Urteil des EuG vom 20.03.2002
EuG: kommission, markt, mildernder umstand, kartell, zusammenarbeit, verordnung, aufteilung, mildernde umstände, erschwerender umstand, hersteller
URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)
20. März 2002
„Wettbewerb - Kartell - Fernwärmerohre - Artikel 85 EG-Vertrag (jetzt Artikel 81 EG) - Fortgesetzte
Zuwiderhandlung - Boykott - Akteneinsicht - Geldbuße - Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von
Geldbußen - Rückwirkungsverbot - Berechtigtes Vertrauen“
In der Rechtssache T-23/99
LR AF 1998 A/S,
Rechtsanwälte D. Waelbroeck und H. Peytz, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 1999/60/EG der Kommission vom 21. Oktober 1998 in einem
Verfahren gemäß Artikel 85 EG-Vertrag (Sache IV/35.691/E-4: Fernwärmetechnik-Kartell) (ABl. 1999, L 24, S.
1), hilfsweise wegen Herabsetzung der mit dieser Entscheidung gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße,
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten P. Mengozzi sowie der Richterin V. Tiili und des Richters R. M. Moura
Ramos,
Kanzler: G. Herzig, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2000,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
1.
Die LR AF 1998 A/S, vormals Løgstør Rør A/S, ist eine dänische Gesellschaft, die im maßgeblichen
Zeitraum Rohre herstellte und verkaufte, die u. a. im Fernwärmebereich verwendet wurden.
2.
Bei den Fernwärmesystemen wird das an einem zentralen Ort erwärmte Heizwasser durch im
Erdboden verlegte Rohrleitungen auf die zu heizenden Gebäude verteilt. Da die Temperatur des
Heizwassers (bzw. des Wasserdampfes) sehr hoch ist, müssen die Rohrleitungen zur effizienten und
sicheren Verteilung gedämmt sein. Die verwendeten vorgedämmten Rohre bestehen in der Regel aus
einem Stahlrohr, das von einem Kunststoffrohr umgeben ist, wobei der Zwischenraum zwischen beiden
mit einer Schaumstoffdämmung ausgefüllt ist.
3.
Fernwärmerohre sind Gegenstand eines umfangreichen Handels zwischen den Mitgliedstaaten. Die
größten Inlandsmärkte der Europäischen Union sind Deutschland mit 40 % des Gesamtverbrauchs in
der Gemeinschaft und Dänemarkmit 20 %. Mit 50 % der Fertigungskapazität in der Europäischen
Union ist Dänemark deren Haupterzeugerland, das alle Mitgliedstaaten beliefert, in denen
Fernwärmesysteme genutzt werden.
4.
Mit einer Beschwerde vom 18. Januar 1995 teilte das schwedische Unternehmen Powerpipe AB der
Kommission mit, dass die übrigen Hersteller und Anbieter von Fernwärmerohren ein Kartell gebildet
hätten, mit dem sie den europäischen Markt unter sich aufgeteilt hätten, und dass sie aufeinander
abgestimmte Maßnahmen ergriffen hätten, um das Geschäft der Beschwerdeführerin zu schädigen,
ihre Aktivitäten auf den schwedischen Markt zu beschränken und/oder sie ganz aus dem Geschäft zu
drängen.
5.
Am 28. Juni 1995 führten Kommissionsbeamte und Vertreter der Wettbewerbsbehörden der
betreffenden Mitgliedstaaten auf der Grundlage einer Entscheidung der Kommission vom 12. Juni 1995
gleichzeitig und unangekündigt Nachprüfungen bei zehn Unternehmen und
Unternehmensvereinigungen der Fernwärmebranche durch, zu denen auch die Klägerin gehörte (im
Folgenden: Nachprüfungen).
6.
Anschließend richtete die Kommission an die Klägerin und die meisten vom streitgegenständlichen
Sachverhalt betroffenen Unternehmen Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17
des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des
Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204).
7.
Am 20. März 1997 richtete die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an die Klägerin
und die anderen betroffenen Unternehmen. Eine Anhörung dieser Unternehmen fand sodann am 24.
und 25. November 1997 statt.
8.
Am 21. Oktober 1998 erließ die Kommission die Entscheidung 1999/60/EG in einem Verfahren
gemäß Artikel 85 EG-Vertrag (Sache IV/35.691/E-4: Fernwärmetechnik-Kartell) (ABl. 1999, L 24, S. 1),
die vor ihrer Veröffentlichung durch Entscheidung vom 6. November 1998 berichtigt wurde (C[1998]
3415 endg.) (im Folgenden: Entscheidung oder angefochtene Entscheidung); darin stellte sie fest,
dass verschiedene Unternehmen, darunter die Klägerin, an miteinander verbundenen Vereinbarungen
und aufeinander abgestimmten Verhaltensweisen im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt
Artikel 81 Absatz 1 EG) mitgewirkt hätten (im Folgenden: Kartell).
9.
