Urteil des EuG vom 09.02.2017

Verordnung, Wiedergabe, Geistiges Eigentum, Prüfer

URTEIL DES GERICHTS (Achte Kammer)
9. Februar 2017(
*
)
„Gemeinschaftsgeschmacksmuster – Anmeldung von Gemeinschaftsgeschmacksmustern in der Form von Bechern – Begriff der ‚zur Reproduktion
geeigneten Wiedergabe‘ – Ungenauigkeit der Wiedergabe in Bezug auf den beanspruchten Schutz – Ablehnung der Mängelbehebung – Verweigerung
der Zuerkennung eines Anmeldetags – Art. 36 und 46 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 – Art. 4 Abs. 1 Buchst. e und Art. 10 Abs. 1 und 2 der
Verordnung (EG) Nr. 2245/2002“
In der Rechtssache T‑16/16
Mast-Jägermeister SE
J. Engberding,
Klägerin,
gegen
Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO),
Beklagter,
betreffend eine Klage gegen die Entscheidung der Dritten Beschwerdekammer des EUIPO vom 17. November 2015 (Sache R 1842/2015-3) über die
Anmeldung von Bechern als Gemeinschaftsgeschmacksmuster
erlässt
DAS GERICHT (Achte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten A. M. Collins sowie der Richter R. Barents (Berichterstatter) und J. Passer,
Kanzler: E. Coulon,
aufgrund der am 19. Januar 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klageschrift,
aufgrund der am 4. April 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Klagebeantwortung,
aufgrund des Umstands, dass keine der Hauptparteien innerhalb der Frist von drei Wochen, nachdem die Bekanntgabe des Abschlusses des
schriftlichen Verfahrens erfolgt ist, einen Antrag auf Anberaumung einer mündlichen Verhandlung gestellt hat, und des gemäß Art. 106 Abs. 3 der
Verfahrensordnung des Gerichts ergangenen Beschlusses, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
Art. 36 („Erfordernisse der Anmeldung“) der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über Gemeinschaftsgeschmackmuster
(ABl. 2002, L 3, S. 1) in geänderter Fassung sieht vor:
„(1) Die Anmeldung des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters muss enthalten:
a) einen Antrag auf Eintragung;
b) Angaben, die auf die Identität des Anmelders schließen lassen;
c) eine zur Reproduktion geeignete Wiedergabe des Geschmacksmusters[; i]st jedoch ein Muster Gegenstand der Anmeldung und enthält die
Anmeldung den Antrag, die Bekanntmachung der Anmeldung gemäß Artikel 50 aufzuschieben, kann die Wiedergabe des Musters durch eine Probe
ersetzt werden.
(2) Die Anmeldung muss außerdem die Angabe der Erzeugnisse enthalten, in die das Geschmacksmuster aufgenommen oder bei denen es
verwendet werden soll.
(3) Darüber hinaus kann die Anmeldung enthalten:
a) eine Beschreibung mit einer Erläuterung der Wiedergabe oder die Probe,
b) einen Antrag auf Aufschiebung der Bekanntmachung der Eintragung gemäß Artikel 50,
c) Angaben zu seinem Vertreter, falls der Anmelder einen solchen benannt hat,
d) die Klassifikation der Erzeugnisse, in die das Geschmacksmuster aufgenommen oder bei denen es verwendet werden soll nach Klassen,
e) die Nennung des Entwerfers oder des Entwerferteams oder die Erklärung auf Verantwortung des Anmelders, dass der Entwerfer oder das
Entwerferteam auf das Recht, genannt zu werden, verzichtet hat.
(4) Bei der Anmeldung ist eine Eintragungsgebühr und eine Bekanntmachungsgebühr zu entrichten. Wird ein Antrag auf Aufschiebung der
Bekanntmachung gemäß Absatz 3 Buchstabe b gestellt, so tritt eine Gebühr für die Aufschiebung der Bekanntmachung an die Stelle der
Bekanntmachungsgebühr.
(5) Die Anmeldung muss den Erfordernissen der Durchführungsverordnung genügen.
(6) Die Angaben gemäß Absatz 2 sowie gemäß Absatz 3 Buchstaben a) und d) beeinträchtigen nicht den Schutzumfang des Geschmacksmusters
als solchen.“
Titel V („Eintragungsverfahren“) der Verordnung Nr. 6/2002 besteht aus den Art. 45 bis 50.
Art. 45 („Prüfung der Anmeldung auf Formerfordernisse“) dieser Verordnung bestimmt:
„(1) Das [EUIPO] prüft, ob die Anmeldung den in Artikel 36 Absatz 1 aufgeführten Erfordernissen für die Zuerkennung eines Anmeldetags genügt.
(2) Das [EUIPO] prüft, ob:
a) die Anmeldung den sonstigen in Artikel 36 Absätze 2, 3, 4 und 5 sowie im Falle einer Sammelanmeldung den in Artikel 37 Absätze 1 und 2
vorgesehenen Erfordernissen genügt;
b) die Anmeldung den in der Durchführungsverordnung zu den Artikeln 36 und 37 vorgesehenen Formerfordernissen genügt;
c) die Erfordernisse nach Artikel 77 Absatz 2 erfüllt sind;
d) die Erfordernisse für die Inanspruchnahme der Priorität erfüllt sind, wenn Priorität in Anspruch genommen wird.
