Urteil des EuGH vom 27.02.2003

EuGH: allgemeininteresse, stadt, begriff, holding, gesellschaft, regierung, unternehmung, kontrolle, kommission, rechtspersönlichkeit

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Fünfte Kammer)
27. Februar 2003
„Richtlinie 93/36/EWG - Öffentliche Lieferaufträge - Begriff des öffentlichen Auftraggebers - Einrichtung des
öffentlichen Rechts - Bestattungsunternehmen“
In der Rechtssache C-373/00
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Vergabekontrollsenat des Landes Wien (Österreich)
in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Adolf Truley GmbH
gegen
Bestattung Wien GmbH
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie
93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher
Lieferaufträge (ABl. L 199, S. 1)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Wathelet sowie der Richter C. W. A. Timmermans
(Berichterstatter), P. Jann, S. von Bahr und A. Rosas,
Generalanwalt: S. Alber
Kanzler: H. A. Rühl, Hauptverwaltungsrat
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Adolf Truley GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt S. Heid,
- der Bestattung Wien GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt P. Madl,
- der österreichischen Regierung, vertreten durch H. Dossi als Bevollmächtigten,
- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues, A. Bréville-Viéville und S. Pailler als
Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch M. Nolin als Bevollmächtigten im
Beistand von Rechtsanwalt R. Roniger,
- der EFTA-Überwachungsbehörde, vertreten durch E. Wright als Bevollmächtigte,
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. März 2002,
folgendes
Urteil
1.
Der Vergabekontrollsenat des Landes Wien hat mit Beschluss vom 14. September 2000, beim
Gerichtshof eingegangen am 11. Oktober 2000, gemäß Artikel 234 EG drei Fragen nach der
Auslegung von Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die
Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199, S.1) zur
Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit der Adolf Truley GmbH (im Folgenden:
Antragstellerin) mit Sitz in Drosendorf an der Thaya (Österreich) gegen die Bestattung Wien GmbH (im
Folgenden: Antragsgegnerin) mit Sitz in Wien (Österreich), in dem es um die Entscheidung der
Antragsgegnerin geht, das Angebot der Antragstellerin im Rahmen eines Auftrags über die Lieferung
von Sargausstattungen nicht anzunehmen.
Rechtlicher Rahmen
3.
Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 93/36 bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie
...
b) gelten als öffentliche Auftraggeber der Staat, Gebietskörperschaften, Einrichtungen des
öffentlichen Rechts und Verbände, die aus einer oder mehreren dieser Körperschaften oder
Einrichtungen bestehen.
Als Einrichtung des öffentlichen Rechts gilt jede Einrichtung,
- die zu dem besonderen Zweck gegründet wurde, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu
erfüllen, die nicht gewerblicher Art sind, und
- die Rechtspersönlichkeit besitzt und
- die überwiegend vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des
öffentlichen Rechts finanziert wird oder die hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht durch Letztere
unterliegt oder deren Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgan mehrheitlich aus Mitgliedern
besteht, die vom Staat, von Gebietskörperschaften oder von anderen Einrichtungen des öffentlichen
Rechts ernannt worden sind.
Die Verzeichnisse der Einrichtungen des öffentlichen Rechts und der Kategorien solcher
Einrichtungen, die die in Unterabsatz 2 des vorliegenden Buchstabens genannten Kriterien erfüllen,
sind in Anhang I der Richtlinie 93/37/EWG enthalten. Diese Verzeichnisse sind so vollständig wie
möglich und können nach dem Verfahren des Artikels 35 der Richtlinie 93/37/EWG geändert werden.“
Die Regelung der Vergabe öffentlicher Aufträge
4.
Die Vergabe öffentlicher Aufträge unterliegt in Österreich teilweise der Bundeszuständigkeit,
teilweise der Zuständigkeit der Länder. Im Land Wien ist dieser Bereich durch das Wiener
Landesvergabegesetz (im Folgenden auch: WLVergG) (Wiener LGBl. Nr. 36/1995 in der in LGBl. Nr.
30/1999 kundgemachten Fassung) geregelt.
5.
§ 12 Absatz 1 WLVergG bestimmt:
„Dieses Landesgesetz gilt für die Auftragsvergabe durch öffentliche Auftraggeber. Öffentliche
Auftraggeber im Sinne dieses Landesgesetzes sind
1. Wien als Land oder Gemeinde sowie
2. Einrichtungen auf landesrechtlicher Grundlage, soweit sie zu dem Zweck gegründet wurden, im
Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen, die nicht kommerzieller Art sind, wenn sie zumindest
teilrechtsfähig sind, und
a) mehrheitlich von Organen der Stadt Wien oder eines anderen Rechtsträgers im Sinne der Z 1
bis 4 oder von Personen verwaltet werden, die hierzu von Organen der genannten Rechtsträger
bestellt sind, oder
b) hinsichtlich ihrer Leitung der Aufsicht der Stadt Wien oder anderer Rechtsträger im Sinne der Z
1 bis 4 unterliegen, oder
c) überwiegend von der Stadt Wien oder von anderen Rechtsträgern im Sinne der Z 1 bis 4
finanziert werden,
3. ...
4. ...“
Die Wiener Stadtverfassung
6.
§ 71 der Wiener Stadtverfassung in der im Wiener LGBl. Nr. 17/1999 vom 18. März 1999
kundgemachten Fassung (im Folgenden: WStV) bestimmt u. a.:
„(1) Unternehmungen im Sinne dieses Gesetzes sind jene wirtschaftlichen Einrichtungen, denen der
Gemeinderat die Eigenschaft einer Unternehmung zuerkennt. Der Gemeinderat kann auch
beschließen, dass sich eine Unternehmung in mehrere Teilunternehmungen gliedert.
(2) Die Unternehmungen besitzen keine Rechtspersönlichkeit. Ihr Vermögen wird vom übrigen
Vermögen der Gemeinde gesondert verwaltet. Die Unternehmungen sind nach wirtschaftlichen
Grundsätzen zu führen. Soweit eine Eintragung der Unternehmungen in das Firmenbuch erfolgt, muss
aus der Firmabezeichnung ersichtlich sein, dass es sich um eine Unternehmung der Stadt Wien
handelt.