In der Entscheidung wird ausgeführt, dass sich die vier dänischen Hersteller von Fernwärmerohren
Ende 1990 auf die Grundsätze für eine allgemeine Zusammenarbeit auf ihrem Inlandsmarkt geeinigt
hätten. An dieser Vereinbarung hätten die Klägerin sowie die dänische Tochtergesellschaft des
schwedisch-schweizerischen Industriekonzerns ABB Asea Brown Boveri Ltd, ABB IC Møller A/S (im
Folgenden: ABB), die auch unter dem Namen Starpipe bekannte DanskRørindustri A/S (im Folgenden:
Dansk Rørindustri) und die Tarco Energi A/S (im Folgenden: Tarco) teilgenommen (im Folgenden
gemeinsam: dänische Hersteller). Eine der ersten Maßnahmen sei die Koordinierung einer
Preiserhöhung sowohl auf dem dänischen Markt als auch auf den Auslandsmärkten gewesen. Zur
Aufteilung des dänischen Marktes seien Quoten vereinbart und sodann von einer aus den
Verkaufsleitern der betreffenden Unternehmen bestehenden „Kontaktgruppe“ angewandt und
überwacht worden. Bei jedem geschäftlichen Projekt (im Folgenden: Projekt) habe das Unternehmen,
dem der Auftrag von der Kontaktgruppe zugeteilt worden sei, die anderen Beteiligten darüber
informiert, zu welchem Preis es ein Angebot abzugeben gedenke, und diese hätten dann Angebote
mit einem höheren Preis abgegeben, um den vom Kartell vorgesehenen Anbieter zu schützen.
10.
Ab Herbst 1991 hätten auch zwei deutsche Hersteller - die Gruppe Henss/Isoplus (im Folgenden:
Henss/Isoplus) und die Pan-Isovit GmbH (im Folgenden: Pan-Isovit) - an den regelmäßigen Treffen der
dänischen Hersteller teilgenommen. Bei diesen Treffen hätten Verhandlungen über die Aufteilung des
deutschen Marktes stattgefunden, die im August 1993 zu Vereinbarungen über die Festlegung von
Verkaufsquoten für jedes beteiligte Unternehmen geführt hätten.
11.
Zwischen all diesen Herstellern seien 1994 Quoten für den gesamten europäischen Markt
vereinbart worden. Dieses europaweite Kartell habe eine zweistufige Struktur gehabt. Der
„Geschäftsführer-Klub“, dem die Vorstandsvorsitzenden und Geschäftsführer der am Kartell beteiligten
Hersteller angehört hätten, habe die Quoten festgelegt, die jedem Unternehmen sowohl auf dem
Gesamtmarkt als auch auf den einzelnen Inlandsmärkten - insbesondere Dänemark, Deutschland,
Finnland, Italien, Niederlande, Österreich und Schweden - zugeteilt worden seien. Für bestimmte
Inlandsmärkte seien „Kontaktgruppen“ eingerichtet worden, die in der Regel aus den jeweiligen
Verkaufsleitern bestanden hätten; diesen sei die Aufgabe übertragen worden, die Vereinbarungen
durch Zuteilung einzelner Aufträge und durch Koordinierung der Angebote umzusetzen.
12.
Zum deutschen Markt heißt es in der Entscheidung, nach einem Treffen der sechs größten
europäischen Hersteller (ABB, Dansk Rørindustri, Henss/Isoplus, Pan-Isovit, Tarco und die Klägerin)
und der Brugg Rohrsysteme GmbH (im Folgenden: Brugg) am 18. August 1994 habe am 7. Oktober
1994 das erste Treffen der Kontaktgruppe für Deutschland stattgefunden. Die Treffen dieser
Kontaktgruppe seien noch lange nach den Ende Juni 1995 vorgenommenen Nachprüfungen der
Kommission fortgeführt worden, auch wenn sie von diesem Zeitpunkt an außerhalb der Europäischen
Union, in Zürich, stattgefunden hätten. Die Treffen in Zürich seien bis zum 25. März 1996 fortgesetzt
worden.
13.
Als Bestandteil des Kartells wird in der Entscheidung u. a. die Vereinbarung und Durchführung
aufeinander abgestimmter Maßnahmen genannt, um mit Powerpipe das einzige nicht am Kartell
beteiligte Unternehmen von Bedeutung auszuschalten. Bestimmte Teilnehmer des Kartells hätten
wichtige Mitarbeiter von Powerpipeabgeworben und Powerpipe klargemacht, dass sie sich vom
deutschen Markt zurückziehen solle. Nachdem Powerpipe im März 1995 den Zuschlag für ein
bedeutendes deutsches Projekt erhalten habe, habe in Düsseldorf ein Treffen stattgefunden, an dem
die sechs genannten Hersteller und Brugg teilgenommen hätten. Bei diesem Treffen sei ein kollektiver
Boykott der Kunden und Zulieferer von Powerpipe beschlossen worden, der anschließend
durchgeführt worden sei.
14.
Die Kommission legt in ihrer Entscheidung die Gründe dar, aus denen nicht nur die ausdrückliche
Aufteilung der Marktanteile unter den dänischen Herstellern ab Ende 1990, sondern auch die
Wettbewerbsverstöße ab Oktober 1991 insgesamt als eine verbotene „Vereinbarung“ im Sinne von
Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag betrachtet werden könnten. Das „dänische“ und das „europaweite“
Kartell seien nur Ausprägungen eines einzigen Kartells, das in Dänemark begonnen habe, dessen
längerfristiges Ziel aber von Beginn an die Ausdehnung der Kontrolle der Teilnehmer auf den
gesamten Markt gewesen sei. Die fortdauernde Vereinbarung zwischen den Herstellern habe eine
merkliche Auswirkung auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten gehabt.
15.
