Urteil des EuGH vom 15.07.2004

EuGH: kommission, republik, ablauf der frist, regierung, gewässer, zahl, rüge, unvollständige angabe, programm, nummer

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Zweite Kammer)
15. Juli 2004
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Richtlinie 76/160/EWG – Qualität der Badegewässer –
Nichteinhaltung der Grenzwerte – Fehlende Angabe aller Binnengewässerbadegebiete in Portugal –
Unzureichende Zahl an Probenahmen“
In der Rechtssache C-272/01
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Portugiesische Republik
Bevollmächtigte,
Beklagte,
wegen Feststellung, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4
Absatz 1 in Verbindung mit den Artikeln 1 Absatz 2 und 3 sowie dem Anhang der Richtlinie 76/160/EWG des
Rates vom 8. Dezember 1975 über die Qualität der Badegewässer (ABl. 1976, L 31, S. 1) und aus Artikel 6
Absätze 1 und 2 dieser Richtlinie verstoßen hat, dass sie
nicht alle notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die Qualität der Badegewässer
den nach Artikel 3 der Richtlinie festgelegten Werten entspricht;
nicht die im Anhang der Richtlinie vorgesehene Mindesthäufigkeit der Probenahmen eingehalten hat und
nicht alle Binnengewässerbadegebiete in Portugal angegeben hat,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richter C. Gulmann, J.-P. Puissochet und
J. N. Cunha Rodrigues sowie der Richterin N. Colneric (Berichterstatterin),
Generalanwalt: P. Léger,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des Berichts der Berichterstatterin,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. Oktober 2003,
folgendes
Urteil
1
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 10. Juli 2001 bei der Kanzlei
des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG Klage erhoben, mit der sie beantragt,
festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absatz 1
der Richtlinie 76/160/EWG des Rates vom 8. Dezember 1975 über die Qualität der Badegewässer (ABl. 1976,
L 31, S. 1; im Folgenden: Richtlinie) in Verbindung mit den Artikeln 1 Absatz 2 und 3 sowie dem Anhang der
Richtlinie und aus Artikel 6 Absätze 1 und 2 dieser Richtlinie verstoßen hat, dass sie
nicht alle notwendigen Maßnahmen getroffen hat, um sicherzustellen, dass die Qualität der
Badegewässer den nach Artikel 3 der Richtlinie festgelegten Werten entspricht;
nicht die im Anhang der Richtlinie vorgesehene Mindesthäufigkeit der Probenahmen eingehalten hat
und
nicht alle Binnengewässerbadegebiete in Portugal angegeben hat,
und der Portugiesischen Republik die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
2
Die Portugiesische Republik beantragt,
die Klage abzuweisen;
der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Rechtlicher Rahmen
3
Die Richtlinie ist nach ihrer ersten Begründungserwägung darauf gerichtet, zum Schutz der Umwelt und der
Gesundheit der Bevölkerung die Verunreinigung der Badegewässer herabzusetzen und diese vor weiterer
Qualitätsverminderung zu bewahren. Zu diesem Zweck sind im Anhang dieser Richtlinie eine Reihe chemisch-
physikalischer und mikrobiologischer Parameter, die auf Badegewässer anzuwenden sind, aufgeführt sowie
Leitwerte und zwingende Werte, anhand deren die Mitgliedstaaten die Grenzwerte für die Badegewässer
festlegen.
4
Nach Artikel 1 Absatz 1 betrifft die Richtlinie „die Qualitätsanforderungen an Badegewässer mit Ausnahme
von Wasser für therapeutische Zwecke und Wasser für Schwimmbecken“.