(3) Der Gemeinderat hat insbesondere unter Bedachtnahme auf den zweiten Absatz des § 67 für die
Unternehmungen durch Verordnung ein Statut zu beschließen. Die Geschäftsordnung und die
Geschäftseinteilung (§ 91) gelten für die Unternehmungen nur insoweit, als darin auf die
Unternehmungen ausdrücklich Bezug genommen wird. In dem Statut sind unter dem Gesichtspunkt
der Zweckmäßigkeit, Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit sowie unter Bedachtnahme auf die erhöhte
Selbständigkeit der Unternehmungen gegenüber den übrigen Teilen des Magistrats bei der
Besorgung der Aufgaben die näheren Vorschriften über die Organe, ihren Wirkungskreis, über ihre
Einrichtung und Geschäftsführung, über die Führung nach wirtschaftlichen Grundsätzen sowie über
die Grundsätze des Rechnungswesens und der Rechnungslegung zu treffen. Die allgemein in
Personalangelegenheiten bestehenden Zuständigkeiten der Gemeindeorgane gelten auch für die
Unternehmungen. Bei der Festlegung der sonstigen Zuständigkeiten ist vorzubehalten:
1. dem Gemeinderat:
a) die Zuerkennung und die Aufhebung der Eigenschaft einer Unternehmung;
b) die Gliederung einer Unternehmung in Teilunternehmungen;
c) die Festlegung der wesentlichen Unternehmensziele, von Leitlinien, Zielplänen und
Verwaltungsprogrammen;
...
...“
7.
§ 73 WStV, betreffend die Aufgaben des Kontrollamts der Stadt Wien, das seiner Struktur nach Teil
des Magistrats der Stadt Wien ist, bestimmt weiter:
„(1) Das Kontrollamt hat die gesamte Gebarung der Gemeinde und der von Organen der Gemeinde
verwalteten, mit Rechtspersönlichkeit ausgestatteten Fonds und Stiftungen auf die ziffernmäßige
Richtigkeit, auf die Ordnungsmäßigkeit und auf die Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und
Zweckmäßigkeit zu prüfen (Gebarungskontrolle) ...
(2) Dem Kontrollamt obliegt auch die Prüfung der Gebarung von wirtschaftlichen Unternehmungen,
an denen die Gemeinde mehrheitlich beteiligt ist. Ist eine solche wirtschaftliche Unternehmung an
einer anderen Unternehmung mehrheitlich beteiligt, so erstreckt sich die Prüfung auch auf diese
andere Unternehmung. Diese Prüfungsbefugnisse des Kontrollamtes sind durch geeignete
Maßnahmen sicherzustellen.
(3) Das Kontrollamt kann ferner die Gebarung von Einrichtungen (wirtschaftliche Unternehmungen,
Vereine u. dgl.) prüfen, an denen die Gemeinde in anderer Weise als nach Abs. 2 beteiligt ist oder in
deren Organen die Gemeinde vertreten ist, soweit sich die Gemeinde eine Kontrolle vorbehalten hat.
Dies gilt auch für Einrichtungen, die Zuwendungen aus Gemeindemitteln erhalten oder für die die
Gemeinde eine Haftung übernimmt.
...
(6) Das Kontrollamt hat auf Beschluss des Gemeinderates oder des Kontrollausschusses, auf
Ersuchen des Bürgermeisters sowie für den Bereich seiner Geschäftsgruppe auf Ersuchen eines
amtsführenden Stadtrates besondere Akte der Gebarungs- und Sicherheitskontrolle durchzuführen
und das Ergebnis dem ersuchenden Organ mitzuteilen.
...“
Das Recht der Ausübung des Bestattungsgewerbes
8.
Die Tätigkeit der Bestatter ist auf Bundesebene in den §§ 130 bis 134 der Gewerbeordnung von
1994 (BGBl. Nr. 194/1994 in der im BGBl. I Nr. 63/1997 kundgemachten Fassung, im Folgenden auch:
GewO) geregelt. Nach diesen Bestimmungen ist die Tätigkeit eines Bestatters im österreichischen
Recht nicht bestimmten juristischen Personen wie dem Staat, den Ländern oder den Gemeinden
vorbehalten, doch bedarf ihre Ausübung der Erteilung einer Gewerbeberechtigung, die nach Maßgabe
des gegenwärtigen und des zu erwartenden Bedarfes erteilt wird. In diesem Zusammenhang
verpflichtet § 131 Absatz 2 GewO die für die Erteilung einer derartigen Berechtigung zuständige
Behörde insbesondere darauf Bedacht zu nehmen, ob durch die Gemeinde für die Bestattung
ausreichend Vorsorge getroffen ist.
9.
Nach den Ausführungen des vorlegenden Gerichts ist ein Bedarf nur für das Erlangen der
Gewerbeberechtigung für das Gewerbe eines Bestatters erheblich. Entfalle der Bedarf später, so
berechtige dies die Behörde nicht zur Entziehung der zuvor erteilten Gewerbeberechtigung.
10.
Zwar enthält die Gewerbeordnung keine Bestimmung, die die Ausübung der genehmigten Tätigkeit
auf ein bestimmtes geografisches Gebiet beschränkt, doch ist der Landeshauptmann nach § 132
Absatz 1 GewO zur Festlegung von Höchsttarifen für die Bestattungsleistungen für das gesamte
Bundesland, für einzelne Verwaltungsbezirke oder auch für einzelne Gemeinden zuständig.
11.
Im Land Wien ist die Leichenbestattertätigkeit im Einzelnen durch das Wiener Leichen- und
Bestattungsgesetz (Wiener LGBl. Nr. 31/1970 in der im LGBl. Nr. 25/1988 kundgemachten Fassung, im
Folgenden auch: WLBG) geregelt. § 10 Absatz 1 WLBG lautet:
„Ist nach Ablauf von fünf Tagen ab Ausstellung der Todesbescheinigung die Bestattung einer Leiche
von niemandem veranlasst worden, hat der Magistrat die Bestattung (Erd- oder Feuerbestattung) in
einer Bestattungsanlage der Stadt Wien zu veranlassen. Die Stadt Wien hat die Kosten der Bestattung
nur dann und insoweit zu tragen, als sie weder durch Dritte zu leisten sind noch in der
Verlassenschaft ihre Deckung finden.“
Das Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen
12.
Wie aus dem Vorlagebeschluss hervorgeht, wurde der rechtliche Rahmen für die Ausübung des
Bestattungsgewerbes in Wien in den letzten Jahren erheblich geändert.
13.
Bis 1999 wurden diese Tätigkeiten von der Wiener Bestattung, einem Teilunternehmen der Wiener
Stadtwerke als einer Unternehmung der Stadt Wien im Sinne von § 71 WStV ausgeführt. In diesem
Rahmen verfügte die Wiener Bestattung - wie die Wiener Stadtwerke - nicht über eigene
Rechtspersönlichkeit und war Teil des Magistrats der Stadt Wien. Die Wiener Bestattung veranstaltete
im Rahmen ihrer Tätigkeiten mehrfach Ausschreibungen, an denen sich die Antragstellerin, ein
konzessioniertes Leichenbestattungsunternehmen, offensichtlich erfolgreich beteiligte.
14.