(3) Die Einzelheiten der Prüfung der Anmeldung auf Formerfordernisse werden in der Durchführungsverordnung festgelegt.“
Art. 46 („Behebbare Mängel“) der Verordnung Nr. 6/2002 bestimmt:
„(1) Stellt das [EUIPO] bei der Prüfung gemäß Artikel 45 Mängel fest, die beseitigt werden können, so fordert es den Anmelder auf, die Mängel
innerhalb der vorgeschriebenen Frist zu beheben.
(2) Betreffen die Mängel die Erfordernisse gemäß Artikel 36 Absatz 1 und kommt der Anmelder der Aufforderung des [EUIPO] innerhalb der
vorgeschriebenen Frist nach, so erkennt das [EUIPO] als Anmeldetag den Tag an, an dem die Mängel behoben werden. Werden die Mängel nicht
innerhalb der vorgeschriebenen Frist behoben, so gilt die Anmeldung nicht als Anmeldung eines eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters.
(3) Betreffen die Mängel die Erfordernisse gemäß Artikel 45 Absatz 2 Buchstaben a), b) und c), einschließlich der Entrichtung der Gebühren, und
kommt der Anmelder der Aufforderung des [EUIPO] innerhalb der vorgeschriebenen Frist nach, so erkennt das [EUIPO] als Anmeldetag den Tag an, an
dem die Anmeldung ursprünglich eingereicht wurde. Werden die Mängel oder der Zahlungsverzug nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist
behoben, so wird die Anmeldung vom [EUIPO] zurückgewiesen.
(4) Betreffen die Mängel die Erfordernisse gemäß Artikel 45 Absatz 2 Buchstabe d) und werden sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist
behoben, so erlischt der Prioritätsanspruch für die Anmeldung.“
Art. 47 („Eintragungshindernisse“) der Verordnung Nr. 6/2002 bestimmt:
„(1) Kommt das [EUIPO] bei der Prüfung gemäß Artikel 45 zu dem Schluss, dass das Geschmacksmuster, für das Schutz beantragt wird:
a) der Begriffsbestimmung nach Artikel 3 Buchstabe a) nicht entspricht, oder
b) gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten verstößt,
so weist es die Anmeldung zurück.
(2) Die Anmeldung kann nur zurückgewiesen werden, wenn dem Anmelder zuvor Gelegenheit gegeben worden ist, die Anmeldung zurückzunehmen
oder zu ändern oder eine Stellungnahme einzureichen.“
Art. 4 („Wiedergabe des Geschmacksmusters“) der Verordnung (EG) Nr. 2245/2002 der Kommission vom 21. Oktober 2002 zur Durchführung der
Verordnung Nr. 6/2002 (ABl. 2002, L 341, S. 28) sieht in Abs. 1 Buchst. e vor:
„(1) Die Wiedergabe des Geschmacksmusters besteht aus einer fotografischen oder sonstigen grafischen Darstellung des Geschmacksmusters in
schwarz-weiß oder in Farbe. Dabei sind folgende Anforderungen zu erfüllen:
e) Das Geschmacksmuster ist auf neutralem Hintergrund darzustellen und darf nicht mit Tinte oder Korrekturflüssigkeit retuschiert werden[; d]ie
Darstellung muss von einer Qualität sein, die alle Einzelheiten, für die Schutz beansprucht wird, klar erkennen lässt und die Verkleinerung oder
Vergrößerung auf das Format von höchstens 8 cm in der Breite und 16 cm in der Höhe je Ansicht für die Eintragung in das Register für
Gemeinschaftsgeschmacksmuster … zulässt.“
Art. 10 („Prüfung der Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Anmeldetages und der Formerfordernisse“) der Verordnung Nr. 2245/2002
bestimmt in den Abs. 1 und 2:
„(1) Das [EUIPO] teilt dem Anmelder mit, dass kein Anmeldetag zuerkannt werden kann, wenn die Anmeldung Folgendes nicht enthält:
a) einen Antrag auf Eintragung des Musters als eingetragenes Gemeinschaftsgeschmacksmuster;
b) Angaben, die es erlauben, die Identität des Anmelders festzustellen;
c) eine Wiedergabe des Geschmacksmusters gemäß Artikel 4 Absatz 1 Buchstaben d) und e) oder, gegebenenfalls, eine Probe.
(2) Werden die in Absatz 1 erwähnten Mängel innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Empfang der Mitteilung behoben, so ist für den
Anmeldetag der Tag maßgeblich, an dem alle Mängel beseitigt sind.
Werden die Mängel nicht fristgemäß behoben, so wird die Anmeldung nicht als Anmeldung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters behandelt. In
diesem Fall werden alle bereits entrichteten Gebühren erstattet.“
Vorgeschichte des Rechtsstreits
Am 17. April 2015 meldete die Klägerin, die Mast-Jägermeister SE, nach der Verordnung Nr. 6/2002 Gemeinschaftsgeschmacksmuster beim
Europäischen Amt für geistiges Eigentum (EUIPO) an.
