Urteil des EuGH vom 03.10.2000

EuGH: weiterbildung, vergütung, berufliche tätigkeit, facharzt, anerkennung, nummer, freier dienstleistungsverkehr, regierung, erleichterung, kommission

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Vierte Kammer)
3. Oktober 2000
„Niederlassungsfreiheit - Freier Dienstleistungsverkehr - Ärzte - Medizinische Fachgebiete - Ausbildungszeiten
- Vergütung - Unmittelbare Wirkung“
In der Rechtssache C-371/97
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom Tribunale civile e
penale Venedig (Italien) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
Cinzia Gozza u. a.
gegen
Università degli Studi di Padova u. a.
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Richtlinie 82/76/EWG des Rates vom
26. Januar 1982 zur Änderung der Richtlinie 75/362/EWG für die gegenseitige Anerkennung der Diplome,
Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Arztes und für Maßnahmen zur Erleichterung
der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr
sowie der Richtlinie 75/363/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die
Tätigkeiten des Arztes (ABl. L 43, S. 21)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten D. A. O. Edward (Berichterstatter) sowie der Richter A. La Pergola
und H. Ragnemalm,
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der italienischen Regierung, vertreten durch Professor U. Leanza, Leiter des Servizio del contenzioso
diplomatico des Außenministeriums, als Bevollmächtigten, im Beistand von Avvocato dello Stato O. Fiumara,
- der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del Estado P. Plaza García als Bevollmächtigte,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater E. Traversa als
Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen von Frau Gozza u. a., vertreten durch Rechtsanwälte R.
Mastroianni, Cosenza, und P. Piva, Venedig, und der spanischen Regierung, vertreten durch Abogado del
Estado N. Díaz Abad als Bevollmächtigten, in der Sitzung vom 6. April 2000,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Mai 2000,
folgendes
Urteil
1.
Das Tribunale civile e penale Venedig hat mit Beschluss vom 7. Oktober 1997, beim Gerichtshof
eingegangen am 27. Oktober 1997, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) zwei Fragen
nach der Auslegung der Richtlinie 82/76/EWG des Rates vom 26. Januar 1982 zur Änderung der
Richtlinie 75/362/EWG für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und
sonstigen Befähigungsnachweise des Arztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen
Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr sowie der
Richtlinie 75/363/EWG zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten
des Arztes (ABl. L 43, S. 21) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2.
Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Cinzia Gozza und 635 anderen Klägern auf
der einen und der Università degli Studi di Padova (Universität Padova), dem Ministero dell'Università e
della Ricerca Scientifica e Tecnologica, dem Ministero della Sanità sowie dem Ministero della Pubblica
Istruzione auf der anderen Seite, in dem es um den Anspruch von Ärzten, die sich in der Weiterbildung
zum Facharzt befinden, auf eine „angemessene Vergütung“ während ihrer Weiterbildungszeit geht.
Das Gemeinschaftsrecht
3.
Die Richtlinie 75/362/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 (ABl. L 167, S. 1; im Folgenden:
Anerkennungsrichtlinie) dient der gegenseitigen Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und
sonstigen Befähigungsnachweise des Arztes und enthält Maßnahmen zur Erleichterung der
tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr.
Die Richtlinie 75/363/EWG des Rates vom 16. Juni 1975 (ABl. L 167, S. 14; im Folgenden:
Koordinierungsrichtlinie) dient der Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die
Tätigkeiten des Arztes. Diese Richtlinien wurden u. a. durch die Richtlinie 82/76 geändert.
4.
Die Anerkennungsrichtlinie unterscheidet bei der Anerkennung fachärztlicher Diplome drei
Fallgruppen. Ist das betreffende Fachgebiet allen Mitgliedstaaten gemeinsam und ist es in der Liste
des Artikels 5 Absatz 2 der Richtlinie aufgeführt, so erfolgt die Anerkennung ohne weiteres (Artikel 4).
