Urteil des EuG vom 17.12.1997
EuG: kommission, anpassung, verordnung, trinidad und tobago, rat der europäischen union, gemeinschaft unabhängiger staaten, verfahrensrechte, gericht erster instanz, vergleich, tschechische republik
URTEIL DES GERICHTS (Vierte erweiterte Kammer)
17. Dezember 1997
„Antidumpingzölle — Schädigung — Verfahrensrechte“
In der Rechtssache T-121/95
European Fertilizer Manufacturers Association (EFMA
Zürich, zunächst vertreten durch die Rechtsanwälte Dominique Voillemot und Hubert de Broca, sodann
durch die Rechtsanwälte Dominique Voillemot und Olivier Prost, Paris, Zustellungsanschrift: Kanzlei der
Rechtsanwälte Loesch und Wolter, 11, rue Goethe, Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Rat der Europäischen Union,
Bevollmächtigte, im Beistand der Rechtsanwälte Hans-Jürgen Rabe und Georg M. Berrisch, Hamburg und
Brüssel, Zustellungsbevollmächtigter: Alessandro Morbilli, Generaldirektor der Direktion für Rechtsfragen der
Europäischen Investitionsbank, 100, boulevard Konrad Adenauer, Luxemburg,
Beklagter,
unterstützt durch
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner,
Luxemburg-Kirchberg,
Streithelferin,
wegen Nichtigerklärung von Artikel 1 der Verordnung (EG) Nr. 477/95 des Rates vom 16. Januar 1995 zur
Änderung der endgültigen Antidumpingmaßnahmen betreffend die Einfuhren von Harnstoff mit Ursprung in
der ehemaligen UdSSR in die Gemeinschaft und zur Außerkraftsetzung der Antidumpingmaßnahmen
betreffend die Einfuhren von Harnstoff mit Ursprung in der ehemaligen Tschechoslowakei in die
Gemeinschaft (ABl. L 49, S. 1)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Vierte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Richterin P. Lindh sowie der Richter J. Azizi, J. D. Cooke und
M. Jaeger,
Kanzler: B. Pastor, Hauptverwaltungsrätin
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Mai 1997,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
1.
Die Klägerin, die European Fertilizer Manufacturers Association (Europäische Vereinigung der
Düngemittelhersteller; im folgenden: Klägerin), die aus dem Zusammenschluß mehrerer
Vereinigungen, u. a. des CMC-Engrais (Comité „marché commun“ de l'industrie des engrais azotés et
phosphatés; Ausschuß „Gemeinsamer Markt“ der Stickstoff- und Phosphatdüngerindustrie),
hervorgegangen ist, ist eine Wirtschaftsvereinigung schweizerischen Rechts; sie
vertritt die gemeinsamen und allgemeinen Interessen ihrer Mitglieder, die die Herstellung von
Düngemitteln betreiben.
2.
Auf eine Beschwerde des CMC-Engrais vom Juli 1986 kündigte die Kommission in einer im
veröffentlichten Mitteilung die Einleitung eines
Antidumpingverfahrens betreffend die Einfuhren von Harnstoff mit Ursprung in der Tschechoslowakei,
der Deutschen Demokratischen Republik, Kuwait, Libyen, Saudi-Arabien, der UdSSR, Trinidad und
Tobago sowie Jugoslawien (ABl. 1986, C 254, S. 3) gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2176/84 des
Rates vom 23. Juli 1984 über den Schutz gegen gedumpte oder subventionierte Einfuhren aus nicht
zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. L 201, S. 1) an.
3.
Dieses Verfahren führte zum Erlaß der Verordnung (EWG) Nr. 3339/87 des Rates vom 4. November
1987 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls auf Einfuhren von Harnstoff mit Ursprung in
Libyen und Saudi-Arabien und zur Annahme von Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Einfuhren
von Harnstoff mit Ursprung in der Tschechoslowakei, der Deutschen Demokratischen Republik, Kuwait,
der UdSSR, Trinidad und Tobago und Jugoslawien sowie zur Einstellung dieser Verfahren (ABl. L 317, S.
1). Die im Rahmen dieser Verordnung eingegangenen Verpflichtungen wurden durch den Beschluß
89/143/EWG der Kommission vom 21. Februar 1989 (ABl. L 52, S. 37) bestätigt.
4.
Mit Schreiben vom 29. Oktober 1992 beantragte die Klägerin eine teilweise Überprüfung der
Verpflichtungen in bezug auf die ehemalige Tschechoslowakei und die ehemalige Sowjetunion.
5.
Die Kommission erhielt Informationen über Einfuhren von Harnstoff mit Ursprung in der ehemaligen
Tschechoslowakei und der ehemaligen Sowjetunion in die Gemeinschaft, die sie zu der Ansicht
brachten, sie verfüge über hinreichende Beweise für eine Änderung der Umstände, die die Einleitung
eines Verfahrens zur Überprüfung der Verpflichtungen rechtfertigten. Sie leitete daher eine
Untersuchung gemäß Artikel 14 der Verordnung (EWG) Nr. 2423/88 des Rates vom 11. Juli 1988 über
den Schutz gegen gedumpte oder subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft gehörenden Ländern (ABl. L 209, S. 1; im folgenden: Grundverordnung) in
bezug auf die Tschechische Republik, die Slowakische Republik, die Republiken Belarus, Georgien,
Tadschikistan und Usbekistan, die Russische Förderation sowie die Ukraine ein (ABl. 1993, C 87, S. 7).
6.
Da das Überprüfungsverfahren noch nicht abgeschlossen war, als die Maßnahmen ausliefen,
entschied die Kommission gemäß Artikel 15 Absatz 4 der Grundverordnung, daß die Maßnahmen in
bezug auf Harnstoff mit Ursprung in der ehemaligen Tschechoslowakei und der ehemaligen
Sowjetunion bis zum Abschluß dieser Überprüfung in Kraft blieben (ABl. 1994, C 47, S. 3).
7.
Die Dumpinguntersuchung bezog sich auf den Zeitraum vom 1. Januar bis 30. Juni 1992
(Untersuchungszeitraum).
8.
Zur Ermittlung des Normalwerts des in der ehemaligen Sowjetunion (in Rußland und in der Ukraine)
erzeugten Harnstoffs schlug die Klägerin Australien als Referenzland gemäß Artikel 2 Absatz 5
Buchstabe a Ziffer i der Grundverordnung vor. Die European Fertilizer des Importer's Association
(Europäischer Verband der Düngemittelimporteure; EFIA), eine an der Untersuchung beteiligte
Organisation, widersetzte sich jedoch der Heranziehung eines Referenzlandes und schlug vor, die in
den vom Verfahren betroffenen Ländern festgestellten tatsächlichen Kosten zugrunde zu legen. In
einem späteren Abschnitt des Verfahrens machte die EFIA auch geltend, daß Kanada das geeignetste
Referenzland sei.
9.
Die Kommission wählte zunächst Australien als vorläufiges Referenzland und vertrat dann die
Ansicht, es sei insbesondere wegen seiner Isolierung von den Märkten der Welt sowie des
Preisniveaus für Inlandsverkäufe, das höher als in Europa sei, nicht das geeignetste Land. Die
Slowakische Republik (im folgenden: Slowakei), gegen die bereits eine Untersuchung durchgeführt
worden war, wurde daraufhin als Referenzland in Erwägung gezogen und benannt.
10.
Am 10. Mai 1994 übersandte die Kommission der Klägerin und sämtlichen Beteiligten das
Informationsschreiben, in dem sie das Ergebnis ihrer Untersuchung sowie die wesentlichen Tatsachen
und Erwägungen erläuterte, aufgrund deren sie beabsichtigte, die Einführung endgültiger
Maßnahmen zu empfehlen. In diesem Schreiben erläuterte die Kommission die Wahl der Slowakei als
Referenzland anstelle von Australien und Kanada, die Berechnung des Normalwerts (in der Slowakei),
den Vergleich zwischen dem Normalwert (ab Werk für die Slowakei) und den Ausfuhrpreisen (ab
Landesgrenze für Rußland und die Ukraine) und schließlich die Schätzung der Schädigung. Sie
erläuterte insbesondere, inwiefern es ihr angebracht erschien, eine Gewinnspanne der Erzeuger in
der Gemeinschaft von 5 % festzusetzen und den Preis von Harnstoff mit Ursprung in Rußland für die
Berechnung der Höhe des beabsichtigten Zolles um 10 % anzupassen. In bezug auf die Anpassung
um 10 % erklärte sie insbesondere, es bewirke einen Preisunterschied zwischen Harnstoff mit
Ursprung in Rußland und Harnstoff mit Ursprung in der Gemeinschaft, daß bei russischem Harnstoff
die Tendenz zur Qualitätsverschlechterung während des Transports bestehe und daß die Importeure
russischen Harnstoffes nicht immer die gleiche Liefersicherheit wie die Erzeuger in der Gemeinschaft
bieten könnten.
