Urteil des EuG vom 14.12.2000

EuG: die post, staatliche beihilfe, kommission, öffentliches unternehmen, tochtergesellschaft, rechtliches gehör, vergütung, zugang, juristische person, radio

URTEIL DES GERICHTS (Vierte erweiterte Kammer)
14. Dezember 2000
„Staatliche Beihilfen - Rechtliches Gehör - Akteneinsicht - Begründungspflicht - Postsektor -
Quersubventionen zwischen dem ausschließlichen und dem dem Wettbewerb offen stehenden Sektor -
Begriff der staatlichen Beihilfe - Normale Marktbedingungen“
In der Rechtssache T-613/97
Union française de l'express (Ufex)
DHL International
Federal express international (France)
CRIE
Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte É. Morgan de Rivery, Paris, und J. Derenne, Brüssel und Paris,
Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts A. Schmitt, 7, Val Sainte-Croix, Luxemburg,
Klägerinnen,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Triantafyllou, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz,
Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Beklagte,
unterstützt durch
Französische Republik
Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, und F. Million, Chargé de mission in
derselben Direktion, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Französische Botschaft, 8, boulevard Joseph
II, Luxemburg,
Chronopost SA
und D. Berlin, Paris, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts A. May, 398, route d'Esch, Luxemburg,
und
La Poste
Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts A. May, 398, route d'Esch, Luxemburg,
Streithelferinnen,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 98/365/EG der Kommission vom 1. Oktober 1997 über angebliche
Beihilfen Frankreichs zugunsten von SFMI-Chronopost (ABl. L 164, S. 37)
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Vierte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tiili, der Richterin P. Lindh sowie der Richter R. M. Moura Ramos, J. D.
Cooke und P. Mengozzi,
Kanzler: G. Herzig, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. Juni 2000,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
1.
Das Syndicat français de l'express international (im Folgenden: SFEI), dessen Rechtsnachfolgerin
die Klägerin, die Union française de l'express, ist und dessen Mitglieder die drei anderen Klägerinnen
sind, ist eine Vereinigung französischen Rechts, in der fast alle Gesellschaften zusammengeschlossen
sind, die im Wettbewerb mit der Société française de messagerie internationale (im Folgenden: SFMI)
Expresszustelldienste anbieten.
2.
Am 21. Dezember 1990 legte der SFEI bei der Kommission eine Beschwerde ein, mit der er u. a.
geltend machte, dass die logistische und kommerzielle Unterstützung, die die französische Post „La
Poste“ (im Folgenden: die Post oder die französische Post) der SFMI gewährt habe, eine staatliche
Beihilfe im Sinne des Artikels 92 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 87 EG) sei. In der Beschwerde
wurde hauptsächlich gerügt, dass die Vergütung, die die SFMI der Post für diese Unterstützung
gezahlt habe, nicht den normalen Marktbedingungen entspreche. Die Differenz zwischen dem
Marktpreis für die Erbringung derartiger Dienstleistungen und dem tatsächlich von der SFMI gezahlten
Preis stelle eine staatliche Beihilfe dar. Ein von der Beratungsgesellschaft Braxton associés im Auftrag
der SFEI erarbeitetes Wirtschaftsgutachten war der Beschwerde zum Zweck der Bezifferung der
Beihilfe im Zeitraum 1986 bis 1989 beigefügt.
3.
Die Post, die im Rahmen eines gesetzlichen Monopols im Bereich des allgemeinen Zustelldienstes
tätig ist, war bis Ende 1990 Teil der französischen Verwaltung. Seit dem 1. Januar 1991 ist sie gemäß
den Vorschriften des Gesetzes 90-568 vom 2. Juli 1990 als juristische Person des öffentlichen Rechts
organisiert. Dieses Gesetz ermächtigt sie, bestimmte dem Wettbewerb unterliegende Tätigkeiten
auszuüben, u. a. die der Expresszustellung.
4.
Die SFMI ist eine privatrechtliche Gesellschaft, die Ende 1985 mit der Verwaltung des
Expresszustelldienstes der französischen Post beauftragt wurde. Sie wurde mit einem
Gesellschaftskapital von 10 Millionen FRF gegründet, das zu 66 % von der Sofipost, einer zu 100 % der
Post gehörenden Finanzgesellschaft, und zu 34 % von der TAT Express, einer Tochtergesellschaft der
Fluggesellschaft Transport aérien transrégional (im Folgenden: TAT) gehalten wurde.
5.
Die Einzelheiten der Nutzung und der Ausübung des Expresszustelldienstes, den die SFMI unter der
Bezeichnung EMS/Chronopost versah, wurden in einer Weisung des Ministeriums für Post und
Telekommunikation vom 19. August 1986 festgelegt. Danach sollte die Post der SFMI logistische und
kaufmännische Unterstützung gewähren. Die Beziehungen zwischen der Post und der SFMI wurden in
Vereinbarungen festgelegt, deren erste 1986 getroffen wurde.
6.
Im Jahr 1992 wurde die Struktur der Tätigkeit der SFMI im Bereich der Expresszustelldienste
geändert. Sofipost und TAT gründeten eine neue Gesellschaft, die Chronopost SA, an der sie
wiederum 66 % bzw. 34 % der Aktien hielten. Die Chronopost, die bis zum 1. Januar 1995 einen
ausschließlichen Zugang zum Netz der Post hatte, konzentrierte sich auf den inländischen
Expresszustelldienst. Die SFMI wurde von der GD Express Worldwide France gekauft, der
Tochtergesellschaft eines gemeinsamen internationalen Unternehmens, zu dem die australische
Gesellschaft TNT und die Postanstalten von fünf Ländern gehören. Der Zusammenschluss wurde
durch die Entscheidung der Kommission vom 2. Dezember 1991 (TNT/Canada Post, DBP Postdienst, La
Poste, PTT Poste und Sweden Post, Aktenzeichen IV/M.102, ABl. C 322, S. 19) genehmigt. Die SFMI
behielt den internationalen Tätigkeitsbereich, wobei sie die Chronopost als Bevollmächtigte und
Dienstleistungserbringerin für die Beförderung ihrer internationalen Sendungen in Frankreich
einschaltete (im Folgenden: SFMI/Chronopost).
7.
Die Kommission teilte dem SFEI mit Schreiben vom 10. März 1992 mit, dass das Verfahren über
seine Beschwerde gemäß Artikel 92 EG-Vertrag eingestellt worden sei. Der SFEI und andere
Unternehmen erhoben am 16. Mai 1992 beim Gerichtshof Klage auf Nichtigerklärung dieser
Entscheidung. Der Gerichtshof stellte das Verfahren ein (Beschluss des Gerichtshofes vom 18.
November 1992 in der Rechtssache C-222/93, SFEI u. a./Kommission, nicht in der Amtlichen Sammlung
veröffentlicht), nachdem die Kommission mit Entscheidung vom 9. Juli 1992 beschlossen hatte, ihre
Entscheidung vom 10. März 1992 zurückzunehmen.
8.
Die Französische Republik übersandte der Kommission auf deren Ersuchen Informationen mit
Schreiben vom 21. Januar 1993, mit Telefax vom 3. Mai 1993 und mit Schreiben vom 18. Juni 1993.
9.
Der SFEI und andere Unternehmen erhoben am 16. Juni 1993 Klage gegen die SFMI, Chronopost,
die Post und andere beim Tribunal de commerce (Handelsgericht) Paris. Dieser Klage war ein zweites
Gutachten der Firma Braxton beigefügt, in dem die in dem ersten Gutachten enthaltenen Daten
aktualisiert wurden und der Zeitraum der Bezifferung der Beihilfe bis Ende 1991 verlängert wurde. Das
Tribunal de commerce Paris legte dem Gerichtshof mit Urteil vom 5. Januar 1994 mehrere Fragen nach
der Auslegung der Artikel 92 und 93 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 EG) zur Vorabentscheidung vor, von
denen eine den Begriff der staatlichen Beihilfe unter den Umständen des vorliegenden Falles zum
Gegenstand hatte. Die französische Regierung reichte beim Gerichtshof als Anlagezu ihren
Erklärungen vom 10. Mai 1994 ein Wirtschaftsgutachten der Gesellschaft Ernst & Young ein. Der
Gerichtshof entschied mit Urteil vom 11. Juli 1996 in der Rechtssache C-39/94 (SFEI u. a., Slg. 1996, I-
3547, im Folgenden: Urteil SFEI): „Eine logistische und kommerzielle Unterstützung, die ein öffentliches
Unternehmen seinen privatrechtlichen Tochtergesellschaften, die eine dem freien Wettbewerb offen
stehende Tätigkeit ausüben, gewährt, kann eine staatliche Beihilfe im Sinne von Artikel 92 des
Vertrages darstellen, wenn die als Gegenleistung erhaltene Vergütung niedriger als die Vergütung ist,
die unter normalen Marktbedingungen gefordert worden wäre.“
10.
Zwischenzeitlich war die Französische Republik mit Schreiben der Kommission vom 20. März 1996
über die Einleitung des in Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag vorgesehenen Verfahrens unterrichtet
worden. Am 30. Mai 1996 übermittelte sie der Kommission ihre Erklärungen dazu.
11.
Die Kommission veröffentlichte am 17. Juli 1996 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
eine Mitteilung über die Einleitung des Verfahrens gemäß Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag über
angebliche Beihilfen Frankreichs zugunsten von SFMI-Chronopost (ABl. C 206, S. 3).
12.
In Beantwortung dieser Mitteilung übersandte der SFEI der Kommission am 17. August 1996
Erklärungen, denen er ein neues Wirtschaftsgutachten der Firma Bain & Cy beifügte. Außerdem
erstreckte der SFEI seine Beschwerde vom Dezember 1990 auf bestimmte neue Gegebenheiten,
insbesondere auf die Benutzung des Markenzeichens der französischen Post, auf den bevorrechtigten
Zugang zu den Ausstrahlungen von Radio France, auf Zoll- und Steuervorteile und auf Investitionen
der französischen Post in Umschlagzentren des Gütereilverkehrs.
13.
Die Kommission übermittelte der Französischen Republik die Erklärungen des SFEI vom September
1996. Die Französische Republik übersandte der Kommission ein Antwortschreiben, dem ein
Wirtschaftsgutachten der Beraterfirma Deloitte Touche Tohmatsu (im Folgenden: Deloitte-
Wirtschaftsgutachten) beigefügt war.
14.