5
Artikel 1 Absatz 2 der Richtlinie bestimmt:
„Im Sinne dieser Richtlinie versteht man unter:
a)
‚Badegewässer‘ die fließenden oder stehenden Binnengewässer oder Teile dieser Gewässer sowie
Meerwasser, in denen das Baden
von den zuständigen Behörden eines jeden Mitgliedstaats ausdrücklich gestattet ist oder
nicht untersagt ist und in denen üblicherweise eine große Anzahl von Personen badet;
b)
‚Badegebiet‘ die Stelle, an der sich Badegewässer befinden;
c)
‚Badesaison‘ den Zeitraum, in dem unter Berücksichtigung der örtlichen Gepflogenheiten
einschließlich der etwaigen örtlichen Badevorschriften sowie der meteorologischen Verhältnisse mit
einem starken Zustrom von Badenden gerechnet werden kann.“
6
Nach Artikel 3 Absatz 1 der Richtlinie legen die Mitgliedstaaten für alle Badegebiete oder für jedes einzelne
Badegebiet die auf Badegewässer anwendbaren Werte für die im Anhang dieser Richtlinie aufgeführten
Parameter fest. Artikel 3 Absatz 2 sieht vor, dass die nach Absatz 1 festgelegten Werte nicht weniger streng
sein dürfen als die in Spalte I des Anhangs angegebenen Werte.
7
Nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie treffen die Mitgliedstaaten die notwendigen Maßnahmen, um
sicherzustellen, dass die Qualität der Badegewässer binnen zehn Jahren nach Bekanntgabe dieser Richtlinie
den gemäß Artikel 3 festgelegten Grenzwerten entspricht.
8
Die Portugiesische Republik sah voraus, dass die Anwendung der Richtlinie bei ihrem Beitritt zu den
Europäischen Gemeinschaften eine Reihe von Problemen aufwerfen werde, und beantragte eine
abweichende Regelung für die Umsetzung und Anwendung der Richtlinie. Diese abweichende Regelung
wurde ihr gemäß Artikel 395 und Teil III Nummer 3 des Anhangs XXXVI der Akte über die Bedingungen des
Beitritts des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und die Anpassungen der Verträge (ABl.
1985, L 302, S. 23) bis zum 1. Januar 1993 bewilligt.
9
Gemäß Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie werden im Rahmen der Anwendung des Artikels 4 die Badegewässer
als den betreffenden Parametern entsprechend angesehen, wenn die gemäß der im Anhang der Richtlinie
vorgesehenen Häufigkeit an derselben Schöpfstelle vorgenommenen Probenahmen erweisen, dass sie bei
einem in diesem Absatz festgelegten Prozentsatz der Proben den Werten der Parameter für die betreffende
Wasserqualität entsprechen.
10
Nach Artikel 6 Absatz 1 der Richtlinie führen die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten die Probenahmen
durch, deren Mindesthäufigkeit im Anhang dieser Richtlinie festgelegt wird. Artikel 6 Absatz 2 Sätze 1 und 3
sieht vor, dass Proben an den Stellen entnommen werden, wo durchschnittlich der stärkste tägliche
Badebetrieb herrscht, und dass die Probenahme zwei Wochen vor Anfang der Badesaison beginnt.
11
Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie gestattet Abweichungen zum einen bei bestimmten, im Anhang der Richtlinie
aufgeführten Parametern, wenn außergewöhnliche meteorologische oder geografische Verhältnisse
vorliegen, und zum anderen, wenn die Badegewässer eine natürliche Anreicherung mit bestimmten Stoffen
über die im Anhang dieser Richtlinie festgelegten Grenzwerte hinaus erfahren. Nimmt ein Mitgliedstaat eine
Abweichung vor, so hat er dies gemäß Artikel 8 Absatz 4 der Richtlinie der Kommission unverzüglich unter
Angabe der Gründe und der Dauer mitzuteilen.
12
Artikel 13 der Richtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten der Kommission regelmäßig – erstmalig vier Jahre
nach der Bekanntgabe der Richtlinie – einen zusammenfassenden Bericht über die Badegewässer und ihre
wesentlichsten Merkmale übermitteln (im Folgenden: Jahresbericht). Dieser Bericht wird seit dem 1. Januar
1993, dem Tag, an dem die Änderung des Artikels 13 durch die Richtlinie 91/692/EWG des Rates vom 23.