11.
Mit Schreiben vom 17. Mai 1994 beantragte die Klägerin bei der Kommission die Mitteilung von bei
der Untersuchung in bezug auf die Anpassung um 10 % wegen des Qualitätsunterschieds zwischen
Harnstoff mit Ursprung in der ehemaligen Sowjetunion und in der Gemeinschaft hergestelltem
Harnstoff ermittelten Einzelheiten.
12.
Die Kommission antwortete mit Telefax vom 18. Mai 1994, daß diese Berichtigung auf einer
Schätzung des Durchschnitts aufgrund von Angaben beruhe, die von verschiedenen Importeuren,
Händlern und Vertriebsunternehmen eingeholt worden seien, die sich im Handel mit Harnstoff mit
Ursprung in Rußland und der Gemeinschaft betätigten.
13.
Die Klägerin nahm mit Schreiben vom 30. Mai 1994 gegenüber der Kommission zum
Informationsschreiben Stellung. Sie ersuchte auch mit der Begründung, daß das
Informationsschreiben in bezug auf das Dumping unvollständig sei, um ergänzende Einzelheiten.
14.
Die Kommission machte der Klägerin mit Schreiben vom 10. Juni 1994 einige ergänzende Angaben.
15.
Die Klägerin und die Kommission trafen am 18. Juli 1994 zur Erörterung der verschiedenen
Ergebnisse und Anmerkungen zusammen; die Klägerin übermittelte der Kommission mit Schreiben vom
28. Juli, 9. August, 21. und 26. September sowie 3. Oktober 1994 weitere Stellungnahmen.
16.
Nach einer weiteren Sitzung im Oktober 1994 gab die Klägerin mit Schreiben vom 26. Oktober 1994
ihre abschließende Stellungnahme ab, die u. a. den Vergleich zwischen dem Normalwert und den
Ausfuhrpreisen, die Anpassung um 10 % und die Gewinnspanne von 5 % betraf.
17.
Am 16. Januar 1995 erließ der Rat die Verordnung (EG) Nr. 477/95 des Rates vom 16. Januar 1995
zur Änderung der endgültigen Antidumpingmaßnahmen betreffend die Einfuhren von Harnstoff mit
Ursprung in der ehemaligen UdSSR in die Gemeinschaft und zur Außerkraftsetzung der
Antidumpingmaßnahmen betreffend die Einfuhren von Harnstoff mit Ursprung in der ehemaligen
Tschechoslowakei in die Gemeinschaft (ABl. L 49, S. 1; im folgenden: angefochtene Verordnung). Sie
wurde am 4. März 1995 im veröffentlicht.
18.
Da die Schadensschwelle niedriger als die für Rußland ermittelte Dumpingspanne war, wurde der
endgültige Antidumpingzoll gemäß Artikel 13 Absatz 3 der Grundverordnung in Höhe der
Schadensschwelle festgesetzt.
19.
Artikel 1 der angefochtenen Verordnung lautet:
„(1) Auf die Einfuhren von Harnstoff der KN-Codes 3102 10 10 und 3102 10 90 mit Ursprung in der
Russischen Föderation wird ein endgültiger Antidumpingzoll erhoben.
(2) Der Zoll entspricht der Differenz zwischen 115 ECU je Tonne und dem Nettopreis, frei Grenze der
Gemeinschaft, unverzollt, sofern dieser Preis niedriger ist.
(3) Sofern nichts anderes bestimmt ist, sind die geltenden Zollbestimmungen maßgeblich.“
Verfahren
20.
Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 12. Mai 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist,
die vorliegende Klage erhoben.
21.
Die Kommission hat mit Schriftsatz, der am 23. Oktober 1995 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, ihre Zulassung als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge des Rates beantragt.
22.
Der Präsident der Vierten erweiterten Kammer des Gerichts hat diesem Antrag mit Beschluß vom
21. November 1995 stattgegeben.
23.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 2. Oktober 1996 beantragt, ihre Ausführungen in der
mündlichen Verhandlung in Französisch machen zu dürfen.
24.
Dieser Antrag ist mit Beschluß des Gerichts (Vierte erweiterte Kammer) vom 24. Januar 1997 in der
Rechtssache T-121/95 (EFMA/Rat, Slg. 1997, II-87) zurückgewiesen worden.
25.
Das Gericht (Vierte erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die
mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen. Es hat jedoch bestimmte Fragen
an die Parteien gerichtet und diese ersucht, Unterlagen vorzulegen.
26.
Die Klägerin hat mit Schriftsatz, der am 17. April 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist,
und der Rat sowie die Kommission haben mit Schriftsätzen, die am 30. April 1997 eingegangen sind,
diese Fragen beantwortet und bestimmte Unterlagen vorgelegt.
27.
Die Parteien haben in der Sitzung vom 28. Mai 1997 mündlich verhandelt und auf die Fragen des
Gerichts geantwortet.
Anträge der Parteien
28.
Die Klägerin beantragt,
— Artikel 1 der angefochtenen Verordnung für nichtig zu erklären;
— anzuordnen, daß die durch diese Verordnung eingeführten Antidumpingzölle aufrechterhalten
bleiben, bis die zuständigen Organe die strengeren Maßnahmen erlassen haben, die die
Durchführung des beantragten Urteils mit sich bringt;
— dem Rat die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
29.
Der beklagte Rat beantragt,
— die Klage abzuweisen;
— der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
30.
Die Kommission als Streithelferin beantragt,
— die Klage abzuweisen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung
31.
Die Klägerin stützt ihren Antrag auf Nichtigerklärung von Artikel 1 der angefochtenen Verordnung
auf drei Gründe. Erstens rügt sie einen Verstoß gegen die Grundverordnung durch die Wahl der
Slowakei als Referenzland. Zur Stützung ihres zweiten Klagegrundes rügt die Klägerin einen Verstoß
gegen die Grundverordnung, weil der Normalwert und die Ausfuhrpreise in zwei verschiedenen
Phasen, d. h. ab Werk und ab Grenze, verglichen worden seien, und einen Verstoß gegen die
Begründungspflicht, da die angefochtene Verordnung nicht erläutere, weshalb der Vergleich in
verschiedenen Phasen vorgenommen worden sei. Hilfsweise trägt sie vor, der Vergleich beruhe auf
einem offensichtlichen Beurteilungsfehler. Der dritte Klagegrund betrifft die Ermittlung der
Schädigung. Erstens sei dem Rat ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als er eine
Anpassung des Preises für in Rußland hergestellten Harnstoff zum Ausgleich bestimmter angeblicher
Qualitätsunterschiede vorgenommen habe, und zum anderen habe er die Verfahrensrechte der
Klägerin verletzt. Zweitens sei dem Rat ein offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen, als er eine
zu niedrige Gewinnspanne der Erzeuger in der Gemeinschaft ermittelt habe; auch dabei habe er die
Verfahrensrechte der Klägerin verletzt.
32.
Da der Antidumpingzoll im vorliegenden Fall in Höhe der Schadensschwelle festgesetzt worden ist,
ist der dritte Klagegrund, der die Ermittlung der Schädigung betrifft, als erstes zu prüfen.
33.
Die Klägerin macht geltend, dem Rat seien bei der Festlegung der Schädigung zwei Fehler
unterlaufen. Zum einen habe er zu Unrecht wegen Qualitätsunterschieden zwischen russischem
Harnstoff und Harnstoff aus der Gemeinschaft eine Anpassung von 10 % vorgenommen. Zum anderen
habe er fälschlicherweise die Gewinnspanne der Erzeuger in der Gemeinschaft auf 5 % festgesetzt.