Aus diesen Gründen enthält die Entscheidung folgenden verfügenden Teil:
„
ABB Asea Brown Boveri Ltd, Brugg Rohrsysteme GmbH, Dansk Rørindustri A/S, die Gruppe
Henss/Isoplus, KE KELIT Kunststoffwerk Ges.mbH, Oy KWH Pipe AB, Løgstør Rør A/S, Pan-Isovit GmbH,
Sigma Tecnologie Di Rivestimento S.r.l. und Tarco Energi A/S haben gegen Artikel 85 Absatz 1 EG-
Vertrag verstoßen, indem sie in der in der Begründung ausgeführten Weise und dem genannten
Umfang an miteinander verbundenen Vereinbarungen und aufeinander abgestimmten
Verhaltensweisen im Sektor der vorisolierten Rohre mitgewirkt haben, die im November/Dezember
1990 von den vier dänischen Herstellern eingeleitet und anschließend auf andere nationale Märkte
ausgeweitet wurden und Pan-Isovit sowie Henss/Isoplus einbezogen haben, und Ende 1994 aus einem
umfassenden Kartell bestanden, das sich auf den gesamten Gemeinsamen Markt erstreckte.
Die Dauer der Zuwiderhandlungen war wie folgt:
- im Fall von ... Løgstør ... zwischen November/Dezember 1990 bis wenigstens März/April 1996
...
Die wesentlichen Merkmale der Zuwiderhandlungen waren:
- Aufteilung der nationalen Märkte und schließlich des gesamten europäischen Marktes anhand von
Quoten;
- Zuteilung von nationalen Märkten an einzelne Hersteller und Vorkehrungen für den Rückzug
anderer Hersteller;
- Vereinbarung von Preisen für vorgedämmte Rohre und für einzelne Vorhaben;
- Zuteilung einzelner Vorhaben an ausgewählte Hersteller und Manipulierung der
Ausschreibungsverfahren für diese Vorhaben, um zu gewährleisten, dass der vorgesehene Hersteller
den Zuschlag erhält;
- Vereinbarung und Durchführung aufeinander abgestimmter Maßnahmen, um das Kartell vor dem
Wettbewerb des einzigen großen Nichtmitglieds Powerpipe AB zu schützen, dessen Geschäft zu
behindern und zu schädigen bzw. dieses Unternehmen aus dem Markt zu verdrängen.
...
Gegen die nachstehend aufgeführten Unternehmen werden wegen der in Artikel 1 genannten
Zuwiderhandlungen folgende Geldbußen festgesetzt:
...
g) Løgstør Rør A/S eine Geldbuße von 8 900 000 ECU,
...“
16.
Die Entscheidung wurde der Klägerin mit Schreiben vom 12. November 1998 zugestellt und ging bei
ihr am folgenden Tage ein.
Verfahren und Anträge der Parteien
17.
Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 21. Januar 1999 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen
ist, die vorliegende Klage erhoben.
18.
Sieben der neun anderen für die Zuwiderhandlung zur Verantwortung gezogenen Unternehmen
haben ebenfalls Klage gegen die Entscheidung erhoben (Rechtssachen T-9/99, T-15/99, T-16/99, T-
17/99, T-21/99, T-28/99 und T-31/99).
19.
Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Vierte Kammer) beschlossen, die mündliche
Verhandlung zu eröffnen, und die Parteien im Rahmen prozessleitenderMaßnahmen aufgefordert,
schriftliche Fragen zu beantworten und bestimmte Unterlagen vorzulegen. Die Parteien sind diesen
Aufforderungen nachgekommen.
20.
Die Parteien haben in der öffentlichen Sitzung vom 25. Oktober 2000 mündlich verhandelt und
mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.
21.
Die Klägerin beantragt,
- die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit sie sich auf sie bezieht;
- hilfsweise, ihre Geldbuße spürbar herabzusetzen;
- der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
22.
Die Beklagte beantragt,
- die Klage abzuweisen;
- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Begründetheit
23.
Die Klägerin beruft sich im Wesentlichen auf fünf Klagegründe. Mit dem ersten Klagegrund rügt sie
materielle Fehler bei der Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag. Mit dem zweiten Klagegrund
macht sie eine Verletzung der Verteidigungsrechte geltend. Der dritte Klagegrund betrifft Verstöße
gegen allgemeine Rechtsgrundsätze und materielle Fehler bei der Bemessung der Geldbuße. Der
vierte Klagegrund wird aus einem Verstoß gegen die Begründungspflicht bei der Bemessung der
Geldbuße abgeleitet. Der fünfte Klagegrund schließlich geht dahin, dass der bei nicht unverzüglicher
Zahlung auf die Geldbuße angewandte Zinssatz überhöht sei.
I -
A -
1. Vorbringen der Parteien
24.
Die Klägerin trägt vor, die Kommission behaupte in Randnummer 35 ihrer Entscheidung fälschlich,
dass sie Ende 1991 an einem Ausgleichsmechanismus teilgenommen habe. Als Tarco einen Ausgleich
für ihren verlorenen Marktanteil verlangt habe, habe sie lediglich vorgeschlagen, zugunsten von Tarco
ein Angebot auf dem isländischen Markt zurückzuziehen, von dessen Ablehnung durch
denisländischen Kunden sie bereits gewusst habe. Andere Ausgleichsmechanismen seien zwar
erörtert worden, doch habe sie letztlich keine Zahlung an Tarco geleistet. Dies zeige, dass sie nicht
die Absicht gehabt habe, an einer Ausgleichsregelung teilzunehmen, und dies auch tatsächlich nicht
getan habe.
25.
Die Beklagte hält die Erläuterungen der Klägerin für unzureichend, da diese einräume,
Ausgleichsmaßnahmen mit Tarco erörtert und vorgeschlagen zu haben, sich von einer Ausschreibung
zurückzuziehen. Das Argument, es sei kein finanzieller Ausgleich gezahlt worden, stehe der Analyse der
Ausgleichsregelung in der Entscheidung nicht entgegen.