Am 17. Dezember 1998 beschloss der Wiener Gemeinderat, die Wiener Stadtwerke aus der
Stadtverwaltung auszugliedern und eine neue Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit, die
Wiener Stadtwerke Holding AG (im Folgenden: WSH) zu gründen, deren Anteile zu 100 % im Eigentum
der Stadt Wien stehen. Diese Gesellschaft setzt sich aus sechs operativen Töchtern zusammen, zu
denen auch die Antragsgegnerin gehört. Nach den Akten verfügt diese Gesellschaft, deren gesamtes
Kapital im Eigentum der WSH steht, über eigene Rechtspersönlichkeit. Der Zeitpunkt der
Betriebsaufnahme wurde durch Beschluss des Magistrates der Stadt Wien auf den 12. Juni 1999
festgesetzt.
15.
Kurz nach ihrer Gründung hielt die Antragsgegnerin ein Vergabeverfahren für die Lieferung von
Sargausstattungen ab, das sowohl im Amtlichen Lieferanzeiger als auch im Amtsblatt der Stadt Wien
kundgemacht wurde. Die Antragstellerin gab in diesem Verfahren ein Angebot ab, doch wurde ihr mit
Schreiben vom 6. Juni 2000 mitgeteilt, dass ihrem Angebot nicht der Zuschlag erteilt werde, da der
von ihr verlangte Preis zu hoch sei.
16.
Die Antragstellerin leitete in der Ansicht, dass ihr Angebot das einzige sei, das den in der
Ausschreibung enthaltenen Spezifikationen entsprochen habe, ein Nachprüfungsverfahren in Bezug
auf die Vergabe beim Vergabekontrollsenat des Landes Wien ein.
17.
In diesem Verfahren machte die Antragsgegnerin geltend, sie unterliege nicht mehr der Regelung
der Richtlinie 93/36 und des Wiener Landesvergabegesetzes, da sie mit eigener Rechtspersönlichkeit
ausgestattet und völlig unabhängig vom Magistrat der Stadt Wien sei, während die Antragstellerin
geltend machte, dass die Richtlinie und das Wiener Landesvergabegesetz wegen der engen Bindung
der Antragsgegnerin an die Stadt Wien weiterhin in vollem Umfang anwendbar seien. Die gesamten
Anteile der Antragsgegnerin stünden im Eigentum der WSH, die wiederum zu 100 % im Eigentum der
Stadt Wien stehe.
18.
Der Vergabekontrollsenat des Landes Wien war der Ansicht, dass unter diesen Umständen die
Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits von einer Auslegung des Begriffes des
öffentlichen Auftraggebers in Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 93/36, namentlich in Anbetracht der
Urteile vom 15. Januar 1998 in der Rechtssache C-44/96 (Mannesmann Anlagenbau Austria u. a., Slg.
1998, I-73) und vom 10. November 1998 in der Rechtssache C-360/96 (BFI Holding, Slg. 1998, I-6821)
abhänge; er hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur
Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist der Begriff „im Allgemeininteresse liegende Aufgaben“ des Artikels 1 Buchstabe b der Richtlinie
93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher
Lieferaufträge dahin auszulegen, dass
a) die Definition der im Allgemeininteresse liegende Aufgaben aus der nationalen Rechtsordnung
des Mitgliedsstaates abzuleiten ist?
b) bereits die gesetzliche Subsidiarität der Verpflichtung einer Gebietskörperschaft genügt, damit
eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe anzunehmen ist?
2. Ist bei Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Aufgaben, die nicht gewerblicher Art sind“ der
angeführten Richtlinie 93/36/EWG a) das Vorliegen eines entwickelten Wettbewerbs eine
unabdingbare Voraussetzung oder b) kommt es dabei auf die tatsächlichen oder auf die rechtlichen
Gegebenheiten an?
3. Wird das Tatbestandsmerkmal des Artikels 1 Buchstabe b der angeführten Richtlinie 93/36/EWG,
dass die Leitung der Einrichtung des öffentlichen Rechts der Aufsicht durch den Staat bzw. einer
Gebietskörperschaft unterliegt, auch durch eine bloße nachprüfende Kontrolle, wie sie durch das
Kontrollamt der Stadt Wien vorgesehen ist, erfüllt?
Zur Zulässigkeit der Vorlagefragen
19.
Die Antragsgegnerin macht unter Verweisung auf die Urteile vom 28. November 1991 in der
Rechtssache C-186/90 (Durighello, Slg. 1991, I-5773) und vom 16. Januar 1997 in der Rechtssache C-
134/95 (USSL Nr. 47 di Biella, Slg. 1997, I-195), in denen der Gerichtshof entschieden habe, dass ein
Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts zurückzuweisen sei, wenn offensichtlich sei,
dass die Auslegung des Gemeinschaftsrechts, um die dieses Gericht ersuche, in keinem
Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Rechtsstreits stehe, geltend, dass die
Frage, ob sie die Eigenschaft eines öffentlichen Auftraggebers besitze, im Ausgangsverfahren
unerheblich sei.
20.
Nach § 99 WLVergG sei der Vergabekontrollsenat des Landes Wien nach der Erteilung des
Zuschlags nur für die Feststellung zuständig, ob der Zuschlag wegen eines Verstoßes gegen die
Bestimmungen dieses Gesetzes nicht dem Antragsteller erteilt worden sei, der das beste Angebot
abgegeben habe; er dürfe ein Nachprüfungsverfahren nur dann durchführen, wenn die Entscheidung,
deren Rechtswidrigkeit gerügt werde, für den Ausgang des Vergabeverfahrens wesentlich gewesen
sei. Im Ausgangsverfahren sei das Angebot der Antragstellerin in Bezug auf die für die
Sargausstattungen verlangten Preise an vorletzter Stelle gereiht worden, so dass die Antragstellerin
kein Rechtsschutzinteresse an der von ihr beantragten Feststellung habe, denn sie sei auf alle Fälle
nicht die Bestbieterin im Sinne von § 99 Absatz 1 WLVergG gewesen, und daher habe ihr der Zuschlag
niemals erteilt werden können.
21.
Hierzu ist zu sagen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere nach
dem Urteil Durighello, auf das sich die Antragsgegnerin beruft, ausschließlich Sache der mit dem
Rechtsstreit befassten nationalen Gerichte ist, die den Rechtsstreit zu entscheiden haben, nach
Maßgabe des Einzelfalls sowohl die Notwendigkeit einer Vorabentscheidung für die zu treffende
Entscheidung als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen
(Urteil Durighello, Randnr. 8). Daher hat der Gerichtshof grundsätzlich zu entscheiden, wenn sich die
vorgelegten Fragen auf die Auslegung des Gemeinschaftsrechts beziehen.
22.
