Urteil des EuG vom 03.03.2011

EuG: wirtschaftliche einheit, gis, europa, ewr, abkommen, kartell, verordnung, klagegrund, holding, muttergesellschaft

URTEIL DES GERICHTS (Zweite Kammer)
3. März 2011)
„Wettbewerb – Kartelle – Markt für Projekte im Bereich gasisolierter Schaltanlagen – Entscheidung, mit
der eine Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen festgestellt wird –
Verteidigungsrechte – Begründungspflicht – Zurechenbarkeit der Zuwiderhandlung – Dauer der
Zuwiderhandlung – Geldbußen –Gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der Geldbuße –
Erschwerende Umstände – Rolle als Anführer – Mildernde Umstände – Kooperation“
In den Rechtssachen T‑117/07 und T‑121/07
Areva,
Areva T&D Holding SA
Areva T&D SA
Areva T&D AG
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte A. Schild und J.‑M. Cot,
Alstom,
Rechtsanwalt J. Derenne, W. Broere, Solicitor, Rechtsanwälte A. Müller‑Rappard und C. Guirado, dann
Rechtsanwälte Derenne und Müller-Rappard,
Klägerinnen,
gegen
Europäische Kommission,
und schließlich durch V. Bottka und N. Von Lingen als Bevollmächtigte,
Beklagte,
wegen teilweiser Nichtigerklärung der Entscheidung K(2006) 6762 endg. der Europäischen Kommission
vom 24. Januar 2007 in einem Verfahren nach Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen (Sache
COMP/F/38.899 – Gasisolierte Schaltanlagen) und, hilfsweise, Herabsetzung der gegen die Klägerinnen
verhängten Geldbuße,
erlässt
DAS GERICHT (Zweite Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin I. Pelikánová (Berichterstatterin) sowie der Richter K. Jürimäe und
S. Soldevila Fragoso,
Kanzler: C. Kristensen, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 24. März 2009
folgendes
Urteil
Vorgeschichte des Rechtsstreits
1 Die Vorgeschichte des Rechtsstreits ergibt sich im Wesentlichen aus den Feststellungen der
Kommission der Europäischen Gemeinschaften in der Entscheidung K(2006) 6762 endg. der
Kommission vom 24. Januar 2007 in einem Verfahren nach Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen
(Sache COMP/F/38.899 – Gasisolierte Schaltanlagen) (im Folgenden: angefochtene Entscheidung).
Soweit dieser Sachverhalt von den Parteien nicht oder jedenfalls nicht wirksam bestritten worden ist,
ist er für den vorliegenden Rechtsstreit als festgestellt anzusehen.
2 Gasisolierte Schaltanlagen (im Folgenden auch: GIS) dienen zur Kontrolle des Energieflusses in
Stromnetzen. Es handelt sich um schweres elektrisches Gerät, das ein wichtiger Bestandteil von
schlüsselfertigen Umspannwerken ist.
3 Umspannwerke sind Hilfskraftanlagen, in denen elektrischer Strom umgewandelt wird. Zu einem
Umspannwerk gehören neben dem Transformator Steuersysteme, Relais, Akkus, Ladegeräte und
Schaltanlagen. Die Schaltanlage soll den Transformator vor Überlast schützen und/oder den
Stromkreis oder den defekten Transformator isolieren.
4 Schaltanlagen können gasisoliert oder luftisoliert sein oder, wenn sie diese beiden Techniken
miteinander kombinieren, eine hybride Isolierung haben. GIS werden weltweit als Bestandteile
schlüsselfertiger Umspannwerke oder als gesondertes, dort erst noch einzubauendes Zubehör
verkauft. Sie machen etwa 30 % bis 60 % der Gesamtkosten dieser Umspannwerke aus.
5 Die angefochtene Entscheidung betrifft GIS-Projekte mit einer Spannung von 72,5 kV aufwärts (im
Folgenden: GIS-Projekte), was reine gasisolierte Schaltanlagen als solche einschließlich der damit
verbundenen Serviceleistungen (Anlieferung, Aufbau, Testläufe, Isolierung usw.) und schlüsselfertige
GIS-gestützte Umspannwerke, bestehend aus gasisolierten Schaltanlagen und anderen Teilen wie
Transformatoren mitsamt den damit verbundenen Serviceleistungen (Anlieferung, Verkabelung,
Aufbau, Isolierung usw.), umfasst.
6 Alstom (vormals unter Alsthom firmierend), eine Aktiengesellschaft französischen Rechts mit
Verwaltungsrat, ist die Muttergesellschaft einer Gruppe von Gesellschaften (im Folgenden: Alstom-
Gruppe). Vom 15. April 1988 bis zum 8. Januar 2004 war die Alstom-Gruppe auf dem Gebiet der
Übertragung (Transmission) von und der Versorgung (Distribution) mit Strom (im Folgenden:
Geschäftsbereich T & D) und insbesondere im GIS-Geschäft tätig.
7 Das Frankreich-Geschäft der Alstom-Gruppe mit gasisolierten Schaltanlagen lag bis 1989 – d. h. bis
zur Umbenennung in GEC Alsthom SA, einer l00%igen Tochter von GEC Alsthom NY – in den Händen der
Alsthom SA (Frankreich). Am 16. November 1992 wurde die Kléber Eylau SA gegründet, der das
französische GIS‑Geschäft auf der Grundlage einer Vereinbarung, die am 7. Dezember 1992 wirksam
wurde, übertragen wurde. Kléber Eylau befand sich zu 99,76 % im Eigentum von GEC Alsthom SA;
0,04 % hielt Étoile Kléber. Im Juni 1993 wurde Kléber Eylau zur GEC Alsthom T&D SA, woraus im Juni
1998 die Alstom T&D SA wurde. Die Alstom T&D SA war eine l00%ige Tochter der Alstom Holdings
(Frankreich), die wiederum eine 100%ige Tochter von Alstom war.
8 Ab der 100%igen Übernahme der Sprecher Energie AG durch Alsthom im Januar 1986 betrieb die
Alstom-Gruppe parallel zum GIS‑Geschäft in Frankreich auch in der Schweiz ein Geschäft mit
gasisolierten Schaltanlagen. Im November 1993 änderte Sprecher Energie ihren Namen in GBC
Alsthom T&D AG, woraus im Juli 1997 die GEC Alsthom AG und im Juni 1998 die Alstom AG (im
Folgenden: Alstom [Schweiz]) wurde. Am 22. Dezember 2000 wurde Alstom (Schweiz) von der Alstom
Power (Schweiz) AG übernommen. Das neue Unternehmen nannte sich Alstom (Schweiz) AG. Im
November 2002 wurde in der Alstom-Gruppe eine neue rechtliche Einheit geschaffen, auf die die
Aktivitäten im Schweizer Geschäftsbereich T & D übertragen wurden. Diese Einheit hieß zunächst
Alstom (Schweiz) Services AG und wurde in der Folge in Alstom T&D AG umbenannt.
9 Sämtliche Aktivitäten der Alstom-Gruppe im Geschäftsbereich T & D wurden am 8. Januar 2004 auf die
Gruppe übertragen, deren Muttergesellschaft Areva, eine Aktiengesellschaft französischen Rechts mit
Vorstand und Aufsichtsrat, ist (im Folgenden: Areva‑Gruppe). In der Zeit vom 9. Januar bis zum 11. Mai
2004 wurden die T & D‑Geschäfte der Areva-Gruppe von der Areva T&D SA und der Areva T&D AG
betrieben, zwei 100%igen Tochtergesellschaften der Areva T&D Holding SA, die selbst zu 100 % Areva
gehört (im Folgenden zusammen: Gesellschaften der Areva-Gruppe).
10 Am 3. März 2004 informierte die ABB Ltd die Kommission über das Bestehen wettbewerbswidriger
Praktiken im GIS‑Sektor, wobei sie mündlich einen Geldbußenerlass auf der Grundlage der Mitteilung
der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. 2002, C 45,
S. 3, im Folgenden: Kronzeugenregelung) beantragte.
11 Die von ABB offengelegten Praktiken bestanden in einer weltweiten Koordinierung des Verkaufs
gasisolierter Schaltanlagen unter Aufteilung der Märkte, Zuteilung von Kontingenten und Erhaltung
der jeweiligen Marktanteile, Zuteilung einzelner GIS‑Projekte an ausgewählte Hersteller und
Manipulation der Ausschreibungsverfahren für jene Projekte (Angebotsabsprache), um sicherzustellen,
dass die festgelegten Hersteller den jeweiligen Vertrag erhielten, Festsetzung von Preisen durch
komplexe Vereinbarungen für nicht zugeteilte GIS‑Projekte, Beendigung von Lizenzvereinbarungen mit
Nichtkartellmitgliedern und Austausch sensibler Marktinformationen.
12 Der mündliche Antrag von ABB auf Geldbußenerlass wurde u. a. am 7. Mai 2004 durch mündliche
Erklärungen und schriftliche Beweisstücke ergänzt. Am 25. April 2004 gewährte die Kommission ABB
einen bedingten Geldbußenerlass.
13 Auf der Grundlage der Erklärungen von ABB leitete die Kommission eine Untersuchung ein und führte
am 11. und 12. Mai 2004 Nachprüfungen in den Geschäftsräumen mehrerer auf dem GIS‑Sektor tätiger
Gesellschaften durch.
14 Zwischen dem 14. und dem 25. Mai 2004 arbeitete die Areva‑Gruppe mit der Kommission zusammen
und lieferte ihr nach der Kronzeugenregelung bestimmte schriftliche Beweisstücke und Informationen.
15 Am 4. Oktober 2004 antwortete ABB auf ein Auskunftsverlangen der Kommission.
16 Am 6. Februar 2006 übermittelte die Kommission Alstom ein Auskunftsverlangen, das am 24. Februar
2006 beantwortet wurde.
17 Am 20. April 2006 nahm die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an, die außer an
Alstom und die Gesellschaften der Areva‑Gruppe an ABB, die Fuji Electric Holdings Co., Ltd und die Fuji
Electric Systems Co., Ltd (im Folgenden zusammen: Gesellschaften der Fuji‑Gruppe), an Hitachi und die
Hitachi Europe Ltd (im Folgenden zusammen: Gesellschaften der Hitachi‑Gruppe), an die Japan AE
Power Systems Corp. (im Folgenden: JAEPS), an die Mitsubishi Electric System Corp. (im Folgenden:
Melco), an die Nuova Magrini Galileo SpA, an die Schneider Electric SA (im Folgenden: Schneider), an
die Siemens AG, an die Toshiba Corp. sowie an fünf Gesellschaften der Gruppe gesandt wurde, deren
Muttergesellschaft die VA Technologie AG war (im Folgenden: VA Tech‑Gruppe), darunter die VA
Technologie selbst.
18 Am 5. Mai 2006 konnte Alstom gemäß der Kronzeugenregelung in die von den übrigen beteiligten
Gesellschaften abgegebenen mündlichen Erklärungen Einsicht nehmen.
19 Am 30. Juni 2006 übersandten Alstom und die Gesellschaften der Areva‑Gruppe fristgerecht ihre
jeweiligen Stellungnahmen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte. Als Anlage zu ihrer Erwiderung
auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte fügte Alstom mehrere Unterlagen mit Gruppeninterna bei, für
die gegenüber jedem Dritten außer der Kommission eine vertrauliche Behandlung gefordert wurde.
Ebenso antworteten ABB, die Gesellschaften der Fuji‑Gruppe, Hitachi und JAEPS, Melco, Schneider, die
Siemens AG Österreich, Siemens und Toshiba schriftlich und fristgerecht auf die Mitteilung der
Beschwerdepunkte.
20 Mit Schreiben vom 12. Juli 2006 arbeiteten die Gesellschaften der Fuji‑Gruppe mit der Kommission
zusammen und lieferten ihr gemäß der Kronzeugenregelung verschiedene schriftliche Beweisstücke
und Informationen.
21 Am 14. Juli 2006 übersandte ABB der Kommission einen „Zusatz zur Antwort auf die Mitteilung der
Beschwerdepunkte“.
22 Am 18. und 19. Juli 2006 hörte die Kommission die Gesellschaften an, denen die Mitteilung der
Beschwerdepunkte übersandt worden war.
23 Am 25. August 2006 stellte die Kommission den Verfahrensbeteiligten Auszüge der nicht vertraulichen
Fassung der Antwort der Gesellschaften der Fuji‑Gruppe auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, den
Antrag der Gesellschaften der Fuji‑Gruppe vom 12. Juli 2006 nach der Kronzeugenregelung (siehe
oben, Randnr. 20), den Antwortzusatz von ABB auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und
zusätzliche Unterlagen zur Verfügung. Alstom nahm am 15. September 2006 zu diesen Unterlagen
Stellung und legte eine Erklärung eines ihrer Angestellten, Herrn S., vor, der den streitigen
Sachverhalt unmittelbar gekannt habe.
24 Am 20. September 2006 sandte die Kommission ein Auskunftsverlangen an die Gesellschaften der
Areva‑Gruppe, worauf diese am 6. Oktober 2006 unter Vorlage zahlreicher Unterlagen über die
Umorganisation der Tätigkeiten im Geschäftsbereich T & D innerhalb der Alstom‑Gruppe zum Zweck
der vorstehenden in Randnr. 9 erwähnten konzernübergreifenden Übertragung antworteten.
25 Am 14. November 2006 übermittelte die Kommission Alstom ihre Stellungnahme in englischer Sprache
zu den zusätzlichen, vorstehend in Randnr. 23 genannten Unterlagen und auf Antrag von Alstom vom
17. November 2006 hin diese Stellungnahme am 22. November 2006 in französischer Sprache. Am 27.
November 2006 äußerte sich Alstom zu der Stellungnahme.
26 Am 4. Dezember 2006 übersandte Alstom der Kommission ein Schreiben zur Bestimmung der von dem
Sachverhalt betroffenen juristischen Personen. Das genannte Schreiben enthielt insbesondere
zahlreiche Schemata, die die verschiedenen Umstrukturierungsvorgänge der Aktivitäten im
Geschäftsbereich T & D innerhalb der Alstom‑Gruppe veranschaulichten.
27 Am 24. Januar 2007 erließ die Kommission die angefochtene Entscheidung, von der eine
Zusammenfassung im vom 10. Januar 2008 veröffentlicht ist (ABl. C 5, S. 7). Diese
Entscheidung wurde Alstom und den Gesellschaften der Areva‑Gruppe am 8. Februar 2007 zugestellt.
28 Außer an Alstom und die Gesellschaften der Areva‑Gruppe war die angefochtene Entscheidung
gerichtet an ABB, die Gesellschaften der Fuji‑Gruppe, JAEPS, Melco, Nuova Magrini Galileo, Schneider,
Siemens, die Siemens AG Österreich, die Siemens Transmission & Distribution Ltd (im Folgenden:
Reyrolle), die Siemens Transmission & Distribution SA, Toshiba und die VA Tech Transmission &
Distribution GmbH & Co. KEG.
29 In den Randnrn. 113 bis 123 der angefochtenen Entscheidung führte die Kommission aus, die am
Kartell beteiligten Unternehmen hätten die weltweite Zuteilung von GIS‑Projekten mit Ausnahme
einiger Märkte nach vereinbarten Regeln koordiniert, um insbesondere Kontingente beizubehalten, die
weitgehend ihren geschätzten historischen Marktanteilen entsprächen. Die Zuteilung der GIS‑Projekte
sei auf der Grundlage eines gemeinsamen „japanischen“ Gesamtkontingents und eines gemeinsamen
„europäischen“ Gesamtkontingents vorgenommen worden, die sodann von den japanischen und den
europäischen Herstellern jeweils untereinander aufgeteilt worden seien. Eine in Wien am 15. April
1988 unterzeichnete Vereinbarung („GQ-Agreement“, im Folgenden: GQ-Abkommen) habe die Regeln
festgelegt, nach denen die GIS‑Projekte den japanischen oder den europäischen Herstellern zuzuteilen
und ihr Wert auf das jeweilige Kontingent anzurechnen gewesen seien. In den Randnrn. 124 bis 132
der angefochtenen Entscheidung legte die Kommission weiter dar, dass die einzelnen am Kartell
beteiligten Unternehmen eine nicht schriftlich abgefasste Vereinbarung getroffen hätten (im
Folgenden: Übereinkunft), nach der die GIS‑Projekte in Japan einerseits und in den Ländern der
europäischen Kartellmitglieder andererseits, die zusammen als die „Stammländer“ für die GIS-Projekte
bezeichnet worden seien, den japanischen bzw. europäischen Mitgliedern des Kartells vorbehalten
gewesen seien. Über die GIS‑Projekte in den „Stammländern“ seien keine Informationen zwischen den
beiden Gruppen ausgetauscht und sie seien nicht auf die jeweiligen Kontingente angerechnet worden.
30 Das GQ‑Abkommen habe des Weiteren Bestimmungen enthalten über den – insbesondere durch die
Sekretariate der genannten Gruppen besorgten – Austausch der notwendigen Informationen über die
Arbeitsweise des Kartells zwischen den beiden Herstellergruppen, die Manipulation der betreffenden
Ausschreibungen und die Festsetzung von Preisen für die GIS‑Projekte, die nicht hätten zugeteilt
werden können. Ausweislich seines Anhangs 2 sei das GQ-Abkommen auf die ganze Welt mit
Ausnahme der Vereinigten Staaten, Kanadas, Japans und von siebzehn westeuropäischen Ländern
anwendbar gewesen. Zudem seien nach der Übereinkunft GIS-Projekte in anderen europäischen
Ländern als den „Stammländern“ ebenfalls der europäischen Gruppe vorbehalten gewesen, da sich
die japanischen Hersteller verpflichtet hätten, für GIS-Projekte in Europa keine Angebote abzugeben.
31 Den Ausführungen der Kommission zufolge war die Aufteilung der GIS-Projekte auf die europäischen
Hersteller in einem ebenfalls in Wien am 15. April 1988 unterzeichneten Abkommen mit der
Bezeichnung „E‑Group Operation Agreement for GQ‑Agreement“ (Abkommen der Gruppe E über die
Durchführung des GQ-Abkommens, im Folgenden: EQ-Abkommen) geregelt. Danach habe die Zuteilung
der in Europa durchzuführenden GIS-Projekte nach den gleichen Regeln und Verfahren wie die
Zuteilung der GIS-Projekte in anderen Ländern erfolgen sollen. Insbesondere hätten auch die in
Europa durchzuführenden GIS‑Projekte mitgeteilt, in eine Liste eingetragen, zugeteilt, abgesprochen
oder mit einem Mindestpreis versehen werden sollen.
32 In Randnr. 142 der angefochtenen Entscheidung stellte die Kommission fest, dass die einzelnen
Kartellmitglieder im GQ- und im EQ-Abkommen für die Zwecke der Organisation und Arbeitsweise des
Kartells mit einem Code bezeichnet worden seien, und zwar die europäischen Mitglieder mit einem
Zahlencode und die japanischen Mitglieder mit einem Buchstabencode. Die ursprünglichen Codes
seien ab Juli 2002 durch Ziffern ersetzt worden.
33 In Art. 1 Buchst. b der angefochtenen Entscheidung stellte die Kommission fest, dass Alstom gegen
Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (im Folgenden:
EWR‑Abkommen) verstoßen habe, indem sie in der Zeit vom 15. April 1988 bis 8. Januar 2004 im EWR
an einer Gesamtheit von Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen betreffend den
GIS‑Sektor teilgenommen habe. In Art. 1 Buchst. c, d, e und f der angefochtenen Entscheidung stellte
sie diese zweifache Zuwiderhandlung außerdem für Areva und die Areva T&D Holding in der Zeit vom 9.
Januar bis 11. Mai 2004, für die Areva T&D AG Holding in der Zeit vom 22. Dezember 2003 bis 11. Mai
2004 und für die Areva T&D SA Holding in der Zeit vom 7. Dezember 1992 bis 11. Mai 2004 fest.
34 Für die in Art. 1 der angefochtenen Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlungen wurden gegen
Alstom in Art. 2 Buchst. b und c der angefochtenen Entscheidung eine Einzelgeldbuße in Höhe von
11 475 000 Euro und eine gesamtschuldnerisch mit der Areva T&D SA zu zahlende Geldbuße von
53 550 000 Euro verhängt.
35 Für die in Art. 1 der angefochtenen Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlungen wurde gegen die
Areva T&D SA in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung eine gesamtschuldnerisch mit
Alstom zu zahlende Geldbuße von 53 550 000 Euro verhängt, wovon 25 500 000 Euro
gesamtschuldnerisch mit Areva, der Areva T&D Holding und der Areva T&D AG geschuldet wurden.
Verfahren und Anträge der Verfahrensbeteiligten
36 Mit Klageschriften, die am 18. April 2007 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die
Gesellschaften der Areva‑Gruppe und Alstom die vorliegenden Klagen erhoben, die unter den
Aktenzeichen T‑117/07 und T‑121/07 in das Register eingetragen worden sind.
37 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Zweite Kammer) beschlossen, die mündliche
Verhandlung in den Rechtssachen T‑117/07 und T‑121/07 zu eröffnen.
38 Der Präsident der Zweiten Kammer des Gerichts hat die Rechtssachen T‑117/07 und T‑121/07 nach
Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 12. März 2009 gemäß Art. 50 der Verfahrensordnung des
Gerichts zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden. Den der Antwort von Alstom auf die
Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügten und zu den Akten der Rechtssache T‑121/07
genommenen Unterlagen (siehe oben, Randnr. 19) hat er außerdem eine vertrauliche Behandlung
zugebilligt.
39 Die Parteien haben in der Sitzung vom 24. März 2009 mündlich verhandelt und die Fragen des
Gerichts beantwortet. Die Klägerinnen haben bestätigt, dass ihre Klagegründe oder ihre Rügen zu dem
Verstoß gegen Art. 81 EG auch als für Art. 53 EWR‑Abkommen geltend auszulegen seien. Die
Kommission hat sich dahin geäußert, dass die gesamtschuldnerische Haftung wegen eines
Wettbewerbsverstoßes als eine Haftung zu gleichen Teilen vermutet werde, wenn der verfügende Teil
der Entscheidung, mit der die genannte Haftung festgestellt werde, hierzu keine Klarstellung enthalte.
Die Klägerinnen haben hingegen in Abrede gestellt, dass eine derartige Vermutung eingreifen könne.
Schließlich hat die Kommission bekräftigt, dass bei der Beurteilung der Rolle als Anführer einer
wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung sämtliche Kriterien abzuwägen seien, einschließlich der
Dauer, während der diese Rolle als Anführer ausgeübt worden sei, und ihrer Intensität. Diese
Erklärungen sind in das Sitzungsprotokoll aufgenommen worden. In ihren abschließenden
Stellungnahmen haben die Gesellschaften der Areva‑Gruppe einen sachlichen Fehler gerügt, der in
der Annahme bestanden habe, davon auszugehen, dass die Areva T&D AG und die Alstom T&D AG
dieselbe Gesellschaft seien, bei der sich lediglich die Firma geändert habe.
40 Mit Schreiben, die bei der Kanzlei am 29. und 30. April 2009 eingegangen sind, haben Alstom und die
Gesellschaften der Areva‑Gruppe jeweils zum Inhalt des Sitzungsprotokolls in Bezug auf die Antworten
Stellung genommen, die die Kommission auf die Fragen des Gerichts zum System der
gesamtschuldnerischen Haftung bei wettbewerbsrechtlichen Verstößen gegeben hat.
41 Mit Beschluss des Gerichts vom 3. Juni 2009 ist das mündliche Verfahren wiedereröffnet worden.
Gemäß Art. 7 Abs. 2 der Dienstanweisung für den Kanzler des Gerichts hat der Präsident der Zweiten
Kammer des Gerichts beschlossen, die am 29. und 30. April 2009 eingereichten Schreiben zu den
Akten zu nehmen.
42 Mit Schreiben, das am 18. Juni 2009 in das Register der Kanzlei des Gerichts eingetragen worden ist,
hat die Kommission zu den genannten Schreiben Stellung genommen. Sie hat dabei geltend gemacht,
dass sie, wenn sie ohne weitere Klarstellung oder Hinweis im verfügenden Teil ihrer Entscheidung
gegen mehrere Gesellschaften eine von diesen als Gesamtschuldner zu zahlende Geldbuße verhänge,
nicht die Frage zu regeln beabsichtige, was im Innenverhältnis der verschiedenen Gesamtschuldner
der jeweils zur Begleichung dieser Geldbuße zu erbringende Beitrag sei.
43 Mit Entscheidung vom 1. Juli 2009 hat der Präsident der Zweiten Kammer des Gerichts die Anträge auf
Änderung des Sitzungsprotokolls zurückgewiesen, nachdem er die üblichen Nachprüfungen zum
genauen Inhalt der von der Kommission mündlich in der Sitzung gegebenen Antworten vorgenommen
hat.
44 Alstom beantragt,
– Art. 1 Buchst. b und Art. 2 Buchst. b und c der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu
erklären;
– hilfsweise, den Betrag der gegen sie in Art. 2 Buchst. b und c der angefochtenen Entscheidung
verhängten Geldbuße herabzusetzen;
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
45 Die Gesellschaften der Areva‑Gruppe beantragen,
– Art. 1 der angefochtenen Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären, als er die Areva T&D SA
und Alstom zum einen für die Zuwiderhandlung in der Zeit vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar
2004 und zum anderen für die Zuwiderhandlung in der Zeit vom 9. Januar bis 11. Mai 2004
gesamtschuldnerisch haften lässt;
– hilfsweise, den Betrag der gegen sie in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung
verhängten Geldbuße für nichtig zu erklären oder wesentlich herabzusetzen;
– der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
46 Die Kommission beantragt,
– die Klagen als unbegründet abzuweisen;
– den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.
Rechtliche Würdigung
47 Da die vorliegenden Rechtssachen ihrem Gegenstand nach miteinander in Zusammenhang stehen
und nachdem die Verfahrensbeteiligten hierzu angehört worden sind, ist das Gericht der Ansicht, dass
sie gemäß Art. 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer Entscheidung zu verbinden sind.
48 In erster Linie zielen die Klagen auf die Nichtigerklärung von Art. 1 Buchst. b, c, d, e und f der
angefochtenen Entscheidung, in erster Linie oder hilfsweise auf die Nichtigerklärung von Art. 2
Buchst. b und c der angefochtenen Entscheidung und hilfsweise auf die Abänderung von Art. 2
Buchst. b und c der angefochtenen Entscheidung ab.
49 Zunächst sind die Anträge auf Nichtigerklärung von Art. 1 Buchst. b, c, d, e und f der angefochtenen
Entscheidung zu prüfen. Sodann werden, soweit erforderlich, die Anträge auf Nichtigerklärung von
Art. 2 Buchst. b und c der angefochtenen Entscheidung geprüft. Schließlich werden gegebenenfalls
die Anträge auf Abänderung von Art. 2 Buchst. b und c der angefochtenen Entscheidung geprüft.
50 Die Gesellschaften der Areva‑Gruppe stützen ihre Anträge in der Rechtssache T‑117/07 auf sieben
Klagegründe. Der erste wird aus einem Verstoß gegen die in Art. 253 EG vorgesehene
Begründungspflicht hergeleitet. Der zweite wird im Wesentlichen auf einen sich aus Art. 81 Abs. 1 EG
und Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen ergebenden Verstoß gegen die Regeln für die Zurechnung der
Zuwiderhandlungen sowie auf einen Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze der Rechtssicherheit
und des Rückwirkungsverbots gestützt. Der dritte Klagegrund wird im Wesentlichen aus einem Verstoß
gegen die Regeln für die Zurechnung der Zuwiderhandlungen hergeleitet, die sich aus Art. 81 Abs. 1
EG und Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen ergeben. Mit dem vierten Klagegrund werden im Wesentlichen
ein Verstoß gegen die Regeln für die Zurechnung der Zuwiderhandlungen und der
gesamtschuldnerischen Haftung für die Zahlung der Geldbußen nach Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53
Abs. 1 EWR‑Abkommen, ein Verstoß gegen Art. 7 EG sowie ein Verstoß gegen die allgemeinen
Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit, der Rechtssicherheit, des
Rückwirkungsverbots und des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gerügt. Mit dem fünften
Klagegrund wird ein Verstoß gegen die Regeln der gesamtschuldnerischen Haftung für die Zahlung
der Geldbußen beanstandet, die sich aus Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen
ergeben. Mit dem sechsten Klagegrund werden im Wesentlichen ein Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2
Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in
den Artikeln 81 [EG] und 82 [EG] niedergelegten Wettbewerbsregeln (ABl. L 1, S. 1) sowie gegen Nr. 2
der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der
Verordnung Nr. 17 und gemäß Artikel 65 Absatz 5 [KS] festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3, im
Folgenden: Leitlinien), ein Beurteilungsfehler sowie ein Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze der
Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit gerügt. Schließlich ist der siebte Klagegrund im
Wesentlichen gegen einen Beurteilungsfehler und einen Verstoß gegen Art. 81 EG und Art. 53 Abs. 1
EWR‑Abkommen sowie gegen die Kronzeugenregelung gerichtet.
51 Alstom stützt ihre Anträge in der Rechtssache T‑121/07 auf acht Klagegründe. Der erste Klagegrund
wird aus einem Verstoß gegen das Recht auf einen effektiven Rechtsbehelf hergeleitet. Der zweite wird
im Wesentlichen auf einen sich aus Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen ergebenden
Verstoß gegen die Regeln der gesamtschuldnerischen Haftung für die Zahlung der Geldbußen, einen
Verstoß gegen die allgemeinen Grundsätze der Rechtssicherheit und der individuellen Strafzumessung
sowie auf einen Verstoß gegen die Begründungspflicht gestützt. Der dritte wird aus einem Verstoß
gegen die in Art. 253 EG vorgesehene Begründungspflicht hergeleitet. Mit dem vierten Klagegrund
werden in erster Linie ein Verstoß gegen die sich aus Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 Abs. 1
EWR‑Abkommen ergebenden Regeln für die Zurechnung der Zuwiderhandlungen sowie ein
Rechtsfehler und, hilfsweise, ein Verstoß gegen Art. 25 der Verordnung Nr. 1/2003 gerügt. Der fünfte
Klagegrund wird im Wesentlichen aus einem Beurteilungsfehler, einem Verstoß gegen die Leitlinien,
einem Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit sowie aus
einem Verstoß gegen die Begründungspflicht hergeleitet. Mit dem sechsten Klagegrund werden im
Wesentlichen ein Verstoß gegen die Beweisvorschriften für die Dauer einer Zuwiderhandlung, die sich
aus Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom
6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln [81 EG] und [82 EG] in geänderter
Fassung (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), ergeben, sowie ein Verstoß gegen den Grundsatz der
Rechtssicherheit gerügt. Der siebte Klagegrund beruht auf einem Verstoß gegen den Grundsatz der
Beachtung der Verteidigungsrechte sowie gegen Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003. Der achte
Klagegrund beruht im Wesentlichen auf einem Verstoß gegen die Leitlinien und, hilfsweise, einem
Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
52 Soweit sich bestimmte der von den Klägerinnen geltend gemachten Klagegründe überschneiden,
werden sie im Interesse einer geordneten Rechtspflege zusammen behandelt.
53 Gegen Art. 1 Buchst. b, c, d, e und f der angefochtenen Entscheidung sind die Klagegründe oder
Rügen gerichtet, die darauf abzielen, die Feststellung der Kommission zu bestreiten, wonach die
Gesellschaften der Areva‑Gruppe und Alstom durch ihre Beteiligung an einer Gesamtheit von
Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen im EWR während der in dem genannten Artikel
erwähnten Zeiträume gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR‑Abkommen verstoßen haben (siehe oben,
Randnr. 33).
54 In der Rechtssache T‑117/07 sind die Anträge auf Nichtigerklärung von Art. 1 Buchst. c, d, e und f der
angefochtenen Entscheidung auf die in der Klageschrift enthaltenen Klagegründe oder Rügen
gestützt, die sich gegen die Beurteilungen der Kommission richten, wonach die Areva T&D SA in der
Zeit vom 7. Dezember 1992 bis 11. Mai 2004, die Areva T&D AG in der Zeit vom 22. Dezember 2003 bis
11. Mai 2004 sowie Areva und die Areva T&D Holding SA in der Zeit vom 9. Januar bis 11. Mai 2004
persönlich für die Beteiligung ihrer GIS‑Sparten oder für die Beteiligung ihrer Tochtergesellschaften an
einer Gesamtheit von Vereinbarungen und abgestimmten Verhaltensweisen im EWR haftbar zu machen
seien (Klagegründe 2, 3, 4 und 5), oder mit denen ein Verstoß gegen wesentliche Formvorschriften
eingewandt wird, der möglicherweise Auswirkungen auf die genannten Beurteilungen gehabt habe
(erster Klagegrund).
55 In der Rechtssache T‑121/07 sind die Anträge auf Nichtigerklärung von Art. 1 Buchst. b der
angefochtenen Entscheidung auf die in der Klageschrift enthaltenen Klagegründe oder Rügen
gestützt, die sich gegen die Beurteilungen der Kommission richten, wonach Alstom in der Zeit vom 15.
April 1988 bis 8. Januar 2004 persönlich für die Beteiligung ihrer GIS‑Sparten oder für die Beteiligung
ihrer Tochtergesellschaften an einer Gesamtheit von Vereinbarungen und abgestimmten
Verhaltensweisen im EWR haftbar zu machen sei (Klagegründe 4 und 6), oder mit denen ein Verstoß
gegen wesentliche Formvorschriften gerügt wird, der möglicherweise Auswirkungen auf die genannten
Beurteilungen gehabt habe (Klagegründe 3 und 7).
Vorbemerkungen
56 Aus den in den Klageschriften vorgebrachten Klagegründen oder Rügen geht hervor, dass die
Gesellschaften der Areva‑Gruppe und Alstom völlig entgegengesetzte Thesen zur Zurechnung der
Zuwiderhandlung in dem gesamten Zeitraum vom 15. April 1988 bis 11. Mai 2004 oder für einen Teil
dieses Zeitraums vertreten.
57 Alstom trägt im Wesentlichen vor, dass die persönliche Haftung, die sie aufgrund der Beteiligung ihrer
GIS‑Sparten an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 8. Januar 2004 treffe, infolge
der konzerninternen Umstrukturierungsvorgänge der Aktivitäten im Geschäftsbereich T & D auf die
Alstom T&D SA und die Alstom T&D AG übergegangen sei. Außerdem könne sie für die Beteiligung der
genannten Tochtergesellschaften an der Zuwiderhandlung in den Zeiten vom 7. Dezember 1992 bis 8.
Januar 2004 und vom 22. Dezember 2003 bis 8. Januar 2004 nicht persönlich haftbar gemacht werden,
da die Alstom T&D SA und die Alstom T&D AG, auf die die genannten Tätigkeiten übertragen worden
seien, selbständig ihr Verhalten auf dem Markt bestimmt hätten. Schließlich sei die persönliche
Haftung, die man ihr aufgrund der Beteiligung ihrer GIS‑Sparte an der Zuwiderhandlung, der
Beteiligung von Alstom T&D SA und der von Alstom T&D AG an der Zuwiderhandlung im Zeitraum vom
15. April 1988 bis 8. Januar 2004 anlaste, mit dem genannten Tätigkeitsbereich und den genannten
Tochtergesellschaften (die sodann zur Areva T&D SA und zur Areva T&D AG geworden seien) im
Rahmen
eines
konzernübergreifenden
Veräußerungsvorgangs
betreffend
Tätigkeiten
im
Geschäftsbereich T & D auf die Gesellschaften der Areva‑Gruppe übergegangen.
58 Demgegenüber sind die Gesellschaften der Areva‑Gruppe der Ansicht, dass sie für die Zeiträume vom
7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 und vom 22. Dezember 2003 bis 8. Januar 2004 keine
persönliche Haftung für die Beteiligung der Gesellschaften der Alstom‑Gruppe an der Zuwiderhandlung
treffe, da das Marktverhalten von Alstom T&D SA und von Alstom T&D AG, auf die die Tätigkeiten auf
dem Gebiet der GIS übertragen worden seien, von Alstom bestimmt worden sei. Ferner tragen Areva
und die Areva T&D Holding SA vor, sie könnten wegen der Beteiligung ihrer Tochtergesellschaften an
der Zuwiderhandlung für den Zeitraum vom 9. Januar bis 11. Mai 2004 nicht selbst verantwortlich
gemacht werden, weil die Areva T&D SA und die Areva T&D AG, auf die die genannten Tätigkeiten
übertragen worden seien, selbständig ihr Marktverhalten bestimmt hätten.
59 Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die Klägerinnen in ihren Schriftsätzen darauf stützen, dass Areva
T&D SA und Areva T&D AG nur die neuen Firmen seien, auf die die Alstom T&D SA und die Alstom T&D
AG nach ihrer am 8. Januar 2004 erfolgten Veräußerung an die Areva‑Gruppe umfirmiert hätten.
Insoweit kann der Vortrag der Gesellschaften der Areva‑Gruppe in ihrer abschließenden
Stellungnahme in der mündlichen Verhandlung, der Kommission sei ein sachlicher Fehler unterlaufen,
als sie der Ansicht gewesen sei, dass die Areva T&D AG und die Alstom T&D AG dieselbe Gesellschaft
seien, nicht berücksichtigt werden. Denn soweit auf diese Behauptungen ein Klagegrund gestützt
werden sollte, wonach die angefochtene Entscheidung insoweit sachlich unrichtig sei, ist zu beachten,
dass nach Art. 48 § 2 Abs. 1 der Verfahrensordnung neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Lauf des
Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden können, es sei denn, dass sie auf rechtliche oder
tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Da im
vorliegenden Fall die Gesellschaften der Areva‑Gruppe nicht die wesentlichen tatsächlichen Gründe
dargelegt haben, auf die sich ihr neuer Klagegrund stützt, und schon gar nicht vorgetragen haben,
dass diese Gründe während des Verfahrens zutage getreten seien, ist ihr vorgenanntes Vorbringen
als unzulässig zurückzuweisen. Mithin ist in den Rechtssachen T‑117/07 und T‑121/07 davon
auszugehen, dass Alstom T&D AG und Areva T&D AG verschiedene Firmen ein und derselben
juristischen Person sind.
Zum Übergang der Alstom aufgrund der Beteiligung ihrer GIS‑Sparte an der Zuwiderhandlung in der
Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992 treffenden persönlichen Haftung auf die Areva T&D SA
und die Areva T&D AG
– Vorbringen der Parteien
60 Alstom wirft der Kommission im Rahmen des zweiten Teils ihres vierten Klagegrundes, mit dem ein
Rechtsfehler gerügt wird, vor, in der angefochtenen Entscheidung die persönliche Haftung, die sie
wegen der Beteiligung eines Teils ihres „Geschäftsbereichs T & D“ an der Zuwiderhandlung im
Zeitraum vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992 treffe, nicht auf die Areva T&D SA und die Areva
T&D AG übertragen zu haben.
61 Der Kommission sei ein Rechtsfehler bei der Anwendung der Vorschriften für die Zurechnung einer
Zuwiderhandlung in Art. 81 EG und Art. 53 EWR‑Abkommen unterlaufen, indem sie das sogenannte
Kriterium der „wirtschaftlichen Kontinuität“, wie es sich aus der Rechtsprechung ergebe (Urteil des
Gerichtshofs vom 7. Januar 2004, Aalborg Portland u. a./Kommission, C‑204/00 P, C‑205/00 P,
C‑211/00 P, C‑213/00 P, C‑217/00 P und C‑219/00 P, Slg. 2004, I‑123, Randnrn. 356 bis 359, und Urteil
des Gerichts vom 27. September 2006, Jungbunzlauer/Kommission, T‑43/02, Slg. 2006, II‑3435, Randnr.
132), nicht auf ihre Beziehungen zu ihren ehemaligen, im Geschäftsbereich T & D tätigen
Tochtergesellschaften angewandt habe und sie persönlich für die Beteiligung eines Teils ihres
Geschäftsbereichs T & D an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992
habe haften lassen, ohne dabei zu berücksichtigen, dass dieses Unternehmen infolge von
Umstrukturierungsvorgängen innerhalb der Alstom‑Gruppe an ihre ehemaligen, im Geschäftsbereich
T & D tätigen Tochtergesellschaften veräußert worden sei. Im Wesentlichen ist Alstom der Ansicht,
dass zwar der „Geschäftsbereich T & D“ der Alstom‑Gruppe vor dem 7. Dezember 1992 keine
Rechtspersönlichkeit gehabt habe, dass aber die Gründung einer spezifisch hiermit betrauten
Tochtergesellschaft zu diesem Datum außerhalb der Schweiz, nämlich der Kléber Eylau (später unter
Alstom T&D SA, sodann unter Areva T&D SA firmierend), es der Kommission erlaubt habe, am Tag des
Erlasses der angefochtenen Entscheidung eine juristische Person namhaft zu machen, auf die dieses
Unternehmen, das an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen sei, übertragen worden sei und dem
diese Zuwiderhandlung somit habe zugerechnet werden können. Eine entsprechende Überlegung
könne für die Übertragung der Aktivitäten im Geschäftsbereich T & D in der Schweiz von Alstom auf die
Alstom (Schweiz) Services AG (später unter Alstom T&D AG, sodann unter Areva T&D AG firmierend)
gelten.
62 Die Kommission tritt dem Vorbringen von Alstom entgegen und beantragt, die vorliegende Rüge
zurückzuweisen.
