Urteil des EuGH vom 14.06.2001

EuGH: kommission, cassis de dijon, regierung, republik, inverkehrbringen, gold, silber, warenverkehr, luxemburg, verbraucherschutz

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Dritte Kammer)
14. Juni 2001
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) -
Inverkehrbringen von Arbeiten aus Edelmetall - Regelung über zulässige Feingehalte“
In der Rechtssache C-84/00
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Französische Republik,
Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen Feststellung, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-
Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen hat, dass sie das Inverkehrbringen von
Edelmetallarbeiten aus anderen Mitgliedstaaten mit der Feingehaltsangabe „999 Tausendstel“ in Frankreich
nicht zulässt, obwohl diese Feingehalte in der Handelspraxis allgemein verwendet werden,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann, der Richterin F. Macken und des Richters J. N. Cunha
Rodrigues (Berichterstatter),
Generalanwalt: J. Mischo
Kanzler: R. Grass
aufgrund des Berichts des Berichterstatters,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 22. März 2001,
folgendes
Urteil
1.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 7. März 2000 bei der
Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 EG Klage erhoben auf Feststellung,
dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag (nach
Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen hat, dass sie das Inverkehrbringen von Edelmetallarbeiten aus
anderen Mitgliedstaaten mit der Feingehaltsangabe „999 Tausendstel“ in Frankreich nicht zulässt,
obwohl diese Feingehalte in der Handelspraxis allgemein verwendet werden.
Gemeinschaftsrecht
2.
Nach Artikel 30 EG-Vertrag sind „[m]engenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen
gleicher Wirkung ... zwischen den Mitgliedstaaten verboten“.
Nationales Recht
3.
Artikel 521 des Code général des impôts (Allgemeines Steuergesetzbuch), geändert durch Gesetz
Nr. 94-6 vom 4. Januar 1994 zur Änderung der Regelung überEdelmetallgarantien und über die
Kontrollbefugnisse der Zollbediensteten hinsichtlich der verwaltungsrechtlichen Situation bestimmter
Personen (JORF vom 5. Januar 1994, S. 245, im Folgenden: CGI), bestimmt:
„Die Hersteller von Arbeiten aus Gold oder goldhaltigen Arbeiten, aus Silber oder aus Platin
unterliegen der Regelung der Garantie nach diesem Kapitel nicht nur für ihre eigene Herstellung,
sondern auch für die Arbeiten, die sie aus eigenen Materialien auf ihre Rechnung durch Dritte
herstellen lassen. Auch die Personen oder ihre Stellvertreter, die solche Arbeiten aus anderen
Mitgliedstaaten der Europäischen Union und aus Drittländern auf den Markt bringen, unterliegen
dieser Regelung.“
4.
Artikel 522 CGI bestimmt:
„Die gesetzlichen Feingehalte der Arbeiten aus Gold oder goldhaltigen Arbeiten und die gesetzlichen
Feingehalte der Arbeiten aus Silber oder aus Platin sind folgende:
a) 916 Tausendstel und 750 Tausendstel für Arbeiten aus Gold; 585 Tausendstel und 375
Tausendstel für goldhaltige Arbeiten;
b) 925 Tausendstel und 800 Tausendstel für Arbeiten aus Silber;
c) 950 Tausendstel, 900 Tausendstel und 850 Tausendstel für Arbeiten aus Platin.
...“
Das vorprozessuale Verfahren
5.
Mit Schreiben vom 20. Dezember 1988 wies die Kommission die französische Regierung auf die
Probleme hin, die ihrer Ansicht nach einige Bestimmungen der auf die Einfuhr und das
Inverkehrbringen von Edelmetallartikeln in Frankreich anwendbaren Regelung mit Bezug auf die Artikel
30 ff. EG-Vertrag aufwarfen.
6.
In ihrer Antwort vom 15. Juni 1989 gaben die französischen Behörden an, dass sie verschiedene
Maßnahmen in diesem Bereich zu treffen beabsichtigten, die die Vorwürfe der Kommission teilweise
berücksichtigen würden.
7.
Am 23. April 1991 richtete die Kommission ein Mahnschreiben an die Französische Republik, auf das
die französische Regierung am 6. August 1991 antwortete.
8.
Mit Schreiben vom 18. Januar 1994 schlug die Kommission der französischen Regierung
verschiedene Lösungen zur Beilegung der Meinungsverschiedenheit vor.
9.
Am 22. Februar 1994 sandten die französischen Behörden der Kommission eine Kopie des Gesetzes
Nr. 94-6 zu.
10.