Dezember 1991 zur Vereinheitlichung und zweckmäßigen Gestaltung der Berichte über die Durchführung
bestimmter Umweltschutzrichtlinien (ABl. L 377, S. 48) wirksam wurde, jährlich abgegeben.
13
Die Richtlinie wurde durch das Decreto-Lei Nr. 74/90 vom 7. März 1990 (I, Serie A, Nr. 55,
vom 7. März 1990) in das portugiesische Recht umgesetzt. Dieses Decreto-Lei wurde durch das Decreto-Lei
Nr. 236/98 vom 1. August 1998 (I, Serie A, Nr. 176 vom 1. August 1998) aufgehoben und
ersetzt, in dem u. a. die auf Badegewässer anwendbaren Werte für die im Anhang der Richtlinie
angegebenen Parameter vorgesehen sind.
14
Nach Artikel 3 Nummer 24 des Decreto-Lei Nr. 236/98 erstreckt sich die portugiesische Badesaison auf dem
Festland über den Zeitraum vom 1. Juni bis zum 30. September eines jeden Jahres, während sie in der
Autonomen Region Azoren vom 15. Juni bis zum 15. September dauert.
15
Die in Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a zweiter Gedankenstrich der Richtlinie gebrauchte Wendung „in denen
… eine große Anzahl von Personen badet“ ist in Artikel 3 Nummer 12 des Decreto-Lei Nr. 236/98 so definiert,
dass dies „in der Badesaison ungefähr 100 Badenden pro Tag“ entspricht.
Vorverfahren
16
Da die Kommission der Auffassung war, dass bei einigen portugiesischen Badegebieten die zwingenden
Werte der Richtlinie nicht eingehalten und keine ausreichenden Probenahmen durchgeführt worden seien
und dass die Portugiesische Republik außerdem nicht alle Binnengewässerbadegebiete angegeben habe,
leitete sie das Vertragsverletzungsverfahren ein.
17
Nachdem sie die Portugiesische Republik zur Stellungnahme aufgefordert hatte, gab die Kommission am 11.
Dezember 1998 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab und forderte diesen Mitgliedstaat auf, die
erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer
Zustellung nachzukommen. Da die Antworten der portugiesischen Behörden die Kommission nicht zufrieden
stellten, hat sie die vorliegende Klage erhoben.
Zur Klage
18
Die Kommission erhebt drei Rügen gegenüber der Portugiesischen Republik. Sie ist der Ansicht, die
Portugiesische Republik habe dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus der Richtlinie verstoßen, dass sie
die in der Richtlinie festgelegten Qualitätsnormen nicht eingehalten habe,
nicht alle Badegebiete angegeben habe und
nicht die Mindesthäufigkeit der Probenahmen eingehalten habe.
Vorbringen der Parteien
19
Die Kommission wirft der Portugiesischen Republik vor, dass es eine erhebliche Zahl von Badegebieten
gebe, deren Wasserqualität nicht den in der Richtlinie festgelegten zwingenden Werten entspreche. Dies
verstoße gegen Artikel 4 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 der Richtlinie.
20
Nach Ansicht der Kommission geht aus der Tabelle in Nummer 2 ihres Berichts über die Badesaison 1998
hervor, dass im Lauf dieser Saison 10,5 % der Küstengewässer und 79,1 % der Binnengewässer nicht den
Werten entsprochen haben.
21
Die Übereinstimmungsquoten hätten sich für die Saison 1998 klar gegenüber dem Jahr 1997 verschlechtert,
in dem die Nichtübereinstimmungsquoten bei 9,8 % für Küstengewässer und 66,7 % für Binnengewässer
gelegen hätten.
22
Die Kommission trägt vor, dass dem von den portugiesischen Behörden erstellten Bericht über die Qualität
der Badegewässer in der Badesaison 1999 zu entnehmen sei, dass die Situation trotz einer Verbesserung
noch nicht zufrieden stellend gewesen sei, da 6,1 % der Küstengewässer und 21,6 % der Binnengewässer
den verbindlichen Werten nicht entsprochen hätten.
23
Im Übrigen betont die Kommission, dass ihre erste Rüge nicht auf den Zahlen beruhe, die ihr für die
Badesaison 2000 übermittelt worden seien.