– Würdigung durch das Gericht
63 Im Wettbewerbsrecht ist unter dem Begriff des Unternehmens eine im Hinblick auf den jeweiligen
Gegenstand der Zwiderhandlung bestehende wirtschaftliche Einheit zu verstehen (vgl. in diesem Sinne
Urteil des Gerichtshofs vom 12. Juli 1984, Hydrotherm Gerätebau, 170/83, Slg. 1984, 2999, Randnr. 11;
Urteile des Gerichts vom 29. Juni 2000, DSG/Kommission, T‑234/95, Slg. 2000, II‑2603, Randnr. 124, und
vom 15. September 2005, DaimlerChrysler/Kommission, T‑325/01, Slg. 2005, II‑3319, Randnr. 85). Das
den Unternehmen in Art. 81 Abs. 1 EG u. a. auferlegte Verbot von Vereinbarungen und aufeinander
abgestimmten Verhaltensweisen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen
geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb
des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken, richtet sich an wirtschaftliche Einheiten, die
jeweils in einer einheitlichen Organisation persönlicher, materieller und immaterieller Mittel bestehen,
mit der dauerhaft ein bestimmter wirtschaftlicher Zweck verfolgt wird, und die an einer
Zuwiderhandlung im Sinne dieser Vorschrift beteiligt sein können (vgl. in diesem Sinne Urteile des
Gerichts vom 17. Dezember 1991, Enichem Anic/Kommission, T‑6/89, Slg. 1991, II‑1623, Randnr. 235,
und vom 10. März 1992, Shell/Kommission, T‑11/89, Slg. 1992, II‑757, Randnr. 311).
64 Zu ihrer Anwendung und Durchführung müssen sich jedoch die nach Art. 81 EG erlassenen
Entscheidungen gegen Einheiten mit Rechtspersönlichkeit richten (vgl. in diesem Sinne Urteile des
Gerichts vom 20. April 1999, Limburgse Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, PVC II, T‑305/94 bis
T‑307/94, T‑313/94 bis T‑316/94, T‑318/94, T‑325/94, T‑328/94, T‑329/94 und T‑335/94, Slg. 1999,
II‑931, Randnr. 978, und vom 12. Dezember 2007, Akzo Nobel u. a./Kommission, T‑112/05, Slg. 2007,
II‑5049, Randnr. 59). Somit muss die Kommission, wenn sie eine Entscheidung nach Art. 81 Abs. 1 EG
erlässt, die Person oder die Personen – natürliche oder juristische – namhaft machen, die für das
Verhalten des fraglichen Unternehmens verantwortlich gemacht werden kann oder können und gegen
die deswegen Sanktionen verhängt werden können; gegen diese Personen ist die Entscheidung
gerichtet (vgl. in diesem Sinne Urteil Hydrotherm Gerätebau, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnr.
11).
65 Nach dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit (Urteile des Gerichtshofs vom 14. Juli 1972,
ICI/Kommission, 48/69, Slg. 1972, 619, Randnrn. 131 bis 141, vom 8. Juli 1999, Kommission/Anic
Partecipazioni, C‑49/92 P, Slg. 1999, I‑4125, Randnr. 78, und vom 11. Dezember 2007, ETI u. a.,
C‑280/06, Slg. 2007, I‑10893, Randnr. 39; vgl. auch Schlussanträge von Generalanwältin Kokott in der
Rechtssache ETI u. a., Slg. 2007, I‑10892, Nrn. 71 ff.), wonach eine Person nur für ihre eigenen
Handlungen verantwortlich gemacht werden kann (Schlussanträge von Generalanwalt Cosmas in der
Rechtssache Kommission/Anic Partecipazioni, Slg. 1999, I‑4130, Nr. 74), hat grundsätzlich die Person,
die das Unternehmen zu dem Zeitpunkt leitete, zu dem es an der Zuwiderhandlung beteiligt war, für
diese Zuwiderhandlung einzustehen, selbst wenn das genannte Unternehmen am Tag des Erlasses
der die Zuwiderhandlung feststellenden Entscheidung unter der Verantwortlichkeit oder Leitung einer
anderen Person steht (Urteile des Gerichtshofs vom 16. November 2000, SCA Holding/Kommission,
C‑297/98 P, Slg. 2000, I‑10101, Randnr. 27, und Stora Kopparbergs Bergslags/Kommission, C‑286/98 P,
Slg. 2000, I‑9925, Randnr. 37; vgl. in diesem Sinne auch Urteil des Gerichtshofs vom 16. November
2000, Cascades/Kommission, C‑279/98 P, Slg. 2000, I‑9693, Randnr. 79).
66 Unter bestimmten außergewöhnlichen Umständen lässt die Rechtsprechung zu, dass vom Grundsatz
der persönlichen Verantwortlichkeit nach dem sogenannten Kriterium „der wirtschaftlichen Kontinuität“
abgewichen werden darf, wonach ein Verstoß gegen Wettbewerbsregeln, damit die praktische
Wirksamkeit dieser Regeln nicht durch u. a. an der Rechtsform der betroffenen Gesellschaften
vorgenommene Änderungen vereitelt werden kann, dem wirtschaftlichen Nachfolger einer juristischen
Person zugerechnet werden kann, die der Urheber dieses Verstoßes ist, selbst wenn diese juristische
Person zum Zeitpunkt des Erlasses der die genannte Zuwiderhandlung feststellenden Entscheidung
noch besteht (Urteil des Gerichts vom 20. März 2002, HFB u. a./Kommission, T‑9/99, Slg. 2002, II‑1487,
Randnrn. 105 und 106).
67 Im Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission (oben in Randnr. 61 angeführt, Randnrn. 356 bis 359) hat
der Gerichtshof entschieden, dass das Gericht rechtsfehlerfrei die Ansicht vertreten hat, dass die
Kommission bei einem konzerninternen Unternehmenskauf die Erwerbergesellschaft für die von dem
Unternehmen vor seinem Erwerb begangene Zuwiderhandlung haften lassen konnte, und zwar selbst
dann, wenn die veräußernde Gesellschaft weiter fortbestand. Zur Abgrenzung von der in Randnr. 145
seines Urteils Kommission/Anic Partecipazioni (oben in Randnr. 65 angeführt) entwickelten Lösung,
nach der das Kriterium „der wirtschaftlichen Kontinuität“ nur dann eingreifen kann, wenn die für den
Betrieb des Unternehmens verantwortliche juristische Personen nach Begehung der Zuwiderhandlung
aufgehört hat, juristisch zu existieren, hat sich der Gerichtshof darauf gestützt, dass die veräußernde
Gesellschaft sämtliche wirtschaftlichen Aktivitäten auf die Erwerbergesellschaft übertragen hatte,
dabei aber mit der Erwerbergesellschaft, an der sie 50 % der Aktien hielt, strukturell verbunden blieb.
68 Im Urteil Jungbunzlauer/Kommission (oben in Randnr. 61 angeführt, Randnrn. 132 und 133) hat das
Gericht unter Bezugnahme auf das Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission (oben in Randnr. 61
angeführt) entschieden, dass die Tatsache, dass eine Gesellschaft als juristische Einheit fortbesteht,
nach dem Wettbewerbsrecht nicht ausschließt, dass sie einen Teil ihrer Tätigkeiten, die ein
Unternehmen im Sinne des Wettbewerbsrechts bilden, auf eine andere Gesellschaft überträgt, die
damit für die von dem genannten Unternehmen begangenen Zuwiderhandlungen verantwortlich wird.
Demnach hat das Gericht entschieden, dass die Kommission bei einem konzerninternen
Unternehmenskauf rechtsfehlerfrei die Ansicht vertreten konnte, dass die vor der Veräußerung
begangene Zuwiderhandlung dieses Unternehmens der Erwerbergesellschaft zuzurechnen sei, obwohl
die veräußernde Gesellschaft weiterhin rechtlich fortbestehe. Im vorliegenden Fall hatte das
übertragene Unternehmen zwar die zum fraglichen Unternehmen gehörende Produktionstätigkeit
beibehalten, aber insbesondere Verwaltung oder Leitung dieses Unternehmens an die
Erwerbergesellschaft
übertragen,
die
insoweit
als
wirtschaftlicher
Nachfolger
der
Veräußerergesellschaft angesehen werden konnte.
69 In den Randnrn. 38 bis 42 des Urteils ETI u. a. (oben in Randnr. 65 angeführt) hat der Gerichtshof das
Kriterium der „wirtschaftlichen Kontinuität“ mit der Notwendigkeit gerechtfertigt, sicherzustellen, dass
die Sanktion der Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht abschreckend wirkt. Unter Bezugnahme auf
sein Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission (oben in Randnr. 61 angeführt) hat der Gerichtshof in
den Randnrn. 48 bis 51 des Urteils ausgeführt, dass eine derartige Durchführung der Sanktion
zulässig ist und nicht gegen den Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit verstößt, selbst wenn
die Einrichtung, die die Zuwiderhandlung begangen hat, noch zu dem Zeitpunkt existiert, in dem
gegen die Einrichtung, auf die sie ihre wirtschaftlichen Aktivitäten übertragen hat, die Sanktion
verhängt wird, wenn diese Einrichtungen der Kontrolle derselben Person unterstanden und sie somit in
Anbetracht der zwischen ihnen auf wirtschaftlicher und organisatorischer Ebene bestehenden engen
Bindungen im Wesentlichen dieselben geschäftlichen Leitlinien anwandten. Der Gerichtshof hat somit
entschieden, dass die Art. 81 ff. EG dahin auszulegen sind, dass in einem Fall, in dem eine
Verhaltensweise, die eine einheitliche Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln darstellt, von
einer Einrichtung, die einer öffentlichen Stelle untersteht, begangen und dann von einer anderen,
derselben öffentlichen Stelle unterstehenden Einrichtung bis zum Abschluss fortgeführt wird, wobei die
zweitgenannte Einrichtung Rechtsnachfolgerin der erstgenannten Einrichtung ist und diese noch
besteht, der zweitgenannten Einrichtung wegen der gesamten Zuwiderhandlung Sanktionen auferlegt
werden können, sofern nachgewiesen ist, dass beide Einrichtungen der Aufsicht der betreffenden
öffentlichen Stelle unterstehen.
70 Die vorgenannte Rechtsprechung gilt für Art. 53 Abs. 1 EWR entsprechend.
71 Im vorliegenden Fall ist zunächst das „Unternehmen“ im wettbewerbsrechtlichen Sinne zu bestimmen,
das an der Zuwiderhandlung beteiligt war, die Alstom in Art. 1 Buchst. b der angefochtenen
Entscheidung zugerechnet wird. Aus der Darstellung der „vom Verfahren betroffenen Branche“ in den
Randnrn. 5 bis 87 der angefochtenen Entscheidung und der „Verfahrensbeteiligten“ in den Randnrn.
16 bis 22 der angefochtenen Entscheidung geht hervor, dass das fragliche Unternehmen in der
einheitlichen Organisation persönlicher, materieller und immaterieller Mittel bestand, mit der zunächst
in der Alstom‑Gruppe und sodann nach der konzernübergreifenden Veräußerung vom 8. Januar 2004
(siehe oben, Randnr. 9) in der Areva‑Gruppe die GIS‑Geschäfte betrieben wurden (im Folgenden:
betroffenes Unternehmen). Somit behauptet Alstom zu Unrecht, dass das betroffene Unternehmen
den „Geschäftsbereich T & D“ der Alstom‑Gruppe oder in einem weiteren Sinne sämtliche Mittel
umfasst habe, die zur Zeit des Sachverhalts zu den Tätigkeiten in diesem Bereich beitrugen.
72 Aus den Randnrn. 357 und 358 der angefochtenen Entscheidung ergibt sich außerdem, dass die
Kommission, als sie Alstom die Teilnahme des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in
der Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992 zurechnete, darauf hinwies, dass das GIS‑Geschäft in
der Alstom‑Gruppe unmittelbar durch die Alsthom SA und sodann durch die GEC Alsthom SA und nicht
durch die Vorgängergesellschaften von Areva T&D SA und Areva T&D AG ausgeübt wurde. Die
Kommission wies außerdem darauf hin, dass die Tätigkeiten der Alstom‑Gruppe im Geschäftsbereich
T & D in der Schweiz durch Sprecher Energie (von Alsthom SA im Januar 1986 erworben) ausgeübt
worden waren, die dann zur Alstom AG (Schweiz) wurde. Nach der Feststellung, dass die betreffenden
juristischen Personen unter neuer Firma immer noch in der Alstom‑Gruppe existierten, vertrat die
Kommission die Ansicht, dass Alstom als 100%ige Muttergesellschaft dieser verschiedenen
Einrichtungen weiterhin für deren Tätigkeiten vor der Gründung der Vorgängergesellschaften der
Areva T&D SA und der Areva T&D AG hafte. Daraus folgerte die Kommission, dass die Areva T&D SA
und die Areva T&D AG nicht für die Teilnahme des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung
im fraglichen Zeitraum als Rechtsnachfolger und wirtschaftliche Nachfolger verantwortlich gemacht
werden könnten, selbst wenn die Tätigkeiten im Geschäftsbereich T & D der Alstom‑Gruppe auf ihre
jeweiligen Vorgängergesellschaften übertragen worden wären.
73 Alstom bringt zu den Gründen der angefochtenen Entscheidung, die sie für die Teilnahme des
betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember
1992 deshalb verantwortlich machen, weil Alstom zur Zeit des Sachverhalts das genannte
Unternehmen über völlig oder fast völlig im Alleineigentum stehende Tochtergesellschaften geleitet
habe, keinen Klagegrund und keine spezifische Rüge vor. Sie trägt lediglich vor, dass die sie insoweit
treffende Verantwortlichkeit nach dem sogenannten Kriterium „der wirtschaftlichen Kontinuität“, wie es
in den Urteilen Aalborg Portland u. a./Kommission und Jungbunzlauer/Kommission (beide oben in
Randnr. 61 angeführt) entwickelt worden sei, auf die Areva T&D SA und die Areva T&D AG
übergegangen sei.
74 Zunächst ist klarzustellen, dass Randnr. 339 der angefochtenen Entscheidung, auf die Randnr. 357
verweist, nicht als Stütze der Entscheidung der Kommission angesehen werden kann, die
Verantwortlichkeit für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der
Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992 nicht auf die Areva T&D SA und die Areva T&D AG zu
übertragen. Denn in Randnr. 339 der angefochtenen Entscheidung geht es um die Möglichkeit einer
Haftungsübertragung zwischen Gesellschaften derselben Gruppe aufgrund des sogenannten
Kriteriums „der wirtschaftlichen Kontinuität“ im Hinblick auf die Grundsätze, die in den Randnrn. 356 bis
359 des Urteils Aalborg Portland u. a./Kommission und in Randnr. 132 des Urteils
Jungbunzlauer/Kommission (beide oben in Randnr. 61 angeführt) entwickelt wurden. Dort weist die
Kommission darauf hin, dass die Tatsache, dass eine Gesellschaft ihre Rechtspersönlichkeit bewahre,
nachdem ein Teil ihrer Tätigkeiten auf eine andere Gesellschaft innerhalb derselben
Unternehmensgruppe übertragen worden sei, die Kommission nicht daran hindere, die zweitgenannte
Gesellschaft für die von der Erstgenannten begangenen Zuwiderhandlungen haftbar zu machen.
Daraus folgt, dass der in Randnr. 357 enthaltene Verweis auf Randnr. 339 der angefochtenen
Entscheidung nicht berücksichtigt werden kann, wenn es um die Würdigung der Begründetheit eines
fehlenden Haftungsübergangs für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung für die Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992 auf die Areva T&D SA und auf
die Areva T&D AG geht.
75 Die Kommission hat in ihrer Klagebeantwortung in der Rechtssache T‑121/07 geltend gemacht, dass
sie sich in der angefochtenen Entscheidung daran gehalten habe, die Regeln anzuwenden, die aus
dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit resultierten (siehe oben, Randnr. 65). Aus den
Randnrn. 357 und 358 der angefochtenen Entscheidung, deren Inhalt in der vorstehenden Randnr. 72
zusammengefasst ist, ergibt sich in der Tat, dass die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an
der Zuwiderhandlung für die Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992 Alstom deshalb
zugerechnet wird, weil diese Gesellschaft zur Zeit des Sachverhalts das genannte Unternehmen über
völlig oder fast völlig im Alleineigentum stehende Tochtergesellschaften geleitet hat, die immer noch in
der Alstom‑Gruppe existieren.
76 Daher ist die Frage zu klären, ob die Haftung für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an
der Zuwiderhandlung für die Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992, wie Alstom vorträgt, auf die
Areva T&D SA und die Areva T&D AG deshalb zu übertragen ist, weil das betroffene Unternehmen an
ihre jeweiligen Rechtsvorgänger veräußert wurde, nämlich an Kléber Eylau und Alstom (Schweiz)
Services durch die GEC Alsthom SA am 7. Dezember 1992 und durch die Alstom AG (Schweiz) am 22.
Dezember 2003.
77 Hierbei ist zu beachten, dass die von Alstom vertretene Ansicht darauf hinauslaufen würde, dass die
Areva T&D SA und die Areva T&D AG für eine Zuwiderhandlung einzustehen hätten, die der GEC
Alsthom SA und der Alstom AG (Schweiz) persönlich zuzurechnen ist, die in der Alstom‑Gruppe zur Zeit
des Sachverhalts völlig oder fast völlig im Alleineigentum von Alstom oder ihrer Rechtsvorgängerinnen
stehende Tochtergesellschaften waren.
78 In einer solchen Lage ist das sogenannte Kriterium „der wirtschaftlichen Kontinuität“ jedoch nur
anwendbar, wenn das betroffene Unternehmen infolge der Umstrukturierungsmaßnahmen innerhalb
der Alstom‑Gruppe am 7. Dezember 1992 und am 22. Dezember 2003 nicht mehr unter der
Verantwortung oder der Leitung von Alstom gestanden hat. Falls hingegen Alstom niemals aufgehört
hat, über ihre völlig oder fast völlig im Alleineigentum stehenden Tochtergesellschaften das betroffene
Unternehmen bis zur konzernübergreifenden Veräußerung am 8. Januar 2004 zu leiten, bliebe sie
persönlich für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung für den
Zeitraum vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992 verantwortlich, und der Kommission wäre kein
Rechtsfehler unterlaufen, als sie in den Beziehungen zwischen Alstom und ihren im Geschäftsbereich
T & D tätigen Tochtergesellschaften das sogenannte Kriterium „der wirtschaftlichen Kontinuität“ im
Hinblick auf die vorgenannten konzerninternen Umstrukturierungsmaßnahmen nicht angewandt hat
(vgl. in diesem Sinne Schlussanträge von Generalanwalt Mischo in der Rechtssache SCA
Holding/Kommission, Urteil vom 16. November 2000, oben in Randnr. 65 angeführt, Slg. 2000, I‑10104,
Randnr. 26).
79 Aus allen diesen Gründen erscheint es sachdienlich, vor der Entscheidung über die vorliegende Rüge
auf die Klagegründe oder Rügen einzugehen, die sich dagegen richten, dass in Art. 1 Buchst. b der
angefochtenen Entscheidung die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung
im Zeitraum vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 Alstom als 100%iger Muttergesellschaft der
Alstom T&D SA und derAlstom T&D AG zugerechnet wird.
Zur persönlichen Verantwortlichkeit von Alstom als 100%iger Muttergesellschaft der Alstom T&D SA
und der Alstom T&D AG aufgrund der Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung im Zeitraum vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004
– Vorbringen der Parteien
80 Alstom macht mit dem ersten Teil ihres vierten Klagegrundes, der auf einen Verstoß gegen die
Zurechnungsvorschriften für Zuwiderhandlungen in Art. 81 EG und Art. 53 EWR‑Abkommen gestützt
wird, der Kommission zum Vorwurf, ihr als 100%iger Muttergesellschaft der Alstom T&D SA und der
Alstom T&D AG in der angefochtenen Entscheidung die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an
der Zuwiderhandlung im Zeitraum vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 zugerechnet zu haben.
81 Mit ihrem dritten Klagegrund wirft Alstom der Kommission vor, gegen Art. 253 EG verstoßen zu haben,
indem sie nicht rechtlich hinreichend begründet habe, dass ihr die Zuwiderhandlung als 100%iger
Muttergesellschaft der Alstom T&D SA und der Alstom T&D AG aufgrund der Angaben, die sie im Lauf
des Verwaltungsverfahrens geliefert habe, zuzurechnen sei. In der mündlichen Verhandlung hat sie
insoweit einen Verstoß gegen den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte und gegen den
Grundsatz der Gleichheit der Verfahrensbeteiligten eines Verfahrens vor den Unionsgerichten geltend
gemacht.
82 Im Rahmen ihres siebten Klagegrundes rügt Alstom einen Verstoß gegen den Grundsatz der Wahrung
der Verteidigungsrechte und gegen Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003, der daraus hergeleitet
wird, dass die Kommission zu ihren Lasten als 100%iger Muttergesellschaft der Alstom T&D SA und der
Alstom T&D AG bei der Zurechnung der Verantwortlichkeit für die Beteiligung des betroffenen
Unternehmens an der Zuwiderhandlung für den Zeitraum vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 in
der angefochtenen Entscheidung auf bestimmte tatsächliche Angaben abgestellt habe, die von den
Gesellschaften der Areva‑Gruppe geliefert worden seien, ohne dass Alstom zuvor darauf hingewiesen
worden sei, dass diese Angaben zu ihren Lasten verwendet werden könnten, und ohne dass ihr
erlaubt worden wäre, sich hierzu zu äußern. Gleiches gelte für die in den Randnrn. 351 und 354 der
angefochtenen Entscheidung erwähnten Angaben in Bezug auf die Verurteilung der Alsthom SA, einer
ihrer Vorgängergesellschaften, durch eine Entscheidung des französischen Conseil de la concurrence
vom 1. März 1988 und den Umstand, dass gleichzeitig oder nacheinander sechs Mitglieder des
Verwaltungsrats der Alstom T&D SA dort leitende Posten bekleideten.
83 Die Kommision tritt dem Vorbringen von Alstom entgegen und beantragt, die Klagegründe oder Rügen
zurückzuweisen.
– Würdigung durch das Gericht
84 Für die Anwendung des Wettbewerbsrechts ist die formelle Trennung zwischen zwei Gesellschaften
aufgrund ihrer unterschiedlichen Rechtspersönlichkeit nicht entscheidend, denn es kommt darauf an,
ob ihr Marktverhalten einheitlich ist oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil ICI/Kommission, oben in
Randnr. 65 angeführt, Randnr. 140). Es kann also notwendig sein, zu ermitteln, ob zwei Gesellschaften
mit je eigener Rechtspersönlichkeit ein und dasselbe Unternehmen oder ein und dieselbe
wirtschaftliche Einheit mit einheitlichem Marktverhalten bilden (Urteil DaimlerChrysler/Kommission, oben
in Randnr. 63 angeführt, Randnr. 85).
85 Nach ständiger Rechtsprechung genügt der Umstand, dass eine Tochtergesellschaft eine eigene
Rechtspersönlichkeit besitzt, nicht, um auszuschließen, dass ihr Verhalten der Muttergesellschaft
zugerechnet
werden
kann,
namentlich,
wenn
die
Tochtergesellschaft
trotz
eigener
Rechtspersönlichkeit ihr Marktverhalten nicht selbständig bestimmt, sondern im wesentlichen
Weisungen der Muttergesellschaft befolgt (Urteil ICI/Kommission, oben in Randnr. 65 angeführt,
Randnrn. 132 und 133, und Urteil PVC II, oben in Randnr. 64 angeführt, Randnr. 960). Bestimmt die
Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten nicht wirklich autonom, sind die Verbote des Art. 81 Abs. 1 EG
auf die Beziehungen zwischen der Tochtergesellschaft und der Muttergesellschaft, mit der sie eine
wirtschaftliche Einheit bildet, als unanwendbar anzusehen (Urteil ICI/Kommission, oben in Randnr. 65
angeführt, Randnr. 134, Urteil des Gerichts vom 12. Januar 1995, Viho/Kommission, T‑102/92, Slg.
1995, II‑17, Randnr. 51).
86 In diesem Zusammenhang ist es grundsätzlich Sache der Kommission, nachzuweisen, dass die
Muttergesellschaft
tatsächlich
einen
entscheidenden
Einfluss
auf
das
Verhalten
ihrer
Tochtergesellschaft auf dem Markt gehabt hat, und zwar auf der Grundlage von Sachverhaltsangaben
wie insbesondere eines eventuellen Weisungsrechts der Muttergesellschaft gegenüber der
Tochtergesellschaft (vgl. Urteil des Gerichts vom 27. September 2006, Avebe/Kommission, T‑314/01,
Slg. 2006, II‑3085, Randnr. 136 und die dort angeführte Rechtsprechung). Nach ständiger
Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts kann die Kommision vernünftigerweise vermuten,
dass eine 100%ige Tochtergesellschaft einer Muttergesellschaft im Wesentlichen die Weisungen ihrer
Muttergesellschaft ausführt, und braucht aufgrund dieser Haftungsvermutung nicht nachzuprüfen, ob
die Muttergesellschaft dieses Weisungsrecht gegenüber der Tochtergesellschaft tatsächlich ausgeübt
hat. Erklärt die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte, dass sie beabsichtige, die
Muttergesellschaft für eine Zuwiderhandlung der Tochtergesellschaft persönlich verantwortlich zu
machen, und beruft sie sich dabei auf die Haftungsvermutung, die sich daraus ergibt, dass die
Muttergesellschaft das gesamte Kapital an der Tochtergesellschaft hält, ist es Sache der
Muttergesellschaft, die ihre Haftung bestreiten möchte, im Lauf des Verwaltungsverfahrens oder
spätestens vor den Gerichten der Union hinreichende Beweise vorzulegen, um die Vermutung zu
entkräften, indem sie beweist, dass die Tochtergesellschaft, obwohl die Muttergesellschaft das
gesamte Kapital an ihr hielt, tatsächlich eigenständig ihr Marktverhalten bestimmte (vgl. Urteil des
Gerichts vom 27. September 2006, Akzo Nobel/Kommission, T‑330/01, Slg. 2006, II‑3389, Randnrn. 82
und 83 und die dort angeführte Rechtsprechung).
87 Die Kommission muss in der Lage sein, in ihrer eine Zuwiderhandlung feststellenden Entscheidung die
Antworten der betroffenen Unternehmen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte zu berücksichtigen.
Hierbei muss sie nicht nur die Argumente der betroffenen Unternehmen zulassen oder zurückweisen
können, sondern auch selbst die von ihnen angeführten Angaben zum Sachverhalt prüfen können, sei
es, um die Beschwerdepunkte fallen zu lassen, die sich womöglich als nicht stichhaltig erweisen, sei
es, um sowohl auf tatsächlicher als auch auf rechtlicher Ebene ihr Vorbringen zur Stützung der von ihr
weiter aufrechterhaltenen Beschwerdepunkte zu ordnen oder zu vervollständigen (Urteil des Gerichts
vom 15. März 2006, BASF/Kommission, T‑15/02, Slg. 2006, II‑497, Randnr. 93; vgl. in diesem Sinne auch
Urteile des Gerichtshofs vom 15. Juli 1970, ACF Chemiefarma/Kommission, 41/69, Slg. 1970, 661,
Randnrn. 91 und 92, vom 16. Dezember 1975, Suiker Unie u. a./Kommission, 40/73 bis 48/73, 50/73,
54/73 bis 56/73, 111/73, 113/73 und 114/73, Slg. 1975, 1663, Randnrn. 437 und 438, und vom 29.
Oktober 1980, van Landewyck u. a./Kommission, 209/78 bis 215/78 und 218/78, Slg. 1980, 3125,
Randnr. 68).
88 Was die der Kommission obliegende Begründungspflicht insbesondere beim Erlass einer eine
Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsvorschriften feststellenden Entscheidung angeht, ist nach
ständiger Rechtsprechung die Rüge einer fehlenden oder nicht hinreichenden Begründung von der
Rüge einer unzutreffenden Begründung der Entscheidung (aufgrund eines Sachverhaltsirrtums oder
eines Fehlers in der rechtlichen Bewertung) zu unterscheiden. Letzterer Gesichtspunkt betrifft die
Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der Entscheidung und nicht die Prüfung des Verstoßes gegen
wesentliche Formerfordernisse und kann somit keinen Verstoß gegen Art. 253 EG darstellen (vgl. in
diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 2. April 1998, Kommission/Sytraval und Brink‘s France,
C‑367/95 P, Slg. 1998, I‑1719, Randnrn. 67 und 72, vom 30. März 2000, VBA/Florimex u. a., C‑265/97 P,
Slg. 2000, I‑2061, Randnr. 114, und vom 2. Oktober 2003, International Power u. a./NALOO, C‑172/01 P,
C‑175/01 P, C‑176/01 P und C‑180/01 P, Slg. 2003, I‑11421, Randnr. 145; Urteil des Gerichts vom 7.
November 1997, Cipeke/Kommission, T‑84/96, Slg. 1997, II‑2081, Randnr. 47). Als wesentliches
Formalerfordernis muss die nach Art. 253 EG erforderliche Begründung der Natur des betreffenden
Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so
klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene
Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann
(Urteil des Gerichtshofs vom 18. September 2003, Volkswagen/Kommission, C‑338/00 P, Slg. 2003,
I‑9189, Randnr. 124). Zwar ist die Kommission nach Art. 253 EG gehalten, die tatsächlichen und
rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtfertigung der Entscheidung abhängt, sowie die
rechtlichen Erwägungen zu erwähnen, die sie dazu veranlasst haben, diese Entscheidung zu erlassen,
doch verlangt diese Vorschrift nicht, dass sie sämtliche tatsächlichen und rechtlichen Fragen
thematisiert, die im Lauf des Verwaltungsverfahrens behandelt worden sind (Urteile des Gerichtshofs
vom 17. Januar 1984, VBVB und VBBB/Kommission, 43/82 und 63/82, Slg. 1984, 19, Randnr. 22; vom 11.
Juli 1989, Belasco u. a./Kommission, 246/86, Slg. 1989, 2117, Randnr. 55, und Volkswagen/Kommission,
Randnr. 127). Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere
nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und nach dem Interesse zu
beurteilen, das die Adressaten oder andere von dem Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene
Personen an Erläuterungen haben können (Urteil Kommission/Sytraval und Brink‘s France, Randnr. 63
und die dort angeführte Rechtsprechung).
89 Die vorstehend angeführte Rechtsprechung gilt entsprechend für die Entscheidungen der
Kommission, mit denen eine Zuwiderhandlung gegen Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen festgestellt wird.
90 Im vorliegenden Fall hat die Kommission in den Randnrn. 331 und 337 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte ihre Absicht bekundet, Alstom zusammen und gesamtschuldnerisch mit der Areva
T&D SA und der Areva T&D AG für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung im Zeitraum vom 15. April 1988 bis zum 8. Januar 2004 haften zu lassen, und zwar
gestützt auf die Haftungsvermutung, die sich daraus ergibt, dass das gesamte Kapital an den
Tochtergesellschaften von ihrer Muttergesellschaft gehalten wird (siehe oben, Randnr. 86).
91 Aus den Randnrn. 335, 348 bis 356 und 358 der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass sich
die Kommission, als sie Alstom gesamtschuldnerisch mit der Areva T&D SA für die Beteiligung des
betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung für den Zeitraum vom 7. Dezember 1992 bis 8.
Januar 2004 verantwortlich machte, letztlich nicht nur auf die Haftungsvermutung, die sich aus dem
Halten des gesamten Kapitals an den Tochtergesellschaften durch ihre Muttergesellschaft ergibt,
gestützt hat, sondern auch auf Angaben zum Sachverhalt gestützt hat, die im Lauf des
Verwaltungsverfahrens gemacht wurden. So hat die Kommission in Randnr. 351 der angefochtenen
Entscheidung Bezug auf eine Entscheidung des französischen Conseil de la concurrence vom 1. März
1988 genommen, mit der gegen Alsthom nach französischem Wettbewerbsrecht eine Geldbuße wegen
Angebotsmanipulationspraktiken
verhängt
wurde,
die
ebenfalls
elektrische
Ausrüstungen
(Mittelspannungstransformatoren) betrafen. Die Kommission hat außerdem in Randnr. 353 der
angefochtenen Entscheidung Bezug auf die von Alstom selbst gemachten Angaben genommen, in
denen sich ein Beleg dafür sehen lasse, dass die betriebliche Organisation Vorrang vor der
Rechtsstruktur gehabt habe und dass im Geschäftsbereich T&D die Tätigkeiten auf dem Gebiet der
GIS‑Vorhaben auf der obersten Entscheidungsebene von Alstom und ihren Vorgängergesellschaften
geleitet worden seien. Schließlich hat die Kommission in den Randnrn. 354 und 355 der
angefochtenen Entscheidung auf die von der Areva‑Gruppe vorgelegten Angaben Bezug genommen,
die es erlaubten, sechs Mitglieder des Verwaltungsrats der Alstom T&D SA namhaft zu machen, die vor
Januar 2004 gleichzeitig oder nacheinander Mitglieder des Verwaltungsrats der „Muttergesellschaften“
der Alstom‑Gruppe waren oder sogar als Generaldirektor fungierten.
92 Alstom bestreitet nicht die tatsächlichen Bewertungen in der angefochtenen Entscheidung, wonach
die Alstom T&D SA und die Alstom T&D AG im Zeitraum vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 ihre
100%igen Tochtergesellschaften gewesen seien. Entgegen dem Vorbringen von Alstom berechtigten
aber bereits diese Feststellungen die Kommission zu der Vermutung, dass die Alstom T&D SA und die
Alstom T&D AG ihr Marktverhalten gegenüber Alstom nicht eigenständig bestimmten und dass diese
Gesellschaften somit zusammen mit Alstom ein einziges Unternehmen im wettbewerbsrechtlichen
Sinne bildeten. Entsprechend der vorstehend in Randnr. 86 angeführten Rechtsprechung war es
Sache von Alstom, die sich darauf berief, dass ihre im Geschäftsbereich T & D tätigen
Tochtergesellschaften eigenständig ihr Marktverhalten während des fraglichen Zeitraums bestimmt
hätten, durch Vorlage insoweit hinreichend beweiskräftiger Beweise die Haftungsvermutung zu
widerlegen, die sich daraus ergibt, dass die Muttergesellschaft das Gesamtkapital ihrer
Tochtergesellschaften hielt.
93 In den Nrn. 90 bis 150 ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte hat Alstom vorgetragen,
dass das betroffene Unternehmen den „Geschäftsbereich T & D“ der Alstom‑Gruppe abgedeckt habe
und dass, da dieser Sektor sein Marktverhalten unabhängig bestimmt habe, allein die operativen
Tochtergesellschaften, denen dieser Bereich zugewiesen gewesen sei, haftbar gemacht werden
könnten. Innerhalb der Alstom‑Gruppe fielen betriebliche Organisation und Rechtsstruktur
auseinander und bestätigten die fehlende Verbindung zwischen den Kapitalverhältnissen und dem
Marktverhalten der Geschäftsbereiche und ihrer unterschiedlichen Aktivitäten, die vollkommen
dezentralisiert und eigenständig funktioniert und ihre Entscheidungen getroffen hätten. Als
Muttergesellschaft der Alstom‑Gruppe habe Alstom, und sei es nur in personeller, organisatorischer
und fachkundiger Hinsicht, nicht über die Mittel verfügt, entscheidend die Geschäftspolitik dieser
Geschäftsbereiche zu bestimmen. Die Gesellschaft habe sich daher darauf beschränkt, über ihren
Exekutivausschuss die allgemeine Strategie und die in ihnen zu erreichenden finanziellen Ziele, die
ihren Tätigkeiten innewohnenden geschäftlichen Risiken sowie die Entscheidungen der mit ihnen
betrauten operativen Tochtergesellschaften zu bestimmen und zu überwachen, wenn sie ein
finanzielles Risiko für die Alstom‑Gruppe insgesamt hätten bedeuten können. Der „Geschäftsbereich
T&D“ der Alstom‑Gruppe habe somit seine eigenen Regeln entwickelt und bestimmt, wie seine
unterschiedlichen geschäftlichen Aktivitäten zu strukturieren und zu verwalten seien. Insbesondere
beim Betrieb der GIS‑Geschäfte habe sich die Rolle von Alstom darauf beschränkt, im
Exekutivkommitee und auf der Grundlage einer kurzen Information die Angebotsentwürfe in Bezug auf
GIS‑Vorhaben zu genehmigen, die eine bestimmte Schwelle überstiegen oder für die Alstom‑Gruppe
bestimmte „erhebliche Risiken“ mit sich gebracht hätten. In diesem Zusammenhang sei es für Alstom
in Anbetracht der beschränkten Informationen, über die die Gesellschaft verfügt habe, gänzlich
unmöglich gewesen, die Beteiligung eines Teils des „Geschäftsbereichs T & D“ der Alstom‑Gruppe an
der Zuwiderhandlung festzustellen. Die wenigen Personen, die an den Aktivitäten des GIS‑Geschäfts
beteiligt gewesen seien und zu den operativen Tochtergesellschaften gehört hätten, die mit diesen
Aktivitäten betraut gewesen seien, nämlich zur Alstom T&D SA und zur Alstom T&D AG, und die an den
Kartellsitzungen teilgenommen hätten, hätten in Unkenntnis von Alstom und deren Führungspersonal
gehandelt.
94 Ihre in Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgetragene Argumentation hat Alstom
auf verschiedene Unterlagen gestützt, die in der Rechtssache T‑121/07 auch zu den Akten gereicht
worden sind und für die eine vertrauliche Behandlung bewilligt worden ist (siehe oben, Randnrn. 19
und 38). Es handelt sich dabei um das „Information Memorandum“ (Informationsmemorandum), das im
März 2003 für den Verkauf des „Geschäftsbereichs T & D“ der Alstom‑Gruppe an die Areva‑Gruppe
verfasst wurde, um eine Abschrift der internen Anweisungen des genannten Geschäftsbereichs, die ab
1999 auf der Internetseite der Alstom‑Gruppe verfügbar waren, um das „e-Book“ von Alstom, zwei nicht
ausgefüllte Vordrucke zur Genehmigung von Angeboten für GIS‑Vorhaben und schließlich eine Abschrift
der Protokolle sämtlicher Sitzungen des Exekutivausschusses der Alstom‑Gruppe zwischen Anfang
1999 und Ende 2003.
95 In Randnr. 348 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission festgestellt, dass Alstom in den
Nrn. 90 bis 150 ihrer in den Randnrn. 345 bis 347 der angefochtenen Entscheidung kurz
zusammengefassten Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte keine befriedigenden
Erklärungen oder überzeugenden Argumente vorgebracht habe, aus denen man habe schließen
können, dass die Gesellschaft nicht in der Lage gewesen sei, entscheidenden Einfluss auf die
Geschäftspolitik ihrer im Geschäftsbereich T & D tätigen Tochtergesellschaften auszuüben.
96 Die Verfahrensbeteiligten streiten sich erstens darüber, ob die Kommission rechtlich hinreichend die
Zurückweisung der von Alstom im Verwaltungsverfahren vorgelegten Beweise als nicht hinreichend
beweiskräftig begründet hat.
97 In den Randnrn. 350 bis 356 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission im Einzelnen die
Gründe dargelegt, aus denen sie der Ansicht war, dass die von Alstom im Lauf des
Verwaltungsverfahrens vorgelegten Beweise, und zwar insbesondere im Hinblick auf diesen
widersprechende, von den Gesellschaften der Areva‑Gruppe vorgelegte Beweise, nicht hinreichend
beweiskräftig gewesen seien. In den Randnrn. 350 bis 352 der angefochtenen Entscheidung hat die
Kommission festgestellt, dass die Übertragung von Funktionen geschäftlicher Art auf der Ebene des
„Geschäftsbereichs T & D“ oder der GIS‑Geschäfte der Alstom‑Gruppe Alstom nicht ihrer Haftung
entheben könne, da diese Gesellschaft selbst eingeräumt habe, dass sie in der Zeit der
Zuwiderhandlung sämtliche GIS‑Vorhaben zu genehmigen gehabt habe, die eine bestimmte Schwelle
überstiegen oder für die Alstom‑Gruppe bestimmte „erhebliche Risiken“ mit sich gebracht hätten. In
Anbetracht der empfindlichen Geldbuße, die der französische Conseil de la concurrence mit seiner
Entscheidung vom 1. März 1988 verhängt habe, sei es unwahrscheinlich gewesen, dass Alstom einen
Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht nicht als erhebliches Risiko erkannt haben sollte, das eine
verstärkte Wachsamkeit rechtfertige. In den von Alstom vorgelegten Beweisen dafür, dass innerhalb
der Alstom‑Gruppe die betriebliche Organisation gegenüber der Rechtsstruktur Vorrang habe, lasse
sich außerdem ein Beleg dafür sehen, dass Alstom über die Betriebsleiter des „Geschäftsbereichs
T & D“ der Alstom‑Gruppe, die ihr zugeordnet und ihr gegenüber berichtspflichtig gewesen seien,
einen entscheidenden Einfluss auf die Tätigkeiten im GIS‑Geschäft ihrer im Geschäftsbereich T & D
tätigen Tochtergesellschaften ausgeübt habe. In den Randnrn. 354 bis 356 der angefochtenen
Entscheidung hat die Kommission außerdem die Behauptung Alstoms für wenig glaubhaft erachtet,
wonach die Führungskräfte über die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung nicht informiert gewesen seien, und zwar in Anbetracht der von den Gesellschaften
der Areva‑Gruppe vorgelegten Beweise, die belegten, dass mehrere Personen gleichzeitig oder
nacheinander Führungspositionen bei Alstom oder bei Muttergesellschaften und in den
Tochtergesellschaften der Alstom‑Gruppe ausgeübt hatten, und in Anbetracht dessen, dass die
verschiedenen Tochtergesellschaften, die nacheinander innerhalb der Alstom‑Gruppe die
GIS‑Geschäfte betrieben hätten, immer unmittelbar oder mittelbar zu 100 % von Alstom oder ihren
Vorgängergesellschaften gehalten worden seien.