Da die Argumente, die als Antwort auf die Mahnung vorgebracht wurden, und die vorgenommenen
gesetzlichen Änderungen die Kommission nicht ganz zufrieden gestellt hatten, erließ sie am 10. Juli
1996 eine mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG),
in der sie der Französischen Republik vorwarf, gegen ihre Verpflichtungen aus dem
Gemeinschaftsrecht dadurch zu verstoßen, dass sie das Inverkehrbringen von Edelmetallarbeiten aus
anderen Mitgliedstaaten mit den Bezeichnungen, die diese Arbeiten in ihrem Herkunftsland tragen,
und der Angabe des in diesem Land verwendeten Feingehalts, nicht zulasse, obwohl dieser Feingehalt
in der Handelspraxis allgemein verwendet werde. Die Kommission forderte die französische Regierung
auf, alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um der mit Gründen versehenen Stellungnahme binnen
zwei Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen.
11.
Die französischen Stellen antworteten mit Schreiben vom 21. August 1996, dass die Feingehalte
„999 Tausendstel“ leicht in die französiche Regelung aufgenommen werden könnten. Hinsichtlich der
Verpflichtung, auf der Ebene des Einzelhandels Arbeiten mit einem Feingehalt von 916 und 750
Tausendstel unter der Bezeichnung „Gold“ und Arbeiten mit einem Feingehalt von 585 und 375
Tausendstel unter der Bezeichnung „Goldlegierung“ in den Verkehr zu bringen, verkenne sie, im
Gegensatz zum Vorbringen der Kommission, die Anforderungen des Gemeinschaftsrechts nicht.
12.
Mit Schreiben vom 8. Januar 1997 forderte die Kommission die französische Regierung auf, ihr einen
Entwurf über die Einfügung der Feingehalte „999 Tausendstel“ in die französische Regelung zu
übermitteln. Hinsichtlich der Beschränkung der Bezeichnung „Gold“ auf Arbeiten mit einem Feingehalt
von 916 oder 750 Tausendstel machte die Kommission geltend, diese stelle ein von Artikel 30 EG-
Vertrag verbotenes Hemmnis für den freien Warenverkehr dar.
13.
Mit Schreiben vom 6. Februar 1997 übermittelten die französischen Stellen der Kommission einen
Entwurf für eine Regelung, die die Einfügung der Feingehalte „999 Tausendstel“ in die französische
Regelung zum Ziel hatte. Hinsichtlich der unterschiedlichen Verkaufsbezeichnung von Arbeiten mit
einem Feingehalt von mehr und solchen mit einem Feingehalt von weniger als 585 Tausendsteln
blieben sie jedoch bei ihrem Standpunkt.
14.
Mit Schreiben vom 16. April 1997 informierte die Kommission die französische Regierung, dass der
Erlass des angekündigten Entwurfs zur Änderung des Code général des impôts zwecks Einfügung der
Feingehalte „999 Tausendstel“ abgewartet und das Vertragsverletzungsverfahren ausgesetzt werde,
äußerte jedoch Bedenken zum Punkt der Verkaufsbezeichnung.
15.
Mit Schreiben vom 19. August 1997 teilte die französische Regierung der Kommission mit, dass die
Bestimmungen zur Legalisierung der Feingehalte „999 Tausendstel“ für Gold, Silber und Platin
voraussichtlich am 1. Januar 1998 in Kraft treten würden.
16.
Am 21. Januar 1998 übermittelten die französischen Behörden der Kommission den Entwurf eines
Textes, der u. a. die Anerkennung der Feingehalte „999 Tausendstel“ vorsah. Mit Schreiben vom 5.
März 1998 informierten sie die Kommission, dass dieser neue Text in den Entwurf des Gesetzes zur
Modernisierung und Vereinfachung unmittelbarer Abgaben und ähnlicher Regelungen einbezogen
worden sei, der dem Parlament am Ende des ersten Halbjahres 1998 zur Beschlussfassung vorgelegt
werden solle.
17.
Schließlich teilte die Kommission den französischen Stellen mit Schreiben vom 31. Mai 1999 mit,
dass nach ihren Informationen jener Gesetzentwurf immer noch nicht in die Tagesordnung des
Parlaments aufgenommen worden sei. Sie forderte daher die französische Regierung auf, zu
veranlassen, dass dieser Entwurf binnen kürzester Frist angenommen werde, und ihr darüber genaue
Inormationen zu übermitteln. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet.
18.
Daraufhin hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.
Begründetheit
19.
Die Kommission macht geltend, dass die Artikel 521 und 522 CGI Artikel 30 EG-Vertrag insoweit
widersprächen, als sie das Inverkehrbringen von in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig hergestellten
und in den Verkehr gebrachten Edelmetallarbeiten mit den Feingehalten „999 Tausendstel“, mit
denen sie in ihrem Herkunftsland versehen würden, behinderten.
20.
Das Verbot, aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführte Erzeugnisse mit einem bestimmten
Feingehalt, die im Herkunftsland rechtmäßig oder lauter und traditionell mit diesem Feingehalt
hergestellt und in Verkehr gebracht würden, die aber nicht die Anforderungen des Einfuhrstaats
beachteten, dort in den Verkehr zu bringen, sei kein zwingendes Erfordernis der Lauterkeit des
Handelsverkehrs (vgl. insbesondere die Urteile vom 13. November 1990 in der Rechtssache C-269/89,
Bonfait, Slg. 1990, I-4169, und vom 15. September 1994 in der Rechtssache C-293/93, Houtwipper,
Slg. 1994, I-4249). Im Übrigen könne der Verbraucherschutz mit anderen Mitteln gewährleistet
werden, die den freien Warenverkehr nicht beeinträchtigten.
