Urteil des EuG vom 12.07.2001
EuG: kommission, unternehmen, zusammenarbeit, klagegrund, händler, wettbewerber, grundsatz der gleichbehandlung, preispolitik, gericht erster instanz, verordnung
URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)
12. Juli 2001
„Wettbewerb - Zuckermarkt - Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG) - Geldbußen“
In den verbundenen Rechtssachen T-202/98, T-204/98 und T-207/98
Tate & Lyle plc,
Luxemburg,
Klägerin in der Rechtssache T-202/98,
British Sugar plc,
A. Nourry, Solicitors, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin in der Rechtssache T-204/98,
Napier Brown & Co. Ltd,
Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin, in der Rechtssache T-207/98,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 1999/210/EG der Kommission vom 14. Oktober 1998 in einem
Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (Sache Nr. IV/F-3/33.708 British Sugar Plc, Sache Nr. IV/F-3/33.709 Tate
& Lyle Plc, Sache Nr. IV/F-3/33.710 Napier Brown & Company Ltd, Sache Nr. IV/F-3/33.711 James Budgett
Sugars Ltd) (ABl. L 76, S. 1)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten P. Mengozzi, der Richterin V. Tiili und des Richters R. M. Moura Ramos,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. November 2000,
folgendes
Urteil
Die Zuckermarktordnung der Gemeinschaft und die Lage auf dem Zuckermarkt in
Großbritannien
1.
Die Zuckermarktordnung der Gemeinschaft soll die Zuckerproduktion innerhalb der Gemeinschaft
stützen und sichern. In ihr besteht ein Mindestpreis, zu dem die Hersteller der Gemeinschaft ihren
Zucker stets an die Behörden verkaufen können, undein Schwellenpreis, zu dem quotenfreier Zucker
aus Drittländern eingeführt werden kann.
2.
Die Stützung der Gemeinschaftsproduktion durch garantierte Preise ist allerdings auf nationale
Produktionsquoten (A- und B-Quote) beschränkt, die der Rat jährlich den Mitgliedstaaten zuteilt, die
sie dann ihrerseits unter ihren Erzeugern aufteilen. Zucker der B-Quote unterliegt einer höheren
Produktionsabgabe als Zucker der A-Quote. Überschüssig erzeugter Zucker der A- und der B-Quote
wird als „C-Zucker“ bezeichnet und darf, außer zur Einlagerung für mindestens zwölf Monate, innerhalb
der Europäischen Gemeinschaft nicht verkauft werden. Für außergemeinschaftliche Ausfuhren
werden, ausgenommen für C-Zucker, Ausfuhrvergütungen gewährt. Da der Verkauf mit
Ausfuhrvergütung in der Regel günstiger ist als im Rahmen der Interventionsregelung, können die
gemeinschaftlichen Überschüsse außerhalb der Gemeinschaft abgesetzt werden.
3.
British Sugar ist im Vereinigten Königreich die einzige Verarbeiterin von Zuckerrüben, der die
gesamte britische Zuckerrübenquote in Höhe von 1 144 000 Tonnen zugeteilt wurde. Tate & Lyle kauft
Rohrzucker in den Ländern Afrikas, der Karibik und des Pazifik (AKP-Länder) und verarbeitet ihn.
4.
Der Zuckermarkt in Großbritannien ist oligopolistischer Art. Aus der gemeinschaftlichen Regelung
für Zucker ergibt sich allerdings für Tate & Lyle ein struktureller Nachteil gegenüber British Sugar, die
den Markt in Großbritannien unstreitig beherrscht. Zusammen erzeugen British Sugar und Tate & Lyle
eine Zuckermenge, die etwa der Gesamtnachfrage nach Zucker im Vereinigten Königreich entspricht.
5.
Ein zusätzlicher Faktor, der den Wettbewerb auf dem Zuckermarkt im Vereinigten Königreich
beeinflusst, ist die Präsenz von Zuckerhändlern. Sie betreiben ihr Geschäft in den beiden Formen des
Eigenhandels, d. h. durch Ankauf von Rohzucker bei British Sugar, Tate & Lyle oder Einführern und
anschließenden Wiederverkauf, und des Kommmissionshandels, bei dem sie die Auftragsabwicklung,
die Rechnungsstellung gegenüber den Kunden im Namen des Auftraggebers und das Inkasso
übernehmen. Beim Kommissionshandel werden Preis und Lieferbedingungen für den Zucker
unmittelbar zwischen British Sugar oder Tate & Lyle und dem Endabnehmer ausgehandelt, auch wenn
die vereinbarten Preise den Händlern in der Regel bekannt sind.
Sachverhalt
6.
Zwischen 1984 und 1986 praktizierte British Sugar einen Preiskrieg, der zu ungewöhnlich niedrigen
Marktpreisen für gewerblich verwendeten Zucker (Gewerbezucker) und im Einzelhandel vertriebenen
Zucker (Haushaltszucker) führte. Im Jahre 1986 erneuerte das Zuckerhandelsunternehmen Napier
Brown seine ursprünglich 1980 bei der Kommission eingereichte Beschwerde, British Sugar habeunter
Verstoß gegen Artikel 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 82 EG) ihre beherrschende Stellung missbräuchlich
ausgenutzt.
7.
Um die Verstöße gegen Artikel 86 EG-Vertrag zu beenden, übersandte die Kommission British Sugar
am 8. Juli 1986 eine mit einstweiligen Anordnungen verbundene Mitteilung der Beschwerdepunkte. Am
5. August 1986 bot British Sugar der Kommission an, eine Verpflichtungserklärung über ihr zukünftiges
Verhalten abzugeben, und die Kommission nahm diese mit Schreiben vom 7. August 1986 an (im
Folgenden: Verpflichtungserklärung).
8.
Das durch die Beschwerde von Napier Brown eingeleitete Verfahren wurde durch die Entscheidung
der Kommission vom 18. Juli 1988 betreffend ein Verfahren nach Artikel 86 des EWG-Vertrages
(IV/30.178 - Napier Brown/British Sugar) (ABl. L 284, S. 41) abgeschlossen, mit der eine
Zuwiderhandlung von British Sugar gegen Artikel 86 EG-Vertrag festgestellt und gegen das
Unternehmen eine Geldbuße verhängt wurde.
9.
Zwischenzeitlich waren am 20. Juni 1986 Vertreter von British Sugar und Tate & Lyle zu einer
gemeinsamen Sitzung zusammengekommen, in der British Sugar die Einstellung des Preiskriegs auf
den Märkten für Gewerbezucker und für Haushaltszucker im Vereinigten Königreich ankündigte.
10.
Dieser Sitzung folgten bis zum 13. Juni 1990 u. a. 18 weitere Sitzungen über die Preise für
Gewerbezucker, an denen auch Vertreter von Napier Brown und James Budgett Sugars, den
wichtigsten Zuckerhändlern im Vereinigten Königreich (im Folgenden: Händler), teilnahmen. In diesen
Sitzungen informierte British Sugar alle Teilnehmer über ihre künftigen Preise. Bei einer dieser
Zusammenkünfte übergab British Sugar den übrigen Teilnehmern auch eine Liste mit ihren Preisen für
Gewerbezucker im Verhältnis zu den Abnahmemengen.
11.
Außerdem kamen Tate & Lyle und British Sugar bis zum 9. Mai 1990 achtmal zusammen, um die
Preise für Haushaltszucker zu erörtern. Bei drei Gelegenheiten übergab British Sugar an Tate & Lyle
ihre Preislisten, einmal fünf und einmal zwei Tage vor deren offizieller Bekanntgabe.
12.
Die Kommission eröffnete am 4. Mai 1992 - veranlasst durch zwei Schreiben von Tate & Lyle vom 16.
Juli und 29. August 1990 an das englische Office of Fair Trading (Amt gegen unlauteren Wettbewerb),
die Tate & Lyle der Kommission in Kopie übersandt hatte - ein Verfahren gegen British Sugar, Tate &
Lyle, Napier Brown, James Budgett Sugars und verschiedene kontinentaleuropäische Zuckerhersteller
und übersandte ihnen am 12. Juli 1992 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte, mit der sie einen
Verstoß gegen die Artikel 85 Absatz 1 (nach Änderung jetzt Artikel 81 Ansatz 1 EG) und 86 EG-Vertrag
rügte.
13.
Am 18. August 1995 richtete die Kommission an British Sugar, Tate & Lyle, James Budgett Sugars
und Napier Brown eine zweite Mitteilung der Beschwerdepunkte, die,inhaltlich begrenzter als die erste
Mitteilung vom 12. Juni 1992, nur noch die Rüge einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-
Vertrag enthielt.
14.
Am 14. Oktober 1998 erließ die Kommission die Entscheidung 1999/210/EG vom 14. Oktober 1998 in
einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (Sache Nr. IV/F-3/33.708 British Sugar Plc, Sache Nr. IV/F-
3/33.709 Tate & Lyle Plc, Sache Nr. IV/F-3/33.710 Napier Brown & Company Ltd, Sache Nr. IV/F-
3/33.711 James Budgett Sugars Ltd) (ABl. L 76, S. 1, im Folgenden: angefochtene Entscheidung). In
dieser an British Sugar, Tate & Lyle, James Budgett Sugars und Napier Brown gerichteten
Entscheidung stellte die Kommission fest, diese hätten gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag
verstoßen, und verhängte in Artikel 3 der Entscheidung wegen Verstoßes gegen Artikel 85 Absatz 1
EG-Vertrag auf den Märkten für Gewerbezucker und Haushaltszucker Geldbußen in Höhe von 39,6
Millionen ECU gegen British Sugar und in Höhe von 7 Millionen ECU gegen Tate & Lyle und wegen
Verstoßes gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag auf dem Markt für Gewerbezucker eine Buße von 1,8
Millionen ECU gegen Napier Brown.
Verfahren
15.
Mit Klageschrift, die am 18. Dezember 1998 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Tate
& Lyle die unter der Nummer T-202/98 in das Register eingetragene Klage erhoben.
16.
Mit Klageschrift, die am 21. Dezember 1998 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat British
Sugar die unter der Nummer T-204/98 in das Register eingetragene Klage erhoben.
17.
Mit gesondertem Schriftsatz, der am 25. Januar 1999 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist,
hat British Sugar im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beantragt, den Vollzug von Artikel 4 der
angefochtenen Entscheidung über die Zahlungsmodalitäten der verhängten Geldbuße auszusetzen
und die erforderlichen vorläufigen Maßnahmen über die Zahlungsbedingungen der Geldbuße zu
treffen.
18.
Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichts vom 11. Oktober 2000 ist der Antrag von British Sugar
auf vorläufigen Rechtsschutz nach seiner Zurücknahme gemäß Artikel 99 der Verfahrensordnung des
Gerichts im Register gestrichen worden. Die Kostenentscheidung ist vorbehalten worden.
19.
Mit Klageschrift, die am 23. Dezember 1998 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat Napier
Brown die unter der Nummer T-207/98 im Register eingetragene Klage erhoben.
20.
Mit Beschluss des Gerichts (Vierte Kammer) vom 20. Juli 2000 sind die drei Rechtssachen zu
gemeinsamem mündlichen Verfahren und gemeinsamer Entscheidung verbunden worden.
21.
In der Sitzung vom 29. November 2000 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des
Gerichts beantwortet.
Anträge der Parteien
22.
In der Rechtssache T-202/98 beantragt die Klägerin,
- Artikel 3 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er sie betrifft;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
23.
Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen;
- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
24.
In der Rechtssache T-204/98 beantragt die Klägerin,
- die angefochtene Entscheidung insgesamt oder, hilfsweise, teilweise für nichtig zu erklären;
- falls die angefochtene Entscheidung insgesamt oder teilweise aufrechterhalten werden sollte, die
Artikel 3 und 4 für nichtig zu erklären oder den Betrag der Geldbuße herabzusetzen;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
25.
Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen;
- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
26.
In der Rechtssache T-207/98 beantragt die Klägerin,
- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit diese sie betrifft;
- die mit der Entscheidung gegen sie verhängte Geldbuße für nichtig zu erklären oder
herabzusetzen;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen;
- die Kommission zur Erstattung ihrer Kosten für die Stellung einer Sicherheit wegen der Zahlung der
Geldbuße zu verurteilen.
27.
Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen;
- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Gründe
28.
Die Klägerinnen in den Rechtssachen T-204/98 und T-207/98 stützen ihren Hauptantrag auf
Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung auf drei Klagegründe. Sie machen erstens geltend,
der Kommission seien bei ihrer Feststellung, die beanstandeten Praktiken seien eine Vereinbarung
oder eine abgestimmte Verhaltensweise, offensichtliche Sachverhaltsirrtümer und offensichtliche
Rechtsfehler unterlaufen; insbesondere habe sie fehlerhaft bestimmt, was eine Vereinbarung oder
eine abgestimmte Verhaltensweise bilde, und zu Unrecht einen wettbewerbsfeindlichen Zweck der
angelasteten Handlungen angenommen. Zweitens habe die Kommission nicht nachgewiesen, dass
der ihnen zur Last gelegte Sachverhalt wettbewerbsfeindliche Auswirkungen gehabt habe. Drittens
macht die Klägerin in der Rechtssache T-204/98 geltend, die Kommission habe bei ihrer Beurteilung
der Voraussetzung, dass das Verhalten der an den streitigen Sitzungen Beteiligten den Handel
zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt haben müsse, einen offensichtlichen Rechtsfehler begangen.
29.
Ihren hilfsweise gestellten Nichtigkeitsantrag betreffend die Höhe der gegen sie verhängten
Geldbußen stützen British Sugar und Napier Brown auf mehrere Klagegründe. Sie machen
insbesondere geltend, die Geldbußen seien fehlerhaft berechnet worden, denn die angefochtene
Entscheidung verstoße bei der Anwendung der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von
Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-
Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im Folgenden: Leitlinien), gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit und berücksichtige außerdem nicht die Marktstruktur und den wirtschaftlichen
Kontext der inkriminierten Verhaltensweisen. Die Klägerin in der Rechtssache T-204/98 macht
außerdem geltend, die Kommission habe dadurch wesentliche Formvorschriften verletzt, dass sie nicht
das gesamte Vorbringen der Teilnehmer an den streitigen Sitzungen berücksichtigt habe, so
insbesondere zur unterschiedlichen Behandlung von British Sugar gegenüber Tate & Lyle, zum
fehlenden Vorsatzes bei der Zuwiderhandlung, zur Verfehltheit zusätzlicher
Abschreckungsmaßnahmen und zu ihrer Zusammenarbeit mit der Kommission im Verfahren. Beide
Klägerinnen rügen schließlich, ihre Geldbußen seien deshalb höher ausgefallen, weil die Kommission
die angefochtene Entscheidung nur mit Verzögerung erlassen habe.
30.
Die Klägerin in der Rechtssache T-202/98 wendet sich lediglich den Teil der angefochtenen
Entscheidung, der die Berechnung der Geldbuße betrifft. Mit ihrem ersten Klagegrund macht sie
geltend, die angefochtene Entscheidung beruhe auf einer fehlerhaften Anwendung der Mitteilung der
Kommission über die Nichtfestsetzung oder die niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen
(ABl. 1996, C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über Zusammenarbeit), und mit ihrem zweiten
Klagegrund rügt sie einen diesbezüglichen Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidung.
Zum ersten Klagegrund, mit dem Sachverhaltsirrtümer und Rechtsfehler bei der Bestimmung des
Tatbestands einer Vereinbarung oder einer abgestimmten Verhaltensweise gerügt werden
- Vorbringen der Parteien
31.
British Sugar und Napier Brown machen geltend, die angefochtene Entscheidung beruhe darauf,
dass die Kommission die Marktstruktur und die Vorgänge zwischen 1986 und 1990 fehlerhaft beurteilt
habe.
32.
Erstens hätte eine fehlerfreie Würdigung des Sachverhalts durch die Kommission ergeben, dass die
Teilnehmer an den streitigen Sitzungen auf dem Zuckermarkt in Großbritannien kein abgestimmtes
Verhalten praktiziert hätten. Es handele sich nämlich um einen besonderen Markt, auf dem sich die
übrigen Hersteller der Preispolitik von British Sugar anschließen müssten und außerdem die
englischen Hersteller von den nur minimalen Einfuhren profitierten, die aus der Insellage des Landes
und den entsprechend höheren Transportkosten resultierten. Die Merkmale des Marktes
beschränkten daher naturgemäß den Wettbewerb zwischen den auf dem Markt präsenten
Unternehmen. Im Übrigen habe der Gerichtshof in seinem Urteil vom 16. Dezember 1995 in den
verbundenen Rechtssachen 40/73 bis 48/73, 50/73, 54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73
(Suiker Unie/Kommission, Slg. 1975, 1663, im Folgenden: Urteil Suiker Unie) anerkannt, dass die
Zuckerindustrie in der Gemeinschaft stark reglementiert sei und die Zuckerregelung der
Gemeinschaft den Wettbewerbsregeln nur ein schmales Anwendungsfeld belasse. Die in Randnummer
72 der angefochtenen Entscheidung aufgestellte Behauptung der Kommission, die Teilnehmer an den
streitigen Sitzungen hätten sich darauf verständigt, ihre Preise anzuheben und keine Ausweitung ihrer
Marktanteile durch Unterbieten anzustreben, werde dadurch widerlegt, dass der Marktanteil von
British Sugar durch ihre A- und B-Quote festgelegt werde.
33.
Zweitens machen British Sugar und Napier Brown geltend, die streitigen Sitzungen hätten
stattgefunden, um die Verpflichtungserklärung von British Sugar gegenüber der Kommission
durchzuführen und um den Händlern und Tate & Lyle die Gewissheit zu geben, dass British Sugar
keine aggressive Preispolitik mehr verfolgen werde.
34.
Drittens hätten sie auch deshalb keine Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise im Sinne
von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag durchgeführt, weil ihr Verhalten auf dem Markt durch die auf den
Sitzungen erhaltenen Informationen nicht beeinflusst worden sei. British Sugar, die die Preise
maßgebend bestimme, habe lediglich einseitige Erklärungen zu ihrer künftigen Preispolitik
abgegeben. Diese Angaben seien überdies auf dem Markt bereits bekannt gewesen, denn zusätzlich
zu der Transparenz, die sich aus der Natur des Marktes ergebe, habe British Sugar ihre Kunden vor
den streitigen Sitzungen über ihre Preisänderungen informell, aber systematisch unterrichtet. So
seien Tate & Lyle die Preise von British Sugar vor ihrer „offiziellen“ Bekanntgabe auf dem Markt, aber
nicht früher als den Kunden von British Sugar bekannt geworden. Da die Händler überdies von
bestimmten durch British Sugar abgeschlossenen Verträge betroffen worden seien, seien ihnen die
von British Sugar angewandten Preise schon vor Abhaltung der streitigen Sitzungen bekannt
geworden.
35.
Dass ein Unternehmen einem anderen Unternehmen einseitig Auskünfte gebe, genüge nicht für
einen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag. Für die Feststellung einer abgestimmten
Verhaltensweise müsse die Kommission nämlich nachweisen, dass es zwischen den betroffenen
Unternehmen über - im vorliegenden Fall - ihre künftige Preispolitik einen Informationsaustausch
gegeben habe.
36.
Napier Brown weist außerdem darauf hin, dass ihre Teilnahme an den Sitzungen von der der
Zuckerhersteller zu unterscheiden sei. Sie sei nämlich nicht nur Konkurrentin, sondern auch Kundin
der beiden britischen Hersteller. Als Kundin sei sie von der Preispolitik der Hersteller ebenso betroffen
wie jeder andere Kunde. Anstatt das individuelle Verteidigungsvorbringen jedes Teilnehmers an den
streitigen Sitzungen zu würdigen, habe die Kommission dieses Vorbringen pauschal geprüft; ihr Recht
dazu habe sie daraus hergeleitet, dass die Teilnehmer keine plausible Erklärung für die Teilnahme
sowohl der Hersteller als auch der Händler an den Sitzungen gegeben hätten. Die von der Kommission
erhobenen Beweise zeigten außerdem, dass die Händler bestrebt gewesen seien, soweit wie möglich
mit den Herstellern in Wettbewerb zu treten.
37.
Die Kommission räumt ein, dass es sich um einen sehr speziellen Markt handele, verweist aber
darauf, dass auch zwischen den Mindestpreisen der gemeinschaftlichen Zuckerregelung und den von
British Sugar festgesetzten Preisen noch Raum für Preiswettbewerb verblieben sei. Tate & Lyle und die
Händler seien „price followers“ gewesen, d. h., sie hätten ihre eigenen Preise senken müssen, sobald
British Sugar ihre Preise gesenkt habe, aber sie hätten ihre Preise nicht zu erhöhen brauchen, wenn
British Sugar ihre Preise erhöht habe. Tate & Lyle und die Händler hätten jedoch beschlossen, mit
British Sugar in keinen Preiswettbewerb zu treten, obgleich dies möglich gewesen wäre, und zwecks
Preisanhebung eine Strategie der Zusammenarbeit bevorzugt.
38.
Was die Verpflichtungserklärung angehe, könne sie jedenfalls nicht so weit ausgelegt werden, dass
sie bilaterale Sitzungen zwischen British Sugar und Tate &Lyle abdecke,zu denen die Händler nicht
eingeladen seien. Die ersten Sitzungen hätten im Übrigen bereits im Juni 1986 stattgefunden,
während die Verpflichtungserklärung der Kommission erstmals im August 1986 angeboten worden sei.
39.
Selbst wenn überdies die Informationen über die Preisplanung von British Sugar den anderen
Unternehmen auf dem fraglichen Markt bekannt gewesen wäre, ändere dies doch nichts daran, dass
die Teilnehmer an den streitigen Sitzungen Informationen schneller und verlässlicher erhalten hätten,
als wenn sie selbst den Markt hätten überwachen müssen. Folglich seien sie bei der Festsetzung ihrer
eigenen Preise durch die von British Sugar angekündigten Preise beeinflusst worden.
40.
Schließlich sei ein Informationsaustausch in einem Fall wie dem vorliegenden kein unerlässliches
Tatbestandsmerkmal einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag. Ein
Wirtschaftsteilnehmer bestimmte seine Marktpolitik nicht länger selbstständig, wenn er an
regelmäßigen Sitzungen teilnehme, in denen er über die von seinem Hauptkonkurrenten
angestrebten Preise unter Umständen unterrichtet werde, unter denen er diese Information nicht
außer Acht lassen könne.
41.
Was speziell Napier Brown angehe, so habe diese eingeräumt, dass die angefochtene
Entscheidung eine abgestimmte Verhaltensweise zwischen British Sugar und Tate & Lyle nachweise.
Wenn aber ein Unternehmen an einer Sitzung mit wettbewerbsfeindlichem Zweck teilnehme, teile es
auch die Verantwortung für das Sitzungsergebnis, sofern es nicht dartue, dass es seinen
Wettbewerbern verdeutlicht habe, dass es an den Sitzungen mit einer unterschiedlichen Einstellung
teilnehme (Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-12/89, Solvay/Kommission, Slg.
1992, II-907).
- Würdigung durch das Gericht
42.