Gibt es das Fachgebiet in zwei oder mehr Mitgliedstaaten und ist es in Artikel 7 Absatz 2 aufgeführt,
so erfolgt die Anerkennung in diesen Mitgliedstaaten ohne weiteres (Artikel 6). Schließlich regelt
Artikel 8, dass bei Fachgebieten, die in der Aufzählung weder des Artikels 5 noch des Artikels 7
enthalten sind, der Aufnahmemitgliedstaat von den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten verlangen
kann, dass sie die hierfür in seinem nationalen Recht vorgesehenen Weiterbildungsvoraussetzungen
erfüllen, wobei er jedoch von diesen Staatsangehörigen zurückgelegte Weiterbildungszeiten, die durch
einen von den zuständigen Behörden des Heimat- oder Herkunftsstaats ausgestellten
Befähigungsnachweis belegt sind, berücksichtigt, wenn diese Zeitendenjenigen entsprechen, die im
Aufnahmemitgliedstaat für die betreffende Facharztausbildung verlangt werden.
5.
Die Koordinierungsrichtlinie sieht für die gegenseitige Anerkennung der Diplome,
Prüfungszeugnisse oder sonstigen fachärztlichen Befähigungsnachweise eine gewisse Harmonisierung
der Voraussetzungen für die Weiterbildung und den Zugang zu den verschiedenen medizinischen
Fachgebieten vor.
6.
Nach der zweiten Begründungserwägung dieser Richtlinie sind zur Koordinierung der
Ausbildungsbedingungen für Fachärzte „bestimmte Mindestbedingungen für den Zugang zur
Weiterbildung, deren Mindestdauer, die Art ihrer Durchführung und den Ort, an dem sie erfolgt, sowie
für die Kontrolle der Weiterbildung“ festzulegen. Im letzten Satz dieser Begründungserwägung heißt es
weiter: „Die genannten Bedingungen betreffen nur solche Fachgebiete, die allen Mitgliedstaaten
gemeinsam sind oder in zwei oder mehr Mitgliedstaaten bestehen.“
7.
Artikel 2 Absatz 1 der Koordinierungsrichtlinie in der durch Artikel 9 der Richtlinie 82/76 geänderten
Fassung legt die Mindestvoraussetzungen fest, denen die Weiterbildung, die zum Erwerb eines
Diploms, Prüfungszeugnisses oder sonstigen Befähigungsnachweises eines Facharztes führt,
entsprechen muss. Insbesondere muss diese Weiterbildung nach Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c als
Vollzeitweiterbildung unter der Aufsicht der gemäß Nummer 1 des Anhangs zuständigen Behörden
oder Stellen erfolgen.
8.
Nach Artikel 3 der Koordinierungsrichtlinie in der durch Artikel 10 der Richtlinie 82/76 geänderten
Fassung können die Mitgliedstaaten eine ärztliche Weiterbildung auf Teilzeitbasis zulassen. Diese
Weiterbildung auf Teilzeitbasis muss gemäß Nummer 2 des Anhangs erfolgen.
9.
Der durch Artikel 13 der Richtlinie 82/76 angefügte Anhang der Koordinierungsrichtlinie, der die
Überschrift „Merkmale der ärztlichen Weiterbildung auf Voll- und Teilzeitbasis“ trägt, lautet:
Sie erfolgt an spezifischen Weiterbildungsstätten, die von den zuständigen Behörden anerkannt sind.
Sie setzt die Beteiligung an sämtlichen ärztlichen Tätigkeiten in dem Bereich voraus, in dem die
Weiterbildung erfolgt, einschließlich des Bereitschaftsdienstes, so dass der in der ärztlichen
Weiterbildung befindliche Arzt dieser praktischen und theoretischen Weiterbildung während der
gesamten Dauer der Arbeitswoche und während des gesamten Jahres gemäß den von den
zuständigen Behörden festgesetzten Modalitäten seine volle berufliche Tätigkeit widmet. Folglich
werden diese Stellen angemessen vergütet.
Diese Weiterbildung kann aus Gründen wie Wehrdienst, wissenschaftliche Aufträge, Schwangerschaft
oder Krankheit unterbrochen werden. Die Gesamtdauer der Weiterbildung darf durch die
Unterbrechung nicht verkürzt werden.