24
Die portugiesische Regierung beruft sich auf eine wesentliche und stetige Verbesserung in Portugal bis
1999. Diese Verbesserung betreffe sowohl die ausreichende Zahl von Probenahmen als auch die
Grenzwerte.
25
Um die bekannten Schwierigkeiten in den Problemgebieten, die trotz dieser erheblichen Verbesserung
fortbestünden, zu meistern, hätten die portugiesischen Behörden verschiedene Korrektur- und
Vorbeugungsmaßnahmen angeregt, die der Kommission im Anschluss an die mit Gründen versehene
Stellungnahme mitgeteilt worden seien. Was die erlassenen Maßnahmen betrifft, so erwähnt die
portugiesische Regierung beispielhaft das in ihrem Schreiben vom 30. April 1999 aufgeführte Programm zur
gesundheitlichen Überwachung der Badegebiete, die dem jeweiligen Jahresbericht über die Anwendung der
Richtlinie beigefügten und die laufenden oder geplanten Sanierungsarbeiten umfassenden Programme zur
Verbesserung der Gebiete, die in der jeweiligen Badesaison den Werten nicht entsprochen hätten, sowie
das Programm der Maßnahmen, durch die die Qualität der Badegewässer geschützt und verbessert werden
solle.
26
Die portugiesische Regierung trägt vor, dass die Übereinstimmungsquote der Badegebiete an der Küste ein
Niveau nahe dem europäischen Durchschnitt von 90 % erreicht habe. 1999 habe die jeweilige
Übereinstimmung bei fast 94 % gelegen.
27
Was die Binnengewässerbadegebiete angeht, widerspricht die portugiesische Regierung den Zahlen, die im
Bericht der Kommission über die Badesaison 1998 angegeben sind. In jenem Jahr habe der Prozentsatz der
nicht richtlinienkonformen Gewässer 54 % und nicht 79 % betragen.
28
Nach Ansicht der portugiesischen Regierung werfen die Binnengewässerbadegebiete komplexere Probleme
auf.
Würdigung durch den Gerichtshof
29
Nach ständiger Rechtsprechung ist das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Lage zu beurteilen,
in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist befand, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme
gesetzt wurde (vgl. u. a. Urteil vom 15. März 2001 in der Rechtssache C‑147/00, Kommission/Frankreich, Slg.
2001, I‑2387, Randnr. 26).
30
Im vorliegenden Fall wurde der Portugiesischen Republik in der mit Gründen versehenen Stellungnahme eine
Frist von zwei Monaten nach ihrer Zustellung gesetzt, um dieser Stellungnahme nachzukommen. Da diese
mit Gründen versehene Stellungnahme am 11. Dezember 1998 zugestellt wurde, ist die Frist am 11. Februar
1999 abgelaufen. Auf dieses Datum ist somit für die Prüfung des Vorliegens einer Vertragsverletzung
abzustellen.
31
Auch wenn nicht bekannt ist, welche genauen Werte die betreffenden Badegewässer am 11. Februar 1999
aufwiesen, besteht kein Zweifel, dass die Qualität dieser Gewässer bei Ablauf der in der mit Gründen
versehenen Stellungnahme gesetzten Frist nicht den im Anhang der Richtlinie enthaltenen zwingenden
Werten entsprach. Die Berichte über die Qualität der portugiesischen Badegewässer in der
vorangegangenen und der nachfolgenden Badesaison lassen nämlich keinen anderen Schluss zu als den,
dass diese Gewässer nicht den Werten entsprachen.
32
So geht aus dem von den portugiesischen Behörden selbst erstellten Bericht über die Qualität der
Badegewässer in der Badesaison 1998 hervor, dass die Badegewässer in dieser Badesaison nicht
vollständig den im Anhang der Richtlinie festgelegten zwingenden Werten entsprachen.
33
Unstreitig wurden die im Anhang der Richtlinie aufgeführten zwingenden Werte bei den portugiesischen
Badegewässern trotz einer gewissen, von der Kommission anerkannten Verbesserung auch in der
Badesaison 1999 nicht vollständig eingehalten.