98 Zwar weist Alstom zu Recht darauf hin, dass die Kommission in den Randnrn. 350 bis 356 der
angefochtenen Entscheidung nicht im Einzelnen sämtliche rechtlichen und tatsächlichen Gründe
diskutiert, die sie im Lauf des Verwaltungsverfahrens vorgetragen hat, doch enthält die angefochtene
Entscheidung eine hinreichende Begründung, anhand deren Alstom erkennen konnte, dass die
Kommission der Ansicht war, dass diese Beweismaterialien nicht beweiskräftig gewesen seien, und
dass sie sie demzufolge für persönlich für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung in der Zeit vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 verantwortlich hielt. Denn das
behauptete Fehlen einer Begründung hat im vorliegenden Fall Alstom nicht daran gehindert, vor dem
Gericht vorzutragen, dass die rechtlichen und tatsächlichen Gründe, die sie im Lauf des
Verwaltungsverfahrens vorgetragen habe, zeigten, dass ihre im Geschäftsbereich T & D tätigen
Tochtergesellschaften eigenständig ihr Marktverhalten im betreffenden Zeitraum bestimmt hätten und
dass somit die Haftungsvermutung, die sich daraus ergebe, dass die Muttergesellschaft das gesamte
Kapital ihrer Tochtergesellschaften halte, vor der Kommission widerlegt worden sei. Es hindert auch
das Gericht nicht daran, seine Rechtmäßigkeitskontrolle der angefochtenen Entscheidung auszuüben,
soweit diese sich auf die genannte Vermutung stützt, um die Zuwiderhandlung Alstom anzulasten.
99 Die Rüge eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht, die Alstom im Rahmen des dritten
Klagegrundes vorgetragen hat, ist daher als unbegründet zurückzuweisen.
100 Soweit Alstom in der mündlichen Verhandlung versucht hat, die ursprünglich zu diesem Aspekt der
angefochtenen Entscheidung vorgetragenen Rügen auszuweiten, indem sie einen Verstoß gegen den
Grundsatz der Beachtung der Verteidigungsrechte und den Grundsatz der Gleichheit der
Verfahrensbeteiligten in einem Verfahren vor dem Unionsrichter geltend gemacht hat, hat sie damit
neue Angriffsmittel vorgebracht, die nicht auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt sind, die
erst während des Verfahrens zutage getreten sind. Nach Art. 48 § 2 Abs. 1 der Verfahrensordnung
sind derartige Angriffsmittel als unzulässig zurückzuweisen.
101 Die Verfahrensbeteiligten streiten zweitens darüber, ob das Vorbringen von Alstom in den Nrn. 90 bis
150 ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, wie es in den Randnrn. 345 bis 347 der
angefochtenen Entscheidung kurz zusammengefasst worden ist, und die zur Untermauerung dieser
Antwort vorgelegten Unterlagen geeignet waren, die Haftungsvermutung zu widerlegen, die sich
daraus ergibt, dass die Muttergesellschaft das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft hielt, und zu
beweisen, dass Alstom T&D SA und Alstom T&D AG trotzdem zum Zeitpunkt der Zuwiderhandlung ihr
Marktverhalten eigenständig gegenüber ihrer Muttergesellschaft bestimmten.
102 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die von Alstom zur Untermauerung ihrer Antwort auf die Mitteilung
der Beschwerdepunkte vorgelegten Unterlagen belegen, dass die betriebliche Organisation in der
Alstom‑Gruppe Vorrang gegenüber der Rechtsstruktur hatte. Die Verfahrensbeteiligten selbst gehen
im Hinblick auf diese Beweisstücke übereinstimmend davon aus, dass die Organisation der
Abteilungen oder der betrieblichen Bereiche Vorrang vor der rechtlichen Struktur hatte. Das von
Alstom vorgelegte „e-Book“, das die Weisungen und allgemeinen Politiken der Alstom‑Gruppe, die der
Generaldirektor von Alstom festgelegt hat, enthält, bestätigt unter Punkt 3.1.1 Abs. 3, dass
„[])“. Insbesondere ergibt sich aus Punkt 1.4 des „Information Memorandum“, dass vor
seiner Veräußerung an die Areva‑Gruppe der Geschäftsbereich T & D „[]“ innerhalb der
Alstom‑Gruppe, so dass „[]“. Daher ist von den Verfahrensbeteiligten nicht wirksam
bestritten worden, dass die Alstom T&D SA und die Alstom T&D AG während der fraglichen Zeiträume,
nämlich vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 und vom 22. Dezember 2003 bis 8. Januar 2004,
Inhaber von Rechten in Bezug auf die Sach- und Humanressourcen waren, die an den Tätigkeiten auf
dem Gebiet der GIS‑Geschäfte beteiligt waren und im vorliegenden Fall dem betroffenen Unternehmen
entsprachen (siehe oben, Randnr. 71; vgl. in diesem Sinne auch Schlussanträge von Generalanwältin
Kokott in der Rechtssache ETI u. a., Urteil oben in Randnr. 65 angeführt, Nr. 31). Daher lässt sich die
Frage der Bestimmung der vom betroffenen Unternehmen verfolgten Politik während der vorgenannten
Zeiträume nicht von derjenigen der Bestimmung der von der Alstom T&D SA und der Alstom T&D AG
während dieser Zeit verfolgten Politik unterscheiden.
103 Außerdem erlauben die von Alstom vorgelegten Unterlagen nicht die Feststellung, dass der
„Geschäftsbereich T & D“ der Alstom‑Gruppe und innerhalb dessen die GIS‑Geschäfte vollkommen
dezentral und eigenständig innerhalb der Alstom‑Gruppe betrieben worden wären. Vielmehr belegen
diese Unterlagen, dass die Geschäftsleitung der Alstom‑Gruppe, die Alstom unterstellt war, an der
Festlegung der Ausrichtung des Marktverhaltens im „Geschäftsbereich T & D“ der Alstom‑Gruppe und
seiner verschiedenen Sparten beteiligt war und dass sie ständig überwachte, dass in dem genannten
Geschäftsbereich und seinen verschiedenen Sparten diese Ausrichtung beibehalten wurde.
104 Das „e-Book“ beschreibt in seinen Punkten 3.1, 2.1 und 3.1, 2.2 den Aufbau der Geschäftsleitung der
Alstom‑Gruppe. []
105 []
106 []
107 []
108 []
109 []
110 Aufgrund der organisatorischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Verbindungen, die die von Alstom
während des Verwaltungsverfahrens vorgelegten Beweismaterialien zum einen zwischen der
Geschäftsleitung der Alstom‑Gruppe, die Alstom untersteht, und zum anderen den GIS‑Geschäften der
genannten Gruppe erkennen lassen, die zu dieser Zeit von der Alstom T&D SA und der Alstom T&D AG
über den „Geschäftsbereich T & D“ betrieben wurden, konnte die Kommission zu Recht in der
angefochtenen Entscheidung davon ausgehen, dass diese Beweise es nicht erlaubten, die
Haftungsvermutung zu widerlegen, die sich daraus ergibt, dass das gesamte Kapital der
Tochtergesellschaften von ihrer Muttergesellschaft gehalten wurde. Somit konnte die Kommission
ebenfalls zu Recht in der angefochtenen Entscheidung Alstom die Verantwortlichkeit für die
Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 7. Dezember 1992
bis 8. Januar 2004 anlasten.
111 Soweit das vorstehende Ergebnis zum einen zeigt, dass Alstom niemals aufgehört hat, über völlig oder
fast völlig in ihrem Eigentum stehende Tochtergesellschaften das betroffene Unternehmen bis zur
konzernübergreifenden Veräußerung am 8. Januar 2004 zu leiten, und zum anderen, dass Alstom
insoweit bis zu diesem Datum persönlich für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
festgestellten Zuwiderhandlung verantwortlich war, erlaubt es auch, auf die Rüge einer
rechtsfehlerhaften Nichtanwendung des sogenannten Kriteriums „der wirtschaftlichen Kontinuität“ auf
die Umstrukturierungsvorgänge innerhalb der Gruppe am 7. Dezember 1992 und am 22. Dezember
2003 (siehe oben, Randnr. 79) einzugehen und diese Rüge in Anbetracht der Beziehungen zwischen
Alstom und ihren im Geschäftsbereich T & D tätigen Tochtergesellschaften als unerheblich
zurückzuweisen.
112 Schließlich ermöglicht dieses Ergebnis auch die Zurückweisung wegen Unbegründetheit der im
Rahmen des siebten Klagegrundes geltend gemachten Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz
der Beachtung der Verteidigungsrechte, was bestimmte zusätzliche Beweise betrifft, die die
Kommission in der angefochtenen Entscheidung zur Stützung der Haftungsvermutung angeführt hat,
die sich daraus ergibt, dass die Muttergesellschaft das gesamte Kapital der Tochtergesellschaft hielt
(siehe oben, Randnr. 91). Zum einen kann ein Verstoß gegen den Grundsatz der Beachtung der
Verteidigungsrechte nur dann vorliegen, wenn aufgrund eines von der Kommission begangenen
Fehlers die Möglichkeit besteht, dass das von ihr durchgeführte Verwaltungsverfahren zu einem
anderen Ergebnis hätte führen können (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 2. Oktober
2003, Thyssen Stahl/Kommission, C‑194/99 P, Slg. 2003, I‑10821, Randnr. 31 und die dort angeführte
Rechtsprechung). Zum anderen hat Alstom nicht dargetan, dass sie sich besser hätte verteidigen
können, wenn sie im Verwaltungsverfahren gewusst hätte, dass die Kommission die zusätzlichen
Beweise zur Stützung der Haftungsvermutung geltend machen wollte, die sich daraus ergibt, dass die
Muttergesellschaft das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaften hielt (vgl. in diesem Sinne das
Urteil Thyssen Stahl/Kommission, Randnr. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Zum Übergang der persönlichen Verantwortlichkeit von Alstom wegen Teilnahme des betroffenen
Unternehmens an der Zuwiderhandlung im Zeitraum vom 15. April 1988 bis 8. Januar 2004 auf die
Gesellschaften der Areva‑Gruppe in Anbetracht der Veräußerung dieses Unternehmens an die
Areva‑Gruppe
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
113 Alstom wirft im Rahmen des zweiten Teils ihres vierten Klagegrundes, mit dem ein Rechtsfehler gerügt
wird, der Kommission vor, diese habe in der angefochtenen Entscheidung die Verantwortlichkeit, die
Alstom wegen der Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung im Zeitraum
vom 15. April 1988 bis 8. Januar 2004 getroffen habe, nicht in Anbetracht der konzernübergreifenden
Veräußerung vom 8. Januar 2004 auf die Areva‑Gruppe übertragen.
114 Alstom zufolge ist der Kommission bei der Anwendung der Regeln für die Zurechnung einer
Zuwiderhandlung in Art. 81 EG und Art. 53 EWR‑Abkommen ein Rechtsfehler unterlaufen, soweit sie
Alstom die Verantwortlichkeit für die vom betroffenen Unternehmen begangene Zuwiderhandlung vom
15. April 1988 bis 8. Januar 2004 angelastet habe, während mit dem Übertragungsvertrag, der am 25.
September 2003 geschlossen worden sei, die meisten Aktiva und Passiva, Angestellten und
Einstandspflichten des „Geschäftsbereichs T & D“ der Alstom‑Gruppe in der T & D Holding Etranger
umstrukturiert worden seien, die mit Wirkung zum 8. Januar 2004 an die Areva‑Gruppe veräußert und
zur Areva T&D Holding geworden sei, die das gesamte Kapital der Alstom T&D SA und der Alstom T&D
AG (zuvor unter Alstom T&D SA und Alstom T&D AG firmierend) gehalten habe. Die Angaben zur
Bestimmung der von dem streitigen Sachverhalt betroffenen juristischen Personen im Schreiben vom
4. Dezember 2006 (siehe oben, Randnr. 26), das in der Akte der Rechtssache T‑121/07 enthalten sei,
zeigten, dass sämtliche Aktiva, Angestellte und Passiva des „Geschäftsbereichs T & D“ der
Alstom‑Gruppe auf die Areva‑Gruppe übertragen worden seien. Dies erkläre, dass im
Übertragungsvertrag für die im „Geschäftsbereich T & D“ in der Vergangenheit entstandenen
Einstandspflichten eine Garantieklausel vereinbart worden sei. Folglich hätte allein den Gesellschaften
der Areva‑Gruppe die Verantwortlichkeit für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung für den gesamten Zeitraum vom 15. April 1988 bis 8. Januar 2004 angelastet werden
müssen.
115 Die Kommission tritt dem Vorbringen von Alstom entgegen und beantragt, die vorliegende Rüge
zurückzuweisen.
– Würdigung durch das Gericht
116 Wie aus der vorstehend in Randnr. 65 erwähnten Rechtsprechung hervorgeht, hat grundsätzlich die
Person, die das Unternehmen zu dem Zeitpunkt leitete, zu dem es an der Zuwiderhandlung beteiligt
war, für diese Zuwiderhandlung einzustehen, selbst wenn das genannte Unternehmen am Tag des
Erlasses der die Zuwiderhandlung feststellenden Entscheidung unter der Verantwortlichkeit oder
Leitung einer anderen Person steht.
117 Im vorliegenden Fall hat die Kommission Alstom persönlich die Verantwortlichkeit für die Beteiligung
des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 8. Januar
2004 zugewiesen, und zwar gesamtschuldnerisch mit der Areva T&D SA für die Zeit vom 7. Dezember
1992 bis 8. Januar 2004 und mit der Areva T&D AG für die Zeit vom 22. Dezember 2002 bis 8. Januar
2004. Während dieser Zeiträume war es, wie vorstehend in den Randnrn. 110 und 111 dargelegt,
gerechtfertigt, davon auszugehen, dass Alstom dieses Unternehmen über die Alstom T&D SA und die
Alstom T&D AG, ihre 100%igen Tochtergesellschaften, die die GIS‑Geschäfte betrieben, leitete.
118 Von den Verfahrensbeteiligten wird nicht bestritten, dass Alstom ab dem 8. Januar 2004 und gemäß
den Bestimmungen des Übertragungsvertrags die Kontrolle über die Alstom T&D SA und die Alstom
T&D AG verloren hat. Von diesem Tag an stand somit das betroffene Unternehmen nicht mehr unter
ihrer Verantwortlichkeit oder Leitung.
119 Daher konnte die Kommission zu Recht die Verantwortlichkeit für die Beteiligung des betroffenen
Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 8. Januar 2004 der Person
zuweisen, die über ihre 100%igen Tochtergesellschaften dieses Unternehmen leitete. Ihr ist daher kein
Rechtsfehler unterlaufen, als sie Alstom persönlich für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens
an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 8. Januar 2004 verantwortlich machte und
davon absah, diese Verantwortlichkeit allein deshalb auf die Gesellschaften der Areva‑Gruppe zu
übertragen, weil das betroffene Unternehmen ab dem 9. Januar 2004 unter deren Verantwortlichkeit
oder Leitung stand.
120 Daher ist die vorliegende Rüge zurückzuweisen.
Zur persönlichen Verantwortlichkeit der Areva T&D SA und der Areva T&D AG für die Beteiligung des
betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in den Zeiträumen vom 7. Dezember 1992 bis 8.
Januar 2004 bzw. vom 22. Dezember 2003 bis 8. Januar 2004
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
121 Die Gesellschaften der Areva‑Gruppe machen mit dem ersten Teil ihres ersten Klagegrundes geltend,
dass die Kommission in der angefochtenen Entscheidung die ihr obliegende Begründungspflicht
verletzt habe, da sie in widersprüchlicher Weise und jedenfalls unzureichend begründet habe,
weswegen die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in den Zeiträumen
vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 bzw. vom 22. Dezember 2003 bis 8. Januar 2004 der Areva
T&D SA und der Areva T&D AG zugerechnet worden sei. In den Randnrn. 368 und 369 der
angefochtenen Entscheidung, sehe man diese in Verbindung mit der in Randnr. 337 der Entscheidung
angeführten Rechtsprechung, habe sich die Kommission widersprochen, indem sie zum einen darauf
abgestellt habe, dass Alstom einen entscheidenden Einfluss auf ihre 100%igen Tochtergesellschaften
ausgeübt habe, die in den Zeiträumen vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 und vom 22.
Dezember 2003 bis 8. Januar 2004 im Geschäftsbereich T & D tätig gewesen seien, und zum anderen
darauf, dass dieselben Tochtergesellschaften während der genannten Zeiträume eigenständig auf
dem Markt tätig gewesen seien. Jedenfalls habe die Kommission nicht rechtlich hinreichend die
Feststellung eines eigenständigen Marktverhaltens der genannten Gesellschaften während der
betreffenden Zeiträume begründet.
122 Die Gesellschaften der Areva‑Gruppe machen im Rahmen des ersten Teils ihres zweiten Klagegrundes
außerdem der Kommission den Vorwurf, sie habe in der angefochtenen Entscheidung die sich aus
Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53 EWR‑Abkommen ergebenden Regeln für die Zurechnung der
Zuwiderhandlungen verletzt, da sie nicht Alstom, die das genannte Unternehmen in der Zeit der
Begehung der Zuwiderhandlung geleitet habe, die ausschließliche Verantwortlichkeit für die
Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung zugewiesen habe.
123 Schließlich tragen die Gesellschaften der Areva‑Gruppe im Rahmen des zweiten Teils ihres zweiten
Klagegrundes im Wesentlichen vor, dass die Kommission in der angefochtenen Entscheidung gegen
den allgemeinen Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen habe, da sie die Verantwortlichkeit für die
Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in den fraglichen Zeiträumen
persönlich der Areva T&D SA und der Areva T&D AG zugewiesen habe, die das genannte Unternehmen
zum Zeitpunkt der Feststellung der Zuwiderhandlung geleitet hätten. Die Kommission habe nämlich in
der angefochtenen Entscheidung eine neue Sanktionspolitik für eine vor Erlass dieser Entscheidung
begangene Zuwiderhandlung angewandt.
124 Die Kommission tritt dem Vorbringen der Gesellschaften der Areva‑Gruppe entgegen und beantragt,
die vorgenannten Klagegründe oder Rügen zurückzuweisen.
– Würdigung durch das Gericht
125 Als Erstes ist der erste Teil des ersten Klagegrundes zu prüfen, der von den Gesellschaften der
Areva‑Gruppe vorgebracht und aus einem Verstoß gegen die Begründungspflicht hergeleitet wird, die
sich auf die Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift bezieht (siehe oben, Randnr. 88).
126 Wie bereits vorstehend in Randnr. 88 dargelegt, müssen Einzelfallentscheidungen der Kommission,
um den Anforderungen von Art. 253 EG zu genügen, den Betroffenen ermöglichen, zur Wahrnehmung
ihrer Rechte die Gründe für die erlassene Maßnahme zu erkennen, und den Unionsgerichten die
Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgabe ermöglichen. Sie müssen daher widerspruchsfrei und hinreichend
begründet sein (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil des Gerichtshofs vom 8. Februar 2007,
Groupe Danone/Kommission, C‑3/06 P, Slg. 2007, I‑1331, Randnrn. 45 und 46).
127 In den Randnrn. 333 bis 339 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission unter Bezugnahme
auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs und des Gerichts die Regeln für die Zurechnung der
Zuwiderhandlungen gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR‑Abkommen angegeben, die sie in der
angefochtenen Entscheidung angewandt hat. Den Randnrn. 368 und 369 der angefochtenen
Entscheidung zufolge hat die Kommission zunächst befunden, dass die Areva T&D SA und die Areva
T&D AG unter ihrer damaligen Firma unmittelbar an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen seien, um
diese beiden Gesellschaften gesamtschuldnerisch mit Alstom persönlich für die Beteiligung des
betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung für die Zeiträume vom 7. Dezember 1992 bis 8.
Januar 2004 bzw. vom 22. Dezember 2003 bis 8. Januar 2004 haftbar zu machen. Die Kommission hat
somit berücksichtigt, dass sie für das betroffene Unternehmen, wie in den Randnrn. 20, 21, 357, 358,
366 und 367 der angefochtenen Entscheidung festgestellt, zum Zeitpunkt seiner Beteiligung an der
Zuwiderhandlung unmittelbar verantwortlich waren. Sodann hat die Kommission festgestellt, dass die
Areva T&D SA und die Areva T&D AG unter ihrer damaligen Firma mit Alstom, die 100 % ihrer Anteile
hielt und prinzipiell ihr Marktverhalten bestimmte, eine einheitliche wirtschaftliche Einheit bildeten. Die
Kommission hat folglich die Ansicht vertreten, dass die Areva T&D SA und die Areva T&D AG gemäß
dem Grundsatz der persönlichen Verantwortlichkeit (siehe oben, Randnr. 65) gesamtschuldnerisch mit
Alstom persönlich für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in den
Zeiträumen vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 bzw. vom 22. Dezember 2003 bis 8. Januar 2004
haftbar zu machen seien.
128 Die Kommission nimmt zwar in den Randnrn. 357 und 366 bis 367 der angefochtenen Entscheidung
auf die persönliche Verantwortlichkeit der ehemaligen, im Geschäftsbereich T & D der Alstomgruppe
tätigen Tochtergesellschaften Bezug, verweist aber auf kein eigenständiges Verhalten der genannten
Tochtergesellschaften gegenüber ihrer ehemaligen Muttergesellschaft Alstom. Im vorliegenden Fall
lässt sich ein solcher Verweis auch nicht implizit in der Bezugnahme auf die in Randnr. 337 der
angefochtenen Entscheidung angeführte Rechtsprechung sehen, da die Kommission in Randnr. 369
der Entscheidung ausdrücklich festgestellt hat, dass die Areva T&D SA und die Areva T&D AG unter
ihrer damaligen Firma „nicht in der Lage waren, selbstständige Entscheidungen zu treffen“.
129 Nach alledem ist die ausschließliche Verantwortlichkeit von Alstom für die Beteiligung des betroffenen
Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 als
Leitung des genannten Unternehmens in der angefochtenen Entscheidung rechtlich hinreichend und
widerspruchsfrei begründet worden. Folglich ist der erste Teil des ersten Klagegrundes der
Gesellschaften der Areva‑Gruppe, der aus einem Verstoß gegen die Begründungspflicht hergeleitet
wird, als unbegründet zurückzuweisen.
130 Als Zweites sind die beiden Teile des zweiten Klagegrundes und der zweite Teil des vierten
Klagegrundes zu prüfen, die die Gesellschaften der Areva‑Gruppe vorgebracht haben, mit denen sie in
der Sache beanstanden, dass die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung
für die Zeiträume vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 bzw. vom 22. Dezember 2003 bis 8. Januar
2004 der Areva T&D SA und der Areva T&D AG zugerechnet wird.
131 Es ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des Verbots der Rückwirkung von Strafvorschriften ein
allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamer Grundsatz ist, der auch in Art. 7 der am 4.
November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) verankert ist und zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen
gehört, deren Wahrung die Unionsgerichte zu sichern haben (Urteile des Gerichtshofs vom 10. Juli
1984, Kirk, 63/83, Slg. 1984, 2689, Randnr. 22, und vom 28. Juni 2005, Dansk Rørindustri
u. a./Kommission, C‑189/02 P, C‑202/02 P, C‑205/02 P bis C‑208/02 P und C‑213/02 P, Slg. 2005, I‑5425,
Randnr. 202; Urteile des Gerichts vom 20. März 2002, LR AF 1998/Kommission, T‑23/99, Slg. 2002,
II‑1705, Randnr. 219, und vom 9. Juli 2003, Cheil Jedang/Kommission, T‑220/00, Slg. 2003, II‑2473,
Randnr. 43).
132 Selbst wenn nach Art. 15 Abs. 4 der Verordnung Nr. 17 und nach Art. 23 Abs. 5 der Verordnung Nr.
1/2003 Entscheidungen der Kommission, mit denen Geldbußen wegen Verstoßes gegen das
Wettbewerbsrecht festgesetzt werden, nicht strafrechtlicher Art sind, muss die Kommission gleichwohl
in jedem Verwaltungsverfahren, das in Anwendung des Wettbewerbsrechts zu Sanktionen führen kann,
die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts und insbesondere das Rückwirkungsverbot beachten
(Urteil Cheil Jedang/Kommission, oben in Randnr. 131 angeführt, Randnr. 44).
133 Demnach müssen die Regeln, nach denen natürlichen oder juristischen Personen im
Wettbewerbsrecht Zuwiderhandlungen angelastet werden, denen entsprechen, die zur Zeit der
Begehung der Zuwiderhandlung vorgesehen waren (vgl. entsprechend für die bei der Sanktion von
Zuwiderhandlung geltenden Regeln Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 131
angeführt, Randnr. 202; Urteile LR AF 1998/Kommission, oben in Randnr. 131 angeführt, Randnr. 221,
und Cheil Jedang/Kommission, oben in Randnr. 131 angeführt, Randnr. 45). Auch wenn der Grundsatz
des Rückwirkungsverbots eine schrittweise Klärung der Vorschriften über die strafrechtliche
Verantwortlichkeit nicht untersagt, steht er doch der rückwirkenden Anwendung einer neuen
Auslegung dieser Vorschriften entgegen, deren Ergebnis insbesondere unter Berücksichtigung der
älteren Rechtsprechung nicht hinreichend vorhersehbar war (vgl. in diesem Sinne Urteil Dansk
Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 131 angeführt, Randnrn. 217 und 218).
134 Nach der Rechtsprechung sind, wenn mehrere Personen persönlich für die Beteiligung ein und
desselben Unternehmens im wettbewerbsrechtlichen Sinne an einer Zuwiderhandlung haften, diese
Personen als gesamtschuldnerisch für die genannte Zuwiderhandlung haftend anzusehen (vgl. in
diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs vom 6. März 1974, Istituto Chemioterapico Italiano und
Commercial Solvents/Kommission, 6/73 und 7/73, Slg. 1974, 223, Randnr. 41, und vom 16. November
2000, Metsä-Serla u. a./Kommission, C‑294/98 P, Slg. 2000, I‑10065, Randnrn. 33 und 34; Urteile des
Gerichts HFB u. a./Kommission, oben in Randnr. 66 angeführt, Randnrn. 54, 524 und 525, vom 15. Juni
2005, Tokai Carbon u. a./Kommission, T‑71/03, T‑74/03, T‑87/03 und T‑91/03, nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht, Randnr. 62, und Akzo Nobel u. a./Kommission, oben in Randnr. 64 angeführt,
Randnrn. 57 bis 62). Außerdem folgt aus diesen Urteilen, dass für die Beteiligung ein und desselben
Unternehmens an einer Zuwiderhandlung die Person, unter deren Verantwortlichkeit oder Leitung das
Unternehmen im Zeitpunkt der Zuwiderhandlung unmittelbar stand, und die Person, die dasselbe
Unternehmen im Zeitpunkt der Zuwiderhandlung mittelbar leitete, weil sie tatsächlich eine
Kontrollbefugnis über die erstgenannte Person ausübte und deren Marktverhalten bestimmte,
persönlich und gesamtschuldnerisch haftbar gemacht werden können. Die in den vorstehenden
Randnrn. 65 und 116 angeführte Rechtsprechung ist daher so zu verstehen, dass sie auf die
persönliche Verantwortlichkeit sowohl der Person, die das Unternehmen in der Zeit der
Zuwiderhandlung unmittelbar leitete, als auch der Person abstellt, die zur selben Zeit dieses
Unternehmen mittelbar leitete.
135 Die vorgenannte Rechtsprechung ist entsprechend zu Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen heranzuziehen.
136 Wie vorstehend in Randnr. 71 festgestellt, entspricht im vorliegenden Fall das von der angefochtenen
Entscheidung betroffene Unternehmen nicht, wie die Gesellschaften der Areva‑Gruppe vortragen, dem
„Geschäftsbereich T & D“ der Alstom‑Gruppe, der später an die Areva‑Gruppe veräußert wurde,
sondern umfasst sämtliche Mittel, die innerhalb dieses Geschäftsbereichs oder über diesen an den
GIS‑Geschäften beteiligt waren. Außerdem ist nicht wirksam bestritten worden, dass die Areva T&D SA
und die Areva T&D AG rechtlich Inhaber dieser Mittel während der fraglichen Zeiträume der
Zuwiderhandlungen und für diese Mittel unmittelbar verantwortlich waren (siehe oben, Randnr. 102).
Schließlich ist nachgewiesen, dass Alstom das Marktverhalten ihrer 100%igen, im Geschäftsbereich
T & D tätigen Tochtergesellschaften bestimmte und somit mittelbar das betroffene Unternehmen in
der Zeit der Begehung der Zuwiderhandlung leitete (siehe oben, Randnr. 110). Außerdem ergibt sich
aus den Randnrn. 358 und 371 der angefochtenen Entscheidung, dass die Areva T&D SA und Alstom
für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 7.
Dezember 1992 bis 21. Dezember 2003 gesamtschuldnerisch haftbar gemacht wurden und dass die
Areva T&D SA, die Areva T&D AG und Alstom für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung vom 22. Dezember 2003 bis 8. Januar 2004 gesamtschuldnerisch haftbar gemacht
wurden.
137 Außerdem ergibt sich aus der von den Gesellschaften der Areva‑Gruppe angeführten Rechtsprechung
und insbesondere aus den vorstehend in Randnr. 65 angeführten Urteilen des Gerichtshofs
Cascades/Kommission (Randnrn. 79 und 80) und vom 16. November 2000, KNP BT/Kommission
(C‑248/98 P, Slg. 2000, I‑9641, Randnr. 71), nicht, dass allein die ehemalige Muttergesellschaft, die
mittelbar über ihre Tochtergesellschaft das Unternehmen leitete, im Fall der Übertragung der Kontrolle
über die Tochtergesellschaft, die unmittelbar das Unternehmen leitete, das die Zuwiderhandlung
beging, persönlich für die Beteiligung dieses Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der vor der
Übertragung liegenden Zeit verantwortlich gemacht werden müsste. Im Übrigen geht es in der
vorgenannten Rechtsprechung im Kern um die Möglichkeit, der Erwerbergesellschaft eines
Unternehmens im wettbewerbsrechtlichen Sinne dessen Beteiligung an der Zuwiderhandlung für den
Zeitraum vor seiner Veräußerung zuzurechnen.
138 Da sich die Kommission mit der Entscheidung, dass die Areva T&D SA und die Areva T&D AG
persönlich und gesamtschuldnerisch mit Alstom für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens in
den Zeiträumen vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 und vom 22. Dezember 2003 bis 8. Januar
2004 haftbar gemacht werden konnten, im Einklang mit den Zurechnungsvorschriften für
Zuwiderhandlungen in Art. 81 EG und Art. 53 EWR‑Abkommen gehandelt hat, kann ihr nicht
vorgeworfen werden, insoweit gegen einen dieser Artikel verstoßen zu haben.
139 Ebenso wenig kann der Kommission vorgeworfen werden, sie habe in der angefochtenen
Entscheidung gegen den Grundsatz des Rückwirkungsverbots verstoßen, weil sie rückwirkend eine
neue Sanktionspolitik zur Anwendung gebracht habe. Die Regeln für die Zurechnung der
Zuwiderhandlungen, die im vorliegenden Fall von der Kommission angewandt wurden, ergeben sich
aus der Anwendung des Grundsatzes der persönlichen Verantwortlichkeit für Zuwiderhandlungen in
Art. 81 EG und in Art. 53 EWR‑Abkommen. Aus der in den vorstehenden Randnrn. 65, 116 und 134
angeführten Rechtsprechung geht hervor, dass derartige Regeln bereits anwendbar waren, als die
Zuwiderhandlung begangen wurde, und dass sie zwar zu dieser Zeit oder in der Folgezeit Gegenstand
bestimmter Klarstellungen oder Präzisionen gewesen sein mögen, dass diese Klarstellungen oder
Präzisionen aber nicht zu einer neuen Auslegung der genannten Regeln geführt haben, deren
Ergebnis nicht in Anbetracht der früheren Rechtsprechung vorhersehbar gewesen wäre. Folglich kann
in der angefochtenen Entscheidung selbst keine Umsetzung einer neuen Sanktionspolitik durch Erlass
neuer Regeln für die Zurechnung der Zuwiderhandlung in Art. 81 EG und Art. 53 EWR‑Abkommen
gesehen werden.
140 Der von den Gesellschaften der Areva‑Gruppe nicht bestrittene Umstand, dass diese Gesellschaften
in den Übertragungsvertrag eine Garantieklausel für Einstandspflichten aufgenommen haben, die
insbesondere das Risiko betrifft, dass der Areva T&D SA und der Areva T&D AG die Beteiligung des
betroffenen Unternehmens an einer wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung im Zeitraum vor der
Abtretung zugerechnet und dass gegen sie insoweit persönlich eine Sanktion verhängt wird, zeigt im
Übrigen, dass die Zurechnung der Zuwiderhandlung, zu der die Kommission in der angefochtenen
Entscheidung gelangt ist, vernünftigerweise selbst vor Erlass dieser Entscheidung für die
Gesellschaften der Areva‑Gruppe vorhersehbar war, und zwar im Hinblick auf die damals geltenden
Regeln für die Zurechnung von Zuwiderhandlungen.
141 Nach alledem sind die beiden Teile des zweiten Klagegrundes sowie der zweite Teil des vierten
Klagegrundes, die die Gesellschaften der Areva‑Gruppe vorgebracht haben, vollumfänglich als
unbegründet zurückzuweisen.
Zur persönlichen Verantwortlichkeit der Areva und der Areva T&D Holding als 100%ige
Muttergesellschaften der Areva T&D SA und der Areva T&D AG wegen Beteiligung des betroffenen
Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 9. Januar bis 11. Mai 2004
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
142 Die Gesellschaften der Areva‑Gruppe machen im Rahmen ihres dritten Klagegrundes geltend, dass die
Kommission in Art. 1 Buchst. e und f der angefochtenen Entscheidung gegen die Regeln für die
Zurechnung von Zuwiderhandlungen verstoßen habe, die sich aus Art. 81 Abs. 1 EG und Art. 53
EWR‑Abkommen ergäben, da sie ihnen die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung in der Zeit vom 9. Januar bis 11. Mai 2004 als 100%ige Muttergesellschaften der
Areva T&D SA und der Areva T&D AG zugerechnet habe, obwohl die Beweise, die sie im Lauf des
Verwaltungsverfahrens vorgelegt hätten, hinreichend beweiskräftig gewesen seien, um im
vorliegenden Fall die Haftungsvermutung zu widerlegen, die sich daraus ergibt, dass die
Muttergesellschaften das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaften hielten.
143 Die Kommission tritt dem Vorbringen der Gesellschaften der Areva‑Gruppe entgegen und beantragt
die Zurückweisung des vorgenannten Klagegrundes.
– Würdigung durch das Gericht
144 Aus den Randnrn. 370 und 371 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung sowie aus den Randnrn.
333 bis 337, 354 und 364, auf die Randnr. 370 verweist, geht hervor, dass die Kommission, als sie
Areva und die Areva T&D Holding gesamtschuldnerisch mit der Areva T&D SA und der Areva T&D AG für
die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 9. Januar bis
11. Mai 2004 haftbar machte, nicht nur auf die Haftungsvermutung Bezug genommen hat, die sich
daraus ergibt, dass eine Muttergesellschaft das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft hält,
sondern auch auf Angaben zum Sachverhalt, die Areva und die Areva T&D Holding im Lauf des
Verwaltungsverfahrens gemacht haben, um zu versuchen, die genannte Vermutung zu widerlegen
(siehe unten, Randnr. 148). So macht die Kommission geltend, dass die von Alstom vorgenommene
Ernennung eines neuen Mitglieds im Verwaltungsrat ihrer im Geschäftsbereich T & D tätigen
Tochtergesellschaften das Ergebnis stütze, dass durch die erstgenannte Gesellschaft ein
entscheidender Einfluss auf die Zweitgenannten ausgeübt worden sei, da, wie aus einer öffentlich
zugänglichen Information auf der Homepage der Areva‑Gruppe hervorgehe, dieses neue
Verwaltungsratsmitglied am 19. Januar 2004, also lediglich 10 Tage nach der konzernübergreifenden
Veräußerung, auch zum Direktor des „Geschäftsbereichs T & D“ der Areva‑Gruppe ernannt worden sei
und er gleichzeitig in das Exekutivkomitee der Areva‑Gruppe aufgenommen worden sei. Außerdem war
die Kommission in Bezug auf die konzerninternen Umstrukturierungsmaßnahmen der Ansicht, dass der
Firmenwechsel der im Geschäftsbereich T & D der Alstom‑Gruppe tätigen Tochtergesellschaften, der
unmittelbar nach der konzernübergreifenden Veräußerung stattgefunden habe und wodurch diese
Gesellschaften in Areva T&D SA und in Areva T&D AG umbenannt worden seien, belege, dass sie in die
Aeva‑Gruppe integriert worden seien. Jedenfalls macht die Kommission geltend, dass die von Areva und
Areva T&D Holding angeführten Tatsachen nicht bewiesen, dass diese Gesellschaften zur Zeit der
fraglichen Zuwiderhandlung keinen entscheidenden Einfluss auf ihre 100%igen Tochtergesellschaften
ausgeübt hätten, die im Geschäftsbereich T & D tätig gewesen seien.
145 Wie bereits vorstehend in Randnr. 86 dargelegt, wird, wenn eine Muttergesellschaft das gesamte
Kapital ihrer Tochtergesellschaft hält, vermutet, dass sie einen entscheidenden Einfluss auf deren
Marktverhalten ausübt, so dass sie persönlich für das genannte Marktverhalten verantwortlich
gemacht werden kann. Es ist Sache der Muttergesellschaft, die sich gegen die Entscheidung der
Kommission wenden will, die sie für die ihrer Tochtergesellschaft zurechenbare Zuwiderhandlung
verantwortlich macht, die Haftungsvermutung zu widerlegen, die sich daraus ergibt, dass sie das
gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaft hält, indem sie hinreichende Beweise beibringt, um
darzutun, dass diese Tochtergesellschaft ihr Marktverhalten tatsächlich eigenständig bestimmte
(Urteile Avebe/Kommission, oben in Randnr. 86 angeführt, Randnr. 136, und Akzo Nobel
u. a./Kommission, oben in Randnr. 64 angeführt, Randnr. 60; vgl. in diesem Sinne auch Urteil Stora
Kopparbergs Bergslags/Kommission, oben in Randnr. 65 angeführt, Randnr. 29).
146 Im vorliegenden Fall bestreiten Areva und Areva T&D Holding nicht die tatsächlichen Bewertungen in
der angefochtenen Entscheidung, wonach vom 9. Januar bis 11. Mai 2004 die Areva T&D SA und die
Areva T&D AG 100%ige Tochtergesellschaften waren. Diese Feststellungen allein berechtigten die
Kommission zu der Vermutung, dass die Areva T&D SA und die Areva T&D AG ihr Marktverhalten nicht
eigenständig gegenüber Areva und Areva T&D Holding bestimmten und dass sie somit mit den
Letztgenannten ein und dasselbe Unternehmen im wettbewerbsrechtlichen Sinne bildeten. Nach der
vorstehend in Randnr. 86 angeführten Rechtsprechung oblag es somit Areva und Areva T&D Holding,
die sich darauf beriefen, dass ihre im Geschäftsbereich T & D tätigen 100%igen Tochtergesellschaften
ihr Marktverhalten während der fraglichen Zeit eigenständig bestimmten, die Haftungsvermutung, die
sich daraus ergab, dass die Muttergesellschaften das gesamte Kapital ihrer Tochtergesellschaften
hielten, dadurch zu widerlegen, dass sie insoweit hinreichende Beweise vorlegten.
147 Somit ist zu prüfen, ob die von Areva und Areva T&D Holding im Lauf des Verwaltungsverfahrens
angeführten Tatsachen, auf die sie sich erneut in der Rechtssache T‑117/07 berufen, hinreichend
beweiskräftig sind, um die Haftungsvermutung, wie sie durch die vorgenannten ergänzenden
Tatsachen verstärkt wird, auf die sich die angefochtene Entscheidung stützt, dadurch zu widerlegen,
dass sie dartun, dass die Areva T&D SA und die Areva T&D AG ihr Marktverhalten tatsächlich
eigenständig bestimmt hatten.
148 Wie sich aus den Nrn. 246 bis 269 ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte ergibt,
haben Areva und Areva T&D Holding im Verwaltungsverfahren im Wesentlichen vorgetragen, dass sie
zwischen dem 9. Januar und dem 11. Mai 2004 davon abgesehen hätten, einen entscheidenden
Einfluss auf ihre 100%igen Tochtergesellschaften auszuüben, die im Geschäftsbereich T & D tätig
gewesen seien, da sie zu dieser Zeit auf diesem Gebiet und seinen verschiedenen Tätigkeitsfeldern
über keinerlei Erfahrung verfügt hätten. Dies werde dadurch belegt, dass sie die Betriebsleiter, die von
der Alstom‑Gruppe eingestellt und ausgebildet worden seien, in ihren Funktionen belassen hätten.
Lediglich ein Mitglied des Verwaltungsrats ihrer Tochtergesellschaften übe gleichzeitig auch bei ihnen
Funktionen aus. Davon abgesehen seien Areva und Areva T&D Holding, da die Veräußerung des
„Geschäftsbereichs T & D“ von der Alstom‑ an die Areva‑Gruppe mit zahlreichen, komplexen
Umstrukturierungsmaßnahmen einhergegangen sei, von denen einige erst nach dem 8. Januar 2004
zum Abschluss gelangen sollten, nicht in der Lage gewesen, zu diesem Zeitpunkt tatsächlich die
operationelle Kontrolle über diesen Geschäftsbereich und seine verschiedenen Tätigkeitsfelder zu
übernehmen. Die Gesellschaften der Areva‑Gruppe tragen ferner vor, es lasse sich vernünftigerweise
übernehmen. Die Gesellschaften der Areva‑Gruppe tragen ferner vor, es lasse sich vernünftigerweise
nicht vermuten, dass ein Schweizer Konzern sogleich und schon an dem Tag, an dem er einen neuen
Geschäftsbereich erwerbe, eine tatsächliche Kontrolle über diesen ausüben und feststellen könne,
dass er an einem Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht beteiligt sei. Ihnen könne insoweit – in
Anbetracht zum einen ihrer fehlenden Erfahrung im Geschäftsbereich T & D und bei den
GIS‑Geschäften und zum anderen angesichts der schriftlichen Versicherungen der Alstom‑Gruppe bei
der konzernübergreifenden Veräußerung dahin, dass es in der Vergangenheit keine Verstöße gegen
das Wettbewerbsrecht gegeben habe – keine Fahrlässigkeit vorgeworfen werden.
