Urteil des EuGH vom 19.03.2002

EuGH: erhöhung des gesellschaftskapitals, gesellschaft mit beschränkter haftung, bekanntmachung, republik, erhöhung des kapitals, auflösung der gesellschaft, gericht erster instanz, kommission

WICHTIGER RECHTLICHER HINWEIS:
und Urheberrechtsschutz.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (Sechste Kammer)
19. März 2002
„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Richtlinie 69/335/EWG - Indirekte Steuern auf die Ansammlung von
Kapital - Besondere Abgaben bei der Gründung von Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit
beschränkter Haftung, bei der Bekanntmachung und der Änderung ihrer Satzungen sowie bei der Erhöhung
des Gesellschaftskapitals“
In der Rechtssache C-426/98
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Hellenische Republik,
Luxemburg,
Beklagte,
wegen Feststellung, dass die Hellenische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EG-Vertrag
und speziell aus den Artikeln 7 und 10 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die
indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der durch die Richtlinie 85/303/EWG
des Rates vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung (ABl. L 156, S. 23) verstoßen hat, dass sie auf das Kapital
der Aktiengesellschaften und der Gesellschaften mit beschränkter Haftung außer der Gesellschaftsteuer
weitere besondere Abgaben bei der Gründung, der Bekanntmachung und der Änderung der Satzungen
sowie bei der Erhöhung des Gesellschaftskapitals erhoben hat,
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin der Zweiten Kammer N. Colneric in Wahrnehmung der Aufgaben der
Präsidentin der Sechsten Kammer sowie der Richter C. Gulmann, J.-P. Puissochet (Berichterstatter), R.
Schintgen und V. Skouris,
Generalanwältin: C. Stix-Hackl
Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 4. April 2001, in der die Kommission durch M. Patakia und R.
Lyal als Bevollmächtigte und die Hellenische Republik durch P. Mylonopoulos und G. Lazos als
Bevollmächtigte vertreten waren,
nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 7. Juni 2001,
folgendes
Urteil
1.
Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 26. November 1998
bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG)
Klage erhoben auf Feststellung, dass die Hellenische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen
aus dem EG-Vertrag und speziell aus den Artikeln 7 und 10 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom
17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in
derdurch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung (ABl. L 156, S.
23, im Folgenden: Richtlinie 69/335) verstoßen hat, dass sie auf das Kapital der Aktiengesellschaften
und der Gesellschaften mit beschränkter Haftung außer der Gesellschaftsteuer weitere besondere
Abgaben bei der Gründung, der Bekanntmachung und der Änderung der Satzungen sowie bei der
Erhöhung des Gesellschaftskapitals erhoben hat.
Rechtlicher Rahmen
2.
Artikel 7 der Richtlinie 69/335 sieht vor:
„(1) Mit Ausnahme der in Artikel 9 genannten Vorgänge befreien die Mitgliedstaaten von der
Gesellschaftsteuer die Vorgänge, die am 1. Juli 1984 steuerfrei waren oder einem
Gesellschaftsteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen.
Für die Befreiung gelten die zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Bedingungen für die Gewährung der
Befreiung oder gegebenenfalls für die Anwendung eines Steuersatzes von 0,50 v. H. oder weniger.
Die Hellenische Republik bestimmt die Vorgänge, die sie von der Gesellschaftsteuer befreit.
(2) Die Mitgliedstaaten können entweder alle anderen als die in Absatz 1 bezeichneten Vorgänge von
der Gesellschaftsteuer befreien oder darauf die Steuer mit einem einheitlichen Satz von höchstens 1
v. H. erheben.
(3) Bei Erhöhung des Kapitals gemäß Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe c im Anschluss an eine
Kapitalverringerung infolge von Verlusten kann der Teil der Erhöhung, der der Kapitalverringerung
entspricht, befreit werden, sofern diese Erhöhung innerhalb von vier Jahren nach der
Kapitalverringerung erfolgt.“
3.
Artikel 10 der Richtlinie 69/336 bestimmt:
„Abgesehen von der Gesellschaftsteuer erheben die Mitgliedstaaten von Gesellschaften,
Personenvereinigungen oder juristischen Personen mit Erwerbszweck keinerlei Steuern oder Abgaben
auf:
a) die in Artikel 4 genannten Vorgänge;
b) die Einlagen, Darlehen oder Leistungen im Rahmen der in Artikel 4 genannten Vorgänge;
c) die der Ausübung einer Tätigkeit vorangehende Eintragung oder sonstige Formalität, der eine
Gesellschaft, Personenvereinigung oder juristische Person mit Erwerbszweck auf Grund ihrer
Rechtsform unterworfen werden kann.“
4.
Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie 69/335 stellt eine abschließende Liste der anderen Steuern oder
Abgaben als der Gesellschaftsteuer auf, die in Abweichung von den Artikeln 10 und 11 von
Kapitalgesellschaften im Zusammenhang mit den in diesen Bestimmungen genannten Vorgängen
erhoben werden können. Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e dieser Richtlinie erwähnt die „Abgaben mit
Gebührencharakter“.
5.
Wie sich aus der ersten Begründungserwägung der Richtlinie 69/335 ergibt, ist deren Ziel die
Förderung des freien Kapitalverkehrs, die als eine wesentliche Voraussetzung für die Schaffung einer
Wirtschaftsunion mit ähnlichen Eigenschaften wie ein Binnenmarkt angesehen wird.
6.
Nach der letzten Begründungserwägung der Richtlinie 69/335 gefährdet die Beibehaltung anderer
indirekter Steuern mit den gleichen Merkmalen wie die Gesellschaftsteuer oder die Wertpapiersteuer
die Zielsetzungen, die mit den in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen verfolgt werden;
infolgedessen sei die Aufhebung dieser Steuern erforderlich.
7.
Gemäß Artikel 3 der Richtlinie 85/303 mussten die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen
treffen, um dieser Richtlinie bis spätestens 1. Januar 1986 nachzukommen.
8.
Gemäß Artikel 10 Absatz 1 Punkt p Buchstabe aa der Gesetzesverordnung Nr. 4114/1960 wird der
Tameio Nomikon (Pensionsfonds für Juristen) u. a. „durch die Zahlung von einem Prozent (1 %) auf
den Wert des Gegenstands jedes durch notarielle Beurkundung geschlossenen Vertrages“ finanziert.
Durch Artikel 14 Absatz 1 des Gesetzes Nr. 1512/1985 wurde der Prozentsatz dieser Abgabe auf 1,30
% festgesetzt.
9.
Eine weitere Einnahme dieses Pensionsfonds stellt die Abgabe nach Artikel 10 Absatz 1 Punkt p
Buchstabe bb der Gesetzesverordnung Nr. 4114/1960 dar, der Folgendes vorsieht:
„... die Zahlung eines Betrages von fünf Promille (5 .) auf das Kapital jeder neu gegründeten
Handelsgesellschaft, wie es vom zuständigen Finanzamt nach den Artikeln 42 bis 46 des
Handelsgesetzbuches für die Bekanntmachung der Satzungen dieser Gesellschaften festgesetzt wird.
Der Zahlung dieses Betrages unterliegen im Zeitpunkt der Bekanntmachung:
(1) die Kapitalerhöhungen infolge einer Satzungsänderung der genannten Gesellschaften sowie der
Gesellschaften mit beschränkter Haftung, soweit die Kapitalerhöhungen derGesellschaften mit
beschränkter Haftung innerhalb von zwölf (12) Monaten nach ihrer Gründung erfolgen;
(2) ... und
(3) die Akte, durch die die Dauer der Gesellschaften verlängert wird. In diesem Fall ist der oben
genannte Betrag auf den Teil des Gesellschaftskapitals zu zahlen, für das die entsprechende
Stempelsteuer zu entrichten ist. Die Abgabe, die nach diesen Bestimmungen an den Fonds zu zahlen
ist, darf nicht geringer als die Hälfte der unteren Grenze der für die Satzungen der Gesellschaften
jeweils vorgesehenen Stempelsteuer sein. Alle anderen Satzungsänderungen und die Auflösung der
Gesellschaft unterliegen einer Pauschalabgabe von einhundert (100) GRD zugunsten des Fonds.“
10.
Artikel 17 des Gesetzes Nr. 1676/1986 lautet:
„Nach den Bestimmungen dieses Gesetzes ist eine als .Abgabe auf die Ansammlung von Kapital'
bezeichnete Abgabe zu entrichten:
a) von Handelsgesellschaften und berufsständischen Vereinigungen,
b) von genossenschaftlichen Organisationen aller Ebenen, jeder anderen Gesellschaft, juristischen
Person, Personenverbindung oder Gemeinschaft, sofern diese einen Erwerbszweck verfolgen,
c) von Tochtergesellschaften ausländischer Gesellschaften.“
11.