Zunächst ist festzustellen, dass British Sugar nicht bestreitet, zwischen 1986 und 1990 an
bilateralen Sitzungen mit Tate & Lyle und mehrseitigen Sitzungen mit den Händlern teilgenommen zu
haben. Auch Napier Brown räumt ihre Teilnahme an mehrseitigen Zusammenkünften ein. British Sugar
und Napier Brown räumen ferner ein, dass British Sugar in diesen Sitzungen den anderen Teilnehmern
ihre Preise mitgeteilt habe, auch wenn sie der Auslegung dieser Unterrichtung seitens der
Kommission entgegentreten.
43.
Somit ist nur zu prüfen, ob die Sitzungen einen wettbewerbsfeindlichen Zweck hatten.
44.
Was die Verhältnisse auf dem Zuckermarkt der Gemeinschaft angeht, so hat der Gerichtshof
entgegen dem Vorbringen von British Sugar und Napier Brown im Urteil Suiker Unie trotz seiner
Feststellung, dass die Gemeinschaftsregelung einer Abschottung der nationalen Märkte Vorschub
leisten kann, festgestellt, dass „für die Wettbewerbsregeln ein echter, wenn auch schmaler
Anwendungsbereich bleibt“ (Randnr. 24). Weiter heißt es in dem Urteil: „Da es sich ... bei den in der
Gemeinschaftsregelung festgesetzten oder vorgesehenen .Preisen' nicht um Preise beim Verkauf an
Händler, Verarbeitungsbetriebe oder Verbraucher handelt, bleibt denHerstellern ein gewisser
Spielraum für die Bestimmung des Preises, zu dem sie ihre Erzeugnisse absetzen“ (Randnr. 21).
45.
Die Kommission stellte deshalb zu Recht fest, dass auch zwischen dem gemäß der
Gemeinschaftsregelung für Zucker angebotenen Mindestpreis und den von British Sugar
festgesetzten Preisen noch Preiswettbewerb möglich gewesen sei (86. bis 88. Begründungserwägung
der angefochtenen Entscheidung).
46.
Zur oligopolistischen Struktur des Zuckermarkts in Großbritannien hat die Kommission außerdem
zutreffend festgestellt, dass zwar jeder Wirtschaftsteilnehmer in einem oligopolistischen Markt über
alle nötigen Informationen verfügt, um die Marktpolitik der anderen Unternehmen ex post zu
verstehen, dass aber die Ungewissheit hinsichtlich der preislichen Pläne der andern Marktbeteiligten
auf einem solchen Markt den Hauptanreiz zu aktivem Wettbewerb bildet (87. Begründungserwägung
der angefochtenen Entscheidung).
47.
British Sugar und Napier Brown machen weiterhin geltend, die von British Sugar gegenüber der
Kommission abgegebene Verpflichtungserklärung habe die Abhaltung der streitigen Sitzungen
erfordert, die einem völlig legitimen Zweck, nämlich der Korrektur eines vorherigen
wettbewerbsfeindlichen Verhaltens, gedient hätten.
48.
In der Verpflichtungserklärung hieß es:
„(C) British Sugar erkennt die Notwendigkeit [des Bestehens] der Zuckerhändler an und stellt fest,
dass sie auf dem britischen Markt eine wichtige Funktion auszuüben haben. British Sugar beabsichtigt
weder jetzt noch künftig eine Preispolitik, die die weitere Existenz der Händler auf dem Markt in
irgendeiner Weise beeinträchtigen könnte.
British Sugar verpflichtet sich gegenüber der Kommission, eine normale und vernünftige Preispolitik zu
verfolgen, die keinesfalls einer Verdrängungspolitik gleichkommt. Wie British Sugar einräumt,
befürchtet die Kommission zu Recht, dass ein unzureichender Spielraum zwischen dem Preis von
British Sugar für Gewerbezucker und ihrem Preis für im Einzelhandel verkauften Zucker als
unangemessene Verhaltensweise einzustufen wäre.“
49.
Nach dem Wortlaut der Verpflichtungserklärung bestand für British Sugar keinerlei Notwendigkeit,
mit ihren Wettbewerbern regelmäßig ihre preislichen Pläne zu erörtern oder sie auch nur darüber zu
unterrichten. Die Kommission hat auch zu Recht darauf hingewiesen, dass die Verpflichtungserklärung
schwerlich die bilateralen Treffen zwischen British Sugar und Tate & Lyle zu rechtfertigen vermag, da
sie nur missbräuchliches Verhalten gegenüber den Händlern betrifft.
50.
Wie die Kommission überdies ausgeführt hat, übersandte ihr British Sugar erstmals im August 1986
einen Entwurf der Verpflichtungserklärung, während das erste Treffenmit Tate & Lyle am 20. Juni 1986
stattfand. Selbst wenn man davon ausgeht, dass British Sugar die Folgen der sie betreffenden
Untersuchung der Kommission voraussah und den Antrag von Napier Brown auf einstweilige
Anordnungen kannte, hat British Sugar doch nicht zu erklären vermocht, aus welchem Grund sie bei
der Übermittlung des Entwurfs der Verpflichtungserklärung an die Kommission nicht ihren Beschluss
erwähnte, sich mit ihren Wettbewerbern zu treffen, um die ihr angelastete Zuwiderhandlung zu
beenden.
51.
Hätten die Sitzungen tatsächlich nur der Durchführung der Verpflichtungserklärung gedient, so
hätten die Wettbewerber von British Sugar überdies mit ihr durch Unterbieten der Preise von British
Sugar in Wettbewerb treten können, was jedoch nie geschah.
52.
Schließlich kann das Argument von British Sugar nicht durchgreifen, sie habe an einer Abstimmung
ihres Verhaltens mit dem ihrer Wettbewerber kein Interesse gehabt, weil sie ihren Marktanteil nicht
hätte erhöhen können. British Sugar hatte jedenfalls ein Interesse daran, ihre gesamten
Produktionsquoten auf dem britischen Markt abzusetzen, woran Tate & Lyle und die Händler sie
hätten hindern können.
53.
Die Kommission gelangt deshalb zu Recht zu dem Ergebnis, dass die Sitzungen der Beschränkung
des Wettbewerbs durch Abstimmung der Preispolitiken dienten.
54.
Dass eine Abstimmung existierte, wird auch nicht schon dadurch ausgeschlossen, dass nur einer
der Teilnehmer an den streitigen Sitzungen seine Pläne offen legte.
55.
Die Kriterien hinsichtlich der Koordinierung und Zusammenarbeit, auf die die Rechtsprechung zu
abgestimmten Verhaltensweisen abstellt, verlangen nämlich nicht die Ausarbeitung eines eigentlichen
„Plans“; sie sind vielmehr im Sinne des Grundgedankens der Wettbewerbsvorschriften des Vertrages
zu verstehen, wonach jeder Unternehmer selbstständig zu bestimmen hat, welche Politik er auf dem
gemeinsamen Markt zu betreiben gedenkt (Urteil Suiker Unie, Randnr. 173).
56.
Es ist zwar richtig, dass diese Anforderung der Selbstständigkeit nicht das Recht der Unternehmen
beseitigt, sich dem festgestellten oder erwarteten Verhalten ihrer Wettbewerber mit wachem Sinne
anzupassen; sie steht jedoch streng jeder unmittelbaren oder mittelbaren Fühlungnahme zwischen
Unternehmen entgegen, die bezweckt oder bewirkt, entweder das Marktverhalten eines
gegenwärtigen oder potentiellen Mitbewerbers zu beeinflussen oder einen solchen Mitbewerber über
das Marktverhalten ins Bild zu setzen, das man selbst an den Tag zu legen entschlossen ist oder in
Erwägung zieht (Urteil Suiker Unie, Randnr. 174).
57.
Im vorliegenden Fall bestanden unstreitig unmittelbare Kontakte zwischen den drei Klägerinnen,
mittels deren British Sugar ihre Wettbewerber, Tate & Lyle und Napier Brown, über ihr geplantes
Verhalten auf dem Zuckermarkt in Großbritannien unterrichtete.
58.
In seinem Urteil vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-1/89 (Rhône-Poulence/Kommission, Slg.
1991, II-867), wo es um die der dortigen Klägerin angelastete Teilnahme an Sitzungen ging, in denen
Wettbewerber Informationen u. a. über die von ihnen auf dem Markt gewünschten Preise
austauschten, hat das Gericht jedoch festgestellt, dass ein Unternehmen mit seiner Teilnahme an
einer Sitzung mit wettbewerbsfeindlichem Zweck nicht nur das Ziel verfolgt, im Voraus die
Ungewissheit über das künftige Verhalten seiner Wettbewerber zu beseitigen, sondern bei der
Festlegung der Politik, die es auf dem Markt verfolgen will, zwangsläufig auch unmittelbar oder
mittelbar die in diesen Sitzungen erhaltenen Informationen berücksichtigen muss (Urteil Rhône-
Poulence/Kommission, Randnr. 122 und 123). Diese Feststellung gilt auch dann, wenn, wie im
vorliegenden Fall, die Teilnahme eines oder mehrerer Unternehmen an Sitzungen mit
wettbewerbsfeindlichem Zweck nur in der Entgegennahme von Informationen über das künftige
Verhalten ihrer Wettbewerber auf dem Markt besteht.
59.
Zwar machen British Sugar und Napier Brown geltend, die Kunden von British Sugar seien über
deren Preispläne schon informiert worden, bevor diese in den streitigen Sitzungen den anderen
Beteiligten mitgeteilt worden seien, und somit habe British Sugar in diesen Sitzungen ihren
Wettbewerbern keinerlei Informationen offenbart, die sie sich nicht schon selbst auf dem Markt hätten
verschaffen können.
60.
Auch wenn dieses Vorbringen bewiesen wäre, ist es unter den Umständen des vorliegenden Falles
unbeachtlich. Selbst wenn es nämlich erstens zuträfe, dass British Sugar die von ihr geplanten Preise
vorher einzeln und regelmäßig ihren Kunden mitteilte, bedeutet dies nicht, dass diese Preise damit
bereits zu diesem Zeitpunkt objektive und unmittelbar verfügbare Marktdaten gewesen wären.
Überdies fanden die streitigen Sitzungen unstreitig statt, bevor die dort mitgeteilten Informationen auf
dem Markt bekanntgegeben wurden. Zweitens konnten die Beteiligten diese Informationen in den
streitigen Sitzungen einfacher, schneller und unmittelbarer erhalten als über den Markt. Wie die
Kommission in der 72. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung feststellte, war es
den klagenden Unternehmen durch die regelmäßige Teilnahme an den Sitzungen möglich, ein Klima
gegenseitiger Gewissheit über ihre künftigen Preispolitiken zu schaffen.
61.
Demnach kann das Vorbringen von British Sugar und Napier Brown, ihre Sitzungen hätten weder
eine Vereinbarung noch eine abgestimmte Verhaltensweise im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EG-
Vertrag dargestellt, nicht durchgreifen.
62.
Was das Argument von Napier Brown angeht, sie sei nicht nur Wettbewerberin, sondern auch
Kundin der Hersteller gewesen, so macht sie damit geltend, ihre Teilnahme an den Sitzungen sei von
jeder wettbewerbsfeindlichen Einstellung frei gewesen, denn sie hätte als Kundin Informationen über
die Preispolitik ihrer Lieferanten sammeln und als Händlerin mit den Herstellern in Wirklichkeit scharf
konkurrieren müssen.
63.
Gleichwohl nahm Napier Brwon an den Sitzungen, die einen wettbewerbsfeindlichen Zweck
verfolgten, teil und erweckte zumindest den Eindruck, ihre Teilnahme sei von der gleichen Einstellung
getragen wie die ihrer Wettbewerber.
64.
Unter diesen Umständen ist es Sache von Napier Brown, Indizien dafür anzuführen, dass sie ohne
jede wettbewerbsfeindliche Einstellung an den Sitzungen teilnahm, indem sie dartut, dass sie ihre
Wettbewerber darauf hinwies, dass sie mit einer anderen Einstellung als diese an den Sitzungen
teilnahm (Urteil Solvay/Kommission, Randnr. 99).