Sie erfolgt unter den gleichen Bedingungen wie die Weiterbildung auf Vollzeitbasis, von der sie sich
nur durch die Möglichkeit unterscheidet, die Beteiligung an den ärztlichen Tätigkeiten auf eine Dauer
zu beschränken, die mindestens der Hälfte der unter Nr. 1 Absatz 2 genannten Zeitspanne entspricht.
Die zuständigen Behörden tragen Sorge dafür, dass Gesamtdauer und Qualität der ärztlichen
Weiterbildung auf Teilzeitbasis nicht geringer sind als auf Vollzeitbasis.
Die Teilzeitweiterbildung wird daher angemessen vergütet.“
10.
Die Artikel 4 und 5 der Koordinierungsrichtlinie legen die Mindestdauer der Weiterbildung zum
Facharzt fest, die zum Erwerb der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise
im Sinne der Artikel 5 und 7 der Anerkennungsrichtlinie führt, die allen Mitgliedstaaten bzw. zwei oder
mehreren von diesen gemeinsam sind.
11.
Nach Artikel 16 der Richtlinie 82/76 müssen die Mitgliedstaaten alle erforderlichen Maßnahmen
treffen, um der Richtlinie bis zum 31. Dezember 1982 nachzukommen, und die Kommission unverzüglich
davon in Kenntnis setzen.
12.
Die Anerkennungsrichtlinie, die Koordinierungsrichtlinie und die Richtlinie 82/76 wurden zeitlich nach
dem entscheidungserheblichen Zeitraum durch die Richtlinie 93/16/EWG des Rates vom 5. April 1993
zur Erleichterung der Freizügigkeit für Ärzte und zur gegenseitigen Anerkennung ihrer Diplome,
Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise (ABl. L 165, S. 1) aufgehoben und ersetzt.
Das nationale Recht
13.
Die Anerkennungs- und die Koordinierungsrichtlinie wurden durch das Gesetz Nr. 217 vom 22. Mai
1978 (GURI Nr. 146 vom 29. Mai 1978) in das innerstaatliche Recht der Italienischen Republik
umgesetzt.
14.
Der Gerichtshof hat mit Urteil vom 7. Juli 1987 in der Rechtssache 49/86 (Kommission/Italien, Slg.
1987, 2995) festgestellt, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem
EWG-Vertrag verstoßen hat, dass sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist die erforderlichen
Vorschriften erlassen hat, um der Richtlinie 82/76 nachzukommen.
15.
Auf dieses Urteil hin wurde die Richtlinie 82/76 durch das Decreto legislativo Nr. 257 vom 8. August
1991 (GURI Nr. 191 vom 16. August 1991; im folgenden: Gesetzesdekret Nr. 257) umgesetzt, das 15
Tage nach seiner Bekanntmachung in Kraft trat.
16.
Artikel 4 des Gesetzesdekrets Nr. 257 regelt die Rechte und Pflichten der Ärzte, die an einer
Weiterbildung zum Facharzt teilnehmen; Artikel 6 setzt ein Stipendium für sie aus.
17.
Artikel 6 Absatz 1 des Gesetzesdekrets Nr. 257 lautet:
„Zu den Weiterbildungsschulen ... im Zusammenhang mit einer Vollzeitanstellung zu ihrer
Weiterbildung zugelassene Personen erhalten während der gesamten Dauer des Kurses mit
Ausnahme von Zeiten, während deren die Weiterbildung zum Facharzt ausgesetzt wird, ein
Stipendium, das für das Jahr 1991 auf 21 500 000 ITL festgesetzt wird. Dieser Betrag wird vom 1.
Januar 1992 an jährlich um den voraussichtlichen Inflationssatz erhöht und alle drei Jahre durch
Dekret des Ministers für das Gesundheitswesen ... nach Maßgabe der der Tabelle entsprechenden
Mindesterhöhung der Bezüge, die in den Arbeitsverträgen für das ärztliche Personal im Dienst des
nationalen Gesundheitsdienstes vorgesehen ist, neu festgesetzt.“
18.
Die Bestimmungen des Gesetzesdekrets gelten nach dessen Artikel 8 Absatz 2 ab dem Studienjahr
1991/92.
19.