34
Zu den von der portugiesischen Regierung angeführten Maßnahmen und Schwierigkeiten ist daran zu
erinnern, dass Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie die Mitgliedstaaten zur Erreichung eines Ergebnisses
verpflichtet, nämlich dazu, dass die Qualität der Badegewässer den zwingenden Werten der Richtlinie
entspricht. Die Mitgliedstaaten können sich nach der Richtlinie – abgesehen von den in ihr vorgesehenen
Abweichungen – nicht auf besondere Umstände berufen, um die Nichterfüllung dieser Verpflichtung zu
rechtfertigen (vgl. u. a. Urteile vom 12. Februar 1998 in der Rechtssache C‑92/96, Kommission/Spanien, Slg.
1998, I‑505, Randnr. 28, und vom 25. Mai 2000 in der Rechtssache C‑307/98, Kommission/Belgien, Slg. 2000,
I‑3933, Randnr. 49).
35
Die portugiesische Regierung beruft sich auf keine in der Richtlinie vorgesehene Abweichung.
36
Folglich ist die erste Rüge der Kommission begründet.
Vorbringen der Parteien
37
Die Kommission wirft den portugiesischen Behörden vor, nicht alle Binnengewässerbadegebiete im Sinne des
Artikels 1 Absatz 2 der Richtlinie angegeben zu haben. Sie stellt eine Differenz fest zwischen der Anzahl der
angegebenen Binnengewässerbadegebiete, nämlich 26 im Jahr 1998, und der in einem operationellen
Programm, das ihren Dienststellen von der Portugiesischen Republik für die Gewährung einer
Gemeinschaftsfinanzierung vorgelegt worden sei, angegebenen Anzahl von Flussstränden, nämlich 91.
38
Die portugiesische Regierung trägt vor, dass das Programm zur Nutzung der Flussstrände für die Gebiete im
Landesinneren neue, mit Erholungs‑ und Spielaktivitäten verknüpfte Räume schaffen wolle und insoweit ganz
gewiss zum Baden geeignete Gebiete erfasse. Gleichzeitig wolle dieses Programm jedoch die Flussgebiete
unter Umwelt- und Landschaftsgestaltungsgesichtspunkten aufwerten. Viele dieser Gebiete seien aufgrund
der natürlichen Bedingungen zum Baden ungeeignet.
39
In den von diesem Programm erfassten Gebieten an Binnengewässern, in denen das Baden nicht verboten
sei, bade keine große Anzahl von Personen.
40
Die im Decreto-Lei Nr. 236/98 festgelegte Zahl von Badenden pro Tag dürfe nicht als rigides Kriterium
angesehen werden. Es handele sich vielmehr um eine Richtzahl, der die portugiesischen Behörden
Rechnung zu tragen hätten, um unter den in diesem Decreto-Lei und im Einklang mit den Bestimmungen der
Richtlinie festgelegten Bedingungen anspruchsvollere Gesundheitskontrollen durchzuführen.
41
Zusammenfassend trägt die portugiesische Regierung vor, dass die Anwendung der nationalen Regelung
zur Umsetzung der Richtlinie zu folgenden Ergebnissen führe:
Seien die Gewässer als Badegewässer eingestuft, erlaubten die portugiesischen Behörden das Baden
ausdrücklich, wenn die Wasserqualität keine Gefahr für die Gesundheit der Bevölkerung berge; die
betreffenden Gebiete würden dann in den der Kommission übermittelten Jahresbericht über die
Qualität der Badegewässer aufgenommen;
seien die Gewässer nicht als Badegewässer eingestuft, würden aber üblicherweise von einer großen
Zahl von Badenden besucht, werde ihre Qualität unter Berücksichtigung der Parameter und der
Häufigkeit der Probenahmen kontrolliert, die in der Richtlinie festgelegt seien; diese Gewässer würden
als Badegewässer eingestuft, wenn sich aufgrund der Ergebnisse mindestens einer
Untersuchungsreihe während der vorangegangenen Badesaison herausstelle, dass diese Parameter
eingehalten würden; entsprächen die festgestellten Werte nicht den Parametern der Richtlinie, werde
das Baden ausdrücklich verboten; diese Gewässer würden nur dann in den Jahresbericht über die
Qualität der Badegewässer aufgenommen, wenn sie als solche eingestuft seien.