Die Anpassung um 10 % wegen des Qualitätsunterschieds zwischen Harnstoff mit Ursprung in Rußland
und in der Gemeinschaft hergestelltem Harnstoff
— Parteivorbringen
34.
Dieser Teil des Klagegrundes teilt sich in zwei Rügen auf. Erstens sei den Gemeinschaftsorganen
bei der Anpassung um 10 % wegen Qualitätsunterschieden im Rahmen des Vergleichs der Preise von
aus Rußland eingeführtem und in der Gemeinschaft hergestelltem Harnstoff ein offensichtlicher
Beurteilungsfehler unterlaufen. Zweitens hätten sie hierdurch auch gegen eine wesentliche
Verfahrensvorschrift verstoßen, da die Klägerin niemals Gelegenheit zur Stellungnahme zu den
Unterlagen erhalten habe, die die Kommission zur Rechtfertigung dieser Anpassung herangezogen
habe.
35.
Erstens macht die Klägerin geltend, es habe kein Qualitätsunterschied zwischen in Rußland und in
der Gemeinschaft hergestelltem Harnstoff bestanden. Daher sei seinerzeit keine außergewöhnliche
Verschlechterung der Qualität des Harnstoffes mit Ursprung in Rußland während des Transports in die
Gemeinschaft vorstellbar gewesen. Sie bietet hierfür zwei Beweismittel an; eine chemische und
physikalische Vergleichsanalyse zwischen russischem Harnstoff und Harnstoff aus der Gemeinschaft in
Tabellenform vom 30. Mai 1994, die sie anhand mehrerer von verschiedenen Laboratorien
untersuchter Proben erstellt habe, sowie zwei Telefaxschreiben der Firma Sinochem UK Ltd an sie, die
der Kommission am 9. August und am 26. September 1994 übermittelt worden seien. Nach Ansicht
der Klägerin beweist die Tabelle, daß zwischen russischem Harnstoff und solchem aus der
Gemeinschaft kein Unterschied bestanden habe; die Telefaxe bestätigten, daß der Preis von nach
China eingeführtem Harnstoff unabhängig davon der gleiche gewesen sei, ob dieser aus Rußland,
dem Mittleren Osten, Indonesien oder der Europäischen Gemeinschaft stamme.
36.
Zur Behauptung des Rates, die Qualität von Harnstoff verschlechtere sich durch Ver- und
Entladung sowie Lagerung, macht die Klägerin geltend, der Rat erkläre weder, ob Harnstoff mit
Ursprung in Rußland häufiger ver- und entladen werde als in der Gemeinschaft hergestellter Harnstoff,
noch, ob bei der Lagerung von Harnstoff mit Ursprung in Rußland andere Vorgänge erfolgten, als sie
für die Lagerung von in der Gemeinschaft hergestelltem Harnstoff erforderlich seien.
37.
Rußland sei das größte Ausfuhrland für Harnstoff nach China, und China sei das größte Einfuhrland
für Harnstoff auf der Welt. Da die Ausfuhr von Harnstoff aus Rußland nach China Transporte über
weite Entfernungen erfordere, die der Entfernung zwischen Rußland und der Europäischen Union
mindestens glichen, sei klar, daß Rußland Harnstoff über weite Entfernungen ausführen könne, ohne
daß dessen Qualität leide.
38.
Die Klägerin bestreitet die Behauptung des Rates, daß die Festsetzung einer Preisanpassung zum
Zweck des Ausgleichs von Qualitätsunterschieden bei den
Erzeugnissen im wesentlichen auf einer Würdigung der entsprechenden Wahrnehmung des
Verbrauchers beruhe. Harnstoff sei ein chemisches Erzeugnis, dessen Zusammensetzung unabhängig
davon stets die gleiche sei, ob es aus Rußland oder aus der Europäischen Gemeinschaft stamme.
Zudem sei die Ermittlung von Qualitätsunterschieden, die auf die Angaben über die Verkäufe gestützt
werde, wegen der hohen Subjektivität der Wahrnehmung des Verbrauchers und der spärlichen
verwendeten Angaben wenig zuverlässig. Im übrigen machten die Landwirte, also die Nutzer des
Harnstoffes, keinen Unterschied zwischen in Rußland und in der Gemeinschaft hergestelltem Harnstoff
— und könnten dies auch nicht —, denn beide hätten die gleichen physikalischen und chemischen
Eigenschaften.
39.
Schließlich wendet sich die Klägerin dagegen, daß die Importeure von Harnstoff aus Rußland nicht
stets die gleiche Liefersicherheit wie die Hersteller in der Gemeinschaft gewährleisten könnten. Die
Herstellungskapazität bei Harnstoff übersteige in Rußland das Gesamtvolumen der Verkäufe so sehr,
daß sich die Frage der Liefersicherheit niemals stellen dürfte. Zur Untermauerung ihres Vorbringens
bezieht sich die Klägerin auf eine Pressemitteilung der Firma Ferchimex, die in dem Mitteilungsblatt
im Juli 1991 veröffentlicht wurde (1/91).
40.
In diesem Zusammenhang macht die Klägerin auch geltend, entgegen dem Vorbringen des Rates
habe es in Rußland keine Gasversorgungsprobleme gegeben. Sie bezieht sich hierfür auf einen
Bericht, den ein britisches Beratungsunternehmen (British Sulphur Consultants) 1992 unter dem Titel
; British Sulphur Report) vorgelegt hat, und auf einen am 6.
September 1993 in der Zeitschrift (Band 7, Nr. 16) veröffentlichten Aufsatz.
41.
Im übrigen wendet sich die Klägerin gegen die Methode, die der Rat angewandt habe, um zu einer
Anpassung um 10 % zu gelangen, und insbesondere dagegen, daß es sich bei der Anpassung in
dieser Höhe „um den Mittelwert aus den Prozentsätzen, die von den Gemeinschaftsherstellern
einerseits und der EFIA andererseits gefordert wurden“ (Randnr. 66 der Begründungserwägungen der
angefochtenen Verordnung), handele.
42.
Die Ausführungen der EFIA zu dieser Anpassung seien nicht maßgeblich, da sie auf keinerlei
Beweismittel beruhten. Im Antidumpingrecht gebe es einen allgemeinen Grundsatz, daß ein
Beteiligter, der eine Anpassung verlange, nachweisen müsse, daß sein Antrag begründet sei. Daher
hätten an die Beweislast der EFIA strengere Anforderungen gestellt werden müssen, denn sie werde
durch die Anpassung begünstigt.
43.
Die Klägerin habe sich diesem Anpassungssatz in ihrem Schriftwechsel auf das
Informationsschreiben hin heftig widersetzt; die beiden Unterlagen, die sie der Kommission vorgelegt
habe (siehe Randnr. 35), seien weder von der Kommission noch von den Importeuren der
Gemeinschaft oder den russischen Exporteuren/Erzeugern beanstandet worden.
44.
Zweitens hätten die Gemeinschaftsorgane die grundlegenden Verfahrensrechte der Klägerin
verletzt.
45.
Sie sei erst nach Eingang des Informationsschreibens in der Lage gewesen, zur Richtigkeit der
Folgerungen der Kommission in bezug auf die Anpassung um 10 % Stellung zu nehmen, d. h. zu einem
Zeitpunkt, zu dem die Kommission diesen Satz bereits festgesetzt habe. Auch sei das Telefax vom 18.
Mai 1994 (Randnr. 12) unerheblich, denn es sei acht Tage nach dem Informationsschreiben versandt
worden. Die Klägerin habe niemals Zugang zu den Unterlagen gehabt, auf die sich die Kommission bei
der Festsetzung dieses Satzes gestützt habe.
46.
Die EFIA sei vor dem Versand der Informationsunterlagen nicht am Verfahren beteiligt gewesen.
Daher habe die EFIA erst zu einem Zeitpunkt, zu dem die Kommission die Anpassung um 10 % bereits
vorgeschlagen habe, bei dieser einen Antrag (vom 31. Mai 1994) auf Festsetzung eines noch höheren
Anpassungssatzes zum Ausgleich der Qualitätsunterschiede eingereicht. Daher habe die Kommission
aus den Angaben der Importeure keine Schlußfolgerungen zu dem Satz von 10 % ziehen können.
47.