Gemäß Artikel 21 dieses Gesetzes wird der Prozentsatz für diese Abgabe auf „ein Prozent (1 %) des
zu versteuernden Wertes“ festgesetzt.
12.
Außerdem ergibt sich aus der Königlichen Verordnung Nr. 22/1956, dass zugunsten des Sozialfonds
der Anwaltschaft die Erhebung eines Betrages von 1 % des Kapitals der Personengesellschaften oder
der Gesellschaften mit beschränkter Haftung erfolgt, der zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der
Satzungen dieser Gesellschaften beim Polymedes Protodikeio Athinon (Gericht erster Instanz Athen,
Griechenland) fällig ist, sowie eines weiteren Betrages, der zwei Dritteln der Stempelsteuer (0,5 % des
Kapitals) zum Zeitpunkt der Bekanntmachung der Akte zur Verlängerung der Dauer dieser
Gesellschaften entspricht.
Das vorprozessuale Verfahren
13.
Die Kommission war der Auffassung, dass in Griechenland die Gesamtbelastung mit indirekten
Steuern auf die Gründung der Aktiengesellschaften und der Gesellschaften mit beschränkter Haftung,
auf die Bekanntmachung und die Änderung ihrer Satzungen sowie auf die Erhöhung ihres
Gesellschaftskapitals weit über den in Artikel 7 derRichtlinie 69/335 festgelegten Höchstsatz
hinausgehe und daher gegen die Bestimmungen dieser Richtlinie verstoße. Sie forderte daher die
Hellenische Republik mit Schreiben vom 3. Februar 1993 auf, sich innerhalb einer Frist von zwei
Monaten zu äußern.
14.
In ihrem Antwortschreiben vom 6. Mai 1993 machte die Hellenische Republik zum einen geltend,
dass die in Rede stehenden Abgaben keine indirekten Steuern seien, und zum anderen, dass diese
die Gegenleistung für den Abgabenpflichtigen erbrachte Dienstleistungen darstellten und folglich
einen Gebührencharakter im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335 hätten.
15.
Die Kommission wiederholte ihre Beanstandungen in der mit Gründen versehenen Stellungnahme,
die sie am 23. Februar 1996 an die Hellenische Republik richtete. Sie forderte diese auf, innerhalb
einer Frist von zwei Monaten alle erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um ihren Verpflichtungen aus
dem Vertrag und aus der Richtlinie 69/335 nachzukommen.
16.
Mit Schreiben vom 19. Juni 1996 antwortete die Hellenische Republik auf die mit Gründen versehene
Stellungnahme und vertrat denselben Standpunkt, den sie in ihrer Antwort auf das
Aufforderungsschreiben eingenommen hatte.
17.
Daraufhin hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.
Begründetheit
18.
Die Kommission wirft der Hellenischen Republik vor, dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den
Artikeln 7 Absatz 2 und 10 der Richtlinie 69/335 verstoßen zu haben, dass sie außer der Steuer auf die
Konzentration von Kapital, die der Gesellschaftsteuer gemäß der Richtlinie 69/335 entspreche, von
Aktiengesellschaften und Gesellschaften mit beschränkter Haftung bei der Gründung, der
Bekanntmachung oder Änderung der Satzungen oder der Erhöhung des Gesellschaftskapitals weitere
Angaben erhebe. In bestimmten Fällen seien diese Vorgänge mithin einer Gesamtbesteuerung von
3,8 % unterworfen, die die in Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie 69/335 festgelegte Grenze um 2,8
Prozentpunkte überschreite. Daher sind diese Abgaben von Artikel 10 dieser Richtlinie verboten.
19.
Zur Entscheidung darüber, ob die vorgeworfene Vertragsverletzung tatsächlich vorliegt, ist
zunächst zu prüfen, ob die in der Klage beanstandeten Abgaben von Artikel 10 der Richtlinie 69/335
verbotene Abgaben darstellen. Wenn dies der Fall sein sollte, wäre in einem zweiten Schritt zu
untersuchen, ob sie einen Gebührencharakter im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e dieser
Richtlinie haben.
20.