21.
Frankreich müsse vielleicht nicht alle allgemein in den anderen Mitgliedstaaten zulässigen
Feingehalte, aber doch zumindest diejenigen zulassen, die allgemein im Handel verwendet würden und
die dem Verbraucherschutz und der Lauterkeit des Handelsverkehrs nicht widersprächen. Das beziehe
sich insbesondere auf die Feingehalte, die im Anhang I des Vorschlages für eine Richtlinie des Rates
über Arbeiten aus Edelmetallen 93/C 318/06 (ABl. 1993, C 318, S. 5), geändert durch den Vorschlag
für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Arbeiten aus Edelmetallen 94/C
209/04 (ABl. 1994, C 209, S. 4) aufgezählt seien. Die Feingehalte „999 Tausendstel“ seien in diesem
Anhang aufgeführt, der die in den Mitgliedstaaten verwendeten Feingehalte mit Ausnahme der
Feingehalte übernehme,die zu nahe an diese herankämen und für die Verbraucher die Gefahr einer
Verwechslung begründen könnten.
22.
Die Einführung der Feingehalte „999 Tausendstel“ stellen das mit der französischen Regelung
verfolgte Ziel des Verbraucherschutzes nicht in Frage, da eine Affinität zu den bereits anerkannten
Feingehalten bestehe. Zudem dürfe Frankreich weiterhin vorschreiben, dass über die Feingehalte
insbesondere durch eine Etikettierung oder eine Erwähnung in Auslagen klar und deutlich informiert
werde.
23.
Die französische Regierung erwidert, dass sie der Kommission die Entwürfe zur Einfügung der
Feingehalte „999 Tausendstel“ in die französische Regelung übermittelt habe und dass sie sich
bemühe, diese Entwürfe unter Berücksichtigung der Zwänge des Regierungs- und des
parlamentarischen Kalenders so schnell wie möglich zu verabschieden.
24.
Hemmnisse für den freien Warenverkehr, die sich in Ermangelung einer Harmonisierung der
Rechtsvorschriften daraus ergeben, dass Waren aus anderen Mitgliedstaaten, die dort rechtmäßig
hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, bestimmten Vorschriften entsprechen müssen
(wie etwa hinsichtlich ihrer Bezeichnung, ihrer Form, ihrer Abmessungen, ihres Gewichts, ihrer
Zusammensetzung, ihrer Aufmachung, ihrer Etikettierung und ihrer Verpackung), stellen selbst dann
nach Artikel 30 EG-Vertrag verbotene Maßnahmen gleicher Wirkung dar, wenn diese Vorschriften
unterschiedslos für alle Erzeugnisse gelten, sofern sich ihre Anwendung nicht durch einen Zweck
rechtfertigen lässt, der im Allgemeininteresse liegt und den Erfordernissen des freien Warenverkehrs
vorgeht (u. a. Urteil vom 20. Februar 1979 in der Rechtssache 120/78, Rewe [„Cassis de Dijon“], Slg.
1979, 649, Randnr. 14, und Urteil Houtwipper, Randnr. 11).
25.
Die streitige Regelung, die im Ergebnis in Frankreich das Inverkehrbringen von Edelmetallarbeiten
mit den Feingehalten „999 Tausendstel“ aus anderen Mitgliedstaaten verbietet, in denen sie
rechtmäßig hergestellt und in den Verkehr gebracht worden sind, stellt ein Hemmnis für den
innergemeinschaftlichen Handel dar.
26.
Die französische Regierung hat zur Rechtfertigung dieses Hemmnisses keinen im
Allgemeininteresse liegenden Grund angeführt.
27.
Folglich ist die Klage der Kommission begründet.
28.
Daher ist festzustellen, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus
Artikel 30 des Vertrages verstoßen hat, dass sie das Inverkehrbringen von Edelmetallarbeiten aus
anderen Mitgliedstaaten mit der Feingehaltsangabe „999 Tausendstel“ in Frankreich nicht zulässt.
Kosten
29.
Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Französischen Republik beantragt hat
und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind der Französischen Republik die Kosten
aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-
Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen, dass sie das Inverkehrbringen von
Edelmetallarbeiten aus anderen Mitgliedstaaten mit der Feingehaltsangabe „999
Tausendstel“ in Frankreich nicht zulässt.
2. Die Französische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.
Gulmann
Macken
Cunha Rodrigues
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Juni 2001.
Der Kanzler
Der Präsident der Dritten Kammer
R. Grass
C. Gulmann
Verfahrenssprache: Französisch.