Dabei handelte es sich um folgende Geschmacksmuster:
– Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 2683615-0001: [
vertraulich](
1
);
– Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr. 2683615-0002: [
vertraulich].
10
Die Waren, für die die Eintragungen begehrt wurden, sind „Becher“ in Klasse 07.01 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer Internationalen
Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle vom 8. Oktober 1968 in geänderter Fassung.
11
Mit einem ersten Prüfungsbericht vom 17. April 2015 teilte der Prüfer der Klägerin mit, dass für die oben in Rn. 9 enthaltenen Geschmacksmuster die
Angabe des Erzeugnisses, nämlich „Becher“, für die der Schutz beansprucht werde, nicht den eingereichten Wiedergaben entspreche, da diese auch
Flaschen zeigten. Er schlug der Klägerin daher vor, den beiden Geschmacksmustern die Angabe „Flaschen“ in Klasse 09.01 im Sinne des Abkommens
von Locarno hinzuzufügen. Da die Waren „Becher“ und „Flaschen“ unterschiedlichen Klassen angehörten, sei zudem die Sammelanmeldung zu teilen.
Falls die Mängel nicht in der gesetzten Frist behoben würden, werde die Anmeldung zurückgewiesen.
12
Die Klägerin erwiderte mit Schreiben vom 21. April 2015, dass ein Schutz für die in den Abbildungen gezeigten Flaschen nicht beantragt werde, und
schlug daher vor, die Erzeugnisangabe wie folgt zu präzisieren: „Trinkbecher als Aufnahmebehälter für eine zugehörige Flasche“. Auch für diese
Angabe erscheine die Klasse 07.01 des Abkommens von Locarno zutreffend.
13
Mit einem zweiten Prüfungsbericht vom 25. Juni 2015 entgegnete der Prüfer, dass nach dem Schreiben vom 21. April 2015 und seinem Telefonat mit
der Klägerin offenkundig sei, dass diese keinen Schutz für die Flaschen beanspruche. Diese Flaschen erschienen jedoch eindeutig in den
Abbildungen, und eine erneute Prüfung habe ergeben, dass die Anmeldungen keine Art. 4 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 2245/2002
entsprechenden Wiedergaben enthielten. Wegen der Flaschen seien die Merkmale, für die Schutz beansprucht werde, nicht eindeutig erkennbar.
Jedoch könne durch die Einreichung neuer Ansichten, bei denen die beanspruchten Merkmale durch Linien oder farbliche Schattierung abgegrenzt
würden, Abhilfe geschaffen werden. Bis zur Behebung der Mängel könne den Anmeldungen kein Anmeldetag zuerkannt werden. Der Prüfer schloss
mit dem Hinweis, dass bei fristgemäßer Behebung der Mängel der Tag der Einreichung der neuen Ansichten als Anmeldetag zuerkannt würde,
andernfalls aber die Anmeldungen als nicht eingereicht gälten.
14
Mit Schreiben vom 14. Juli 2015 entgegnete die Klägerin, die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Anmeldetags seien erfüllt, da die
eingereichten Wiedergaben die Geschmacksmuster vor einem neutralen Hintergrund zeigten. Art. 4 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 2245/2002
beziehe sich auf die Qualität der Wiedergabe, nicht aber auf deren Inhalt. Sie reichte daher keine neuen Ansichten ein.
15
Mit einem dritten Prüfungsbericht vom 16. Juli 2015 teilte der Prüfer mit, dass er den Prüfungsbericht vom 25. Juni 2015 aufrechterhalte, da die
Wiedergaben einen Becher und eine Flasche zeigten.
16
Die Klägerin erwiderte mit Schreiben vom 21. August 2015 unter Bezugnahme auf ein Telefonat mit dem Prüfer, es sei nicht nachvollziehbar, warum
der Anmeldetag bei Hinzufügung einer Erzeugnisangabe oder Teilung der Sammelanmeldung beibehalten werden könne, nicht hingegen für die
ursprünglich eingereichten Ansichten. Für den Fall, dass der Prüfungsbescheid nicht aufgehoben werde, bat sie um Erlass einer beschwerdefähigen
Entscheidung.
17
Mit einem vierten Prüfungsbericht vom 24. August 2015 teilte der Prüfer der Klägerin mit, die Mängel der Anmeldungen könnten entweder durch
Einreichung neuer Ansichten oder Hinzufügung der Angabe „Flaschen“ und Teilung der Sammelanmeldung behoben werden.
18
Mit Schreiben vom 28. August 2015 beantragte die Klägerin den Erlass einer beschwerdefähigen Entscheidung.
19
Mit Entscheidung vom 31. August 2015 stellte der Prüfer fest, dass die Klägerin die Mängel der Anmeldungen nicht behoben habe, weil sie mit dem
Prüfungsbericht nicht einverstanden sei. Nach Art. 46 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 und Art. 10 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2245/2002 könnten
die oben in Rn. 9 genannten Geschmacksmusteranmeldungen nicht als Anmeldungen eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters gelten, so dass kein
Anmeldetag zuerkannt werden könne. Ferner ordnete er die Rückzahlung der entrichteten Gebühr an.