Die hellenische Regierung trägt vor, dass die in der Klage beanstandeten Abgaben, die zugunsten
des Fonds für Juristen und des Sozialfonds der Anwaltschaft erhobenwürden, wegen des Tätigwerdens
von Anwälten und Notaren, die diesen Fonds angehörten, bei der Errichtung und Beglaubigung der
Urkunden über einen Vorgang nach der Richtlinie 69/335 geschuldet seien. Diese Beträge stellten
weder „Sozialabgaben“ noch „Steuern“ im Sinne der Richtlinie 69/335 dar.
21.
Hierzu führt die hellenische Regierung näher aus, dass eine Abgabe nur dann eine „Sozialabgabe“
oder „Steuer“ im Sinne von Artikel 4 der hellenischen Verfassung sei, wenn sie in den Augen des
Abgabenpflichtigen keinen Entgeltcharakter habe. Im vorliegenden Fall könnten zum einen die
streitigen Abgaben nicht als „Sozialabgaben“ qualifiziert werden, da die Abgabenpflichtigen als
Gegenleistung eine Dienstleistung erhielten. Die Abgaben könnten zum anderen auch nicht als
„Steuern“ qualifiziert werden, da eine Abgabe, die nicht in den Haushalt des Staates fließe, die nicht
die allgemeinen Bedürfnisse des Staates finanziere und deren Höhe nicht im Verhältnis zur
Leistungsfähigkeit des Abgabenpflichtigen festgesetzt werde, keine „Steuer“ darstelle, ebenso wenig
wie eine als Gegenleistung für eine Dienstleistung seitens des Staates erhobene Abgabe eine
„Steuer“ darstelle.
22.
Die hellenische Regierung macht weiter geltend, soweit der Abgabenpflichtige Dienstleistungen von
den den Einrichtungen, zu deren Gunsten die streitigen Abgaben erhoben würden, angehörenden
Personen erhalte, seien diese Abgaben eher „Arbeitgeberabgaben“ als „Steuern“. Eine
Vertragsbeziehung zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber sei nicht erforderlich, um eine bestimmte
Abgabe als „Arbeitgeberabgabe“ qualifizieren zu können. Auch wenn man annehmen würde, dass eine
solche Beziehung erforderlich sei, sei die Verbindung zwischen Anwalt und Mandant während der
Dauer des Mandats als solche anzusehen. Das Fehlen eines unmittelbaren
Versicherungsverhältnisses zwischen dem Schuldner der streitiges Abgaben und den Fonds, denen
diese zugute kämen, habe keinerlei Einfluss auf die rechtliche Qualifizierung dieser Abgaben, da in
dem klassischen dreigliedrigen Versicherungsverhältnis, also jenem, das eine Verbindung zwischen
Arbeitgeber, Arbeitnehmer und dem Träger der Sozialversicherung herstelle, die Zahlung der
„Arbeitgeberabgabe“ aus dem Arbeitgeber kein Mitglied dieser Einrichtung mache.
23.
Nach ständiger Rechtsprechung ist erstens die Qualifizierung als Steuer, Abgabe oder Gebühr im
Sinne des Gemeinschaftsrechts vom Gerichtshof nach den objektiven Merkmalen der Belastung
unabhängig von ihrer Qualifizierung im nationalen Recht vorzunehmen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom
13. Februar 1996 in den Rechtssachen C-197/94 und C-252/94, Bautiaa und Société française
maritime, Slg. 1996, I-505, Randnr. 39, und vom 27. Oktober 1998 in der Rechtssache C-4/97,
Nonwoven, Slg. 1998, I-6469, Randnr. 19).
24.
Zweitens verbietet Artikel 10 der Richtlinie 69/335 nach deren letzter Begründungserwägung
namentlich die indirekten Steuern, die die gleichen Merkmale aufweisen wie die Gesellschaftsteuer. Es
werden also u. a. ungeachtet ihrer Form Belastungen erfasst, die bei der Gründung einer
Kapitalgesellschaft und der Erhöhung ihres Kapitals (Artikel 10 Buchstabe a) oder bei der der
Ausübung einer Tätigkeitvorangehenden Eintragung oder sonstigen Formalität anfallen, der eine
Gesellschaft aufgrund ihrer Rechtsform unterworfen werden kann (Artikel 10 Buchstabe c). Dieses
Verbot ist dadurch gerechtfertigt, dass die fraglichen Belastungen zwar nicht wegen der
Kapitalzuführungen als solchen, wohl aber wegen der Formalitäten im Zusammenhang mit der
Rechtsform der Gesellschaft, also des Instruments zur Kapitalansammlung, anfallen, so dass ihre
Beibehaltung die von der Richtlinie verfolgten Ziele ebenfalls gefährden würde (Urteil vom 11. Juni
1996 in der Rechtssache C-2/94, Denkavit Internationaal u. a., Slg. 1996, I-2827, Randnr. 23).