65.
Die Argumente, die Napier Brown aus ihrer Kundenstellung herleitet, sind aber keine Indizien für
ihre fehlende wettbewerbsfeindliche Einstellung, denn sie hat nichts dafür vorgetragen, dass sie ihre
Wettbewerber darauf hingewiesen habe, dass ihr Verhalten auf dem Markt vom Inhalt der Sitzungen
unabhängig sei.
66.
Selbst wenn sie ihre Wettbewerber darauf hingewiesen hätte, zeigt überdies schon der bloße
Umstand, dass sie Informationen erlangte, die ein unabhängiger Wirtschaftsteilnehmer streng als
Betriebsgeheimnisse hütet, dass sie wettbewerbsfeindlich eingestellt war (vgl. in diesem Sinne Urteil
Solvay/Kommission, Randnr. 100).
67.
Jeder Teilnehmer an einer der Sitzungen wusste nämlich, dass sein Hauptwettbewerber, das in der
betroffenen Branche führende Unternehmen, in den folgenden Sitzungen seine preislichen Pläne
offenbaren würde. Unabhängig von weiteren Gründen für die Teilnahme an diesen Sitzungen bestand
somit zumindest einer dieser Gründe darin, dass Ungewissheit über das künftige Verhalten der
Wettbewerber von vornherein ausgeräumt werden sollte. Allein wegen der Sitzungsteilnahme musste
zudem jeder Teilnehmer die so erlangten Informationen bei der Festlegung seiner eigenen künftigen
Politik auf dem Markt unmittelbar oder mittelbar berücksichtigen.
68.
Demnach ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.
Zum zweiten Klagegrund, wonach die streitigen Sitzungen keine wettbewerbsfeindlichen Auswirkungen
gehabt hätten
- Vorbringen der Parteien
69.
British Sugar und Napier Brown tragen vor, ihre Teilnahme an den streitigen Sitzungen habe sich
auf die von ihnen gegenüber ihren Kunden praktizierten Preise nicht ausgewirkt. Die Preise seien im
fraglichen Zeitraum auch nie um mehr als 1 % jährlich gestiegen. Dies stehe dem Schluss entgegen,
die Preiserhöhungen seien Ergebnis einer abgestimmten Verhaltensweise gewesen. Eine Analyse der
Preisentwicklung nach der Beendigung der inkriminierten Verhaltensweisen im Juli 1990 belege zudem,
dass keinerlei wesentliche Änderung eingetreten sei. Dies lasse darauf schließen, dass sich die
Sitzungen auf das Preisniveau nicht ausgewirkt hätten.
70.
Die Kommission bestreitet nicht, dass keine hinreichenden Beweise für wettbewerbsfeindliche
Auswirkungen des den Klägerinnen zur Last gelegten Sachverhalts bestünden, weshalb sie sich in der
angefochtenen Entscheidung ausschließlich auf den wettbewerbsfeindlichen Zweck des Verhaltens
der Teilnehmer an den streitigen Sitzungen konzentriert habe (75. und 116. bis 118.
Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung). Nach der Rechtsprechung liege eine
gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstoßende Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise
auch dann vor, wenn diese nur den Zweck (und nicht notwendig auch die Wirkung) einer
Beschränkung des Wettbewerbs habe.
- Würdigung durch das Gericht
71.
Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag untersagt jede Absprache von Unternehmen, die eine Beschränkung
des Wettbewerbs bezweckt oder bewirkt.
72.
Nach der Rechtsprechung brauchen die konkreten Auswirkungen von Absprachen nicht
berücksichtigt zu werden, wenn, wie im vorliegenden Fall, feststeht, dass diese eine Verhinderung,
Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des gemeinsamen Marktes bezwecken
(Urteile des Gerichts vom 6. April 1995 in den Rechtssachen T-142/89, Boël/Kommission, Slg. 1995, II-
867, Randnr. 89, und T-152/89, ILRO/Kommission, Slg. 1995, II-1197, Randnr. 32).
73.
Da der wettbewerbsfeindliche Charakter des Zwecks der Sitzungen nachgewiesen wurde, braucht
nicht geprüft zu werden, ob die Absprache sich auch auf dem Markt auswirkte.
74.
Das Vorbringen von British Sugar und Napier Brown greift daher nicht durch.
Zum dritten Klagegrund, wonach die Auswirkungen der streitigen Sitzungen auf den Handel zwischen
Mitgliedstaaten fehlerhaft beurteilt worden seien
- Vorbringen der Parteien
75.
British Sugar macht geltend, die von der Kommission beanstandeten Verhaltensweisen hätten sich
auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht spürbar ausgewirkt. Insbesondere lege die
angefochtene Entscheidung den Teilnehmern an den streitigen Sitzungen nicht ein Zusammenwirken
hinsichtlich der Einfuhren oder Ausfuhren zur Last. Für eine Drosselung der Einfuhren habe sie auch
keinen Grund oder daran ein Interesse, da sie ihre A- und B-Quote in Großbritannien absetzen könne.
Die Gefahr, die Einfuhren für die Erreichung ihrer berechtigten geschäftlichen Interessen darstellten,
habe sie vielmehr erfolgreich durch eine in sich stimmige Marktpolitik abgewehrt, in deren Rahmen sie
die Preise in Großbritannien so festgesetzt habe, dass die Rentabilität von Zuckerverkäufen in
Großbritannien nicht zu einer Erhöhung der Einfuhren führten.
76.
Es sei überaus kennzeichnend, dass die gemeinschaftliche Zuckerordnung Exportanreize nicht für
Ausfuhren in andere Mitgliedstaaten, sondern, in Form der Ausfuhrvergütungen, nur für Ausfuhren auf
den Weltmarkt vorsehe. Demgemäß sei die gegenseitige Durchdringung des Zuckermarkts der
Europäischen Union kein Ziel der im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik erlassenen
Zuckerregelung. Wie der Gerichtshof im Urteil Suiker Unie festgestellt habe, solle die Regelung für
Zucker der Abschottung der nationalen Märkte Vorschub leisten.
77.
Die Kommission hält dem entgegen, in der angefochtenen Entscheidung habe sie nachgewiesen,
dass die Vereinbarung und/oder abgestimmte Verhaltensweise geeignet gewesen sei, den Handel
zwischen Mitgliedstaaten im Sinne von Artikel 85 EG-Vertrag zu beeinträchtigen. Es sei daher nicht
erforderlich, dass das inkriminierte Verhalten den Handel zwischen Mitgliedstaaten tatsächlich
spürbar beeinträchtigt habe. Vielmehr genüge der Nachweis, dass das Verhalten eine solche Wirkung
haben könne. Im vorliegenden Fall sei der Markt für Einfuhren offensichtlich durchlässig gewesen, da
British Sugar selbst eine Preispolitik gewählt habe, mit der Einfuhren verhindert werden sollten.
- Würdigung durch das Gericht
78.
Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Vereinbarung zwischen Unternehmen oder eine
abgestimmte Verhaltensweise geeignet, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen,
wenn sich anhand einer Gesamtheit objektiver rechtlicher oder tatsächlicher Umstände mit
hinreichender Wahrscheinlichkeit voraussehen lässt, dass sie den Warenverkehr zwischen
Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potenziell in einem der Erreichung der
Ziele eines einheitlichen zwischenstaatlichen Marktes nachteiligen Sinne beeinflussen kann (Urteile
des Gerichtshofes vom 9. Juli 1969 in der Rechtssache 5/69, Völk, Slg. 1969, 295, Randnr. 5, vom 29.
Oktober 1980 in den verbundenen Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, Slg. 1980, 3125,
Randnr. 171, und vom 31. März 1993 in den verbundenen Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85,
C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström Osakeytihö, Slg. 1993, I-1307, Randnr. 143;
Urteile des Gerichts vom 22. Oktober 1997 in den verbundenen Rechtssachen T-213/95 und T-18/96,
SCK und FMK/Kommission, Slg. 1997, II-1739, Randnr. 175, und vom 8. Oktober 1996 in den
verbundenen Rechtssachen T-24/93 bis T-26/93 und T-28/93, Compagnie maritime belge transports u.
a./Kommission, Slg. 1996, II-1201, Randnr. 201). So ist es insbesondere nicht erforderlich, dass das
beanstandete Verhalten den Handel zwischen Mitgliedstaaten tatsächlich spürbar beeinträchtigt hat;
es genügt der Nachweis, dass dieses Verhalten geeignet ist, eine derartige Wirkung zu entfalten
(Urteil des Gerichts vom 21. Februar 1995 in der Rechtssache T-29/92, SPO u. a./Kommission, Slg.
1995, II-289, Randnr. 235).
79.
Nach ständiger Rechtsprechung genügt der Umstand, dass eine Absprache nur die Vermarktung
von Produkten in einem einzigen Mitgliedstaat bezweckt, nicht, um die Möglichkeit einer
Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten auszuschließen. Auf einem für Einfuhren
durchlässigen Markt können die Teilnehmeran einer nationalen Preisabsprache ihren Marktanteil nur
wahren, indem sie sich gegen ausländische Konkurrenz schützen. (Urteil des Gerichtshofes vom 11.
Juli 1989 in der Rechtssache 246/86, Belasco u. a./Kommission, Slg. 1989, 2117, Randnrn. 33 und 34).
80.
Im vorliegenden Fall ist der Zuckermarkt in Großbritannien unstreitig für Einfuhren durchlässig,
auch wenn die Zuckermarktordnung der Gemeinschaft und die Transportkosten dazu beitragen,
Einfuhren zu erschweren.
81.
Der angefochtenen Entscheidung und den Akten ist im Übrigen zu entnehmen, dass es eines der
Hauptanliegen von British Sugar und Tate & Lyle war, Einfuhren dem Umfang nach zu beschränken,
soweit diese es ihnen unmöglich gemacht hätten, ihre gesamte Produktion auf dem Inlandsmarkt
abzusetzen (16. und 17. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung). So hat zum einen
British Sugar selbst vorgetragen, sie habe im fraglichen Zeitraum bewusst eine auf Verhinderung von
Einfuhren gerichtete Preispolitik verfolgt, denn es sei ihre Priorität gewesen, ihre gesamte A- und B-
Quote auf dem Markt in Großbritannien abzusetzen (Klageschrift, Randnrn. 257 und 258). Zum
anderen geht aus der 17. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung hervor, dass Tate
& Lyle im fraglichen Zeitraum aktiv eine Politik verfolgte, die das Risiko erhöhter Einfuhren mindern
sollte.
82.
Unter diesen Umständen gelangte die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis, dass die in Frage
stehende Absprache, die sich auf fast das gesamte Staatsgebiet bezog und von Unternehmen
getroffen worden war, die ungefähr 90 % des fraglichen Marktes bildeten, geeignet war, den Handel
zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
83.
British Sugar macht geltend, die potenziellen Auswirkungen auf die Handelsströme zwischen den
Mitgliedstaaten seien nicht spürbar gewesen.
84.
Nach der Rechtsprechung ist die Kommission jedoch nicht verpflichtet, darzutun, dass sich eine
Vereinbarung oder abgestimmte Verhaltensweise spürbar auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten
ausgewirkt hat. Nach Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag müssen nämlich die Vereinbarungen und
abgestimmten Verhaltensweisen lediglich geeignet sein, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu
beeinträchtigen (Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules
Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 279).
85.
Die Kommission stellte demnach zu Recht fest, dass die gerügte Absprache geeignet war, den
innergemeinschaftlichen Handel zu beeinflussen.
86.
Der dritte Klagegrund ist deshalb insgesamt zurückzuweisen.
Zum Klagegrund der Unverhältnismäßigkeit der Geldbußen und mangelnder Berücksichtigung der
Marktstruktur
- Vorbringen der Parteien
87.