Der Gerichtshof hat weiter ebenfalls in ständiger Rechtsprechung entschieden, dass er die
Entscheidung über die Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur dann ablehnen kann, wenn die
erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der
Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsverfahrens steht, wenn das Problem hypothetischer
Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen oder rechtlichen Angaben verfügt, die für eine
sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (insbesondere Urteile vom
13. März 2001 in der Rechtssache C-379/98, PreussenElektra, Slg. 2001, I-2099, Randnr. 39, und vom
22. Januar 2002 in der Rechtssache C-390/99, Canal Satélite Digital, Slg. 2002, I-607, Randnr. 19).
23.
Im vorliegenden Fall ist nicht offensichtlich, dass die Fragen des vorlegenden Gerichts einen dieser
Tatbestände erfüllen.
24.
Zum einen kann nämlich nicht angenommen werden, dass die Auslegung des Gemeinschaftsrechts,
um die ersucht wird, in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des
Ausgangsverfahrens steht oder hypothetischer Natur ist, denn die Beurteilung der Rechtmäßigkeit
der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vergabeentscheidung hängt u. a. von der Frage ab, ob
die Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens als öffentlicher Auftraggeber im Sinne von Artikel 1
Buchstabe b der Richtlinie 93/36 betrachtet werden kann.
25.
Zum anderen hat das vorlegende Gericht dem Gerichtshof alle erforderlichen Angaben gemacht,
die er für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen benötigt.
26.
Daher ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.
Zur ersten Frage
27.
Mit seiner ersten Frage, die zwei Teile hat, begehrt das vorlegende Gericht Auskunft über die
Bedeutung des Begriffes „im Allgemeininteresse liegende Aufgaben“ im Sinne von Artikel 1 Buchstabe
b Unterabsatz 2 der Richtlinie 93/36.
28.
Mit dem ersten Teil der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Begriff „im
Allgemeininteresse liegende Aufgaben“ vom Gemeinschaftsrecht oder vom Recht des einzelnen
Mitgliedstaats definiert wird.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
29.
Für die Antragstellerin und für die österreichische Regierung ist der Begriff „im Allgemeininteresse
liegende Aufgaben“ ein Begriff des Gemeinschaftsrechts, der autonom und ohne Verweisung auf die
Rechtsordnung der Mitgliedstaaten zu beurteilen sei. Das ergebe sich zum einen aus dem Zweck der
Gemeinschaftsrichtlinien über die Koordinierung der Vergabeverfahren für öffentliche Aufträge, die
zuvor gegeneinander abgeschotteten nationalen Märkte dem Wettbewerb zu öffnen und die in der
Gemeinschaft ansässigen Interessenten in Kenntnis davon zu setzen, welche Einrichtungen als
öffentliche Auftraggeber anzusehen seien. Zum anderen habe der Gerichtshof in dem Urteil BFI
Holding festgestellt, dass der Begriff „im Allgemeininteresse liegende Aufgaben“ ohne
Berücksichtigung der rechtlichen Form der Regelungen, in denen derartige Aufgaben festgelegt
würden, zu beurteilen sei.
30.
Die Antragstellerin macht hierzu geltend, es sei unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit
unerträglich, wenn ein und dieselbe Tätigkeit je nach dem Mitgliedstaat, in dem sie ausgeübt werde,
als im Allgemeininteresse liegend eingestuft werde oder nicht, während die österreichische Regierung
ausführt, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes und insbesondere den Urteilen vom 18. Januar
1984 in der Rechtssache 327/82 (Ekro, Slg. 1984, 107) und vom 27. November 1991 in der
Rechtssache C-273/90 (Meico-Fell, Slg. 1991, I-5569) seien gemeinschaftsrechtliche Begriffe nur in
Ausnahmefällen - wenn ausdrücklich oder stillschweigend auf Begriffsbestimmungen in den
Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verwiesen werde, was hier nicht der Fall sei - unter Rückgriff auf
deren jeweiligen nationalen Begriffsinhalt auszulegen.
31.
Die Antragsgegnerin, die französische Regierung und die EFTA-Überwachungsbehörde teilen zwar
die Ansicht der Antragstellerin und der österreichischen Regierung, dass der Begriff „im
Allgemeininteresse liegende Aufgaben“ ein Begriff des Gemeinschaftsrechts sei, doch vertreten sie
die Ansicht, dass für seine Anwendung im konkreten Fall die Mitgliedstaaten nach Maßgabe der
Aufgaben zuständig seien, die diese zu erfüllen sich vorgenommen hätten. Das ergebe sich
namentlich aus der Zielsetzung der einschlägigen Gemeinschaftsrichtlinien, das nationale Recht der
Vergabe öffentlicher Aufträge zu koordinieren, nicht aber zu vereinheitlichen, und aus Anhang I der
Richtlinie 93/37/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe
öffentlicher Lieferaufträge (ABl. L 199, S. 54), der das Verzeichnis der Kriterien von Artikel 1 Buchstabe
b der Richtlinie 93/36 erfüllenden Einrichtungen enthalte. Nach Ansicht der Antragsgegnerin wäre
eine derartige Liste der von den Mitgliedstaaten als öffentliche Auftraggeber betrachteten
Einrichtungen entbehrlich, wenn es sich bei dem Begriff des Allgemeininteresses um einen rein
gemeinschaftsrechtlich definierten Begriff handelte. Daher obliege es dem jeweiligen Mitgliedstaat,
bei der Festlegung seiner gesellschaftspolitischen Ziele zum Ausdruck zu bringen, worin schließlich
das Allgemeininteresse bestehe, und in jedem Einzelfall sei die rechtliche und tatsächliche Stellung
der betreffenden Einrichtung zu prüfen, um feststellen zu können, ob sie im Allgemeininteresse
liegende Aufgaben wahrnehme.
32.
Für die Kommission schließlich ist der Begriff der „im Allgemeininteresse liegende Aufgaben“ allein
anhand des nationalen Rechts zu definieren. Hierfür führt sie zum einen das Urteil Mannesmann
Anlagenbau Austria u. a., in dem der Gerichtshof unter Verweisung auf die einschlägigen nationalen
Rechtsvorschriften zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die österreichische Staatsdruckerei zu dem
Zweck gegründet worden sei, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu
erfüllen, und zum anderen das Urteil BFI Holding an, in dem der Gerichtshof, gestützt auf das
Verzeichnis in Anhang I der Richtlinie 93/37, entschieden habe, dass das Abholen und die Behandlung
von Haushaltsabfällen zu den Aufgaben gehöre, die ein Staat von Behörden wahrnehmen lassen
könne oder auf die er einen entscheidenden Einfluss behalten möchte.
Antwort des Gerichtshofes
33.
Vorab ist zu sagen, dass die Richtlinie 93/36 keine Definition des Begriffes „im Allgemeininteresse
liegende Aufgaben“ enthält.