Mit Schreiben vom 7. November 1996 forderte der SFEI die Kommission auf, ihn zu allen in der Akte
enthaltenen Angaben anzuhören. Er ersuchte in diesem Zusammenhang um Übersendung der
Antworten, die die französische Regierung der Kommission bereits übermittelt habe und die noch nicht
in seinem Besitz seien (d. h. der Schreiben vom 21. Januar und 18. Juni 1993) sowie der zusätzlichen
Angaben der französischen Regierung jeweils nach ihrem Eingang bei der Kommission.
15.
Die Kommission verweigerte dem SFEI mit Schreiben vom 13. November 1996 den Zugang zu den
fraglichen Aktenstücken.
16.
Mit einem weiteren Schreiben vom 21. April 1997 fragte der SFEI die Kommission nach dem genauen
Stand der Ermittlungen und bat sie insbesondere, ihn über die Antworten der französischen
Regierung auf das Schreiben über die Einleitung des Verfahrens und auf seine Erklärungen vom 17.
August 1996 sowie die Reaktionen und Absichten der Kommission zu unterrichten. Die Kommission
lehnte am 30. April 1997 die Übersendung der in ihrem Besitz befindlichen Dokumente unter Hinweis
auf ihren streng vertraulichen Charakter ab.
17.
Am 1. Oktober 1997 erließ die Kommission die Entscheidung 98/365/EG über angebliche Beihilfen
Frankreichs zugunsten von SFMI-Chronopost (ABl. 1998, L 164, S. 37, im Folgenden: angefochtene
Entscheidung oder Entscheidung), die dem SFEI mit Schreiben vom 22. Oktober 1997 übermittelt
wurde.
18.
In der Entscheidung führte die Kommission aus, es sei zwischen zwei Kategorien von Maßnahmen zu
unterscheiden. Die erste bestehe zum einen in der logistischen Unterstützung: der SFMI-Chronopost
seien die Infrastrukturen der Post für die Annahme, das Sortieren, die Beförderung und die Verteilung
ihrer Sendungen zur Verfügung gestellt worden; und zum anderen in der kaufmännischen
Unterstützung: Zugang der SFMI-Chronopost zum Kundenstamm der Post und der Einbringung des
Goodwill der Post zugunsten von SFMI-Chronopost. Die zweite Kategorie bestehe in besonderen
Maßnahmen wie dem bevorzugten Zugang zu Radio France und der Vorzugsbehandlung in Zoll- und
steuerlicher Hinsicht.
19.
Nach Auffassung der Kommission hat der SFEI das Urteil in der Rechtssache SFEI falsch ausgelegt,
als er behauptet habe, die Kommission müsse weder die strategischen Interessen der Gruppe noch
die Größenvorteile berücksichtigen, die sich aus dem bevorzugten Zugang der SFMI-Chronopost zum
Netz und zu den Anlagen der Post ergäben, da die Post eine Monopolstellung innehabe. Der
Gerichtshof habe vielmehr nie angedeutet, dass die Kommission eine andere Methode anwenden
müsse, wenn eine der Parteien eine Monopolstellung innehabe. Somit sei die Kommission bei der
Prüfung der Frage, ob im Rahmen der ersten Kategorie von Maßnahmen eine staatliche Beihilfe
vorliege, nicht verpflichtet, die Tatsache zu berücksichtigen, dass es sich um Umsätze zwischen einer
auf einem ausschließlichen Markt tätigen Muttergesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft handele,
deren Tätigkeit auf dem Markt dem Wettbewerb ausgesetzt sei.
20.
Deshalb meinte die Kommission, es gehe um die Frage, ob die Bedingungen der Umsätze zwischen
der Post und der SFMI-Chronopost mit denen eines gleichwertigen Geschäfts zwischen einer
privatrechtlichen Muttergesellschaft, die sehr wohl eine Monopolstellung einnehmen könne (wenn sie
z. B. Ausschließlichkeitsrechte besitze), und ihrer Tochtergesellschaft vergleichbar seien. Es liege kein
finanzieller Vorteil vor, wenn die internen Preise für den Austausch von Waren und Dienstleistungen
zwischen zwei derselben Gruppe angehörenden Unternehmen auf der Grundlage der vollständigen
Kosten (d. h. Gesamtkosten plus Eigenkapitalverzinsung) kalkuliert würden.
21.
Die von der SFMI-Chronopost geleisteten Zahlungen hätten in den ersten beiden Geschäftsjahren
zwar nicht die Gesamtkosten, wohl aber die Kosten ohne Kostenaufwand des Hauptsitzes und der
regionalen Direktionen gedeckt. Es sei zunächst nicht ungewöhnlich, dass die von einem neuen
Unternehmen, nämlich der SFMI-Chronopost, geleisteten Zahlungen in der Anlaufphase nur die
variablen Kosten deckten. Weiter habe Frankreich nachgewiesen, dass die von der SFMI-Chronopost
gezahlte Vergütung seit 1988 alle Kosten der Post gedeckt und darüber hinaus einen Beitrag zu der
Eigenkapitalverzinsung geleistet habe. Außerdem sei die interne Rentabilität der Investition der Post
als Aktionär rechnerisch weit höher als die Kapitalkosten des Unternehmens im Jahr 1986, d. h. die
normale Rentabilitätsrate, die ein privater Investor unter gleichartigen Bedingungen fordern würde.
Folglich habe die Post ihrer Tochtergesellschaft eine logistische und kaufmännische Unterstützung zu
normalen Marktkonditionen gewährt, was keine staatliche Beihilfe darstelle.
22.
Was die zweite Kategorie, d. h. die verschiedenen Sondermaßnahmen angehe, so sei der SFMI-
Chronopost kein Vorteil bei der Zollabfertigung, der Stempelgebühr, der Lohnsteuer oder den
Zahlungsfristen gewährt worden. Die Nutzung der Postfahrzeuge als Werbeträger sei Bestandteil der
normalen kaufmännischen Unterstützung, die eine Muttergesellschaft ihrer Tochtergesellschaft
gewähre. In Bezug auf Werbemaßnahmen bei Radio France habe die SFMI-Chronopost keine
bevorzugte Behandlung genossen. Die Kommission habe auch beweisen können, dass die
Verpflichtungen, die die französische Post bei der Genehmigung des gemeinsamen Unternehmens
durch die Entscheidung der Kommission vom 2. Dezember 1991 übernommen habe, keine staatlichen
Beihilfen darstellten.
23.
Die Kommission stellt in Artikel 1 der Entscheidung fest: „Die von der französischen Post .La Poste'
ihrer Tochtergesellschaft SFMI-Chronopost gewährte logistische und kommerzielle Unterstützung, die
übrigen Finanzgeschäfte zwischen diesen beiden Unternehmen, die Beziehung zwischen SFMI-
Chronopost und Radio France, die für La Poste und für SFMI-Chronopost geltenden zollrechtlichen
Bestimmungen, die für La Poste geltenden Lohnsteuerregelungen und Vorschriften zur Stempelgebühr
und ihre Investitionen von [Geschäftsgeheimnis] in die Umschlagzentren des Gütereilverkehrs stellen
keine staatlichen Beihilfen zugunsten von SFMI-Chronopost dar.“ Nach Artikel 2 ist die Entscheidung
an die Französische Republik gerichtet.
24.
Der SFEI forderte die Kommission am 2. Dezember 1997 auf, ihm bis zum 17. Dezember 1997 das
Telefax vom 3. Mai 1993, die Mitteilung vom 30. Mai 1996 und das Deloitte-Gutachten zu übersenden,
die alle in der angefochtenen Entscheidung genannt sind.
25.
Die Kommission wies den Antrag des SFEI mit Schreiben vom 15. Dezember 1997 unter Bezugnahme
auf den Verhaltenskodex über den Zugang der Öffentlichkeit zu den der Kommission und dem Rat
vorliegenden Dokumenten (ABl. 1993, L 340,S. 41) zurück. Sie führte aus, dass ein Antrag, der ein
Dokument betreffe, das einem Organ vorliege, dessen Verfasser jedoch eine andere natürliche oder
juristische Person oder ein Mitgliedstaat sei, direkt an den Verfasser des Dokuments gerichtet werden
müsse. Außerdem berief sie sich auf die Ausnahmen zugunsten des Schutzes des
Geschäftsgeheimnisses und der Wahrung der Vertraulichkeit.
Verfahren und Anträge der Parteien
26.
Die Klägerinnen haben mit Klageschrift, die am 30. Dezember 1997 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.
27.
Am 12. März 1998 haben die Klägerinnen durch einen Verfahrensantrag darum ersucht, die
Kommission anzuweisen, die in der Entscheidung genannten, der Kommission von der französischen
Regierung übermittelten Papiere, zu denen sie vor Erlass der Entscheidung keinen Zugang gehabt
hätten, nämlich das Telefax vom 3. Mai 1993, die Mitteilung vom 30. Mai 1996, die Antwort auf die
Erklärungen des SFEI von August 1996 und das Deloitte-Gutachten, vorzulegen. Das Gericht hat die
Kommission mit Schreiben vom 7. Mai 1998 ersucht, die beiden letztgenannten Papiere einzureichen.
Diese wurden am 26. Mai 1998 übersandt.
28.
Die Französische Republik hat mit Schriftsatz, der am 2. Juni 1998 bei der Kanzlei eingegangen ist,
ihre Zulassung als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Beklagten beantragt. Die
Chronopost und die französische Post haben mit Schriftsätzen, die am 5. Juni 1998 eingegangen sind,
denselben Antrag gestellt.
29.
Die Französische Republik, die Chronopost und die französische Post sind durch Beschlüsse des
Präsidenten der Vierten erweiterten Kammer des Gerichts vom 7. Juli 1998 als Streithelferinnen zur
Unterstützung der Anträge der Beklagten zugelassen worden.
30.
Am 23. Juli 1998 haben die Klägerinnen bei der Kanzlei einen zweiten Verfahrensantrag auf Vorlage
von Papieren gestellt. Das Gericht hat ihnen mit Schreiben vom 10. November 1998 seine
Entscheidung übermittelt, diesem Antrag beim damaligen Stand des Verfahrens nicht stattzugeben.
31.
Die Klägerinnen haben in ihrer Erwiderung beantragt, alle in Anhang 10 der Erwiderung
aufgeführten Papiere vertraulich zu behandeln und allein dem Gericht den Zugang zu diesen Papieren
zu ermöglichen. Sie haben mit Schreiben vom 5. Januar und 10. Februar 1999 klargestellt, dass dieser
Antrag nur die französische Post und die Chronopost betreffe. Der Präsident der Vierten erweiterten
Kammer des Gerichts hat dem Antrag auf vertrauliche Behandlung bestimmter Angaben gegenüber
der französischen Post und Chronopost durch Beschluss vom 5. März 1999 stattgegeben.