British Sugar und Napier Brown meinen, die Kommission habe unter Verstoß gegen die Leitlinien
weder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eingehalten noch die Schwere und Dauer der
angeblichen wettbewerblichen Zuwiderhandlungen berücksichtigt. Sie habe auch dadurch gegen das
Gemeinschaftsrecht verstoßen, dass sie weder den gesetzlichen Zusammenhang der
Gemeinschaftsregelung für Zucker noch den wirtschaftlichen Zusammenhang der einzelnen
angeblichen Zuwiderhandlungen berücksichtigt habe.
88.
Was die Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit angehe, so sei nach den Leitlinien
eine schwere Zuwiderhandlung dadurch gekennzeichnet, dass der Wettbewerb drastisch beschränkt
werde und die Auswirkungen auf den Markt umfassender seien als im Fall minder schwerer
Zuwiderhandlungen. Im vorliegenden Fall habe die Kommission aber nur das Verhalten der Teilnehmer
an den streitigen Sitzungen beschrieben, das in ihren regelmäßigen Zusammenkünften bestanden
habe, aber keine Absprache dargelegt, die auf eine - erst recht nicht drastische - Beschränkung des
Wettbewerbs gezielt hätte. Wie der 193. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung zu
entnehmen sei, sei die beanstandete Zuwiderhandlung in Wirklichkeit ohne Auswirkung oder Einfluss
auf den Wettbewerb auf dem betroffenen Markt geblieben. Die beanstandeten Verhaltensweisen
seien nur deshalb als schwerwiegende Zuwiderhandlungen eingestuft worden, weil es sich um
horizontale und nicht um vertikale Beschränkungen gehandelt habe. Zum einen aber hätten die
Händler als Kunden der Zuckerhersteller an den Sitzungen teilgenommen, und zum anderen sei, auch
wenn „minder schwere“ Verstöße nach den Leitlinien in der Regel vertikale Beschränkungen seien,
eine horizontale Beschränkung, die sich auf den Markt nicht ausgewirkt und auf nur einen Teil eines
Mitgliedstaats beschränkt habe, ebenfalls als „minder schwerer“ Verstoß einzustufen.
89.
British Sugar wendet sich ferner gegen die Erhöhung der Geldbuße wegen des Umstands, dass die
Zuwiderhandlung von mittlerer Dauer gewesen sei. Insbesondere eine Erhöhung um 40 % sei
übermäßig, bedenke man, dass die Dauer der Zuwiderhandlung, da sich diese auf den Markt nicht
ausgewirkt habe, das Ausmaß einer Beeinträchtigung der mit den Wettbewerbsbestimmungen des
Vertrages verfolgten gemeinschaftlichen Ziele nicht habe beeinflussen können.
90.
Ebenso verfehlt sei die Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße wegen erschwerender
Umstände. Der mit den Leitlinien eingeführte Begriff der erschwerenden Umstände stehe nicht in
Einklang mit der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1992, Erste Durchführungsverordnung
zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), wonach Umstände dieser Art bei
der Würdigung der Schwere der Zuwiderhandlung abzuwägen seien.
91.
Napier Brown macht geltend, die Kommission hätte bei der Verhängung der Geldbußen die
jeweiligen Umstände jedes betroffenen Unternehmens berücksichtigen müssen. In der 198.
Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung stelle die Kommission selbst ausdrücklich
fest, dass der Einfluss von Napier Brown und James Budgett Sugar auf den relevanten Markt und ihre
Möglichkeiten, auf diesem Markt eigene Macht auszuüben, begrenzt gewesen seien.
92.
British Sugar und Napier Brown führen weiter aus, in seinem Urteil Suiker Unie habe der Gerichtshof
festgestellt, dass die Kommission die sich aus der gemeinsamen Marktorganisation für Zucker
ergebenden Beschränkungen des Wettbewerbs nicht genügend berücksichtigt habe (Randnrn. 612
bis 621). Der Gerichtshof habe auch darauf hingewiesen, dass das Verhalten der
Wirtschaftsteilnehmer wegen der sehr begrenzten Eigenständigkeit, die ihnen die gemeinschaftliche
Regelung für Zucker belasse, nicht mit der üblichen Strenge beurteilt werden dürfe. Nach dem Urteil
Suiker Unie habe die Kommission die tatsächlichen Auswirkungen wettbewerbsfeindlicher
Verhaltensweisen im Licht des rechtlichen und wirtschaftlichen Kontextes zu würdigen. Nach den
Verhältnissen auf dem Zuckermarkt in Großbritannien habe jede Auswirkung auf diesen Markt nur
äußerst gering sein können. Dieser Faktor müsse sich auf die Sanktionierung der beanstandeten
Verhaltensweisen mildernd, nicht aber erschwerend auswirken, denn er habe deren Auswirkungen auf
den Markt und insbesondere auf Kunden und Verbraucher begrenzt.
93.
Die Kommission hält dem entgegen, gemäß der Verordnung Nr. 17 dürften je nach Schwere und
Dauer der Zuwiderhandlung Geldbußen bis zu 1 Million ECU oder bis zu 10 % des Umsatzes des
betroffenen Unternehmens verhängt werden. Sie habe in der angefochtenen Entscheidung beide
Kriterien für die Bemessung der Geldbuße berücksichtigt und diese je nach erschwerenden oder
mildernden Umständen erhöht oder herabgesetzt.
94.
Die Leitlinien stünden auch nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der angefochtenen
Entscheidung, die sie nicht erwähne. Dem Wortlaut der Leitlinien sei überdies klar zu entnehmen, dass
sie zwar Hinweise für die Vorgehensweise der Kommission bei der Bemessung der Geldbuße gäben,
aber keine automatische Methode für die Berechnung im Einzelfall verhängter Geldbußen enthielten.
Die in den Leitlinien aufgeführten Beispiele dienten nur als Anhalt und seien durch Formulierungen wie
„[E]s handelt sich in den meisten Fällen um“ oder „[E]s handelt sich im Wesentlichen um“ eingeleitet.
95.
Die Beispiele für „besonders schwere“ Verstöße umfassten „horizontale Beschränkungen wie z. B.
Preiskartelle [und] Marktaufteilungsquoten“, die zweifelsfrei unter Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag
fielen. Im vorliegenden Fall handele es sich um horizontale Zuwiderhandlungen, da die Händler auch
Wettbewerber und nicht nur Kunden von British Sugar seien und die Beziehung zwischen British Sugar
und Tate & Lyle nur horizontaler Art gewesen sei.
96.
Sie habe auch das Fehlen von Auswirkungen auf den Markt berücksichtigt, indem sie die
Zuwiderhandlungen als „schwer“ eingestuft habe. Der Hinweis in den Leitlinien auf die
Nichtanwendung von Vereinbarungen oder rechtswidrigen Praktiken solle Situationen erfassen, in
denen sich eine Partei vom Kartell zurückziehe, nicht aber den Fall, in dem die gerügten
Verhaltensweisen keine Auswirkungen auf dem Markt hätten.
97.
Schließlich habe die Unterscheidung zwischen Zweck und Wirkung im Wortlaut des Artikels 85
Absatz 1 EG-Vertrag im Sachverhalt des Urteils Suiker Unie keine Rolle gespielt. Dies erkläre, warum
der Gerichtshof in jenem Urteil die Auswirkungen auf Benutzer und Verbraucher erwähnt habe. Im
vorliegenden Fall sei die Entscheidung der Kommission hingegen nicht auf die Auswirkungen auf den
Markt gestützt, sondern stelle nur auf den wettbewerbsfeindlichen Zweck der Absprache ab.
- Würdigung durch das Gericht
98.
Gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 kann die Kommission Geldbußen von 1 000 Euro
bis zu einer Million Euro oder über diesen Betrag hinaus bis zu 10 % des von dem einzelnen an der
Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen. Bei
der Festsetzung der Höhe der Geldbuße sind nach der Bestimmung die Schwere und die Dauer der
Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.
99.
Nach ständiger Rechtsprechung muss die Geldbuße den Umständen und der Schwere der
Zuwiderhandlung entsprechen; bei der Beurteilung der Schwere ist insbesondere die Art der
Wettbewerbsbeschränkungen zu berücksichtigen (Urteil des Gerichts vom 14. Juli 1994 in der
Rechtssache T-77/92, Parker Pen/Kommission, Slg. 1994, II-549, Randnr. 92).
100.
Zudem gehört die Befugnis der Kommission, Geldbußen gegen Unternehmen zu verhängen, die
vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 85 Absatz 1 oder Artikel 86 EG-Vertrag verstoßen, zu den
Befugnissen, die der Kommission eingeräumt worden sind, um sie in die Lage zu versetzen, die ihr
durch das Gemeinschaftsrecht übertragene Überwachungsaufgabe zu erfüllen. Diese Aufgabe
umfasst gewiss die Pflicht, einzelne Zuwiderhandlungen zu ermitteln und zu ahnden; sie beinhaltet
aber auch den Auftrag, eine allgemeine Politik mit dem Ziel zu verfolgen, die im Vertrag
niedergelegten Grundsätze auf das Wettbewerbsrecht anzuwenden und das Verhalten der
Unternehmen in diesem Sinne zu lenken (Urteil des Gerichtshofes vom 7. Juni 1983 in den
verbundenen Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique diffusion française u. a./Kommission, Slg.
1983, Randnr. 105).
101.
Daraus folgt, dass die Kommission bei der für die Festsetzung der Geldbuße erforderlichen
Beurteilung der Schwere eines Rechtsverstoßes nicht nur die besonderen Umstände des Einzelfalls,
sondern auch den Kontext der Zuwiderhandlung berücksichtigen und sicherstellen muss, dass ihr
Vorgehen vor allem in Bezug auf solche Zuwiderhandlungen, die die Verwirklichung der Ziele der
Gemeinschaftbesonders beeinträchtigen, die notwendige abschreckende Wirkung hat (Urteil Musique
diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 106).
102.
Zur Frage der Verhältnismäßigkeit der verhängten Geldbußen führen die Klägerinnen in den
Rechtssachen T-204/98 und T-207/98 im Wesentlichen aus, die unverhältnismäßige Höhe der
Geldbußen folge daraus, dass die Zuwiderhandlung als „schwer“ eingestuft worden sei. Ihr Vorbringen
lässt sich nämlich dahin zusammenfassen, dass ihre Absprache im Licht der Leitlinien trotz ihres
horizontalen Charakters als „minder schwer“ einzustufen sei, weil sie keine nennenswerte
wettbewerbsfeindliche Auswirkung auf den Markt gehabt habe.
103.
Insoweit genügt der Hinweis, dass die ihnen zur Last gelegte Absprache, da an ihr die Händler als
Wettbewerber der Hersteller teilnahmen, als horizontal einzustufen ist und außerdem die Festsetzung
der Preise betraf. Eine derartige Absprache wurde jedoch stets als besonders schädlich bewertet und
wird in den Leitlinien als „besonders schwer“ eingestuft. Überdies wurde sie, wie die Kommission in
ihren Schriftsätzen hervorhebt, schon dadurch, dass sie wegen ihrer beschränkten Auswirkung auf
den Markt als „schwer“ eingestuft wurde, milder beurteilt als nach den allgemein geltenden Kriterien
für die Festsetzung von Geldbußen im Fall von Preiskartellen, nach denen die Absprache als
besonders schwer einzustufen gewesen wäre.
104.
Zur Rüge von British Sugar, die Erhöhung der Geldbuße wegen der Dauer der Zuwiderhandlung sei
nicht verhältnismäßig, ist daran zu erinnern, dass gemäß Artikel 15 Absatz 2 Unterabsatz 2 der
Verordnung Nr. 17 bei „der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ... neben der Schwere des Verstoßes
auch die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen“ ist. Die Dauer der Zuwiderhandlung ist
somit nach dem Wortlaut dieser Bestimmung einer der Gesichtspunkte, die bei der Festsetzung der
Höhe der Geldbuße für Unternehmen, die gegen die Wettbewerbsregeln verstoßen haben, zu
berücksichtigen sind (Urteil des Gerichts vom 7. Juli 1994 in der Rechtssache T-43/92, Dunlop
Slazenger/Kommission, Slg. 1994, II-441, Randnr. 154). Die Kommission würdigte deshalb bei der
Festsetzung der verhängten Geldbußen zu Recht auch die Dauer der Zuwiderhandlung.