Nach dem Vorlageschluss wird diese Bestimmung so ausgelegt, dass das mit dem Gesetzesdekret
Nr. 257 eingeführte Stipendium nicht für zuvor zur Weiterbildung zum Facharzt zugelassene Ärzte auch
nach dem Studienjahr 1991/92 gilt.
Der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens
20.
Die Kläger des Ausgangsverfahrens, sämtlich Studienabsolventen der Medizin und der Chirurgie,
nahmen im Studienjahr 1990/91 an einer Weiterbildung an verschiedenen der Universität Padua
angeschlossenen Weiterbildungsschulen teil. Da sie das durch das Gesetzesdekret Nr. 257
eingeführte Stipendium nicht erhielten, beantragten sie die Anerkennung eines Anspruchs auf eine
angemessene Vergütung nach den Bestimmungen der Anerkennungs- und der
Koordinierungsrichtlinie sowie der Richtlinie 82/76. Dementsprechend beantragten sie die Verurteilung
der Universität Padua und der anderen Beklagten - der Minister für das Hochschulwesen und für
wissenschaftliche und technische Forschung, für das Gesundheitswesen und für das Schulwesen - zur
Zahlung der geschuldeten Beträge, deren genaue Höhe im Verfahren festgestellt werden sollte.
21.
Die Beklagten machten geltend, die in Rede stehenden Richtlinien hätten keine unmittelbare
Wirkung, da sie den Schuldner der angemessenen Vergütung nichtbezeichneten und vor allem keine
Kriterien enthielten, die die Festsetzung dieser Vergütung ermöglichten.
22.
Im Übrigen schaffe das Gesetzesdekret Nr. 257 keine Ungleichbehandlung von Ärzten in der
Weiterbildung zum Facharzt, die sich (wie die Kläger) vor dem Studienjahr 1991/92 immatrikuliert
hätten, - auf die die neue nationale Regelung keine Anwendung finde - und denjenigen, die sich nach
dem Studienjahr 1991/92 immatrikuliert hätten, - für die diese Regelung gelte -. Denn im Unterschied
zu den Ärzten, die sich nach 1991/92 immatrikuliert hätten, seien die Ärzte, die sich vor dieser Zeit
immatrikuliert hätten - wie die Kläger - nicht verpflichtet gewesen, in Vollzeit tätig zu werden, und zu
versprechen, keine berufliche Tätigkeit auszuüben. Jedoch befänden sich die Kläger in einer
Weiterbildung auf Teilzeitbasis.
23.
Da das Tribunale civile e penale Venedig der Ansicht war, dass die Entscheidung des Rechtsstreits
von der Auslegung der Richtlinie 82/76 abhänge, hat es das Verfahren ausgesetzt und dem
Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ist die Bestimmung der Richtlinie 82/76/EWG, nach der die ärztliche Weiterbildung sowohl auf
Vollzeit- als auch auf Teilzeitbasis „angemessen vergütet“ wird, auch für den Zeitraum, in dem der
italienische Staat keine besonderen Bestimmungen erlassen hatte, dahin auszulegen, dass sie
unmittelbare Wirkung zugunsten der in der Weiterbildung zum Facharzt befindlichen Ärzte entfaltet,
oder dahin, dass sie ihnen den unbeschränkten Anspruch gegen die zuständigen Behörden des
Staates verleiht, eine angemessene Vergütung im Zusammenhang mit den Tätigkeiten zu erhalten,
die im Rahmen der beruflichen Weiterbildung entfaltet werden?
2. Wenn festgestellt wird, dass das erwähnte Recht besteht, welches sind dann die Kriterien für die
Festlegung der „angemessenen Vergütung“ sowohl im Zusammenhang mit der Weiterbildung auf
Vollzeitbasis als auch im Zusammenhang mit der Weiterbildung auf Teilzeitbasis?
Zur Zulässigkeit
24.
Die italienische und die spanische Regierung vertreten in ihren schriftlichen Erklärungen die
Ansicht, dass die Fragen unzulässig seien.
25.