34.
Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie schreibt nur vor, dass derartige Aufgaben von
nicht gewerblicher Art zu sein haben, und eine Gesamtbetrachtung dieser Bestimmung ergibt, dass
die Erfüllung im Allgemeininteresse liegender Aufgaben nicht gewerblicher Art eine notwendige,
jedoch nicht hinreichende Voraussetzung für die Einstufung einer Einrichtung als „Einrichtung des
öffentlichen Rechts“ und somit als „öffentlicher Auftraggeber“ im Sinne der Richtlinie 93/36 ist. Unter
diese Richtlinie kann eine Einrichtung nur dann fallen, wenn sie weiter Rechtspersönlichkeit besitzt
und in Bezug auf ihre Finanzierungsweise, Leitung oder Aufsicht eng vom Staat, von
Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts abhängt (vgl. in Bezug auf
den kumulativen Charakter der wortgleichen Voraussetzungen des Artikels 1 Buchstabe b Unterabsatz
2 der Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur
Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge [ABl. L 209, S. 1] und des Artikels 1 Buchstabe b
Unterabsatz 2 der Richtlinie 93/37, die Urteile Mannesmann Anlagenbau Austria u. a., Randnrn. 21 bis
38, BFI Holding, Randnr. 29, vom 1. Februar 2001 in der Rechtssache C-237/99,
Kommission/Frankreich, Slg. 2001, I-939, Randnr. 40, und vom 10. Mai 2001 in den Rechtssachen C-
223/99 und C-260/99, Agorà und Excelsior, Slg. 2001, I-3605, Randnr. 26).
35.
Nach ständiger Rechtsprechung verlangen die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts
und der Gleichheitssatz, dass Begriffe einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die für die Ermittlung
ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in
der Regel in der gesamten Gemeinschaft autonom und einheitlich ausgelegt werden, wobei diese
Auslegung unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der Regelung
verfolgten Zweckes zu ermitteln ist (Urteile Ekro, Randnr. 11, vom 19. September 2000 in der
Rechtssache C-287/98, Linster, Slg. 2000, I-6917, Randnr. 43, und vom 9. November 2000 in der
Rechtssache C-357/98, Yiadom, Slg. 2000, I-9265, Randnr. 26).
36.
Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 93/36 verweist unstreitig nicht ausdrücklich auf
das Recht der Mitgliedstaaten, so dass die erwähnte Wendung in der gesamten Gemeinschaft
autonom und einheitlich auszulegen ist.
37.
Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 3 der Richtlinie
93/36 auf Anhang I der Richtlinie 93/37 verweist, der das Verzeichnis der Einrichtungen und
Kategorien von Einrichtungen öffentlichen Rechts enthält, die in den Mitgliedstaaten die in Artikel 1
Buchstabe b Unterabsatz 2 aufgeführten Kriterien erfüllen.
38.
Denn zum einen enthält dieser Anhang keine Definition des Begriffes „im Allgemeininteresse
liegende Aufgaben“ im Sinne namentlich von Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 93/36 und Artikel 1
Buchstabe b der Richtlinie 93/37.
39.
Zum anderen ergibt sich zwar aus dem Wortlaut von Artikel 1 Buchstabe b der Richtlinie 93/36 klar,
dass das Verzeichnis in Anhang I der Richtlinie 93/37 so vollständig wie möglich sein soll und unter
diesem Gesichtspunkt nach dem Verfahren gemäß Artikel 35 der Richtlinie 93/37 geändert werden
kann, doch ist es keineswegs erschöpfend (vgl. insbesondere Urteile BFI Holding, Randnr. 50, sowie
Agorà und Exceslsior, Randnr. 36), da die Genauigkeit dieses Verzeichnisses je nach Mitgliedstaat
ganz unterschiedlich ist.
40.
Daher ist der Begriff „im Allgemeininteresse liegende Aufgaben“ in Artikel 1 Buchstabe b der
Richtlinie 93/36 ein Begriff des Gemeinschaftsrechts, der unter Berücksichtigung des Kontextes dieses
Artikels sowie des mit der Richtlinie verfolgten Zweckes auszulegen ist.
41.
Wie der Gerichtshof bereits mehrfach festgestellt hat, soll die Koordinierung der Verfahren zur
Vergabe öffentlicher Aufträge auf Gemeinschaftsebene die Hemmnisse für den freien Dienstleistungs-
und Warenverkehr beseitigen und damit die Interessen der in einem Mitgliedstaat niedergelassenen
Wirtschaftsteilnehmer schützen, die den in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassenen
öffentlichen Auftraggebern Waren oder Dienstleistungen anbieten möchten (insbesondere Urteile vom
3. Oktober 2000 in der Rechtssache C-380/98, University of Cambridge, Slg. 2000, I-8035, Randnr. 16,
Kommission/Frankreich, Randnr. 41, vom 18. Juni 2002 in der Rechtssache C-92/00, HI, Slg. 2002, I-
5553, Randnr. 43, und vom 12. Dezember 2002 in der Rechtssache C-470/99, Universale-Bau u. a.,
Slg. 2002, I-0000, Randnr. 51).
42.
Nach ständiger Rechtsprechung besteht der Zweck der Gemeinschaftsrichtlinien über die
Koordinierung der Vergabeverfahren für öffentliche Aufträge ferner darin, die Gefahr einer
Bevorzugung inländischer Bieter oder Bewerber bei der Auftragsvergabe durch öffentliche
Auftraggeber zu vermeiden und zugleich zu verhindern, dass sich eine vom Staat, von
Gebietskörperschaften oder sonstigen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanzierte oder
kontrollierte Stelle von anderen als wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt (vgl. insbesondere
Urteile University of Cambridge, Randnr. 17, Kommission/Frankreich, Randnr. 42, und Universale-Bau u.
a., Randnr. 52).
43.
In Anbetracht dieser beiden Ziele - Öffnung für den Wettbewerb und Transparenz - ist der Begriff
der Einrichtung des öffentlichen Rechts weit zu verstehen.
44.
Ist also eine Einrichtung nicht im Verzeichnis in Anhang I der Richtlinie 93/37 aufgeführt, so ist in
jedem Einzelfall ihre rechtliche und tatsächliche Situation zu untersuchen, um festzustellen, ob sie
eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe erfüllt.
45.
Nach allem ist auf den ersten Teil der ersten Frage zu antworten, dass der Begriff „im
Allgemeininteresse liegende Aufgaben“ des Artikels 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 der Richtlinie 93/36
ein autonomer Begriff des Gemeinschaftsrechts ist.
46.