32.
Das Gericht (Vierte erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, das
mündliche Verfahren zu eröffnen, und die Beklagte im Wege prozessleitender Maßnahmen
aufgefordert, schriftlich Fragen zu beantworten und Papiere vorzulegen.
33.
Die Parteien haben in der Sitzung vom 21. Juni 2000 mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts
beantwortet.
34.
Die Klägerinnen beantragen,
- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären,
- der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
35.
Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen,
- den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.
36.
Die Streithelferinnen beantragen,
- die Klage abzuweisen,
- den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Begründetheit
37.
Die Klägerinnen stützen ihre Klage auf vier Klagegründe: Verletzung des rechtlichen Gehörs,
insbesondere des Rechts auf Akteneinsicht, unzureichende Begründung, Tatsachenirrtümer und
offensichtliche Beurteilungsfehler sowie falsche Auslegung des Begriffes der staatlichen Beihilfe.
38.
Die mit dem vierten Nichtigkeitsgrund zusammenhängenden Fragen sind zuerst zu prüfen, da es
sich dabei im Verhältnis zu den anderen Klagegründen um Vorfragen handelt.
39.
Dieser Klagegrund besteht aus zwei Teilen. Die Kommission habe den Begriff der staatlichen Beihilfe
falsch ausgelegt, indem sie zum einen bei der Prüfung der Vergütung für die Unterstützung der SFMI-
Chronopost durch die Post den normalen Marktbedingungen nicht Rechnung getragen habe, und
indem sie zum andern von diesem Begriff verschiedene Maßnahmen ausgenommen habe, durch die
die SFMI-Chronopost begünstigt worden sei. Als erstes ist die Beanstandungzu prüfen, die die
Untersuchung der Vergütung der von der Post gewährten Unterstützung betrifft.
Vorbringen der Beteiligten
40.
Im Rahmen des ersten Teils tragen die Klägerinnen vor, die Kommission habe rechtsfehlerhaft
gehandelt, als sie in der angefochtenen Entscheidung die der SFMI-Chronopost von der französischen
Post gewährte logistische und kaufmännische Unterstützung bereits dem Grunde nach nicht als
Beihilfe in Form von Quersubventionen angesehen habe.
41.
Ein Unternehmen, das ein gesetzliches Monopol besitze, wälze nicht unbedingt alle „zu normalen
Marktkonditionen“ für die erbrachten Leistungen entstandenen Kosten auf seine Tochtergesellschaft
ab, da es außerhalb dieser Konditionen tätig werde. Somit sei zu prüfen, ob den Vorteilen Rechnung
getragen worden sei, die sich aus den Beziehungen zwischen einer Tochtergesellschaft und einem
Monopolbetrieb ergäben. Diese Prüfung habe die Kommission jedoch nicht vorgenommen.
Insbesondere habe die Post nicht die Netzkosten zu tragen gehabt, die vom Staat übernommen
würden. Dabei handele es sich jedoch um Kosten, die ein unter normalen Marktkonditionen tätiges
Unternehmen hätte tragen und in den Preis der Unterstützung hätte einbeziehen müssen.
42.
Eine normale Vergütung der der SFMI-Chronopost von der französischen Post erbrachten Dienste
müsste nicht nur die kurzfristigen Grenzkosten umfassen, sondern auch die langfristigen Grenzkosten
sowie die festen Kosten für den Erwerb und die Erhaltung der Infrastruktur in Form der Gebäude, des
Materials und des Personals, die der SFMI-Chronopost zur Verfügung stünden. Die Leitlinien der
Kommission für die Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln im Telekommunikationsbereich (ABl. 1991,
C 233, S. 2; im Folgenden: Leitlinien für den Telekommunikationsbereich) gäben Aufschluss über die
Haltung der Kommission zu Quersubventionen.
43.
Die Leitlinien für den Telekommunikationsbereich schlössen Vorzugsbedingungen eines
Unternehmens, das ein Monopol innehabe, für neue, dem Wettbewerb unterliegende Tätigkeiten aus.
Im vorliegenden Fall ergebe sich aus den Erklärungen der französischen Regierung und der
Kommission, dass die SFMI-Chronopost schon für die ersten beiden Jahre nach Aufnahme ihrer
Tätigkeit (1986 und 1987) staatliche Beihilfen erhalten habe, denn die Aufnahme ihrer Tätigkeit sei
zugestandenermaßen aus Einnahmen aus dem Monopol finanziert worden. Außerdem seien die damit
verbundenen Kosten nicht durch die Vergütung für die von 1986 bis 1991 erbrachten
Dienstleistungen gedeckt gewesen.
44.
Die Kommission verkenne den völlig eindeutigen Sinn der Randnummern 54 bis 62 des Urteils SFEI.
Die Vergütung, die die Post von ihrer Tochtergesellschaft für die erbrachten Dienstleistungen hätte
verlangen müssen, hätte nach Maßgabe des Preises berechnet werden müssen, den ein privater
Investor unter normalenWettbewerbsbedingungen für gleichartige logistische und kaufmännische
Unterstützung hätte zahlen müssen.
45.
Irrig sei auch die Auffassung der Kommission, dass Größenvorteile und Ersparnisse aufgrund der
Produktpalette, strategische Erwägungen und Synergieeffekte berücksichtigt werden müssten, die
sich aus der Zugehörigkeit der französischen Post und der SFMI-Chronopost zu demselben Konzern
ergäben. Irrig sei auch das Vorbringen der Beklagten, dass die Besonderheit der Tätigkeit der
Muttergesellschaft ihrer Beziehung zu ihrer Tochtergesellschaft keinen besonderen Charakter
verleihe.
46.
Diese Auffassung der Kommission stehe im Widerspruch zu der Auffassung, die der Gerichtshof im
Urteil SFEI vertreten habe. Sie schließe aus dem Anwendungsbereich des Artikels 92 EG-Vertrag alle
Vorteile aus, die eine Muttergesellschaft wie die französische Post aufgrund ihres gesetzlichen
Monopols (für die Aufnahme, die Aufrechterhaltung und die Entwicklung der unter dieses Monopol
fallenden Tätigkeiten) genieße, selbst wenn diese Vorteile unentgeltlich an ihre Tochtergesellschaft
weitergegeben würden, deren Tätigkeit auf dem Markt dem Wettbewerb ausgesetzt sei.
47.
Wenn der Gerichtshof ausgeführt habe, dass „allen Faktoren Rechnung [getragen werden müsse],
die ein unter normalen Marktbedingungen tätiges Unternehmen bei der Festsetzung des Entgelts für
die erbrachten Dienstleistungen hätte berücksichtigen müssen“, so habe er sicher nicht sagen
wollen, dass man hier auf den Fall eines Unternehmens abstellen müsse, das sich in derselben
Situation befinde wie die Post. Er habe vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, dass von
unverfälschtem Wettbewerb nur dann die Rede sein könne, wenn Mittel angewandt würden, die sich
nicht von denen unterschieden, die den normalen Wettbewerb zwischen Waren oder Dienstleistungen
kennzeichneten.
48.
Die Klägerinnen tragen abschließend vor, der Gerichtshof habe dadurch, dass er im Urteil SFEI nicht
gesagt habe, dass bei der Prüfung der Frage, ob die Vergütung der SFMI-Chronopost ausreichend
gewesen sei, die Gesamtkosten der Post berücksichtigt werden müssten, absichtlich die Methode der
Kommission verworfen, bei der nur die kurzfristigen Grenzkosten berücksichtigt würden. Der Umstand,
dass die Post langfristige Grenzkosten zu tragen gehabt habe, habe deshalb zu Quersubventionen
zugunsten der SFMI-Chronopost geführt. Diese seien staatliche Maßnahmen, denn sie ergäben sich
aus einem öffentlichen Monopol (Urteil SFEI, Randnr. 58).
49.
Die Beklagte teilt die Ansicht der Klägerinnen, dass die Bereitstellung von Räumlichkeiten,
Ausstattung, Fachleuten und/oder Dienstleistungen für die Tätigkeiten der SFMI-Chronopost gegen
eine übliche Vergütung erfolgen müsse; deshalb habe sie die Gesamtkosten berücksichtigt. Nach den
Leitlinien für den Telekommunikationsbereich müssten alle Kosten streng verhältnismäßig aufMonopol-
und andere Dienste aufgeteilt werden. Dies sei im vorliegenden Fall geschehen.
50.
Die in der angefochtenen Entscheidung angewandte Methode der Berücksichtigung der
Gesamtkosten erscheine als die vorsichtigste Methode für die Berechnung der Kosten, die mit den
Tätigkeiten der Tochtergesellschaft zusammenhingen. Die „autonome“ Prüfung (die auf die Kosten
einer neu aufgenommenen Tätigkeit abstelle), die die Klägerinnen offenbar vorschlügen, sei nicht
genauer, denn auch für ihre Anwendung seien Marktdaten erforderlich. Auch hätten die Klägerinnen
nicht dargetan, dass die so berechneten Kosten höher seien als die Gesamtkosten. Selbst wenn dies
der Fall wäre, sei dies kein Beweis für das Vorliegen von Quersubventionen und erst recht nicht von
staatlichen Beihilfen. Die Wirtschaftswissenschaftler schlügen keine rein „autonome“ Prüfung vor,
sondern eine viel detailliertere Prüfung, nach der keine Quersubvention vorliege, wenn der verlangte
Preis zwischen den Differenzkosten (den zusätzlichen, durch die neue Tätigkeit verursachten Kosten)
und den „autonomen“ Kosten liege.
51.
Die Beklagte macht hilfsweise geltend, aufgrund des Beurteilungsspielraums, der bei allen
kaufmännischen Investitionen bestehe, sei eine Quersubvention in einem öffentlichen Konzern nicht
immer eine staatliche Beihilfe. Im Rahmen einer Unternehmensgruppe könnten derartige
Finanzierungen einer längerfristigen Strategie entsprechen, die für den Gesamtkonzern vorteilhaft sei.
52.
