zuständig gewesen.
19
Der Conseil d’État (Sechste Kammer) hat das Verfahren unter diesen Bedingungen ausgesetzt und dem
Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist die Frist von 90 Tagen, verlängerbar um weitere 90 Tage, die in Artikel 6 Nummer 1 Unterabsatz 1 der
Richtlinie 89/105/EWG vom 21. Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der
Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen
Krankenversicherungssysteme genannt ist, als Ausschlussfrist anzusehen, die ab dem Zeitpunkt ihres
Ablaufs jede Entscheidung verhindert, auch wenn eine fristgemäß getroffene erste Entscheidung für nichtig
erklärt worden ist?
Zur Vorlagefrage
20
Die Klägerin macht vorab geltend, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, da diese Frage für die
Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits unerheblich sei. Diese Entscheidung folge bereits eindeutig aus
Artikel 35bis § 3 des am 14. Juli 1994 koordinierten Gesetzes, der nicht nur eine Ausschlussfrist vorsehe,
sondern auch bestimme, dass eine Verletzung dieser Frist die automatische Aufnahme des Arzneimittels in
die Liste der erstattungsfähigen Erzeugnisse zur Folge habe. Es sei daher nicht erforderlich, in der
Gemeinschaftsrichtlinie eine Lösung zu suchen, die sich in Wirklichkeit bereits eindeutig aus dem nationalen
Recht ergebe.
21
Dieser Auffassung kann allerdings nicht gefolgt werden.
22
Nach ständiger Rechtsprechung ist der Gerichtshof in den Fällen nicht für die Beantwortung einer von einem
nationalen Gericht vorgelegten Frage zuständig, in denen offensichtlich ist, dass die Auslegung oder die
Beurteilung der Gültigkeit einer Gemeinschaftsvorschrift, um die das vorlegende Gericht ersucht, in keinem
Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, oder wenn das
Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben
verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Frage erforderlich sind (vgl. Urteile
vom 13. März 2001 in der Rechtssache C‑379/98, PreussenElektra, Slg. 2001, I‑2099, Randnr. 39, und vom
22. Januar 2002 in der Rechtssache C‑390/99, Canal Satélite Digital, Slg. 2002, I‑607, Randnr. 19).
23
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. In der vorliegenden Rechtssache ist nämlich Gegenstand des
Ausgangsverfahrens die Bedeutung, die der Verfahrensfrist des Artikels 6 der Richtlinie zukommt, die durch
das Gesetz vom 14. Juli 1994 in die belgische Rechtsordnung umgesetzt wurde. Die Auslegung der
Gemeinschaftsvorschrift steht somit in eindeutigem Zusammenhang mit dem Gegenstand des
Ausgangsverfahrens.
24
Folglich ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.
25
Um diese Frage sachdienlich beantworten zu können, muss erstens festgestellt werden, welchen Charakter
die in Artikel 6 Nummer 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 89/105 festgesetzte Frist hat, und zweitens, welche
Folgen die Richtlinie im Fall einer Überschreitung dieser Frist vorsieht, insbesondere, ob diese
Überschreitung es der zuständigen Behörde verwehrt, eine neue Entscheidung zu erlassen, wenn sie
fristgemäß eine erste Entscheidung getroffen hat und diese später gerichtlich für nichtig erklärt worden ist.
26
Zur Frage des Ordnungs- oder Ausschlusscharakters der Frist des Artikels 6 Nummer 1 Unterabsatz 1 der
Richtlinie ergibt sich, wie der Generalanwalt in Nummer 36 seiner Schlussanträge festgestellt hat, aus dem
Wortlaut wie aus der Struktur dieser Vorschrift, dass diese Frist als Ausschlussfrist anzusehen ist.
27
Zum einen zeigen nämlich die Verwendung des Verbs „sicherstellen“ im Indikativ sowie die genaue
Festlegung der Modalitäten für die Berechnung der Frist, dass die zuständigen Behörden verpflichtet sind,
die vorgegebene Frist beim Erlass ihrer Entscheidungen zu beachten.
