Urteil des EuG vom 18.12.2015

Muster Und Modelle, Verordnung, Beschwerdekammer, Zustellung

BESCHLUSS DES GERICHTS (Siebte Kammer)
18. Dezember 2015(
)
„Nichtigkeitsklage – Gemeinschaftsmarke – Klagefrist – Beginn – Zustellung der Entscheidung
der Beschwerdekammer auf das elektronische Benutzerkonto des Prozessbevollmächtigten der
Klägerin beim HABM – Verspätung – Kein Zufall oder Fall höherer Gewalt – Offensichtliche
Unzulässigkeit“
In der Rechtssache T‑850/14
CompuGroup Medical AG
Rechtsanwalt B. Dix,
Klägerin,
gegen
Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM),
vertreten durch H. Kunz als Bevollmächtigten,
Beklagter,
anderer Beteiligter im Verfahren vor der Beschwerdekammer des HABM und Streithelfer im
Verfahren vor dem Gericht:
Simon Schatteiner,
Rechtsanwalt F. Schulz, dann Rechtsanwältin H. Pernez,
betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des HABM vom
23. Juli 2014 (Sache R 818/2013‑4) zu einem Widerspruchsverfahren zwischen Herrn Simon
Schatteiner und der CompuGroup Medical AG
erlässt
DAS GERICHT (Siebte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten M. van der Woude sowie der Richterin
I. Wiszniewska‑Białecka (Berichterstatterin) und des Richters I. Ulloa Rubio,
Kanzler: E. Coulon,
aufgrund der am 29. Dezember 2014 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,
aufgrund der am 29. Juni 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung
des HABM,
aufgrund der am 19. August 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen
Klagebeantwortung des Streithelfers
folgenden
Beschluss
Beschluss
Vorgeschichte des Rechtsstreits
1
Am 14. Dezember 2010 meldete die Klägerin, die CompuGroup Medical AG, beim
Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) gemäß der
Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Gemeinschaftsmarke
(ABl. L 78, S. 1) eine Gemeinschaftsmarke an. Bei der angemeldeten Marke handelt es sich um
das Wortzeichen SAM. Die Marke wurde für Waren und Dienstleistungen u. a. der Klassen 9,
38, 41 und 42 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und
Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter
Fassung angemeldet. Die Gemeinschaftsmarkenanmeldung wurde im Blatt für
Gemeinschaftsmarken Nr. 48/2012 vom 8. März 2012 veröffentlicht.
2
Am 5. Juni 2012 erhob der Streithelfer, Herr Simon Schatteiner, gemäß Art. 41 der Verordnung
Nr. 207/2009 Widerspruch gegen die Eintragung der angemeldeten Marke für alle oben in Rn. 1
genannten Waren und Dienstleistungen. Der Widerspruch war auf die am 23. September 2010
für Waren und Dienstleistungen der Klassen 9, 35, 37, 41 und 42 eingetragene ältere
Gemeinschaftswortmarke SAM BA gestützt. Mit ihm wurde das Eintragungshindernis nach Art. 8
Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 geltend gemacht.
3
Mit Entscheidung vom 24. April 2013 gab die Widerspruchsabteilung dem Widerspruch
teilweise statt.
4
Am 30. April 2013 legte die Klägerin gegen die Entscheidung der Widerspruchsabteilung nach
den Art. 58 bis 64 der Verordnung Nr. 207/2009 beim HABM Beschwerde ein.
5
Mit Entscheidung vom 23. Juli 2014 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) gab die Vierte
Beschwerdekammer des HABM der Beschwerde teilweise statt.
Anträge der Parteien
6
Die Klägerin beantragt,
– die Klage für zulässig zu erklären;
– die angefochtene Entscheidung, soweit sie dem Widerspruch stattgibt, aufzuheben und
den Widerspruch zurückzuweisen.