25.
Da die Richtlinie 69/335 einer Belastung gleich welcher Art der in ihren Anwendungsbereich
fallenden Vorgängen entgegensteht und nicht nur die Erhebung indirekter Steuern verbietet, ist das
Vorbringen der hellenischen Regierung, die in der Klage beanstandeten Abgaben seien keine
indirekten Steuern, sondern Arbeitgeberabgaben vergleichbar, nicht erheblich.
26.
Somit sind die Merkmale der in der Klage beanstandeten Abgaben zu untersuchen, um
festzustellen, ob ihre Erhebung von Artikel 10 der Richtlinie 60/335 verboten ist.
27.
Die Abgabe gemäß Artikel 10 Absatz 1 Punkt p Buchstabe aa der Gesetzesverordnung Nr.
4114/1960 wird geschuldet, wenn eine Vereinbarung notariell beurkundet wird. Soweit der
Gründungsakt einer Aktiengesellschaft oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung kraft des
Gesetzes Nr. 2190/1920 über Aktiengesellschaften bzw. des Gesetzes Nr. 3190/1955 über
Gesellschaften mit beschränkter Haftung notariell beglaubigt werden muss, stellt diese Beglaubigung
eine der Ausübung der Tätigkeit der Gesellschaft vorangehende Formalität im Sinne von Artikel 10
Buchstabe c der Richtlinie 69/335 dar; die bei dieser Gelegenheit erhobene Abgabe fällt unmittelbar
unter das dortige Verbot.
28.
Hinsichtlich der Abgabe gemäß Artikel 10 Absatz 1 Punkt p Buchstabe bb der Gesetzesverordnung
Nr. 4114/1960, die bei der Gründung jeder Handelsgesellschaft für die Bekanntmachung ihrer Satzung
erhoben wird, ist unstreitig, dass zum einen diese Bekanntmachung zwingend vorgeschrieben ist und
zum anderen Schuldner dieser Abgabe Kapitalgesellschaften im Sinne der Richtlinie 69/335 sind.
Daher fällt diese Abgabe aus den unter Randnummer 25 dargelegten Gründen ebenfalls unmittelbar
unter das Verbot des Artikels 10 Buchstabe c dieser Richtlinie.
29.
Soweit die Abgaben gemäß diesen beiden nationalen Vorschriften erhoben werden, wenn eine
Gesellschaft mit beschränkter Haftung innerhalb von zwölf Monaten nach ihrer Gründung eine
Erhöhung ihres Gesellschaftskapitals vornimmt, sind sie von Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie
69/335 verboten, da sie für Förmlichkeiten erhoben werden, die zwar formell kein der Tätigkeit der
Kapitalgesellschaften vorgeschaltetes Verfahren darstellen, aber doch eine Bedingung für die
Ausübung und Fortführung dieser Tätigkeit sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Dezember 1997 in
der Rechtssache C-188/95, Fantask u. a., Slg. 1997, I-6783, Randnr. 22).
30.
Was schließlich die gemäß der Königlichen Verordnung Nr. 22/1956 für die Bekanntmachung der
ursprünglichen oder geänderten Satzungen der Personengesellschaften und der Gesellschaften mit
beschränkter Haftung, die ihren Sitz im Zuständigkeitsbereich des Polymedes Protodikeio Athinon
haben, bei diesem Gericht erhobene Abgabe angeht, ist nicht bestritten, dass diese
Bekanntmachung für diese Gesellschaften eine gesetzliche Verpflichtung darstellt. Daraus folgt, dass
sie je nach Sachlage eine der Ausübung der Tätigkeit vorangehende Formalität oder eine Förmlichkeit
ist, die im Sinne von Artikel 10 Buchstabe c der Richtlinie 69/335 eine Bedingung für die Ausübung und
Fortführung dieser Tätigkeit ist. Daher fällt die bei dieser Gelegenheit erhobene Abgabe unter das von
dieser Bestimmung aufgestellte Verbot.
31.