Zu der Beziehung zwischen Mutter- und Tochtergesellschaft und der Zugehörigkeit zum selben
Konzern trägt die Beklagte vor, ein Monopolunternehmen könne ausgewogene gegenseitige Verträge
schließen. Die Besonderheit der Tätigkeit der Muttergesellschaft verleihe der Beziehung zu ihrer
Tochtergesellschaft keinen besonderen Charakter. Deshalb sei eine Einzelfallprüfung erforderlich, die
im vorliegenden Fall auf der Grundlage der Gesamtkosten vorgenommen worden sei. Diese Prüfung
zeige, dass die Tochtergesellschaft mehr als die Gesamtkosten gezahlt habe. Folglich sei das
Vorbringen der Klägerinnen zum ausschließlichen Markt der Muttergesellschaft im Gegensatz zu der
dem Wettbewerb unterliegenden Tätigkeit der Tochtergesellschaft und zu der angeblichen
Berechnung der kurzfristigen Kosten unerheblich und sogar unrichtig.
53.
Die Beklagte weist vorsorglich darauf hin, dass Größenvorteile und Einsparungen aufgrund der
Produktpalette, Synergieeffekte und strategische Erwägungen als solche im Rahmen eines Konzerns
nicht zu beanstanden seien. Diese Erwägungen berührten nicht die Prüfung der staatlichen Beihilfen,
wenn hinsichtlich der Beziehung Muttergesellschaft/Tochtergesellschaft alle Kosten bei der
Berechnung der Vergütung für die erbrachten Dienstleistungen berücksichtigt würden.
54.
Nach der Bekanntmachung der Kommission über die Anwendung der Wettbewerbsregeln auf den
Postsektor und über die Beurteilung bestimmter staatlicher Maßnahmen betreffend Postdienste (ABl.
1998, C 39, S. 2) müsse der Preis von dem Wettbewerb unterliegenden Diensten, die von den
Postverwaltungenangeboten würden, grundsätzlich mindestens den durchschnittlichen Gesamtkosten
für die Dienste entsprechen. Dies bedeute die Deckung der direkten Kosten sowie eines
angemessenen Anteils der vom Monopolinhaber getragenen Gemeinkosten und indirekten Kosten. Die
in der angefochtenen Entscheidung angewandte Methode, die zeige, dass keine
Quersubventionierung vorliege, entspreche somit diesen Anforderungen.
55.
Zu der Aufnahme von Tätigkeiten mit dem Ziel der Diversifizierung führt die Beklagte aus, dass das
auf die Leitlinien für den Telekommunikationsbereich gestützte Vorbringen der Klägerinnen neben der
Sache liege. Im Übrigen verlangten diese für den privilegierten Wirtschaftsteilnehmer nur a priori (und
nicht immer) eine normale Vergütung für die Investitionen in dem Wettbewerb unterliegende
Tätigkeiten. Auch gebe es für die Behauptung der Klägerinnen, die Erbringung von Dienstleistungen
sei nicht angemessen vergütet worden, keinen Beweis. Sie werde darüber hinaus durch das Deloitte-
Gutachten widerlegt, wonach seit 1989 die vorherige etwas zu niedrige Vergütung durch eine spätere
höhere Vergütung ausgeglichen worden sei.
56.
Angesichts der Neutralität des EG-Vertrags gegenüber der Eigentumsordnung in den
Mitgliedstaaten und wegen des Grundsatzes der Gleichbehandlung von öffentlichen und privaten
Unternehmen stehe es den Mitgliedstaaten frei, wirtschaftliche Tätigkeiten auszuüben und
Investitionen vorzunehmen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes könnten strategische
Erwägungen, Synergieeffekte, die Zusammenlegung von Teilen eines Handelsgeschäfts (Marke,
Kundschaft) bei der Gründung einer Tochtergesellschaft ein Verhalten des Staates rechtfertigen, das
dem eines privaten Investors entspreche und folglich nicht zum Vorliegen einer staatlichen Beihilfe
führe.
57.
Die Chronopost beanstandet allgemein die Auslegung des Urteils SFEI durch die Klägerinnen und
wirft diesen vor, ein subjektives und theoretisches Bild von dem Markt zu haben, auf den der
Gerichtshof Bezug nehme. Die Klägerinnen verwechselten Verhalten und Struktur, indem sie so
argumentieren wollten, als ob die Post nicht existierte, und von einem Markt ausgingen, der
ausschließlich aus privaten Unternehmen bestehe. Der Gerichtshof habe lediglich ausgeführt, dass
das Verhalten öffentlicher Unternehmen auf dem Markt mit dem Verhalten von Privatunternehmen
verglichen werden müsse. Er habe nämlich auf den Fall eines Unternehmens verwiesen, das sich in
einer ähnlichen Lage befunden habe wie die Post, und auf das Verhalten, das diese hätte an den Tag
legen müssen, wenn sie wie ein privates Unternehmen unter „normalen Marktbedingungen“ tätig
geworden wäre.
58.
Die Argumentation der Klägerinnen lasse die tatsächliche und rechtliche Situation der
französischen Post außer Acht und laufe nicht nur darauf hinaus, dass bei der Prüfung des Verhaltens
ausschließlich von dem Modell des privaten Investors ausgegangen werden müsse, sondern auch
darauf, dass als Referenz ein Marktgewählt werden müsse, auf dem es kein öffentliches Unternehmen
und kein gesetzliches Monopol gebe.
59.
Schließlich stehe die Auffassung der Klägerinnen im Widerspruch zu dem Ziel der
Wettbewerbsregeln, denn wenn das Vorliegen staatlicher Beihilfen innerhalb eines Konzerns nicht nur
danach zu beurteilen wäre, welchen Betrag das öffentliche Unternehmen unter normalen
Marktbedingungen hätte in Rechnung stellen müssen, sondern auch danach, welchen Betrag eine mit
dem öffentlichen Unternehmen im Wettbewerb stehende privatrechtliche Gesellschaft ihrer
Tochtergesellschaft in Rechnung stelle, so würde der von den Konkurrenten festgesetzte Preis zum
Referenzpreis, auf den bei der Prüfung des Vorliegens einer staatlichen Beihilfe abzustellen wäre.
60.
Die Französische Republik stellt zunächst fest, ein Betreiber von Expresszustellungen könne seine
Tätigkeit ohne weiteres ausüben, ohne die Infrastruktur der Post zu nutzen, insbesondere mit Hilfe
eines integrierten Netzes von der Art, wie es zwischen den Mitgliedern des SFEI bestehe. Dies werde
dadurch bestätigt, dass die Klägerinnen sich nicht für das Netz der französischen Post interessierten.
Da die Märkte der normalen Postdienste und der Expresspostdienste sehr verschieden seien, biete
dieses Netz, das im Rahmen der Daseinsvorsorge geschaffen worden sei, im Übrigen keine wirklichen
Synergieeffekte für die Expresszustellung.
61.
Weiter unterschieden die Klägerinnen nicht zwischen den Unternehmensstrukturen, auf die bei der
Beurteilung der Frage, ob das Verhalten des öffentlichen Unternehmens normal sei, abzustellen sei,
und denen, auf die es für die Beurteilung der Normalität des Verhaltens des in Rede stehenden
Unternehmens ankomme. Zu berücksichtigen sei die Struktur eines Unternehmens, das über Mittel
verfüge, die mit denen der französischen Post vergleichbar seien und das insbesondere ein
gleichwertiges Netz besitze. Weder aus dem Schreiben noch aus der Auslegung des Urteils SFEI gehe
hervor, dass die Kommission den Begriff des normalen Verhaltens unterschiedlich beurteilen müsse, je
nachdem, ob das Unternehmen hinsichtlich eines Teils seiner Tätigkeiten eine Monopolstellung
innehabe oder nicht.
62.
Zum Dritten würde, wollte man der These der Klägerinnen folgen, ein öffentliches Unternehmen,
das im Bereich der Daseinsvorsorge über ein Monopol verfüge, an einer Diversifizierung auf dem dem
Wettbewerb unterliegenden Markt gehindert. Wenn man der Auffassung der Klägerinnen folgen würde,
dass eine Muttergesellschaft, die Inhaberin eines gesetzlichen Monopols sei, weiter gehenden
Einschränkungen unterliege als eine Muttergesellschaft im Verhältnis zu ihrer Tochtergesellschaft
innerhalb eines privaten Konzerns, so würde es einer solchen Muttergesellschaft so gut wie unmöglich
gemacht, ihre Tätigkeit unter wirtschaftlich akzeptablen Bedingungen zu diversifizieren.
63.
Die französische Post trägt vor, die Richtlinie 97/67/EG des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 15. Dezember 1997 über gemeinsame Vorschriften für die Entwicklung des Binnenmarktes der
Postdienste der Gemeinschaft und die Verbesserung der Dienstequalität (ABl. 1998, L 15, S. 14)
schränke die Möglichkeit der Erbringer universeller Dienstleistungen, andere Tätigkeiten auszuüben,
nicht ein, sofern in den Konten eine klare Unterscheidung zwischen diesen beiden Tätigkeitsarten
vorgenommen werde. Weiter sei hinsichtlich des Begriffes der normalen Marktbedingungen zu
bemerken, dass das Argument der Klägerinnen, der normale Preis der logistischen und kommerziellen
Unterstützung entspreche dem Preis der „Miete“ der einzelnen Teile eines Netzes, unabhängig davon,
wie diese genutzt würden, gewollt sei. Bei ihrer Prüfung hätten die Klägerinnen nämlich den Preis zu
ermitteln gesucht, der für die Schaffung eines Netzes erforderlich sei. Schließlich zeige die
Zugangsmöglichkeit Dritter zum Postnetz, dass dieser Zugang nicht selektiv erfolge, wie dies für das
Vorliegen einer Beihilfe notwendig sei. Auch hätten die Klägerinnen, wenn die SFMI-Chronopost eine
bedeutende Unterstützung beim Zugang zum Netz erhalten hätte, ihrerseits ein Interesse gehabt,
einen solchen Zugang zu verlangen.
Würdigung durch das Gericht
64.
Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag soll verhindern, dass der Handel zwischen Mitgliedstaaten durch von
staatlichen Stellen gewährte Vergünstigungen beeinträchtigt wird, die auf unterschiedliche Weise
durch die Bevorzugung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen
oder zu verfälschen drohen (Urteile des Gerichtshofes vom 15. März 1994 in der Rechtssache C-
387/92, Banco Exterior de España, Slg. 1994, I-877, Randnr. 12; vom 2. Juli 1974 in der Rechtssache
173/73, Italien/Kommission, Slg. 1974, 709, Randnr. 26, und SFEI, Randnr. 58).
65.
Der Begriff der Beihilfe umfasst somit nicht nur positive Leistungen wie Subventionen, sondern auch
Maßnahmen, die auf unterschiedliche Weise die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen
normalerweise zu tragen hat und die zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes
darstellen, diesen aber nach Art und Wirkung gleichstehen (Urteile des Gerichtshofes in den
Rechtssachen SFEI, Randnr. 58, und Banco Exterior de España, Randnr. 13, sowie Urteil vom 1.