149 Dieses Vorbringen vermag jedoch weder bei einer Einzelbetrachtung noch bei einer
Gesamtbetrachtung zu beweisen, dass die Areva T&D SA und die Areva T&D AG ihr Marktverhalten
tatsächlich eigenständig gegenüber Areva und Areva T&D Holding bestimmten. Folglich ist der
Kommission in der angefochtenen Entscheidung kein Beurteilungsfehler unterlaufen, als sie dieses
Vorbringen als nicht beweiskräftig zurückwies.
150 Zum einen sind die Behauptungen der Gesellschaften der Areva‑Gruppe nicht substantiiert, dass
Areva und Areva T&D Holding in der Zeit vom 9. Januar bis 11. Mai 2004 nicht über eine hinreichende
Erfahrung im Geschäftsbereich T & D und bei den GIS‑Geschäften verfügt hätten, um tatsächlich einen
entscheidenden Einfluss auf das Verhalten der Areva T&D SA und der Areva T&D AG auszuüben. Die
Areva‑Gruppe war zwar vor der Veräußerung nicht im Geschäftsbereich T & D tätig und ging keinen
GIS‑Geschäften nach; auch ist allgemein die Eingliederung eines neuen Geschäftsbereichs in einen
Konzern ein heikler Vorgang. Daraus lässt sich jedoch nicht folgern, dass Areva und Areva T&D Holding
zwangsläufig darauf verzichtet hätten, zwischen dem 9. Januar und dem 11. Mai 2004 tatsächlich einen
entscheidenden Einfluss auf die Areva T&D SA und die Areva T&D AG auszuüben. Außerdem ist zu
berücksichtigen, dass die Ende 2003 durchgeführten Umstrukturierungen, wie sich aus den eigenen
schriftsätzlichen Äußerungen der Gesellschaften der Areva‑Gruppe in der Klageschrift in der
Rechtssache T‑117/07 oder ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, die der genannten
Klage als Anlage beigefügt sind, sowie den von diesen als Antwort auf das Auskunftsverlangen der
Kommission vom 20. September 2006 vorgelegten Unterlagen (siehe oben, Randnr. 24) ergibt, im am
25. September 2003 geschlossenen Übertragungsvertrag vereinbart und geplant worden waren.
Daher lässt sich nicht ausschließen, dass dieser Vertrag und seine Durchführung im Lauf des Jahres
2003 Areva und Areva T&D Holding die Gelegenheit boten, Kenntnisse im Geschäftsbereich T & D oder
über die GIS‑Geschäfte zu erwerben oder diese jedenfalls auszubauen. Außerdem geht sowohl aus den
Schriftsätzen der Kommission als auch aus den eigenen schriftsätzlichen Äußerungen der
Gesellschaften der Areva‑Gruppe in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und den
von dieser als Antwort auf das Auskunftsersuchen der Kommission vom 20. September 2006
vorgelegten Unterlagen hervor, dass Herr G., den sie als neues Mitglied in die Verwaltungsräte der
Areva T&D SA und der Areva T&D AG entsandt hatten und der ab dem 19. Januar 2004 ebenfalls
Präsident und Generaldirektor von Areva T&D und in dieser Funktion Präsident des „Sektors T & D“
und Mitglied des Exekutivkomitees der Areva‑Gruppe war, „außerhalb der Gruppe“ rekrutiert worden
war. Es lässt sich nicht ausschließen, dass diese externe Einstellung es Areva und Areva T&D Holding
ermöglicht hat, sich das Fachwissen zu verschaffen, das ihnen in dem betreffenden Bereich gefehlt
haben soll. Diese Einstellung einer neuen Führungskraft von außen zeigt keineswegs die
Eigenständigkeit der Areva T&D SA und der Areva T&D AG innerhalb der Areva‑Gruppe, sondern belegt
im Gegenteil, dass Areva und Areva T&D Holding sich eine Organiationsstruktur aufgebaut hatten, die
es ihnen erlaubte, eine tatsächliche Kontrolle über ihre 100%igen Tochtergesellschaften auszuüben,
die im Geschäftsbereich T & D tätig waren, und entscheidend deren Marktverhalten zu beeinflussen.
151 Zum anderen ist das Vorbringen der Gesellschaften der Areva‑Gruppe, Areva und Areva T&D Holding
hätten erst am 11. Mai 2004 Kenntnis von der Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung erhalten, selbst wenn seine Richtigkeit unterstellt wird, nicht geeignet, die
Eigenständigkeit des Marktverhaltens der Areva T&D SA und der Areva T&D AG in der Zeit vom 9.
Januar bis 11. Mai 2004 darzutun.
152 In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen ist der dritte Klagegrund der Gesellschaften der
Areva‑Gruppe als unbegründet zurückzuweisen.
Zur Frage einer Unterbrechung der Alstom zugerechneten Zuwiderhandlung zwischen September
1999 und März 2002
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
153 Alstom machte mit ihrem sechsten Klagegrund im Kern der Kommission den Vorwurf, sie habe gegen
die Beweisvorschriften zur Dauer einer Zuwiderhandlung, die sich aus Art. 23 Abs. 3 der Verordnung
Nr. 1/2003 und aus Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 ergäben, und gegen den Grundsatz der
Rechtssicherheit verstoßen, da die Kommission in Art. 1 Buchst. b der angefochtenen Entscheidung
festgestellt habe, dass die Zuwiderhandlung ununterbrochen vom 15. April 1988 bis 8. Januar 2004
fortgedauert und sich über einen Zeitraum von 15 Jahren und acht Monaten erstreckt habe, was eine
Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße, der ihr in Art. 2 Buchst. b und c der angefochtenen
Entscheidung auferlegt worden sei, um 155 % rechtfertige.
154 Alstom macht geltend, die Kommission habe nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen, dass das
Kartell nicht ein erstes Mal für 13 Monate vom 28. Oktober 1999 bis 15. Dezember 2000 und sodann
ein zweites Mal für 14 Monate vom 22. Januar 2001 bis 26. März 2002 unterbrochen gewesen sei, was
einer Gesamtdauer von 27,5 Monaten entspreche. Jeder dieser Zeiträume sei so lang, dass der
ununterbrochene Fortgang der Zuwiderhandlung durch die Kommission gemäß der Rechtsprechung
nicht vermutet werden könne (Urteil des Gerichts vom 20. März 2002, Dansk Rørindustri/Kommission,
T‑21/99, Slg. 2002, II‑1681, Randnr. 62). Der einzige von der Kommission zur Untermauerung eines
ununterbrochenen Fortdauerns der Zuwiderhandlung vorgebrachte Hinweis sei die Liste vom 12. Mai
2000 über die „Komiteesitzungen“, die zwischen dem 18. Mai 2000 und dem 17. Mai 2001 hätten
stattfinden sollen. Diese von ABB vorgelegte und in Randnr. 197 der angefochtenen Entscheidung
abgedruckte Liste sei allerdings kein hinreichender Beweis für die Fortdauer der Zuwiderhandlung
während der beiden streitigen Zeiträume, da zum einen nicht bestätigt sei, dass einige dieser
Sitzungen tatsächlich stattgefunden hätten, und zum anderen kein weiterer Anhaltspunkt in den Akten
belege, dass es bei diesen Sitzungen zu Zuwiderhandlungen gekommen sei. Außerdem habe die
Kommission den Beweis des wettbewerbswidrigen Gegenstands der in der Liste erwähnten Sitzungen
nicht erbracht, was jedoch nach der Rechtsprechung erforderlich sei (Urteil des Gerichts vom 5. April
2006, Degussa/Kommission, T‑279/02, Slg. 2006, II‑897, Randnrn. 116 ff.). Alstom trägt außerdem vor,
dass die Kommission zu ihren Lasten nicht auf die Gültigkeitsdauer bestimmter GIS‑Vorhaben als
Beweis für ihre Beteiligung am Kartell während der streitigen Zeiträume abstellen könne, da sie dies
gegenüber Siemens nicht getan habe, wie dies aus Randnr. 198 der angefochtenen Entscheidung
hervorgehe. Jedenfalls erlaube dieser Beweis nicht die Feststellung, dass die Zuwiderhandlung
während eines Zeitraums von 10 Monaten vom 17. Mai 2001 bis 26. März 2002 fortgedauert habe.
155 Im Rahmen ihres siebten Klagegrundes trägt Alstom außerdem vor, dass die Kommission in der
angefochtenen Entscheidung gegen den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte und Art. 27
Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003 verstoßen habe, indem sie insoweit Dokumente über eine am 24.
September 1999 geschlossene und bis 28. September 2001 gültige Vereinbarung über ein
GIS‑Vorhaben mit der Nummer [] berücksichtigt habe, zu denen sich Alstom nicht habe
äußern können.
156 Nach alledem trägt Alstom vor, dass die Dauer der Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung, die ihr zugerechnet werde, auf 13 Jahre und drei Monate verkürzt und die Erhöhung
des Grundbetrags der Geldbuße, die gegen sie verhängt worden sei, folglich auf 130 % herabzusetzen
sei.
157 Die Kommission tritt dem Vorbringen von Alstom entgegen und beantragt, die vorgenannten
Klagegründe und Rügen zurückzuweisen.
– Würdigung durch das Gericht
158 Aus den Randnrn. 2, 3, 248, 270 und 299 der angefochtenen Entscheidung geht hervor, dass die
Kommission den Gesellschaften, an die diese Entscheidung gerichtet ist, zum Vorwurf machte, an
einem komplexen, aber einheitlichen und fortgesetzten Verstoß gegen Art. 81 EG in der Zeit vom 15.
April 1988 bis 11. Mai 2004 und gegen Art. 53 EWR‑Abkommen in der Zeit vom 1. Januar 1994 bis 11.
Mai 2004 beteiligt gewesen zu sein, in dessen Rahmen sich diese Gesellschaften weltweit im Hinblick
auf den Verkauf von GIS‑Projekten über die Aufteilung der Märkte, die Zuteilung von Kontingenten und
Erhaltung der jeweiligen Marktanteile, die Zuteilung einzelner GIS‑Projekte an ausgewählte Hersteller
und die Manipulation der Ausschreibungsverfahren (Angebotsabsprache), um sicherzustellen, dass die
festgelegten Hersteller den jeweiligen Vertrag erhielten, die Festsetzung von Preisen durch komplexe
Vereinbarungen für nicht zugeteilte GIS‑Projekte, die Beendigung von Lizenzvereinbarungen mit
Nichtkartellmitgliedern und den Austausch sensibler Marktinformationen verständigt hätten.
159 In Randnr. 323 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission festgestellt, dass die
Vereinbarungen und/oder abgestimmten Verhaltensweisen zwischen den Herstellern von GIS
mindestens vom 15. April 1988 bis 11. Mai 2004 gedauert hätten. Aus den Randnrn. 324 und 326 der
angefochtenen Entscheidung in Verbindung mit ihrer Randnr. 358 und Art. 1 Buchst. b ihres
verfügenden Teils geht hervor, dass Alstom an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988,
dem Datum der Annahme und des Inkrafttretens des GQ‑Abkommens und des EQ‑Abkommens (siehe
oben, Randnrn. 29 und 31), bis 8. Januar 2004, dem Datum, an dem die Alstom‑Gruppe ihren
„Geschäftsbereich T & D“ an die Areva‑Gruppe veräußerte, beteiligt war.
160 In den Randnrn. 177 bis 216 der angefochtenen Entscheidung gibt die Kommission eine
„Chronologische Übersicht über die Entwicklung des Kartells“. Was die Entwicklung des Kartells
während der beiden streitigen Zeiträume, nämlich vom 28. Oktober 1999 bis 15. Dezember 2000 und
vom 22. Januar 2001 bis 26. März 2002 betrifft, hat die Kommission in den Randnrn. 178 und 179 der
angefochtenen Entscheidung Folgendes festgestellt:
„(178) Siemens unterbrach seine Mitwirkung in den Kartelltreffen im September 1999; Hitachi und
Schneider/VA TECH schlossen sich diesem Schritt 2000 an. Aus europäischer Sicht wirkte die
Abwesenheit von Siemens besonders destabilisierend, da es seit 1988 als Sekretariat des
E‑Komitees fungierte und sowohl innerhalb als auch außerhalb Europas über eine erhebliche
Marktpräsenz verfügte. Das Kartell führte seine Tätigkeiten jedoch weiter, und [Alstom]
übernahm das Sekretariat des E‑Komitees. Der Mitgliederschwund im Vergleich zu 1988
erleichterte das Organisatorische, und eine komplexe Struktur war nicht länger gerechtfertigt.
(179) 2002 kehrten Siemens, Hitachi und VA TECH ins Kartell zurück. …“
161 In den Randnrn. 191 bis 198 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission die von ABB oder
den Gesellschaften der Fuji‑Gruppe beigebrachten Beweismaterialien dargelegt, die nach Ansicht der
Kommission zeigten, dass das Kartell nach dem Ausscheiden von Siemens im September 1999, dem
sich Hitachi und „Schneider/VA TECH“ im Jahr 2000 anschlossen, und vor deren schrittweiser Rückkehr
ab März 2002 fortgedauert habe. Zunächst hat die Kommission in den Randnrn. 191 bis 196 der
angefochtenen Entscheidung auf Unterlagen Bezug genommen, die ABB in ihrem Antrag nach der
Kronzeugenregelung (siehe oben, Randnr. 10) vorgelegt hat, und zwar eine Reihe von Faxen, die
zwischen dem 18. Dezember 2000 und dem 22. Januar 2001 zwischen ABB, Melco und Alstom wegen
Sitzungen und Zuteilungen von GIS‑Vorhaben ausgetauscht wurden. Sodann verweist die Kommission
in Randnr. 197 der angefochtenen Entscheidung auf ein Dokument, das ABB in ihrem Antrag nach der
Kronzeugenregelung übermittelt hat und das eine Liste von „Komiteesitzungen“ für einen Teil des
Zeitraums 2000–2001 enthält und vom 12. Mai 2000 datiert. Die Kommission hat darauf hingewiesen,
dass dieser Liste zufolge Reyrolle, Alstom, Schneider, ABB, Melco und Toshiba, nicht aber Siemens und
„JAEPS (Hitachi)“ an diesen Sitzungen teilgenommen hätten, was mit der Erklärung von ABB in ihrer
Antwort vom 4. Oktober 2004 auf das Auskunftsverlangen der Kommission (siehe oben, Randnr. 15) in
Einklang stehe, „dass diese beiden Unternehmen zu diesem Zeitpunkt nicht an dem Kartell
teilnahmen“. Schließlich hat sich die Kommission in Randnr. 198 der angefochtenen Entscheidung auf
eine Gesamtheit von Dokumenten berufen, die die Gesellschaften der Fuji‑Gruppe in ihrem Antrag
nach der Kronzeugenregelung (siehe oben, Randnr. 20) und ABB in einer Ergänzung ihres Antrags
nach der Kronzeugenregelung vom 7. Mai 2004 (siehe oben, Randnr. 12) vorgelegt haben und die sich
auf Vereinbarungen zwischen den Mitgliedern des Kartells über acht GIS‑Projekte beziehen, die
innerhalb des Kartells die Referenznummern [] trugen und zeigten, dass das Kartell während
dieser Zeit tätig gewesen sei.
162 In Randnr. 286 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission darauf hingewiesen, dass diese
Teile der Akte zeigten, dass „das Kartell auch in … Abwesenheit [von Siemens und Hitachi] fortgesetzt
wurde (siehe Rdnrn. 191 bis 198), nachdem Siemens und Hitachi ihre Beteiligung vorübergehend
unterbrochen hatten“.
163 Aus Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 geht hervor,
dass bei der Bestimmung der Geldbuße, die wegen der Beteiligung eines Unternehmens an einer
wettbewerbsrechtlichen Zuwiderhandlung zu verhängen ist, neben der Schwere der Zuwiderhandlung
deren Dauer zu berücksichtigen ist.
164 Bei einem Streit über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung bedeutet das Erfordernis der
Rechtssicherheit, auf die die Wirtschaftsteilnehmer Anspruch haben, dass die Kommission, der die
Beweislast für die von ihr festgestellten Zuwiderhandlungen obliegt, Beweismaterial beibringen muss,
mit dem sie rechtlich hinreichend das Vorliegen eines Sachverhalts belegen kann, der eine
Zuwiderhandlung darstellt. Für die behauptete Dauer der Zuwiderhandlung verlangt dieser Grundsatz
der Rechtssicherheit, dass die Kommission, soweit es an Beweismaterial fehlt, mit dem die Dauer der
Zuwiderhandlung direkt belegt werden kann, zumindest Beweismaterial beibringt, das sich auf Fakten
bezieht, die zeitlich so nahe beieinander liegen, dass sie vernünftigerweise den Schluss zulassen, dass
die Zuwiderhandlung zwischen zwei konkreten Zeitpunkten ohne Unterbrechung erfolgt ist (Urteile des
Gerichts vom 7. Juli 1994, Dunlop Slazenger/Kommission, T‑43/92, Slg. 1994, II‑441, Randnr. 79, vom 6.
Juli 2000, Volkswagen/Kommission, T‑62/98, Slg. 2000, II‑2707, Randnr. 188, und Degussa/Kommission,
oben in Randnr. 154 angeführt, Randnrn. 114 und 153).
165 In Bezug auf die Beweismittel, die die Kommission insoweit heranziehen kann, ist darauf hinzuweisen,
dass es, da das Verbot, an wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen und Vereinbarungen teilzunehmen,
sowie die Sanktionen, die Zuwiderhandelnden auferlegt werden können, allgemein bekannt sind,
üblich ist, dass die Tätigkeiten, mit denen diese Verhaltensweisen und Vereinbarungen verbunden
sind, im Geheimen ablaufen, dass die Zusammenkünfte heimlich stattfinden, meist in einem Drittland,
und dass die Unterlagen darüber auf ein Minimum reduziert werden. Selbst wenn die Kommission
Schriftstücke findet, die – wie z. B. die Protokolle einer Zusammenkunft – eine unzulässige
Kontaktaufnahme zwischen Wirtschaftsteilnehmern explizit bestätigen, handelt es sich normalerweise
nur um lückenhafte und vereinzelte Belege, so dass es häufig erforderlich ist, bestimmte Einzelheiten
durch Schlussfolgerungen zu rekonstruieren. In den meisten Fällen muss das Vorliegen einer
Verhaltensweise oder wettbewerbswidrigen Vereinbarung aus einer Reihe von Koinzidenzen und
Indizien abgeleitet werden, die bei einer Gesamtbetrachtung mangels einer anderen schlüssigen
Erklärung den Beweis für eine Verletzung der Wettbewerbsregeln darstellen können (Urteil Aalborg
Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 61 angeführt, Randnrn. 55 bis 57). Derartige Indizien und
Koinzidenzen können nicht nur Aufschluss über das Bestehen wettbewerbswidriger Verhaltensweisen
oder Vereinbarungen geben, sondern auch über die Dauer eines fortgesetzten wettbewerbswidrigen
Verhaltens und den Zeitraum der Anwendung einer unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht
getroffenen Vereinbarung (Urteil des Gerichtshofs vom 21. September 2006, Technische
Unie/Kommission, C‑113/04 P, Slg. 2006, I‑8831, Randnr. 166).
166 Auch wenn der Beweis für die Existenz einer fortgesetzten Zuwiderhandlung für bestimmte Zeiträume
nicht erbracht wurde, kann davon ausgegangen werden, dass die Zuwiderhandlung während eines
längeren Gesamtzeitraums fortbestand, sofern eine solche Feststellung auf objektiven und
übereinstimmenden Indizien beruht. Im Rahmen einer Zuwiderhandlung, die sich über mehrere Jahre
erstreckt, bleibt die Tatsache, dass sich das Kartell während verschiedener Zeitabschnitte
manifestiert, die durch mehr oder weniger lange Zwischenräume voneinander getrennt sein können,
ohne Einfluss auf den Bestand dieses Kartells, sofern mit den verschiedenen Maßnahmen, die Teil
dieser Zuwiderhandlung sind, im Rahmen einer einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung das
gleiche Ziel verfolgt wird (Urteil Technische Unie/Kommission, oben in Randnr. 165 angeführt, Randnr.
169).
167 Im vorliegenden Fall bestreitet Alstom nicht, dass die Tätigkeiten, an denen das betroffene
Unternehmen im Rahmen des Kartells beteiligt war, während des gesamten Zeitraums vom 15. April
1988 bis 28. Oktober 1999, sodann vom 15. Dezember 2000 bis 22. Januar 2001 und schließlich vom
26. März 2002 bis 11. Mai 2004 entfaltet worden sind. Alstom bestreitet ebenso wenig, dass mit den
verschiedenen Maßnahmen, die Teil der Zuwiderhandlung sind, das gleiche Ziel im Rahmen einer
einzigen und fortgesetzten Zuwiderhandlung verfolgt wurde. Sie bestreitet lediglich die Dauer dieser
Zuwiderhandlung mit der Begründung, dass die Kommission die Tätigkeiten des Kartells in der Zeit
vom 28. Oktober 1999 bis 15. Dezember 2000 und vom 22. Januar 2001 bis 26. März 2002 nicht
rechtlich hinreichend und gemäß den Anforderungen, die sich aus Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr.
1/2003, Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und dem Grundsatz der Rechtssicherheit ergeben,
bewiesen habe. Mit anderen Worten bestreitet Alstom mit dem vorliegenden Klagegrund die
Beurteilung der Kommission hinsichtlich des einheitlichen und fortgesetzten Charakters der
Zuwiderhandlung nicht dem Grunde nach, sondern beschränkt sich darauf, in Bezug auf die
Beurteilung der Dauer dieser Zuwiderhandlung einen Verstoß gegen Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr.
1/2003, Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und den Grundsatz der Rechtssicherheit auf dem Gebiet
der Beweislast geltend zu machen.
168 Der sechste Klagegrund wirft somit die Frage auf, ob die Kommission rechtlich hinreichend und gemäß
Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003, Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und dem Grundsatz der
Rechtssicherheit nachgewiesen hat, dass das Kartell während der Zeit vom 28. Oktober 1999 bis 15.
Dezember 2000 und vom 22. Januar 2001 bis 26. März 2002 fortgedauert hat.
169 Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Alstom die Beurteilungen der Kommission zur Organisation und zur
Arbeitsweise des Kartells nicht bestreitet, die in Randnr. 170 der angefochtenen Entscheidung wie
folgt dargelegt sind: „Sowohl auf weltweiter als auch europäischer Ebene trafen die Teilnehmer
umfangreiche Vorkehrungen, um ihre Kontakte und Treffen geheim zu halten. Diese Vorkehrungen
bestanden von Beginn des Kartells an und wurden ab 2002 verstärkt.“ Im Licht der vorstehend in
Randnr. 165 angeführten Rechtsprechung hat die Kommission zu Recht im vorliegenden Fall ihre
Beurteilung zur Dauer der Zuwiderhandlung auf eine Gesamtbetrachtung der Beweise und der Indizien
gestützt, die sie insoweit für erheblich hielt.
170 Alstom behauptet im Kern, dass die Beweise und Indizien, auf die die Kommission abgestellt habe,
nicht die Feststellung erlaubten, dass die Tätigkeiten, an denen das betroffene Unternehmen im
Rahmen des Kartells beteiligt gewesen sei, zwischen dem 28. Oktober 1999 und dem 15. Dezember
2000, also während einer Zeit von 13 Monaten, fortgedauert hätten, nachdem sie zuvor 11 Jahre und
sechs Monate lang entfaltet worden seien. Außerdem seien diese Beweismaterialien und Indizien kein
Beweis dafür, dass die genannten Tätigkeiten, nachdem sie für gut einen Monat wieder aufgenommen
worden seien, in der Zeit zwischen dem 22. Januar 2001 und dem 26. März 2002, also während eines
neuen Zeitraums von 14 Monaten, fortgedauert hätten, bevor sie neuerlich für eine Zeit von einem
Jahr und acht Monaten wieder aufgenommen worden seien. Somit stellt sich die Frage nach dem
Beweiswert der einzelnen Beweismaterialien und Indizien, auf die die Kommission in der angefochtenen
Entscheidung abgestellt hat.
171 Alstom trägt zu Unrecht vor, dass diese einzelnen Beweismaterialien oder Indizien Tätigkeiten des
Kartells nur zu der Zeit ihrer jeweiligen Feststellung belegten. Sie übersieht nämlich, dass diese
Unterlagen auch einen fortgesetzten Charakter der Zuwiderhandlung belegen können.
172 Im vorliegenden Fall ging die Kommission in der angefochtenen Entscheidung zutreffend davon aus,
dass die Reihe der von ABB vorgelegten Telefaxe Tätigkeiten des Kartells „ungefähr im Jahr 2000“
belegte. Abgesehen davon, dass diese Faxe das Bestehen einer Einzelvereinbarung zwischen ABB,
Melco und Alstom wegen einer Liste mit GIS‑Vorhaben beweisen, liefern sie auch ein Indiz für die
Fortdauer der Kartelltätigkeiten zwischen diesen Unternehmen zu Beginn des Jahres 2001 im
Zusammenhang mit einer anderen Liste mit GIS‑Vorhaben, die dem ersten Telefax der Reihe mit Datum
vom 18. Dezember 2000 beigefügt war.
173 Sodann ist die Kommission zu Recht davon ausgegangen, dass die Liste vom 12. Mai 2000, die sich
auf 13 „Komiteesitzungen“ bezieht, die zwischen dem 18. Mai 2000 und dem 17. Mai 2001 angesetzt
waren, ein Indiz dafür ist, dass die Aktivitäten des Kartells zwischen Reyrolle, Alstom, Schneider, ABB,
Melco und Toshiba bis zum 17. Mai 2001 fortdauerten. Der wettbewerbswidrige Gegenstand dieser
„Komiteesitzungen“ lässt sich daraus herleiten, dass die Liste jedes der betroffenen Unternehmen
über den Code bezeichnet, der ihm im Rahmen des Kartells, wie in den Randnrn. 142 und 197 der
angefochtenen Entscheidung wiedergegeben, zugewiesen war, und daraus, dass, wie mehrere
Mitglieder des Kartells bestätigen, bestimmte Sitzungen der Gremien – das Gemeinsame Komitee
Europa/Japan und das Komitee Europa –, die am laufenden Betrieb des Kartells beteiligt waren,
geplant wurden, wie dies auch aus den Randnrn. 150 und 151 der angefochtenen Entscheidung
hervorgeht.
174 Schließlich hat die Kommission, auch wenn die Vereinbarung über das GIS‑Projekt mit der
Referenznummer [], für die Alstom mit ihrem siebten Klagegrund einen Verstoß gegen den
Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte rügt, und die Vereinbarung, die zu dem GIS‑Projekt
mit der Referenznummer [] erzielt wurde, an der Alstom nicht beteiligt war, außer Betracht
gelassen werden, zutreffend die Ansicht vertreten, dass die Vereinbarungen, an denen Alstom
betreffend sechs weitere GIS‑Projekte mit den Referenznummern [] beteiligt war, belegten,
dass das Kartell aktiv war oder jedenfalls zwischen dem 27. August 1998, als die Vereinbarung über
das GIS‑Projekt mit der Referenznummer [] geschlossen wurde, und dem 28. Oktober 2001,
als die Vereinbarung über das GIS‑Projekt mit der Referenznummer [ ] auslief, Wirkungen
entfaltete.
175 Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass eine Vereinbarung im Sinne von Art. 81 Abs. 1 EG und
entsprechend Art. 53 EWR‑Abkommen schon dann vorliegt, wenn die betroffenen Unternehmen ihren
gemeinsamen Willen zum Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu
verhalten (Urteile des Gerichts vom 24. Oktober 1991, Petrofina/Kommission, T‑2/89, Slg. 1991, II‑1087,
Randnr. 211, und vom 10. März 1992, ICI/Kommission, T‑13/89, Slg. 1992, II‑1021, Randnr. 253; vgl. in
diesem Sinne auch Urteile ACF Chemiefarma/Kommission, oben in Randnr. 87 angeführt, Randnr. 112,
und van Landewyck u. a./Kommission, oben in Randnr. 87 angeführt, Randnr. 86). Ferner ist Art. 81 EG
anwendbar, wenn die Wirkungen eines Kartells weiter angehalten haben, ohne dass es förmlich
beendet worden wäre (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichts, ICI/Kommission, Randnr. 254, und vom
13. Dezember 2001, Acerinox/Kommission, T‑48/98, Slg. 2001, II‑3859, Randnr. 63). Die vorgenannte
Rechtsprechung gilt entsprechend für Art. 53 Abs. 1 EWR‑Abkommen.
176 Da Alstom nicht bestritten hat, unter Anwendung der Kartellregeln Vereinbarungen zur Zuteilung der
sechs GIS‑Projekte mit den Referenznummern [] geschlossen zu haben, und da diese
Vereinbarungen, insgesamt betrachtet, in Anbetracht des Datums ihres Inkrafttretens und ihrer
Geltungsdauer ihre Wirkungen zwischen dem 27. August 1998, dem Datum des Inkrafttretens der
Vereinbarung über das GIS‑Projekt mit der Referenznummer [ ], und dem 28. Oktober 2001,
dem Enddatum der Geltung der Vereinbarung über das GIS‑Projekt mit der Referenznummer
[], zeitigten, konnte die Kommission zu Recht diese Vereinbarungen als einen Hinweis darauf
verstehen, dass die Zuwiderhandlung ununterbrochen während des ganzen fraglichen Zeitraums
fortdauerte.
177 Alstom übersieht, dass, auch wenn jedes der vorgenannten Elemente, für sich allein betrachtet,
lediglich Aktivitäten des Kartells zwischen September 1999 und März 2002 belegt, diese, insgesamt
betrachtet und bei Fehlen einer anderen schlüssigen Erklärung, einen hinreichenden Beweis für den
fortgesetzten Charakter der Zuwiderhandlung liefern. Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens hat
Alstom keine schlüssige Erklärung geliefert, die geeignet wäre, ihr Vorbringen zur Unterbrechung der
Tätigkeiten zu erklären, an denen das betroffene Unternehmen im Rahmen des Kartells zwischen dem
28. Oktober 1999 und dem 15. Dezember 2000 und zwischen dem 22. Januar 2001 und dem 26. März
2002, wie sie vorträgt (siehe oben, Randnr. 170), beteiligt war, und insbesondere die Gründe zu
erläutern, aus denen die genannten Tätigkeiten nur während einer begrenzten Dauer von etwas mehr
als
einem
Monat
vom
15.
Dezember
2000
bis
22.
Januar
2001,
zwischen
zwei
Unterbrechungszeiträumen vom 28. Oktober 1999 bis zum 15. Dezember 2000 und vom 22. Januar
2001 bis 26. März 2002, wieder aufgenommen worden wären. In diesem Zusammenhang sind die
Tatsache, dass das Kartell zwischen September 1999 und März 2002 trotz der unterbrochenen
Beteiligung von Siemens, der sich Hitachi und „Schneider/VA Tech“ anschlossen, wiederholt in
Erscheinung getreten ist, und das Bündel von Indizien, das die Kommission dafür zusammengetragen
hat, dass die Tätigkeiten, mit denen das betroffene Unternehmen am Kartell beteiligt war, während
des gesamten fraglichen Zeitraums weiterbetrieben wurden, als hinreichender Beweis dafür
anzusehen, dass das Kartell ununterbrochen zwischen dem 28. Oktober 1999 und dem 15. Dezember
2000 sowie zwischen dem 22. Januar 2001 und dem 26. März 2002 fortbestand.
178 Außerdem lässt sich die Lage von Alstom nicht mit der von Siemens vergleichen, weil sich die
Kommission im letzteren Fall auf übereinstimmende Erklärungen von anderen Mitgliedern des Kartells
in der Akte stützen konnte, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass Siemens im September 1999 seine
Beteiligung am Kartell eingestellt hatte, um zu der Ansicht zu gelangen, dass Siemens zu diesem
Zeitpunkt aufgehört hatte, sich an die Vereinbarungen zu halten, die die GIS‑Projekte mit den
Referenznummern [] betrafen, die weiterhin zwischen dem 27. August 1998 und dem 28.
Oktober 2001 ihre Wirkungen zeigen sollten. Überdies weist die von Alstom nicht bestrittene Randnr.
169 der angefochtenen Entscheidung darauf hin, dass die Akte Beweise enthält, wonach die übrigen
Mitglieder des Kartells, als Siemens zeitweilig seine Beteiligung am Kartell unterbrach, eine Zeit lang
versuchten, diese Gesellschaft wegen ihres Rückzugs zu bestrafen, indem sie ihr bei GIS‑Projekten
weltweit Konkurrenz machten, was belegt, dass Siemens sich selbst nicht mehr an die Kartellregeln
hielt.
179 Folglich ist festzustellen, dass die Kommission weder die Beweisvorschriften verletzt hat, die sich aus
Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 und Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 ergeben, noch
gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen hat, als sie in Art. 1 Buchst. b der
angefochtenen Entscheidung feststellte, dass die Alstom zugerechnete Zuwiderhandlung
ununterbrochen vom 15. April 1988 bis 8. Januar 2004, also während eines Zeitraums von 15 Jahren
und acht Monaten, fortdauerte, was eine Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße um 155 %
rechtfertigte, die gegen sie in Art. 2 Buchst. b und c der angefochtenen Entscheidung verhängt
wurde.
180 Der sechste von Alstom vorgebrachte Klagegrund ist somit als nicht begründet zurückzuweisen.
181 Außerdem folgt aus den vorstehenden Ausführungen, dass die Vereinbarung über das GIS‑Projekt mit
der Referenznummer [] kein unerlässlicher Bestandteil für die Feststellung ist, dass die
Beurteilung der Kommission in der angefochtenen Entscheidung begründet ist, wonach die fragliche
Zuwiderhandlung ununterbrochen während des gesamten Zeitraums vom 28. Oktober 1999 bis 26.
März 2002 fortdauerte, und dass diese sich anhand anderer Gründe, die die gleiche Bewertung
stützten, rechtlich hinreichend rechtfertigen ließ.
182 Somit ist die Rüge eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte, die
im Rahmen des siebten Klagegrundes erhoben wird, als unerheblich zurückzuweisen, da sie sich auf
einen Beweis bezieht, der als nicht tragend für die angefochtene Entscheidung erachtet werden kann.
183 Mit ihren Klagegründen 4 und 7 begehrt Alstom die Nichtigerklärung oder, hilfsweise, die
Herabsetzung des Betrags der individuellen Geldbuße, die gegen sie in Art. 2 Buchst. b der
angefochtenen Entscheidung verhängt wurde. Mit ihren Klagegründen 1 und 2, die zusammen zu
prüfen sind, begehrt sie die Nichtigerklärung oder, hilfsweise, die Herabsetzung des Betrags der
Geldbuße, die gesamtschuldnerisch mit der Areva T&D SA zu zahlen ist, die gegen sie in Art. 2
Buchst. c der angefochtenen Entscheidung verhängt wurde.
184 Im Rahmen ihrer Klagegründe 1 und 4 begehren die Gesellschaften der Areva‑Gruppe die Aufhebung
der Geldbuße, die gegen sie in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung verhängt wurde,
oder, hilfsweise, die Herabsetzung ihres Betrags.
Zum Verstoß gegen die Verjährungsregeln betreffend die individuelle Geldbuße, die gegen Alstom in
Art. 2 Buchst. b der angefochtenen Entscheidung verhängt wurde
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
185 Alstom rügt im dritten Teil ihres vierten Klagegrundes hilfsweise für den Fall, dass der erste Teil dieses
genannten Klagegrundes durchdringen sollte, ohne dass sein zweiter Teil Erfolg haben sollte, einen
Verstoß gegen Art. 25 der Verordnung Nr. 1/2003, der im Kern daraus resultieren soll, dass am Tag
des Erlasses der angefochtenen Entscheidung die Befugnis der Kommission, gegen sie eine
individuelle Geldbuße aufgrund der Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung für den Zeitraum vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992 festzusetzen, verjährt
gewesen sei.
186 Die Kommission tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und beantragt, den vorliegenden
Klagegrund zurückzuweisen.
– Würdigung durch das Gericht
187 Die vorliegende Rüge ist von Alstom für den Fall geltend gemacht worden, dass entschieden würde,
dass sie, da sie keinen entscheidenden Einfluss auf ihre im Geschäftsbereich T & D tätigen 100%igen
Tochtergesellschaften ausgeübt habe, nicht für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung in der Zeit vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 verantwortlich gemacht werden
kann, aber dass die persönliche Haftung, die sie aufgrund der Beteiligung des betroffenen
Unternehmens an der Zuwiderhandlung für den vorangehenden Zeitraum vom 15. April 1988 bis 6.
Dezember 1992 trifft, nicht auf die genannten Tochtergesellschaften übergegangen ist.
188 Nach Art. 25 der Verordnung Nr. 1/2003 verjährt die Befugnis der Kommission zur Verhängung einer
Sanktion aufgrund eines Verstoßes gegen Art. 81 EG und Art. 53 EWR‑Abkommen in fünf Jahren. Die
Verjährung beginnt mit dem Tag, an dem die Zuwiderhandlung begangen worden ist. Bei dauerhaften
oder fortgesetzten Zuwiderhandlungen beginnt die Verjährung jedoch erst an dem Tag, an dem die
Zuwiderhandlung beendet ist. Für den Fall, dass die Alstom zuzurechnende Zuwiderhandlung am 6.
Dezember 1992 beendet gewesen wäre, wäre die Befugnis der Kommission, gegen diese Gesellschaft
eine Geldbuße wegen dieser Zuwiderhandlung zu verhängen, am Tag des Erlasses der angefochtenen
Entscheidung, nämlich am 24. Januar 2007, verjährt gewesen.
189 Da der erste Teil des vierten Klagegrundes jedoch deshalb keinen Erfolg hatte, weil Alstom einen
entscheidenden Einfluss auf ihre im Geschäftsbereich T & D tätigen Tochtergesellschaften in der Zeit
vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 ausgeübt hat (siehe oben, Randnrn. 80 bis 110), liegt die
Fallgestaltung, auf der die vorliegende Rüge beruht, nicht vor. Daher kann diese Rüge keinen Erfolg
haben.
Zum Verstoß gegen die Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung von
Geldbußen, die sich aus Art. 81 EG und Art. 53 EWR‑Abkommen ergeben, zum Verstoß gegen Art. 7 EG,
zum Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Rückwirkungsverbots, der
Gleichbehandlung, der Verhältnismäßigkeit, des Rechts auf einen effektiven Rechtsschutz, der
individuellen Strafzumessung sowie zum Verstoß gegen die Begründungspflicht in Bezug auf die gegen
Alstom und die Gesellschaften der Areva‑Gruppe in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung
festgesetzten Geldbußen
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
190 Alstom wirft der Kommission mit ihrem ersten Klagegrund vor, gegen den Grundsatz des Rechts auf
einen effektiven Rechtsschutz dadurch verstoßen zu haben, dass die Kommission in Art. 2 Buchst. c
der angefochtenen Entscheidung gegen sie eine gesamtschuldnerisch mit der Areva T&D SA zu
zahlende Geldbuße in Höhe von 53 550 000 Euro festgesetzt habe. Damit sei ihre verfahrensrechtliche
Lage an die der Areva T&D SA gekoppelt worden.
191 Mit ihrem zweiten Klagegrund macht Alstom zunächst geltend, dass die Kommission, indem sie in Art. 2
Buchst. c der angefochtenen Entscheidung gegen Alstom eine gesamtschuldnerisch mit der Areva
T&D SA zu zahlende Geldbuße in Höhe von 53 550 000 Euro festgesetzt habe, gegen die Regeln der
gesamtschuldnerischen Haftung für die Zahlung von Geldbußen verstoßen habe, die sich aus Art. 81
EG und Art. 53 EWR‑Abkommen ergäben. Diese erlaubten die Festsetzung einer gesamtschuldnerisch
zu zahlenden Geldbuße nur bei Gesellschaften, die am Tag des Erlasses der die Geldbuße
festsetzenden Entscheidung zu derselben Gruppe gehörten und die jeweils unmittelbar und förmlich
für die Zuwiderhandlung verantwortlich seien, weil sie aus dieser einen unmittelbaren Vorteil
herleiteten. Außerdem trägt Alstom vor, dass die Kommission gegen die ihr obliegende Pflicht zur
Begründung der Einzelfallentscheidungen, die sie erlasse, verstoßen habe, indem sie in der
angefochtenen Entscheidung nicht die Gründe angegeben habe, die sie zu der Auffassung veranlasst
hätten, dass Alstom eine wirtschaftliche Einheit mit der Areva T&D SA am Tag des Erlasses der
angefochtenen Entscheidung gebildet habe, und indem sie dort nicht angegeben habe, welchen
unmittelbaren Vorteil Alstom persönlich aus der Zuwiderhandlung gezogen haben solle. Überdies
beruhe die angefochtene Entscheidung in dieser Hinsicht auf widersprüchlichen Gründen, da es in
ihren Randnrn. 358 Buchst. b und c und 371 Buchst. a heiße, dass die gesamtschuldnerisch zu
zahlende Geldbuße einem Zeitraum gelte, in dem Alstom eine wirtschaftliche Einheit mit der Areva T&D
SA gebildet habe, während Randnr. 371 Buchst. c offenbare, dass diese Geldbuße praktisch auch
einen Zeitraum abdecke, in dem dies nicht der Fall gewesen sei. Außerdem macht Alstom geltend,
dass die Kommission gegen den allgemeinen Grundsatz der individuellen Strafzumessung verstoßen
habe, da sie eine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße wegen einer Zuwiderhandlung verhängt
habe, für die Alstom nicht persönlich verantwortlich sei. Schließlich trägt Alstom vor, dass die
Kommission gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen habe, da sie eine Situation von
Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Durchführung der angefochtenen Entscheidung geschaffen habe,
denn die Bestimmung des Schuldners der Verpflichtung zur Zahlung der Geldbuße erfolge erst dann,
wenn die Kommission zur Zahlung an einen der beiden Gesamtschuldner herantrete, und da sie die
rechtliche Lage jedes Schuldners mit der des anderen verknüpft habe.