105.
Dabei stellte sie fest, es liege eine Zuwiderhandlung von mittlerer Dauer vor, und erhöhte den nach
der Schwere bemessenen Betrag deshalb um etwa 40 %. Nach ständiger Rechtsprechung verfügt die
Kommission bei der Festlegung der Höhe der einzelnen Geldbußen über ein Ermessen und ist nicht
verpflichtet, insoweit eine genaue mathematische Formel anzuwenden (Urteile des Gerichts vom 6.
April 1995 in der Rechtssache T-150/89, Martinelli/Kommission, Slg. 1995, II-1165, Randnr. 59, und vom
14. Mai 1998 in der Rechtssache T-352/94, Mo och Domsjö/Kommission, Slg. 1998, II-1989, Randnr. 68,
auf Rechtsmittel bestätigt durch Urteil des Gerichtshofes vom 16. November 2000 in der Rechtssache
C-283/98 P, Mo och Domsjö/Kommission, Slg. 2000, I-9855, Randnr. 45).
106.
Der Gemeinschaftsrichter hat allerdings nachzuprüfen, ob der Betrag der festgesetzten Geldbuße in
einem angemessenen Verhältnis zur Dauer der festgestellten Zuwiderhandlung und zu den anderen
Faktoren steht, die für die Beurteilung der Schwere des Verstoßes eine Rolle spielen (vgl. in diesem
Sinne Urteil des Gerichts vom 21. Oktober 1997 in der Rechtssache T-229/94, Deutsche
Bahn/Kommission, Slg. 1997, II-1689, Randnr. 127). In diesem Zusammenhang macht British Sugar zu
Unrecht geltend, die Kommission dürfe eine Geldbuße wegen der Dauer der Zuwiderhandlung nur
erhöhen, wenn zwischen der Dauer und einer erhöhten Schädigung der mit den Wettbewerbsregeln
verfolgten Ziele der Gemeinschaft ein unmittelbarer Zusammenhang bestehe, woran es fehle, wenn
sich die Zuwiderhandlung nicht auf den Markt ausgewirkt habe. Wie sich die Dauer der
Zuwiderhandlung auf die Bemessung der Höhe der Geldbuße auswirkt, ist vielmehr auch anhand der
übrigen für die Zuwiderhandlung kennzeichnenden Gesichtspunkte zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne
Urteil Dunlop Slazenger/Kommission, Randnr. 178). Im vorliegenden Fall ist es nicht unverhältnismäßig,
dass die Kommission den nach der Schwere der Zuwiderhandlung bemessenen Betrag um 40 %
erhöhte.
107.
Auch das Argument von British Sugar, der in den Leitlinien verwendete Begriff der erschwerenden
Umstände laufe Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 zuwider, entbehrt jeder Grundlage.
108.
Insoweit sind zunächst die einschlägigen Vorschriften der Leitlinien näher zu betrachten. Nach
Nummer 1 Buchstabe A sind bei „der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes ... seine Art und die
konkreten Auswirkungen auf den Markt, sofern diese messbar sind, sowie der Umfang des
betreffenden räumlichen Marktes zu berücksichtigen“. Unter „2. erschwerende Umstände“ enthalten
die Leitlinien eine nicht abschließende Aufzählung von Umständen, die zu einer Erhöhung des nach
Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung bemessenen Grundbetrags führen können, so wiederholte
Verstöße, Verweigerung der Zusammenarbeit, Rolle als Anführer der Zuwiderhandlung,
Vergeltungsmaßnahmen oder die gebotene Berücksichtigung der Gewinne aus den Verstößen.
109.
Nach diesen Bestimmungen wird die Schwere des Verstoßes in zwei Schritten beurteilt. In einem
ersten Schritt wird die Schwere ausschließlich nach den Merkmalen des Verstoßes selbst wie seine Art
und Auswirkung auf den Markt beurteilt, und in einem zweiten Schritt wird die Beurteilung der Schwere
nach Umständen verändert, die dem betroffenen Unternehmen eigen sind; die Kommission
berücksichtigt deshalb im Übrigen nicht nur etwaige erschwerende, sondern gegebenenfalls auch
mildernde Umstände (vgl. Nummer 3 der Leitlinien). Diese Vorgehensweise widerspricht nicht nur nicht
Buchstabe und Geist von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17, sondern erlaubt es insbesondere
bei Verstößen mit mehreren beteiligten Unternehmen, die Schwere der Zuwiderhandlung nach der
unterschiedlichen Rolle jedes einzelnen Unternehmens und seiner Haltung gegenüber der Kommission
während des Verfahrens abzuwägen.
110.
Zweitens ist, was die Verhältnismäßigkeit der Erhöhung der gegen British Sugar verhängten
Geldbuße wegen erschwerender Umstände angeht, angesichts der von der Kommission in der 207. bis
209. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung dargelegten Umstände eine Erhöhung
um 75 % nicht als unverhältnismäßig anzusehen.
111.
Was schließlich die Ausführungen der Klägerin in der Rechtssache T-207/98 angeht, wonach die
Kommission die Rolle der Händler nicht hinreichend von der der Hersteller unterschieden habe, so
erkennt die Kommission in der 195. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung klar an,
dass zwischen den Beiträgen jedes an der Zuwiderhandlung Beteiligten klar zu differenzieren sei.
Ebenso wird diese Überlegung in der 198. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung
deutlich, wo die Kommission die Geldbuße gegen die Händler unter Berücksichtigung ihrer begrenzten
Rolle festsetzt.
112.
Der Klagegrund von British Sugar und Tate & Lyle, die Höhe der Geldbußen sei unverhältnismäßig,
ist deshalb zurückzuweisen.
113.
Was die Rüge angeht, die Struktur des relevanten Marktes sei nicht berücksichtigt worden, so hat
der Gerichtshof im Urteil Suiker Unie entschieden, dass der rechtliche und wirtschaftliche Kontext des
Zuckermarkts eine weniger strenge Beurteilung potenziell wettbewerbsfeindlicher Praktiken
rechtfertigen könne. Die Kommission hat jedoch zutreffend darauf hingewiesen, dass die vom Urteil
Suiker Unie betroffenen Absprachen keine Preiserhöhung, sondern die Aufteilung der Märkte nach
bestimmten Quoten zum Gegenstand hatten. Der Gerichtshof hat überdies in dem Urteil selbst
hervorgehoben, dass im Fall von Preisabsprachen möglicherweise eine andere Beurteilung
angebracht sei. Er hat insoweit hinzugefügt, dass „sich der Schaden, der den verarbeitenden
Unternehmen oder den Verbrauchern durch die beanstandete Verhaltensweise entstanden sein mag,
in Grenzen [hielt], zumal die Kommission selbst den Betroffenen keine abgestimmten oder
missbräuchlichen Preissteigerungen vorwirft und die durch die Aufteilung der Märkte ausgelöste
Beeinträchtigung der freien Lieferantenwahl zwar missbilligt werden muss, doch weniger schwer wiegt,
wenn es sich um ein weitgehend homogenes Erzeugnis wie dem Zucker handelt“ (Randnr. 621). Da im
vorliegenden Fall aber gerade ein Preisabsprache in Frage steht, ist die Kommission von den
Erwägungen des Urteils Suiker Unie zu Recht abgewichen.
114.
Auch die Rüge, die Marktstruktur im Umfeld der Zuwiderhandlungen sei nicht berücksichtigt
worden, ist deshalb zurückzuweisen.
115.
Der Klagegrund ist deshalb insgesamt zurückzuweisen.
Zum Klagegrund des Verstoßes gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz
- Vorbringen der Parteien
116.
British Sugar ist der Auffassung, für die gegen sie verhängte Geldbuße von 18 Millionen ECU sei ihre
Stellung auf dem Markt und nicht die Schwere der Zuwiderhandlung maßgebend gewesen. Der Betrag
der Geldbuße liege nahe bei der für wettbewerbliche Verstöße vorgesehenen Obergrenze. Obgleich
Tate & Lyle eine analoge Marktstellung wie British Sugar einnehme, sei gegen sie jedoch nur eine
Geldbuße von 10 Millionen ECU verhängt worden.
117.
Die Kommission hält dem entgegen, British Sugar sei bei der Preisabstimmung Anführer gewesen,
und ohne sie hätte es keine Absprache gegeben.
- Würdigung durch das Gericht
118.
Nach ständiger Rechtsprechung ist der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt, wenn
vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich behandelt werden (vgl. z. B. Urteil Hercules
Chemicals/Kommission, Randnr. 295).
119.
Im vorliegenden Fall bestehen zwischen der Lage von British Sugar und der von Tate & Lyle, wie die
Kommission dargelegt hat, hinreichende Unterschiede, um eine ungleiche Behandlung beider
Unternehmen zu rechtfertigen.
120.
Die zur Last gelegten Sitzungen wurden unstreitig auf Initative von British Sugar aufgenommen und
durchgeführt, und es war gleichfalls British Sugar, die ihre Wettbewerber in diesen Sitzungen über ihre
Preispolitik unterrichtete. British Sugar hat im Übrigen nichts vorgetragen, was den Beweisen, die die
Kommission für die aktive Hauptrolle von British Sugar bei der Absprache beigebracht hat,
widerspräche, sondern nur deren wettbewerbsfeindlichen Zweck bestritten.
121.
Der Klagegrund ist deshalb zurückzuweisen.
Zum Klagegrund, der fehlende Vorsatz bei den fraglichen Handlungen sei nicht berücksichtigt worden
- Vorbringen der Parteien
122.
British Sugar macht geltend, die Kommission habe bei der Bemessung der Geldbuße nicht
berücksichtigt, dass die gerügten Handlungen ohne Vorsatz vorgenommen worden seien.
123.
Sie habe versucht, die eingegangene Verpflichtungserklärung einzuhalten und zu gewährleisten,
dass ihre Beziehungen zu den Händlern in Einklang mit Artikel 86 EG-Vertrag stünden, und daher
allenfalls versehentlich gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstoßen.
124.
Die durch die Verpflichtungserklärung erforderten täglichen Kontakte zwischen Käufer und
Verkäufer hätten notwendig regelmäßige Kontakte zwischen den Verantwortlichen der verschiedenen
Unternehmen umfasst. Die Händler seien wichtige Käufer vonZucker zum Zweck des Wiederverkaufs.
Es wäre daher unmöglich gewesen, die Preise mit ihnen nicht zu erörtern.
125.
Es gebe keinen Beweis dafür, dass die betroffenen Unternehmen an den Sitzungen in dem
Bewusstsein teilgenommen hätten, gegen Artikel 85 EG-Vertrag zu verstoßen oder in irgendeiner
Hinsicht wettbewerbliche Probleme zu schaffen. Die Teilnehmer an den streitigen Sitzungen hätten
ihre Zusammenkünfte nicht geheim gehalten, und nachgewiesenermaßen seien während der
Sitzungen auch andere Themen erörtert worden.
126.
Die Kommission hebt hervor, wenn das Gericht zu dem Ergebnis gelange, die Sitzungen hätten die
Beeinträchtigung des Wettbewerbs bezweckt, müsse es notwendig auch annehmen, dass sie nicht
ausschließlich der Durchführung der Verpflichtungserklärung gedient hätten. Nach den Leitlinien dürfe
die Kommission davon ausgehen, dass ein Großunternehmen über die erforderlichen rechtlichen und
wirtschaftlichen Kenntnisse verfüge, um die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens und dessen
wettbewerbsrechtlichen Folgen zu erkennen.