7
Das HABM und der Streithelfer beantragen,
– die Klage abzuweisen;
– die Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
8
Gemäß Art. 126 der Verfahrensordnung des Gerichts kann dieses, wenn eine Klage
offensichtlich unzulässig ist, auf Vorschlag des Berichterstatters jederzeit die Entscheidung
treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden, ohne das Verfahren
fortzusetzen.
9
Im vorliegenden Fall hält sich das Gericht auf der Grundlage des Akteninhalts für ausreichend
unterrichtet und beschließt in Anwendung dieses Artikels, ohne Fortsetzung des Verfahrens zu
entscheiden.
10
Das HABM trägt vor, es habe die angefochtene Entscheidung am 24. Juli 2014 in das
Posteingangsfach des elektronischen Benutzerkontos des Prozessbevollmächtigten der Klägerin
gelegt. Die am 29. Dezember 2014 beim Gericht eingereichte Klage sei somit verspätet.
11
Die Klägerin macht geltend, dass das HABM sie erst am 21. November 2014, infolge ihres
Antrags auf Einschränkung des Verzeichnisses der von der Anmeldemarke erfassten Waren
und Dienstleistungen, darüber informiert habe, dass die angefochtene Entscheidung am 23. Juli
2014 ergangen sei. Ihr Prozessbevollmächtigter habe die angefochtene Entscheidung nie im
Posteingangsfach seines elektronischen Benutzerkontos erhalten. Die Person, die für ihren
Prozessbevollmächtigten arbeite und damit beauftragt gewesen sei, den Inhalt dieses
Benutzerkontos zu kontrollieren, sei eine erfahrene und zuverlässige Person. Deshalb hätte sie
die angefochtene Entscheidung gesehen, wenn diese in das Posteingangsfach dieses
Benutzerkontos gelegt worden wäre, wie dies zwei der Klageschrift beigefügte eidesstattliche
Versicherungen attestierten.
12
Es ist unstreitig, dass der Prozessbevollmächtigte der Klägerin zugestimmt hatte, die
Zustellungen des HABM elektronisch zu erhalten, und dass er zum maßgeblichen Zeitpunkt
beim HABM ein elektronisches Benutzerkonto für diese Zustellungen hatte.
13
In den Akten des Verfahrens vor dem HABM befindet sich eine Mitteilung des HABM vom 24.
Juli 2014 mit dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin als Adressaten und dem Gegenstand
„Zustellung der Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer“. In dieser Mitteilung wird darauf
verwiesen, dass die angefochtene Entscheidung mit 14 Seiten als Anhang beigefügt sei. Diese
Mitteilung trägt die Bezeichnung R420a und das Aktenzeichen der Sache (R 818/2013‑4).
14
Aus dem vom HABM als Anhang zur Klagebeantwortung vorgelegten Ausschnitt aus der
Datenbank des HABM für die Sache R 818/2013‑4 geht hervor, dass die Mitteilung R420a und
ihr Anhang von 14 Seiten am 24. Juli 2014 auf dem elektronischen Benutzerkonto des
Prozessbevollmächtigten der Klägerin hinterlegt wurden. Die Meldung „e‑Comm OK“, die sich
auf dem genannten Ausschnitt befindet, beweist die erfolgreiche Hinterlegung auf dem
elektronischen Benutzerkonto.
15
Das HABM hat als Anhang zur Klagebeantwortung auch einen Auszug aus der automatisierten
Protokolldatei vorgelegt, in dem alle Operationen, die auf dem elektronischen Benutzerkonto
des Prozessbevollmächtigten der Klägerin stattfanden, dargestellt sind. Diese Protokolldatei
bestätigt, dass die Mitteilung R420a am 24. Juli 2014 auf dem elektronischen Benutzerkonto
hinterlegt wurde. Es erschien keine Fehlermeldung.
16
Aus den vom HABM vorgelegten Nachweisen geht daher hervor, dass die angefochtene
Entscheidung am 24. Juli 2014 in das Posteingangsfach des elektronischen Benutzerkontos des
Prozessbevollmächtigten der Klägerin gelegt wurde.