2. Würdigung durch das Gericht
26.
Die Kommission vertritt in Randnummer 35 ihrer Entscheidung die Ansicht, in Bezug auf das Kartell
auf dem dänischen Markt sei unumstritten, dass Ende 1991 ein Ausgleichsmechanismus bestanden
habe, wobei nicht klar sei, wie die Ausgleichszahlungen genau vorgenommen worden seien. Insoweit
verweist sie zum einen auf Angaben von Tarco, nach denen Geldzahlungen geleistet und dafür
Rechnungen über den fiktiven Verkauf von Rohren ausgestellt worden seien, und zum anderen auf die
Antwort der Klägerin vom 2. Oktober 1997 auf das Auskunftsverlangen vom 26. August 1997, wonach
eine Ausgleichsforderung von Tarco durch Berücksichtigung bereits aufgegebener Bestellungen der
Klägerin bei Tarco und durch den Verzicht der Klägerin auf den eigenen Anteil an einem gemeinsamen
Projekt in Island zugunsten von Tarco beglichen worden sei (Randnr. 35 Absatz 2 der Entscheidung).
Die Kommission kommt sodann zu dem Ergebnis, unabhängig von der genauen Funktion im Jahr 1991
sei das Ausgleichssystem für 1992 geändert worden; statt Zahlungen sollte der überschüssige
Marktanteil auf das Folgejahr übertragen und Herstellern zugewiesen werden, die ihr Ziel nicht
erreicht hätten (Randnr. 35 Absatz 3 der Entscheidung).
27.
Die Klägerin räumt ein, dass es ihr bei Gesprächen mit Tarco im Anschluss an deren Forderung
nach einem Ausgleich für die entgangenen Projekte gelang, dieser Forderung dadurch
nachzukommen, dass sie ihren Rückzug von einem isländischen Projekt erklärte.
28.
Auch wenn die Klägerin wusste, dass sie den Zuschlag für dieses Projekt ohnehin nicht erhalten
würde, und auch wenn nach den Gesprächen mit Tarco keine Zahlung geleistet wurde, kann nicht
bestritten werden, dass die Klägerin zugunsten von Tarco ein Projekt aufgegeben hat, um einer
Ausgleichsforderung nachzukommen, die auf dem im Kartell vereinbarten Mechanismus beruhte.
29.
Die Kommission hat es folglich zu Recht als erwiesen angesehen, dass ein Ausgleichsmechanismus
bestand, auch wenn nicht klar ist, wie die Ausgleichszahlungen genau vorgenommen wurden.
30.
Die Rüge der Klägerin ist daher zurückzuweisen.
B -
31.
Die Klägerin bestreitet, „zwischen November/Dezember 1990 bis wenigstens März/April 1996“
fortgesetzt an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 EG-Vertrag mitgewirkt zu haben. Es habe zwei
getrennte Kartelle gegeben, von denen sich das eine auf den dänischen Markt beschränkt und von
Januar 1991 bis April 1993 bestanden habe, während sich das andere von März 1995 bis November
oder Dezember 1995 auf den europäischen Markt erstreckt habe und in Bezug auf Dänemark und
Deutschland durch eine Zusammenarbeit ergänzt worden sei, die Ende 1994 begonnen und in
sporadischer Form bis März 1996 gedauert habe.
32.
Zunächst ist das Vorbringen zur Mitwirkung der Klägerin am Kartell außerhalb des dänischen Markts
in der Zeit von 1990 bis 1993 zu prüfen, dann das Vorbringen zur Einstellung ihrer Mitwirkung im Jahr
1993 und zur Errichtung eines europaweiten Kartells ab 1994 und schließlich das Vorbringen zu Dauer
und Stetigkeit des Kartells.
1. Zur Mitwirkung am Kartell außerhalb des dänischen Marktes in der Zeit von 1990 bis 1993
- Vorbringen der Parteien
33.
Die Klägerin führt aus, es habe zwar in der Zeit von 1991 bis 1993 eine Reihe von Versuchen der
betroffenen Unternehmen zu einer Zusammenarbeit in Deutschland gegeben, doch diese Versuche
hätten keinen Erfolg gehabt und der Wettbewerb sei in dieser Zeit nicht verfälscht worden. Sie selbst
habe keine Vereinbarung über die Aufteilung des Marktes gewollt, weil sie geglaubt habe, ihren
Marktanteil erhöhen zu können. Bei den Treffen, an denen sie teilgenommen habe, habe sie sich
passiv verhalten und sei keine Verpflichtung eingegangen.
34.
Erstens habe sie nicht an einer Vereinbarung über die Erhöhung der Preise für 1991 einschließlich
der Preise auf den Exportmärkten teilgenommen. Die Kommission ziehe insoweit zu Unrecht den beim
Treffen des Unterausschusses des dänischen Fernwärmerats (der nichts mit dem Kartell zu tun
gehabt habe) am 22. November 1990 erstellten Vermerk heran, da die dort von den Herstellern
angekündigten Preiserhöhungen einseitig beschlossen worden seien. Für die am 12. November 1990
in Kraft getretenen Preiserhöhungen der Klägerin werde dies dadurch belegt, dass die neuen Preise
schon vor dem genannten Treffen veröffentlicht worden seien. Die Hersteller hätten keine
Preiserhöhungen „koordinieren“ können, die jeder von ihnen schon zuvor beschlossen habe. Die
gegenteilige Erklärung von Tarco, auf die sich auch die Kommission stütze, sei falsch. Im Übrigen habe
derjenige, der diese Erklärung unterschrieben habe, damals nicht zu den Mitarbeitern von Tarco
gehört und nicht an dem Treffen teilgenommen.