Jedenfalls wäre die Klägerin, wenn die EFIA der Kommission Beweismittel vorgelegt hätte, berechtigt
gewesen, von diesem Kenntnis zu erlangen. Unter Berufung auf die Urteile des Gerichtshofes vom 27.
Juni 1991 in der Rechtssache C-49/88 (Al-Jubail Fertilizer/Rat, Slg. 1991, I-3187) und vom 7. Mai 1991 in
der Rechtssache C-69/89 (Nakajima/Rat, Slg. 1991, I-2069) fügt sie in diesem Zusammenhang hinzu,
daß die Informationspflicht der Organe im vorliegenden Fall nicht beschränkt werden dürfe, da die
Angaben der Importeure für die Verteidigung der Interessen der Klägerin erheblich seien und da die
Kommission niemals gemäß Artikel 8 der Grundverordnung erklärt habe, daß diese Angaben
vertraulich seien, und auch keine sachdienliche nichtvertrauliche Zusammenfassung gegeben habe
(Artikel 7 Absatz 4 Buchstabe a der Grundverordnung).
48.
Der Rat macht erstens geltend, er habe niemals behauptet, daß sich die chemische
Zusammensetzung von Harnstoff mit Ursprung in Rußland und von in der Gemeinschaft hergestelltem
Harnstoff unterscheide, sondern nur, daß der Qualitätsunterschied auf andere Faktoren
zurückzuführen sei. Im Laufe der Untersuchung hätten Besichtigungen in den Räumlichkeiten von
Gemeinschaftsimporteuren in Rußland hergestellten Harnstoffes den Beamten der Kommission die
Feststellung ermöglicht, daß die Qualität des Harnstoffes den Importeuren bei dessen Eintreffen in
der Gemeinschaft erhebliche Probleme gemacht habe. Mitunter habe die Qualität des Erzeugnisses
unter dem langen
Transport und unter Eingriffen derart gelitten, daß die Importeure ihn nicht mehr an Landwirte hätten
verkaufen können.
49.
Eine Anpassung des Preises wegen Qualitätsunterschieden sei zumindest im vorliegenden Fall im
Kern eine Frage der Wahrnehmung des Verbrauchers. Glaubten nämlich die Verbraucher (zu Recht
oder zu Unrecht), daß Harnstoff russischen Ursprungs von geringerer Qualität als in der Gemeinschaft
hergestellter Harnstoff sei, und seien sie daher nicht bereit, einen höheren Preis zu bieten, dann sei
die Frage, ob tatsächlich ein Qualitätsunterschied bestehe, völlig unerheblich.
50.
Im vorliegenden Fall sei kaum von Belang, ob der wirkliche Grund für die Preisunterschiede in einem
objektiven Qualitätsunterschied oder in einer subjektiven Wahrnehmung des Verbrauchers bestehe.
Die Preisanpassung solle die Berechnung des Richtpreises ermöglichen; der zwischen Harnstoff mit
Ursprung in Rußland und in der Gemeinschaft hergestelltem Harnstoff bestehende
Qualitätsunterschied bedeute, daß die Hersteller in der Gemeinschaft für ihr Erzeugnis einen Preis
erzielen könnten, der um mindestens 10 % höher als der Richtpreis sei. Dieses Preisniveau
entspreche den Erzeugungskosten der Erzeuger in der Gemeinschaft zuzüglich einer angemessenen
Gewinnspanne, die der Rat auf 5 % festgesetzt habe; dies sei das Preisniveau, das es ermögliche, die
durch die gedumpten russischen Einfuhren entstandene Schädigung zu beseitigen. Hätten die
Organe der Gemeinschaft die Anpassung um 10 % zur Berücksichtigung von Qualitätsunterschieden
nicht vorgenommen, so hätten sie den Richtpreis (und damit den Zoll) höher festgesetzt, als dies
erforderlich gewesen wäre, um die durch die gedumpten Einfuhren entstandene Schädigung zu
beseitigen, was gegen Artikel 13 Absatz 3 der Grundverordnung verstoßen hätte.
51.
Im übrigen verwirft der Rat die chemische und physikalische Vergleichsanalyse zwischen in Rußland
hergestelltem Harnstoff und in der Gemeinschaft erzeugtem Harnstoff in Tabellenform, die die Klägerin
vorgelegt hat, um nachzuweisen, daß zwischen beiden keine Unterschiede in der chemischen
Zusammensetzung bestünden. Er führt aus, daß diese Analysen das Vorbringen der Klägerin nicht
erhärteten. Es sei nämlich nicht klar, wie die Proben ausgewählt worden seien, und daher seien
Zweifel an ihrer Repräsentativität erlaubt. Im übrigen seien die an Ort und Stelle untersuchten Proben
von russischem Harnstoff nicht zahlreichen Eingriffen und Verladevorgängen — die die Organe zu dem
Ergebnis veranlaßt hätten, daß eine Anpassung vorgenommen werden müsse — unterzogen worden.
52.
Zu den anderen Unterlagen, die die Klägerin vorgelegt hat, den von der Firma Sinochem an die
Klägerin versandten Telefaxschreiben, die beweisen sollten, daß Harnstoff mit Ursprung in Rußland
und Harnstoff mit Ursprung in der Gemeinschaft in der Volksrepublik China zum selben Preis verkauft
werde, bemerkt der Rat, daß im ersten Telefax erklärt werde, in den letzten Jahren sei nach China nur
eine sehr geringe Menge Harnstoff geliefert worden.
53.
In Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts hat der Rat in seinem Schriftsatz vom 30.
April 1997 im übrigen erläutert, daß die Qualität von Harnstoff russischen Ursprungs unter einer
unangemessenen Behandlung während des Transports, der Länge und der Art und Weise des
Transports, dem Umstand, daß russischer Harnstoff im Gegensatz zu Harnstoff mit Ursprung in der
Gemeinschaft offen anstatt in Säcken transportiert werde, und schließlich dem Umstand leide, daß in
Rußland hergestellter Harnstoff nicht mit einem das Verklumpen verhindernden Mittel überzogen
werde, was bei in der Gemeinschaft hergestelltem Harnstoff allgemein der Fall sei.
54.
Der Rat bestreitet die Behauptung der Klägerin, daß Harnstoff mit Ursprung in der Gemeinschaft in
gleicher Weise transportiert werde wie Harnstoff mit Ursprung in Rußland. In der Gemeinschaft
hergestellter Harnstoff verlasse das Werk meist auf Lastkraftwagen und werde nur wenigen Eingriffen
unterzogen, bis er den Endverbraucher erreiche, während in Rußland hergestellter Harnstoff zwischen
dem Werk und dem Endverbraucher in der Gemeinschaft zahlreichen Be- und Entladevorgängen
unterzogen werde; daher sei es unvermeidlich, daß die Qualität russischen Harnstoffs während des
Transports leide.
55.
Zweitens führt der Rat zur Liefersicherheit aus, daß die Importeure selbst die Kommission von
Lieferschwierigkeiten unterrichtet hätten und daß diese Angaben einem Aufsatz in der Zeitschrift
vom 6. September 1993 (Band 7, Nr. 16) entsprächen. Diese Angaben bewiesen, daß
auch Qualitätsunterschiede bestünden, die sich auf die Preise auswirkten.
56.
Die Pressemitteilung der Firma Ferchimex, auf die sich die Klägerin zur Untermauerung ihrer Ansicht
zur Liefersicherheit beziehe (Randnr. 39) habe keinen Beweiswert. Es handele sich dabei nur um eine
Firmenwerbung; daß das Unternehmen die Liefersicherheit hervorhebe, zeige, daß die Lieferung von
Harnstoff aus Rußland im allgemeinen Probleme verursache. Der Rat habe nicht erklärt, daß die
Importeure von russischem Harnstoff niemals die gleiche Liefersicherheit gewährleisten könnten,
sondern nur, daß sie diese Liefersicherheit nicht stets gewährleisten könnten. Schließlich führe das
Ergebnis, zu dem der Aufsatz in der Zeitschrift gelange, daß es in Rußland keine
Probleme bei der Gasversorgung gegeben habe, in die Irre, und die Folgerung, die in der gleichen
Hinsicht aus dem British Sulphur Report gezogen werde, sei eine Manipulation, mit der das Gericht
getäuscht werden solle.
57.