Die spanische Regierung führt aus, die vorgelegten Fragen seien unzulässig, da der Sachverhalt
unvollständig sei. Die Verpflichtung, die Weiterbildungszeiten für die medizinischen Fachgebiete zu
vergüten, in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c der Koordinierungsrichtlinie in der Fassung der Richtlinie
82/76 gelte nur für Fachgebiete, die allen Mitgliedstaaten oder zwei oder mehr von ihnen gemeinsam
seien, und unter der Voraussetzung, dass diese Fachgebiete in den Artikeln 5 oder7 der
Anerkennungsrichtlinie aufgeführt seien. Im vorliegenden Fall habe das nationale Gericht nicht genau
angegeben, in welchen Fachgebieten die Kläger weitergebildet würden.
26.
Zwar hat der Gerichtshof bereits in seinem Urteil vom 6. Dezember 1994 in der Rechtssache C-
277/93 (Kommission/Spanien Slg. 1994, I-5515, Randnr. 20) festgestellt, dass die in Artikel 2 Absatz 1
Buchstabe c der Koordinierungsrichtlinie in der durch die Richtlinie 82/76 geänderten Fassung
vorgesehene Verpflichtung zur Vergütung der Ausbildungszeiten in den medizinischen Fachgebieten
nur für die medizinischen Fachgebiete gilt, die allen Mitgliedstaaten gemeinsam sind oder in zwei oder
mehr Mitgliedstaaten bestehen und die in den Artikeln 5 oder 7 der Anerkennungsrichtlinie aufgeführt
sind.
27.
Das Fehlen genauer Angaben dazu, in welchen medizinischen Fachgebieten die Kläger
weitergebildet werden, hindert den Gerichtshof jedoch nicht daran, die vom nationalen Gericht
vorgelegten Fragen zu beantworten.
28.
Die Anerkennungs- und die Koordinierungsrichtlinie führen nämlich klar für die betreffenden
Fachgebiete sowohl die in den Mitgliedstaaten geltenden Bezeichnungen als auch die für die
Ausstellung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise für die
betreffenden Fachgebiete zuständigen Behörden oder Einrichtungen auf. Daher ist es Sache des
vorlegenden Gerichts, zu bestimmen, welche Kläger sich in einem dieser fachlichen
Weiterbildungsgänge befinden und daher nach der Koordinierungsrichtlinie in der Fassung der
Richtlinie 82/76 einen Anspruch auf eine angemessene Vergütung während ihrer Weiterbildung haben
können.
29.
Die italienische Regierung macht geltend, die Fragen seien unzulässig, da sie vom
Untersuchungsrichter des Tribunal civile e penale, also von einem Richter vorgelegt worden seien, der
nach italienischem Verfahrensrecht nicht befugt sei, in der Sache zu entscheiden.
30.
Nach der Verteilung der Aufgaben zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten ist der
erstere jedoch nicht befugt, nachzuprüfen, ob die Entscheidung, mit der er angerufen worden ist, den
nationalen Vorschriften über die Gerichtsorganisation und das Verfahren entspricht (siehe Urteile vom
3. März 1994 in den Rechtssachen C-332/92, C-333/92 und C-335/92, Eurico Italia u. a., Slg. 1994, I-
711, Randnr. 13, und vom 16. September 1999 in der Rechtssache C-435/97, WWF u. a., Slg. 1999,
5613, Randnr. 33).
31.
Somit sind die Vorlagefragen zulässig.
Zur Beantwortung der Fragen
32.
Mit seinen Fragen möchte das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob die Bestimmungen der
Richtlinie 82/76, die die Verpflichtung betreffen, dieWeiterbildung auf Voll- und Teilzeitbasis
angemessen zu vergüten, unbedingt und so klar sind, dass in der Weiterbildung zum Facharzt
befindliche Ärzte in Ermangelung einer fristgerechten Umsetzung dieser Richtlinie diese Verpflichtung
gegenüber den Verwaltungsbehörden eines Mitgliedstaats vor den nationalen Gerichten geltend
machen können, zum anderen aber, welches die Kriterien für die Festsetzung der „angemessenen“
Vergütung sind.
33.