20
Am 15. September 2015 legte die Klägerin gegen die Entscheidung des Prüfers beim EUIPO eine Beschwerde gemäß den Art. 55 bis 60 der
Verordnung Nr. 6/2002 ein.
21
Mit Entscheidung vom 17. November 2015 (im Folgenden: angefochtene Entscheidung) bestätigte die Dritte Beschwerdekammer des EUIPO – in
Rn. 15 dieser Entscheidung –, dass den beiden oben in Rn. 9 genannten Geschmacksmustern nicht zu entnehmen sei, ob Schutz für den Becher, die
Flasche oder eine Kombination aus beidem beansprucht werde. In Rn. 16 der angefochtenen Entscheidung führte sie aus, dass die gemäß Art. 36
Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 6/2002 mit der Anmeldung einzureichende Wiedergabe der Identifizierung des beanspruchten
Geschmacksmusters diene und nach Art. 38 Abs. 1 dieser Verordnung Voraussetzung für die Zuerkennung eines Anmeldetags sei. Der Anmeldetag
bestimme den Zeitrang des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters; Neuheit und Eigenart würden anhand der vor dem Anmeldetag
offenbarten älteren Muster bestimmt. Nach Art. 4 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 2245/2002 müsse die Wiedergabe alle Einzelheiten klar
erkennen lassen, für die Schutz beansprucht werde.
22
In den Rn. 17 und 18 der angefochtenen Entscheidung fügte die Beschwerdekammer hinzu, dass der Behauptung, der Schutzgegenstand der
eingereichten Anmeldungen lasse sich den Wiedergaben zweifelsfrei entnehmen, der eigene Vortrag der Klägerin entgegenstehe und dass deren
Vorschlag, die betroffenen Erzeugnisse anzugeben, nicht geeignet sei, die Mängel der Wiedergabe des Geschmacksmusters zu beheben, da sie zur
Bestimmung des Schutzumfangs nicht herangezogen werden könne.
23
In Rn. 22 der angefochtenen Entscheidung führte die Beschwerdekammer schließlich aus, dass der Prüfer die in Art. 62 der Verordnung Nr. 6/2002
festgeschriebene Begründungspflicht verletzt habe. Grund für die Feststellung, dass die Anmeldungen nicht als Anmeldungen auf Eintragung eines
Gemeinschaftsgeschmackmusters gälten, seien die Mängel der eingereichten Wiedergaben gemäß Art. 46 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 in
Verbindung mit Art. 36 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung und mit Art. 4 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 2245/2002, nicht aber das fehlende
Einverständnis der Klägerin mit den Prüfungsberichten.
Anträge der Parteien
24
Die Klägerin beantragt,
– die angefochtene Entscheidung aufzuheben;
– den Geschmacksmustern Nrn. 2683615-0001 und 2683615-0002 den 17. April 2015 als Anmeldetag zuzuerkennen;
– dem EUIPO die Kosten des Verfahrens einschließlich der im Laufe des Beschwerdeverfahrens angefallenen Kosten aufzuerlegen.
25
Das EUIPO beantragt,
– die Klage abzuweisen;
– der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
Zur Zulässigkeit des zweiten Klageantrags
26
Das EUIPO hält den zweiten Antrag der Klägerin, nämlich den Antrag, den umstrittenen Geschmacksmustern den 17. April 2015 als Anmeldetag
zuzuerkennen, für unzulässig, da es sich um eine Anordnung handele und das Gericht keine Anordnungen erteilen könne.
27
Insoweit ist festzustellen, dass das EUIPO nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen einer Klage beim Unionsrichter gegen die Entscheidung einer
seiner Beschwerdekammern gemäß Art. 61 Abs. 6 der Verordnung Nr. 6/2002 die Maßnahmen zu ergreifen hat, die sich aus dem Urteil des
Unionsrichters ergeben. Das Gericht kann somit dem EUIPO keine Anordnungen erteilen (vgl. entsprechend Urteil vom 20. Januar 2010, Nokia/HABM –
Medion [LIFE BLOG], T‑460/07, EU:T:2010:18, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).
28
Daher ist der zweite Klageantrag unzulässig.
Zur Begründetheit
29
Die Klägerin macht zwei Klagegründe geltend. Mit dem ersten Klagegrund rügt sie eine Verletzung der Art. 45 und 46 der Verordnung Nr. 6/2002 in
Verbindung mit Art. 36 dieser Verordnung und mit dem zweiten Klagegrund einen Verstoß gegen die Verteidigungsrechte.