28
Zum anderen legt Artikel 6 Nummer 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie auch genau die Bedingungen für die
Verlängerung und die Aussetzung der fraglichen Frist fest. Die genaue Angabe dieser Bedingungen wäre
jedoch überflüssig, wenn es den Mitgliedstaaten freistünde, diese Frist nicht zu beachten.
29
Diese Auslegung von Artikel 6 Nummer 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie wird durch deren Zweck bestätigt, der
– wie sich aus ihrer sechsten Begründungserwägung ergibt – darin besteht, den Betroffenen die Möglichkeit
zu bieten, sich zu vergewissern, dass die Aufnahme von Arzneimitteln durch die Behörden nach objektiven
Kriterien erfolgt und inländische Arzneimittel und solche aus anderen Mitgliedstaaten nicht unterschiedlich
behandelt werden (vgl. Urteil vom 12. Juni 2003 in der Rechtssache C‑229/00, Kommission/Finnland, Slg.
2003, I‑5727, Randnr. 39).
30
Aufgrund dessen ist auf den ersten Teil der Vorabentscheidungsfrage zu antworten, dass die in Artikel 6
Nummer 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie festgesetzte Frist eine Ausschlussfrist ist, die von den Mitgliedstaaten
nicht überschritten werden darf.
31
Im Zusammenhang mit dem Ausschlusscharakter der Frist des Artikels 6 Nummer 1 Unterabsatz 1 der
Richtlinie stellt sich die Frage, ob ihre Überschreitung es den zuständigen Behörden verwehrt, eine neue
Entscheidung zu erlassen, die eine frühere, innerhalb der gesetzten Frist erlassene, aber gerichtlich für
nichtig erklärte Entscheidung bestätigt.
32
Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass Artikel 6 Nummer 1 der Richtlinie klar und eindeutig die Frist
festlegt, innerhalb deren eine Entscheidung über den Antrag auf Aufnahme der Arzneimittel in die Liste der
unter das Krankenversicherungssystem fallenden Arzneimittel zu erlassen und mitzuteilen ist, und die Fälle
der Aussetzung und der Verlängerung regelt. Zum anderen bestimmt Artikel 6 Nummer 2, dass die
Entscheidung zu begründen ist und dass es Sache des nationalen Rechts ist, die dem Antragsteller zur
Verfügung stehenden Rechtsmittel und Fristen festzulegen.
33
Allerdings regelt die Richtlinie nicht den Fall, in dem eine neue Entscheidung erlassen werden muss,
nachdem eine frühere, fristgemäß ergangene Entscheidung gerichtlich für nichtig erklärt worden ist.
34
Alle Beteiligten, die in der vorliegenden Rechtssache Erklärungen abgegeben haben, sind der Auffassung,
ein solcher Fall werde vom nationalen Recht geregelt. Indessen gehen die Auffassungen über die
Modalitäten des Erlasses einer solchen neuen Entscheidung auseinander. Die Klägerin des
Ausgangsverfahrens ist der Ansicht, die gerichtliche Nichtigerklärung einer Entscheidung stehe dem Erlass
einer neuen Entscheidung entgegen und stelle damit eine stillschweigende Bewilligung des Antrags auf
Aufnahme der Arzneimittel in die Liste der erstattungsfähigen Arzneimittel dar. Demgegenüber sind die
belgische und die finnische Regierung der Meinung, wenn die Auswirkungen der Fristüberschreitung durch
nationales Recht geregelt würden, stünde nichts der Eröffnung einer neuen gesetzlichen Frist entgegen, die
es den zuständigen Behörden erlaubte, über den Antrag auf Aufnahme in die Liste der erstattungsfähigen
Arzneimittel zu entscheiden. Die Kommission wiederum ist der Auffassung, es sei Sache der Mitgliedstaaten,
die Klagen gegen die fraglichen Entscheidungen und die Auswirkungen der Urteile, die diese für nichtig
erklärten, zu regeln.