35.
In der Zeit von 1991 bis 1993 hätten die einzigen Zuwiderhandlungen außerhalb des dänischen
Marktes in einer für Deutschland geltenden Vereinbarung über die Erhöhung der Bruttolistenpreise ab
1. Januar 1992 und einer Vereinbarung vom 14. Oktober 1991 über die Zusammenarbeit in Italien bei
dem Turiner Projekt bestanden. Die Vereinbarung über die Bruttolistenpreise sei erst bei dem Treffen
am 10. Dezember 1991 zustande gekommen. Bei diesem Treffen habe es jedoch weder eine
Vereinbarung über gemeinsame Listenpreise noch über ein Programm monatlicher Treffen gegeben.
Die Vereinbarung über die Bruttolistenpreise habe vermutlich keine unmittelbaren Auswirkungen auf
den deutschen Markt gehabt, da die Klägerin dort über einen unabhängigen Vertriebshändler tätig
geworden sei, der seine eigenen Endpreise festgesetzt habe, und da die Erhöhungen der Listenpreise
durch Rabatte ausgeglichen worden sei, die sie ihrem deutschen Vertriebshändler gewährt habe. Das
Turiner Projekt sei ein isoliertes Beispiel für eine Zusammenarbeit ohne jede Auswirkung auf den
Markt gewesen.
36.
Zweitens habe die Klägerin entgegen der Behauptung der Kommission in den Randnummern 50
und 51 der Entscheidung nicht an einer Vereinbarung über die Aufteilung des deutschen Marktes für
1994 teilgenommen. Sie könne sich nicht an die in den Randnummern 49 und 50 der Entscheidung
beschriebenen Treffen in Kopenhagen am 30. Juni 1993 und in Zürich am 18. oder 19. August 1993
erinnern. Sie habe sich auch nicht mit der Erstellung einer einheitlichen Preisliste oder der
Ausarbeitung eines Planes für Sanktionen einverstanden erklärt. Das Schriftstück in Anhang 7 ihrer
Stellungnahme zur Mitteilung der Beschwerdepunkte, auf das die Kommission als Beweis für den Inhalt
einer solchen Vereinbarung verweise, sei nur ein Vorschlag von ABB, der ihr später unterbreitet
worden sei (im Folgenden: Vorschlag von ABB). Ihre Weigerung, eine solche Vereinbarung zu
unterzeichnen, stehe nicht im Widerspruch zu ihrem Einverständnis mit einer seitens der Mitglieder
des Kartells angeregten und von einer Schweizer Prüfungsgesellschaft durchgeführten Buchprüfung
zur Erlangung von Zahlen über die Gesamtgröße des deutschen Marktes oder zu der Tatsache, dass
sie nach dem Eindruck von Pan-Isovit eine Vereinbarung angestrebt habe. Sie habe vorgegeben, an
einer Vereinbarung zu Bedingungen interessiert zu sein, von denen sie gewusst habe, dass die
deutschen Kartellteilnehmer sie nicht akzeptieren könnten. Bei einem kurzen Treffen am 8. September
1993, an dem sie teilgenommen habe, habe sie erklärt, keine Vereinbarung in Bezug auf den
deutschen Markt schließen zu wollen. Bei einem Treffen am 29. September 1993 habe sie sich erneut
geweigert, den Vorschlag von ABB anzunehmen. Sie habe es folglich nicht nur abgelehnt, eine
Vereinbarung über die Aufteilung des deutschen Marktes zu akzeptieren, sondern die Versuche zum
Abschluss einer solchen Vereinbarung sogar zum Scheitern gebracht.
37.
Ihre bloße Teilnahme an Treffen mit wettbewerbswidrigem Gegenstand könne nicht dazu führen,
dass sie als Mitwirkende am Kartell zur Verantwortung gezogen werde, da sie den übrigen Teilnehmern
immer wieder erklärt habe, dass sie an der beabsichtigten Kooperation nicht interessiert sei und sich
damit „öffentlich“ vomInhalt der Erörterungen bei diesen Treffen distanziert habe. Zudem hätten diese
Erörterungen nie zum Ziel geführt und keine Auswirkungen auf den Markt gehabt.
38.
Die Beklagte führt aus, in Bezug auf die Kooperation außerhalb Dänemarks zwischen 1991 und
1993 sei eine ausdrückliche Vereinbarung getroffen worden, zunächst zwischen den dänischen
Herstellern über eine Erhöhung der Ausfuhrpreise zu Beginn des Jahres 1991 und dann über eine
Preiserhöhung in Deutschland ab Januar 1992, über die Festsetzung der Preise und die Aufteilung der
Projekte in Italien und über das Quotensystem bei den Marktanteilen für 1994. Diese Vereinbarungen
könnten nicht als vereinzelte Vorkommnisse bezeichnet werden. Die Klägerin habe an zahlreichen
regelmäßigen Treffen im Rahmen eines Kartells teilgenommen, bei dem ab Herbst 1991 die formale
Zusammenarbeit der dänischen Hersteller auf den deutschen Markt erstreckt worden sei.
- Würdigung durch das Gericht
39.