17
Die Erklärungen an Eides statt des Prozessbevollmächtigten der Klägerin und der für diesen
arbeitenden Person, die damit beauftragt war, den Inhalt des Posteingangsfachs des
elektronischen Benutzerkontos zu überprüfen, können dieses Ergebnis nicht in Frage stellen.
Denn nach der Rechtsprechung haben Erklärungen an Eides statt einer Person, die enge
Bindungen zur Klägerin hat, wie ihres Prozessbevollmächtigten, geringeren Beweiswert als
Erklärungen Dritter und können daher für sich allein keinen hinreichenden Beweis darstellen (in
diesem Sinne Urteil vom 16. Juni 2015, H.P. Gauff Ingenieure/HABM – Gauff [Gauff THE
ENGINEERS WITH THE BROADER VIEW], T‑586/13, EU:T:2015:385, Rn. 29 und 30 und die
dort angeführte Rechtsprechung).
18
Gemäß Regel 65 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 2868/95 der Kommission vom 13. Dezember
1995 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates über die
Gemeinschaftsmarke (ABl. L 303, S. 1) wird die Zustellung durch andere technische
Kommunikationsmittel als durch Fernkopierer vom Präsidenten des HABM geregelt.
19
Nach Art. 4 Abs. 4 des Beschlusses Nr. EX‑13‑2 des Präsidenten des HABM vom 26.
19
Nach Art. 4 Abs. 4 des Beschlusses Nr. EX‑13‑2 des Präsidenten des HABM vom 26.
November 2013 betreffend die elektronische Übermittlung an und durch das HABM gilt
unbeschadet der genauen Feststellung des Zustellungsdatums die Zustellung als am fünften
Kalendertag nach dem Tag erfolgt, an dem das HABM das Schriftstück in das elektronische
Posteingangsfach des Nutzers gelegt hat.
20
Da die angefochtene Entscheidung am 24. Juli 2014 in das elektronische Posteingangsfach
des Prozessbevollmächtigten der Klägerin gelegt wurde, gilt die Zustellung der angefochtenen
Entscheidung als am 29. Juli 2014 erfolgt.
21
Nach Art. 65 Abs. 5 der Verordnung Nr. 207/2009 ist eine Klage gegen die Entscheidung einer
Beschwerdekammer des HABM innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieser
Entscheidung einzulegen. Nach Art. 102 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts vom 2. Mai
1991 ist die Klagefrist um eine pauschale Entfernungsfrist von zehn Tagen zu verlängern.
22
Aus den in den Art. 65 Abs. 5 der Verordnung Nr. 207/2009 und 102 § 2 der
Verfahrensordnung vom 2. Mai 1991 vorgesehenen Regeln für die Berechnung der
Verfahrensfristen ergibt sich, dass die Klagefrist am 9. Oktober 2014 abgelaufen ist.
23
Daher ist die am 29. Dezember 2014 gegen die angefochtene Entscheidung erhobene Klage
als verspätet anzusehen.
24
Schließlich ist festzustellen, dass die Klägerin weder nachgewiesen noch auch nur behauptet
hat, dass ein Zufall oder ein Fall höherer Gewalt vorgelegen habe, der es nach Art. 45 Abs. 2
der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union erlauben würde, von der Einhaltung der
fraglichen Frist abzusehen.
25
Nach alledem ist die Klage als offensichtlich unzulässig abzuweisen.
Kosten
26
Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur
Tragung der Kosten zu verurteilen.
27
Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß den Anträgen des HABM und des Streithelfers
die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Siebte Kammer)
beschlossen:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die CompuGroup Medical AG trägt die Kosten.
Luxemburg, den 18. Dezember 2015
Der Kanzler
Der Präsident
E. Coulon
M. van der Woude
Verfahrenssprache: Deutsch.