Nach alledem stellen die in der Klage beanstandeten Abgaben von Artikel 10 Buchstabe c der
Richtlinie 69/335 verbotene Abgaben dar.
32.
Hilfsweise macht die hellenische Regierung geltend, die in der Klage beanstandeten Abgaben
hätten Gebührencharakter im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335 und
seien daher mit dieser Richtlinie vereinbar. Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des
Gerichtshofes, der festgestellt habe, dass eine jährliche Abgabe, die wegen der Eintragung der
Kapitalgesellschaften in ein Gesellschaftsregister geschuldet werde (Urteil vom 20. April 1993 in den
Rechtssachen C-71/91 und C-178/91, Ponente Carni und Cispadana Costruzioni, Slg. 1993, I-1915),
und eine Abgabe, selbst wenn sie pauschal sei und als Gegenleistung für eine vom Gesetz im
Allgemeininteresse auferlegten Vorgang geschuldet werde (Urteil Denkavit Internationaal u. a.), einen
Gebührencharakter im Sinne dieser Bestimmung haben könnten, seien die in der Klage
beanstandeten Abgaben, die zugunsten von Einrichtungen der Sozialversicherung als Gegenleistung
für Dienstleistungen diesen Einrichtungen angehörender Personen erhoben würden, offensichtlich mit
der Richtlinie 69/335 vereinbar.
33.
Die Kommission trägt demgegenüber vor, dass diese Abgaben keine Abgaben mit
Gebührencharakter im Sinne von Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335 darstellten, da
zum einen die Anwälte, die bei der Errichtung von Urkunden wie denjenigen tätig würden, um die es
hier geht, auf der Grundlage von Vereinbarungen mit ihren Mandanten honoriert würden, und da sich
zum anderen aus dem nationalen Recht nicht ergebe, dass diese Abgaben in irgendeinem
Zusammenhang mit der Honorierung der Anwälte stünden.
34.
Außerdem seien die beiden von der hellenischen Regierung angeführten Urteile im vorliegenden
Fall nicht erheblich, da die im ersten Urteil untersuchten Abgaben von einer ganz anderen Art
gewesen seien als die im vorliegenden Fall untersuchten und da diejenigen, die Gegenstand des
zweiten Urteils gewesen seien, nicht in den Anwendungsbereich des Artikels 10 der Richtlinie 69/335
gefallen seien.
35.
Nach ständiger Rechtsprechung folgt erstens aus der Unterscheidung zwischen den nach Artikel 10
der Richtlinie 69/335 verbotenen Steuern und den Abgaben mit Gebührencharakter, deren Erhebung
gemäß Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e dieser Richtlinie erlaubt ist, dass zu Letzteren nur Abgaben zu
rechnen sind, deren Höhe sich nach den Kosten der erbrachten Dienstleistung richtet. Eine Abgabe,
deren Höhe keinen Zusammenhang mit den tatsächlichen Aufwendungen für diese bestimmte
Dienstleistung aufweist oder sich nicht nach den Aufwendungen, für die sie die Gegenleistung
darstellt, sondern nach den gesamten Betriebs- und Investitionskosten der mit dem betreffenden
Vorgang befassten Dienststelle richtet, ist als Abgabe anzusehen, für die allein das Verbot des
Artikels 10 der Richtlinie 69/335 gilt (vgl. insbesondere Urteile vom 29. September 1999 in der
Rechtssache C-56/98, Modelo, Slg. 1999, I-6427, Randnr. 29, und vom 21. Juni 2001 in der
Rechtssache C-206/99, SONAE, Slg. 2001, I-4679, Randnr. 32).
36.
Auch kann eine Abgabe, die nicht in irgendeiner Form vollständig und ausschließlich der natürlichen
oder juristischen Person zugute kommt, die die Dienstleistung erbringt oder finanziert, deren
Gegenleistung die Abgabe sein soll, keinen Gebührencharakter im Sinne von Artikel 12 Absatz 1
Buchstabe e der Richtlinie 69/335 haben.
37.
Es ist jedoch nicht nachgewiesen, dass die Bekanntmachungen, derentwegen ein Teil der in der
Klage in Rede stehenden Abgaben erhoben wird, tatsächlich von Anwälten oder Notaren erbrachte
Dienstleistungen darstellen, die Mitglieder des Pensionsfonds für Juristen oder des Sozialfonds der
Anwaltschaft sind, und auch nicht, dass diese Abgaben, die angeblich erhoben werden, um die von
einer bestimmten Person erbrachte Dienstleistung zu entgelten, und die in die genannten Fonds
fließen, vollständig und ausschließlich dieser Person oder ihrem Rechtsnachfolger zugute kommen.