35
Insoweit lässt sich aus dem Wortlaut wie aus den Zielen der Richtlinie ableiten, dass diese einen effektiven
gerichtlichen Rechtsschutz gewährleisten will. Daraus folgt, dass jeder Person, deren ursprünglicher Antrag
auf Aufnahme in die Liste durch eine Entscheidung zurückgewiesen wurde, die später für nichtig erklärt
wurde, ein Anspruch auf eine neue Entscheidung über ihren Aufnahmeantrag gewährleistet werden muss,
sei es in der Form einer stillschweigenden Entscheidung über die Aufnahme aufgrund des Ablaufs der
ursprünglichen Frist oder in der Form des förmlichen Erlasses einer neuen Entscheidung.
36
Im letzteren Fall muss dann die Frist bestimmt werden, innerhalb deren eine solche Entscheidung ergehen
muss.
37
Auch wenn die Richtlinie diese Frage nicht regelt, ergibt sich gleichwohl aus den genannten Erfordernissen
eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, dass das Gemeinschaftsrecht der Freiheit der Mitgliedstaaten
auf diesem Gebiet insoweit eine Grenze setzt, als die neue Entscheidung nicht innerhalb eines beliebigen
Zeitraums ergehen darf, sondern innerhalb eines angemessenen Zeitraums getroffen werden muss, der
jedenfalls nicht die Frist des Artikels 6 der Richtlinie überschreitet.
38
Ohne eine solche Beschränkung würde die Ausübung des dem Antragsteller zustehenden Rechts, innerhalb
einer Ausschlussfrist von 90 Tagen, die um weitere 90 Tage verlängert werden kann, eine mit Gründen
versehene Entscheidung zu erhalten, übermäßig erschwert (vgl. Urteile vom 24. September 2002 in der
Rechtssache C‑255/00, Grundig Italiana, Slg. 2002, I‑8003, Randnr. 33, und vom 9. Dezember 2003 in der
Rechtssache C‑129/00, Kommission/Italien, noch nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 25).
Die Mitgliedstaaten könnten nämlich für die Durchführung des Nichtigkeitsurteils eine längere Frist als die
nach der Richtlinie für den Abschluss des Verwaltungsverfahrens vorgesehene festsetzen. Dann würde
jedoch dieses Nichtigkeitsurteil nicht das Recht des Antragstellers schützen.
39
Aufgrund dessen ist auf den zweiten Teil der Vorabentscheidungsfrage zu antworten, dass es Sache der
Mitgliedstaaten ist, zu bestimmen, ob die Überschreitung der in Artikel 6 Nummer 1 Unterabsatz 1 der
Richtlinie festgesetzten Frist es den zuständigen Behörden verwehrt, förmlich eine neue Entscheidung zu
erlassen, wenn die vorhergehende Entscheidung gerichtlich für nichtig erklärt worden ist, wobei von dieser
Möglichkeit nur innerhalb eines angemessenen Zeitraums Gebrauch gemacht werden kann, der die in
diesem Artikel vorgesehene Frist jedenfalls nicht überschreiten darf.
Kosten
40
Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht
anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer
Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:
1.
Die in Artikel 6 Nummer 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 89/105/EWG des Rates vom 21.
Dezember 1988 betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Regelung der
Preisfestsetzung bei Arzneimitteln für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung
in die staatlichen Krankenversicherungssysteme festgesetzte Frist ist eine
Ausschlussfrist, die von den Mitgliedstaaten nicht überschritten werden darf.
2.
Es ist Sache der Mitgliedstaaten, zu bestimmen, ob die Überschreitung der in Artikel 6
Nummer 1 Unterabsatz 1 der Richtlinie 89/105/EWG festgesetzten Frist es den zuständigen
Behörden verwehrt, förmlich eine neue Entscheidung zu erlassen, wenn die
vorhergehende Entscheidung gerichtlich für nichtig erklärt worden ist, wobei von dieser
Möglichkeit nur innerhalb eines angemessenen Zeitraums Gebrauch gemacht werden
kann, der die in diesem Artikel vorgesehene Frist jedenfalls nicht überschreiten darf.
Unterschriften.
Verfahrenssprache: Französisch.