Dezember 1998 in der Rechtssache 200/97, Ecotrade, Slg. 1998, I-7907, Randnr. 34). Im Urteil vom 12.
Dezember 1996 in der Rechtssache T-358/94 (Air France/Kommission, Slg. 1996, II-2109, Randnr. 67)
hat das Gericht zu Artikel 92 EG-Vertrag ausgeführt:
„Diese Vorschrift erfasst also alle Geldmittel, auf die der öffentliche Sektor tatsächlich zur
Unterstützung von Unternehmen zurückgreifen kann, ohne dass es dafür eine Rolle spielt, ob diese
Mittel auf Dauer zum Vermögen dieses Sektors gehören.“
66.
Weiter ist, wie der Gerichtshof im Urteil vom 22. März 1977 in der Rechtssache 78/76 (Steinike &
Weinlig, Slg. 1977, 595, Randnr. 21) ausgeführt hat, im Wesentlichen auf die Auswirkungen der
Beihilfe auf die begünstigten Unternehmen oder Erzeuger und nicht auf die Stellung der für die
Verteilung und Verwaltung der Beihilfe zuständigen Einrichtungen abzustellen.
67.
Der Beihilfebegriff ist somit ein objektiver Begriff, der eine staatliche Maßnahme bezeichnet, die
einem oder mehreren Unternehmen einen Vorteil verschafft (Urteile des Gerichtshofes vom 27. Januar
1998 in der Rechtssache T-67/94, Ladbroke Racing/Kommission, Slg. 1998, II-1, Randnr. 52, und vom
10. Mai 2000 in der Rechtssache T-46/97, SIC/Kommission, Slg. 2000, II-0000, Randnr. 83).
68.
Der Gerichtshof hat den Begriff der staatlichen Beihilfe im Zusammenhang mit dem vorliegenden
Sachverhalt im Urteil SFEI wie folgt ausgelegt: „Eine logistische und kommerzielle Unterstützung, die
ein öffentliches Unternehmen seinen privatrechtlichen Tochtergesellschaften, die eine dem freien
Wettbewerb offen stehende Tätigkeit ausüben, gewährt, kann eine staatliche Beihilfe im Sinne von
Artikel 92 des Vertrages darstellen, wenn die als Gegenleistung erhaltene Vergütung niedriger als die
Vergütung ist, die unter normalen Marktbedingungen gefordert worden wäre.“
69.
Aus diesen Erwägungen folgt, dass für die Frage, ob die in Rede stehenden Maßnahmen staatliche
Beihilfen sind, die Lage aus der Sicht des begünstigten Unternehmens, hier der SFMI-Chronopost, zu
untersuchen ist; dabei ist zu ermitteln, ob dieses Unternehmen die logistische und kommerzielle
Unterstützung, um die es hier geht, zu einem Preis erhalten hat, zu dem es sie unter normalen
Marktbedingungen nicht erhalten hätte (Urteile SFEI, Randnr. 60, SIC/Kommission, Randnr. 78, sowie
Urteile des Gerichtshofes vom 29. April 1999 in der Rechtssache C-342/96, Spanien/Kommission, Slg.
1999, I-2459, Randnr. 41, und vom 29. Juni 1999 in der Rechtssache C-256/97, DM Transport, Slg.
1999, I-3913, Randnr. 22).
70.
Nach den Ausführungen des Gerichtshofes im Urteil SFEI setzt diese Bewertung eine wirtschaftliche
Analyse voraus, die allen Faktoren Rechnung trägt, die ein unter normalen Marktbedingungen tätiges
Unternehmen bei der Festsetzung des Entgelts für die erbrachten Dienstleistungen hätte
berücksichtigen müssen (Randnr. 61).
71.
Dazu bemerkt die Kommission in der angefochtenen Entscheidung: „Die Tatsache, dass das
Geschäft zwischen einem auf einem ausschließlichen Markt tätigen Unternehmen und seiner
Tochtergesellschaft, die eine dem freien Wettbewerb offen stehende Tätigkeit ausübt, stattfindet, ist
in der vorliegenden Rechtssache irrelevant. Der Gerichtshof hat nie einen Hinweis darauf gegeben,
dass die Kommission eine andere Methode anwenden müsse, wenn eine der an einem Vorgang
beteiligten Parteien eine Monopolstellung innehat.“
72.
Sie hat daraus geschlossen, dass die internen Preise für den Austausch von Waren und
Dienstleistungen zwischen zwei derselben Gruppe angehörenden Unternehmen „keinen finanziellen
Vorteil welcher Art auch immer mit sich bringt, wenn diese Preise auf der Grundlage der
[vollständigenK]osten (d. h. Gesamtkosten plus Eigenkapitalverzinsung) kalkuliert werden“.
73.
Die Kommission hat also ihre Feststellung, dass die fragliche Transaktion mit einer Transaktion
zwischen Unternehmen vergleichbar sei, die unter normalen Marktbedingungen tätig würden, nicht,
wie nach dem Urteil SFIE erforderlich, auf eine wirtschaftliche Untersuchung gestützt. Sie hat sich
vielmehr in der angefochtenen Entscheidung darauf beschränkt, zu prüfen, welche Kosten der
französischen Post für die Gewährung der logistischen und kaufmännischen Unterstützung
entstanden sind und inwieweit die SFMI-Chronopost diese erstattet hat.
74.
Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass die SFMI-Chronopost die der französischen Post für die
Gewährung der logistischen und kaufmännischen Unterstützung entstandenen Kosten bezahlt hat,
ergäbe sich daraus allein noch nicht, dass es sich nicht um staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels
92 EG-Vertrag handelt. Denn da die Post möglicherweise dank ihrer Stellung als öffentliches
Monopolunternehmen in der Lage war, einen Teil der logistischen und kaufmännischen Unterstützung
billiger zu gewähren als ein privates Unternehmen, das keine entsprechenden Rechte hat, kann die
Beihilfequalität der fraglichen Maßnahmen nicht ohne weitere Begründung anhand einer Prüfung
verneint werden, bei der nur die Kosten des öffentlichen Unternehmens berücksichtigt werden.
Vielmehr führt gerade der Umstand, dass die Muttergesellschaft eine Monopolstellung hat und die
Tätigkeit der Tochtergesellschaft dem Wettbewerb unterliegt, dazu, dass eine staatliche Beihilfe
vorliegen kann.
75.
Folglich hätte die Kommission prüfen müssen, ob diese vollständigen Kosten den Faktoren
entsprachen, die ein unter normalen Marktbedingungen tätiges Unternehmen bei der Festsetzung der
Vergütung für die von ihm erbrachten Dienstleistungen hätte berücksichtigen müssen. So hätte die
Kommission zumindest untersuchen müssen, ob die von der Post empfangene Gegenleistung mit
derjenigen vergleichbar war, die eine private Finanzgesellschaft oder eine private
Unternehmensgruppe gefordert hätte, die keine Monopolstellung hat und eine längerfristige globale
oder sektorale Strukturpolitik verfolgt (vgl. in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 21. März 1991
in der Rechtssache C-305/89, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-1603, Randnr. 20).
76.
Nach alledem hat die Kommission ihre Entscheidung auf eine unrichtige Auslegung des Artikels 92
EG-Vertrag gestützt, als sie das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe verneint hat, ohne zu prüfen, ob
die Vergütung, die die französische Post für die Gewährung der kaufmännischen und logistischen
Unterstützung der SFMI-Chronopost erhalten hat, einer Gegenleistung entsprach, wie sie unter
normalen Marktbedingungen verlangt worden wäre.
77.
Dieser Auslegung steht nicht der Hinweis der Kommission auf Artikel 222 EG-Vertrag (jetzt Artikel
295 EG) entgegen, wonach der EG-Vertrag die Eigentumsordnung in den Mitgliedstaaten unberührt
lässt. Wenn die Vergütung, die ein öffentliches Unternehmen mit Monopolstellung von seiner
Tochtergesellschaft für die dieser gewährte kaufmännische und logistische Unterstützung erhält, der
Gegenleistung entsprechen muss, die unter normalen Marktbedingungen verlangt worden wäre,
hindert dies ein solches öffentliches Unternehmen nämlich nicht daran, auf einem dem Wettbewerb
unterliegenden Markt tätig zu werden; vielmehr wird es den Wettbewerbsregeln unterstellt, wie es die
elementaren Grundsätze des Gemeinschaftsrechts vorschreiben. Das ist keine Beeinträchtigung des
öffentlichen Eigentums, sondern eine Gleichbehandlung des öffentlichen und des privaten
Eigentümers.
78.
Folglich greift der erste Teil des vierten Nichtigkeitsgrundes durch.
79.
Demnach ist Artikel 1 der angefochtenen Entscheidung insoweit für nichtig zu erklären, als darin
festgestellt wird, dass die von der französischen Post „La Poste“ ihrer Tochtergesellschaft SFMI-
Chronopost gewährte logistische und kommerzielle Unterstützung keine staatliche Beihilfe zugunsten
der SFMI-Chronopost darstellt, ohne dass der zweite Teil dieses Klagegrundes oder die anderen
Klagegründe zu prüfen wären, soweit sie die logistische und kaufmännische Unterstützung betreffen,
die die Post ihrer Tochtergesellschaft SFMI-Chronopost gewährt hat. Insbesondere bedarf der zweite
Klagegrund, mit dem die Klägerinnen im Wesentlichen geltend machen, dass die Begründung der
angefochtenen Entscheidung betreffend die logistische und kaufmännische Unterstützung
unzureichend sei, keiner Prüfung.
Vorbringen der Parteien
80.
Nach Auffassung der Klägerinnen muss die Kommission die praktische Wirksamkeit der Teilnahme
an dem Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag dadurch gewährleisten, dass sie dritten
Beteiligten die wesentlichen Erklärungen zu der Stellungnahme übersendet, die der betroffene
Mitgliedstaat nach der Veröffentlichtung über die bevorstehende Eröffnung dieses Verfahrens im
Amtsblatt abgegeben hat. Die angefochtene Entscheidung sei hauptsächlich auf Papiere gestützt, die
die französische Regierung der Kommission zugeleitet habe (Schreiben vom 21. Januar 1993, Telefax
vom 3. Mai 1993, Schreiben vom 18. Juni 1993, Mitteilung vom 30. Mai 1996, Antwortschreiben vom
August 1996 auf die Erklärungen des SFEI und das dieser als Anlage beigefügte Deloitte-Gutachten);
der SFEI habe trotz wiederholter Bemühungen zu keinem Zeitpunkt Zugang zu diesen Papieren (mit
Ausnahme von zwei Schreiben im Rahmen desVorabentscheidungsverfahrens, das zum Urteil in der
Rechtssache SFEI geführt habe) gehabt.