Zum ersten Klagegrund: Verletzung der Art. 45 und 46 der Verordnung Nr. 6/2002 in Verbindung mit Art. 36 dieser Verordnung
30
Die Klägerin macht geltend, die Wiedergaben der Geschmacksmuster seien von einer Qualität gewesen, die eine Reproduktion ermöglichten. Sie
seien nämlich gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. d und e der Verordnung Nr. 2245/2002 auf neutralem Hintergrund dargestellt, nicht mit Tinte oder
Korrekturflüssigkeit retuschiert und von einer Qualität, die alle Einzelheiten, für die Schutz beansprucht werde, klar erkennen lasse und die
Verkleinerung oder Vergrößerung zulasse. Nur diese Anforderungen seien in den Unionsvorschriften vorgesehen. Die Weigerung der
Beschwerdekammer, einen Anmeldetag zuzuerkennen, weil den Wiedergaben nicht zu entnehmen sei, ob Schutz für den Becher, die Flasche oder
eine Kombination aus beiden beansprucht werde, sei unberechtigt, da sich diese Frage nur in einem möglichen Verletzungsverfahren stelle, aber kein
Hindernis für die Zuerkennung eines Anmeldetags sei. Darüber hinaus könnten die Überlegungen der Beschwerdekammer möglicherweise bei der
Frage der Eintragbarkeit eines Geschmacksmusters Berücksichtigung finden. Art. 36 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 6/2002 und Art. 10 Abs. 1
Buchst. c der Verordnung Nr. 2245/2002 in Verbindung mit deren Art. 4 Abs. 1 Buchst. e stellten nur Anforderungen an die Qualität der Wiedergabe
des Geschmacksmusters, nicht aber an deren Inhalt. Die Systematik der Art. 45 und 46 der Verordnung Nr. 6/2002 spreche dafür, dass ihren
Anmeldungen ein Anmeldetag hätte zuerkannt werden müssen.
31
Insoweit sind nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch die Ziele zu
berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteile vom 29. Januar 2009, Petrosian, C‑19/08, EU:C:2009:41, Rn. 34, und
vom 3. Oktober 2013, Lundberg, C‑317/12, EU:C:2013:631, Rn. 19).
32
Es ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 36 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002, auf den Art. 45 Abs. 1 und Art. 46 Abs. 2 dieser Verordnung
verweisen, die Anmeldung „eine zur Reproduktion geeignete Wiedergabe des Geschmacksmusters“ enthalten muss. Diese Bestimmung sagt
allerdings nicht, welche Erfordernisse erfüllt sein müssen, damit eine Wiedergabe als „zur Reproduktion geeignet“ angesehen wird. Art. 36 Abs. 5 der
Verordnung Nr. 6/2002 fügt jedoch hinzu, dass die Anmeldung den Erfordernissen der Durchführungsverordnung, im vorliegenden Fall der Verordnung
Nr. 2245/2002, genügen muss.
33
Dabei stellt Art. 10 der Verordnung Nr. 2245/2002 die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Anmeldetags auf. Nach diesem Artikel teilt das
EUIPO dem Anmelder mit, dass kein Anmeldetag zuerkannt werden kann, wenn die Anmeldung u. a. keine Wiedergabe des Geschmacksmusters
gemäß Art. 4 Abs. 1 Buchst. e dieser Verordnung enthält.
34
Nach dieser letztgenannten Vorschrift besteht die Wiedergabe des Geschmacksmusters aus einer fotografischen oder sonstigen grafischen
Darstellung des Geschmacksmusters in schwarz-weiß oder in Farbe. Das Geschmacksmuster ist auf neutralem Hintergrund darzustellen und darf nicht
mit Tinte oder Korrekturflüssigkeit retuschiert werden. Es muss von einer Qualität sein, die die Einzelheiten, für die Schutz beansprucht wird, klar
erkennen lässt. Art. 10 der Verordnung Nr. 2245/2002 nennt die Fristen, in denen Mängel behoben werden können.
35
Aus der Systematik der Verordnung Nr. 6/2002 ergibt sich, dass das Prüfverfahren für Geschmacksmuster aus zwei Teilen besteht: Erstens muss das
EUIPO zum einen bestimmen, ob der Anmeldegegenstand der Begriffsbestimmung eines Geschmacksmusters (Art. 3 Buchst. a und Art. 47 Abs. 1
Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002) entspricht, und zum anderen, ob das Geschmacksmuster gegen die öffentliche Ordnung oder die guten Sitten
verstößt (Art. 47 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 6/2002). Eine solche Anmeldung kann, wenn sie nicht zurückgenommen oder geändert wird, nur
nach Anhörung der Stellungnahme des Anmelders zurückgewiesen werden (Art. 47 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002).
36
Zweitens muss das EUIPO im Anschluss an die Feststellung, dass die Anmeldung ein Geschmacksmuster betrifft und nicht gegen die öffentliche
Ordnung oder die guten Sitten verstößt, nach Art. 45 der Verordnung Nr. 6/2002 insbesondere prüfen, ob die Anmeldung den zwingenden
Erfordernissen gemäß Art. 36 Abs. 1 (Antrag auf Eintragung; Angaben, die auf die Identität des Anmelders schließen lassen; zur Reproduktion
geeignete Wiedergabe des Geschmacksmusters) und Art. 36 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 (Angabe der Erzeugnisse) sowie gegebenenfalls den
fakultativen Erfordernissen gemäß Art. 36 Abs. 3 dieser Verordnung (Beschreibung mit einer Erläuterung der Wiedergabe oder Probe; Antrag auf
Aufschiebung der Bekanntmachung der Eintragung; Angaben zu seinem Vertreter, falls der Anmelder einen solchen benannt hat; Klassifikation der
Erzeugnisse; Nennung des Entwerfers oder des Entwerferteams) genügt.