192 Die Gesellschaften der Areva‑Gruppe machen mit dem ersten Teil ihres vierten Klagegrundes und mit
dem zweiten Teil ihres ersten Klagegrundes der Kommission den Vorwurf, diese habe, indem sie in
Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung gegen die Areva T&D SA gesamtschuldnerisch mit
Alstom eine Geldbuße von 53 550 000 Euro verhängt habe, gegen die Regeln über die
gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung von Geldbußen verstoßen, die sich aus den Art. 81 EG
und 53 EWR‑Abkommen ergäben. Diese Regeln erlaubten es nicht, eine gesamtschuldnerisch zu
zahlende Geldbuße gegen Gesellschaften zu verhängen, die am Tag des Erlasses der Entscheidung,
mit der die Geldbuße verhängt werde, nicht oder nicht mehr zur selben Gruppe gehörten. Außerdem
machen die Gesellschaften der Areva‑Gruppe geltend, dass die Kommission gegen die ihr obliegende
Pflicht zur Begründung der Einzelfallentscheidungen, die sie erlasse, verstoßen habe, indem sie in der
angefochtenen Entscheidung nicht die Gründe angegeben habe, die sie zu der Ansicht veranlasst
hätten, dass die Areva T&D SA mit Alstom am Tag des Erlasses der angefochtenen Entscheidung eine
einheitliche wirtschaftliche Einheit gebildet habe.
193 Mit dem fünften Teil ihres vierten Klagegrundes machen die Gesellschaften der Areva‑Gruppe der
Kommission auch den Vorwurf, diese habe gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen, da
sie, als sie gegen die Areva T&D SA und Alstom eine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße
verhängt habe, eine neue Sanktionspolitik oder neue Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung
für die Zahlung von Geldbußen für einen Sachverhalt angewandt habe, der sich vor deren Erlass
zugetragen habe.
194 Mit dem dritten und dem vierten Teil ihres vierten Klagegrundes machen die Gesellschaften der
Areva‑Gruppe geltend, die Kommission habe gegen Art. 7 EG und die Grundsätze der
Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit verstoßen, da sie dem nationalen Richter oder dem
Schiedsrichter die Befugnis überantwortet habe, die Haftung einer jeden der Sanktion unterworfenen
Gesellschaften und mithin ihre jeweiligen Beiträge im Rahmen der Zahlung der gegen sie verhängten
Geldbuße zu bestimmen, und indem sie die Areva T&D SA dem Risiko ausgesetzt habe, an die
Kommission Beträge zu zahlen, die letztlich von Alstom getragen werden müssten. Außerdem tragen
die Gesellschaften der Areva‑Gruppe mit dem sechsten Teil dieses Klagegrundes vor, dass die
Kommission gegen den Grundsatz des Rechts auf einen effektiven Rechtsschutz verstoßen habe, da
sie, indem sie gegen die Areva T&D SA und Alstom eine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße
verhängt habe, beider rechtliche Lage verknüpft habe.
195 Außerdem werfen die Gesellschaften der Areva‑Gruppe mit ihrem fünften Klagegrund der Kommission
vor, sie habe gegen die Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der
Geldbußen, die sich aus den Art. 81 EG und 53 EWR‑Abkommen ergäben, verstoßen, als sie in Art. 2
Buchst. c der angefochtenen Entscheidung gegen sie eine gesamtschuldnerisch zu zahlende
Geldbuße in Höhe von 25 500 000 Euro verhängt habe, ohne vorab, wie sich aus dem dritten
Klagegrund (siehe oben, Randnr. 142) ergebe, festgestellt zu haben, dass diese Gesellschaften zum
Zeitpunkt der Begehung der Zuwiderhandlung eine wirtschaftliche Einheit gebildet hätten und dass
jede dieser Gesellschaften persönlich für die genannte Zuwiderhandlung verantwortlich gemacht
werden könne.
196 Die Kommission tritt dem Vorbringen von Alstom und der Gesellschaften der Areva‑Gruppe entgegen
und beantragt, sämtliche Klagegründe und Rügen zurückzuweisen.
– Würdigung durch das Gericht
197 Zunächst ist die Rechtmäßigkeit der gesamtschuldnerisch zu zahlenden Geldbuße in Höhe von
53 550 000 Euro zu prüfen, die in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung gegen Alstom und
die Areva T&D SA festgesetzt worden ist.
198 Hierbei sind zunächst die Klagegründe oder Rügen zu prüfen, mit denen im Wesentlichen ein Verstoß
gegen Art. 81 EG, Art. 53 EWR‑Abkommen und die Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für
die Zahlung der Geldbußen sowie ein Verstoß gegen die Begründungspflicht beanstandet werden,
wobei mit dem angeblichen Verstoß gegen die Begründungspflicht begonnen wird.
199 Wie vorstehend in den Randnrn. 96 bis 99 und 125 bis 129 ausgeführt worden ist, hat die Kommission
rechtlich hinreichend in der angefochtenen Entscheidung die persönliche Verantwortlichkeit von
Alstom und der Areva T&D SA aufgrund der Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung in der Zeit vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 begründet, indem sie
feststellte, dass diese Gesellschaften unmittelbar oder mittelbar das genannte Unternehmen während
dieses Zeitraums geleitet hatten. Zudem geht ausdrücklich aus den Randnrn. 348 bis 356, 358
Buchst. b und c, 369 und 371 Buchst. a und b der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die
Kommission mit der Begründung, dass Alstom und die Alstom T&D SA innerhalb der Alstom‑Gruppe
eine wirtschaftliche Einheit gebildet hätten, entschieden hat, Alstom und die Areva T&D SA (vormals
Alstom T&D SA) für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit
vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 persönlich verantwortlich zu machen und gegen sie
deswegen eine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße in Höhe von 53 550 000 Euro in Art. 2
Buchst. c der angefochtenen Entscheidung festzusetzen.
200 Der Kommission kann nicht vorgeworfen werden, nicht speziell die gesamtschuldnerisch gegen Alstom
und die Areva T&D SA festgesetzte Geldbuße im Hinblick auf die Tatsache begründet zu haben, dass
diese Gesellschaften am Tag des Erlasses der angefochtenen Entscheidung keine wirtschaftliche
Einheit mehr gebildet hätten, da dieser Umstand, wie aus der angefochtenen Entscheidung
hervorgeht, nach Ansicht der Kommission der Festsetzung einer gesamtschuldnerisch zu zahlenden
Geldbuße gegen sie nicht entgegensteht. Denn nach der Rechtsprechung ist die Kommission nicht
gehalten, in ihrer Entscheidung genau die Gründe für bestimmte Aspekte darzulegen, die ihrer Ansicht
nach offenkundig neben der Sache liegen oder keine oder eine eindeutig untergeordnete Bedeutung
für ihre Beurteilung haben (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteile des Gerichts vom 8. Juli 2003,
Verband der freien Rohrwerke u. a./Kommission, T‑374/00, Slg. 2003, II‑2275, Randnr. 186, und vom 9.
Juli 2007, Sun Chemical Group u. a./Kommission, T‑282/06, Slg. 2007, II‑2149, Randnr. 58). Die Frage,
ob die Kommission zu Recht die fraglichen Gesichtspunkte in ihrer Beurteilung ausgeklammert hat,
gehört zur Prüfung der materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung und nicht zu der
eines Verstoßes gegen wesentliche Formvorschriften. Somit kann hierin kein Verstoß gegen Art. 253
EG liegen (siehe oben, Randnr. 88).
201 Ebenso wenig begründet ist die von Alstom vorgebrachte Rüge, dass die Kommission sich in Randnr.
371 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung widersprochen habe, indem sie Alstom persönlich und
gesamtschuldnerisch mit der Areva T&D SA und der Areva T&D AG für die Beteiligung des betroffenen
Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit nach der Veräußerung des Geschäftsbereichs
T & D der Alstom‑Gruppe am 8. Januar 2004 haftbar gemacht habe. Denn aus der genannten
Randnummer geht hervor, dass nur Areva, die Areva T&D Holding, die Areva T&D SA und die Areva T&D
AG und nicht Alstom wegen der Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in
der Zeit vom 9. Januar bis 11. Mai 2004 haften.
202 Sämtliche Klagegründe oder Rügen, die aus einem Verstoß gegen die Begründungspflicht hergeleitet
werden, sind somit als unbegründet zurückzuweisen.
203 Daher sind die materiellen Klagegründe oder Rügen zu prüfen, die Alstom und die Gesellschaften der
Areva-Gruppe vorgebracht haben, und zwar an erster Stelle diejenigen, mit denen sie im Kern geltend
machen, dass die Art. 81 EG und 53 EWR‑Abkommen sowie die Regeln über die gesamtschuldnerische
Haftung für die Zahlung der Geldbußen es nicht erlaubten, eine gesamtschuldnerisch zu zahlende
Geldbuße gegen Gesellschaften festzusetzen, die nicht persönlich für die Zuwiderhandlung
verantwortlich gemacht werden könnten und die am Tag des Erlasses der die Geldbuße festsetzenden
Entscheidung keine wirtschaftliche Einheit mehr bildeten.
204 Hierbei ist zu beachten, dass die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der Geldbußen, die
aufgrund eines Verstoßes gegen die Art. 81 EG und 53 EWR‑Abkommen geschuldet werden, eine
Rechtswirkung ist, die sich von Gesetzes wegen aus den materiellen Bestimmungen dieser Artikel
ergibt.
205 Wie sich aus der vorstehend in Randnr. 134 dargelegten Rechtsprechung ergibt, folgt die
gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung einer Geldbuße, die mehrere Personen wegen
Beteiligung eines Unternehmens an einem Verstoß gegen die Art. 81 EG und 53 EWR‑Abkommen
schulden, daraus, dass jede dieser Personen persönlich für die Beteiligung des Unternehmens an der
Zuwiderhandlung verantwortlich gemacht werden kann. Die Einheitlichkeit des Verhaltens des
Unternehmens auf dem Markt rechtfertigt es für die Anwendung des Wettbewerbsrechts, dass die
Gesellschaften oder, allgemein gesprochen, die Rechtssubjekte, die persönlich hierfür verantwortlich
gemacht werden können, gesamtschuldnerisch haften (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs
Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission, oben in Randnr. 134 angeführt,
Randnr. 41; Urteile des Gerichts HFB u. a./Kommission, oben in Randnr. 66 angeführt, Randnrn. 54,
524 und 525, und Tokai Carbon u. a./Kommission, oben in Randnr. 134 angeführt, Randnr. 62). Die
gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der festgesetzten Geldbußen wegen eines Verstoßes
gegen die Art. 81 EG und 53 EWR‑Abkommen gehört, da sie dazu beiträgt, die tatsächliche Beitreibung
der genannten Geldbuße zu garantieren, zum Ziel der Abschreckung, das allgemein mit dem
Wettbewerbsrecht verfolgt wird (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofs ACF
Chemiefarma/Kommission, oben in Randnr. 87 angeführt, Randnrn. 172 und 173, und vom 29. Juni
2006, Showa Denko/Kommission, C‑289/04 P, Slg. 2006, I‑5859, Randnr. 61), und dies unter Beachtung
des Grundsatzes des Verbots der Doppelbestrafung, das ein grundlegendes Prinzip des Unionsrechts
ist und auch in Art. 4 des Protokolls Nr. 7 zur EMRK verankert ist, wonach eine mehrfache Bestrafung
desselben
unternehmerischen
Marktverhaltens
bei
derselben
wettbewerbsrechtlichen
Zuwiderhandlung bei den Rechtssubjekten verboten ist, die hierfür persönlich verantwortlich gemacht
werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 61
angeführt, Randnr. 338; Urteil PVC II, oben in Randnr. 64 angeführt, Randnrn. 95 bis 99, und Urteil des
Gerichts vom 13. Dezember 2006, FNCBV u. a./Kommission, T‑217/03 und T‑245/03, Slg. 2006, II‑4987,
Randnr. 340).
206 Dass die jeweilige persönliche Verantwortlichkeit, die mehrere Gesellschaften wegen der Beteiligung
desselben Unternehmens an einer Zuwiderhandlung trifft, nicht identisch ist, bedeutet nicht, dass
gegen diese Gesellschaften keine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße verhängt werden
dürfte, denn die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der Geldbuße deckt nicht den
Zuwiderhandlungszeitraum ab, während dessen diese Gesellschaften eine wirtschaftliche Einheit und
somit im wettbewerbsrechtlichen Sinne ein Unternehmen bildeten. Jedenfalls geht aus der von den
Klägerinnen angeführten Rechtsprechung nicht hervor, dass nur gegen Gesellschaften, die am Tag
des Erlasses der die Geldbuße festsetzenden Entscheidung eine wirtschaftliche Einheit bilden, eine
gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße festgesetzt werden könnte. Daher konnte die Kommission,
als sie in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung gegen Alstom und gegen die Areva T&D SA
eine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße in Höhe von 53 550 000 Euro festsetzte, zu Recht
davon absehen, zu berücksichtigen, dass diese beiden Gesellschaften am 24. Januar 2007 keine
wirtschaftliche Einheit mehr bildeten.
207 Nach alledem konnte die Kommission in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung gegen
Alstom und gegen die Areva T&D SA eine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße in Höhe von
53 550 000 Euro wegen Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der
Zeit vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 festsetzen, da sie, wie aus den vorstehenden Randnrn.
80 bis 141 hervorgeht, zutreffend festgestellt hatte, dass jede dieser beiden Gesellschaften
persönlich für diese Beteiligung verantwortlich gemacht werden konnte.
208 Folglich sind die Klagegründe oder Rügen, mit denen im Wesentlichen ein Verstoß gegen Art. 81 EG,
Art. 53 EWR‑Abkommen und die Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung bei der Zahlung von
Geldbußen beanstandet werden, als unbegründet zurückzuweisen.
209 Sodann sind die Klagegründe und Rügen zu prüfen, mit denen ein Verstoß gegen die Grundsätze des
Rückwirkungsverbots und der Rechtssicherheit beanstandet wird.
210 Die Rechtssicherheit, ein allgemeiner Grundsatz des Rechts der Union, verlangt, dass jede
Unionsregelung, insbesondere, wenn sie den Erlass von Sanktionen ermöglicht, selbst wenn diese
nicht strafrechtlicher Art sind, klar und präzise sein muss, damit die Betroffenen ihre sich daraus
ergebenden Rechte und Pflichten zweifelsfrei erkennen und sich entsprechend darauf einstellen
können (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 25. September 1984, Könecke, 117/83, Slg.
1984, 3291, Randnr. 11; Urteil Jungbunzlauer/Kommission, oben in Randnr. 61 angeführt, Randnr. 71
und die dort angeführte Rechtsprechung). Dieser Grundsatz gilt nicht nur für Normen strafrechtlicher
Art, sondern auch für die spezifischen verwaltungsrechtlichen Regelungen, die den Erlass von
Verwaltungssanktionen auferlegen oder ermöglichen. Er gilt nicht nur für die Normen, die den
Tatbestand einer Zuwiderhandlung festlegen, sondern auch für diejenigen, die die Folgen einer
Zuwiderhandlung gegen Erstere regeln (vgl. Urteil Jungbunzlauer/Kommission, oben in Randnr. 61
angeführt, Randnr. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).
211 Außerdem ist der Grundsatz des Rückwirkungsverbots, wie in den vorstehenden Randnrn. 131 bis 133
erwähnt, integrierender Bestandteil der allgemeinen Grundsätze, deren Beachtung die Unionsgerichte
sicherstellen, und verlangt, dass die Regeln über die Zurechnung und über die Sanktionen wegen
Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht, die in einer Entscheidung zur Anwendung der
Art. 81 EG und 53 EWR‑Abkommen angewandt werden, denjenigen entsprechen, die in dem Zeitpunkt,
in dem die festgestellte und geahndete Zuwiderhandlung begangen worden ist, anwendbar waren.
Dieser Grundsatz steht der rückwirkenden Anwendung neuer Regeln über die Zurechnung und über
die Sanktionen auf eine Zuwiderhandlung entgegen, deren Ergebnis am Tag der Begehung der
Zuwiderhandlung nicht vernünftigerweise vorhersehbar gewesen wäre.
212 Aus der in den vorstehenden Randnrn. 134 und 205 angeführten Rechtsprechung geht hervor, dass
die Regeln über die Zurechnung und Sanktionen von Verstößen gegen das Wettbewerbsrecht, die die
Kommission im vorliegenden Fall angewandt hatte, bereits zu dem Zeitpunkt, in dem die
Zuwiderhandlung begangen worden war, nämlich im vorliegenden Fall in der Zeit vom 7. Dezember
1992 bis 8. Januar 2004, herausgearbeitet waren und dass sie jedenfalls nicht als erstmalig in der
angefochtenen Entscheidung festgelegt angesehen werden können. Zur Zeit des Sachverhalts
kannten Alstom und die Gesellschaften der Areva‑Gruppe diese Regeln oder mussten sie jedenfalls
kennen. Außerdem waren diese Regeln hinreichend klar und präzise, damit diese Gesellschaften
vernünftigerweise das Ergebnis ihrer Anwendung unter den Umständen des Sachverhalts voraussehen
konnten. Wie vorstehend in Randnr. 140 erwähnt, kann dies im Übrigen erklären, dass eine
Garantieklausel für Einstandspflichten im Übertragungsvertrag für den Fall aufgenommen wurde, dass
die Areva T&D SA und die Areva T&D AG wegen zuvor begangener Zuwiderhandlungen haftbar
gemacht würden. Folglich können sich Alstom und die Gesellschaften der Areva‑Gruppe im
vorliegenden Fall nicht mit Erfolg auf einen Verstoß gegen den Grundsatz des Rückwirkungsverbots
oder der Rechtssicherheit wegen der gesamtschuldnerisch zu zahlenden Geldbuße in Höhe von
53 550 000 Euro berufen, die in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung gegen Alstom und
die Areva T&D SA verhängt wurde.
213 Soweit sich der Klagegrund, der aus einem Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit
hergeleitet wird, als Einwand der Rechtswidrigkeit gegen die Regeln über die gesamtschuldnerische
Haftung für die Zahlung von Geldbußen auslegen lässt mit der Begründung, dass diese Regeln eine
Quelle der Unsicherheit in Bezug auf die zu zahlende Geldbuße, auf die Bestimmung des Schuldners
der Zahlungsverpflichtung und auf die Rechtslage der Gesamtschuldner seien, impliziert dieser
Klagegrund, dass zur Rechtmäßigkeit der Regelung der „gesamtschuldnerischen Haftung für die
Zahlung der Geldbußen“ im Wettbewerbsrecht Stellung zu nehmen und zu prüfen ist, ob die Rechte
und Verpflichtungen, die sich daraus ergeben, hinreichend genau von den von der Sanktion
betroffenen Gesellschaften erkannt werden können. Ebenso wie der Begriff des „Unternehmens“ im
Sinne des Wettbewerbsrechts, aus dem er sich von Rechts wegen ergibt (siehe oben, Randnr. 205),
muss der Begriff der „gesamtschuldnerischen Haftung für die Zahlung der Geldbußen“ unter
Bezugnahme auf die Ziele und die Systematik des Wettbewerbsrechts ausgelegt werden, wovon er ein
Teil ist, und zwar gegebenenfalls unter Bezugnahme auf die allgemeinen Grundsätze, die sich aus der
Gesamtheit der nationalen Rechtssysteme ergeben.
214 In dem bei der Kanzlei des Gerichts am 18. Juni 2009 eingetragenen Schreiben (siehe oben, Randnr.
42) und entgegen ihrem Vorbringen in der mündlichen Verhandlung (siehe oben, Randnr. 39) hat die
Kommission geltend gemacht, dass sie, wenn sie ohne weitere Klarstellungen oder Hinweise im
verfügenden Teil der Entscheidung eine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße gegenüber
mehreren Gesellschaften anordne, nicht die Frage zu regeln beabsichtige, was im Innenverhältnis der
verschiedenen Gesamtschuldner der jeweils zur Begleichung dieser Geldbuße zu erbringende Beitrag
sei. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass die Entscheidung, mit der die Kommission gegenüber
mehreren Gesellschaften die gesamtschuldnerische Zahlungsverpflichtung für eine Geldbuße
festsetzt, zwangsläufig sämtliche Wirkungen auslöst, die von Rechts wegen an die rechtliche Regelung
der Zahlung von Geldbußen im Wettbewerbsrecht anknüpfen, und dies sowohl in den Beziehungen
zwischen Gläubiger und Gesamtschuldnern als auch in den Beziehungen zwischen den
Gesamtschuldnern untereinander. Daher können weder die Kommission noch die Klägerinnen mit dem
Vorbringen durchdringen, dass die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der Geldbuße für
das Verhältnis zwischen Gläubiger und Gesamtschuldnern gelte, nicht aber auf der Ebene der
Gesamtschuldner untereinander. Auch können die Kommission und die Klägerinnen nicht mit Erfolg
vortragen, die Gesellschaften könnten frei darüber bestimmen, wie sie untereinander den Betrag einer
gesamtschuldnerisch zu zahlenden Geldbuße aufteilen, die gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr.
17 oder Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 wegen Verstoßes gegen die Art. 81 EG und 53
EWR‑Abkommen festgesetzt worden ist, da insoweit allein die Kommission zur Entscheidung befugt ist.
215 Es ist davon auszugehen, dass die Kommission in Ermangelung einer gegenteiligen Angabe in der
Entscheidung, mit der sie eine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße gegenüber mehreren
Gesellschaften wegen eines eine Zuwiderhandlung darstellenden Verhaltens eines Unternehmens
festsetzt, diesen Gesellschaften das genannte Verhalten zu gleichen Teilen zurechnet (vgl. in diesem
Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 2. Oktober 2003, Aristrain/Kommission, C‑196/99 P, Slg. 2003,
I‑11005, Randnrn. 100 und 101). Außerdem ist bereits entschieden worden, dass die zur
gesamtschuldnerischen Zahlung einer Geldbuße verurteilten Gesellschaften gehalten sind, eine
einzige Geldbuße zu zahlen, deren Betrag unter Bezugnahme auf die Umsätze des fraglichen
Unternehmens berechnet worden ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Aristrain/Kommission, Randnr. 101).
Folglich schuldet jede Gesellschaft den Gesamtbetrag der Geldbuße gegenüber der Kommission, und
die Zahlung, die eine von ihnen bewirkt, hat gegenüber der Kommission für alle befreiende Wirkung.
Die Gesellschaften, gegen die eine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße festgesetzt wird und
die, ausgenommen gegenteiliger Angaben in der die Geldbuße festsetzenden Entscheidung,
gleichermaßen für die Begehung der Zuwiderhandlung verantwortlich sind, müssen grundsätzlich zu
gleichen Teilen zur Zahlung der wegen dieser Zuwiderhandlung festgesetzten Geldbuße beitragen.
Demzufolge kann die Gesellschaft, die, eventuell nachdem sie von der Kommission auf Zahlung in
Anspruch genommen worden ist, den gesamten Betrag der Geldbuße entrichtet, schon auf der
Grundlage der Entscheidung der Kommission gegenüber ihren Mitgesamtschuldnern, und zwar gegen
jeden in Höhe seines Anteils, Erstattung verlangen. Wenn somit zwar die Entscheidung, die gegenüber
mehreren Gesellschaften eine gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße festsetzt, es nicht von
vornherein erlaubt, die Gesellschaft zu bestimmen, die der Kommission tatsächlich den Betrag der
Geldbuße zu zahlen haben wird, so verhindert sie doch nicht, dass jede dieser Gesellschaften
zweifelsfrei den Anteil des Geldbußenbetrags, der letztlich auf sie entfällt, kennen und gegen ihre
Gesamtschuldner wegen Erstattung der Beträge vorgehen kann, die sie über diesen Anteil
hinausgehend womöglich gezahlt hat.
216 Nach alledem hindert die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der Geldbußen im
Wettbewerbsrecht keine der von der Sanktion betroffenen Gesellschaften daran, zweifelsfrei die
finanziellen Folgen zu kennen, die sich für sie aus der Sanktion ergeben können. Der Umstand, dass in
diesem Zusammenhang die angefochtene Entscheidung keinen Aufschluss darüber gibt, welche
dieser Gesellschaften tatsächlich der Kommission den Betrag der Geldbuße zu zahlen haben wird,
bedeutet als solcher keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit.
217 Außerdem nimmt die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung der Geldbußen im
Wettbewerbsrecht keiner der von der Sanktion betroffenen Gesellschaften das Recht, eine Klage auf
Nichtigerklärung
der
Entscheidung,
mit
der
die
Kommission
ihnen
gegenüber
eine
gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße festgesetzt hat, zu erheben. Im vorliegenden Fall haben
sowohl Alstom als auch die Areva T&D SA ihr Klagerecht ausgeübt, indem jede auf der Grundlage von
Art. 230 EG eine Klage auf Nichtigerklärung erhoben hat.
218 Die aus einem Verstoß gegen die Grundsätze des Rückwirkungsverbots in der Rechtssicherheit
hergeleiteten Klagegründe und Rügen sind daher insgesamt zurückzuweisen.
219 Was die Klagegründe und Rügen betrifft, mit denen ein Verstoß gegen den Grundsatz der individuellen
Zumessung von Strafen und Sanktionen beanstandet wird, ist zu beachten, dass dieser Grundsatz,
der in jedem Verwaltungsverfahren anwendbar ist, das zu Sanktionen nach dem Wettbewerbsrecht
führen kann, verlangt, dass eine Sanktion gegen eine Person nur wegen Taten verhängt wird, die ihr
individuell zur Last gelegt werden (Urteile des Gerichts vom 13. Dezember 2001, Krupp Thyssen
Stainless und Acciai speciali Terni/Kommission, T‑45/98 und T‑47/98, Slg. 2001, II‑3757, Randnr. 63;
vom 25. Oktober 2005, Groupe Danone/Kommission, T‑38/02, Slg. 2005, II‑4407, Randnr. 278, und vom
30. Januar 2007, France Télécom/Kommission, T‑340/03, Slg. 2007, II‑107, Randnr. 66).
220 Gegen Alstom und die Areva T&D SA wurden im vorliegenden Fall Sanktionen wegen der Beteiligung
des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 7. Dezember 1992 bis 8.
Januar 2004 wegen Taten verhängt, die ihnen von der Kommission individuell zur Last gelegt worden
sind. Wie bereits vorstehend in Randnr. 127 festgestellt, wurden diese Gesellschaften aufgrund der sie
als unmittelbare oder mittelbare Leiter des betroffenen Unternehmens treffenden Verantwortlichkeit
persönlich für die Beteiligung dieses Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 7.
Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 verantwortlich gemacht. Somit wurde gegen Alstom und gegen die
Areva T&D SA wegen eines Verstoßes gegen Art. 81 EG und gegen Art. 53 EWR‑Abkommen, für den sie
aufgrund der Leitung, die sie zu dieser Zeit über das betroffene Unternehmen ausübten, als
persönliche Täter gelten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. November 2000, Metsä-Serla
u. a./Kommission, oben in Randnr. 134 angeführt, Randnr. 28), eine gesamtschuldnerisch zu zahlende
Geldbuße in Höhe von 53 550 000 Euro in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung verhängt.
221 Daher sind die Klagegründe und Rügen, mit denen ein Verstoß gegen den Grundsatz der persönlichen
Zumessung der Strafen und Sanktionen beanstandet wird, ebenfalls zurückzuweisen.
222 Soweit Alstom im Rahmen der Klagegründe und Rügen, mit denen ein Verstoß gegen den Grundsatz
der persönlichen Zumessung der Strafen und Sanktionen beanstandet wird, in der Erwiderung in der
Rechtssache T‑127/07 geltend gemacht hat, dass das aus der gesamtschuldnerischen Haftung für die
Zahlung der Geldbußen folgende Fehlen einer persönlichen Zumessung der Sanktionen das Ziel
beeinträchtige, die abschreckende Wirkung der Geldbußen sicherzustellen, das insbesondere von
Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 verfolgt werde, ist festzustellen, dass eine derartige Rüge,
die nicht auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt wird, die erst während des streitigen
Verfahrens zutage getreten sind, eine neue Rüge darstellt, die im Sinne von Art. 48 § 2 der
Verfahrensordnung unzulässig ist. Jedenfalls ist diese Rüge nicht begründet, weil, wie bereits
vorstehend in Randnr. 215 festgestellt, jeder der Gesamtschuldner gegenüber den anderen gehalten
ist, seinen Anteil an der Geldbuße zu entrichten, und in diesem Umfang die Last der von der
Kommission verhängten Geldbuße trägt.
223 Sodann sind die Klagegründe und Rügen zu prüfen, mit denen ein Verstoß gegen das Recht auf einen
effektiven Rechtsschutz beanstandet wird, da sich die rechtliche Lage von Alstom infolge ihrer
gesamtschuldnerischen Verurteilung als verfahrensmäßig an die der Areva T&D SA gekoppelt
darstelle.
224 Das Erfordernis einer gerichtlichen Kontrolle ist ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts, der sich
aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen in den Mitgliedstaaten ergibt und auch in den Art. 6
und 13 EMRK verankert ist (Urteile des Gerichts vom 15. Mai 1986, Johnston, 222/84, Slg. 1986, 1651,
Randnr. 18, und vom 25. Juli 2002, Unión de Pequeños Agricultores/Rat, C‑50/00 P, Slg. 2002, I‑6677,
Randnr. 39; Urteil vom 5. August 2003, P & O European Ferries [Vizcaya] und Diputación Foral de
Vizcaya/Kommission, T‑116/01 und T‑118/01, Slg. 2003, II‑2957, Randnr. 209). Das Recht auf einen
wirksamen Rechtsbehelf wurde ferner in Art. 47 der am 7. Dezember 2000 in Nizza proklamierten
Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 364, S. 1) erneut bekräftigt.
225 Das Erfordernis einer effektiven gerichtlichen Kontrolle gilt insbesondere für jede Entscheidung der
Kommission, mit der ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht festgestellt und geahndet wird (Urteile
des Gerichts vom 14. Mai 1998, Enso Española/Kommission, T‑348/94, Slg. 1998, II‑1875, Randnr. 60,
und vom 8. Juli 2008, Lafarge/Kommission, T‑54/03, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht,
Randnr. 42).
226 Nach Art. 17 der Verordnung Nr. 17 und Art. 31 der Verordnung Nr. 1/2003 hat das Gericht bei Klagen
gegen Entscheidungen, mit denen die Kommission eine Geldbuße festgesetzt hat, die Befugnis zu
unbeschränkter Nachprüfung der Entscheidung im Sinne von Art. 229 EG; es kann die festgesetzte
Geldbuße aufheben, herabsetzen oder erhöhen.
227 Bei den auf Art. 230 EG gestützten Klagen ist eine Kontrolle der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung
der Kommission, mit der natürlichen oder juristischen Personen ein Verstoß gegen das
Wettbewerbsrecht zur Last gelegt und gegen sie deswegen eine Geldbuße verhängt wird, als effektiver
gerichtlicher Rechtsschutz dieser Entscheidung anzusehen. Denn die Klagegründe, die von den
jeweiligen natürlichen oder juristischen Personen zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung des
Rechtsakts geltend gemacht werden können, erlauben es dem Gericht, in rechtlicher wie in sachlicher
Hinsicht zu beurteilen, ob eine festgestellte Zuwiderhandlung gegeben ist, und die Begründetheit
einer von der Kommission auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts verhängten Geldbuße zu beurteilen
(vgl. in diesem Sinne Urteil Lafarge/Kommission, oben in Randnr. 225 angeführt, Randnr. 45). Die
Intensität der vom Unionsrichter ausgeübten Kontrolle und somit die Effektivität der Klagen gegen die
Entscheidungen, mit denen die Kommission einen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln feststellt und
eine Geldbuße verhängt, werden noch durch die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung verstärkt,
die dem Gericht auf diesem Gebiet verliehen ist. Über eine bloße Kontrolle der Rechtmäßigkeit hinaus,
die lediglich eine Abweisung der Nichtigkeitsklage oder die Nichtigerklärung des angefochtenen
Rechtsakts ermöglicht, ermächtigt die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung, über die der
Unionsrichter verfügt, ihn zur Änderung der angefochtenen Entscheidung selbst ohne deren
Nichtigerklärung unter Berücksichtigung sämtlicher Sachverhaltsumstände, beispielsweise um den
Betrag der verhängten Geldbuße zu ändern (Urteil des Gerichtshofs vom 15. Oktober 2002, Limburgse
Vinyl Maatschappij u. a./Kommission, C‑238/99 P, C‑244/99 P, C‑245/99 P, C‑247/99 P, C‑250/99 P bis
C‑252/99 P und C‑254/99 P, Slg. 2002, I‑8375, Randnr. 692).
228 Im vorliegenden Fall hat die Tatsache, dass die Kommission Alstom und die Areva T&D SA für die
Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 7. Dezember 1992
bis 8. Januar 2004 verantwortlich gemacht hat und ihnen aus diesem Grund eine gesamtschuldnerisch
zu zahlende Geldbuße in Höhe von 53 550 000 Euro in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen
Entscheidung auferlegt hat, nicht das Recht einer dieser beiden Gesellschaften als Adressaten der
angefochtenen Entscheidung beeinträchtigt, die letztgenannte Entscheidung einer gerichtlichen
Kontrolle durch die effektive Ausübung der im Recht der Union und im EWR‑Abkommen garantierten
Rechtsbehelfe zu unterziehen. Denn sowohl Alstom als auch die Areva T&D SA konnten vor dem Gericht
eine Klage auf der Grundlage von Art. 230 EG erheben, die nicht nur einen Antrag auf teilweise
Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung enthielt, um die Rechtmäßigkeit dieser
Entscheidung zu überprüfen, insbesondere soweit sie ihnen eine gesamtschuldnerisch zu zahlende
Geldbuße auferlegte, sondern auch einen Antrag auf Abänderung der angefochtenen Entscheidung in
Bezug auf die Höhe der gesamtschuldnerisch zu zahlenden Geldbuße, die gegen sie verhängt worden
ist.
Folglich
konnte
jede
dieser
Gesellschaften
die
Frage
der
Rechtmäßigkeit
der
gesamtschuldnerischen Zahlung der Geldbuße eines Betrags von 53 550 000 Euro, die gegen sie in
Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung festgesetzt worden war, unter dem Blickwinkel des
Unionsrechts der Kontrolle durch den Unionsrichter unterbreiten. Aufgrund der Rückwirkung (Urteil des
Gerichtshofs vom 26. April 1988, Asteris u. a./Kommission, 97/86, 99/86, 193/86 und 215/86, Slg. 1988,
2181, Randnr. 30) und der absoluten Verbindlichkeit der Rechtskraft (Urteile des Gerichts vom 14.
September 1999, Kommission/AssiDomän Kraft Products u. a., C‑310/97 P, Slg. 1999, I‑5363, Randnr.
54; vom 15. Februar 2001, Nachi Europe, C‑239/99, Slg. 2001, I‑1197, Randnr. 26, und vom 29. April
2004, Italien/Kommission, C‑372/97, Slg. 2004, I‑3679, Randnr. 36), die von Nichtigkeitsurteilen
ausgehen, könnte Alstom oder die Areva T&D SA von jeder Verantwortlichkeit für die festgestellte
Zuwiderhandlung befreit und von jeder Verpflichtung, die Geldbuße, die gegen sie wegen dieser
Zuwiderhandlung festgesetzt worden ist, an die Kommission zu zahlen, oder von jeder Verpflichtung, in
Höhe ihres Anteils zur Zahlung der genannten Geldbuße im Fall ihrer Zahlung durch ihren
Mitgesamtschuldner beizutragen, freigestellt werden.
229 Dass die im Übertragungsvertrag enthaltene Garantieklausel für Einstandspflichten, wie Alstom
vorträgt, den Nutzen, den diese Gesellschaft aus ihrer Klage in der Rechtssache T‑121/07 ziehen
könnte, vereiteln kann, ist als Rechtsfolge des zwischen den Parteien geschlossenen Vertrags und
nicht als Wirkung der angefochtenen Entscheidung selbst anzusehen. Folglich ist, wie aus Randnr. 368
a. E. der angefochtenen Entscheidung hervorgeht, die Tatsache, dass eine derartige Garantieklausel
für Einstandspflichten im Übertragungsvertrag vereinbart worden ist, ohne Belang für die
Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung. Art. 81 EG und entsprechend Art. 53
EWR‑Abkommen sind dem Bereich der öffentlichen Ordnung zuzurechnende Vorschriften, die für die
Erfüllung der der Europäischen Gemeinschaft und dem EWR anvertrauten Aufgaben unerlässlich sind
(vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 4. Juni 2009, T‑Mobile Netherlands u. a., C‑8/08, Slg.
2009, I‑4529, Randnr. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung), so dass die Verantwortlichkeit
und die Sanktion, die die Gesellschaften treffen, nicht zu deren freier Disposition stehen können.
230 Somit kann darin, dass mit der angefochtenen Entscheidung in Art. 2 Buchst. c eine
gesamtschuldnerisch zu zahlende Geldbuße in Höhe von 53 550 000 Euro gegen Alstom und die Areva
T&D SA verhängt wird, kein Verstoß gegen den Grundsatz des Rechts auf einen effektiven
Rechtsschutz gesehen werden.
231 Daher sind die Klagegründe und Rügen, mit denen ein Verstoß gegen das Recht auf einen effektiven
Rechtsschutz beanstandet wird, als unbegründet zurückzuweisen.
232 Schließlich sind die Klagegründe und Rügen zu prüfen, mit denen ein Verstoß gegen Art. 7 EG und
gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit beanstandet wird, weil die
Kommission mit der gesamtschuldnerischen Verurteilung von Alstom und der Areva T&D SA zur
Zahlung einer Geldbuße dem nationalen Richter oder Schiedsrichter die Befugnis überantwortet habe,
die Verantwortlichkeit einer jeden der Gesellschaften für die Begehung der festgestellten
Zuwiderhandlung und mithin ihren jeweiligen Beitrag zur Zahlung der Geldbuße zu bestimmen, und sie
die Areva T&D SA dem Risiko ausgesetzt habe, an die Kommission Beträge zu zahlen, die letztlich von
Alstom getragen werden müssten.
233 Gemäß Art. 5 EG wird die Europäische Gemeinschaft innerhalb der Grenzen der ihr im Vertrag
zugewiesenen Befugnisse und gesetzten Ziele tätig. Sie verfügt somit nur über begrenzte
Ermächtigungen (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/94 des Gerichtshofs vom 28. März 1996, Slg. 1996,
I‑1759, Randnr. 23). Nach Art. 7 Abs. 1 EG handeln die Organe, die wie die Kommission die der
Gemeinschaft zugewiesenen Aufgaben wahrnehmen, selbst nach Maßgabe der ihnen im Vertrag
zugewiesenen Befugnisse. Ein Organ kann nicht auf seine Befugnisse verzichten, ohne die Rolle zu
verkennen, die es nach Art. 7 Abs. 1 EG bei der Wahrnehmung der der Gemeinschaft zugewiesenen
Aufgaben spielen muss.
234 Wenn die Kommission wie im vorliegenden Fall ein Verfahren zum Erlass einer Entscheidung eröffnet,
mit der ein Verstoß gegen die Art. 81 EG und 53 EWR‑Abkommen festgestellt werden soll, ist allein sie
gemäß Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 oder Art. 7 Abs. 1 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr.
1/2003 dafür zuständig, diesen Verstoß festzustellen und den Unternehmen, die vorsätzlich oder
fahrlässig hieran beteiligt waren, Geldbußen aufzuerlegen. Die Kommission würde gegen den
Grundsatz der begrenzten Ermächtigung verstoßen, wenn sie die Befugnisse, die ihr so durch die
vorgenannten Vorschriften übertragen worden sind, auf einen Dritten übertrüge (vgl. in diesem Sinne
zu den Ermittlungsbefugnissen der Kommission nach Art. 3 der Verordnung Nr. 17 Urteil des Gerichts
vom 17. September 2007, Microsoft/Kommission, T‑201/04, Slg. 2007, II‑3601, Randnr. 1264).
235 Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in jedem Einzelfall, wenn sie die Festsetzung
von Geldbußen nach dem Wettbewerbsrecht beschließt, die allgemeinen Rechtsgrundsätze einhalten
muss, zu denen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit in ihrer Auslegung
durch die Gerichte der Union gehören (Urteil des Gerichts vom 27. September 2006, Archer Daniels
Midland/Kommission, T‑59/02, Slg. 2006, II‑3627, Randnr. 315). Nach ständiger Rechtsprechung liegt
ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung oder das Diskriminierungsverbot nur dann
vor, wenn vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte
gleichbehandelt werden, sofern eine solche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist (Urteile des
Gerichtshofs vom 13. Dezember 1984, Sermide, 106/83, Slg. 1984, 4209, Randnr. 28, und vom 28. Juni
1990, Hoche, C‑174/89, Slg. 1990, I‑2681, Randnr. 25; Urteil des Gerichts vom 14.. Mai 1998, BPB de
Eendracht/Kommission, T‑311/94, Slg. 1998, II‑1129, Randnr. 309). Nach diesem Grundsatz dürfen die
Handlungen der Gemeinschaftsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung
der mit der fraglichen Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist; dabei ist
von mehreren geeigneten Maßnahmen die am wenigsten belastende zu wählen, und die verursachten
Nachteile müssen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen (Urteile des
Gerichtshofs vom 13. November 1990, Fedesa u. a., C‑331/88, Slg. 1990, I‑4023, Randnr. 13, und vom
5. Mai 1998, Vereinigtes Königreich/Kommission, C‑180/96, Slg. 1998, I‑2265, Randnr. 96).
236 Im vorliegenden Fall hat die Kommission entgegen dem Vorbringen der Gesellschaften der
Areva‑Gruppe den jeweiligen Haftungsanteil der Areva T&D SA und von Alstom im Rahmen der
Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 7. Dezember 1992
bis 8. Januar 2004 und mithin ihren jeweiligen Anteil an der Geldbuße bestimmt, die sie der Kommission
gesamtschuldnerisch schulden. Denn wie bereits vorstehend in Randnr. 215 festgestellt, haften in
Ermangelung einer gegenteiligen Angabe in der angefochtenen Entscheidung die Areva T&D SA und
Alstom für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 7.
Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 zu gleichen Teilen, woraus sich ergibt, dass der jeweilige Anteil an
der gesamtschuldnerisch zu zahlenden Geldbuße grundsätzlich bei 50 % liegt. Da sich dies der
angefochtenen Entscheidung selbst entnehmen lässt, kann nicht gesagt werden, dass die
Kommission im vorliegenden Fall einem nationalen Richter oder Schiedsrichter einen Teil der ihr
übertragenen Befugnisse bei der Feststellung und Ahndung der Verstöße gegen die Art. 81 EG und 53
EWR‑Abkommen überantwortet habe.
237 Da die geprüften Klagegründe und Rügen auf einer irrigen Annahme beruhen, sind sie als
unbegründet zurückzuweisen.
238 Somit sind sämtliche Klagegründe und Rügen zurückzuweisen, die Alstom und die Gesellschaften der
Areva‑Gruppe in Bezug auf die gesamtschuldnerisch zu zahlende, Alstom und der Areva T&D SA in
Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung auferlegte Geldbuße in Höhe von 53 550 000 Euro
vorgebracht haben und mit denen ein Verstoß gegen die aus den Art. 81 EG und 53 EWR‑Abkommen
folgenden Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung von Geldbußen, ein Verstoß
gegen Art. 7 EG, ein Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung, der
Verhältnismäßigkeit, das Recht auf einen effektiven Rechtsschutz und den Grundsatz der persönlichen
Strafzumessung sowie ein Verstoß gegen die Begründungspflicht beanstandet werden.
239 Zu prüfen bleibt an zweiter Stelle der Klagegrund, der aus einem Verstoß gegen die aus Art. 81 EG
und Art. 53 EWR‑Abkommen folgenden Regeln über die Gesamtschuld bei der Zahlung von Geldbußen
in Bezug auf den Betrag von 25 500 000 Euro hergeleitet wird, den die Gesellschaften der
Areva‑Gruppe nach Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung gesamtschuldnerisch zu zahlen
haben.
240 In den Randnrn. 370 und 371 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission
festgestellt, dass die Gesellschaften der Areva‑Gruppe persönlich für die Beteiligung des betroffenen
Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 9. Januar bis 11. Mai 2004 verantwortlich
gemacht
werden
könnten,
da
sie
dieses
Unternehmen
während
des
fraglichen
Zuwiderhandlungszeitraums unmittelbar oder mittelbar geleitet und damals im wettbewerblichen Sinne
ein einziges Unternehmen gebildet hätten.
241 Aus der vorstehend in den Randnrn. 134 und 205 dargelegten Rechtsprechung geht hervor, dass der
Kommission kein Fehler unterlaufen ist, als sie die Ansicht vertrat, dass die Gesellschaften, die dieses
Unternehmen zum Zeitpunkt seiner Beteiligung an der Zuwiderhandlung unmittelbar oder mittelbar
leiteten, persönlich für das eine Zuwiderhandlung darstellende Verhalten verantwortlich gemacht
werden können. Im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes haben die Gesellschaften der
Areva‑Gruppe nicht bestritten, dass die Areva T&D SA und die Areva T&D AG das betroffene
Unternehmen zwischen dem 9. Januar und dem 11. Mai 2004 unmittelbar leiteten, sondern nur, dass
die Areva und die Areva T&D Holding dieses Unternehmen über ihre im Geschäftsbereich T & D tätigen
100%igen Tochtergesellschaften leiteten. Jedoch geht aus den Ausführungen in den vorstehenden
Randnrn. 144 bis 152 hervor, dass der Kommission kein Fehler unterlaufen ist, als sie die Ansicht
vertrat, dass Areva und die Areva T&D Holding eine tatsächliche Kontrolle über die Areva T&D SA und
die Areva T&D AG ausübten und deren Marktverhalten bestimmten.
242 Daher kann nicht geltend gemacht werden, dass die Kommission gegen die aus den Art. 81 EG und
53 EWR‑Abkommen folgenden Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für die Zahlung von
Geldbußen in Bezug auf den Betrag von 25 500 000 Euro verstoßen habe, für den die Kommission die
Gesellschaften der Areva‑Gruppe in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung
gesamtschuldnerisch haftbar macht.
243 Folglich sind die Klagegründe und Rügen als unbegründet zurückzuweisen, mit denen die Klägerinnen
die ihnen in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen Entscheidung auferlegte gesamtschuldnerisch zu
zahlende Geldbuße beanstanden.
Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte und gegen Art. 27 Abs. 1
der Verordnung Nr. 1/2003
– Vorbringen der Parteien
244 Alstom wirft der Kommission in ihrem siebten Klagegrund vor, in der angefochtenen Entscheidung
gegen den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte und gegen Art. 27 Abs. 1 der Verordnung
Nr. 1/2003 verstoßen zu haben, da die ihr gegenüber in der angefochtenen Entscheidung zugrunde
gelegten Beschwerdepunkte nicht mit denjenigen übereinstimmten, die in der Mitteilung der
Beschwerdepunkte formuliert worden seien. Sie ist der Ansicht, sie habe zu der ihr in der
angefochtenen Entscheidung in Anbetracht der Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992 angelasteten „ausschließlichen
Verantwortlichkeit“ nicht Stellung nehmen können, da die Kommission in Randnr. 337 der Mitteilung
der Beschwerdepunkte angegeben habe, insoweit treffe sie mit der Areva T&D SA und der Areva T&D
AG eine „gesamtschuldnerische Haftung“.
245 Die Kommission tritt dem Vorbringen von Alstom entgegen und beantragt, die vorliegende Rüge
zurückzuweisen.
– Würdigung durch das Gericht
246 Die Wahrung der Verteidigungsrechte stellt in allen Verfahren, die zu Sanktionen, insbesondere zu
Geldbußen oder Zwangsgeldern, führen können, einen fundamentalen Grundsatz des Unionsrechts
dar, der auch in einem Verwaltungsverfahren beachtet werden muss (Urteile des Gerichts vom 13.
Februar 1979, Hoffmann-La Roche/Kommission, 85/76, Slg. 1979, 461, Randnr. 9, und vom 2. Oktober
2003, ARBED/Kommission, C‑176/99 P, Slg. 2003, I‑10687, Randnr. 19; Urteil BASF/Kommission, oben in
Randnr. 87 angeführt, Randnr. 44).
247 Die Wahrung der Verteidigungsrechte erfordert, dass das betroffene Unternehmen im
Verwaltungsverfahren zum Vorliegen und zur Erheblichkeit des angeführten Sachverhalts sowie zu den
von der Kommission zur Stützung ihrer Behauptung, dass ein Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht
vorliege, herangezogenen Schriftstücken sachgerecht Stellung nehmen kann (Urteile des Gerichts vom
7. Juni 1983, Musique Diffusion française u. a./Kommission, 100/80 bis 103/80, Slg. 1983, 1825,
Randnr. 10, und Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 61 angeführt, Randnr. 66).
248 In diesem Sinne sieht die Verordnung Nr. 1/2003 wie auch zuvor die Verordnung Nr. 17 vor, dass den
Beteiligten eine Mitteilung der Beschwerdepunkte übersandt wird, in der alle wesentlichen Tatsachen,
auf die sich die Kommission in diesem Verfahrensstadium stützt, klar angegeben werden müssen.
Jedoch kann diese Angabe kurz ausfallen, und die Entscheidung muss nicht zwangsläufig eine Kopie
der Darlegung der Beschwerdepunkte sein (Urteile Musique Diffusion française u. a./Kommission, oben
in Randnr. 247 angeführt, Randnr. 14, und Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 61
angeführt, Randnr. 67), denn die Mitteilung der Beschwerdepunkte ist ein vorbereitendes Dokument,
dessen tatsächliche und rechtliche Beurteilungen rein vorläufiger Art sind (vgl. Urteile des
Gerichtshofs Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 61 angeführt, Randnr. 67 und die
dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne auch Urteil des Gerichtshofs vom 10. Juli 2008,
Bertelsmann und Sony Corporation of America/Impala, C‑413/06 P, Slg. 2008, I‑4951, Randnr. 63 und
die dort angeführte Rechtsprechung). Aus diesem Grund kann und muss sogar die Kommission
Tatsachen berücksichtigen, die sich aus dem Verwaltungsverfahren ergeben, um insbesondere
Beschwerdepunkte fallen zu lassen, die sich als unbegründet erweisen (Urteile Musique Diffusion
française u. a./Kommission, oben in Randnr. 247 angeführt, Randnr. 14, und Aalborg Portland u.
a./Kommission, oben in Randnr. 61 angeführt, Randnr. 67).
249 Mit der vorliegenden Rüge trägt Alstom vor, die Kommission habe gegen den Grundsatz der Wahrung
der Verteidigungsrechte verstoßen, da sie in der angefochtenen Entscheidung einen
Beschwerdepunkt fallen gelassen habe, den sie zuvor gegen die Areva T&D SA und die Areva T&D AG
in Randnr. 337 der Mitteilung der Beschwerdepunkte angeführt habe und der darin bestanden habe,
diese Gesellschaften persönlich für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992 verantwortlich zu machen.
250 Die Kommission, die das Vorbringen von Alstom bestreitet, wonach sie nicht angegeben habe, dass
sie sie für die Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992 für
alleinverantwortlich gehalten habe, macht geltend, aus Randnr. 337 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte in Zusammenhang mit deren Randnr. 331 ergebe sich, dass sie Alstom allein für
die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988
bis 6. Dezember 1992 habe verantwortlich machen wollen. In Anbetracht dieser Einwände müsse
zunächst zur Begründetheit dieses Vorbringens Stellung genommen werden.
251 In Randnr. 331 der Mitteilung der Beschwerdepunkte hat die Kommission an die Rechtsprechung des
Gerichtshofs und des Gerichts zur Vermutung der Verantwortlichkeit der Muttergesellschaften für
wettbewerbswidriges Verhalten erinnert, das ihren Tochtergesellschaften zuzurechnen ist, die sich
daraus ergibt, dass die Muttergesellschaften vollständig oder nahezu vollständig das
Gesellschaftskapital der Tochtergesellschaften halten.
252 In Randnr. 336 der Mitteilung der Beschwerdepunkte hat die Kommission darauf hingewiesen, dass
Alstom und ihre rechtlichen und wirtschaftlichen Vorgängergesellschaften das ganze oder nahezu das
ganze Gesellschaftskapital der rechtlichen Einheiten gehalten hätten, die an dem kollusiven Verhalten,
das in der Mitteilung der Beschwerdepunkte beschrieben worden sei, beteiligt gewesen seien, nämlich
zum einen an der Alsthom SA (France), der GEC Alsthom SA, Kléber Eylau, der GEC Alsthom T&D SA der
Alstom T&D SA, deren Nachfolger in rechtlicher und wirtschaftlicher Hinsicht die Areva T&D SA ist, und
zum anderen Sprecher Energie, die GEC Alsthom T&D, die Alstom T&D AG, Alstom Power (Schweiz) und
die Alstom AG (Suisse), deren rechtlicher und wirtschaftlicher Nachfolger die Areva T&D AG ist.
253 In Randnr. 337 der Mitteilung der Beschwerdepunkte hat die Kommission dargelegt, dass sie aus den
in deren Randnr. 331 dargelegten Gründen die Absicht habe, Alstom, die Areva T&D SA und die Areva
T&D AG gemeinsam und gesamtschuldnerisch für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an
der Zuwiderhandlung in der Zeit zwischen dem 15. April 1988, dem Datum, zu dem das genannte
Unternehmen dem GQ-Abkommen und dem EQ-Abkommen beigetreten sei, und dem 8. Januar 2004
verantwortlich zu machen, dem Datum, zu dem die Alstom Gruppe ihren „Geschäftsbereich T & D“ an
die Areva‑Gruppe veräußert habe.
254 Angesichts des klaren Wortlauts von Randnr. 337 der Mitteilung der Beschwerdepunkte ist davon
auszugehen, dass Alstom zu Recht geltend macht, dass die Mitteilung der Beschwerdepunkte die
Absicht der Kommission zum Ausdruck brachte, die Areva T&D SA und die Areva T&D AG persönlich für
die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung insbesondere in der Zeit vom
15. April 1988 bis 6. Dezember 1992 verantwortlich zu machen. Da die Kommission in der
angefochtenen Entscheidung lediglich Alstom für die Zuwiderhandlung innerhalb dieses Zeitraums
verantwortlich macht, lässt sie somit im Kern einen ursprünglich gegenüber der Areva T&D SA und der
Areva T&D AG in der Mitteilung der Beschwerdepunkte formulierten Beschwerdepunkt fallen; in diesem
Umfang steht die angefochtene Entscheidung nicht mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte in
Einklang.
255 Aus der Akte geht hervor, dass die Gesellschaften der Areva-Gruppe in ihrer Erwiderung auf die
Mitteilung der Beschwerdepunkte der Kommission zusätzliche Informationen geliefert haben, die
zeigten, dass der gegenüber der Areva T&D SA und der Areva T&D AG geltend gemachte
Beschwerdepunkt nicht begründet war. Denn Randnr. 344 der angefochtenen Entscheidung, auf die
sich die Kommission berufen hat, lässt sich entnehmen, dass die Kommission berücksichtigt hat, dass
die Gesellschaften der Areva‑Gruppe in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte
erklärt haben, zumindest bis 1993 müsse allein Alstom für die Zuwiderhandlung verantwortlich
gemacht werden, da die spätere Alstom‑Gruppe unmittelbar die Tätigkeiten auf dem Gebiet T&D in der
Zeit von 1988 bis 1993 bis zur Gründung der Vorgängergesellschaften der Alstom T&D SA, nämlich der
GEC Alsthom T&D SA, kontrolliert habe. In den Randnrn. 20, 357 und 366 der angefochtenen
Entscheidung hat die Kommission festgestellt, dass die Areva T&D SA und die Areva T&D AG unter
ihrer damaligen Firma nicht vor dem 7. Dezember 1992, dem Tag, an dem die französischen
GIS‑Geschäfte der Alstom‑Gruppe auf Kléber Eylau übertragen worden seien, bzw. dem 22. Dezember
2003, als die GIS‑Geschäfte der Alstom‑Gruppe in der Schweiz auf Alstom (Schweiz) Services
übertragen worden seien, nicht existiert hätten, und hieraus in den Randnrn. 358 und 371 der
angefochtenen Entscheidung gefolgert, dass diese Gesellschaften nicht persönlich für die Beteiligung
des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 6.
Dezember 1992 verantwortlich gemacht werden konnten.
256 Daher ist zu prüfen, ob die Alstom treffende Haftung aufgrund der Tatsache, dass die Kommission in
der angefochtenen Entscheidung davon abgesehen hat, die Areva T&D SA und die Areva T&D AG
persönlich für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom
15. April 1988 bis 6. Dezember 1992 verantwortlich zu machen, verschärft worden ist.
257 In Anbetracht der Wirkungen der gesamtschuldnerischen Haftung für die Zahlung der Geldbußen, wie
sie vorstehend in den Randnrn. 205 und 215 dargestellt worden sind, ist festzustellen, dass die
Tatsache, dass allein Alstom in der angefochtenen Entscheidung als verantwortlich für die Beteiligung
des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 6.
Dezember 1992 angesehen worden ist, ihre rechtliche Lage verändert hat und dass die vorstehend in
Randnr. 254 dargestellte Diskrepanz zwischen der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der
angefochtenen Entscheidung diese Gesellschaft beschwert hat. Denn die Kommission hat, indem sie
davon absah, die Areva T&D SA und die Areva T&D AG für die Beteiligung des betroffenen
Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992
persönlich zur Verantwortung zu ziehen, und indem sie folglich davon absah, gegen sie eine
gesamtschuldnerisch mit Alstom für diesen Zeitraum geschuldete Geldbuße zu verhängen, letztlich
Alstom mit der gesamten Verantwortlichkeit und damit der Geldbuße belastet, während bei
gesamtschuldnerischer Haftung für die Zahlung der Geldbuße jeder der Gesamtschuldner letztlich
gegenüber den anderen nur in Höhe seines Anteils am gesamtschuldnerisch zu zahlenden
Geldbußenbetrag hätte einstehen müssen.
258 Der vorläufige Charakter der Mitteilung der Beschwerdepunkte erlaubte im vorliegenden Fall zwar der
Kommission, einen in dieser Mitteilung formulierten Beschwerdepunkt gegenüber der Areva T&D SA
und der Areva T&D AG in Anbetracht zusätzlicher Informationen, die Areva im Lauf des
Verwaltungsverfahrens beigebracht hat und die ihn gerechtfertigt hätten, fallen zu lassen. Soweit
jedoch Alstom dadurch beschwert wurde, hätte ihr vorher Gelegenheit zu einer sachdienlichen
Stellungnahme eingeräumt werden müssen.
259 In Randnr. 344 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission in Anbetracht der Bemerkungen
der Areva-Gruppe in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, wonach allein Alstom
für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April
1988 bis 6. Dezember 1992 (siehe oben, Randnr. 255) verantwortlich zu machen sei, festgestellt, dass
Alstom ausdrücklich in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte eingeräumt habe,
Zugang zu der Erwiderung der Gesellschaften der Areva-Gruppe gemäß den zwischen beiden Gruppen
im Übertragungsvertrag vorgesehenen Bedingungen gehabt zu haben und auf die Ausführungen der
Areva-Gruppe zu Haftungsfragen ausführlich eingegangen zu sein. Bei der Anhörung vom 18. und 19.
Juli 2006 hätten Alstom und die Gesellschaften der Areva-Gruppe außerdem Gelegenheit gehabt, ihre
jeweiligen Argumente vorzutragen und auf die der Gegenseite zu antworten. In den Randnrn. 345 bis
347 der angefochtenen Entscheidung geht die Kommission auf das Vorbringen von Alstom in ihrer
Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte ein. In Randnr. 347 hat sie insbesondere
festgestellt, dass Alstom bestreite, dass sie vor 1993 im GIS‑Geschäft selbst aktiv oder an dem Kartell
beteiligt gewesen sei, da die „T&D‑Abteilung“, die später in „T&D‑Sektor“ (dem Alstom T&D SA und
Alstom T&D AG angehört hätten) umbenannt worden sei, im Markt stets als unabhängiges
Unternehmen sowohl vor als auch nach der Verleihung der Rechtspersönlichkeit gehandelt habe, und
dass Alstom vortrage, dass nur der „Geschäftsbereich T & D“ und folglich die Areva T&D SA und die
Areva T&D AG für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemacht werden sollten.
260 Die Randnrn. 344, 345 und 347 der angefochtenen Entscheidung hat Alstom inhaltlich nicht
bestritten. Dies belegt rechtlich hinreichend, dass Alstom schon vor Erlass der angefochtenen
Entscheidung zu der grunsätzlichen Frage ihrer ausschließlichen Haftung aufgrund der Beteiligung des
betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember
1992 Stellung nehmen konnte und dass sie von den von den Gesellschaften der Areva-Gruppe in ihrer
Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte vorgetragenen Argumenten Kenntnis nehmen
konnte. Daraus ergibt sich außerdem, dass Alstom in der Lage war, die Gründe darzulegen, aus denen
sie der Ansicht war, der ursprünglich gegenüber der Areva T&D SA und der Areva T&D AG in der
Mitteilung der Beschwerdepunkte formulierte Beschwerdepunkt solle nicht fallen gelassen werden.
261 Dies wird durch den Abschlussbericht des Anhörungsbeauftragten vom 15. Januar 2007 bestätigt, der
angibt, dass in Anbetracht der schriftlichen Antworten auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte und
den darauf folgenden Schriftwechsel sowie in Anbetracht der Ergebnisse der Anhörung die Dauer der
Zuwiderhandlung, wie sie in der Mitteilung der Beschwerdepunkte beschrieben worden sei,
insbesondere für die Areva T&D SA und die Areva T&D AG herabgesetzt worden sei und dass das
Recht aller Verfahrensbeteiligten auf Anhörung im vorliegenden Fall gewahrt worden sei.
262 Da feststeht, dass Alstom vor Erlass der angefochtenen Entscheidung in der Lage gewesen ist,
insoweit sachdienlich ihren Standpunkt geltend zu machen, ist zu folgern, dass die
Verteidigungsrechte von Alstom durch die Diskrepanz zwischen der Mitteilung der Beschwerdepunkte
und der angefochtenen Entscheidung nicht verletzt worden sind, die sich daraus ergibt, dass in dieser
Entscheidung die Areva T&D SA und die Areva T&D AG nicht für die Beteiligung des betroffenen
Unternehmens an der Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992
verantwortlich gemacht werden.
263 Folglich ist die von Alstom in ihrem siebtem Klagegrund geltend gemachte Rüge, mit der ein Verstoß
gegen den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte und ein Verstoß gegen Art. 27 Abs. 1 der
Verordnung Nr. 1/2003 beanstandet wird, zurückzuweisen.
Zur Erhöhung des Grundbetrags der in Art. 2 Buchst. b und c der angefochtenen Entscheidung
gegen Alstom und die Gesellschaften der Areva-Gruppe festgesetzten Geldbußen
– Vorbringen der Parteien
264 Mit ihrem in drei Teile unterteilten fünften Klagegrund rügt Alstom, dass die Kommission den
Grundbetrag der gegen sie in Art. 2 Buchst. b und c der angefochtenen Entscheidung verhängten
Geldbußen wegen eines erschwerenden Umstands erhöht habe, den die Kommission mit der
Anführerrolle des betroffenen Unternehmens als „Europa-Sekretariat“ des Kartells begründe.
265 Den ersten Teil ihres fünften Klagegrundes stützt Alstom auf einen Fehler, mit dem die Beurteilung der
Kommission behaftet sei, nach der das betroffene Unternehmen eine Anführerrolle als „Europa-
Sekretariat“ des Kartells gespielt habe.
266 Alstom räumt ein, dass das betroffene Unternehmen die Rolle als „Europa-Sekretariat“ des Kartells
für den Zeitraum von „‚ungefähr 2000‘ bis 2004“ wahrgenommen habe. Weiter räumt sie ein, dass
dem betroffenen Unternehmen durch „die [von ihm wahrgenommene] Rolle als [‚Europa-Sekretariat‘
des Kartells] eine zentrale Rolle oder die Rolle als ‚Kontaktstelle‘ [im Kartell] zugefallen sei“ und dass
„die Arbeitsweise des Kartells … natürlich durch eine Bündelung und/oder Weiterleitung der
Informationen wirksamer geworden“ sei. Alstom bestreitet nicht, dass mit der Rolle des „Europa-
Sekretariats“ die „Übernahme der Tätigkeiten [der] Bündelung, [des] Zusammentragens und [des]
Austauschs der Informationen zwischen den europäischen Beteiligten sowie zwischen diesen und den
[japanischen Beteiligten], die Verteilung der [GIS-]Projekte nach Maßgabe der eingegangenen
Meldeformulare der Beteiligten und die Anwendung mechanisch anzuwendender Grundsätze
(Kontingente) und schließlich die materielle Verwaltung bestimmter, allerdings nicht aller
Zusammenkünfte“ verbunden war. Schließlich räumt sie ein, dass sie als „Europa-Sekretariat“ des
Kartells „die Entwicklung des Kontingents jedes einzelnen Beteiligten aufgrund der Aufteilung der [GIS-
]Projekte einerseits und sodann aufgrund der erhaltenen Kundenaufträge andererseits zur Kenntnis
genommen“ habe.
267 Alstom meint jedoch, dass ihr aufgrund der von ihr wahrgenommenen Aufgaben als „Europa-
Sekretariat“ keine Anführerrolle zugeschrieben werden könne, da ihr diese Aufgaben, wie sich aus der
angefochtenen Entscheidung und dem Inhalt der Akten der Kommission ergebe, zunächst vorläufig –
zwischen dem Jahr 2000 und März 2002 – und sodann dauerhaft – nach März 2002 – von den anderen
Mitgliedern des Kartells aufgedrängt worden seien. Außerdem gehe aus der Mitteilung der
Beschwerdepunkte, der angefochtenen Entscheidung und den Akten der Kommission hervor, dass die
Tätigkeit als „Europa-Sekretariat“ rein administrativer Natur gewesen sei und dem betroffenen
Unternehmen keine bedeutendere Rolle als Anführer oder Anstifter des Verstoßes als den übrigen
Mitgliedern des Kartells verliehen habe.
268 Mit dem zweiten Teil ihres fünften Klagegrundes macht Alstom im Wesentlichen einen Verstoß gegen
Nr. 2 dritter Gedankenstrich der Leitlinien und eine Verletzung der Begründungspflicht geltend. Die
üblicherweise zur Kennzeichnung einer Anführerrolle im Sinne von Nr. 2 dritter Gedankenstrich der
Leitlinien herangezogenen Kriterien hätten im vorliegenden Fall entweder nicht vorgelegen oder seien
allen Mitgliedern des Kartells gemeinsam gewesen. Zum einen hätten einige Kriterien, die für die
Qualifikation als Anstifter eines Verstoßes bestimmend seien, im vorliegenden Fall nicht vorgelegen.
Alstom habe weder Drohungen gegenüber Wettbewerbern, die sich nicht am Kartell beteiligt hätten,
ausgesprochen noch Entscheidungen über die Ausweitung des Kartells oder über dessen
Beziehungen zu Dritten getroffen. Ebenso wenig sei es ihre Aufgabe gewesen, die Einhaltung des
Kartells durch dessen Mitglieder zu überwachen. Ihre Stellung auf dem relevanten Markt sei im
Verhältnis zu der anderer Gesellschaften, wie Siemens oder ABB, die größere Marktanteile als sie
gehalten hätten, nicht vorherrschend gewesen und habe ihr nicht ermöglicht, auf ihre Wettbewerber
Druck auszuüben. Nach der Rechtsprechung könne sie auch nicht als Initiator oder Entwerfer des
Kartells oder seiner Arbeitsregeln angesehen werden, da das erste, im Jahr 1988 geschlossene
Abkommen von neun europäischen Gesellschaften gemeinsam unterzeichnet und das Kartell von
diesen gemeinsam eingerichtet worden sei. Zum anderen hätten einige Wesensmerkmale einer
Anführerrolle nicht speziell auf Alstom, sondern ebenso auf alle anderen oder einige andere Mitglieder
des Kartells zugetroffen. So seien die Vorbereitung von und die Teilnahme an strategischen
Zusammenkünften des Kartells sowie die Häufigkeit dieser Teilnahmen Kriterien gewesen, die Alstom,
Siemens und ABB im Zusammenhang mit den die Verwaltung des Kartells betreffenden sogenannten
Treffen auf „Managementebene“ und den Zusammenkünften des gemeinsamen Ausschusses
Europa/Japan gemeinsam gewesen seien. In den Arbeitsgruppen und bei den Treffen jeder Gruppe zur
Vorbereitung auf die Zusammenkünfte des gemeinsamen Ausschusses Europa/Japan seien alle
Beteiligten des Kartells vertreten gewesen. Es sei nicht erwiesen, dass Alstom im Kartell mehr Initiative
als die anderen Beteiligten ergriffen oder etwa bei den regelmäßigen Änderungen der Codes innerhalb
des Kartells unabhängig gehandelt habe. Schließlich sei die Einhaltung der Instruktionen, die Kontrolle
und die Disziplin innerhalb des Kartells von jedem seiner Mitglieder, das über die Wahrung seiner
Interessen im Kartell gewacht habe, oder, soweit es um die Beachtung der Verpflichtungen durch die
japanischen Kartellmitglieder gehe, vom Europa-Ausschuss sichergestellt worden. Insoweit habe die
Kommission aus der Bezeichnung von Alstom als „Europa-Sekretariat“ allein keinen erschwerenden
Umstand mit der Begründung herleiten können, dass sie für die Funktionsweise des Kartells eine
größere Rolle als die anderen und für dessen Fortbestand sogar eine entscheidende Rolle gespielt
habe. Zudem habe die Kommission unangemessen und unzureichend ihre Schlussfolgerungen
begründet, wonach die Rolle des „Europa-Sekretariats“ des Kartells für die Funktionsweise des Kartells
insoweit substanziell und sogar notwendig gewesen sei, als es im Rahmen des Kartells erhebliche
Ressourcen aufgewandt und Initiativen ergriffen habe.
269 Den dritten Teil ihres fünften Klagegrundes stützt Alstom auf eine Verletzung der Grundsätze der
Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit. Die Kommission habe den Grundsatz der
Gleichbehandlung insoweit verletzt, als sie das betroffene Unternehmen unter dem Gesichtspunkt des
mit der Anführerrolle begründeten erschwerenden Umstands genauso behandelt habe wie Siemens,
obwohl sich diese Unternehmen nicht in einer vergleichbaren Lage befunden hätten, und anders
behandelt habe als ABB und an der festgestellten Zuwiderhandlung beteiligte japanische
Unternehmen, obwohl sich die Unternehmen in einer vergleichbaren Situation befunden hätten. Zu
rügen sei weiter eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, weil das betroffene
Unternehmen und Siemens gleichbehandelt worden seien.
270 Die Gesellschaften der Areva-Gruppe wenden sich mit ihrem in vier Teile gegliederten sechsten
Klagegrund gegen die wegen der Anführerrolle des betroffenen Unternehmens in seiner Eigenschaft
als „Europa-Sekretariat“ des Kartells vorgenommene Erhöhung der Geldbuße, die gegen sie in Art. 2
Buchst. c der angefochtenen Entscheidung festgesetzt worden sei.
271 Den ersten Teil ihres sechsten Klagegrundes stützen die Gesellschaften der Areva-Gruppe auf einen
Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003 und Nr. 2 der Leitlinien, soweit die
Kommission sie als Anführer eingestuft habe, ohne nachzuweisen, dass sie Leitungsaufgaben oder
eine Initiativrolle bei der Durchführung des Kartells wahrgenommen hätten. Das betroffene
Unternehmen habe zwar zwischen Ende 1999 und Mai 2004 als „Europa-Sekretariat“ Vollzugsaufgaben
administrativer Art, jedoch nie Leitungsaufgaben oder eine Initiativrolle im Kartell wahrgenommen. Wie
sich aus den Akten der Kommission ergebe, sei dem betroffenen Unternehmen durch das Sekretariat
der Arbeitstreffen kein entscheidender Einfluss auf strategische Fragen des Kartells vermittelt worden.
Diese Fragen seien vielmehr auf den Verwaltungstreffen des Kartells behandelt worden, bei denen ABB
den Vorsitz geführt habe. Außerdem habe die Rolle des Europa-Sekretariats mit der Zeit an Bedeutung
verloren und sei am Ende nicht einmal mehr vergütet worden. Jedenfalls habe das betroffene
Unternehmen im Gegensatz zu Siemens und ABB nicht über die notwendige Marktmacht verfügt, um
eine Rolle als Anführer des Verstoßes spielen zu können.
272 Mit dem zweiten Teil ihres sechsten Klagegrundes machen die Gesellschaften der Areva-Gruppe
geltend, dass die Kommission die Natur der vom betroffenen Unternehmen mit dem „Europa-
Sekretariat“ des Kartells wahrgenommenen Aufgaben fehlerhaft beurteilt habe.
273 Die Gesellschaften der Areva-Gruppe räumen ein, dass das betroffene Unternehmen „tatsächlich der
europäische Sekretär des Kartells von Ende 1999 bis Mai 2004 gewesen“ sei und insofern eine
„administrative Rolle“ oder eine „instrumentelle Funktion“ wahrgenommen habe, die „wahrscheinlich
die Funktionsweise des Kartells erleichtert“ habe. Hinsichtlich des Inhalts dieser Rolle erkennen sie an,
dass das „Europa-Sekretariat“ des Kartells „den Informationsaustausch [im Kartell] erleichtert“ habe,
da es bestimmte Informationen über die Arbeitsweise des Kartells gebündelt, zusammengetragen und
ausgetauscht habe. Im Übrigen räumen sie ein, dass das „Europa-Sekretariat“ des Kartells „das
Sekretariat der Arbeitssitzungen [des Kartells] ... organisierte [und] versah“ und in diesem Rahmen
nach Maßgabe dessen, „was sich aus den Gesprächen und Vorschlägen aller Mitglieder des Kartells
ergab“, die Tagesordnung habe verfassen und „die Anfragen und Vorschläge der Mitglieder des
Kartells sowie ... das Ergebnis der Gespräche [habe] zusammenfassen“ müssen, insbesondere was die
Zuteilung der GIS-Projekte betroffen habe. Schließlich geht aus ihren Schriftsätzen hervor, dass das
„Europa-Sekretariat“ des Kartells bis zum „Jahr 2002“ eine Rolle bei der „Verteilung der [GIS-]Projekte“
gespielt habe.
274 Die Gesellschaften der Areva-Gruppe vertreten jedoch die Auffassung, dass ihnen wegen ihrer
Funktion als „Europa-Sekretariat“ keine Anführerrolle zugeschrieben werden könne. Die Kommission
habe in Randnr. 512 der angefochtenen Entscheidung irrig angenommen, dass das „Europa-
Sekretariat“ Angelpunkt für die Kommunikation zwischen den Kartellmitgliedern gewesen sei und die
der Durchführung des Kartells dienenden Treffen einberufen und dabei den Vorsitz geführt habe.
Hinsichtlich des Informationsflusses innerhalb des Kartells könne nicht gesagt werden, dass das
„Europa-Sekretariat“ als „Treibriemen“ zwischen den europäischen Mitgliedern des Kartells fungiert
hätte, da nahezu die Hälfte der Informationen von diesen Mitgliedern auf bilateraler Basis
ausgetauscht worden und die Übermittlung der Informationen durch das Sekretariat nach September
1999 deutlich zurückgegangen sei. Auch habe das „Europa-Sekretariat“ die Aufgabe, die Treffen
einzuberufen, nach dem Ende des auf dem GQ-Abkommen beruhenden Systems nicht mehr
wahrgenommen. Zudem habe es die mit den Treffen verbundenen tatsächlichen (Überwachung,
Abfassung der Protokolle usw.) und finanziellen Belastungen nicht allein getragen, sondern diese
seien den Beteiligten im Wechsel übertragen worden. Schließlich sei auch die Annahme falsch, dass
das „Europa-Sekretariat“ den Vorsitz der Sitzungen in dem Sinne geführt habe, dass es
Leitungsaufgaben oder eine Initiativrolle im Kartell wahrgenommen habe; vielmehr habe es sich in
diesem Rahmen darauf beschränkt, die Anfragen und Vorschläge der einzelnen Beteiligten zu sammeln
und sie sowie die Ergebnisse der Besprechungen zu einem Bericht zusammenzufassen. Jedenfalls habe
die Kommission in Randnr. 513 der angefochtenen Entscheidung fehlerhaft festgestellt, dass die Rolle
des Sekretariats für die Funktionsweise des Kartells substanziell und sogar notwendig gewesen sei. Im
Jahr 2002, nach dem Ausscheiden von Siemens aus dem Kartell, seien das GQ- und das EQ-Abkommen
nicht mehr angewandt worden, was die Wahrnehmung der Rolle des Europa-Sekretariats des Kartells
erheblich vereinfacht habe. Insbesondere habe das Sekretariat die ausschließliche Zuständigkeit für
die Organisation der Treffen verloren und sei auch nicht mehr für die Zuteilung der Aufträge zuständig
gewesen. Das „Europa-Sekretariat“ habe sich somit auf die Rolle der bloßen Durchführung der
Entscheidungen der Mitglieder des Kartells beschränkt, indem es dessen Arbeitsweise erleichtert
habe, ohne jedoch für das Kartell unverzichtbar zu sein.
275 Mit dem dritten Teil ihres sechsten Klagegrundes machen die Gesellschaften der Areva-Gruppe eine
Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung geltend, soweit die Kommission das betroffene
Unternehmen genauso behandelt habe wie Siemens, obwohl sich diese Unternehmen nicht in in einer
vergleichbaren Lage befunden hätten, und anders behandelt habe als ABB und am Kartell beteiligte
japanische Unternehmen, obwohl sich diese Unternehmen in einer vergleichbaren Situation befunden
hätten. Den vierten Teil stützen sie auf eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit,
soweit der Abstand zwischen der Schwere der vom betroffenen Unternehmen begangenen
Zuwiderhandlung und der Schwere der von den anderen Mitgliedern des Kartells begangenen
Zuwiderhandlungen nicht ausreiche, um eine Erhöhung des Grundbetrags der gegen sie verhängten
Geldbußen um 50 % zu rechtfertigen.
276 Die Kommission tritt dem Vorbringen von Alstom und den Gesellschaften der Areva-Gruppe entgegen
und gelangt zu der Schlussfolgerung, dass deren Klagegründe und Rügen zurückzuweisen seien.
– Würdigung durch das Gericht
277 Die Kommission hat in Randnr. 514 der angefochtenen Entscheidung dem betroffenen Unternehmen
insbesondere eine Rolle als Anführer des Verstoßes im Sinne von Nr. 2 dritter Gedankenstrich der
Leitlinien wegen seiner Funktion als „Europa-Sekretariat“ des Kartells zur Last gelegt. In den Randnrn.
514 und 522 der angefochtenen Entscheidung hat sie die Auffassung vertreten, dass der
Grundbetrag der gegen Alstom festzusetzenden Geldbußen um 50 % auf 65 020 000 Euro und der
Grundbetrag der gegen Areva T&D SA und die anderen Gesellschaften der Areva-Gruppe
festzusetzenden Geldbußen um 50 % auf 53 550 000 Euro bzw. 25 500 000 Euro zu erhöhen sei.
278 Sind für die Beteiligung mehrerer Unternehmen an einer Zuwiderhandlung gegen Art. 81 EG und/oder
Art. 53 EWR-Abkommen bestimmte Gesellschaften verantwortlich, so hat die Kommission bei der
Bemessung des Grundbetrags der gegen jede einzelne dieser Gesellschaften nach Art. 15 Abs. 2 der
Verordnung Nr. 17 oder Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 zu verhängenden Geldbußen die
relative Schwere des Tatbeitrags des von der betreffenden Gesellschaft geleiteten Unternehmens an
der Zuwiderhandlung zu prüfen (vgl. in diesem Sinne Urteile Suiker Unie u. a./Kommission, oben in
Randnr. 87 angeführt, Randnr. 623, und Aalborg Portland u. a./Kommission, oben in Randnr. 61
angeführt, Randnr. 92; Urteil vom 25. Oktober 2005, Groupe Danone/Kommission, oben in Randnr. 219
angeführt, Randnr. 277). Danach muss insbesondere festgestellt werden, welche Rolle jedes
Unternehmen bei der Zuwiderhandlung während der Dauer seiner Beteiligung an ihr (vgl. in diesem
Sinne Urteil Kommission/Anic Partecipazioni, oben in Randnr. 65 angeführt, Randnr. 150; Urteile
Enichem Anic/Kommission, oben in Randnr. 63 angeführt, Randnr. 264, und vom 25. Oktober 2005,
Groupe Danone/Kommission, Randnr. 277) unter der Leitung der einen oder der anderen der
fraglichen Gesellschaften gespielt hat. Diese Schlussfolgerung stellt die logische Konsequenz des
Grundsatzes der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen dar, wie er in der vorstehenden
Randnr. 219 in Erinnerung gerufen worden ist (vgl. Urteil vom 25. Oktober 2005, Groupe
Danone/Kommission, oben in Randnr. 219 angeführt, Randnr. 278 und die dort angeführte
Rechtsprechung).
279 In Übereinstimmung mit dem Grundsatz der individuellen Zumessung von Strafen und Sanktionen
sehen die Nrn. 2 und 3 der Leitlinien eine Anpassung der Geldbußenhöhe je nach bestimmten
erschwerenden und mildernden Umständen vor, die bei den einzelnen Unternehmen, die sich an der
Zuwiderhandlung beteiligt haben, und den Gesellschaften, denen diese Beteiligung anschließend
zuzurechnen ist, individuell vorliegen. Nr. 2 enthält namentlich eine nicht abschließende Liste
erschwerender Umstände, die berücksichtigt werden können.
280 Die von einem oder mehreren Unternehmen in einem Kartell gespielte Rolle des „Anführers“ ist bei
der Bemessung der Geldbuße zu berücksichtigen, da die Unternehmen, die eine solche Rolle gespielt
haben, im Verhältnis zu den anderen Unternehmen eine besondere Verantwortung tragen müssen
(Urteile Tokai Carbon u. a./Kommission, oben in Randnr. 134 angeführt, Randnr. 316, und
BASF/Kommission, oben in Randnr. 87 angeführt, Randnr. 281; vgl. in diesem Sinne auch Urteile des
Gerichts vom 14. Mai 1998, Mayr-Melnhof/Kommission, T‑347/94, Slg. 1998, II‑1751, Randnr. 291). Die in
Nr. 2 der Leitlinien festgelegte, nicht abschließende Liste von Umständen, die eine Erhöhung des
Grundbetrags der Geldbuße rechtfertigen können, umfasst namentlich im dritten Gedankenstrich die
vom Unternehmen gespielte „Rolle als Anführer oder Anstifter des Verstoßes“.
281 Wie sich schon aus dem Wortlaut von Nr. 2 dritter Gedankenstrich der Leitlinien ergibt, ist der Begriff
des „Anführers“ von dem des „Anstifters“ eines Verstoßes zu unterscheiden. Während die
Anstifterrolle den Zeitpunkt der Errichtung oder Ausweitung eines Kartells betrifft, geht es bei der
Anführerrolle um dessen Funktionsweise (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 87 angeführt,
Randnr. 316). Da dem betroffenen Unternehmen in der angefochtenen Entscheidung nur eine Rolle
als Anführer des Verstoßes zur Last gelegt wird, ist das auf den Begriff des „Anstifters“ abstellende
Vorbringen von Alstom als unbegründet zurückzuweisen.