81.
Die Kommission hätte sie, auch wenn Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag das nicht ausdrücklich
vorschreibe, ausreichend informieren müssen, so dass sie ihr Anhörungsrecht und ihr Recht, am
Verwaltungsverfahren teilzunehmen, tatsächlich hätten ausüben können. Die Sachverhaltsschilderung
und die Argumentation der französischen Regierung seien von der Kommission fast wörtlich in die
angefochtene Entscheidung übernommen worden.
82.
Eine Entscheidung der Kommission, mit der diese das Vorliegen staatlicher Beihilfen verneine,
beeinträchtige die Wettbewerbsstellung des Beschwerdeführers erheblich. Seine Lage unterscheide
sich nicht von der des Beschwerdeführers im Rahmen der Artikel 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG)
und Artikel 86 EG-Vertrag (jetzt Artikel 82 EG) im Hinblick auf Entscheidungen, die an andere Personen
gerichtet seien. Für diese Fälle sei jedoch unstreitig, dass dem Beschwerdeführer rechtliches Gehör
zu gewähren sei, selbst wenn dieses nicht so weit gehe wie das des Adressaten der Entscheidung
und wenn es in einer Vorschrift vorgesehen sei.
83.
Folglich habe die Kommission den elementaren Grundsatz des rechtlichen Gehörs, insbesondere
des Zugangs zu Informationen, die die Grundlage einer Verwaltungsentscheidung bildeten, verletzt,
als sie dem SFEI den Zugang zu den Papieren, insbesondere zum Deloitte-Gutachten, verweigert
habe.
84.
Die Beklagte, die von den Streithelferinnen unterstützt wird, wendet sich gegen dieses Vorbringen.
Sie führt aus, eine Entscheidung, die die Prüfung der Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem
gemeinsamen Markt abschließe, sei immer an den betreffenden Mitgliedstaat gerichtet. Nur dieser
Mitgliedstaat müsse aufgefordert werden, zu den Argumenten der Kommission und den Erklärungen
der Beteiligten (einschließlich der Beschwerdeführer) zweckdienlich Stellung zu nehmen. Zu diesem
Zweck habe allein der Staat das Recht auf Akteneinsicht.
Würdigung durch das Gericht
85.
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Gewährung rechtlichen Gehörs in allen Verfahren, die zu
einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ein elementarer Grundsatz des
Gemeinschaftsrechts, der auch dann zu beachten ist, wenn eine besondere Regelung fehlt. Die
Beachtung dieses Grundsatzes erfordert es, dem betroffenen Unternehmen bereits im
Verwaltungsverfahren Gelegenheit zu geben, zum Vorliegen und zur Erheblichkeit der von der
Kommission angeführten Tatsachen, Beanstandungen und Umstände zweckdienlich Stellung zu
nehmen (Urteil des Gerichts vom 30. März 2000 in der Rechtssache T-65/96, Kish Glass/Kommission,
Slg. 2000, II-1885, Randnr. 32).
86.
Das Verwaltungsverfahren in Beihilfesachen wird jedoch nur gegen den betroffenen Mitgliedstaat
eröffnet. Die Konkurrenten des Beihilfebegünstigten, wie hier die Klägerinnen, werden lediglich als an
diesem Verfahren „Beteiligte“ angesehen.
87.
Weiter entspricht es ständiger Rechtsprechung, dass die Kommission den Beteiligten in der
Prüfungsphase nach Artikel 93 Absatz 2 Gelegenheit zur Äußerung geben muss (Urteile des
Gerichtshofes vom 19. Mai 1993 in der Rechtssache C-198/91, Cook/Kommission, Slg. 1993, I-2487,
Randnr. 22; vom 15. Juni 1993 in der Rechtssache C-225/91, Matra/Kommission, Slg. 1993, I-3203,
Randnr. 16, und vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-367/95 P, Kommission/Sytraval und Brink's
France, Slg. 1998, I-1719, Randnr. 59).
88.
Insbesondere zur Verpflichtung der Kommission, die Beteiligten im Rahmen des
Verwaltungsverfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag zu unterrichten, hat der Gerichtshof
entschieden, dass die Veröffentlichung einer Mitteilung im Amtsblatt ein angemessenes Mittel zur
Unterrichtung aller Beteiligten über die Einleitung eines Verfahrens ist (Urteil des Gerichtshofes vom
14. November 1984 in der Rechtssache 323/82, Intermills/Kommission, Slg. 1994, 3809, Randnr. 17),
dabei jedoch hervorgehoben, dass „diese Mitteilung ... lediglich dem Zweck [dient], von den
Beteiligten alle Auskünfte zu erhalten, die dazu beitragen können, der Kommission Klarheit über ihr
weiteres Vorgehen zu verschaffen“ (Urteile des Gerichtshofes vom 12. Juli 1973 in der Rechtssache
70/72, Kommission/Deutschland, Slg. 1973, 813, Randnr. 19, und des Gerichts vom 22. Oktober 1996
in der Rechtssache T-266/94, Skibsværftsforeningen u. a./Kommission, Slg. 1996, II-1399, Randnr.
256).
89.
Diese Rechtsprechung weist den Beteiligten im Wesentlichen die Rolle von Informationsquellen der
Kommission im Rahmen des gemäß Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag eingeleiteten
Verwaltungsverfahrens zu. Daraus folgt, dass die Beteiligten keinen Anspruch auf rechtliches Gehör
geltend machen können, wie er denjenigen zusteht, gegen die ein Verfahren eingeleitet worden ist;
sie haben lediglich das Recht, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls angemessen am
Verwaltungsverfahren beteiligt zu werden (Urteil des Gerichts vom 25. Juni 1998 in den Rechtssachen
T-371/94 und T-394/94, British Airways u. a. und British Midland Airways/Kommission, Slg. 1998, II-2405,
Randnrn. 59 und 60).
90.
Die Klägerinnen rügen, keinen Zugang zu den Papieren gehabt zu haben, die die französische
Regierung der Kommission im Verwaltungsverfahren vorgelegt hat. Die Kommission ist jedoch aufgrund
der eingeschränkten Beteiligungs- und Informationsrechte nicht verpflichtet, den Beteiligten die
Erklärungen oder Auskünfte zu übermitteln, die sie von der Regierung des betroffenen Mitgliedstaats
erhalten hat. Dass die Rechte der Beteiligten beschränkt sind, ändert freilich nichts an der
Verpflichtung der Kommission gemäß Artikel 190 EG-Vertrag (jetzt Artikel 253 EG), ihre endgültige
Entscheidung mit ausreichenden Gründen zu versehen.
91.
Demnach ist dieser Klagegrund unbegründet.
Vorbemerkungen
92.
Bestimmte Rügen, die die Klägerinnen im Rahmen des dritten Klagegrundes erhoben haben,
beziehen sich auf das, was die Klägerinnen als Bewertung der Kosten - als „Retropolation“ -
bezeichnet haben; sie betreffen den Zugang zu den Schaltern der französischen Post, die Gründe der
Rentabilität der SFMI-Chronopost und die interne Ertragskraft der SFMI-Chronopost. Dieses Vorbringen
hängt mit der Prüfung der Frage zusammen, ob die logistische und kaufmännische Unterstützung der
SFMI-Chronopost durch die französische Post als staatliche Beihilfe anzusehen ist.
93.
Weiter wollen die Klägerinnen zur Anwendung einer verringerten Lohnsteuer auf die Post darlegen,
dass, selbst wenn nur die der Post für die logistische und kaufmännische Unterstützung
entstandenen vollständigen Kosten berücksichtigt worden seien, diese geringer seien als die Kosten,
die ein privates Unternehmen gehabt hätte, denn die Post sei von der Mehrwertsteuer befreit und
unterliege nur einer verringerten Lohnsteuer. Da dieses Vorbringen zum Antrag auf Nichtigerklärung
der angefochtenen Entscheidung gehört, soll mit ihm dargetan werden, dass es sich bei der
Unterstützung der SFMI-Chronopost durch die französische Post um eine staatliche Beihilfe handele.
94.
Da das Gericht bereits festgestellt hat, dass Artikel 1 der angefochtenen Entscheidung insoweit für
nichtig zu erklären ist, als darin festgestellt wird, dass die logistische und kommerzielle Unterstützung,
die die Post ihrer Tochtergesellschaft SFMI-Chronopost gewährt hat, keine staatliche Beihilfe zu deren
Gunsten darstellt, brauchen die vorgenannten Argumente nicht mehr geprüft zu werden.
Die Werbemaßnahmen in Radio France und das Zollabfertigungsverfahren für die Sendungen der
SFMI-Chronopost
- Vorbringen der Beteiligten
95.
Zu den Werbemaßnahmen in Radio France tragen die Klägerinnen vor, der bloße Umstand, dass die
SFMI-Chronopost Zugang zu den Sendungen von Radio France habe, stelle trotz des dafür gezahlten
Preises eine staatliche Beihilfe dar. Der Zugang zu diesen Sendungen sei unter Verletzung der Radio
France vom Staat übertragenen Aufgabe ermöglicht worden, denn in diesem Sender dürfe keine
Markenwerbung betrieben werden. Diese Werbung verschaffe der SFMI-Chronopost einen Vorteil durch
die Gewährung öffentlicher Mittel, über die ihre Konkurrenten nicht verfügten. Außerdem seien die
staatlichen Mittel zugunsten eines Unternehmens zweckentfremdet worden, was zu einer weiteren
Belastung des Staates dadurch führe, dass Radio France Sendezeit im Rahmen der
Daseinsversorgung verloren gehe. Somit sei der Kommission ein offensichtlicherFehler bei der
Beurteilung der Tatsachen unterlaufen, als sie gemeint habe, dass der Zugang zu den Sendungen
von Radio France nicht zu einer Zuweisung staatlicher Mittel habe führen können.
96.