37
Was die Erfüllung der vorstehend in Rn. 36 genannten Erfordernisse betrifft, lassen sich gemäß Art. 46 der Verordnung Nr. 6/2002 Mängel beheben,
wobei darauf hinzuweisen ist, dass in Bezug auf die in Art. 36 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 genannten Erfordernisse als Anmeldetag der Tag
festgesetzt wird, an dem der Anmelder die Mängel behoben hat, während in Bezug auf die übrigen Erfordernisse nach der Behebung der Mängel der
Tag, an dem die Anmeldung ursprünglich eingereicht wurde, beibehalten wird. Werden die Mängel nicht behoben, gilt im ersten Fall die Anmeldung
nicht als Anmeldung einer Eintragung, während im zweiten Fall die Anmeldung zurückgewiesen wird.
38
Eine Wiedergabe des Geschmacksmusters, die nicht zur Reproduktion geeignet ist, fällt daher allein unter Art. 46 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002,
so dass der Anmelder die Mängel beheben kann, der Zeitpunkt der Anmeldung jedoch auf den Zeitpunkt der Behebung der Mängel verschoben wird.
Werden die Mängel nicht innerhalb der auferlegten Frist behoben, so gilt die Anmeldung nicht als Anmeldung eines eingetragenen
Geschmacksmusters.
39
Auf der Grundlage dieser Ausführungen ist daher zu klären, ob – wie die Klägerin geltend macht – Art. 36 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 nach
seinem Wortlaut und dem Zusammenhang, in den er sich einfügt, nur in den Fällen anwendbar ist, in denen die Wiedergabe des beanstandeten
Gebrauchsmusters insbesondere wegen einer schlechten Druckqualität „physisch“ undeutlich oder unverständlich ist oder ob – wie das EUIPO
geltend macht – sich die Anwendung dieser Bestimmung auch auf Ungenauigkeiten oder eine fehlende Gewissheit oder Klarheit hinsichtlich des
Schutzgegenstands des angemeldeten Geschmacksmusters erstreckt.
40
Es ist festzustellen, dass die von der Klägerin vorgenommene Auslegung von Art. 36 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 6/2002 sowie von Art. 10
Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 2245/2002 in Verbindung mit deren Art. 4 Abs. 1 Buchst. e, wonach diese Bestimmung lediglich für
Geschmacksmuster gilt, bei denen nur die Qualität der Wiedergabe schwach ist, offensichtlich der vorstehend dargelegten Systematik, die der
Eintragung von Geschmacksmustern zugrunde liegt, zuwiderläuft.
41
Art. 36 der Verordnung Nr. 6/2002, nach dessen Abs. 1 Buchst. c die Anmeldung eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters eine zur Reproduktion
geeignete Wiedergabe dieses Geschmacksmusters enthalten muss, stellt nämlich in Abs. 5 klar, dass die Anmeldung den Erfordernissen der
Verordnung Nr. 2245/2002 genügen muss.
42
Diese letztgenannte Verordnung sieht in Art. 4 Abs. 1 Buchst. e, auf den in ihrem Art. 10 Abs. 1 Buchst. c verwiesen wird, vor, dass das
Geschmacksmuster u. a. „von einer Qualität sein [muss], die alle Einzelheiten, für die Schutz beansprucht wird, klar erkennen lässt“.
43
Die Auffassung der Klägerin, diese Bestimmung betreffe nur die Qualität der „physischen“ oder „materiellen“ Wiedergabe, beruht, indem sie nur die
Wendung „Qualität, die … erkennen lässt“, berücksichtigt, auf einer unvollständigen und daher fehlerhaften Betrachtung der Bestimmung.
44
In der Bestimmung heißt es indessen, dass die Wiedergabe alle Einzelheiten, „für die Schutz beansprucht wird“, klar erkennen lassen muss.
45
Dieser Satzteil verweist auf das jeder Eintragung innewohnende Erfordernis, nämlich für Dritte klar und eindeutig alle Einzelheiten des
Geschmacksmusters erkennen zu lassen, für das der Schutz beansprucht wird (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteile vom 12. Dezember 2002,
Sieckmann, C‑273/00, EU:C:2002:748, Rn. 48 bis 52, und vom 19. Juni 2012, Chartered Institute of Patent Attorneys, C‑307/10, EU:C:2012:361, Rn. 46
bis 48).
46
So würden ungenaue Wiedergaben den Schutzgegenstand des in Rede stehenden Geschmacksmusters für Dritte nicht zweifelsfrei erkennen lassen.