Der Gerichtshof hat bereits im Urteil vom 25. Februar 1999 in der Rechtssache C-131/97 (Carbonari
u. a., Slg. 1999, I-1103) über die Auslegung von Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c und von Nummer 1 des
Anhangs der Koordinierungsrichtlinie in der Fassung der Richtlinie 82/76 befunden, die eine
angemessene Vergütung der auf Vollzeitbasis durchgeführten Weiterbildung vorsehen, und hat somit
den nationalen Gerichten alles für die Entscheidung dieser Art von Rechtsstreit Erforderliche an die
Hand gegeben.
34.
Zum einen hat der Gerichtshof festgestellt, dass Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c und Nummer 1 des
Anhangs der Koordinierungsrichtlinie in der durch die Richtlinie 82/76 geänderten Fassung die
Mitgliedstaaten verpflichten, bei Ärzten, die die Regelung der gegenseitigen Anerkennung in Anspruch
nehmen können, die Zeiten der Weiterbildung zum Facharzt zu vergüten, soweit diese unter den
Geltungsbereich der Richtlinie fallen. Diese Verpflichtung ist als solche unbedingt und hinreichend
genau (Urteil Carbonari u. a., Randnr. 44).
35.
Zum anderen hat der Gerichtshof ausgeführt, dass das nationale Gericht, um bestimmen zu
können, ob der Anspruch in der Weiterbildung zum Facharzt befindlichen Ärzten zuzubilligen ist, prüfen
muss, ob diese Ärzte zur Gruppe der Ärzte gehören, die sich in einem der in den Artikeln 5 oder 7 der
Anerkennungsrichtlinie aufgeführten Weiterbildungsgänge zum Facharzt befinden (Urteil Carbonari u.
a., Randnrn. 27 und 28), und ob diese Weiterbildung entsprechend den Anforderungen der
Koordinierungsrichtlinie in der Fassung der Richtlinie 82/76 erfolgt (Urteil Carbonari u. a., Randnrn. 33
und 34).
36.
Zum dritten hat der Gerichtshof entschieden, dass Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c und Nummer 1
des Anhangs der Koordinierungsrichtlinie in der Fassung der Richtlinie 82/76 nicht unbedingt sind, da
sie keine Angaben dazu enthalten, welche Einrichtung zur Zahlung der angemessenen Vergütung
verpflichtet ist, was unter einer angemessenen Vergütung zu verstehen ist und welches die Methode
zur Festsetzung dieser Vergütung ist (Urteil Carbonari u. a., Randnr. 47).
37.
Zum vierten hat der Gerichtshof festgestellt, dass es jedoch Sache des nationalen Gerichts ist, zu
beurteilen, inwieweit das gesamte innerstaatliche Recht, insbesondere aber - seit ihrem Inkrafttreten -
die Bestimmungen eines zur Umsetzung der Richtlinie 82/76 erlassenen Gesetzes im Lichte des
Wortlauts und des Zweckes dieser Richtlinie ausgelegt werden können, damit das mit dieser Richtlinie
angestrebte Ergebnis erreicht wird (Urteil Carbonari u. a., Randnr. 49).
38.
Zuletzt hat der Gerichtshof ausgeführt, falls das Gemeinschaftsrecht für den Fall, dass das mit der
Koordinierungsrichtlinie in der Fassung der Richtlinie 82/76 angestrebte Ziel nicht im Wege der
richtlinienkonformen Auslegung erreicht werden könne, sei die Italienische Republik den Bürgern zum
Ersatz der ihnen verursachten Schäden verpflichtet, sofern folgende drei Voraussetzungen vorlägen:
Ziel des verletzten Rechtssatzes ist die Verleihung von inhaltlich bestimmten Rechten an Bürger, die
Rechtsverletzung ist hinreichend schwer und zwischen der Verletzung der staatlichen Pflichten und
dem entstandenen Schaden besteht ein Kausalzusammenhang (vgl. Urteil Carbonari u. a., Randnr.
52).
39.