Die Beklagte stellt fest, dass die Klägerinnen nicht bestritten, dass die SFMI-Chronopost sich an
eine Werbeagentur gewandt und aufgrund des von dieser u. a. mit Radio France geschlossenen
Vertrages den Marktpreis bezahlt habe. Aufgrund dieses Verfahrens, der gleichzeitigen Werbung in
anderen Sendern sowie der Radio France gezahlten Vergütung stehe fest, dass der Staat den
Bedingungen des Marktes entsprechend bezahlt worden sei. Folglich sei es nicht zu einer
Übertragung öffentlicher Mittel und nicht einmal zu einem entgangenen Gewinn, sondern vielmehr zu
einem Reingewinn für den Staat gekommen.
97.
Zu dem Zollabfertigungsverfahren für die Sendungen der SFMI-Chronopost in der Zeit von April
1986 bis Januar 1987 führen die Klägerinnen aus, die Zollformalitäten der SFMI-Chronopost seien von
der französischen Post in ihren Geschäftsräumen nach einem besonderen Verfahren abgewickelt
worden. Die Anwendung dieses Verfahrens auf die SFMI-Chronopost verschaffe dieser zunächst einen
Vorteil durch die schnelle Abfertigung, was eine merkliche Vergünstigung im Rahmen der
internationalen Expresszustellung darstelle. Dieser Vorteil werde in der angefochtenen Entscheidung
nicht geleugnet; dort heiße es, dass die Sonderregelung günstiger sei als die allgemeine Regelung,
und zwar „in dem Sinne, dass die Abfertigung schneller erfolgte“.
98.
Die Klägerinnen hätten in ihren Erklärungen vom 17. August 1996 diesen Vorteil bereits im
Einzelnen beziffert; er habe sich im Durchschnitt auf 140 FRF pro zollpflichtige Sendung für die
(administrativen, operativen, finanziellen und mit Haftungsfragen zusammenhängenden)
Zollformalitäten belaufen, die die privaten Gesellschaften tragen müssten, von denen die SFMI-
Chronopost jedoch befreit sei. Dieser Betrag entspreche im Übrigen der Differenz zwischen dem Preis
der Versendung eines „Schreibens“ (Sendung von geringem Wert) und dem Preis der Sendung eines
„Päckchens“ (Sendung von nicht geringem Wert). Die Klägerinnen nennen als Beispiel die Kosten, die
einer Privatgesellschaft für eine Zollanmeldung entstünden: DHL France zahle ihrer auf
Zollabfertigung spezialisierten Tochtergesellschaft für die Zollanmeldungen je nach Bestimmungsort
60 bis 95 FRF. Für die Einfuhr müsse ein Betrag in derselben Größenordnung hinzugefügt werden, was
einen Durchschnittsgesamtbetrag von 140 FRF ergebe. Die SFMI-Chronopost unterscheide anders als
die anderen Zustelldienste in ihren Tarifen nicht zwischen Sendungen mit geringem Wert und
anderen. Dies finde seine Erklärung darin, dass sie die Kosten der Zollabfertigung nicht trage.
99.
Seit Januar 1987 habe die SFMI-Chronopost mehrere Vorteile gehabt, die sich aus den
vereinfachten Postverfahren gegenüber den für private Expresszustelldienste geltenden allgemeinen
Verfahren ergäben. Insbesondere sei zu ihren Gunsten ein vereinfachtes Zollabfertigungsverfahren
angewandt worden (beschleunigte Abfertigung; die Ware wird dank des Etiketts C1 bzw. des Formulars
C2/CP3schneller abgefertigt), sie habe einen kaufmännischen Vorteil gehabt (keine Rechnung
unterhalb eines bestimmten Betrages), keine Besteuerung von Proben und Geschenken jenseits des
Zollfreibetrags bei der Einfuhr nach Frankreich oder in das Bestimmungsland, vereinfachte
administrative Behandlung (keine Vorbereitung durch Papiere) und geringe Betriebskosten (daher
dieselben Tarife wie bei nicht zollpflichtigen Waren).
100.
Die Beklagte führt aus, die sehr technische Argumentation der Klägerinnen sei für die Frage, ob
staatliche Beihilfen vorlägen, unerheblich. Denn das setze die Verwendung öffentlicher Mittel voraus.
Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass die Sendungen der SFMI-Chronopost in einem
vereinfachten Verfahren verzollt worden seien, führe das nicht zur Überlassung staatlicher Mittel.
101.
Zwar seien die Zollformalitäten von April 1986 bis Januar 1987 von der Post vorgenommen worden.
Der Generaldirektor für Zölle habe jedoch mit Schreiben vom 3. Juni 1986 bestätigt: „dass das auf die
Zustelldienste anwendbare Zollverfahren auf die Tätigkeit der SFMI hinsichtlich der Verzollung der
Sendungen angewandt werden müsse, und die Verzollung der zollpflichtigen Waren durch die
Einreichung von Zollanmeldungen dementsprechend erfolgen werde“. Die Bestätigung zeige, dass die
SFMI-Chronopost keinerlei Vorteile habe. Zudem habe die SFMI-Chronopost der französischen Post die
Kosten erstattet, die dieser im Zusammenhang mit dem Zollverfahren entstanden seien.
102.
Zu den angeblichen Mehrkosten von 140 FRF und den unterschiedlichen Tarifen bemerkt die
Beklagte, diese Unterschiede spiegelten vielmehr die kaufmännische Politik eines Unternehmens
wider. Die Firma DHL berechne zum Beispiel für Sendungen von 10 kg unabhängig davon, ob es sich
um ein Päckchen oder Papiere handele, dieselben Tarife. So habe die SFMI-Chronopost beschlossen,
ebenso wie ihre Konkurrentin Federal express international keinen Unterschied zwischen Papieren und
Päckchen zu machen. Folglich sei der Betrag von 140 FRF willkürlich und stehe mit den SFMI-
Chronopost entstandenen Kosten in keinem Zusammenhang.
103.
Die einzige Neuheit seit Februar 1987 sei der Umstand, dass die SFMI-Chronopost die Eigenschaft
eines Zollagenten erlangt habe, wobei das Zollabfertigungsverfahren sich aus dem Schreiben vom 3.
Juni 1986 ergebe. Außerdem hätten von Anfang 1987 bis Ende 1991 gemäß der
Verwaltungsentscheidung 86-88 der Zollverwaltung vom 13. Mai 1986 Vereinbarungen zwischen jedem
Zustelldienst und der Zollverwaltung bestanden; die Klägerinnen hätten nicht dargetan, dass sie
gegenüber der SFMI-Chronopost benachteiligt worden seien.
104.
Ein dienstlicher Vermerk der französischen Post vom 16. Januar 1987 bestätige, dass auf die SFMI-
Chronopost bei der Ausfuhrabfertigung die normalen Vorschriften anzuwenden seien. Außerdem habe
die SFMI-Chronopost von 1986bis 1992 Erzeugnisse des Weltpostvereins vertrieben und deshalb
zusätzliche Formalitäten beachten, nämlich die diesem vorgeschriebenen Dokumente C1 und C2/CP3
verwenden müssen. Was die Bestimmungsländer angeht, weist die Beklagte darauf hin, dass die
Formulare C1 und C2/CP3 keinen Einfluss auf die nationalen Zollabfertigungsverfahren hätten, die in
die ausschließliche Zuständigkeit dieser Länder fielen und folglich der Französischen Republik nicht
angelastet werden könnten
- Würdigung durch das Gericht
105.
Die Unterscheidung zwischen staatlichen und aus staatlichen Mitteln gewährten Beihilfen dient
dazu, in den Beihilfebegriff nicht nur die unmittelbar vom Staat gewährten, sondern auch diejenigen
Beihilfen einzubeziehen, die über vom Staat benannte oder errichtete öffentliche oder private
Einrichtungen gewährt werden (Urteile des Gerichtshofes vom 17. März 1993 in den Rechtssachen C-
72/91 und C-73/91, Sloman Neptun, Slg. 1993, I-887, Randnr. 19; vom 30. November 1993 in der
Rechtssache C-189/91, Kirsammer-Hack, Slg. 1993, I-6185, Randnr. 17 und vom 7. Mai 1998 in den
Rechtssachen C-52/97, C-53/97 und C-54/97, Viscido u. a., Slg. 1998, I-2629, Randnr. 13).
106.
Der Begriff „Beihilfe“ bezieht auch Vorteile ein, die eine zusätzliche Belastung für den Staat oder die
für diesen Zweck benannten oder errichteten Einrichtungen darstellen (Urteil Ecotrade, a. a. O.,
Randnrn. 35 und 43).
107.
Außerdem ist, worauf bereits hingewiesen worden ist, der Begriff der Beihilfe weiter als der Begriff
der Subvention, da er nicht nur positive Leistungen wie die Subventionen, sondern auch Maßnahmen
umfasst, die in unterschiedlicher Weise die Belastungen vermindern, die ein Unternehmen sonst zu
tragen hat, und die somit zwar keine Subventionen im strengen Sinne des Wortes darstellen, diesen
aber nach Art und Wirkung gleichstehen (Urteil des Gerichtshofes vom 27. Juni 2000 in der
Rechtssache C-404/97, Kommission/Portugal, Slg. 2000, I-0000, Randnr. 44; Urteile SFEI, Randnr. 58,
und Banco Exterior de España, a. a. O., Randnr. 13).
108.
Jedoch kann es nicht als staatliche Beihilfe angesehen werden, dass der SFNI-Chronopost gestattet
wurde, in den Sendungen von Radio France Werbung zu treiben; dieser Zugang führte weder zu einer
Übertragung staatlicher Mittel, noch zu einer zusätzlichen Belastung für den Staat oder die für diesen
Zweck benannten oder errichteten Einrichtungen, noch zu einer Verminderung der Belastungen, die
SFMI-Chronopost sonst zu tragen hätte, da sie für ihre Werbung den Marktpreis bezahlt hat.
109.
Folglich stellt die der SFMI-Chronopost eingeräumte Möglichkeit, Werbung in den Sendungen von
Radio France zu treiben, auch dann keine staatliche Beihilfe dar, wenn die Sendezeit unter Verletzung
der für Radio France geltenden Regeln gewährt worden sein sollte.
110.
Auch das Verfahren der Zollabfertigung der Sendungen der SFMI-Chronopost stellt selbst dann,
wenn die Verzollung der Sendungen der SFMI-Chronopost vereinfacht worden sein sollte, weder eine
Übertragung staatlicher Mittel noch eine zusätzliche Belastung für den Staat dar. Die Klägerinnen
haben auch nicht versucht, darzutun, dass die angebliche vereinfachte Behandlung zu einer
Übertragung von staatlichen Mitteln oder zu einer zusätzlichen Belastung für den Staat geführt hätte.