Drittens weist der Rat in bezug auf die Methode, mit der die Anpassung um 10 % ermittelt worden
sei, zunächst das Argument der Klägerin zurück, es gebe in der Antidumpinggesetzgebung einen
allgemeinen Grundsatz, daß ein Beteiligter, der eine Anpassung verlange, die Berechtigung seines
Antrags nachweisen müsse. Gehe man davon aus, daß sich die Klägerin für diese Ansicht auf Artikel 2
Absatz 9 Buchstabe b der Grundverordnung stütze, so betreffe diese Bestimmung nur den Vergleich
zwischen dem Normalwert und dem Ausfuhrpreis für die Zwecke der Berechnung der Dumpingspanne
und hindere daher die Gemeinschaftsorgane nicht
daran, eine Anpassung vorzunehmen, wenn sie der Ansicht seien, daß diese anhand der Angaben, die
sie im Laufe der Untersuchung eingeholt hätten, gerechtfertigt sei.
58.
Dies ergebe sich auch aus der Natur der Antidumpinguntersuchung, die nur ein
Verwaltungsverfahren darstelle, in dem die Gemeinschaftsorgane zu ermitteln suchten, ob in einem
bestimmten Fall Antidumpingmaßnahmen angewandt werden müßten. Daher seien die Bestimmungen,
die einem der Beteiligten die Beweislast auferlegten (wie Artikel 2 Absatz 9 Buchstabe b der
Grundverordnung), nur für die Beziehungen zwischen den Gemeinschaftsorganen und diesem
Beteiligten erheblich.
59.
Daher sei unbeachtlich, welchem Beteiligten die Beweislast obliege.
60.
Auch sei eine Anpassung, die berücksichtigen solle, wie der Verbraucher Qualitätsunterschiede
wahrnehme, nur sehr schwer zu beziffern; die Gemeinschaftsorgane müßten daher über ein
verhältnismäßig weites Ermessen verfügen, wenn sie die Höhe dieser Anpassung festsetzten. Die
besten Angaben, auf die eine solche Anpassung gestützt werden könne, seien nicht die
wissenschaftlichen Angaben über den Umfang der Qualitätsunterschiede, sondern die Angaben über
den Absatz.
61.
Der Rat geht sodann auf das Argument der Klägerin ein, daß die Gemeinschaftsorgane bei der
Untersuchung ihre Verfahrensrechte verletzt hätten. Vorab weist er darauf hin, daß die Pflicht der
Gemeinschaftsorgane in Antidumpingverfahren, den betroffenen Unternehmen Informationen zu
übermitteln, u. a. dann beschränkt sei, wenn die Informationen als vertraulich betrachtet werden
müßten (vgl. Urteil Al-Jubail Fertilizer/Rat, a. a. O.).
62.
Die Kommission habe der Klägerin im Informationsschreiben vom 10. Mai 1994 mitgeteilt, sie
beabsichtige eine Anpassung um 10 % vorzunehmen, und die Gründe angegeben, aus denen sie
diese Anpassung als angemessen erachtet habe. Zudem habe die Kommission in einem Telefax vom
18. Mai 1994 ergänzende Angaben gemacht und die Frage mit der Klägerin in der Sitzung am 18. Juli
1994 erörtert. In dieser Sitzung sei das Vorgehen der Kommission erläutert und die Klägerin davon
unterrichtet worden, daß die Kommission einen Importeur ermittelt habe, der bei einem Geschäft
einen Nachlaß von 19 % wegen Qualitätsunterschieden verlangt und erhalten habe. Die Kommission
habe der Klägerin das entsprechende Beweismittel nicht zugänglich machen können, denn diese
Information sei ganz offensichtlich vertraulich (siehe Artikel 8 der Grundverordnung).
63.
Schließlich führe die Behauptung der Klägerin, die EFIA sei an dem Verfahren erst nach dem
Eingang des Informationsschreibens beteiligt worden, in die Irre. Daher sei das Ergebnis, zu dem die
Klägerin aufgrund dieser Behauptung gelange, nämlich daß sich die Kommission für die Ansicht, ein
Preisunterschied von 10 % sei gerechtfertigt, nicht auf die Angaben der Importeure gestützt habe,
irrig.
— Würdigung durch das Gericht
64.
Die Frage, ob eine Anpassung wegen eines Qualitätsunterschieds vorzunehmen ist, setzt die
Beurteilung komplexer wirtschaftlicher Sachverhalte voraus. Daher beschränkt sich die dem Gericht
obliegende Kontrolle auf die Prüfung, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten wurden, ob der
Sachverhalt zutreffend festgestellt wurde und ob eine offensichtlich fehlerhafte Beurteilung oder ein
Ermessensmißbrauch vorliegt (vgl. u. a. Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache C-
174/87, Ricoh/Rat, Slg. 1992, I-1335, Randnr. 68).
65.
In Randnummer 64 der Begründungserwägungen der angefochtenen Verordnung heißt es:
„[Z]wischen dem in der Gemeinschaft hergestellten Harnstoff und dem Harnstoff aus der ehemaligen
UdSSR aufgrund der geringeren Qualität und der schlechteren Verarbeitung der Importware [gab es]
gewisse Preisunterschiede ... Die transportbedingten Qualitätseinbußen sowie die Tatsache, daß die
Einführer nicht immer die gleiche Liefersicherheit bieten können wie die Gemeinschaftshersteller,
führen zwangsläufig zu niedrigeren Preisen für die Importware. Diese Unterschiede lassen sich zwar
nur schwer in Geld messen, doch wurde der Schluß gezogen, daß diese Unterschiede effektiv
bestehen und eine Wertanpassung in Höhe von 10 % angemessen war.“
66.
Aus dieser Begründungserwägung geht hervor, daß der Rat die Anpassung zum Ausgleich der
Qualitätsunterschiede zwischen Harnstoff mit Ursprung in der Gemeinschaft und Harnstoff mit
Ursprung in Rußland nicht mit dem Zustand des letztgenannten beim Verlassen des Werks in Rußland
begründet hat. Der Qualitätsunterschied wird nämlich darauf zurückgeführt, daß die Qualität des aus
Rußland ausgeführten Harnstoffs während des Transports leidet und daß nicht immer Liefersicherheit
besteht. Dies betrifft nicht den ursprünglichen Zustand des Harnstoffes mit Ursprung in Rußland.
Daher sind die Argumente der Klägerin, soweit sie die physikalische und chemische
Zusammensetzung des Harnstoffes beim Verlassen des Werks in Rußland betreffen, nicht stichhaltig.
67.
Im übrigen ist den Erläuterungen des Rates in diesem Zusammenhang zu folgen.
68.
Die Frage einer Anpassung des Preises wegen Qualitätsunterschieden ist nämlich im wesentlichen
eine Frage der Wahrnehmung des Verbrauchers, denn für die Festsetzung einer Anpassung im
Rahmen der Ermittlung der Schädigung in einer Antidumpinguntersuchung sind der Preis, den der
Verbraucher für die gedumpten Erzeugnisse im Vergleich zu den in der Gemeinschaft hergestellten zu
zahlen bereit ist, und nicht die objektiven Unterschiede zwischen diesen Erzeugnissen maßgeblich.
69.
Zudem hat die Klägerin das Vorbringen nicht widerlegt, daß Harnstoff mit Ursprung in Rußland
während seines Transports unangemessen behandelt werde
und mehr Eingriffe erfordere als in der Gemeinschaft hergestellter Harnstoff, daß er im Gegensatz zum
Harnstoff in der Gemeinschaft offen anstatt in Säcken transportiert werde und daß er nicht mit einem
Mittel gegen das Verklumpen überzogen sei.
70.
Zur Liefersicherheit geht aus den Akten hervor, daß die Kommission bei der Untersuchung von den
Importeuren selbst davon unterrichtet worden ist, daß diese nicht stets in der Lage seien, die gleiche
Liefersicherheit wie die Erzeuger in der Gemeinschaft zu gewährleisten, und daß diese Angaben einem
Aufsatz in der Zeitschrift vom 6. September 1993 (Band 7, Nr. 16) entsprächen.
71.
Daher kann dem Vorbringen der Klägerin nicht gefolgt werden, die Organe hätten bei der
Berücksichtigung des Umstands, daß die Qualität von Harnstoff mit Ursprung in Rußland beim
Transport leide und daß die Importeure von Harnstoff mit Ursprung in Rußland nicht immer in der Lage
seien, die gleiche Liefersicherheit wie die Erzeuger in der Gemeinschaft zu gewährleisten, einen
offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen.