Nimmt ein Unternehmen, selbst ohne sich aktiv zu beteiligen, an Treffen von Unternehmen mit
wettbewerbswidrigem Zweck teil und distanziert es sich nicht offen vom Inhalt dieser Treffen, so dass
es den anderen Teilnehmern Anlass zu der Annahme gibt, dass es dem Ergebnis der Treffen zustimmt
und sich daran halten wird, so kann nach ständiger Rechtsprechung der Nachweis als erbracht
angesehen werden, dass es sich an der aus diesen Treffen resultierenden Absprache beteiligt hat
(vgl. Urteile des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules
Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-1711, Randnr. 232, vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-
12/89, Solvay/Kommission, Slg. 1992, II-907, Randnr. 98, und vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-
141/89, Tréfileurope/Kommission, Slg. 1995, II-791, Randnrn. 85 und 86).
40.
In diesem Kontext sind für die Zeit von Oktober 1991 bis Oktober 1993 die von der Kommission in
den Randnummern 38 ff. der Entscheidung gesammelten Beweise und daraus gezogenen Schlüsse zu
beurteilen.
41.
Erstens ist festzustellen, dass die Kommission in den Randnummern 31, 38 und 135 der
Entscheidung zu Recht zu dem Ergebnis gekommen ist, dass die Klägerin an den aufeinander
abgestimmten Erhöhungen der Preise auf den Exportmärkten durch die dänischen Hersteller
mitgewirkt hat.
42.
Die Klägerin bestreitet nicht, dass sie an dem Treffen vom 22. November 1990 teilnahm, dessen
Protokoll (Anhang 19 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) eine Liste von Preiserhöhungen enthält,
in der für jeden dänischen Hersteller sowohl in einer Spalte mit der Überschrift „Dänemark“ als auch
in einer Spalte mit der Überschrift „Export“ ein oder zwei mit einem Datum versehene Prozentsätze
aufgeführt sind. Der von der Kommission aus diesem Schriftstück gezogene Schluss, dass die
Teilnehmer an diesem Treffen vereinbart hätten, eine Erhöhung ihrer Preise auf den Exportmärkten zu
koordinieren, wird durch die Erklärung von Tarcobestätigt, nach der sich die Teilnehmer an diesem
Treffen auf abgestimmte Erhöhungen ihrer Grundpreislisten für Verkäufe im In- und Ausland
verständigt hätten (Antwort von Tarco vom 26. April 1996 auf das Auskunftsverlangen vom 13. März
1996, im Folgenden: Antwort von Tarco).
43.
Die Klägerin kann dem von der Kommission gezogenen Schluss nicht entgegenhalten, dass die
Erhöhung der Exportpreise bei dem fraglichen Treffen nicht „vereinbart“ worden sei. Die Kommission
hat sich nämlich auf die Feststellung beschränkt, dass die dänischen Hersteller ihre Erhöhungen der
Exportpreise „koordiniert“ hätten; dies bedeutet, dass sich die Teilnehmer zumindest darüber
verständigt haben, wie die geplanten Preiserhöhungen durchzuführen sind, setzt aber nicht voraus,
dass sie sich bei dem fraglichen Treffen auch über das Prinzip oder den genauen Prozentsatz der
Preiserhöhungen einigten. Wie dem Protokoll des Treffens vom 22. November 1990 zu entnehmen ist,
haben die Teilnehmer jedenfalls angekündigt, zu welchen Zeitpunkten sie eine Preiserhöhung
vornehmen wollten, und gegebenenfalls deren Grad genannt. Die Kommission war daher zur
Feststellung einer abgestimmten Preiserhöhung berechtigt.
44.
Das Argument der Klägerin, sie habe bereits vor dem Ausschusstreffen am 22. November 1990 eine
Liste der Preiserhöhungen veröffentlicht, ist irrelevant. Zum einen hat die Klägerin nicht angegeben,
inwieweit die am 12. November 1990 in dänischer Sprache veröffentlichte Liste auch für
Exportgeschäfte galt, wobei zu berücksichtigen ist, dass es bei dem Treffen vom 22. November 1990
für erforderlich erachtet wurde, die Exportpreise getrennt von den Preisen für den dänischen Markt zu
behandeln. Zum anderen entspricht der Tag des Inkrafttretens dieser Liste (12. November 1990)
einem im Protokoll des Treffens vom 22. November 1990 für die Erhöhung der Preise der Klägerin auf
dem dänischen Markt genannten Datum, während alle in der Spalte „Export“ angekündigten
Preiserhöhungen später in Kraft treten sollten (am 1. Dezember 1990 für Dansk Rørindustri und am 1.
Januar 1991 für Tarco und die Klägerin). Die Klägerin kann daher nicht behaupten, eine Erhöhung der
Exportpreise vorgenommen zu haben, ohne die dahin gehenden Absichten der übrigen Hersteller zu
kennen.
45.
Insoweit ist noch darauf hinzuweisen, dass der Beweiswert der Antwort von Tarco entgegen der
Behauptung der Klägerin nicht dadurch beeinträchtigt wird, dass die Person, die sie unterzeichnete,
nicht an dem Treffen vom 22. November 1990 teilgenommen hatte und zu dieser Zeit auch kein
Mitarbeiter von Tarco war. Da diese Antwort im Namen des Unternehmens gegeben wurde, ist ihre
Glaubwürdigkeit höher als die eines Mitglieds ihres Personals, unabhängig von dessen persönlicher
Erfahrung oder Meinung. Im Übrigen haben die Vertreter von Tarco in ihrer Antwort ausdrücklich
erwähnt, dass diese das Ergebnis einer internen Untersuchung des Unternehmens sei.