- Würdigung durch das Gericht
127.
Für eine vorsätzlich begangene Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages ist
es nach ständiger Rechtsprechung nicht erforderlich, dass sich das Unternehmen des Verstoßes
gegen diese Regeln bewusst gewesen ist, sondern es genügt, dass es sich nicht in Unkenntnis
darüber befinden konnte, dass sein Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs bezweckte
(Urteile des Gerichtshofes vom 8. November 1983 in den verbundenen Rechtssachen 96/82 bis
102/82, 105/82, 108/82 und 110/82, IAZ u. a./Kommission, Slg. 1983, 3369, Randnr. 45, und Belasco
u. a./Kommission, Randnr. 41; Urteile des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-141/89,
Tréfileurope/Kommission, Slg. 1995, II-791, Randnr. 176, und vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T-
310/94, Gruber + Weber/Kommission, 1998, II-1043, Randnr. 259).
128.
Da British Sugar ein großes Unternehmen ist, das über die erforderlichen rechtlichen und
wirtschaftlichen Kenntnissen verfügt, um die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens und dessen
wettbewerbsrechtliche Folgen zu erkennen, und bereits von einer Untersuchung der Kommission
wegen Verstoßes gegen Artikel 86 EG-Vertrag betroffen war, kann sie im vorliegenden Fall nicht
geltend machen, weder fahrlässig noch vorsätzlich gehandelt zu haben.
129.
Der Klagegrund ist deshalb zurückzuweisen.
Zum Klagegrund betreffend die Berücksichtigung der Abschreckungswirkung der Geldbußen
- Vorbringen der Parteien
130.
British Sugar macht geltend, eine Erhöhung der gegen sie verhängten Geldbuße zu
Abschreckungszwecken sei in keiner Hinsicht erforderlich gewesen. Sie sei seit 1991 eine
hundertprozentige Tochtergesellschaft der Associated British Foods BLC (im Folgenden: ABF). Seither
seien ihre Verpflichtungen überprüft und verstärkt worden. British Sugar lege der Kommission jährliche
Berichte vor, und die Einhaltung ihrer Verpflichtungen liege in der persönlichen Verantwortung des
Direktors für Rechtsfragen von ABF, der ihrem Vorstand angehöre.
131.
Die angefochtene Entscheidung betreffe im Übrigen nur Vorgänge, die sich in Großbritannien
abgespielt hätten. Was Gewerbezucker angehe, so hätten die nationalen Behörden 1991
entschieden, keine Maßnahme auf der Grundlage des Restrictive Trade Practices Act 1976 zu
erlassen. Zu Haushaltszucker habe der Restrictive Practices Court entschieden, dass das gemeinsam
von British Sugar und Tate & Lyle verfasste und am 15. April 1991 dem Office of Fair Trading
vorgelegte Memorandum keiner Korrektur bedürfe. Deshalb seien unter Berücksichtigung der
Umstände gegen British Sugar und Tate & Lyle bestimmte Anweisungen ergangen, und jegliche
Zuwiderhandlung gegen diese könne Geldbußen und sogar Freiheitsentzug für die dafür
Verantwortlichen zur Folge haben. Eine Erhöhung der gegen British Sugar verhängten Geldbuße zu
Abschreckungszwecken sei deshalb nicht sachgemäß.
132.
Die Kommission erwidert hierauf, dass eine symbolische Geldbuße ohne jede Abschreckung für
Unternehmen gewesen wäre, die eine Wiederholung der gleichen Handlungen planten. Da British
Sugar im Rahmen ihrer Klage bei dem Gericht hervorhebe, das ihr Verhalten berechtigt und zur
Einhaltung der Wettbewerbsregeln erforderlich gewesen sei, könne nicht ausgeschlossen werden,
dass das Unternehmen seine Handlungsweise künftig fortführen wolle.
- Würdigung durch das Gericht
133.
Wie bereits erwähnt, gehört die Befugnis der Kommission, Geldbußen gegen Unternehmen zu
verhängen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 85 Absatz 1 oder Artikel 86 EG-Vertrag
verstoßen, zu den Befugnissen, die der Kommission eingeräumt worden sind, um sie in die Lage zu
versetzen, die ihr durch das Gemeinschaftsrecht übertragene Überwachungsausgabe zu erfüllen.
Diese Aufgabe umfasst gewiss die Pflicht, einzelne Zuwiderhandlungen zu ermitteln und zu ahnden; sie
beinhaltet aber auch den Auftrag, eine allgemeine Politik mit dem Ziel zu verfolgen, die im Vertrag
niedergelegten Grundsätze auf das Wettbewerbsrecht anzuwenden und das Verhalten der
Unternehmen in diesem Sinne zu lenken (Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr.
105).
134.
Die Kommission darf daher das Niveau von Geldbußen anheben, um ihre abschreckende Wirkung zu
verstärken, wenn die in Frage stehenden Praktiken wegen des Gewinns, den betroffene Unternehmen
daraus ziehen können, immer noch verhältnismäßig häufig sind, obwohl ihre Rechtswidrigkeit von
Beginn der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik an feststand (Urteil Musique diffusion française u.
a./Kommission, Randnr. 108).
135.
Im vorliegenden Fall, in dem eine klassische wettbewerbsrechtliche Zuwiderhandlung in Frage
steht, deren Rechtswidrigkeit die Kommission seit ihrem ersten Tätigwerden auf diesem Gebiet
wiederholt feststellte, durfte sie es für geboten halten, den Betrag der Geldbuße unter
Berücksichtigung auch der Abschreckungswirkung festzusetzen.
136.
Der Klagegrund ist deshalb zurückzuweisen.
Zum Klagegrund betreffend die Zusammenarbeit im Verwaltungsverfahren
- Vorbringen der Parteien
137.
British Sugar trägt vor, sie habe seit 1990 uneingeschränkt mit der Kommission
zusammengearbeitet, und nach den Leitlinien sei die Zusammenarbeit ein mildernder Umstand. Sie
habe erhebliche Mittel darauf verwandt, Rügen der Kommission zu entsprechen, die daraufhin
zurückgezogen worden seien.
138.
Die Kommission hält dem entgegen, die Zusammenarbeit von British Sugar sei nicht über das
hinausgegangen, was von einem Unternehmen, das von einem wettbewerbsrechtlichen Verfahren
betroffen sei, erwartet werden dürfe (214. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung).
- Würdigung durch das Gericht
139.
Auch dieser Klagegrund ist zurückzuweisen. Ausweislich der Akten und des Wortlauts der
angefochtenen Entscheidung gab British Sugar nur die Auskünfte, die sie der Kommission in einer
wettbewerbsrechtlichen Untersuchung zu erteilen verpflichtet war. In der 214. Begründungserwägung
der angefochtenen Entscheidung wird außerdem darauf hingewiesen, dass die im vorliegenden Fall
verhängten Geldbußen um 10 % gemindert worden seien, da die Betroffenen bestimmte Tatsachen
eingeräumt hätten.
140.
Der Klagegrund ist deshalb zurückzuweisen.
Zum Klagegrund des angeblichen Schadens infolge eines verzögerten Erlasses der Entscheidung
durch die Kommission
- Vorbringen der Parteien
141.
British Sugar und Napier Brown machen geltend, da die angefochtene Entscheidung erst acht Jahre
nach Aufdeckung der Zuwiderhandlung erlassen worden sei, sei die Änderung der Wettbewerbspolitik
der Kommission zu ihren Lasten gegangen; im Zuge dieser Änderung habe die Kommission das Niveau
der gegen Unternehmen verhängten Geldbußen beträchtlich erhöht.
142.
Die Kommission erwidert hierauf, zum einen treffe es nicht zu, dass sich das allgemeine Niveau der
Geldbußen seit Erlass der Leitlinien erhöht habe, und zumanderen sei sie unabhängig von den
Leitlinien dazu befugt, je nach Umständen des Falles Geldbußen zu erhöhen, so dass insoweit kein
berechtigtes Vertrauen bestehen könne.
- Würdigung durch das Gericht
143.
Nach ständiger Rechtsprechung wird die Kommission dadurch, dass sie in der Vergangenheit für
bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in einer bestimmten Höhe verhängt hat, nicht
daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen
anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen
Wettbewerbspolitik sicherzustellen. Die Kommission muss vielmehr im Interesse der praktischen
Wirksamkeit der gemeinschaftsrechtlichen Wettbewerbsregeln jederzeit das Niveau der Geldbußen
den Erfordernissen dieser Politik anpassen können (Urteil Musique Diffusion française u.
a./Kommission, Randnr. 109, und Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-14/89,
Montedipe/Kommission, Slg. 1992, II-1155, Randnr. 346).
144.
Außerdem darf die Kommission bei ihrer Beurteilung des allgemeinen Niveaus der Tatsache
Rechnung tragen, dass offenkundige Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der
Gemeinschaft immer noch verhältnismäßig häufig sind; es steht ihr daher frei, das Niveau der
Geldbußen anzuheben, um deren abschreckende Wirkung zu verstärken (vgl. in diesem Sinne Urteil
des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T-354/94, Stora Kopparbergs
Bergslags/Kommission, Slg. 1998, II-2111, Randnr. 167).
145.
Schließlich darf die Kommission bei der Festsetzung des allgemeinen Niveaus von Geldbußen u. a.
die lange Dauer und die Offenkundigkeit einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag
berücksichtigen, die trotz der Warnung begangen wurde, die die frühere Entscheidungspraxis der
Kommission hätte darstellen müssen (Urteil Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, Randnr. 169).
146.
Wie die Kommission zu Recht geltend macht, können deshalb Unternehmen, die von einem
Verfahren der Kommission wegen Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln betroffen sind, kein
berechtigtes Vertrauen in Fragen der Geldbuße haben, sofern die von Artikel 15 Absatz 2 der
Verordnung Nr. 17 gezogene Grenze gewahrt bleibt.
147.
Der Klagegrund ist deshalb zurückzuweisen.
148.
Der Antrag von Napier Brown, die Kommission zur Erstattung der von ihr gestellten Sicherheit für die
Entrichtung der Geldbuße zu verurteilen, ist demnach gleichfalls zurückzuweisen.
149.
Nach alledem sind die Klagen in den Rechtssachen T-204/97 und T-207/98 abzuweisen.
Zum ersten Klagegrund in der Rechtssache T-202/98, wonach die Mitteilung über Zusammenarbeit
fehlerhaft angewandt worden sei
- Vorbringen der Parteien
150.
Tate & Lyle macht geltend, sie habe im Verfahren uneingeschränkt mit der Kommission
zusammengearbeitet. Nach der Mitteilung über die Zusammenarbeit lasse eine ununterbrochene und
uneingeschränkte Zusammenarbeit eine Herabsetzung der Geldbuße um 75 % bis 100 % zu, während
die Kommission die Buße nur um 14 Millionen ECU, also nur 50 %, herabgesetzt habe.
151.
Mit dieser Würdigung verkenne die Kommission den Sachverhalt, der vielmehr eine
uneingeschränkte Kooperation von Tate & Lyle zeige. Sie habe der Kommission die Lage nicht nur in
zwei Schreiben vom Juli und August 1990 erläutert, sondern fortwährend mit der Kommission
zusammengearbeitet, indem sie jedes Auskunftsersuchen während des gesamten Verfahrens
unverzüglich beantwortet habe.
152.
Mangels einer ausdrücklichen Begründung in der angefochtenen Entscheidung müsse
angenommen werden, dass die Position der Kommission auf ihrer Ansicht beruhe, Tate & Lyle habe
ihre Aussagen im Verfahren widerrufen.
153.