72.
Zu der Methode, die angewandt wurde, um zu einer Anpassung um 10 % zu gelangen, führt die
Klägerin aus, daß die Beweislast für das Bestehen eines Qualitätsunterschieds den Importeuren
obliege.
73.
Dem kann nicht gefolgt werden.
74.
Es ist nämlich Sache der Kommission als ermittelnder Behörde, festzustellen, ob das gedumpte
Erzeugnis eine Schädigung verursacht, wenn es in der Gemeinschaft zum freien Verkehr abgefertigt
wird. In diesem Zusammenhang muß die Kommission prüfen, ob eine bedeutsame Unterbietung des
Preises einer gleichartigen Ware in der Gemeinschaft vorliegt (Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der
Grundverordnung), und dabei die jeweils verfügbaren Angaben benutzen, ohne einem der Beteiligten
die Beweislast aufzuerlegen (vgl. Artikel 7 Absatz 7 Buchstabe b der Grundverordnung).
75.
Im übrigen hat die Klägerin namentlich Unterlagen zur Stützung der Behauptung beigebracht, daß
die physikalische und chemische Zusammensetzung von russischem und von in der Gemeinschaft
hergestelltem Harnstoff die gleiche sei. Da diese Unterlagen für die Festlegung eines bestimmten
Satzes der Anpassung völlig nebensächlich sind, ist festzustellen, daß die Klägerin tatsächlich nichts
vorgetragen hat, was die Ermittlung eines bestimmten Anpassungssatzes ermöglichte.
76.
Zur Berechnung der Anpassung wird in der angefochtenen Verordnung ausgeführt:
„(65) Die EFMA räumte zwar ein, daß die Gemeinschaftshersteller einen höheren Preis verlangten,
hielt die Anpassung jedoch für überhöht. Außerdem
behauptete sie, die Schlußfolgerungen würden der erforderlichen Grundlage entbehren, da keine
konkreten Beweise vorlagen.
Auch die EFIA erhob Einwände gegen den Umfang der Anpassung, den siejedoch wegen der
deutlich schlechteren Qualität der russischen Ware bei ihrem Eintreffen beim Endabnehmer in der
Gemeinschaft für zu gering hielt. Sie machte geltend, daß diese geringere Qualität durch niedrigere
Preise kompensiert werden müsse.
(66) Aufgrund der nicht überzeugenden und widersprüchlichen Informationen, die bei der
Kommission eingingen, wurde der Schluß gezogen, daß unter Zugrundelegung der verfügbaren
Informationen eine Anpassung in Höhe von 10 % vernünftig und angemessen war. Dabei handelte es
sich zudem um den Mittelwert aus den Prozentsätzen, die von den Gemeinschaftsherstellern einerseits
und der EFIA andererseits gefordert wurden.
(67) Nach Berücksichtigung dieser Unterschiede wurde bei Harnstoff mit Ursprung in Rußland eine
Preisunterbietung von rund 10 % im Vergleich zu den Preisen der Gemeinschaftshersteller
festgestellt.“
77.
Der Rat hat zur Begründung seiner Auffassung, eine Anpassung von 10 % sei sachdienlich und
angemessen, insbesondere in seinem Schriftsatz vom 30. April 1997 in Beantwortung einer
schriftlichen Frage des Gerichts die maßgeblichen Umstände des Vorgangs wie folgt zusammengefaßt:
— Die Importeure in der Gemeinschaft hätten eingeräumt, daß eine Anpassung in Höhe von 5 %
wegen des Qualitätsunterschieds zwischen Harnstoff mit Ursprung in Rußland und in der Gemeinschaft
hergestelltem Harnstoff annehmbar sei;
— die Importeure in der Gemeinschaft hätten im Zusammenhang damit eine Anpassung um 15 %
verlangt;
— ein Importeur habe Angaben über eine Minderung des Kaufpreises für eine Ladung um 19 %
wegen der schlechten Qualität dieser Ladung gemacht;
— ein australischer Erzeuger, der bei der Untersuchung mitgearbeitet habe, habe bei der
Besichtigung durch die verantwortlichen Bediensteten der Kommission in seinen Räumlichkeiten
erklärt, daß ein Preisunterschied von 10 bis 15 % zwischen seinem granulierten Harnstoff und dem
Harnstoff aus der ehemaligen Sowjetunion völlig gerechtfertigt sei.
78.
In der mündlichen Verhandlung hat der Rat bestätigt, daß er über keine weiteren Anhaltspunkte für
die Bewertung der Höhe der Anpassung verfüge. Er hat ferner
auf die Schwierigkeit hingewiesen, wegen des hypothetischen Charakters des Vorgangs zu einem
Ergebnis zu gelangen, das in Geld ausgedrückt ist.
79.
Die Frage der angemessenen Höhe der Anpassung beruht im wesentlichen auf einer Beurteilung
der Wahrnehmung des Verbrauchers. Denn wenn die Importeure Harnstoff russischen Ursprungs nur
dann kaufen, wenn dieser um 10 % billiger als der in der Gemeinschaft hergestellte Harnstoff ist, läuft
die Industrie in der Gemeinschaft unabhängig von der Ähnlichkeit oder dem Unterschied zwischen den
beiden Erzeugnissen nur dann Gefahr, Marktanteile zu verlieren oder ihre Preise senken zu müssen,
wenn der Preis des russischen Erzeugnisses so weit fällt, daß der Preisunterschied 10 % übersteigt.
80.
Im übrigen beruht die Bewertung dieses Unterschieds zwischen Harnstoff russischen Ursprungs und
Harnstoff mit Gemeinschaftsursprung in Geld, wie der Rat geltend macht, auf völlig ungewissen
Grundlagen, da russischer Harnstoff bei der Ausfuhr in die Gemeinschaft einem Dumping unterliegt.
Dieses bedeutet auch, daß es nicht möglich war, andere Nachweise als die Einschätzungen der
Erzeuger und der Importeure in der Gemeinschaft zu erbringen, über die die Organe verfügten.
81.
Somit haben sich die Organe auf eine Würdigung sämtlicher Informationen gestützt, die im Laufe
der Untersuchungen gesammelt wurden.
82.
Nach allem haben die Organe ihr entsprechendes Ermessen nicht überschritten.
83.
Schließlich ist das Vorbringen der Klägerin zu erörtern, ihre Verfahrensrechte seien verletzt worden,
da sie keinen Zugang zu Informationen über die Methode gehabt habe, auf deren Grundlage die
Kommission zu der Anpassung um 10 % gelangte.
84.
Nach der Rechtsprechung sind die Verfahrensrechte gewahrt, wenn dem betroffenen Unternehmen
im Laufe des Verwaltungsverfahrens Gelegenheit gegeben wird, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit
der behaupteten Tatsachen und Umstände Stellung zu nehmen (Urteile Al-Jubail Fertilizer/Rat, a. a. O.,
Randnrn. 15 und 17, sowie Nakajima/Rat, a. a. O., Randnr. 108).
85.
Im vorliegenden Fall ersuchte die Klägerin mit Schreiben vom 17. Mai 1994 in Beantwortung des
Informationsschreibens um zusätzliche Angaben in bezug auf die Anpassung um 10 %. Die Kommission
antwortete in ihrem Schreiben vom 18. Mai 1994: „The 10 % adjustment [...] is an average estimation
of information obtained from different importers-traders-distributors involved in the trade of Russian
as well as Community-produced urea“ (Die Anpassung um 10 % ... entspricht einer durchschnittlichen
Schätzung der von den verschiedenen Importeuren, Händlern und Vertriebsunternehmen, die sich im
Handel mit Harnstoff mit Ursprung sowohl aus Rußland als auch aus der Gemeinschaft betätigen,
erhaltenen Angaben).
86.
Zudem teilte die Kommission der Klägerin in der Sitzung vom 18. Juli 1994 (Randnr. 15) mit, sie habe
von einem Importeur erfahren, daß bei einem Geschäft ein Nachlaß von 19 % wegen
Qualitätsunterschieden verlangt und gewährt worden sei.
87.