Mit dem zweiten Teil seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das Leichen-
und Bestattungswesen eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe darstellt. Es fragt zu diesem
Zweck des Näheren, ob es für die Annahme einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe genügt,
dass eine Gebietskörperschaft gesetzlich verpflichtet ist, für die Bestattung zu sorgen - und
gegebenenfalls deren Kosten zu übernehmen -, falls diese nicht binnen einer bestimmten Frist ab
Ausstellung der Todesbescheinigung veranlasst worden ist.
Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen
47.
Zwar vertreten die Antragstellerin und die österreichische Regierung unter Zugrundelegung ihrer
Erklärungen zum ersten Teil der ersten Frage die Ansicht, dass eine Pflicht der in § 10 Absatz 1 WLBG
geregelten Art für die Frage, ob eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe vorliege, unerheblich
sei, da das entscheidende Kriterium für die Beurteilung dieses Begriffes im Gemeinschaftsrecht und
nicht im nationalen Recht zu finden sei, doch unterliege es keinem Zweifel, dass das
Bestattungswesen tatsächlich eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe darstelle. Sie stützen sich
hierfür zum einen auf Anhang I der Richtlinie 93/37, der in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland
ausdrücklich das Friedhofs- und Bestattungswesen erwähne, und zum anderen auf das Urteil BFI
Holding, in dem der Gerichtshof in Bezug auf das Abholen und die Behandlung von Haushaltsabfällen
entschieden habe, dass diese Tätigkeit zu denjenigen Aufgaben gehöre, die ein Staat von Behörden
wahrnehmen lassen könne oder auf die er einen entscheidenden Einfluss behalten möchte. Das
Bestattungswesen gehöre ebenfalls zum Kernbereich der Daseinsvorsorge, die der Staat im Interesse
des Gemeinwohls zu besorgen habe.
48.
Dieser Standpunkt wird von der Antragsgegnerin teilweise bestritten. Zwar ist die Antragsgegnerin
mit der Antragstellerin und der österreichischen Regierung der Ansicht, § 10 Absatz 1 WLBG sei für die
Beurteilung, ob eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe gegeben sei, unerheblich, doch erfasse
dieser Begriff im vorliegenden Zusammenhang nur die Bestattung in engerem Sinne, also die
Inhumierung und Exhumierung der Leichen, die Einäscherung sowie die Verwaltung der Friedhöfe und
Urnenhaine. Tätigkeiten wie die Ausstellung von Todesbescheinigungen, das Schalten von
Todesanzeigen in Zeitungen, der Druck von Todesanzeigen, die Aufbahrung, das Waschen, die
Einkleidung und das Einsargen des Verstorbenen, dessen Beförderung zu seiner letzten Ruhestätte
oder die Grabpflege - Tätigkeiten, die die Antragsgegnerin als Bestattung in weiterem Sinne
bezeichnet -, gehörten dagegen nicht zu denjenigen, über die der Staat ein Aufsichtsrecht habe, und
würden daher nicht vom Begriff der „im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben“ erfasst. Das
Bestattungsgewerbe unterliege in Österreich keiner besonderen Aufsicht, abgesehen von der
Befugnis der Länder, für bestimmte Leistungen Höchsttarife festzulegen.
49.
Für die französische Regierung, die Kommission und die EFTA-Überwachungsbehörde schließlich
indiziert eine subsidiäre gesetzliche Verpflichtung, wie sie in § 10 Absatz 1 WLBG vorgesehen ist, das
Vorliegen einer im Allgemeininteresse liegenden Aufgabe, da diese Bestimmung sowohl die konkrete
Veranlassung der Bestattung durch die Stadt Wien als auch die Übernahme von deren Kosten durch
die Stadt vorsehe, falls diese nicht von der Verlassenschaft gedeckt seien.
Antwort des Gerichtshofes
50.
Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, stellen im Allgemeinen Aufgaben, die zum einen auf
andere Art als durch das Angebot von Waren oder Dienstleistungen auf dem Markt erfüllt werden und
die zum anderen der Staat aus Gründen des Allgemeininteresses selbst erfüllen oder bei denen er
einen entscheidenden Einfluss behalten möchte, in der Regel im Allgemeininteresse liegende
Aufgaben nicht gewerblicher Art dar (Urteile BFI Holding, Randnrn. 50 und 51, sowie Agorà und
Excelsior, Randnr. 37).
51.
Es lässt sich nicht bestreiten, dass das Leichen- und Bestattungswesen als tatsächlich im
Allgemeininteresse liegende Tätigkeit betrachtet werden kann.
52.
Zum einen steht diese Tätigkeit im Zusammenhang mit der öffentlichen Ordnung, da der Staat ein
offenkundiges Interesse daran hat, die Ausstellung von Bescheinigungen wie Geburts- und
Sterbeurkunden genau zu überwachen.
53.
Zum anderen können offensichtliche Gründe der Hygiene und der Gesundheit es rechtfertigen,
dass der Staat bei dieser Tätigkeit einen beherrschenden Einfluss behält und Maßnahmen wie die in §
10 Absatz 1 WLBG vorgesehenen trifft, falls die Bestattung nicht innerhalb einer bestimmten Frist ab
Ausstellung der Todesbescheinigung veranlasst wird. Eine derartige Bestimmung indiziert daher
bereits durch ihre Existenz, dass die in Rede stehende Tätigkeit eine im Allgemeininteresse liegende
Aufgabe zu erfüllen geeignet ist.
54.
In diesem Kontext ist insbesondere die von der Antragsgegnerin vertretene Auslegung abzulehnen,
dass nur die Beerdigung und die Einäscherung der Leichen sowie die Verwaltung von Friedhöfen und
Urnenhainen - die als Bestattung in engerem Sinne eingestuft werden -, nicht aber die Bestattung im
weiteren Sinne, wie das Schalten von Todesanzeigen sowie die Einsargung des Verstorbenen und
seine Beförderung, vom Begriff der im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben erfasst wird. Eine
solche Unterscheidung wäre nicht sachgerecht, da sämtliche oder die meisten dieser Tätigkeiten
gewöhnlich von ein und demselben Unternehmen oder ein und derselben Behörde ausgeführt
werden.
55.
Zudem ist, wie der Generalanwalt in Nummer 68 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, das
Leichen- und Bestattungswesen im Wiener Landesrecht in ein und demselben Gesetz, dem Wiener
Leichen- und Bestattungsgesetz, geregelt. Nach § 33 Absatz 4 WLBG ist „[d]ie Durchführung der
Bestattungsfeierlichkeiten ... sowie das Tragen oder Führen der Leichen oder Leichenasche zur
Grabstelle ... durch die Dienstnehmer des Rechtsträgers oder durch die Dienstnehmer des von ihm
bestellten Unternehmens zu besorgen. Das Gleiche gilt für das Öffnen und Schließen aller Grabstellen,
das Versenken der Leichen oder Leichenasche sowie für die Durchführung von Enterdigungen“.