46.
Zweitens räumt die Klägerin ein, an einer Vereinbarung über die Erhöhung der Bruttopreise in
Deutschland ab 1. Januar 1992 und einer Vereinbarung vomOktober 1991 über die Zusammenarbeit
bei dem Turiner Projekt teilgenommen zu haben.
47.
Insoweit ist das Argument irrelevant, die fraglichen Vereinbarungen hätten sich nicht auf den Markt
ausgewirkt. Auch das Argument, nach der Vereinbarung über die Erhöhung der Bruttopreise habe es
auf dem Markt einen lebhaften Wettbewerb gegeben, der zu einem Preisverfall geführt habe, greift
nicht durch. Bei der Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag brauchen die konkreten
Auswirkungen einer Vereinbarung nicht berücksichtigt zu werden, wenn sich ergibt, dass diese eine
Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen
Marktes bezweckte (Urteile des Gerichtshofes vom 13. Juli 1966 in den Rechtssachen 56/64 und
58/64, Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 322, 390, und vom 8. Juli 1999 in den
Rechtssachen C-49/92 P, Kommission/Anic Partecipazioni, Slg. 1999, I-4125, Randnr. 99, und C-199/92
P, Hüls/Kommission, Slg. 1999, I-4287, Randnr. 178; Urteil des Gerichts vom 23. Februar 1994 in den
Rechtssachen T-39/92 und T-40/92, CB und Europay/Kommission, Slg. 1994, II-49, Randnr. 87). Was die
Vereinbarung über die Erhöhung der Bruttopreise in Deutschland anbelangt, so kann die Tatsache,
dass sich ein Unternehmen, das mit anderen Unternehmen an Treffen teilgenommen hat, bei denen
Beschlüsse über die Preise gefasst wurden, nicht an die vereinbarten Preise hält, den
wettbewerbswidrigen Zweck dieser Treffen und folglich auch die Beteiligung des betreffenden
Unternehmens an den Absprachen nicht beseitigen, sondern würde allenfalls beweisen, dass es die
fraglichen Vereinbarungen nicht durchgeführt hat (Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in der
Rechtssache T-148/89, Tréfilunion/Kommission, Slg. 1995, II-1063, Randnr. 79).
48.
Überdies kann die Gültigkeit der Entscheidung hinsichtlich der Vereinbarung über die Erhöhung der
Bruttopreise in Deutschland nicht durch die Behauptung der Klägerin in Frage gestellt werden, dass
diese Vereinbarung nicht alle von der Kommission in Randnummer 44 Absatz 2 der Entscheidung
genannten Bestandteile aufgewiesen habe. Die entscheidenden Bestandteile der Vereinbarung, über
die nach den Angaben in der Antwort von ABB vom 4. Juni 1996 auf das Auskunftsverlangen vom 13.
März 1996 (im Folgenden: Antwort von ABB) bei einem Treffen am 9. oder 10. Oktober 1991
grundsätzlich Einigung erzielt wurde, sind in kurzen handschriftlichen Vermerken der Klägerin zum
Treffen vom 10. Dezember 1991 (Anhang 36 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) zu finden, in denen
u. a. die „Mindestpreisliste für Kunden“, Preise „ab Werk + 7 %“, „Monatliche Treffen“ und die „Liste
13.1.92“ erwähnt werden. Auch wenn nur eine Vereinbarung über die Erhöhung der Bruttopreise
getroffen wurde, macht dies die Entscheidung nicht ungültig, da aus ihrer Randnummer 137 Absatz 3
hervorgeht, dass die Kommission als Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 EG-Vertrag für diesen
Zeitraum nur die Vereinbarung über die Erhöhung der Preise in Deutschland ab 1. Januar 1992 ansah.
Auch die Tatsache, dass eine solche Vereinbarung bei dem Treffen am 10. Dezember 1991 und nicht
am 9. oder 10. Oktober 1991 zustande kam, beeinträchtigt nicht den von der Kommission ausdiesen
aufeinander folgenden Treffen gezogenen Schluss, dass das dänische Kartell, an dem die Klägerin zu
dieser Zeit mitwirkte, irgendwann im Herbst 1991 durch eine Vereinbarung über die Erhöhung der
Bruttopreise auf dem deutschen Markt ergänzt wurde. Im Übrigen wurde diese Vereinbarung, die auf
jeden Fall spätestens im Dezember 1991 geschlossen wurde, unstreitig bereits bei dem Treffen am 9.
oder 10. Oktober 1991 erörtert.
49.
Drittens hat die Kommission ordnungsgemäß nachgewiesen, dass die Klägerin Ende 1993 an einer
Vereinbarung über die Aufteilung des deutschen Marktes mitwirkte.
50.
Insoweit hat ABB eingeräumt, dass die Hersteller nach einer Buchprüfung zur Ermittlung ihrer
Umsatzzahlen für 1992 am 18. August 1993 eine Vereinbarung über die Aufteilung des deutschen
Marktes entsprechend den Marktanteilen im Jahr 1992, über die Erstellung einer neuen einheitlichen
Preisliste und über die spätere Ausarbeitung eines Planes für Sanktionen getroffen hätten (Antwort
von ABB). Die Verhandlungen über die Verteilung der Marktanteile seien bei den Treffen am 8. oder 9.
September 1993 in Kopenhagen und dann in Frankfurt fortgesetzt worden.
51.