47
Vor diesem Hintergrund ist festzustellen, dass, auch wenn die Wiedergaben mehr als ein Geschmacksmuster betreffen, jedoch eine Klarstellung
nicht nur im Interesse der Rechtssicherheit Dritter erforderlich ist, die den Schutzgegenstand des Geschmacksmusters genau erkennen können
müssen, sondern auch für Rechnungszwecke, da die vom EUIPO erhobenen Gebühren je nach der Anzahl der Produktklassen, auf die sich das
betroffene Geschmacksmuster bezieht, unterschiedlich hoch sind.
48
Die Klägerin macht ferner geltend, dass der Mangel, der darin zu sehen sein könnte, dass die Wiedergaben nicht die Erscheinungsform eines
einzigen Erzeugnisses, sondern zweier Erzeugnisse zeigten, im Rahmen von Art. 47 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 in Verbindung mit
Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung hätte behandelt werden müssen und keinen Grund hätte darstellen können, die Zuerkennung eines Anmeldetags
zu verweigern.
49
Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen, da Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002, auf den Art. 47 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung verweist,
den Fall betrifft, dass die Wiedergabe, deren Eintragung begehrt wurde, nicht als Geschmacksmuster im Sinne dieser Verordnung angesehen werden
kann, da sie keine Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon aufweist. Dies ist im vorliegenden Fall offensichtlich nicht der Fall.
50
Es ist nämlich nicht bestritten worden, dass die in Rede stehende Wiedergabe der Begriffsbestimmung des Geschmacksmusters entspricht, so dass
der Fall nicht unter Art. 47 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 fällt, sondern dass sie aufgrund ihrer Mängel, die unter Art. 46 Abs. 2 der
Verordnung Nr. 6/2002 fallen, im Sinne von Art. 36 Abs. 1 dieser Verordnung nicht zur Reproduktion geeignet ist. In Art. 46 Abs. 2 dieser Verordnung
heißt es eindeutig, dass die Anmeldung, werden die Mängel nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist behoben, nicht als Anmeldung eines
eingetragenen Geschmacksmusters gilt.
51
Wie das EUIPO zu Recht festgestellt hat, ist Art. 45 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 6/2002 in Verbindung mit deren Art. 36 Abs. 5 zur Vermeidung
inkohärenter und widersprüchlicher Auslegungen der Verordnungsbestimmungen notwendigerweise restriktiv dahin auszulegen, dass diese
Bestimmungen nicht, wie die Klägerin geltend macht, auf die in Art. 4 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 2245/2002 enthaltenen Erfordernisse
verweisen. Die Bezugnahme in Art. 46 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 auf Art. 45 Abs. 2 Buchst. a dieser Verordnung hat nicht zur Folge, dass Art. 4
Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 2245/2002 ausschließlich im Rahmen von Art. 46 Abs. 3 der Verordnung Nr. 6/2002 anwendbar wäre. Vielmehr
war dieser Fall nach Art. 46 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 in Verbindung mit deren Art. 36 Abs. 1 Buchst. c und mit Art. 4 Abs. 1 Buchst. e der
Verordnung Nr. 2245/2002 zu prüfen, wie es die Beschwerdekammer zu Recht getan hat.
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Art. 36 Abs. 5 der Verordnung Nr. 6/2002 ist daher eine Bestimmung, die im Rahmen einer Durchführungsverordnung die zuständigen Behörden
ermächtigt, insbesondere die in Art. 36 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung normierten Anforderungen an die Wiedergabe eines Geschmacksmusters
näher zu bestimmen, die eben in Art. 4 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 2245/2002 geregelt sind.
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Schließlich kann die Beurteilung der Beschwerdekammer auch nicht durch das Argument der Klägerin in Frage gestellt werden, das auf den
abweichenden Ansatz der deutschen Gerichte gestützt ist. Es ist nämlich daran zu erinnern, dass die Unionsregelung für Geschmacksmuster ein
autonomes System ist, das aus einer Gesamtheit von ihm eigenen Vorschriften und Zielsetzungen besteht und dessen Anwendung von jedem
nationalen System unabhängig ist (vgl. entsprechend Urteil vom 16. Januar 2014, Message Management/HABM – Absacker [ABSACKER of Germany],
T‑304/12, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:5, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).
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Nach alledem ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.
Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen die Verteidigungsrechte
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Die Klägerin macht geltend, die Beschwerdekammer habe gegen ihre Verteidigungsrechte verstoßen, da sie die Begründung des Prüfers durch ihre
eigene Begründung ersetzt habe, ohne der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.
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Es ist festzustellen, dass die Beschwerdekammer in Rn. 22 der angefochtenen Entscheidung die Ansicht vertreten hat, der Prüfer habe gegen die
Begründungspflicht verstoßen, da er seine Feststellung, dass die Anmeldungen nicht als Anmeldungen eines Geschmacksmusters gälten, nicht auf
Art. 46 Abs. 2 der Verordnung Nr. 6/2002 in Verbindung mit deren Art. 36 Abs. 1 Buchst. c und mit Art. 4 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung
Nr. 2245/2002 gestützt habe, sondern auf das fehlende Einverständnis der Klägerin mit dem von ihm erstellten Prüfungsbericht. Darüber hinaus lasse
die Entscheidung des Prüfers jede Auseinandersetzung mit den Argumenten der Klägerin vermissen.