56.
Schließlich kommt es nicht darauf an, ob die Bestattungsleistungen im engeren Sinn nur einen
relativ geringen Teil der Tätigkeiten eines Bestattungsunternehmens ausmachen, solange es
weiterhin die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben wahrnimmt. Denn nach ständiger
Rechtsprechung hängt die Eigenschaft einer Stelle als Einrichtung des öffentlichen Rechts nicht
davon ab, welchen Anteil ihrer Tätigkeit die Erfüllung von im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben
nicht gewerblicher Art ausmacht (vgl. Urteile Mannesman Anlagenbau Austria u. a., Randnrn. 25, 26
und 31, sowie BFI Holding, Randnrn. 55 und 56).
57.
Nach allem ist daher auf den zweiten Teil der ersten Frage zu antworten, dass die Bestattung eine
im Allgemeininteresse liegende Aufgabe darstellen kann. Dass eine Gebietskörperschaft gesetzlich
verpflichtet ist, für die Bestattung zu sorgen - und gegebenenfalls ihre Kosten zu übernehmen -, wenn
diese nicht binnen einer bestimmten Frist ab der Ausstellung der Todesbescheinigung veranlasst wird,
indiziert das Vorliegen eines derartigen Allgemeininteresses.
Zur zweiten Frage
58.
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Bestattung eine im
Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht gewerblicher Art im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b der
Richtlinie 93/36 darstellt. Hierzu führt es aus, dass in Österreich mehr als 500 Unternehmen im
Bestattungsbereich tätig seien, doch herrsche nach den Angaben der Antragstellerin im örtlichen
Markt Wien kein Wettbewerb; daher begehrt es Auskunft darüber, ob das Vorliegen eines entwickelten
Wettbewerbs allein den Schluss erlaube, dass keine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht
gewerblicher Art vorliege, oder ob in jedem Einzelfall sämtliche einschlägigen rechtlichen und
tatsächlichen Umstände zu berücksichtigen sind.
59.
Wie der Gerichtshof zu einer entsprechenden Frage in Randnummer 47 des Urteils BFI Holding
ausgeführt hat, ist das Fehlen von Wettbewerb keine Voraussetzung des Begriffes der Einrichtung des
öffentlichen Rechts. Denn der Begriff der Einrichtung des öffentlichen Rechts insbesondere in Artikel 1
Buchstabe b der Richtlinie 93/36 würde möglicherweise gegenstandslos, hätte er zur Voraussetzung,
dass private Unternehmen die Aufgaben nicht erfüllen könnten, für die eine vom Staat, von
Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts finanzierte oder
kontrollierte Stelle geschaffen worden ist (vgl. Urteil BFI Holding, Randnr. 44).
60.
Der Gerichtshof hat allerdings in den Randnummern 48 und 49 des erwähnten Urteils verdeutlicht,
dass das Vorliegen von Wettbewerb für die Beantwortung der Frage, ob eine im Allgemeininteresse
liegende Aufgabe von nicht gewerblicher Art ist, nicht völlig unerheblich ist. Denn das Vorliegen eines
entwickelten Wettbewerbs kann namentlich dann darauf hinweisen, dass es sich nicht um eine im
Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht gewerblicher Art handelt, wenn die betreffende Einrichtung
auf dem betreffenden Markt im Wettbewerb steht.
61.
Daher geht bereits aus dem Wortlaut des Urteils BFI Holding hervor, dass das Vorliegen eines
entwickelten Wettbewerbs allein nicht auf das Nichtvorliegen einer im Allgemeininteresse liegenden
Aufgabe nicht gewerblicher Art schließen lässt, jedoch für diese Frage nicht völlig unerheblich ist.
62.
Im vorliegenden Fall ist unstreitig, dass die Tätigkeit eines Bestatters in Österreich nicht
bestimmten juristischen Personen vorbehalten ist und dass ihre Ausübung grundsätzlich keinen
geografischen Beschränkungen unterliegt.
63.
Dagegen geht sowohl aus dem Vorlagebeschluss als auch aus den beim Gerichtshof eingereichten
Erklärungen hervor, dass zum einen die Ausübung dieser Tätigkeit von der vorherigen Erteilung einer
Berechtigung abhängt, die vom Vorliegen eines Bedarfs und von der Vorsorge der Gemeinden im
Bestattungsbereich abhängt, und dass zum anderen der Landeshauptmann Höchsttarife für
Bestattungsleistungen entweder für das gesamte Land oder für einzelne Verwaltungsbezirke oder für
einzelne Gemeinden festlegen kann.
64.
Zudem ist die Stadt Wien nach § 10 Absatz 1 WLBG verpflichtet, die Bestattungskosten zu
übernehmen, falls diese weder durch Dritte zu leisten noch von der Verlassenschaft gedeckt sind.
65.
Somit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, sämtliche rechtlichen und tatsächlichen Umstände zu
untersuchen, auf denen die Tätigkeit der Antragsgegnerin beruht, wie sie in den Randnummern 62 bis
64 des vorliegenden Urteils aufgeführt sind, ferner die Voraussetzungen für die Ausgliederung der
Wiener Stadtwerke und die Übertragung der Tätigkeit der Wiener Bestattung auf die Antragsgegnerin
sowie den Inhalt des Ausschließlichkeitsvertrags, den diese nach den Ausführungen der
Antragstellerin mit der Stadt Wien geschlossen hat, um die genaue Art der von der Antragsgegnerin
übernommenen Aufgaben zu bestimmen.
66.
Nach allem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass das Vorhandensein eines entwickelten
Wettbewerbs allein nicht den Schluss zulässt, dass keine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe
nicht gewerblicher Art vorliegt. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller
erheblichen rechtlichen und tatsächlichen Umstände, u. a. der Umstände, die zur Gründung der
betreffenden Einrichtung geführt haben, und der Voraussetzungen, unter denen sie ihre Tätigkeit
ausübt, zu beurteilen, ob eine derartige Aufgabe vorliegt.
Zur dritten Frage
67.
Mit seiner dritten Frage begehrt das vorlegende Gericht schließlich Auskunft über die Bedeutung,
die dem Tatbestandsmerkmal in Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 dritter Gedankenstrich der
Richtlinie 93/36 - Aufsicht des Staates, der Gebietskörperschaften oder anderer Einrichtungen des
öffentlichen Rechts über die Leitung der betreffenden Einrichtung - zukommt. Konkret möchte es
wissen, ob dieses Tatbestandsmerkmal durch eine bloße nachprüfende Kontrolle der Leitung der
betreffenden Einrichtung erfüllt wird.
68.
Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes (insbesondere Urteile University of Cambridge, Randnr.