Damit hat die Klägerin im Antidumpingverfahren von den wesentlichen Tatsachen und Erwägungen
Kenntnis erlangt, auf die sich die Organe gestützt haben. Der einzige zusätzliche Umstand, den der
Rat im schriftlichen Verfahren vor dem Gericht mitgeteilt hat, ist die in Randnummer 77 erwähnte
Angabe des australischen Erzeugers. Da diese Information jedoch nur eine Bestätigung ist und nicht
zu der in die angefochtene Verordnung aufgenommenen Begründung gehört, konnte das
Unterbleiben ihrer Mitteilung die Verfahrensrechte der Klägerin nicht verletzen.
88.
Damit und angesichts dessen, daß die Kommission gezwungen war, die Höhe der Anpassung
anhand aller in der Untersuchung gesammelter Informationen zu bewerten, kann die Klägerin auch
nicht geltend machen, daß sie die Informationen, die sie in bezug auf diese Anpassung erhielt, zu spät
erhalten habe.
89.
Somit wurden die Verfahrensrechte der Klägerin nicht verletzt.
90.
Nach allem ist die erste Rüge des Klagegrundes zurückzuweisen.
Die Gewinnspanne von 5 % bei der Bewertung der Gewinneinbußen
— Parteivorbringen
91.
Die Klägerin trägt in bezug auf die Gewinnspanne der Erzeuger in der Gemeinschaft im wesentlichen
zwei Argumente vor. Erstens vertritt sie die Ansicht, daß die Zugrundelegung einer Gewinnspanne von
5 % vor Steuern bei der Bewertung der Gewinneinbußen zu niedrig sei. Zweitens macht sie geltend,
die Gemeinschaftsorgane hätten eine wesentliche Verfahrensvorschrift verletzt, indem sie niemals
angegeben hätten, mit welcher Methode sie zu diesem Prozentsatz gelangt seien.
92.
Erstens beanstandet die Klägerin den Satz von 5 % bei der von den Gemeinschaftsorganen
errechneten Gewinnspanne; dieser Prozentsatz reiche weder für die Ansammlung des Kapitals, das für
das Funktionieren der Düngemittelindustrie notwendig sei, noch dafür aus, die für die Unterhaltung
der Anlagen und der Ausrüstung sowie deren Anpassung an die neuen Umweltnormen erforderlichen
neuen Investitionen zu gewährleisten. Im Laufe der Untersuchung und in ihrem gesamten
Schriftwechsel mit der Kommission habe sie stets geltend gemacht, daß ein Satz von 10 %
angemessener sei. Sie stützt sich zum Beleg dafür, daß der Satz von 5 % unzureichend sei, auf eine
Untersuchung der Firma Grande Paroisse (eines ihrer Mitglieder) vom 3. Mai 1995.
93.
Mit der Erwiderung hat die Klägerin eine Untersuchung der Z/Yen Ltd vom November 1995 mit dem
Titel „Profitability Requirement Review — European Urea Fertilizer Industry“ (Untersuchung der
Rentabilitätsanforderungen — Europäische Harnstoffdüngemittelindustrie; im folgenden: Z/Yen-
Untersuchung) vorgelegt, die eine Analyse der Düngemittelindustrie in Europa enthält, auf die sie sich
für ihre Ansicht beruft, die Gewinnspanne sei zu niedrig.
94.
Die Klägerin hat ferner mit der Erwiderung die Ergebnisse einer Erhebung über die Rentabilität
vorgelegt, die sie bei europäischen Erzeugern vorgenommen hatte, um die Zuverlässigkeit der von der
Kommission verbreiteten Angaben zu prüfen. Sie hat erklärt, sie habe individuell und streng vertraulich
eine Kopie der Antwort auf den Fragebogen der Gemeinschaft in bezug auf die Rentabilität verlangt.
Die Ergebnisse dieser Erhebung seien kaum mit dem Vorbringen des Rates zur Gewinnspanne der
Erzeuger in der Gemeinschaft vereinbar.
95.
Zweitens macht die Klägerin geltend, wenn eine Berechnungsmethode existierte, so hätten die
Gemeinschaftsorgane sie niemals bekanntgemacht oder erläutert. Daher habe sie weder zur Höhe
der Gewinnspannen allgemein noch zu der Begründung ihres Ansatzes Stellung nehmen können, so
daß ihre Verfahrensrechte verletzt seien (vgl. Urteil Al-Jubail Fertilizer/Rat, a. a. O., Randnr. 17).
96.
Der Rat macht zunächst geltend, bei der Ermittlung der Gewinnspanne hätten die
Gemeinschaftsorgane die Gesichtspunkte verwendet, die sie regelmäßig verwendeten; in der
vorliegenden Rechtssache seien die Erläuterungen der berücksichtigten Einzelheiten eindeutig in
Randnummer 73 der Begründungserwägungen der angefochtenen Verordnung aufgeführt.
97.
Bei der Ermittlung der Gewinnspanne müsse die Kommission mehrere Faktoren im Zusammenhang
mit der allgemeinen finanziellen Situation des Sektors, wie einen ordnungsgemäßen redlichen
Wettbewerb auf dem Markt, die Effizienz der verschiedenen Unternehmen, die relativen Vorteile im
Vergleich zueinander und die Entwicklung der Nachfrage berücksichtigen. Ihre Berücksichtigung sei
für die Ermittlung des Gewinns notwendig, der voraussichtlich erzielt werden könnte, wenn es keine
gedumpten Einfuhren gäbe. Dies habe die Kommission im vorliegenden Fall getan.
98.
In bezug auf die Ergebnisse des Fragebogens zur Rentabilität, der an die Erzeuger der
Gemeinschaft versandt worden sei, führt der Rat aus, daß eine ziemlich große Anzahl von Erzeugern in
der Gemeinschaft (die ungefähr 40 % sämtlicher Verkäufe der Erzeuger der Gemeinschaft
repräsentierten) bei der Beantwortung des Fragebogens der Kommission bzw. bei den Besichtigungen
von Bediensteten der Kommission in ihrer Niederlassung angegeben habe, daß die Rentabilität unter
10 % liege. Aus Gründen der Vertraulichkeit könne der Rat weder die Namen dieser Unternehmen
bekanntgeben noch die entsprechenden Beweismittel vorlegen.
99.
Zur Erhebung der Klägerin in bezug auf die Antworten der Erzeuger in der Gemeinschaft legt der
Rat eine Tabelle vor, die anhand sämtlicher von der Kommission in der Untersuchung gesammelter
Informationen erstellt wurde; sie kommt zu anderen Ergebnissen als die Erhebung der Klägerin. Er
führt aus, daß dies insbesondere darauf zurückzuführen sei, daß die Ergebnisse der Erhebung der
Klägerin nicht die Informationen berücksichtigten, die während der Besichtigungen im Rahmen des
Verwaltungsverfahrens gewonnen worden seien.
100.
Ferner habe die Klägerin während der Untersuchung keinen Beweis dafür angetreten, daß die
Erzeuger in der Gemeinschaft einen Gewinn von 10 % vor Steuern erzielen müßten, um
wettbewerbsfähig zu bleiben. Das Vorbringen der Klägerin enthalte nur vage Hinweise auf
Investitionen, die notwendig gewesen seien, um sich den neuen Umweltnormen anzupassen.
101.
Es obliege der Klägerin, während der Untersuchung die notwendigen Angaben zu machen, um ihren
Antrag auf Zugrundelegung einer Gewinnspanne von 10 % zu untermauern.
102.
Die Klägerin könne sich aus zwei Gründen nicht auf die Z/Yen-Untersuchung stützen. Erstens stelle
die Z/Yen-Untersuchung neues Vorbringen im Sinne von Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung des
Gerichts dar. Die Z/Yen-Untersuchung stehe nämlich nicht im Zusammenhang mit einem in der
Klageschrift vorgetragenen Argument oder einem bestimmten Argument, auf das sich der Rat in
seiner Klagebeantwortung oder in der angefochtenen Verordnung gestützt habe. Daher könne die
Z/Yen-Untersuchung nicht als bloße Ergänzung der Ausführungen und der Anträge in der Klageschrift
betrachtet werden.
103.