Die Frage, ob und welche Belastungen die SFMI-Chronopost ohne die logistische Unterstützung durch
die Post hätte tragen müssen, braucht nicht geprüft zu werden, da das Gericht bereits festgestellt
hat, dass Artikel 1 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären ist, soweit darin
festgestellt wird, dass die von der französischen Post ihrer Tochtergesellschaft SFMI-Chronopost
gewährte logistische Unterstützung keine staatliche Beihilfe zugunsten von SFMI-Chronopost darstellt.
111.
Die Klägerinnen behaupten jedoch weiter, dass von April 1986 bis Januar 1987 die sonst von SFMI-
Chronopost zu tragenden Zollkosten von der französischen Post übernommen worden seien. Dazu
haben die französische Regierung und die Kommission vorgetragen, dass die Zollverfahren von der
Post für Rechnung der SFMI-Chronopost abgewickelt worden seien. Die Kommission hat allerdings von
den Klägerinnen unbestritten vorgetragen, dass die SFMI-Chronopost die Verzollungskosten
vollständig erstattet habe. Bei der Frage, ob die SFMI-Chronopost dadurch Vorteile gehabt hat, dass
die Post vor 1987 die Zollformalitäten für ihre internationalen Tätigkeiten erledigt hat, handelt es sich
um eine eventuelle logistische Unterstützung, deren Vergütung die Kommission ebenso zu beurteilen
hat wie die Vergütung für jede andere logistische Unterstützung. Somit braucht auch die Rüge, die auf
die von der Post vor 1987 geleistete Hilfe in Zollangelegenheiten gestützt worden ist und mit den im
Rahmen des vierten Klagegrundes untersuchten Rügen zusammenfällt, nicht geprüft zu werden.
112.
Nach alledem ist die mit der Werbung in den Sendungen von Radio France zusammenhängende
Rüge zurückzuweisen.
Die Stempelgebühren
- Vorbringen der Parteien
113.
Die Klägerinnen führen aus, mit der Stempelgebühr von 4 FRF (früher lag sie niedriger) würden die
Frachtbriefe und alle sie vertretenden Schriftstücke belastet. Die SFMI-Chronopost sei für Briefe und
Pakete, die keine Ware enthielten, von der Stempelgebühr befreit, während die anderen
Expresszustelldienste diese Gebühr für alle ihre Beförderungen einschließlich der Briefe und Pakete,
die keine Ware enthielten, entrichten müssten.
114.
Zahlreiche Abgabenstreitigkeiten über erhebliche Beträge, mit denen die in diesem Sektor tätigen
Firmen mit Ausnahme der SFMI-Chronopost belastet würden, zeigten, dass die Kommission zu unrecht
behaupte, dass die Befreiung von der Stempelgebühr die (keine Ware enthaltenden) Sendungen aller
Wirtschaftsteilnehmer betreffe. Zum Beweis für ihre Behauptung haben die Klägerinnen Protokolle der
Direktion der französischen Zolldienste über Verfahren der Beitreibung gegen die Firma DHL
vorgelegt.
115.
Die Beklagte trägt vor, die SFMI-Chronopost habe die allgemein von allen Wirtschaftsteilnehmern für
Sendungen, die Waren enthielten (nicht dagegen für Dokumente) gemäß den Artikeln 925 und 313
des Code général des impôts français (Abgabenordnung) geschuldeten Stempelgebühren entrichtet.
Sie nimmt Bezug auf ein die SFMI-Chronopost betreffendes Steuerpapier und bemerkt, die dort
genannte Befreiung von Sendungen, die keine Ware enthielten, betreffe nicht die SFMI-Chronopost
besonders, sondern alle in diesem Sektor tätigen Wirtschaftsteilnehmer. Auch enthalte die
Stellungnahme des französischen Finanzministers zu der Prüfung der Buchhaltung der SFMI-
Chronopost die Bestätigung, dass keine Rückerstattung vorgenommen worden sei, denn es heiße
dort, dass die von der SFMI-Chronopost entrichtete Registrier- und ähnliche Gebühr zu keiner
Rückbuchung geführt hätte.
116.
Die Klägerinnen bestätigten diese Rechtslage, wenn sie vortrügen, dass die Beförderungsverträge
über Sendungen, die keine Ware enthielten, von der Stempelgebühr befreit seien. Da es der
Abgabenordnung entspreche, diese Sendungen nicht mit der Gebühr zu belegen, beanstandeten die
Klägerinnen in Wirklichkeit die angebliche falsche Anwendung dieser Vorschriften auf ihre Sendungen,
denn sie beriefen sich nicht mehr auf die angeblich der SFMI-Chronopost gewährte Befreiung, sondern
beanstandeten ihre eigene angeblich rechtswidrige Besteuerung.
117.
Jedenfalls könne aus einer angeblich rechtswidrigen Besteuerung eines Wirtschaftsteilnehmers
nicht auf das Vorliegen einer staatlichen Beihilfe zugunsten eines anderen, korrekt besteuerten
Wirtschaftsteilnehmers geschlossen werden. Entsprechend könne auch von einer Verwendung der
staatlichen Mittel im Sinne einer Übertragung von Mitteln oder eines entgangenen Gewinns nicht die
Rede sein, da die einzige Konsequenz des angeblichen Irrtums des Fiskus betreffend DHL zusätzliche
Einnahmen für den Staat seien.
118.
Chronopost trägt vor, der Anwendungsbereich der Gebühr nach den Artikeln 925 ff. der
Abgabenordnung sei allgemein durch die Verwaltungslehre beschränkt worden, nach der nur
Beförderungsverträge über Waren der Stempelgebühr für Beförderungsverträge unterlägen. Befreit
seien somit nicht die SFMI-Chronopost, sondern die Beförderungsverträge, die keine Waren zum
Gegenstand hätten.
- Würdigung durch das Gericht
119.
Nach dem Vorbringen der Beklagten und der Streithelferinnen ist die SFMI-Chronopost nicht in den
Genuss einer besonderen Befreiung gelangt, da die Stempelgebühr nicht auf Beförderungsverträge
anwendbar sei, die keine Waren zum Gegenstand hätten.
120.
Die Klägerinnen haben nicht das Gegenteil bewiesen. Sie nehmen nämlich auf das Protokoll des
Verwaltungsrats der SFMI vom 20. Dezember 1988 Bezug, wo es heißt, dass die Verbesserung des
Cash-flow der SFMI im Jahre 1988 u. a. auf „die Gewährung der Befreiung von der Stempelgebühr ... für
Papiere durch die Verwaltung“ zurückzuführen ist. Diese Gewährung habe sich in dem Kontoauszug
der SFMI für das Wirtschaftsjahr 1988 niedergeschlagen, in dem eine Rückstellung für Risiken und
Belastungen von 12 385 374 FRF mit der Bezeichnung „Stempelkosten für Papiere“ und dem Zusatz
„entsprechend der Antwort des Ministeriums für Wirtschaft, Finanzen und Haushalt vom 23.
September 1988 ist die SFMI von der Stempelgebühr für Briefe und Pakete, die keine Ware enthalten,
befreit“ vorgenommen wurde. Die Vorzugsbehandlung der SFMI-Chronopost werde noch in einem
Parlamentsbericht von 1997 über die französische Post angesprochen, wo es heiße, dass diese für
die Korrespondenz und andere beförderte Päckchen von der Stempelgebühr befreit sei.
121.
Aus den ersten beiden Papieren ergibt sich nicht, dass nicht alle Beförderungsverträge, die keine
Waren zum Gegenstand haben, von der Stempelgebühr befreit sind. Dort heißt es lediglich, dass
zumindest der SFMI-Chronopost diese Befreiung zugute gekommen ist. In dem Auszug aus dem
parlamentarischen Bericht wird allein die Post erwähnt.
122.
Zu den Protokollen der Direktion der Zolldienste über die Beitreibungsverfahren gegen die Firma
DHL ist im Einklang mit der Kommission festzustellen, dass aus einer eventuellen rechtswidrigen
Besteuerung eines Wirtschaftsteilnehmers nicht auf eine staatliche Beihilfe zugunsten eines anderen,
korrekt besteuerten Wirtschaftsteilnehmers geschlossen werden kann. Die Firma DHL weist selbst in
ihrer Beschwerde vom 2. September 1997 gegen den Beitreibungsbescheid vom 15. Juli 1997 darauf
hin, dass nur Beförderungsverträge über Waren der Stempelgebühr nach den Artikeln 925 ff. der
Abgabenordnung unterlägen.
123.
Dieses Vorbringen ist somit als unbegründet zurückzuweisen.
124.
Aus diesen Gründen ist der dritte Klagegrund insoweit zurückzuweisen, als er nicht Rügen zum
Gegenstand hat, die mit denen zusammenfallen, die im Rahmen des vierten Klagegrundes geprüft
worden sind.
Die Anträge auf Vorlage von Dokumenten
125.
Aufgrund dieser Erwägungen erübrigt sich die Anordnung der Vorlage von zusätzlichen
Dokumenten.
Kosten
126.
Gemäß Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen oder beschließen,
daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage
nur teilweise stattgegeben wurde, hält es das Gericht bei angemessener Berücksichtigung der
Umstände des Falles für geboten, den Klägerinnen 10 % ihrer eigenen Kosten und der Kommission
ihre eigenen Kosten sowie 90 % der Kosten der Klägerinnen aufzuerlegen.
127.
Die Französische Republik, Chronopost und die französische Post „La Poste“, die dem Rechtsstreit
als Streithelferinnen beigetreten sind, tragen gemäß Artikel 87 § 4 Absätze 1 und 3 der
Verfahrensordnung ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Vierte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Artikel 1 der Entscheidung 98/365/EG der Kommission vom 1. Oktober 1997 über
angebliche Beihilfen Frankreichs zugunsten der SFMI-Chronopost wird insoweit für nichtig
erklärt, als darin festgestellt wird, dass die von der französischen Post „La Poste“ ihrer
Tochtergesellschaft SFMI-Chronopost gewährte logistische und kommerzielle
Unterstützung keine staatliche Beihilfe zugunsten der SFMI-Chronopost darstellt.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Klägerinnen tragen 10 % ihrer eigenen Kosten.
4. Die Kommission trägt ihre eigenen Kosten und 90 % der Kosten der Klägerinnen.
5. Die Französische Republik, die Chronopost SA und die französische Post La Poste
tragen ihre eigenen Kosten.
Tiili
Lindh
Moura Ramos
Cooke Mengozzi
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Dezember 2000.
Der Kanzler
Die Präsidentin
H. Jung
V. Tiili
Verfahrenssprache: Französisch.