Dabei könnten die Schadensfolgen der verspäteten Umsetzung der Richtlinie 82/76 durch die
rückwirkende, vollständige Anwendung der Maßnahmen zu deren Durchführung behoben werden,
sofern diese Richtlinie ordnungsgemäß umgesetzt worden ist. Es ist jedoch Sache des nationalen
Gerichts, darüber zu wachen, dass der den Begünstigten entstandene Schaden angemessen ersetzt
wird. Eine rückwirkende, ordnungsgemäße und vollständige Anwendung der Maßnahmen zur
Durchführung der Richtlinie 82/76 genügt hierfür, sofern die Begünstigten nicht dartun, dass ihnen
zusätzliche Einbußen dadurch entstanden sind, dass sie nicht rechtzeitig in den Genuss der durch die
Richtlinie garantierten finanziellen Vergünstigungen gelangen konnten; für solche Einbußen wären sie
ebenfalls zu entschädigen (Urteil Carbonari u. a., Randnr. 53).
40.
Das vorlegende Gericht wirft weiter die Frage auf, wie die Bestimmungen der
Koordinierungsrichtlinie in der Fassung der Richtlinie 82/76 auszulegen sind, die die Verpflichtung zur
angemessenen Vergütung der Facharztweiterbildung auf Teilzeitbasis betreffen.
41.
Das Ergebnis, zu dem das Urteil Carbonari u. a. in Bezug auf die Weiterbildung auf Vollzeitbasis
gelangte, das in den Randnummern 33 bis 39 des vorliegenden Urteils wiedergegeben ist, lässt sich
in vollem Umfang auf die Weiterbildung zum Facharzt auf Teilzeitbasis übertragen.
42.
Das folgt sowohl aus dem Zweck als auch aus dem Wortlaut der Koordinierungsrichtlinie und der
Richtlinie 82/86. Nach Artikel 3 Absatz 2 und Nummer 2 des Anhangs der Koordinierungsrichtlinie in
der Fassung der Richtlinie 82/76 ist für die Weiterbildung auf Teilzeitbasis ebenfalls eine angemessene
Vergütung zu gewähren.
43.
Diese Vergütung, die als Ausgleich und zur Anerkennung der geleisteten Arbeit gewährt wird, ist für
Ärzte bestimmt, die sich in der Weiterbildung zum Facharzt befinden und sich an allen ärztlichen
Tätigkeiten der Abteilung beteiligen, in der die Weiterbildung erfolgt. Diese Ärzte widmen nämlich
während der gesamten Dauer der Arbeitswoche bzw. im Fall des Arztes, der sich in der Weiterbildung
auf Teilzeitbasis befindet, während eines erheblichen Teils dieser Woche ihre volle berufliche Tätigkeit
dieser praktischen und theoretischen Weiterbildung.
44.
Das vorlegende Gericht hat daher bei der Bestimmung sowohl der Einrichtung, die zur Zahlung der
angemessenen Vergütung verpflichtet ist, als auch bei der Bestimmung der Methode zur Festsetzung
dieser Vergütung diesen Zweck der Koordinierungsrichtlinie in der Fassung der Richtlinie 82/76 unter
Anwendung der wiedergegebenen Grundsätze in den Randnummern 33 bis 39 dieses Urteils zu
berücksichtigen.
45.
Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c und Nummer 1 des
Anhangs der Koordinierungsrichtlinie in der Fassung der Richtlinie 82/76 sowie Artikel 3 Absatz 2 und
Nummer 2 des Anhangs der Koordinierungsrichtlinie in der Fassung der Richtlinie 82/76 wie folgt
auszulegen sind:
- Die Verpflichtung, für die Zeiten der Weiterbildung zum Facharzt eine angemessene Vergütung zu
gewähren, gilt nur für ärztliche Fachgebiete, die allen bzw. mindestens zwei Mitgliedstaaten
gemeinsam und in den Artikeln 5 bzw. 7 der Anerkennungsrichtlinie aufgeführt sind.
- Diese Verpflichtung gilt nur dann, wenn die in der Weiterbildung zum Facharzt befindlichen Ärzte die
Voraussetzungen für die Weiterbildung auf Vollzeitbasis in Nummer 1 des Anhangs der
Koordinierungsrichtlinie in der Fassung der Richtlinie 82/76 oder die Voraussetzungen für die
Weiterbildung auf Teilzeitbasis in Nummer 2 des Anhangs der Koordinierungsrichtlinie in der Fassung
der Richtlinie 82/76 beachten.