282 Im Hinblick auf die auf einen Beurteilungsfehler und einen Verstoß gegen Nr. 2 dritter Gedankenstrich
der Leitlinien gestützten Rügen ist sodann zu prüfen, ob die Kommission angesichts des Kontexts des
vorliegenden Falls zu Recht angenommen hat, dass die vom betroffenen Unternehmen
wahrgenommenen Aufgaben eines Europa-Sekretariats der Rolle eines Anführers des Verstoßes im
Sinne von Nr. 2 dritter Gedankenstrich der Leitlinien gleichgesetzt werden können. Im Rahmen der
Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Beurteilung zum einen der Rolle des betroffenen Unternehmens
als Anführer des Verstoßes und zum anderen der besonderen Verantwortung, die Alstom und die
Gesellschaften der Areva-Gruppe aus diesem Grund zu tragen haben, hat das Gericht seine Prüfung
auf die tatsächlichen Umstände zu beschränken, die in der angefochtenen Entscheidung als Beweise
für diese Rolle angeführt worden sind.
283 Um als Anführer eines Kartells eingestuft werden zu können, muss ein Unternehmen eine wichtige
Antriebskraft für das Kartell gewesen sein (Urteile des Gerichts BASF/Kommission, oben in Randnr. 87
angeführt, Randnr. 374, und vom 18. Juni 2008, Hoechst/Kommission, T‑410/03, Slg. 2008, II‑881,
Randnr. 423) oder eine besondere, konkrete Verantwortung für dessen Funktionieren getragen haben
(vgl. in diesem Sinne Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 87 angeführt, Randnr. 300). Dieser
Umstand ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung unter Berücksichtigung des Kontexts des
betreffenden Falls zu bewerten (vgl. in diesem Sinne Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 87
angeführt, Randnrn. 299 und 373). Sein Vorliegen ist u. a. daraus zu folgern, dass das Unternehmen
dem Kartell durch punktuelle Initiativen spontan einen grundlegenden Impuls gegeben hat (vgl. in
diesem Sinne Urteile BASF/Kommission, oben in Randnr. 87 angeführt, Randnrn. 348, 370 bis 375 und
427, und Hoechst/Kommission, Randnr. 426). Er lässt sich auch aus einer Gesamtheit von Indizien
schließen, die das Bestreben des Unternehmens zeigen, die Stabilität und den Erfolg des Kartells zu
sichern (vgl. in diesem Sinne Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 87 angeführt, Randnr. 351).
Dieser Fall liegt vor, wenn nachgewiesen ist, dass das Unternehmen im Kartell die Aufgaben eines
Koordinators übernommen und namentlich das mit der konkreten Durchführung des Kartells betraute
Sekretariat organisiert und mit Personal ausgestattet hatte (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichts
vom 9. Juli 2003, Archer Daniels Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, T‑224/00,
Slg. 2003, II‑2597, Randnrn. 246 und 247). Gleiches gilt, wenn erwiesen ist, dass das betroffene
Unternehmen im Rahmen der konkreten Betätigung des Kartells eine zentrale Rolle etwa dadurch
spielte, dass es zahlreiche Treffen organisierte, die Informationen innerhalb des Kartells
entgegennahm und verteilte, die Vertretung einiger Mitglieder im Kartell übernahm oder die meisten
Vorschläge zur Arbeitsweise des Kartells machte (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 8.
November 1983, IAZ International Belgium u. a./Kommission, 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82
und 110/82, Slg. 1983, 3369, Randnrn. 57 und 58, und Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 87
angeführt, Randnrn. 404, 439 und 461).
284 Dass ein Unternehmen Druck ausgeübt oder sogar das Verhalten der anderen Kartellmitglieder
bestimmt hat, ist hingegen keine zwingende Voraussetzung für seine Einstufung als Anführer des
Kartells (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 87 angeführt, Randnr. 374). Auch die Marktstellung
eines Unternehmens oder seine Ressourcen können keine Indizien für eine Rolle als Anführer des
Verstoßes darstellen, auch wenn sie zum Kontext gehören, unter dessen Berücksichtigung solche
Indizien zu bewerten sind (vgl. in diesem Sinne Urteile Archer Daniels Midland und Archer Daniels
Midland Ingredients/Kommission, oben in Randnr. 283 angeführt, Randnr. 241, sowie BASF/Kommission,
oben in Randnr. 87 angeführt, Randnr. 299).
285 Im vorliegenden Fall hat die Kommission, wie aus den Randnrn. 511 bis 513 der angefochtenen
Entscheidung hervorgeht, dem Umstand Rechnung getragen, dass das „Europa-Sekretariat“ des
Kartells während dessen gesamter Dauer trotz Änderung zahlreicher organisatorischer Merkmale des
Kartells stabil über die Zeit fortbestanden habe. Die Aufgaben des Sekretariats seien zahlreich
gewesen. Unter Verweisung auf die Randnrn. 121 bis 123, 131, 132, 142, 147 bis 149, 157 bis 161,
173, 185 und 191 bis 198 der angefochtenen Entscheidung weist die Kommission darauf hin, dass das
„Europa-Sekretariat“ des Kartells als Angelpunkt für die Kommunikation zwischen den europäischen
Unternehmen, die Mitglieder des Kartells gewesen seien, sowie zwischen diesen und dem Japan-
Sekretariat gedient habe, dass es die Treffen einberufen und deren Vorsitz geführt habe und dass es
für die Überwachung der Einhaltung der Kontingente verantwortlich gewesen sei. Nach Ansicht der
Kommission geht aus den Mitteilungen des „Europa-Sekretariats“, dem Inhalt des GQ-Abkommens und
des EQ-Abkommens sowie der konkreten Funktionsweise des Kartells klar hervor, dass die Rolle des
„Europa-Sekretariats“ des Kartells wesentlich gewesen sei. Durch das Ergreifen von Initiativen und den
Einsatz erheblicher Ressourcen für das Kartell habe dieses Sekretariat dem Kartell einen
beträchtlichen Dienst erwiesen und ganz besonders zu seinem reibungslosen Funktionieren
beigetragen.
286 In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob die Kommission, ohne gegen Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der
Verordnung Nr. 1/2003 und Nr. 2 dritter Gedankenstrich der Leitlinien zu verstoßen und ohne einen
Beurteilungsfehler zu begehen, allein in Anbetracht der in der angefochtenen Entscheidung
aufgeführten, von Alstom und den Gesellschaften der Areva-Gruppe nicht bestrittenen tatsächlichen
Umstände (siehe insbesondere oben, Randnrn. 266 und 273) zu dem Schluss gelangen konnte, dass
das betroffene Unternehmen dadurch bei der Zuwiderhandlung eine Anführerrolle gespielt habe, dass
es, wie sich aus Randnr. 147 der angefochtenen Entscheidung ergibt, von Ende 1999 bis 11. Mai 2004
die Funktion des „Europa-Sekretariats“ des Kartells wahrgenommen habe.
287 Dazu ist festzustellen, dass die vom „Europa-Sekretariat“ wahrgenommenen Aufgaben diesem die
Rolle eines Anführers bei der Koordinierung des Kartells und jedenfalls im Rahmen der konkreten
Funktionsweise des Kartells zuwiesen. Wie die Kommission nämlich in der angefochtenen Entscheidung
zu Recht festgestellt hat, war das „Europa-Sekretariat“ Kontaktstelle für die Mitglieder des Kartells und
ihm fiel eine zentrale Rolle im Rahmen des konkreten Funktionierens des Kartells insoweit zu, als es
den Informationsaustausch innerhalb des Kartells erleichterte und Informationen, die für dessen
Funktionieren wesentlich waren, insbesondere Informationen über GIS-Projekte, bündelte,
zusammentrug und mit den anderen Kartellmitgliedern austauschte, als es das Sekretariat für die
Arbeitstreffen organisierte und versah und als es gelegentlich die Codes änderte, die der
Verschleierung dieser Treffen oder dieser Kontakte dienten. Darüber hinaus hat die Kommission in den
Randnrn. 147 und 513 der angefochtenen Entscheidung zutreffend darauf hingewiesen, dass das
„Europa-Sekretariat“ des Kartells mit großer Verantwortung verbunden gewesen sei, mit der die
Zurverfügungstellung beträchtlicher Ressourcen, sei es auch lediglich in Form von Zeit und Personal,
einhergegangen sei. Ohne die von diesem Sekretariat gewährleistete Koordinierung und zentrale
Organisation hätte sich das Kartell angesichts seiner Komplexität wahrscheinlich nicht so wirkungsvoll
betätigen können. Überdies ist die Kommission angesichts des Umstands, dass das betroffene
Unternehmen die genannten Tätigkeiten unstreitig von Ende 1999 bis 8. Januar 2004 dauerhaft
ausgeübt hat, zu Recht zu der Schlussfolgerung gelangt, dass dieses Unternehmen im vorliegenden
Fall eine wesentliche treibende Kraft für das Kartell darstellte und damit eine Rolle als Anführer des
Verstoßes im Sinne von Nr. 2 dritter Gedankenstrich der Leitlinien spielte.
288 Diese Schlussfolgerung wird durch das weitere Vorbringen von Alstom und der Gesellschaften der
Areva-Gruppe nicht in Frage gestellt.
289 Zunächst ist zu bemerken, dass Alstom die angefochtene Entscheidung nicht in der Weise kritisieren
kann, dass sie sich auf einige tatsächliche und rechtliche Wertungen in der Mitteilung der
Beschwerdepunkte beruft (siehe oben, Randnr. 264). Insoweit genügt der Hinweis, dass es sich bei
der Mitteilung der Beschwerdepunkte um ein vorbereitendes Schriftstück handelt, dessen tatsächliche
und rechtliche Wertungen lediglich vorläufiger Natur sind (siehe oben, Randnr. 248).
290 Was sodann die sich auf die Qualifizierung als Anführer eines Verstoßes beziehenden Kriterien –
Drohungen gegenüber sich nicht am Kartell beteiligenden Unternehmen, Treffen von Entscheidungen
über die Ausweitung des Kartells oder dessen Beziehungen zu Dritten oder aber Rolle als Initiator oder
Entwerfer des Kartells – angeht, die im vorliegenden Fall nicht vorliegen sollen, ist festzustellen, dass
diese Kriterien den Zeitpunkt der Errichtung oder Ausweitung eines Kartells und damit die Rolle eines
„Anstifters des Verstoßes“ betreffen, wie sie in der vorstehenden Randnr. 281 in Erinnerung gerufen
worden ist. Diese Umstände können daher zwar für die Feststellung, dass das Unternehmen weitere
Unternehmen zur Errichtung des Kartells oder zum Beitritt zu ihm gedrängt oder ermutigt hat, oder für
die Qualifizierung des Unternehmens als „Anstifter des Verstoßes“ im Sinne von Nr. 2 dritter
Gedankenstrich der Leitlinien bestimmend sein (vgl. in diesem Sinne Urteil BASF/Kommission, oben in
Randnr. 87 angeführt, Randnrn. 316 und 321), nicht aber für die Qualifikation des Unternehmens als
Anführer des Verstoßes, weil in diesem Fall, wie hier, der Nachweis genügt, dass das betroffene
Unternehmen auf die eine oder andere Weise eine wichtige Antriebskraft für das Kartell darstellte
(siehe oben, Randnr. 283).
291 Doch auch wenn man annähme, dass das betroffene Unternehmen nicht über eine wirtschaftliche
Macht oder Autoritätsstellung verfügt habe, die für eine Überwachung und Gewährleistung der
Einhaltung des Kartells ausgereicht hätte, würde dieser Umstand seine Rolle als Anführer des
Verstoßes im Sinne von Nr. 2 dritter Gedankenstrich der Leitlinien nicht ausschließen. Wie sich aus der
in den vorstehenden Randnrn. 283 und 284 angeführten Rechtsprechung ergibt, ist aus der Tatsache,
dass das betroffene Unternehmen nicht notwendigerweise in der Lage war, gegenüber den übrigen
Kartellmitgliedern die Annahme einer bestimmten Verhaltensweise durchzusetzen, nicht schon zu
schließen, dass es auf die eine oder andere Weise – hier: durch die Ausübung der Tätigkeit als
„Europa-Sekretariat“ des Kartells über längere Zeit, sei sie auch nur administrativer Art – nicht doch
eine wichtige Antriebskraft für das Kartell dargestellt hat, indem es diesem ermöglicht hat, beständig
und wirksam zu funktionieren.
292 Was die Behauptung von Alstom angeht, die Rolle als „Europa-Sekretariat“ des Kartells sei dem
betroffenen Unternehmen „ungefähr im Jahr 2000“ aufgedrängt worden, so wird sie weder durch die
Unterlagen der Akten des vorliegenden Verfahrens noch durch die Erklärung von Herrn S. vom 15.
September 2006 (siehe oben, Randnr. 23) oder die Randnrn. 147 und 191 der angefochtenen
Entscheidung belegt, auf die sich Alstom hierfür beruft. Auch schließt das Vorbringen von Alstom, das
betroffene Unternehmen habe die Aufgaben als „Europa-Sekretariat“ des Kartells nicht spontan
übernommen oder bei der Wahrnehmung dieser Aufgaben bestimmte im Kartell im Voraus festgelegte
Regeln befolgen müssen, seine Rolle als Anführer des Verstoßes nicht aus. Maßgeblich ist insoweit,
dass das betroffene Unternehmen die Tätigkeit als „Europa-Sekretariat“ tatsächlich von Ende 1999
bis 8. Januar 2004, d. h. über einen Zeitraum von etwa vier Jahren und zwei Monaten, dauerhaft
ausgeübt und dadurch eine Anführerrolle bei der Koordinierung und dem konkreten Funktionieren des
Kartells gespielt hat.
293 Auch das Vorbringen, das darauf gestützt wird, dass nicht alle Tätigkeiten des „Europa-Sekretariats“
ausschließlich vom betroffenen Unternehmen ausgeübt worden seien, sondern dass andere
Unternehmen nach den Regeln des Kartells bestimmte Informationen unmittelbar untereinander
hätten austauschen, Treffen des Kartells, insbesondere diejenigen zur Verwaltung des Kartells, hätten
organisieren oder das Kartell insbesondere hinsichtlich der Zuteilung der GIS-Projekte hätten
durchführen können, ohne das „Europa-Sekretariat“ einzuschalten, ist nicht geeignet, die Feststellung
der Kommission in Frage zu stellen, dass das betroffene Unternehmen im Kartell dadurch eine Rolle als
Anführer des Verstoßes gespielt hat, dass es dauerhaft sämtliche dem „Europa-Sekretariat“ des
Kartells übertragenen Aufgaben wahrgenommen hat. Weder die von Alstom angeführten Randnrn.
120, 122, 149, 152, 157, 162, 180, 182, 185, 194, 197, 205 und 207 der angefochtenen Entscheidung
noch die in den Akten des vorliegenden Verfahrens enthaltenen Unterlagen lassen den Schluss zu,
dass ABB oder die übrigen am Kartell beteiligten Unternehmen, die nicht formal die Rolle als „Europa-
Sekretariat“ wahrnahmen, in der Praxis im Wesentlichen auf die gleiche Art und Weise – sowohl unter
dem Gesichtspunkt der Häufigkeit oder der Dauer als auch dem der Wichtigkeit oder der Intensität –
wie das betroffene Unternehmen an der Funktionsweise des Kartells mitgewirkt hätten. Selbst wenn
man im Übrigen unterstellt, dass auch andere am Kartell beteiligte Unternehmen, insbesondere ABB,
eine wichtige Rolle gespielt haben, indem sie die allgemeine Strategie des Kartells bestimmt haben
oder eine Autoritätsstellung in ihm einnahmen, könnte damit allenfalls begründet werden, dass auch
sie für das Funktionieren des Kartells zur Verantwortung gezogen werden müssten, weil sie eine Rolle
als Anführer gespielt haben, jedoch keinesfalls die Feststellung der Kommission in Frage gestellt
werden, dass das betroffene Unternehmen dadurch eine Rolle als „Anführer des Verstoßes“ gespielt
habe, dass es sämtliche dem „Europa-Sekretariat“ des Kartells zugewiesenen Aufgaben dauerhaft
wahrgenommen habe (vgl. in diesem Sinne Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 87 angeführt,
Randnr. 376).
294 Somit hat die Kommission ohne Verstoß gegen Art. 23 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1/2003
oder Nr. 2 dritter Gedankenstrich der Leitlinien und ohne Beurteilungsfehler festgestellt, dass das
betroffene Unternehmen durch die dauerhafte Ausübung der Tätigkeit des „Europa-Sekretariats“ des
Kartells von Ende 1999 bis 8. Januar 2004 eine Rolle als Anführer des Verstoßes gespielt habe.
295 Die angefochtene Entscheidung ist auch im Sinne der in der vorstehenden Randnr. 283 angeführten
Rechtsprechung rechtlich hinreichend begründet worden, da die Randnrn. 512 und 513 der
angefochtenen Entscheidung klar die Argumentation erkennen lassen, anhand deren die Kommission
das betroffene Unternehmen als Anführer des Verstoßes qualifiziert hat und die auf den vom
betroffenen Unternehmen ausgeübten Funktionen als Koordinator und seiner zentralen Rolle im
Rahmen der konkreten Arbeitsweise des Kartells beruht. Daher ist die Rüge, mit der Alstom insoweit
einen Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidung geltend macht, als unbegründet
zurückzuweisen. Im Übrigen geht, wie die Kommission zutreffend hervorgehoben hat, aus den eigenen
Schriftsätzen von Alstom hervor, dass diese in der Lage war, die Argumentation nachzuvollziehen, der
die Kommission in der angefochtenen Entscheidung hinsichtlich der Qualifikation des betroffenen
Unternehmens als Anführer des Verstoßes gefolgt ist.
296 Mit der Rüge einer Verletzung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit soll
letztlich im Wesentlichen geltend gemacht werden, dass die Erhöhung des Grundbetrags der gegen
Alstom und die Gesellschaften der Areva-Gruppe festgesetzten Geldbußen um 50 % unangemessen
sei.
297 Nach ständiger Rechtsprechung muss die Beachtung des Grundsatzes der Gleichbehandlung oder
des Diskriminierungsverbots, wie sie in der vorstehenden Randnr. 235 dargestellt worden sind, mit der
Beachtung des Gebots rechtmäßigen Handelns in Einklang gebracht werden, wonach sich niemand zu
seinem Vorteil auf eine zugunsten eines anderen begangene Rechtsverletzung berufen kann (vgl. in
diesem Sinne Urteil des Gerichtshofs vom 4. Juli 1985, Williams/Rechnungshof, 134/84, Slg. 1985, 2225,
Randnr. 14 und die dort angeführte Rechtsprechung; Urteile des Gerichts vom 14. Mai 1998,
Cascades/Kommission, T‑308/94, Slg. 1998, II‑925, Randnr. 259, und LR AF 1998/Kommission, oben in
Randnr. 131 angeführt, Randnr. 367).
298 Überdies gebietet die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, wie er in der
vorstehenden Randnr. 235 in Erinnerung gerufen worden ist, dass die Geldbußen in angemessenem
Verhältnis zu den angestrebten Zielen, d. h. der Beachtung des Wettbewerbsrechts, stehen und dass
die Höhe der wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verhängten Geldbuße zur
Zuwiderhandlung im Verhältnis steht, die insgesamt und insbesondere unter Berücksichtigung ihrer
Schwere zu würdigen ist (Urteile des Gerichts vom 6. Oktober 1994, Tetra Pak/Kommission, T‑83/91,
Slg. 1994, II‑755, Randnr. 240, vom 8. Juli 2004, JFE Engineering u. a./Kommission, T‑67/00, T‑68/00,
T‑71/00 und T‑78/00, Slg. 2004, II‑2501, Randnr. 532, und vom 12. September 2007, Prym und Prym
Consumer/Kommission, T‑30/05, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht, Randnr. 224).
299 Bei der Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung sind zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen,
die je nach Art der betreffenden Zuwiderhandlung und nach den Umständen des Einzelfalls von
unterschiedlicher Art und Bedeutung sind (Urteile Musique Diffusion française u. a./Kommission, oben
in Randnr. 247 angeführt, Randnr. 120, und JFE Engineering u. a./Kommission, oben in Randnr. 298
angeführt, Randnr. 532).
300 Außerdem können Unternehmen, die sich an einer lang anhaltenden Zuwiderhandlung beteiligen, zu
verschiedenen Zeitpunkten alternierend eine Rolle als Anführer des Verstoßes wahrnehmen, so dass
nicht ausgeschlossen werden kann, dass jedem von ihnen der erschwerende Umstand der Rolle als
Anführer des Verstoßes zur Last gelegt wird (Urteil BASF/Kommission, oben in Randnr. 87 angeführt,
Randnr. 460).
301 Bei der Prüfung, ob der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt worden ist, ist im Hinblick auf den
erschwerenden Umstand der Rolle als „Anführer des Verstoßes“ zu vergleichen, wie Alstom und die
Gesellschaften der Areva-Gruppe einerseits und Siemens, ABB oder die Gesellschaften, die die an der
Zuwiderhandlung beteiligten japanischen Unternehmen geleitet haben, andererseits behandelt
wurden.
302 Zunächst ist festzustellen, dass in Anbetracht dieses erschwerenden Umstands gegenüber Alstom
und den Gesellschaften der Areva-Gruppe wie gegenüber Siemens eine Erhöhung des Grundbetrags
der Geldbuße um 50 % angewandt wurde, weil das betroffene Unternehmen ebenso wie das von
Siemens geleitete Unternehmen dauerhaft die Aufgaben des „Europa-Sekretariats“ des Kartells
wahrgenommen hatte. Alstom beanstandet speziell diese Gleichbehandlung mit der Begründung, die
Lage des betroffenen Unternehmens unterscheide sich von der des von Siemens geleiteten
Unternehmens insoweit, als es die Aufgaben des „Europa-Sekretariats“ des Kartells nur halb so lange
wie das von Siemens geleitete Unternehmen wahrgenommen habe.
303 Wie bereits festgestellt worden ist, ist den Randnrn. 147 und 178 der angefochtenen Entscheidung zu
entnehmen, dass das von Siemens geleitete Unternehmen die Aufgaben des „Europa-Sekretariats“
des Kartells von dessen Beginn am 15. April 1988 bis September 1999, d. h. während eines Zeitraums
von etwa elf Jahren und fünf Monaten, wahrgenommen hat und dass das betroffene Unternehmen
diese Aufgaben nach dem Ausscheiden von Siemens aus dem Kartell von Ende 1999 bis zum Ende der
Betätigung des Kartells am 11. Mai 2004 übernommen hat. Außerdem können Alstom und die
Gesellschaften der Areva-Gruppe, da auf sie die Theorie der wirtschaftlichen Nachfolge nicht
angewandt worden ist (siehe oben, Randnr. 111), im vorliegenden Fall nur für den Zeitraum, in dem sie
die Tätigkeiten des betroffenen Unternehmens unmittelbar oder mittelbar geleitet haben, für dessen
Rolle als treibende Kraft selbst verantwortlich gemacht werden. Aus Art. 1 Buchst. b bis f in Verbindung
mit den Randnrn. 358 und 371 der angefochtenen Entscheidung ergibt sich, dass die Rolle des
betroffenen Unternehmens als Anführer des Verstoßes
– Alstom nur von Ende 1999 bis 8. Januar 2004, also für einen Zeitraum von etwa vier Jahren und
zwei Monaten,
– der Areva T&D SA nur von Ende 1999 bis 11. Mai 2004, also für einen Zeitraum von vier Jahren
und sieben Monaten,
– der Areva T&D AG nur vom 22. Dezember 2003 bis 11. Mai 2004, also für einen Zeitraum von
etwa fünf Monaten,
– und Areva sowie der Areva T&D Holding nur vom 9. Januar bis 11. Mai 2004, also für einen
Zeitraum von etwa vier Monaten,
zugerechnet werden kann.
304 In all diesen Fällen besteht somit ein erheblicher Unterschied zwischen der Dauer der Ausübung der
Tätigkeiten des „Europa-Sekretariats“ des Kartells durch ein unter der Leitung von Siemens stehendes
Unternehmen und der Dauer der Ausübung dieser Tätigkeiten durch das betroffene Unternehmen
unter der Leitung von Alstom und der Gesellschaften der Areva-Gruppe.
305 In der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission das Schwergewicht darauf gelegt, dass
sowohl das von Siemens geleitete als auch das betroffene Unternehmen die Funktion des „Europa-
Sekretariats“ des Kartells jeweils allein, beständig und dauerhaft wahrgenommen hätten. Insofern
weist Alstom zwar zu Recht darauf hin, dass in den Randnrn. 147 und 191 der angefochtenen
Entscheidung das betroffene Unternehmen Ende 1999 oder Anfang 2000 nur als „vorübergehendes
europäisches Sekretariat“ des Kartells bezeichnet worden sei, bestreitet jedoch nicht, dass im März
2002 vereinbart worden sei, dass sie dieses Sekretariat auf unbestimmte Zeit und damit beständig
und dauerhaft übernehmen werde. Die Feststellung, dass das betroffene Unternehmen die Funktion
als „Europa-Sekretariat“ des Kartells allein, beständig und dauerhaft wahrgenommen habe, wird
zudem nicht dadurch in Frage gestellt, dass es diese Funktion, wie Alstom vorträgt, nur während eines
beschränkten Zeitraums von etwa vier Jahren und zwei Monaten wahrgenommen habe; denn dieser
tatsächliche Umstand ist vom Willen von Alstom unabhängig und nur darauf zurückzuführen, dass die
Kommission aufgrund der Anzeige von ABB (siehe oben, Randnr. 10) tätig geworden ist, um die
Einstellung der Zuwiderhandlung zu veranlassen.
306 Fraglich ist, ob die erheblichen Unterschiede in der Dauer der den einzelnen fraglichen Unternehmen
zuzuschreibenden Ausübung der Tätigkeit des „Europa-Sekretariats“ des Kartells in Anbetracht des
erschwerenden Umstands der Rolle als Anführer der Zuwiderhandlung von Bedeutung ist oder ob
diese Unterschiede im vorliegenden Fall im Hinblick darauf zu vernachlässigen waren, dass das
Europa-Sekretariat von diesen Unternehmen jeweils allein, beständig und dauerhaft wahrgenommen
wurde.
307 Unter den Umständen des vorliegenden Falles – also bei einer lang anhaltenden Zuwiderhandlung,
während deren verschiedene Unternehmen unter der Leitung unterschiedlicher Gesellschaften
nacheinander für einen jeweils genau bestimmten Zeitraum die Rolle als Anführer der
Zuwiderhandlung wahrgenommen haben – gebieten die Grundsätze der Gleichbehandlung und der
Verhältnismäßigkeit, dass gegen die Gesellschaften, die ein oder mehrere Unternehmen geleitet
haben, die unter ihrer Leitung die Rolle eines „Anführers des Verstoßes“ gespielt haben, dann eine
unterschiedliche Erhöhung des Grundbetrags ihrer Geldbuße festgesetzt wird, wenn die Zeiträume, in
denen das oder die jeweiligen Unternehmen diese Rolle unter ihrer Leitung wahrgenommen haben,
erheblich voneinander abweichen. Dabei ist zu beachten, dass sich die Anführerrolle auf die
Funktionsweise des Kartells (siehe oben, Randnr. 281) und im Gegensatz zur Rolle als Anstifter des
Verstoßes notwendig auf eine bestimmte Dauer bezieht. Daher muss dem Umstand Rechnung
getragen werden, dass einer Gesellschaft, die eines der am Kartell beteiligten Unternehmen geleitet
hat, die Rolle als treibende Kraft für das Funktionieren des Kartells zugerechnet werden kann, die von
diesem Unternehmen während höchstens knapp über einem Viertel des Verstoßzeitraums gespielt
worden ist, wie es bei Alstom und den Gesellschaften der Areva-Gruppe der Fall ist, wohingegen einer
anderen Gesellschaft, die ein anderes am Kartell beteiligtes Unternehmen geleitet hat, die Rolle als
treibende Kraft für das Funktionieren des Kartells zugerechnet werden kann, die von diesem
Unternehmen während fast drei Vierteln des Verstoßzeitraums gespielt worden ist, wie es bei Siemens
der Fall ist. Im Übrigen hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung selbst eingeräumt, dass die
Dauer, während deren ein Unternehmen eine Rolle als „Anführer des Verstoßes“ gespielt habe, ein
Kriterium gewesen sei, das bei der Beurteilung der Erhöhung der Verantwortlichkeit, die aus dieser
Rolle abzuleiten sei, berücksichtigt werden müsse (siehe oben, Randnr. 39).
308 Folglich hat die Kommission dadurch, dass sie in der angefochtenen Entscheidung Alstom und den
Gesellschaften der Areva-Gruppe die gleiche Erhöhung des Grundbetrags der Geldbuße auferlegt hat
wie Siemens, obwohl die Zeiträume, in denen das oder die fraglichen Unternehmen unter der Leitung
dieser Gesellschaften die Tätigkeiten des „Europa-Sekretariats“ des Kartells ausgeübt hatten,
erheblich voneinander abwichen, gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der
Verhältnismäßigkeit verstoßen.
309 Sodann ist festzustellen, dass ABB, soweit es um den erschwerenden Umstand der Rolle als Anführer
des Verstoßes geht, eine andere Behandlung als Alstom und den Gesellschaften der Areva-Gruppe
zuteilgeworden ist, da sie im Gegensatz zu diesen nicht als „Anführer des Verstoßes“ qualifiziert und
gegen sie daher auch keine Erhöhung des Grundbetrags ihrer Geldbuße wegen dieses erschwerenden
Umstands festgesetzt worden ist. Alstom und die Gesellschaften der Areva-Gruppe rügen diese
unterschiedliche Behandlung mit der Begründung, dass die Lage von ABB hinsichtlich des
erschwerenden Umstands der Rolle als Anführer des Verstoßes mit der ihren vergleichbar gewesen
sei.
310 Es ist jedoch nicht nachgewiesen und noch nicht einmal vorgetragen worden, dass ABB die Funktion
als „Europa-Sekretariat“ des Kartells übernommen, oder auch nur, dass sie sämtliche diesem
Sekretariat gewöhnlich übertragenen Aufgaben allein, beständig und dauerhaft wahrgenommen hätte.
Zudem ist zwar allgemein – auch von der Kommission – anerkannt worden, dass ABB im Kartell eine
„bedeutende Rolle“ gespielt habe, jedoch ist nicht dargetan worden, dass diese Rolle hinsichtlich der
Funktionsweise des Kartells mit derjenigen vergleichbar gewesen wäre, die vom betroffenen
Unternehmen und von dem von Siemens geleiteten Unternehmen in ihrer Funktion als „Europa-
Sekretariat“ des Kartells gespielt wurde. Somit ist nicht erwiesen, dass sich ABB in einer Lage
befunden hat, die mit der von Alstom und derjenigen der Gesellschaften der Areva-Gruppe oder selbst
der von Siemens vergleichbar gewesen wäre.
311 Selbst wenn aber unterstellt würde, dass die Kommission die Kriterien für eine Qualifikation als
Anführer des Verstoßes, wie sie in der vorstehenden Randnr. 283 aufgeführt worden sind, dadurch
rechtswidrig angewandt habe, dass sie diese Qualifikation bei ABB trotz der bedeutenden Rolle, die
dieses Unternehmen im Kartell gespielt hat, nicht bejaht hat, würde ein solcher Rechtsverstoß, der
zugunsten eines anderen begangen worden wäre, es nach der oben in Randnr. 297 angeführten
Rechtsprechung doch nicht rechtfertigen, die vorliegenden von Alstom und den Gesellschaften der
Areva-Gruppe geltend gemachten Nichtigkeitsrügen als begründet anzusehen.
312 Die Rügen, mit denen eine Verletzung des Diskriminierungsverbots geltend gemacht wird, soweit
Alstom und die Gesellschaften der Areva-Gruppe nicht in gleicher Weise wie ABB behandelt worden
seien, obwohl sie sich in einer vergleichbaren Lage befunden hätten, sind daher zurückzuweisen.
313 Schließlich ist festzustellen, dass Alstom und die Gesellschaften der Areva-Gruppe hinsichtlich des
erschwerenden Umstands der Wahrnehmung einer Rolle als Anführer des Verstoßes, bezogen auf die
Zeit ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung, wie sie in Art. 1 der angefochtenen Entscheidung
festgestellt worden ist, auch anders behandelt worden sind als die Gesellschaften, die die japanischen
Unternehmen leiteten. Die Kommission hat dazu in Randnr. 511 ausgeführt, dass „das japanische
Sekretariat ... hauptsächlich den Austausch unter den japanischen Teilnehmern und mit dem
europäischen Sekretariat bezüglich der [GIS‑]Projekte außerhalb des EWR [betraf und] in kürzeren
Zeiträumen zwischen Hitachi, Toshiba und Melco rotierte“, und daraus im Wesentlichen geschlossen,
dass diese Rolle nicht derjenigen eines „Anführers des Verstoßes“ im Sinne von Nr. 2 dritter
Gedankenstrich der Leitlinien gleichzusetzen sei. Alstom und die Gesellschaften der Areva-Gruppe
beanstanden diese Ungleichbehandlung mit der Begründung, da das von ihnen nacheinander
geleitete Unternehmen die Funktion als „Europa-Sekretariat“ des Kartells etwa vier Jahre lang
wahrgenommen habe, hätten sie sich in einer Lage befunden, die mit derjenigen der Gesellschaften,
die jeweils ein japanisches Unternehmen geleitet hätten, das während eines entsprechenden
Zeitraums die Funktion als „Japan-Sekretariat“ wahrgenommen habe, vergleichbar gewesen sei.
314 In der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission im Rahmen ihrer Beurteilung des
erschwerenden Umstands der Rolle als Anführer der Zuwiderhandlung die Auffassung vertreten, dass
die Wahrnehmung der Funktion des „Europa-Sekretariats“ des Kartells nicht mit derjenigen des
„Japan-Sekretariats“ des Kartells vergleichbar gewesen sei. Sie hat in Rechnung gestellt, dass „das
japanische Sekretariat ... hauptsächlich den Austausch unter den japanischen Teilnehmern und mit
dem europäischen Sekretariat bezüglich der Projekte außerhalb des EWR [betraf]“. Dazu hat sie in den
Randnrn. 127, 128 und 246 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass die in Art. 1 der
angefochtenen Entscheidung festgestellte Beteiligung der japanischen Unternehmen an der
Zuwiderhandlung hauptsächlich an das Bestehen der „Übereinkunft“ geknüpft gewesen sei (siehe
oben, Randnr. 29), wonach die japanischen Unternehmen keine Angebote für GIS-Projekte im EWR
hätten abgeben dürfen. Aus der „Übereinkunft“ geht nämlich hervor, dass das „Japan-Sekretariat“ im
Gegensatz zum „Europa-Sekretariat“ keine Rolle im Rahmen der Funktionsweise des Kartells im EWR
spielte und dass die Gesellschaften, die die mit diesem Sekretariat betrauten Unternehmen leiteten,
insoweit keine besondere Verantwortung auf sich geladen haben. Die Rügen, mit denen Alstom und
die Gesellschaften der Areva-Gruppe geltend machen, sie seien insoweit anders als die japanischen
Gesellschaften behandelt worden, als die Kommission auf Letztere keine Erhöhung der Geldbuße aus
Gründen des erschwerenden Umstands der Rolle als Anführer des Verstoßes angewandt habe, die von
den von diesen japanischen Gesellschaften geleiteten Unternehmen gespielt worden sei, sind daher
zurückzuweisen, da ihre Lage nicht mit derjenigen der fraglichen japanischen Gesellschaften
vergleichbar war.
315 Selbst wenn angenommen würde, dass die Kommission die Kriterien für die Qualifikation als Anführer
des Verstoßes, wie sie in der vorstehenden Randnr. 283 in Erinnerung gerufen worden sind, dadurch
rechtswidrig angewandt habe, dass sie diese Qualifikation bei den japanischen Gesellschaften, die die
Unternehmen leiteten, welche nacheinander die Funktion als „Japan-Sekretariat“ des Kartells für die
Dauer von jeweils zwei Jahren wahrnahmen, nicht bejaht hat, würde eine solche Rechtsverletzung, die
zugunsten eines anderen begangen worden wäre, es nach der oben in Randnr. 297 angeführten
Rechtsprechung doch nicht rechtfertigen, die in der vorstehenden Randnr. 314 angeführten Rügen als
begründet anzusehen.
316 Die Rügen, mit denen Alstom und die Gesellschaften der Areva-Gruppe eine Verletzung des
Diskriminierungsverbots geltend machen, soweit sie, obwohl sie sich in einer vergleichbaren Lage
befunden hätten, anders als die japanischen Gesellschaften behandelt worden seien, sind daher
zurückzuweisen.
317 Nach alledem verstößt Art. 2 Buchst. b und c der angefochtenen Entscheidung gegen den Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit sowie den Grundsatz der Gleichbehandlung oder das Diskriminierungsverbot,
soweit darin gegen Alstom und die Gesellschaften der Areva-Gruppe wegen des erschwerenden
Umstands einer Rolle als Anführer des Verstoßes die gleiche Erhöhung des Grundbetrags ihrer
Geldbußen um 50 % wie gegen Siemens festgesetzt worden ist. Art. 2 Buchst. b und c der
angefochtenen Entscheidung wird deshalb für nichtig erklärt.
318 Das Gericht hat daher gemäß den Abänderungsanträgen von Alstom und der Gesellschaften der
Areva-Gruppe unter Ausübung der ihm aus Art. 229 EG, Art. 17 der Verordnung Nr. 17 und Art. 31 der
Verordnung Nr. 1/2003 verliehenen Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung die maßgeblichen
Umstände des vorliegenden Falles selbst zu beurteilen, um die Erhöhung des Grundbetrags der
Geldbußen zu bestimmen, die gegen die fraglichen Gesellschaften wegen des erschwerenden
Umstands der Rolle des betroffenen Unternehmens als Anführer des Verstoßes festzusetzen ist (vgl. in
diesem Sinne Urteile des Gerichts vom 9. November 1983, Nederlandsche Banden-Industrie-
Michelin/Kommission, 322/81, Slg. 1983, 3461, Randnr. 111, Volkswagen/Kommission, oben in Randnr.
88 angeführt, Randnrn. 149 und 151, sowie BASF/Kommission, oben in Randnr. 87 angeführt, Randnrn.
303, 394 und 455). Dabei ist zu beachten, dass der Unionsrichter aufgrund der Befugnis zu
unbeschränkter Nachprüfung aus Art. 17 der Verordnung Nr. 17 und Art. 31 der Verordnung Nr.
1/2003 über die reine Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Zwangsmaßnahme hinaus die Beurteilung der
Kommission durch seine eigene Beurteilung ersetzen und demgemäß die verhängte Geldbuße
aufheben, herabsetzen oder erhöhen kann, wenn ihm die Frage nach deren Höhe zur Beurteilung
vorgelegt worden ist (siehe oben, Randnrn. 226 und 227; Urteil vom 8. Februar 2007, Groupe
Danone/Kommission, oben in Randnr. 126 angeführt, Randnrn. 61 und 62, und Urteil des Gerichts vom
12. Dezember 2007, BASF und UCB/Kommission, T‑101/05 und T‑111/05, Slg. 2007, II‑4949, Randnr.
213).
319 Es muss sichergestellt werden, dass der Aufschlag wegen der Rolle des betroffenen Unternehmens
als Anführer des Verstoßes auf eine Höhe festgesetzt wird, die seine Abschreckungswirkung
gewährleistet (vgl. in diesem Sinne entsprechend Urteil ACF Chemiefarma/Kommission, oben in Randnr.
87 angeführt, Randnr. 173, und Urteil Archer Daniels Midland/Kommission, oben in Randnr. 235
angeführt, Randnr. 141), d. h. auf eine Höhe, die die Unternehmen davon abschreckt, wesentliche
Funktionen für das reibungslose Funktionieren eines Kartells zu übernehmen.
320 Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass das betroffene Unternehmen unter der Leitung von
Alstom und den Gesellschaften der Areva-Gruppe das „Europa-Sekretariat“ des Kartells allein,
beständig und dauerhaft wahrnahm. Daneben ist zu berücksichtigen, dass das betroffene
Unternehmen, das damals unmittelbar oder mittelbar von Alstom und der Areva T&D SA (ehemals
unter der Firma Alstom T&D SA) geleitet wurde, das „Europa-Sekretariat“ zu einem Zeitpunkt
übernahm, zu dem das Kartell durch das Ausscheiden des von Siemens geleiteten Unternehmens aus
„europäischer“ Sicht erheblich destabilisiert war, wobei Siemens, wie sich aus Randnr. 178 der
angefochtenen Entscheidung ergibt, seit 1988 „Europa-Sekretär“ des Kartells und einer der
Hauptakteure des Marktes sowohl innerhalb wie außerhalb Europas gewesen war. Außerdem hat
Alstom in ihren Schriftsätzen selbst eingeräumt, dass sie „zwischen 2002 und 2004 wegen der auf
europäischer Ebene bestehenden Interessen das einzige Unternehmen [war], das [die] Rolle [des
‚Europa-Sekretariats‘ des Kartells] zu übernehmen in der Lage war“.
321 Aus den vorstehenden Ausführungen folgt, dass das betroffene Unternehmen für die Fortsetzung und
die Funktionsweise des Kartells zwischen Ende 1999 und dem 8. Januar 2004 eine entscheidende Rolle
gespielt hat.
322 Im Übrigen ist in Rechnung zu stellen, dass, wie aus der vorstehenden Randnr. 303 hervorgeht, der
Zeitraum, in dem das von Siemens geleitete Unternehmen unter deren Leitung die Funktion als
„Europa-Sekretariat“ des Kartells wahrnahm, erheblich länger war als die Zeiträume, in denen das
betroffene Unternehmen diese Funktion unter der Leitung von Alstom und der Areva T&D SA
wahrnahm, und ganz erheblich länger als die Zeiträume, in denen das betroffene Unternehmen sie
unter der Leitung der Areva T&D AG, von Areva oder der Areva T&D Holding wahrnahm.