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Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidungen des EUIPO nach Art. 62 der Verordnung Nr. 6/2002 nur auf Gründe gestützt werden dürfen,
zu denen die Beteiligten sich äußern konnten. Diese Bestimmung gewährleistet im Rahmen des Unionsgeschmacksmusterrechts den allgemeinen
Grundsatz des Schutzes der Verteidigungsrechte. Nach diesem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts müssen die Adressaten behördlicher
Entscheidungen, die ihre Interessen spürbar berühren, Gelegenheit erhalten, ihren Standpunkt gebührend darzulegen. Der Anspruch auf rechtliches
Gehör erstreckt sich auf alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, die die Grundlage der Entscheidungsfindung bilden, nicht aber auf den
endgültigen Standpunkt, den die Verwaltung einnehmen will (vgl. Urteil vom 27. Juni 2013, Beifa Group/HABM – Schwan-Stabilo Schwanhäußer
[Schreibgeräte], T‑608/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:334, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).
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Darüber hinaus sind gemäß Art. 62 der Verordnung Nr. 6/2002 die Entscheidungen des EUIPO mit Gründen zu versehen. Diese Verpflichtung hat den
gleichen Umfang wie die aus Art. 296 AEUV. Insoweit ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung, dass die Verpflichtung zur Begründung von
Einzelfallentscheidungen dem doppelten Ziel dient, den Beteiligten über die Gründe für die erlassene Maßnahme zu unterrichten, damit er seine
Rechte verteidigen kann, und es dem Unionsrichter zu ermöglichen, die Rechtmäßigkeit der Entscheidung zu überprüfen. Die Frage, ob die
Begründung einer Entscheidung diesen Erfordernissen genügt, ist nicht nur im Hinblick auf ihren Wortlaut zu beurteilen, sondern auch anhand ihres
Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften, die das betreffende Gebiet regeln (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. April 2013, Bell & Ross/HABM – KIN
[Gehäuse einer Armbanduhr], T‑80/10, nicht veröffentlicht, EU:T:2013:214, Rn. 37).
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Im vorliegenden Fall ist darauf hinzuweisen, dass der Prüfer unstreitig am 17. April, 25. Juni, 16. Juli und 24. August 2015 vier Prüfungsberichte
erstellt hat.
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Aus diesen verschiedenen Prüfungsberichten, insbesondere aus dem zweiten und dem vierten Prüfungsbericht, geht hinreichend und klar hervor,
dass die Anmeldungen nach Ansicht des Prüfers nicht den Regelungen der Art. 36 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 und Art. 4 Abs. 1 Buchst. e der
Verordnung Nr. 2245/2002 entsprachen, da wegen des Vorhandenseins von Flaschen in den Wiedergaben die Merkmale, deren Schutz beansprucht
werden sollte, nicht eindeutig sichtbar gewesen seien.
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Darüber hinaus legte der Prüfer in den verschiedenen Prüfungsberichten genau und ausführlich die Gründe dar, aus denen er die Anmeldungen der
Klägerin nicht zur Eintragung zulassen könne, nämlich das gleichzeitige Vorhandensein einer Flasche und eines Bechers, und ging damit konkret auf
das Vorbringen der Klägerin ein.
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Entgegen der Auffassung der Beschwerdekammer ergibt sich daraus, dass die angefochtene Entscheidung des Prüfers in Verbindung mit seinen
verschiedenen Prüfungsberichten, die der Klägerin durchaus bekannt waren, hinreichend begründet war (vgl. entsprechend Urteil vom 24. November
2005, Deutschland/Kommission, C‑506/03, nicht veröffentlicht, EU:C:2005:715, Rn. 38).
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Die Beschwerdekammer hat daher zu Unrecht die Begründungspflicht für verletzt erachtet und zum Ausdruck gebracht, dass sie die Begründung des
Prüfers durch ihre eigene ersetze, während es sich nicht um eine Ersetzung der Begründung handelte, sondern um eine vollständige Übernahme
derselben Begründung, die der Prüfer zuvor in seinen vier Prüfungsberichten gegeben hatte.
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Folglich kann die Klägerin jedenfalls nicht geltend machen, von der Beschwerdekammer in ihren Verteidigungsrechten verletzt worden zu sein, da
entgegen ihrer Auffassung in den Gründen der angefochtenen Entscheidung in vollem Umfang die Begründung übernommen wurde, die der Prüfer
der Klägerin im Rahmen des Prüfungsverfahrens mitgeteilt hatte.
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Nach alledem ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen und die Klage daher insgesamt abzuweisen.
Kosten
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Gemäß Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die
Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag des EUIPO die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Achte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Mast-Jägermeister SE trägt die Kosten.
Collins Barents Passer
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. Februar 2017.
Der Kanzler Der Präsident
A. M. Collins
E. Coulon
*
Verfahrenssprache: Deutsch.
1
Unkenntlich gemachte vertrauliche Angabe.