- Diese Verpflichtung ist unbedingt und hinreichend genau, soweit sie vorschreibt, dass ein Facharzt
die in der Anerkennungsrichtlinie vorgesehene Regelung der gegenseitigen Anerkennung nur dann in
Anspruch nehmen kann, wenn seine Weiterbildung auf Vollzeitbasis oder auf Teilzeitbasis erfolgt und
vergütet wird.
- Diese Verpflichtung erlaubt allerdings als solche dem nationalen Gericht nicht die Feststellung, wer
Schuldner der angemessenen Vergütung ist und wie hoch diese sein muss.
Das nationale Gericht muss jedoch vor wie nach dem Erlass einer Richtlinie erlassene Bestimmungen
des nationalen Rechts soweit irgend möglich im Lichte des Wortlauts und des Zweckes dieser
Richtlinie auslegen.
46.
Angesichts der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nach den Kriterien für die
Festsetzung der angemessenen Vergütung nicht beantwortet zu werden.
Kosten
Die Auslagen der italienischen und der spanischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen
Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig.
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem
vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses
Gerichts.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)
auf die ihm vom Tribunale civile e penale Venedig mit Beschluss vom 7. Oktober 1997 vorgelegten
Fragen für Recht erkannt:
Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe c und Nummer 1 des Anhangs der Richtlinie 75/363/EWG des
Rates vom 16. Juni 1975 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die
Tätigkeiten des Arztes in der Fassung der Richtlinie 82/76/EWG des Rates vom 26. Januar
1982 zur Änderung der Richtlinie 75/362/EWG für die gegenseitige Anerkennung der
Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Arztes und für
Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und
des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr sowie der Richtlinie 75/363 und Artikel 3
Absatz 2 sowie Nummer 2 des Anhangs der Richtlinie 75/363 in der Fassung der Richtlinie
82/76 sind wie folgt auszulegen:
- Die Verpflichtung, für die Zeiten der Weiterbildung zum Facharzt eine angemessene
Vergütung zu gewähren, gilt nur für ärztliche Fachgebiete, die allen bzw. mindestens
zwei Mitgliedstaaten gemeinsam und in den Artikeln 5 bzw. 7 der Richtlinie 75/362/EWG
des Rates vom 16. Juni 1975 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome,
Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Arztes und für Maßnahmen
zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts
auf freien Dienstleistungsverkehr aufgeführt sind.
- Diese Verpflichtung gilt nur dann, wenn die in der Weiterbildung zum Facharzt
befindlichen Ärzte die Voraussetzungen für die Weiterbildung auf Vollzeitbasis in Nummer
1 des Anhangs der Richtlinie 75/363 in der Fassung der Richtlinie 82/76 oder die
Voraussetzungen für die Weiterbildung auf Teilzeitbasis in Nummer 2 des Anhangs der
Richtlinie 75/363 in der Fassung der Richtlinie 82/76 beachten.
- Diese Verpflichtung ist unbedingt und hinreichend genau, soweit sie vorschreibt, dass
ein Facharzt die in der Richtlinie 75/362 vorgeseheneRegelung der gegenseitigen
Anerkennung nur dann in Anspruch nehmen kann, wenn seine Weiterbildung auf
Vollzeitbasis oder auf Teilzeitbasis erfolgt und vergütet wird.
- Diese Verpflichtung erlaubt allerdings als solche dem nationalen Gericht nicht die
Feststellung, wer Schuldner der angemessenen Vergütung ist und wie hoch diese sein
muss.
Das nationale Gericht muss jedoch vor wie nach dem Erlass einer Richtlinie erlassene
Bestimmungen des nationalen Rechts soweit irgend möglich im Lichte des Wortlauts und
des Zweckes dieser Richtlinie auslegen.
Edward
La Pergola
Ragnemalm
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. Oktober 2000.
Der Kanzler
Der Präsident der Vierten Kammer
R. Grass
D. A. O. Edward
Verfahrenssprache: Italienisch.