20, und Kommission/Frankreich, Randnr. 44) geht hervor, dass jedes der alternativen
Tatbestandsmerkmale in Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 dritter Gedankenstrich der Richtlinien
92//50, 93/36 und 93/37 die enge Verbindung einer Einrichtung mit dem Staat, den
Gebietskörperschaften oder anderen Einrichtungen des öffentlichen Rechts widerspiegelt.
69.
Gerade zu dem Tatbestandsmerkmal der Aufsicht über die Leitung hat der Gerichtshof entschieden,
dass es nur erfüllt ist, wenn diese Aufsicht eine Verbindung mit der öffentlichen Hand schafft, die der
Verbindung gleichwertig ist, die besteht, wenn eines der beiden anderen alternativen Merkmale erfüllt
ist, nämlich dass die Finanzierung überwiegend durch die öffentliche Hand erfolgt oder dass die
Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans dieser Einrichtung, die es
der öffentlichen Hand ermöglichen, die Entscheidungen dieser Einrichtung im Bereich öffentlicher
Aufträge zu beeinflussen, von der öffentlichen Hand ernannt wird (vgl. Urteil Kommission/Frankreich,
Randnrn. 48 und 49).
70.
In Anbetracht dieser Rechtsprechung lässt sich nicht annehmen, dass der Tatbestand der Aufsicht
über die Leitung im Falle einer bloßen nachprüfenden Kontrolle erfüllt ist, denn schon begrifflich
erlaubt es eine derartige Kontrolle der öffentlichen Hand nicht, die Entscheidungen der betreffenden
Einrichtung im Bereich der Vergabe öffentlicher Aufträge zu beeinflussen.
71.
Wie der Generalanwalt in den Nummern 109 bis 114 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, lassen
die Angaben des vorlegenden Gerichts jedoch die Annahme vertretbar erscheinen, dass die Kontrolle
der Stadt Wien über die Antragsgegnerin im vorliegenden Fall den Rahmen einer bloßen
nachprüfenden Kontrolle bei weitem übersteigt.
72.
Denn zum einen unterliegt die Antragsgegnerin gemäß § 73 WStV unmittelbar der Aufsicht der Stadt
Wien, da sie im Eigentum einer Gesellschaft - der WSH - steht, deren gesamtes Kapital in den Händen
dieser Gebietskörperschaft liegt.
73.
Zum anderen geht ebenfalls aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass das Kontrollamt nach Punkt
10.3 des Gesellschaftsvertrags der Antragsgegnerin berechtigt ist, nicht nur den Jahresabschluss
dieser Gesellschaft zu prüfen, sondern auch „die laufende Gebarung auf ihre ziffernmäßige Richtigkeit,
Ordnungsmäßigkeit, Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit“. Dieser Punkt des
Gesellschaftsvertrags der Antragsgegnerin erlaubt es dem Kontrollamt weiter, die Betriebsräume und
Anlagen der Gesellschaft zu besichtigen und über das Ergebnis dieser Prüfung den zuständigen
Organen sowie den Gesellschaftern der Gesellschaft und der Stadt Wien zu berichten. Derartige
Aufsichtsrechte ermöglichen eine aktive Aufsicht über die Leitung dieser Gesellschaft.
74.
Nach allem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass eine bloße nachprüfende Kontrolle nicht das
Tatbestandsmerkmal der Aufsicht über die Leitung im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2
dritter Gedankenstrich der Richtlinie 93/36 erfüllt. Dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt jedoch ein
Sachverhalt, bei dem zum einen die öffentliche Hand nicht nur die Jahresabschlüsse der betreffenden
Einrichtung kontrolliert, sondern auch ihre laufende Verwaltung im Hinblick auf ihre ziffernmäßige
Richtigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit, und bei dem zum
anderen die öffentliche Hand berechtigt ist, die Betriebsräume und Anlagen dieser Einrichtung zu
besichtigen und über das Ergebnis dieser Prüfung einer Gebietskörperschaft zu berichten, die über
eine andere Gesellschaft das Kapital der in Rede stehenden Einrichtung hält.
Kosten
75.
Die Auslagen der österreichen und der französischen Regierung sowie der Kommission und der
EFTA-Überwachungsbehörde, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht
erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in
dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache
dieses Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Vergabekontrollsenat des Landes Wien mit Beschluss vom 14. September 2000
vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Der Begriff „im Allgemeininteresse liegende Aufgaben“ des Artikels 1 Buchstabe b
Unterabsatz 2 der Richtlinie 93/36/EWG des Rates vom 14. Juni 1993 über die Koordinierung
der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Lieferaufträge ist ein autonomer Begriff des
Gemeinschaftsrechts.
2. Die Bestattung kann eine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe darstellen. Dass
eine Gebietskörperschaft gesetzlich verpflichtet ist, für die Bestattung zu sorgen - und
gegebenenfalls ihre Kosten zu übernehmen -, wenn diese nicht binnen einer bestimmten
Frist ab der Ausstellung der Todesbescheinigung veranlasst wird, indiziert das Vorliegen
eines derartigen Allgemeininteresses.
3. Das Vorhandensein eines entwickelten Wettbewerbs allein lässt nicht den Schluss zu,
dass keine im Allgemeininteresse liegende Aufgabe nicht gewerblicher Art vorliegt. Es ist
Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung aller erheblichen rechtlichen und
tatsächlichen Umstände, u. a. der Umstände, die zur Gründung der betreffenden
Einrichtung geführt haben, und der Voraussetzungen, unter denen sie ihre Tätigkeit
ausübt, zu beurteilen, ob eine derartige Aufgabe vorliegt.
4. Eine bloße nachprüfende Kontrolle erfüllt nicht das Tatbestandsmerkmal der Aufsicht
über die Leitung im Sinne von Artikel 1 Buchstabe b Unterabsatz 2 dritter Gedankenstrich
der Richtlinie 93/36. Dieses Tatbestandsmerkmal erfüllt jedoch ein Sachverhalt, bei dem
zum einen die öffentliche Hand nicht nur die Jahresabschlüsse der betreffenden
Einrichtung kontrolliert, sondern auch ihre laufende Verwaltung im Hinblick auf ihre
ziffernmäßige Richtigkeit, Ordnungsmäßigkeit, Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und
Zweckmäßigkeit, und bei dem zum anderen die öffentliche Hand berechtigt ist, die
Betriebsräume und Anlagen dieser Einrichtung zu besichtigen und über das Ergebnis
dieser Prüfung einer Gebietskörperschaft zu berichten, die über eine andere Gesellschaft
das Kapital der in Rede stehenden Einrichtung hält.
Wathelet
Timmermans
Jann
von Bahr
Rosas
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 27. Februar 2003.
Der Kanzler
Der Präsident der Fünften Kammer
R. Grass
M. Wathelet
Verfahrenssprache: Deutsch.