323 Unter Berücksichtigung aller dieser Umstände ist bei angemessener Würdigung der Alstom und den
Gesellschaften der Areva-Gruppe zuzurechnenden Rolle des betroffenen Unternehmens als Anführer
des Verstoßes
– Alstom eine Erhöhung des Grundbetrags der verhängten Geldbuße um 35 % aufzuerlegen, so
dass die von dieser Aktiengesellschaft zu zahlende Geldbuße auf 58 522 500 Euro, davon
48 195 000 Euro gesamtschuldnerisch mit der Areva T&D SA, festzusetzen ist;
– der Areva T&D SA eine Erhöhung des Grundbetrags der verhängten Geldbuße um 35 %
aufzuerlegen, so dass die von dieser Gesellschaft gesamtschuldnerisch mit Alstom zu zahlende
Geldbuße auf 48 195 000 Euro, davon 20 400 000 Euro gesamtschuldnerisch mit der Areva T&D
AG, Areva und der Areva T&D Holding, festzusetzen ist;
– und der Areva T&D AG, Areva sowie der Areva T&D Holding eine Erhöhung des Grundbetrags der
verhängten Geldbuße um 20 % aufzuerlegen, so dass die von diesen Gesellschaften
gesamtschuldnerisch mit der Areva T&D SA zu zahlende Geldbuße auf 20 400 000 Euro
festzusetzen ist.
Zum siebten von den Gesellschaften der Areva-Gruppe geltend gemachten Klagegrund, der auf einen
offensichtlichen Beurteilungsfehler sowie einen Verstoß gegen Art. 81 EG, Art. 53 des EWR-
Abkommens und die Kronzeugenregelung gestützt wird, soweit die Kommission es abgelehnt habe,
ihnen eine Ermäßigung ihrer Geldbuße wegen ihrer Kooperation im Verwaltungsverfahren zu gewähren
– Vorbringen der Parteien
324 Die Gesellschaften der Areva-Gruppe wenden sich mit ihrem in zwei Teile gegliederten siebten
Klagegrund dagegen, dass die Kommission es abgelehnt habe, ihnen eine Ermäßigung ihrer Geldbuße
nach der Kronzeugenregelung zu gewähren, weil die von ihnen gelieferten Informationen angeblich
keinen erheblichen Mehrwert darstellten. Mit dem ersten Teil wird eine offensichtlich fehlerhafte
Würdigung ihrer Kooperation geltend gemacht. Die Kommission habe zu Unrecht die Auffassung
vertreten, dass die Erklärungen der Gesellschaften der Areva-Gruppe, wie sie in ihrer Erklärung nach
der Kronzeugenregelung und in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte enthalten
seien, widersprüchlich und mehrdeutig seien und es ihnen deshalb an Glaubwürdigkeit fehle. Den
zweiten Teil stützen sie auf einen Verstoß gegen die Art. 81 EG und 53 EWR-Abkommen sowie die
Kronzeugenregelung, soweit die Kommission ihnen keine Ermäßigung ihrer Geldbuße gewährt habe.
Die Gesellschaften der Areva-Gruppe tragen vor, indem sie im Verwaltungsverfahren die Teilnahme des
von Siemens geleiteten Unternehmens am Treffen vom September 1999 bestätigt hätten, hätten sie
der Kommission ein Beweismittel vorgelegt, das gegenüber den bereits in deren Besitz befindlichen
Beweismitteln einen erheblichen Mehrwert dargestellt habe. Ihre Aussage sei nämlich von
entscheidender Bedeutung gewesen, da sie der Kommission ermöglicht habe, den Eintritt der
Verjährung in Bezug auf die Beteiligung des von Siemens geleiteten Unternehmens an der
Zuwiderhandlung für den Zeitraum vom 15. April 1988 bis 24. April 1999 zu verhindern und sogar die
Dauer dieser Beteiligung an der Zuwiderhandlung darüber hinausgehend bis zum 1. September 1999
festzustellen.
325 Die Kommission tritt dem Vorbringen der Gesellschaften der Areva-Gruppe entgegen und gelangt zu
dem Ergebnis, dass der Klagegrund zurückzuweisen sei.
– Würdigung durch das Gericht
326 Nach der Rechtsprechung beruht die Ermäßigung von Geldbußen, die wegen einer Zuwiderhandlung
gegen das Wettbewerbsrecht zu verhängen sind, im Fall der Kooperation der Unternehmen, die sich an
der Zuwiderhandlung beteiligt haben, auf der Erwägung, dass eine solche Kooperation die Aufgabe
der Kommission, das Vorliegen dieser Zuwiderhandlung festzustellen und gegebenenfalls zu beenden,
erleichtert (Urteil Dansk Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 131 angeführt, Randnr. 399;
Urteile des Gerichts BPB de Eendracht/Kommission, oben in Randnr. 235 angeführt, Randnr. 325, und
vom 14. Mai 1998, Finnboard/Kommission, T‑338/94, Slg. 1998, II‑1617, Randnr. 363).
327 Die Randnrn. 20 bis 23 der Kronzeugenregelung bestimmen:
„20. Unternehmen, die die Voraussetzungen in Abschnitt A [‚Ermäßigung der Geldbuße‘] nicht
erfüllen, kann eine Ermäßigung der Geldbuße gewährt werden, die andernfalls verhängt worden
wäre.
21. Um für eine Ermäßigung der Geldbuße in Betracht zu kommen, muss das Unternehmen der
Kommission Beweismittel für die mutmaßliche Zuwiderhandlung vorlegen, die gegenüber den
bereits im Besitz der Kommission befindlichen Beweismitteln einen erheblichen Mehrwert
darstellen, und seine Beteiligung an der mutmaßlich rechtswidrigen Handlung spätestens zum
Zeitpunkt der Beweisvorlage einstellen.
22. Der Begriff ‚Mehrwert‘ bezieht sich auf das Ausmaß, in dem die vorgelegten Beweismittel
aufgrund ihrer Eigenschaft und/oder ihrer Ausführlichkeit der Kommission dazu verhelfen, den
betreffenden Sachverhalt nachzuweisen. Bei ihrer Würdigung wird die Kommission im Allgemeinen
schriftlichen Beweisen aus der Zeit des nachzuweisenden Sachverhalts einen größeren Wert
beimessen als solchen, die zeitlich später einzuordnen sind. Ebenso werden Beweismittel, die
den fraglichen Sachverhalt unmittelbar beweisen, höher eingestuft als jene, die nur einen
mittelbaren Bezug aufweisen.
23. Die Kommission wird in ihrer am Ende des Verwaltungsverfahrens erlassenen endgültigen
Entscheidung darüber befinden,
a) ob die von einem Unternehmen vorgelegten Beweismittel einen erheblichen Mehrwert
gegenüber den Beweismitteln aufweisen, die sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Besitz
der Kommission befanden,
b) und in welchem Umfang die Geldbuße … ermäßigt wird …
Um den Umfang der Ermäßigung der Geldbuße … zu bestimmen, wird die Kommission den Zeitpunkt
berücksichtigen, zu dem das Beweismittel, das die Voraussetzungen unter Randnummer 21
erfüllt, vorgelegt wurde, sowie den Umfang des mit dem Beweismittel verbundenen Mehrwerts.
Sie kann ebenfalls berücksichtigen, ob das Unternehmen seit der Vorlage des Beweismittels
kontinuierlich mit ihr zusammengearbeitet hat.
Falls ein Unternehmen Beweismittel für einen Sachverhalt vorlegt, von denen die Kommission zuvor
keine Kenntnis hatte und die die Schwere oder Dauer des mutmaßlichen Kartells unmittelbar
beeinflussen, lässt die Kommission diese Faktoren bei der Festsetzung der Geldbuße gegen das
Unternehmen, das diese Beweismittel geliefert hat, unberücksichtigt.“
328 Die Kronzeugenregelung hat, wie es in ihrer Randnr. 29 heißt, berechtigte Erwartungen begründet,
auf die sich die Unternehmen, die der Kommission das Bestehen eines Kartells anzeigen oder mit ihr
zusammenarbeiten wollen, berufen können. Angesichts des berechtigten Vertrauens, das aufgrund
dieser Regelung möglicherweise bei den Unternehmen entstanden ist, ist die Kommission verpflichtet,
sich bei der Beurteilung der Kooperation des fraglichen Unternehmens im Rahmen der Bemessung der
zu verhängenden Geldbuße an die Regelung zu halten (vgl. entsprechend Urteil des Gerichts vom 15.
März 2006, Daiichi Pharmaceutical/Kommission, T‑26/02, Slg. 2006, II‑713, Randnr. 147 und die dort
angeführte Rechtsprechung).
329 Innerhalb der durch die Kronzeugenregelung vorgegebenen Grenzen verfügt die Kommission jedoch
über ein weites Ermessen bei der Beurteilung der Frage, ob die von einem Unternehmen übermittelten
Beweismittel einen Mehrwert im Sinne von Randnr. 22 der Regelung darstellen oder nicht und ob
einem Unternehmen auf ihrer Grundlage ein Nachlass zu gewähren ist (vgl. entsprechend Urteil Dansk
Rørindustri u. a./Kommission, oben in Randnr. 131 angeführt, Randnrn. 393 und 394). Diese
Beurteilung unterliegt einer eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung.
330 In den Randnrn. 530 bis 532 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission zur Kooperation
von Areva ausgeführt:
„(530) [Areva] war das zweite Unternehmen, das sich an die Kommission in Anwendung der
Kronzeugenregelung wandte. Am 14. Mai 2004 bekundete [sie ihre] Bereitschaft zur
Zusammenarbeit. Am 18. und am 25. Mai 2004 gestand [sie] in einer Untemehmenserklärung
das Bestehen des Kartells ein und machte allgemeine Angaben zu dessen wettbewerbswidrigen
Tätigkeiten.
(531) Das sich aus der Erklärung von [Areva] ergebende Gesamtbild stimmt zwar im Ganzen mit ABBs
Erklärungen überein, enthielt jedoch kaum Bestandteile, die einen ‚Mehrwert‘ ergaben. Einen
Erkenntnisgewinn erbrachte lediglich die Erklärung, dass Siemens am 26. März 2002 [ihre]
Teilnahme an den Kartellzusammenkünften wieder aufnahm. Da diese Auskunft jedoch lediglich
eine Verlängerung der Dauer der Kartellteilnahme von Siemens von drei Monaten betraf, verhalf
sie der Kommission nicht dazu, den betreffenden Sachverhalt darüber hinaus nachzuweisen, und
daher kann sie nicht als erheblicher Mehrwert eingestuft werden. Darüber hinaus hat die
Kommission einige Erklärungen von [Areva] in dieser Entscheidung als unzureichend verlässlich
angesehen (z. B. siehe [Randnrn. 290 und 291]), was die Ermittlungen der Kommission im
vorliegenden Fall nicht erleichterte.
(532) Die von [Areva] vorgelegten Informationen erbringen somit keinen erheblichen Mehrwert, der als
Grundlage für eine Ermäßigung der Geldbuße entsprechend der Kronzeugenregelung dienen
könnte.“
331 In einem ersten Schritt ist zu prüfen, ob die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler
begangen hat, indem sie die in Randnr. 531 der angefochtenen Entscheidung genannten Erklärungen
der Gesellschaften der Areva-Gruppe für widersprüchlich und mehrdeutig und deshalb für nicht
verlässlich gehalten hat.
332 In den Randnrn. 290 und 291 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission festgestellt:
„(290) Die Kommission kann sich nicht auf die Ausführungen von [Areva], Melco, Hitachi/JAEPS und
Toshiba stützen, soweit sie behaupten, das Kartell habe sich zum ersten Mal entweder 1997
([Areva] …), im September 1999 (Melco … und Toshiba …) oder irgendwann 1999 nach Siemens'
Ausscheiden (Hitachi/JAEPS …) bzw. im oder ungefähr im September 2000 (Fuji …) aufgelöst. Aus
folgenden Gründen sind diese Ausführungen nicht verlässlich. Sie widersprechen einander und
… Beweisen aus der Kommissionsakte. Melco, Toshiba, Fuji, ABB, Alstom, Reyrolle/[VA Tech] und
Magrini/Schneider (beide wurden später zu VAS und anschließend zu [VA Tech]) nahmen 2000
und/oder 2001 weiterhin an multilateralen Zusammenkünften und Kontakten teil (siehe
[Randnrn. 191 bis 198]). Ferner sind sie mehrdeutig und nicht schlüssig.
(291) [Areva] legt widersprüchliche und mehrdeutige Erklärungen vor. [Sie] sagte [in ihrer Erklärung
nach der Kronzeugenregelung] aus, [ihrer] Auffassung nach habe das Kartell 1997 geendet,
behauptet jedoch im Gegensatz dazu in [ihrer] Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte
…, die Zeit zwischen September 1999 und März 2002 sei eine Übergangszeit gewesen, in der es
weniger Zusammenkünfte gab, die zwar nach wie vor wettbewerbswidrig gewesen seien, jedoch
keine nennenswerte wettbewerbswidrige Wirkung entfaltet hätten.“
333 Was die zu den Akten des vorliegenden Verfahrens gereichte Erklärung der Gesellschaften der Areva-
Gruppe nach der Kronzeugenregelung vom 18. und 25. Mai 2004 angeht, hat sich die Kommission in
Randnr. 291 der angefochtenen Entscheidung unstreitig auf folgende Erklärung bezogen:
„Ein erstes Kartell bestand zwischen dem Ende der 1980er Jahre und 1997, als es unterbrochen
wurde. Ab 1997 trafen sich die Beteiligten wieder, einigten sich jedoch weder über die Aufteilung der
Märkte noch über die Preise, und die Zusammenkünfte zu diesem Kartell wurden im September 1999
eingestellt, nachdem Siemens endgültig ausgeschieden war.“
334 Hinsichtlich der Antwort der Gesellschaften der Areva-Gruppe auf die Mitteilung der
Beschwerdepunkte vom 30. Juni 2006 hat sich die Kommission, wie aus Fn. 353 unter Randnr. 291 der
angefochtenen Entscheidung hervorgeht, auf folgende Erklärung bezogen:
„Zwar trafen sich die anderen Kartellmitglieder als Siemens und Hitachi weiter, doch fanden diese
Treffen nur noch halb so oft wie zuvor statt und hatten keine wettbewerbswidrigen Wirkungen mehr ...
Was die angewandten Methoden betrifft, war der Zeitraum zwischen September 1999 und März 2002
im Kartell eine Zeit des Zögerns und der ‚Unentschlossenheit‘ zwischen dem Zusammenbruch des
durch das GQ-Abkommen geschaffenen Systems und dem Entwurf eines nach März 2002 angewandten
neuen Systems ... Von 1999 bis 2002 behielten diese Treffen zwar in mancher Hinsicht ihren
wettbewerbswidrigen Charakter, ihre wettbewerbswidrige Wirkung war jedoch wegen der geringen Zahl
aufgeteilter [GIS-]Projekte (weshalb sich eine Anwendung der Mechanismen [des GQ-Abkommens]
erübrigte) und der theoretischen Natur der Diskussionen über eine andere Organisation des Kartells
[als nach dem GQ-Abkommen] deutlich zurückgegangen …“
335 In Anbetracht des Inhalts dieser Erklärungen ist festzustellen, dass die Kommission keinen
offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, indem sie sie als widersprüchlich und mehrdeutig
angesehen hat. Denn während sich die Gesellschaften der Areva-Gruppe in ihrer Erklärung nach der
Kronzeugenregelung offenbar auf eine Aufeinanderfolge verschiedener Zuwiderhandlungen bezogen
haben, bei der ein erstes Kartell im Jahr 1997, jedenfalls aber im September 1999, geendet habe,
scheinen sie in ihrer Antwort auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte das Bestehen einer
einheitlichen, dauernden Zuwiderhandlung einzuräumen, wobei sie den Zeitraum von September 1999
bis März 2002 als bloße Zeit des Übergangs und der „Unentschlossenheit“ in der Funktionsweise des
Kartells darstellen. Zu berücksichtigen ist weiter, dass, wie die Kommission in Randnr. 290 der
angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, den Erklärungen der Gesellschaften der Areva-Gruppe,
wonach das Kartell oder ein erstes Kartell erstmals im Jahr 1997 geendet habe, durch die Erklärungen
anderer Mitglieder des Kartells sowie bestimmte in den Akten vorhandene Beweismittel widersprochen
wird. Insofern kann nicht davon ausgegangen werden, dass die von den Gesellschaften der Areva-
Gruppe vorgelegten Beweismittel die Aufgaben der Kommission bei der Feststellung des Vorliegens
einer Zuwiderhandlung erleichtert und damit die Voraussetzung der Randnr. 21 der
Kronzeugenregelung erfüllt hätten.
336 Auch ohne dass es der Prüfung bedürfte, weshalb es den fraglichen Beweismitteln möglicherweise an
Verlässlichkeit mangelte, ist daher zu folgern, dass die angefochtene Entscheidung nicht mit einem
offensichtlichen Beurteilungsfehler behaftet ist, soweit sie es ablehnt, den Gesellschaften der Areva-
Gruppe eine Ermäßigung der gegen sie verhängten Geldbuße nach der Kronzeugenregelung zu
gewähren.
337 In einem zweiten Schritt ist zu prüfen, ob die Kommission dadurch gegen die Art. 81 EG und 53 des
EWR-Abkommens sowie Randnr. 21 der Kronzeugenregelung verstoßen hat, dass sie nicht
berücksichtigt habe, dass die Erklärung der Gesellschaften der Areva-Gruppe nach der
Kronzeugenregelung ein Beweismittel mit erheblichem Mehrwert enthalten habe, da darin bestätigt
worden sei, dass sich das von Siemens geleitete Unternehmen erst im September 1999 vom Kartell
zurückgezogen habe.
338 Die Kommission hat in Randnr. 186 der angefochtenen Entscheidung ausgeführt:
„Siemens gibt an, ab dem Gipfeltreffen von Sydney mit Wirkung vom 24. April 1999 [ihre] Mitwirkung am
Kartell unterbrochen zu haben. Nach Angaben von ABB unterbrach Siemens [ihre] Beteiligung an den
Kartellzusammenkünften Ende 1999 … Nach der Feststellung der Kommission erfolgte das
Ausscheiden von Siemens im September 1999. Ein in den Geschäftsräumen von [VA Tech]
aufgefundenes Dokument, das in Fußnote 94 vollständig zitiert wird, bestätigt, dass Siemens'
Aussetzung [ihrer] Teilnahme an den Treffen auf September 1999 zurückgeht: 'Stop 3 == > 09/99 ('3'
steht für Siemens); es folgen Marktanteile für die Jahre 1988 bis 1998. Dies wird von [Areva] …, Melco
…, Fuji … und Hitachi/JAEPS … bestätigt.“
339 Außerdem geht aus der von den Gesellschaften der Areva-Gruppe nicht angegriffenen Fn. 94 der
angefochtenen Entscheidung hervor, dass „Nummer 3 … der Kode für Siemens [war], als das
Dokument am 10. Juni 2003 erstellt wurde“.
340 In Randnr. 142 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission dazu Folgendes festgestellt:
„Ab spätestens Juli 2002 (siehe Tabelle II) benutzten die Kartellmitglieder andere Kodes, wie von ABB …
erklärt, von Unterlagen aus dieser Zeit … und von durch die Unternehmen nach den Nachprüfungen
übermittelte[n] Dokumente[n] ([Areva] …, [VA Tech] …, Hitachi/JAEPS … und Siemens …) bestätigt
wird.“
341 Die in Randnr. 142 der angefochtenen Entscheidung enthaltene Tabelle [II] führt die „[m]indestens
seit Juli 2002 verwendete[n] Kodes“ auf. Danach waren folgende Codes zugeteilt: europäische
Unternehmen untereinander: „0“, ABB: „1“, Alstom: „2“, Siemens: „3“, VA Tech: „4“, japanische
Unternehmen untereinander: „5“, JAEPS: „6“, TM T&D: „7“.
342 In Fn. 128 der angefochtenen Entscheidung heißt es:
„Bei Herrn Z. ([VA Tech]) wurde ein Dokument gefunden, das aus der Zeit um August 2002 datiert und
bestätigt, dass die Kartellmitglieder anstrebten, durch einen ‚Drehpunkt‘ zu kommunizieren, Treffen
und schriftliche Korrespondenz vermieden und die Kodes 1, 2, 3, 4, 6 und 7 für ABB, [Alstom], Siemens,
[VA Tech], Hitachi/JAEPS und TM T&D benutzten, wenn sie angaben, wie hoch der Preis ihrer Meinung
nach in etwa sein sollte.“
343 Aus den vorstehenden Angaben folgt, dass die Kommission schon vor der Erklärung der
Gesellschaften der Areva-Gruppe über die Erklärung von ABB nach der Kronzeugenregelung verfügte,
wonach Siemens ihre Teilnahme an den Treffen des Kartells ab Ende 1999 eingestellt hatte und ab Juli
2002 mit dem Code „3“ bezeichnet wurde. Sie verfügte zudem über auf die Zeit der Zuwiderhandlung
zurückgehende schriftliche Beweisstücke, aus denen hervorging oder abgeleitet werden konnte, dass
der Code von Siemens im Sommer 2002 die Ziffer „3“ war und Siemens ihre Beteiligung am Kartell im
September 1999 einstellte. Der Beweiswert dieser Schriftstücke, auf die sich die Kommission in der
angefochtenen Entscheidung beruft, ist von den Gesellschaften der Areva-Gruppe nicht bezweifelt
worden und kann daher im Rahmen der Rechtssache T-117/07 nicht in Frage gestellt werden. Somit ist
im Rahmen der Rechtssache T-117/07 nicht davon auszugehen, dass die Erklärung der Gesellschaften
der Areva-Gruppe nach der Kronzeugenregelung für die Feststellung der Kommission entscheidend
war, dass sich Siemens an der Zuwiderhandlung bis September 1999 beteiligt hatte. Ebenso wenig ist
in der Rechtssache T-117/07 davon auszugehen, dass die Erklärung der Gesellschaften der Areva-
Gruppe die Aufgaben der Kommission erleichtert und insoweit die Voraussetzung der Randnr. 21 der
Kronzeugenregelung erfüllt hätte, aus der die Areva T&D SA, die Areva T&D AG, Areva und die Areva
T&D Holding einen Anspruch auf eine Ermäßigung ihrer Geldbußen herleiten.
344 Die Kommission hat daher in der angefochtenen Entscheidung weder gegen Art. 81 EG noch gegen
Art. 53 des EWR-Abkommens noch auch gegen Randnr. 21 der Kronzeugenregelung verstoßen, indem
sie es abgelehnt hat, den Gesellschaften der Areva-Gruppe aufgrund ihrer Erklärung nach der
Kronzeugenregelung eine Ermäßigung der gegen sie verhängten Geldbußen zu gewähren.
Zum achten von Alstom geltend gemachten Klagegrund, der auf eine Verletzung der Leitlinien,
hilfsweise, auf eine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gestützt wird
– Vorbringen der Parteien
345 Mit ihrem achten Klagegrund macht Alstom geltend, Art. 2 Buchst. b und c der angefochtenen
Entscheidung sei mit einem Rechtsfehler behaftet, soweit er im Rahmen der Bemessung der Geldbuße,
die wegen der Teilnahme des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung für den Zeitraum
vom 15. April 1988 bis 1. Januar 2004 festgesetzt werde, auf den von dem Unternehmen im gesamten
Gebiet des Europäischen Wirtschaftsraums erzielten Umsatz abstelle, obwohl das EWR-Abkommen erst
am 1. Januar 1994 in Kraft getreten sei. Hilfsweise macht Alstom geltend, nach dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit sei es unzulässig, dass die festgesetzte Geldbuße künstlich durch die
Berücksichtigung eines Umsatzes erhöht werde, der in einem Gebiet erzielt worden sei, das zur Zeit
der maßgeblichen Vorgänge, d. h. zwischen dem 15. April 1988 und dem 1. Januar 1994, nicht existiert
habe.
346 Die Kommission tritt dem Vorbringen von Alstom entgegen und beantragt, den vorliegenden
Klagegrund als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.
– Würdigung durch das Gericht
347 Mit dem vorliegenden Klagegrund wird im Wesentlichen die Frage aufgeworfen, ob die Kommission in
der angefochtenen Entscheidung die wegen der Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der
Zuwiderhandlung für den Zeitraum vom 15. April 1988 bis 8. Januar 1994 gegen Alstom festgesetzte
Geldbuße auf der Grundlage des vom betroffenen Unternehmen im Europäischen Wirtschaftsraum
erzielten Umsatzes bemessen hat und, wenn ja, ob sie damit einen Rechtsfehler begangen hat.
348 Wie bereits in der vorstehenden Randnr. 298 festgestellt worden ist, verlangt der Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit, dass die Höhe der Geldbuße, die gegen ein Unternehmen wegen einer
Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht verhängt wird, zur Zuwiderhandlung, die insgesamt zu
würdigen ist, im Verhältnis steht.
349 Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1/2003 stellen die
maßgebliche Rechtsgrundlage für die Kommission dar, um Geldbußen gegen Unternehmen und
Unternehmensvereinigungen wegen Zuwiderhandlungen gegen Art. 81 EG (vgl. entsprechend Urteil
vom 8. Februar 2007, Groupe Danone/Kommission, oben in Randnr. 126 angeführt, Randnr. 24),
gegebenenfalls auch gegen Art. 53 des EWR-Abkommens, verhängen zu können. Danach darf die
gegen jedes an einer Zuwiderhandlung beteiligte Unternehmen verhängte Geldbuße 10 % seines
jeweiligen im vorausgegangenen Geschäftsjahr erzielten Gesamtumsatzes nicht übersteigen. Durch
diese Obergrenze soll gerade verhindert werden, dass die von der Kommission verhängten Geldbußen
außer Verhältnis zur Größe des betroffenen Unternehmens stehen (Urteil des Gerichtshofs vom 7. Juni
2007, Britannia Alloys & Chemicals/Kommission, C‑76/06 P, Slg. 2007, I‑4405, Randnr. 24). Außerdem
müssen nach Art. 15 Abs. 2 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1/2003 bei
der Bestimmung der Höhe der Geldbuße innerhalb dieser Grenze die Dauer und die Schwere der
Zuwiderhandlung berücksichtigt werden.
350 Während der Ausgangsbetrag der Geldbuße anhand der Zuwiderhandlung bestimmt wird, ist deren
Schwere unter Heranziehung zahlreicher anderer Faktoren zu ermitteln, in Bezug auf die die
Kommission über ein Ermessen verfügt (Urteil vom 8. Februar 2007, Groupe Danone/Kommission, oben
in Randnr. 126 angeführt, Randnr. 25). Zu den Faktoren, anhand deren die Schwere einer
Zuwiderhandlung zu beurteilen ist, können je nach den Umständen die Menge und der Wert der
Produkte, die Gegenstand der Zuwiderhandlung waren, sowie die Größe und die Wirtschaftskraft des
Unternehmens und damit der Einfluss gehören, den es auf den Markt ausüben konnte. Die
Kommission darf daher bei der Bemessung der Geldbuße sowohl den Gesamtumsatz des
Unternehmens, der – wenn auch nur annähernd und unvollständig – etwas über dessen Größe und
Wirtschaftskraft aussagt, als auch den Teil dieses Umsatzes berücksichtigen, der mit den Produkten
erzielt worden ist, hinsichtlich deren die Zuwiderhandlung begangen wurde, und der somit einen
Anhaltspunkt für das Ausmaß der Zuwiderhandlung liefern kann (Urteil Musique Diffusion française u.
a./Kommission, oben in Randnr. 247 angeführt, Randnrn. 120 und 121; vgl. Urteil des Gerichts vom 20.
März 2002, Sigma Tecnologie/Kommission, T‑28/99, Slg. 2002, II‑1845, Randnr. 86 und die dort
angeführte Rechtsprechung).
351 Außerdem geht aus der Rechtsprechung hervor, dass zur Beurteilung von Größe und Wirtschaftskraft
eines Unternehmens zur Zeit der Zuwiderhandlung der Umsatz herangezogen werden muss, den es in
dieser Zeit erzielt hat (Urteil des Gerichtshofs vom 16. November 2000, Sarrió/Kommission, C‑291/98 P,
Slg. 2000, I‑9991, Randnr. 86). Der Umstand allein, dass sich die Kommission für die Beurteilung der
wirtschaftlichen Realität, wie sich diese während des Zuwiderhandlungszeitraums darstellte,
grundsätzlich auf das letzte volle Kalenderjahr dieses Zeitraums bezogen hat, läuft dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit nicht zuwider (vgl. in diesem Sinne Urteil Aristrain/Kommission, oben in Randnr.
215 angeführt, Randnrn. 128 und 129).
352 Die Leitlinien stellen zwar nicht die Rechtsgrundlage der von der Kommission im fraglichen Bereich
getroffenen Entscheidungen dar, schaffen jedoch Rechtssicherheit für die Unternehmen, indem sie
eine Regelung des Verfahrens enthalten, das sich die Kommission zur Festsetzung der Geldbußen
auferlegt hat (vgl. Urteil vom 8. Februar 2007, Groupe Danone/Kommission, oben in Randnr. 126
angeführt, Randnr. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).
353 Nach den Leitlinien wird die Schwere der Zuwiderhandlung anhand einer Reihe von Umständen
ermittelt, von denen die Kommission einige zwingend berücksichtigen muss.
354 Insoweit ist es nach den Leitlinien notwendig, abgesehen von der Art des Verstoßes, von seinen
konkreten Auswirkungen auf den Markt und vom Umfang des betreffenden räumlichen Marktes die
tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße, Wettbewerber und Verbraucher
wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen, zu berücksichtigen und die Geldbuße auf einen
Betrag festzusetzen, der eine hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet (Nr. 1 Buchst. A Abs. 4).
355 Darüber hinaus kann auch der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Großunternehmen besser
imstande sind, zu erkennen, in welchem Maß ihre Vorgehensweise einen Verstoß darstellt und welche
Folgen zu gewärtigen sind (Nr. 1 Buchst. A Abs. 5).
356 In Fällen, in denen mehrere Unternehmen beteiligt sind, z. B. bei Kartellen, kann der allgemeine
Ausgangsbetrag gewichtet werden, um einen spezifischen Ausgangsbetrag festzusetzen, bei dem das
jeweilige Gewicht des Verstoßes jedes einzelnen Unternehmens und damit seine tatsächliche
Auswirkung auf den Wettbewerb berücksichtigt werden, vor allem, wenn an einem Verstoß derselben
Art Unternehmen von sehr unterschiedlicher Größe beteiligt waren (Nr. 1 Buchst. A Abs. 6).
357 Die Leitlinien sehen zwar nicht vor, dass die Höhe von Geldbußen anhand des Gesamtumsatzes oder
des Umsatzes der Unternehmen auf dem betreffenden Markt berechnet wird. Sie schließen jedoch
auch nicht aus, dass diese Umsätze bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden, damit
die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts gewahrt bleiben und wenn die Umstände es erfordern.
Der Umsatz kann insbesondere eine Rolle spielen, wenn es um die Berücksichtigung der
verschiedenen in den vorstehenden Randnrn. 354 bis 356 angeführten Umstände geht (Urteile LR AF
1998/Kommission, oben in Randnr. 131 angeführt, Randnrn. 283 und 284, sowie Archer Daniels
Midland und Archer Daniels Midland Ingredients/Kommission, oben in Randnr. 283 angeführt, Randnr.
187).
358 Im vorliegenden Fall hat die Kommission, nachdem sie in den Randnrn. 474 bis 479 der
angefochtenen Entscheidung die Schwere der Zuwiderhandlung als solcher ermittelt hat, die sie als
„besonders schwer“ eingestuft hat, gemäß dem in Nr. 1 Buchst. A der Leitlinien festgelegten
Verfahren Gesichtspunkte berücksichtigt, die geeignet waren, bei der Behandlung der einzelnen
Unternehmen zu differenzieren.
359 Insoweit geht aus den Randnrn. 480 bis 491 der angefochtenen Entscheidung hervor, dass die
Kommission die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit jedes Urhebers der Zuwiderhandlung, andere
Wirtschaftsteilnehmer in erheblichem Umfang zu schädigen, sowie das jeweilige Gewicht der
Zuwiderhandlung jedes einzelnen Unternehmens und damit deren tatsächliche Auswirkung auf den
Wettbewerb berücksichtigt hat, um eine hinreichend abschreckende Wirkung der festgesetzten
Geldbußen sicherzustellen.
360 In den Randnrn. 481 und 482 der angefochtenen Entscheidung hat die Kommission die Auffassung
vertreten, angesichts des weltweiten Charakters des Kartells sei es angebracht, für den Vergleich der
jeweiligen Bedeutung der einzelnen Unternehmen den Anteil am weltweiten Umsatz zugrunde zu legen,
den das fragliche Unternehmen im letzten vollen Kalenderjahr seiner Beteiligung an der festgestellten
Zuwiderhandlung mit den GIS-Projekten erzielt habe. Nach Ansicht der Kommission war diese
Grundlage geeignet, die Fähigkeit der einzelnen Unternehmen, andere Wirtschaftsteilnehmer im
Gebiet des EWR zu schädigen, genau abzubilden und eine Aussage über den jeweiligen Beitrag zur
Wirksamkeit des Kartells insgesamt bzw. die Instabilität zu treffen, in die das Kartell ohne Mitwirkung
des Unternehmens geraten wäre.
361 Bei der Bemessung des Grundbetrags der gegen Alstom verhängten Geldbuße hat sich die
Kommission demgemäß auf den vom betroffenen Unternehmen im letzten vollen Kalenderjahr der
Zuwiderhandlung mit GIS-Projekten erzielten weltweiten Umsatz bezogen und nicht, wie Alstom
behauptet, auf den Umsatz mit GIS-Projekten, der während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung
im Gebiet des EWR erzielt wurde. Der Klagegrund von Alstom geht daher in tatsächlicher Hinsicht fehl.
362 Jedenfalls ergibt sich aus den vorstehenden Ausführungen, dass die Kommission in der
angefochtenen Entscheidung nicht von der in den Leitlinien genannten Methode abgewichen ist, nicht
über den in Art. 15 der Verordnung Nr. 17 und Art. 23 der Verordnung Nr. 1/2003 festgelegten
rechtlichen Sanktionsrahmen hinausgegangen ist und nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
verletzt hat, indem sie beschlossen hat, für die Beurteilung der Größe und Wirtschaftskraft, die jedes
einzelne Unternehmen zur Zeit der Zuwiderhandlung besaß, grundsätzlich auf den vom jeweiligen
Unternehmen im letzten vollen Kalenderjahr der Zuwiderhandlung erzielten weltweiten Umsatz mit GIS-
Projekten abzustellen.
363 Aufgrund dessen ist der Klagegrund einer Verletzung der Leitlinien, hilfsweise, einer Verletzung des
Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, zurückzuweisen.
Kosten
364 Nach Art. 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht, wenn jede Partei teils obsiegt, teils
unterliegt, die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt.
365 Da in der Rechtssache T‑117/07 der Klage teilweise stattgegeben worden ist, erscheint es bei
angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles geboten, der Kommission ein Zehntel der
Kosten von Areva, der Areva T&D Holding, der Areva T&D SA und der Areva T&D AG sowie ein Zehntel
ihrer eigenen Kosten aufzuerlegen. Areva, der Areva T&D Holding, der Areva T&D SA und der Areva
T&D AG sind neun Zehntel ihrer eigenen Kosten und neun Zehntel der Kosten der Kommission
aufzuerlegen.
366 Da in der Rechtssache T‑121/07 der Klage teilweise stattgegeben worden ist, erscheint es bei
angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles geboten, der Kommission ein Zehntel der
Kosten von Alstom und ein Zehntel ihrer eigenen Kosten aufzuerlegen. Alstom sind neun Zehntel ihrer
eigenen Kosten und neun Zehntel der Kosten der Kommission aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen hat
DAS GERICHT (Zweite Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Rechtssachen T-117/07 und T-121/07 werden zu gemeinsamer Entscheidung
verbunden.
2. Art. 2 Buchst. b und c der Entscheidung K(2006) 6762 endg. der Kommission vom 24.
Januar 2007 in einem Verfahren nach Art. 81 EG und Art. 53 EWR-Abkommen (Sache
COMP/F/38.899 – Gasisolierte Schaltanlagen) wird für nichtig geklärt.
3. Wegen der in Art. 1 Buchst. b bis f der Entscheidung K(2006) 6762 endg.
festgestellten Zuwiderhandlungen werden folgende Geldbußen festgesetzt:
– Aktiengesellschaft Alstom: 10 327 500 Euro;
– Alstom: 48 195 000 Euro gesamtschuldnerisch mit der Areva T&D SA, wobei
20 400 000 Euro des von der Areva T&D SA zu zahlenden Betrags
gesamtschuldnerisch von dieser sowie der Areva T&D AG, der Aktiengesellschaft
Areva und der Areva T&D Holding SA zu zahlen sind.
4. Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
5. In der Rechtssache T‑117/07 trägt die Kommission ein Zehntel der Kosten von Areva,
der Areva T&D Holding, der Areva T&D SA und der Areva T&D AG sowie ein Zehntel
ihrer eigenen Kosten. Areva, die Areva T&D Holding, die Areva T&D SA und die Areva
T&D AG tragen neun Zehntel ihrer eigenen Kosten und neun Zehntel der Kosten der
Kommission.
6. In der Rechtssache T‑121/07 trägt die Kommission ein Zehntel der Kosten der
Aktiengesellschaft
Alstom
und
ein
Zehntel
ihrer
eigenen
Kosten.
Die
Aktiengesellschaft Alstom trägt neun Zehntel ihrer eigenen Kosten und neun Zehntel
der Kosten der Kommission.
Pelikánová
Jürimäe
Soldevila Fragoso
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. März 2011.
Unterschriften
Inhaltsverzeichnis
Vorgeschichte des Rechtsstreits
Betroffenes Produkt
Vom Verfahren betroffene Unternehmen
Verwaltungsverfahren
Angefochtene Entscheidung
Verfahren und Anträge der Verfahrensbeteiligten
Rechtliche Würdigung
Zu den Anträgen auf Nichtigerklärung von Art. 1 Buchst. b, c, d, e und f der
angefochtenen Entscheidung
Vorbemerkungen
Zum Übergang der Alstom aufgrund der Beteiligung ihrer GIS‑Sparte an der
Zuwiderhandlung in der Zeit vom 15. April 1988 bis 6. Dezember 1992
treffenden persönlichen Haftung auf die Areva T&D SA und die Areva T&D AG
– Vorbringen der Parteien
– Würdigung durch das Gericht
Zur persönlichen Verantwortlichkeit von Alstom als 100%iger
Muttergesellschaft der Alstom T&D SA und der Alstom T&D AG aufgrund der
Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung im
Zeitraum vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004
– Vorbringen der Parteien
– Würdigung durch das Gericht
Zum Übergang der persönlichen Verantwortlichkeit von Alstom wegen
Teilnahme des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung im
Zeitraum vom 15. April 1988 bis 8. Januar 2004 auf die Gesellschaften der
Areva‑Gruppe in Anbetracht der Veräußerung dieses Unternehmens an die
Areva‑Gruppe
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
– Würdigung durch das Gericht
Zur persönlichen Verantwortlichkeit der Areva T&D SA und der Areva T&D AG
für die Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung in
den Zeiträumen vom 7. Dezember 1992 bis 8. Januar 2004 bzw. vom 22.
Dezember 2003 bis 8. Januar 2004
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
– Würdigung durch das Gericht
Zur persönlichen Verantwortlichkeit der Areva und der Areva T&D Holding als
100%ige Muttergesellschaften der Areva T&D SA und der Areva T&D AG
wegen Beteiligung des betroffenen Unternehmens an der Zuwiderhandlung
in der Zeit vom 9. Januar bis 11. Mai 2004
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
– Würdigung durch das Gericht
Zur Frage einer Unterbrechung der Alstom zugerechneten Zuwiderhandlung
zwischen September 1999 und März 2002
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
– Würdigung durch das Gericht
Zu den Anträgen auf Nichtigerklärung oder Abänderung von Art. 2 Buchst. b und
c der angefochtenen Entscheidung
Zum Verstoß gegen die Verjährungsregeln betreffend die individuelle
Geldbuße, die gegen Alstom in Art. 2 Buchst. b der angefochtenen
Entscheidung verhängt wurde
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
– Würdigung durch das Gericht
Zum Verstoß gegen die Regeln über die gesamtschuldnerische Haftung für
die Zahlung von Geldbußen, die sich aus Art. 81 EG und Art. 53
EWR‑Abkommen ergeben, zum Verstoß gegen Art. 7 EG, zum Verstoß gegen
die Grundsätze der Rechtssicherheit, des Rückwirkungsverbots, der
Gleichbehandlung, der Verhältnismäßigkeit, des Rechts auf einen effektiven
Rechtsschutz, der individuellen Strafzumessung sowie zum Verstoß gegen
die Begründungspflicht in Bezug auf die gegen Alstom und die
Gesellschaften der Areva‑Gruppe in Art. 2 Buchst. c der angefochtenen
Entscheidung festgesetzten Geldbußen
– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
– Würdigung durch das Gericht
Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Wahrung der Verteidigungsrechte
und gegen Art. 27 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1/2003
– Vorbringen der Parteien
– Würdigung durch das Gericht
Zur Erhöhung des Grundbetrags der in Art. 2 Buchst. b und c der
angefochtenen Entscheidung gegen Alstom und die Gesellschaften der
Areva-Gruppe festgesetzten Geldbußen
– Vorbringen der Parteien
– Würdigung durch das Gericht
Zum siebten von den Gesellschaften der Areva-Gruppe geltend gemachten
Klagegrund, der auf einen offensichtlichen Beurteilungsfehler sowie einen
Verstoß gegen Art. 81 EG, Art. 53 des EWR-Abkommens und die
Kronzeugenregelung gestützt wird, soweit die Kommission es abgelehnt
habe, ihnen eine Ermäßigung ihrer Geldbuße wegen ihrer Kooperation im
Verwaltungsverfahren zu gewähren
– Vorbringen der Parteien
– Würdigung durch das Gericht
Zum achten von Alstom geltend gemachten Klagegrund, der auf eine
Verletzung der Leitlinien, hilfsweise, auf eine Verletzung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit gestützt wird
– Vorbringen der Parteien
– Würdigung durch das Gericht
Kosten
Verfahrenssprache: Französisch.
Nicht veröffentlichte vertrauliche Daten.