Zweitens könne sich die Klägerin auf diese Untersuchungen nicht stützen, da sie sie im
Verwaltungsverfahren hätte vorlegen können bzw. müssen. Die Kommission habe in ihrem
Informationsschreiben an die Klägerin diese von ihrer Absicht unterrichtet, bei der Berechnung des
Antidumpingzolls und der Gewinneinbußen eine Gewinnspanne von 5 % zugrunde zu legen. Die
Klägerin habe die Kommission in ihrem Schreiben vom 17. Mai 1994 um Erläuterungen zu bestimmten
Fragen ersucht, jedoch nicht zur Ermittlung der Gewinnspanne, so daß die Erläuterungen der
Kommission hätten klar sein müssen.
104.
Falls das Gericht der Ansicht sei, daß sich die Klägerin auf die Z/Yen-Untersuchung stützen könne,
habe diese zudem nicht den geringsten Beweiswert. Insbesondere befasse sich diese Untersuchung
nicht mit der Frage der Gewinnspanne, die für die Industrie in der Gemeinschaft erforderlich sei, um
die durch die gedumpten Einfuhren entstandene Schädigung zu beseitigen.
— Würdigung durch das Gericht
A
105.
Aus der angefochtenen Verordnung geht hervor, daß die Kommission bei der Ermittlung der
Gewinnspanne von 5 % den Rückgang der Nachfrage nach
Harnstoff, die erforderliche Finanzierung von Neuinvestitionen sowie die Gewinnspanne berücksichtigt
hat, die in der Ausgangsuntersuchung für diese Ware als angemessen angesehen wurde (Randnr. 73
der Begründungserwägungen).
106.
Die Klägerin hat keine geeigneten Beweismittel dafür vorgelegt, daß der Kommission dabei ein
offensichtlicher Beurteilungsfehler unterlaufen wäre.
107.
Aus den Akten und der Antwort der Klägerin auf eine schriftliche Frage des Gerichts (Schreiben vom
17. April 1997) geht nämlich hervor, daß die Klägerin in diesem Verfahren nur behauptet, nicht aber
den Beweis dafür angetreten hat, daß eine Gewinnspanne von 5 % vor Steuern offensichtlich nicht
ausreiche, um das für den Betrieb der Düngemittelindustrie erforderliche Kapital anzusammeln und die
für die Unterhaltung der Anlagen und der Ausrüstung sowie ihre Anpassung an die neuen
Umweltnormen erforderlichen neuen Investitionen zu gewährleisten.
108.
Zur Z/Yen-Untersuchung stellt das Gericht fest, daß diese nach dem Erlaß der angefochtenen
Verordnung vorgelegt wurde. Das Gericht hat zu prüfen, ob sich die Organe auf richtige Tatsachen
gestützt und diese bei dem Sachstand im Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen Maßnahme nicht
offensichtlich falsch beurteilt haben. Im vorliegenden Fall ist dargetan, daß die Klägerin im
Verwaltungsverfahren keinen Beweis für ihre Behauptung erbracht hat, daß eine höhere
Gewinnspanne erforderlich sei. Die Organe konnten diesen Gesichtspunkt daher in dem Zeitpunkt, als
sie die angefochtene Verordnung erließen, nicht berücksichtigen. Aus diesem Grund hat die Z/Yen-
Untersuchung für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens außer acht zu bleiben.
109.
Dies gilt auch für die Untersuchung der Firma Grande Paroisse vom 3. Mai 1995, die die Klägerin mit
ihrer Klageschrift vorgelegt hat.
110.
Die Klägerin kann sich auch nicht auf die Ergebnisse ihrer Erhebung zur Rentabilität stützen, die sie
bei den Erzeugern in der Gemeinschaft vorgenommen hat. Denn nichts spricht dagegen, daß die
unterschiedlichen Ergebnisse mit dem Rat dadurch zu erklären sind, daß die Erhebung der Klägerin
nicht die Informationen berücksichtigte, die bei den Besichtigungen im Rahmen der Untersuchung
gewonnen wurden. Hinzu kommt, daß die Klägerin selbst in ihrem Schreiben vom 17. April 1997
ausgeführt hat, die Erzeuger der Gemeinschaft hätten der Kommission eine Reihe unterschiedlicher
Methoden zur Rentabilitätsberechnung unterbreitet, die nicht die gleiche Bedeutung hätten und die
von der Kommission bei den Besichtigungen an Ort und Stelle in den Räumen der Erzeuger der
Gemeinschaft hätten aufgeklärt werden können.
111.
Die Klägerin bringt noch vor, daß ihre Verfahrensrechte verletzt seien. Sie hatte jedoch
Gelegenheit, ihren Standpunkt zum Satz von 5 % bekanntzugeben und darzutun, weshalb ein Gewinn
von 10 % vor Steuern erforderlich sei. Sie hat jedoch nur allgemein behauptet, ein Gewinn von 10 %
sei angemessener, ohne im übrigen
Erläuterungen zu einer Methode für die Berechnung der Gewinnspanne zu verlangen.
112.
Im Informationsschreiben vom 10. Mai 1994 hieß es nämlich: „The majority of Community producers
claimed that a minimum pre-tax profit of 15 % was required for them to remain competitive. However,
this was not substantiated and, being an established product, this figure is considered to be high“
(Die meisten Erzeuger in der Gemeinschaft machten geltend, daß sie einen Gewinn von 15 % vor
Steuern benötigten, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Jedoch wurde dies nicht untermauert; da es sich
bei Harnstoff um ein gut eingeführtes Erzeugnis handelt, wurde diese Zahl als zu hoch erachtet). Der
Klägerin war also während des Verwaltungsverfahrens bekannt, daß es nach Ansicht der Kommission
ihr oblag, nachzuweisen, weshalb eine höhere Gewinnspanne erforderlich gewesen wäre.
113.
Somit wurden die Verfahrensrechte im Verwaltungsverfahren nicht verletzt.
114.
Nach allem ist dieser Klagegrund insgesamt zurückzuweisen.
115.
Die Klägerin hat beantragt, Artikel 1 der angefochtenen Verordnung für nichtig zu erklären und die
Beibehaltung der durch diese Verordnung eingeführten Antidumpingzölle anzuordnen, bis die
zuständigen Organe strengere Maßnahmen erlassen haben.
116.
Gemäß Randnummer 106 der Begründungserwägungen der angefochtenen Verordnung war die
Schadensschwelle geringer als die für Rußland ermittelte Dumpingspanne. Dementsprechend wurde
der endgültige Antidumpingzoll gemäß Artikel 13 Absatz 3 der Grundverordnung in Höhe der
Schadensschwelle festgesetzt.
117.
Dieses Ergebnis, das im übrigen im Informationsschreiben vom 10. Mai 1994 enthalten war, wurde
von der Klägerin nie angefochten.
118.
Die Klägerin hat auch nicht die Methode beanstandet, nach der der Zoll auf einen Betrag in Höhe
der Differenz zwischen 115 ECU je Tonne und dem Nettopreis, frei Grenze der Gemeinschaft, unverzollt,
festgesetzt wurde, sofern dieser Preis niedriger ist.
119.
Jedoch haben die Organe den Zoll nach den obigen Ausführungen zu Recht in der Höhe festgesetzt,
die notwendig ist, um die durch die von Rußland ausgehenden Dumpingpraktiken entstandene
Schädigung zu beseitigen.
120.
Daher könnte die Klägerin, selbst wenn sie den Organen zu Recht vorwürfe, eine zu niedrige
Dumpingspanne festgesetzt zu haben, doch keine Nichtigerklärung von Artikel 1 der angefochtenen
Verordnung erwirken.
121.
Der erste und der zweite Klagegrund sind daher gegenstandslos; der Antrag auf Nichtigerklärung
von Artikel 1 der angefochtenen Verordnung ist insgesamt zurückzuweisen.
122.
Daher ist die Klage insgesamt abzuweisen.
Kosten
123.
Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist und der Rat beantragt hat,
ihr die Kosten aufzuerlegen, hat sie neben ihren eigenen Kosten die Kosten des Rates zu tragen.
Gemäß Artikel 87 § 4 der Verfahrensordnung trägt die Kommission als Streithelferin ihre eigenen
Kosten.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt ihre eigenen Kosten sowie die Kosten des Rates.
3. Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten.
Lenaerts
Lindh
Azizi
Cooke Jaeger
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Dezember 1997.
Der Kanzler
Die Präsidentin
H. Jung
P. Lindh
Verfahrenssprache: Englisch.