Die Kommission bewerte damit aber als Widerruf, was nur Korrekturen oder Klarstellungen zur
Auslegung des Sachverhalts durch die Kommission gewesen seien. Nach Unterrichtung der
Kommission über den Sachverhalt habe sie erwarten dürfen, das der Sachverhalt auch richtig
verstanden werde. Dies könne vernünftigerweise nicht als Ausdruck lediglich eingeschränkter
Kooperation gewertet werden. Auch in ihrer Antwort auf die zweite Mitteilung der Beschwerdepunkte
habe sie weder Feststellungen zum Sachverhalt, die im vorangegangenen Verfahren getroffen worden
seien, noch ihre eigene Auslegung des Sachverhalts widerrufen. Die zweite Antwort kläre oder
korrigiere nur die Auslegung des Sachverhalts durch die Kommission.
154.
Die Kommission hält daran fest, dass die Mitteilung über Zusammenarbeit erst nach den in Frage
stehenden Vorgängen veröffentlicht worden und daher nur analog anwendbar sei. In der
angefochtenen Entscheidung werde die Rolle von Tate & Lyle bei der Aufdeckung des Kartells erwähnt
und festgestellt, dass sie bestimmte Kriterien erfüllt habe, um nach dieser Mitteilung eine
Herabsetzung der Geldbuße zu erwirken (216. bis 218. Begründungserwägung der angefochtenen
Entscheidung). Aus diesen Gründen sei in der angefochtenen Entscheidung eine Herabsetzung um 50
% vorgenommen worden. Uneingeschränkte Zusammenarbeit setze aber voraus, dass das betroffene
Unternehmen nicht nur Auskünfte gebe, zu denen es gegenüber der Kommission verpflichtet sei. Nach
ihrer Anzeige des Kartells habe Tate & Lyle nicht mehr getan, als zur Erfüllung ihrer Verpflichtungen
oder in ihrem geschäftlichen Interesse erforderlich gewesen sei.
155.
Zwei Widerrufe von Tate & Lyle erlaubten den Schluss, dass auch keine ununterbrochene
Zusammenarbeit vorgelegen habe. Erstens werde in der 82. und 83. Begründungserwägung der
angefochtenen Entscheidung aufgezeigt, dass die Klägerin ihre Darstellung in ihren Antworten auf die
beiden Mitteilungen der Beschwerdepunkte geändert habe. Anfangs habe sie eingeräumt, sie sei an
einer gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag verstoßenden Vereinbarung mit British Sugar beteiligt
gewesen. Später habe sie erklärt, eine Vereinbarung sei nicht erforderlich gewesen, da sie ohnehin
gezwungen gewesen sei, sich der Preispolitik von British Sugar anzuschließen. Im Wesentlichen habe
Tate & Lyle zwischen der ersten und der zweiten Mitteilung der Beschwerdepunkte versucht, ihre
ursprüngliche Stellungnahme in dieser Frage zu widerrufen und die Auffassung durchzusetzen, dass
die abgestimmte Verhaltensweise nicht auf eine Beschränkung des Wettbewerbs gezielt habe.
156.
Zweitens werde in der 116. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung der andere
Widerruf beschrieben. In ihrem ersten Schreiben an das Office of Fair Trading vom 16. Juli 1990 habe
Tate & Lyle eingeräumt, dass ein Informationsaustausch über bestimmten Kunden gewährte
Preisnachlässe stattgefunden habe, während sie später, im gemeinsam mit British Sugar verfassten
und am 15. April 1991 beim Office eingereichten Memorandum, behauptet habe, über Rabatte für
bestimmte Kunden seien keine Auskünfte gegeben worden. Wegen dieser Änderung ihrer Position
habe die Kommission den Informationsaustausch über Rabatte für bestimmte Einzelkunden nicht
nachzuweisen vermocht (vgl. 116. bis 193. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung).
- Würdigung durch das Gericht
157.
Nach dem Wortlaut der Mitteilung über Zusammenarbeit wird der ohne Mitarbeit festzusetzende
Betrag der Geldbuße um mindestens 75 % niedriger festgesetzt oder von einer Geldbuße ganz
abgesehen, wenn ein Unternehmen die Voraussetzungen gemäß Abschnitt B Buchstaben a bis e der
Mitteilung erfüllt. Nach Abschnitt B Buchstabe d muss ein Unternehmen, um in den Genuss der
Milderung gemäß Abschnitt B zu gelangen, während der gesamten Dauer der Untersuchung zu einer
ununterbrochenen und uneingeschränkten Zusammenarbeit bereit gewesen sein. Es ist deshalb zu
prüfen, ob die Zusammenarbeit von Tate & Lyle als ununterbrochen und uneingeschränkt im Sinne
von Abschnitt B Buchstabe d der Mitteilung einzustufen ist.
158.
Die Kommission berücksichtigte die Zusammenarbeit von Tate & Lyle in der 216. bis 218.
Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung. Sie hob insbesondere die Rolle von Tate &
Lyle bei der Aufdeckung des Kartells hervor und erkannte an, dass das Unternehmen bestimmte
Voraussetzungen für eine Herabsetzung der Geldbuße gemäß der Mitteilung über Zusammenarbeit
erfüllt habe. In der 217. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung wird in allgemeinen
Worten festgestellt, dass Tate & Lyle mit der Kommission nicht ununterbrochen und uneingeschränkt
kooperiert habe, während in der 82., 83. und 116. Begründungserwägung der Entscheidung die
Verhaltensweisen beschrieben werden, die die Kommission als Widerrufe wertete, die es ihr nicht
erlaubten, die Zusammenarbeitals ununterbrochen im Sinne von Abschnitt B Buchstabe d der
Mitteilung über Zusammenarbeit einzustufen. Die Kommission schloss daraus, dass Tate & Lyle nicht
die Voraussetzungen für die Herabsetzung nach Abschnitt B der Mitteilung erfüllte.
159.
Entgegen ihrem eigenen Vorbringen änderte Tate & Lyle tatsächlich ihre Erklärungen im Verlauf der
Ermittlungen der Kommission.
160.
Was jedoch die erste dieser Änderungen in den Antworten von Tate & Lyle auf die zweite Mitteilung
der Beschwerdegründe angeht, beschränkte sich das Unternehmen auf eine unterschiedliche
Bewertung der Tatsachen, bestritt aber nicht den zuvor eingeräumten Sachverhalt und widerrief nicht
die Feststellung, dass die streitigen Sitzungen unter Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag fielen.
161.
Was die zweite Änderung anbelangt, die den Informationsaustausch über bestimmten Einzelkunden
zu gewährende Rabatte betraf, so vermochte die Kommission diesen Teil der Zuwiderhandlung in der
angefochtenen Entscheidung nicht nachzuweisen. Obgleich die Kommission behauptet, gerade wegen
des Widerrufs von Tate & Lyle habe sie diesen Tatvorwurf nicht nachweisen können, bleibt
festzustellen, dass die Existenz einer entsprechenden Unterrichtung von der Kommission nicht
nachgewiesen wurde und deshalb den Klägerinnen nicht angelastet werden darf. Unter diesen
Umständen kann die Kommission Tate & Lyle nicht fehlende Zusammenarbeit hinsichtlich eines Teils
der Zuwiderhandlung zur Last legen, der nicht nachgewiesen wurde.
162.
Demnach sprach die Kommission der Zusammenarbeit von Tate & Lyle zu Unrecht einen
ununterbrochenen und uneingeschränkten Charakter im Sinne von Abschnitt B Buchstabe d der
Mitteilung über Zusammenarbeit ab und würdigte somit den Umfang dieser Zusammenarbeit in der
angefochtenen Entscheidung nicht fehlerfrei.
163.
Unter diesen Umständen ist das Gericht im Rahmen seiner Befugnis zur unumschränkten
Ermessensnachprüfung gehalten, die Entscheidung hinsichtlich des Betrages der gegen Tate & Lyle
verhängten Geldbuße zu ändern.
164.
Dabei hat im Rahmen seiner Zuständigkeit in diesem Bereich selbst die Umstände des Einzelfalls zu
beurteilen, um die Höhe der Geldbuße festzusetzen (Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 1983
in der Rechtssache 322/81, Michelin/Kommission, Slg. 1983, 3461, Randnr. 111).
165.
Wegen der Bedeutung und des ununterbrochenen und uneingeschränkten Charakters der
Zusammenarbeit von Tate & Lyle ist eine Herabsetzung der Geldbuße, die ohne Zusammenarbeit
gegen das Unternehmen verhängt worden wäre, um 50 % nicht ausreichend. Wie andererseits oben
in Randnummer 160 festgestellt wurde, widerrief Tate & Lyle in ihrer Antwort auf die zweite Mitteilung
der Beschwerdegründe zwar nicht ihre ursprünglichen Angaben, änderte aber teilweise die Bewertung
der von ihr zuvor eingeräumten Tatsachen. Wegen dieses Umstandes und der Bedeutung der Rolle,die
Tate & Lyle im Rahmen der Absprache spielte, kann ihr eine höhere Herabsetzung der Buße als 60 %
nicht gewährt werden.
166.
Nach alledem ist der Betrag der Geldbuße, der gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr.
1103/97 des Rates vom 17. Juli 1997 über bestimmte Vorschriften im Zusammenhang mit der
Einführung des Euro (ABl. L 162, S. 1) in Euro beziffert wird, vom Gericht im Rahmen seiner Befugnis zur
unbeschränkten Ermessensnachprüfung im Sinne von Artikel 172 EG-Vertrag (jetzt Artikel 229 EG) und
Artikel 17 der Verordnung Nr. 17 auf 5,6 Millionen Euro festzusetzen.
167.
Der zweite Klagegrund von Tate & Lyle, mit dem ein Begründungsmangel gerügt wird, braucht daher
nicht geprüft zu werden.
Kosten
168.
Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag
zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen in den Rechtssachen T-204/98 und T-207/98
mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen auf Antrag der Beklagten die durch ihre Klagen
verursachten Kosten einschließlich der Kosten der Kommission aufzuerlegen. Der Klägerin der
Rechtssache T-204/98 sind gemäß dem Antrag der Beklagten auch die Kosten des Verfahrens des
vorläufigen Rechtsschutzes in dieser Rechtssache aufzuerlegen. Da die Kommission mit ihrem
Vorbringen in der Rechtssache T-202/98 im Wesentlichen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag
der Klägerin in dieser Rechtssache die Kosten dieses Verfahrens aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Vierte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Artikel 3 der Entscheidung 1999/210/EG der Kommission vom 14. Oktober 1998 in einem
Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (Sache Nr. IV/F-3/33.708 British Sugar Plc, Sache Nr.
IV/F-3/33.709 Tate & Lyle Plc, Sache Nr. IV/F-3/33.710 Napier Brown & Company Ltd, Sache
Nr. IV/F-3/33.711 James Budgett Sugars Ltd) wird für nichtig erklärt, soweit er die Klägerin
in der Rechtssache T-202/98 betrifft.
2. Der Betrag der in Artikel 3 der Entscheidung 1999/210 gegen die Klägerin in der
Rechtssache T-202/98 verhängten Geldbuße wird auf 5,6 Millionen Euro festgesetzt.
3. In der Rechtssache T-202/98 trägt die Kommission ihre eigenen Kosten und die Kosten
der Klägerin.
4. Die Klagen in den Rechtssachen T-204/98 und T-207/98 werden abgewiesen.
5. Die Klägerin in der Rechtssache T-204/98 trägt ihre eigenen Kosten und die Kosten der
Kommission in dieser Rechtssache einschließlich der Kosten des Verfahrens des
vorläufigen Rechtsschutzes.
6. Die Klägerin in der Rechtssache T-207/98 trägt ihre eigenen Kosten und die Kosten der
Kommission in dieser Rechtssache.
Mengozzi
Tiili
Moura Ramos
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 12. Juli 2001.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
P. Mengozzi
Verfahrenssprache: Englisch.