42
Gestützt auf eine Untersuchung der Gebiete, die Gegenstand des Programms zur Nutzung der Flussstrände
sind, stellt die Kommission fest, dass die Badegebiete an Binnengewässern im Allgemeinen von einer Zahl
von Badenden pro Tag besucht würden, die unter der von den portugiesischen Behörden festgelegten
Grenze liege. Folglich erfassten diese Behörden weiterhin nicht alle Badegebiete an Binnengewässern.
Würdigung durch den Gerichtshof
43
Die den Mitgliedstaaten nach den Artikeln 3 und 4 der Richtlinie auferlegten Verpflichtungen gelten für alle
Badegebiete.
44
Nach Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie ist ein Badegebiet die Stelle, an der sich Badegewässer
befinden. Gemäß Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie setzt die Einstufung als Badegewässer voraus,
dass in den dort aufgeführten Gewässern das Baden von den zuständigen Behörden eines jeden
Mitgliedstaats ausdrücklich gestattet ist oder nicht untersagt ist und in ihnen üblicherweise eine große
Anzahl von Personen badet.
45
Zwischen den Parteien besteht eine grundlegende Meinungsverschiedenheit über die Einstufung der
Flussstrände, deren Zahl die Zahl der als Badegebiete angegebenen Gebiete übersteigt.
46
Die Kommission zieht mit ihrer Argumentation implizit die Vereinbarkeit des Decreto-Lei Nr. 236/98 mit der
Richtlinie insoweit in Zweifel, als jenes den Begriff der großen Anzahl von Badenden so auslege, dass er in
der Badesaison ungefähr 100 Badenden pro Tag entspreche.
47
Die Kommission hat jedoch der Portugiesischen Republik im Vorverfahren nicht vorgeworfen, Artikel 1 Absatz
2 Buchstabe b der Richtlinie nicht zutreffend in das innerstaatliche Recht umgesetzt zu haben, soweit diese
Bestimmung auf eine große Anzahl von Badenden Bezug nimmt. Die mit Gründen versehene Stellungnahme
der Kommission sowie die Klage müssen aber auf die gleichen Gründe und das gleiche Vorbringen gestützt
sein (vgl. Urteil vom 24. November 1992 in der Rechtssache C‑237/90, Kommission/Deutschland, Slg. 1992,
I‑5973, Randnr. 20).
48
Folglich kann die Kommission im vorliegenden Verfahren nicht geltend machen, dass die Flussstrände, die
von einer Zahl von Badenden besucht werden, die unter der im Decreto-Lei Nr. 236/98 festgelegten Grenze
liegt, und an denen das Baden weder ausdrücklich erlaubt noch verboten ist, nicht als Badegebiete im Sinne
der Richtlinie angegeben worden sind.
49
Zwar geht aus den Schriftsätzen der portugiesischen Regierung hervor, dass die Flussstrände nur dann als
Badegewässer eingestuft werden, wenn sich die Übereinstimmung ihrer Werte aufgrund der Ergebnisse
mindestens einer Untersuchungsreihe während der vorangegangenen Badesaison bestätigt, also unter
einer Bedingung, die in der Richtlinie nicht vorgesehen ist.
50
Die Kommission hat jedoch nicht vorgetragen, dass diese Praxis Flussstrände beeinträchtige, an denen die
Gewässer von einer großen Zahl von Badenden, wie sie in der portugiesischen Regelung festgelegt ist,
besucht werden.
51
Folglich ist die zweite Rüge der Kommission zurückzuweisen.