38.
Zweitens unterschieden sich die Abgaben, um die es in den Rechtssachen Ponente Carni und
Cispadana sowie Denkavit Internationaal u. a. ging, von den hier streitigen Abgaben darin, dass ihre
Nutznießer die juristischen Personen waren, die teils unmittelbar, teils mittelbar den Schuldnern
dieser Abgaben Dienstleistungen erbrachten, und nicht juristische Personen, die diesen Schuldnern
keinerlei Dienstleistungen erbringen.
39.
Somit ist nicht nachgewiesen, dass die hier streitigen Abgaben Gebührencharakter im Sinne von
Artikel 12 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie 69/335 haben.
40.
In der mündlichen Verhandlung beantragte die hellenische Regierung, die Wirkungen dieses Urteils
für den Fall zeitlich zu beschränken, dass der Gerichtshof feststellen sollte, dass die hier streitigen
Abgaben nicht mit der Richtlinie 69/335 vereinbar seien. Sie machte insoweit Erwägungen zu den
finanziellen Folgen des Urteils für den Pensionsfonds für Juristen und zu der Beachtung des
Vertrauensschutzes der Mitglieder dieses Fonds geltend.
41.
Der Vertrauensschutz, dessen Beachtung beantragt wird, betrifft in Wirklichkeit das Vertrauen, das
die Mitglieder in die Leistungsfähigkeit der Fonds hinsichtlich der Finanzierung der Leistungen, auf die
sie rechnen, haben. Die Argumentation der hellenischen Regierung gründet also allein auf finanziellen
Erwägungen.
42.
Nach der Rechtsprechung kann sich der Gerichtshof jedoch nur ausnahmsweise aufgrund des der
Gemeinschaftsrechtsordnung innewohnenden allgemeinen Grundsatzes der Rechtssicherheit
veranlasst sehen, die Wirkungen eines Urteils zeitlich zu beschränken, mit dem die Verletzung der
gemeinschaftlichen Pflichten eines Mitgliedstaats festgestellt wird; die möglichen finanziellen Folgen
eines Urteils des Gerichtshofes für einen Staat haben für sich allein noch nie die Beschränkung der
Wirkungen dieses Urteils gerechtfertigt. Eine allein auf Erwägungen dieser Art gestützte
Beschränkung der Wirkungen eines Urteils würde letztlich den gerichtlichen Schutz der Rechte, die der
Einzelne aus dem Gemeinschaftsrecht herleitet, wesentlich einschränken (vgl. in diesem Sinne Urteil
vom 24. September 1998 in der Rechtssache C-35/97, Kommission/Frankreich, Slg. 1998, I-5325,
Randnrn. 49 und 52).
43.
Daraus folgt, dass der Antrag der hellenischen Regierung, die Wirkungen des vorliegenden Urteils
zeitlich zu beschränken, zurückzuweisen ist.
44.
Nach alledem ist festzustellen, dass die Hellenische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen
aus den Artikeln 7 und 10 der Richtlinie 69/335 verstoßen hat, dass sie auf das Kapital der
Aktiengesellschaften und der Gesellschaften mit beschränkter Haftung außer der Gesellschaftsteuer
weitere besondere Abgaben bei der Gründung, der Bekanntmachung und der Änderung der
Satzungen sowie bei der Erhöhung des Gesellschaftskapitals erhoben hat.
Kosten
45.
Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Kommission beantragt hat, der Hellenischen Republik die Kosten
aufzuerlegen, und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Hellenische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 7
und 10 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten
Steuern auf die Ansammlung von Kapital in derdurch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates
vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung verstoßen, dass sie auf das Kapital der
Aktiengesellschaften und der Gesellschaften mit beschränkter Haftung außer der
Gesellschaftsteuer weitere besondere Abgaben bei der Gründung, der Bekanntmachung
und der Änderung der Satzungen sowie bei der Erhöhung des Gesellschaftskapitals
erhoben hat.
2. Die Hellenische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.
Colneric
Gulmann
Puissochet
Schintgen
Skouris
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 19. März 2002.
Der Kanzler
Die Präsidentin der Sechsten Kammer
R. Grass
F. Macken
Verfahrenssprache: Griechisch.