Vorbringen der Parteien
52
Auf der Grundlage von Artikel 6 Absätze 1 und 2 der Richtlinie wirft die Kommission der Portugiesischen
Republik vor, dass die Quote der Probenahmen, auch wenn sie sowohl in den Meeresbadegebieten als auch
in den Binnengewässerbadegebieten 100 % betrage, lediglich die angegebenen Badegebiete betreffe.
Dadurch, dass die Portugiesische Republik die Mindesthäufigkeit der Probenahmen wegen einer
unzureichenden Angabe der Binnengewässerbadegebiete nicht eingehalten habe, habe sie gegen ihre
Verpflichtungen aus Artikel 6 verstoßen.
53
Die portugiesische Regierung wirft der Kommission vor, die Nichteinhaltung der Häufigkeit der Probenahmen
auf der Grundlage der erwähnten Argumentation, d. h. hinsichtlich der nicht angegebenen Badegewässer,
zu keinem Zeitpunkt im Vorverfahren geltend gemacht zu haben. Das Vorbringen in der Klageschrift müsse
dem in der mit Gründen versehenen Stellungnahme entsprechen, sonst sei es unzulässig. Im vorliegenden
Fall habe die Kommission den Streitgegenstand dadurch geändert, dass sie in der Klageschrift Argumente
vorgebracht habe, die im Vorverfahren nicht zur Sprache gekommen seien. Dies sei eine schwere Verletzung
der Verteidigungsrechte der Portugiesischen Republik und damit eines grundlegenden Prinzips der
Gemeinschaftsrechtsordnung.
54
Die Kommission verweist auf Nummer 11 Buchstabe d ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme, wonach
„[f]olglich … die Flussstrandgewässer der Anwendung der Richtlinienbestimmungen [unterliegen], da der
Umstand, dass das Baden nicht gefördert wird, nicht bedeutet, dass es verboten wäre, so dass diese
Strände nach Artikel 1 Absatz 2 Buchstaben a und b der Richtlinie als Badegebiete eingestuft werden
müssten. Daraus folgt auch, dass die betreffenden Gewässer nicht den in der Richtlinie vorgesehenen
Werten entsprechen.“
Würdigung durch den Gerichtshof
55
Da die dritte Rüge die Nichteinhaltung der Mindesthäufigkeit der Probenahmen wegen unzureichender
Angabe der Binnengewässerbadegebiete betrifft und im vorliegenden Urteil die zweite Rüge betreffend
diesen Vorwurf einer unvollständigen Angabe zurückgewiesen worden ist, genügt die Feststellung, dass
auch der dritten Rüge keinesfalls stattgegeben werden kann.
56
Nach alledem ist festzustellen, dass die Portugiesische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus
Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie in Verbindung mit den Bestimmungen des Artikels 3 sowie des Anhangs
dieser Richtlinie verstoßen hat, dass sie nicht alle notwendigen Bestimmungen erlassen hat, um
sicherzustellen, dass die Qualität der Badegewässer den nach Artikel 3 der Richtlinie festgelegten
zwingenden Grenzwerten entspricht.
57
Im Übrigen ist die Klage abzuweisen.
Kosten
58
Nach Artikel 69 § 3 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, dass
jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da die Kommission und
die Portugiesische Republik mit ihrem Vorbringen teils obsiegt haben und teils unterlegen sind, haben sie
jeweils ihre eigenen Kosten zu tragen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1.
Die Portugiesische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absatz 1
der Richtlinie 76/160/EWG des Rates vom 8. Dezember 1975 über die Qualität der
Badegewässer in Verbindung mit den Bestimmungen des Artikels 3 sowie des Anhangs
dieser Richtlinie verstoßen, dass sie nicht alle notwendigen Bestimmungen erlassen hat,
um sicherzustellen, dass die Qualität der Badegewässer den nach Artikel 3 der Richtlinie
festgelegten zwingenden Grenzwerten entspricht.
2.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3.
Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
Timmermans
Gulmann
Puissochet
Cunha Rodrigues
Colneric
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. Juli 2004.
Der Kanzler
Der Präsident der Zweiten Kammer
R. Grass
C. W. A. Timmermans
Verfahrenssprache: Portugiesisch.