Hinsichtlich der Buchprüfung zur Ermittlung der Umsatzzahlen für 1992 entspricht die Darstellung
von ABB den Schlüssen, die aus einem Vermerk von ABB IC Møller vom 19. August 1993 (Anhang 53
der Mitteilung der Beschwerdepunkte) zu ziehen sind, der eine Tabelle enthält, in der für die
dänischen Hersteller sowie für Pan-Isovit und Henss/Isoplus der Umsatz und der Marktanteil für 1992
sowie eine den für 1994 vorgesehenen Marktanteil repräsentierende Zahl angegeben sind. Nach
Angaben von ABB wurden die Daten über die Umsätze und die Marktanteile der betreffenden
Unternehmen von einer Schweizer Prüfungsgesellschaft geliefert (Antwort von ABB vom 4. Juni 1996).
Die Klägerin hat auf Seite 36 ihrer Stellungnahme zur Mitteilung der Beschwerdepunkte eingeräumt,
dass es eine Buchprüfung durch eine Schweizer Prüfungsgesellschaft gab. Was den Gegenstand
dieser Prüfung anbelangt, so wird die Glaubwürdigkeit der Erklärung von ABB nicht durch die
Behauptung der Klägerin in Frage gestellt, dass sie nur eine Prüfung der Verkäufe ihres
Vertriebshändlers in Deutschland verlangt habe, um zuverlässige Daten über das Gesamtvolumen des
deutschen Marktes zu liefern. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Unternehmen mit einer
Prüfungsgesellschaft zusammenarbeitet und ihr seine Umsatzzahlen allein deshalb zur Verfügung
stellt, um anschließend seinen eigenen Anteil am Gesamtmarkt ermitteln zu können, während die
übrigen Unternehmen, die derselben Prüfung zugestimmt haben, davon ausgehen, dass ihnen alle
Informationen über die Marktanteile übermittelt werden.
52.
Hinsichtlich des Abschlusses einer Grundsatzvereinbarung über die Aufteilung des Marktes wird die
von ABB in ihrer Antwort vertretene These, dass sich die Unternehmen im August 1993 über die
Aufteilung des deutschen Marktes geeinigt hätten, auch wenn die genauen Marktanteile jedes
Beteiligten noch Gegenstand von Verhandlungen gewesen seien, die von Treffen zu Treffen
fortgesetzt wordenseien, nicht nur durch die Nennung der Marktanteile für 1994 im oben genannten
Vermerk von ABB IC Møller, sondern auch durch einen Vermerk von Pan-Isovit vom 18. August 1993
(Anhang 52 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) und durch den Vorschlag von ABB bestätigt, die
zusammengenommen zeigen, dass im August und im September 1993 weiter über die Aufteilung der
Marktanteile in Deutschland verhandelt wurde.
53.
Zum einen werden solche Verhandlungen durch den oben genannten Vermerk vom 18. August
1993 bestätigt, den Pan-Isovit für ihre Muttergesellschaft über einen Besuch bei der Klägerin am 3.
August 1993 erstellte und aus dem hervorgeht, dass Pan-Isovit darüber informiert wurde, dass die
Klägerin „an Preisabsprachen grundsätzlich interessiert [ist], aber nur wenn [ihr] Marktanteil ...
stimmt“, und dass sie „in Absprache mit ABB Anstrengungen [unternimmt,] um Tarco in DK und D
unter Kontrolle zu bringen“.
54.
Zum anderen wird durch den Vorschlag von ABB bestätigt, dass im September 1993 hinsichtlich der
Marktaufteilung nur noch die Höhe der individuellen Quoten erörtert zu werden brauchte. Der
Vorschlag von ABB, der ein System zur Aufteilung des deutschen Marktes betraf, das auf der
Buchprüfung in Bezug auf die Umsätze, den bei Überschreitung der zugeteilten Quoten zu leistenden
Zahlungen und einer einheitlichen Preisliste beruhte, ging nach den Angaben, die die Klägerin in ihrer
Stellungnahme zur Mitteilung der Beschwerdepunkte gemacht hat, im September 1993 bei ihr ein und
wurde von Pan-Isovit und Henss/Isoplus unterstützt. Die in diesem Vorschlag enthaltenen Prozentsätze
der Marktanteile entsprechen den Zahlen im oben genannten Vermerk von ABB IC Møller („26“ für
Pan-Isovit, „25“ für ABB Isolrohr, „12“ für die Klägerin, „4“ für Dansk Rørindustri/Starpipe), außer bei
Tarco und Henss/Isoplus, denen im letztgenannten Schriftstück „17“ und „16“ zugeteilt werden,
während im Vorschlag von ABB „17,7 %“ und „15,3 %“ aufgeführt sind. Zur Erhöhung des Anteils von
Tarco ist festzustellen, dass nach den Angaben in der Antwort von ABB die Zahlen für 1994 im
Vermerk von ABB IC Møller „die bei dem Treffen am 18. August [1993] getroffene Vereinbarung
widerspiegeln, nach der diese Marktanteile mit geringen Anpassungen im Anschluss an die
Erörterungen bei diesem Treffen für 1994 beibehalten werden sollten“, und der Gegenstand des
Treffens am 8. oder 9. September 1993 „die Fortsetzung der Verhandlungen über die Zuteilung der
Marktanteile nach dem Bericht der [Schweizer Prüfungsgesellschaft] gewesen zu sein [scheint]: Tarco
bestand offenbar darauf, 18 % des deutschen Marktes zu erhalten.“ Aus der Übereinstimmung
zwischen den Angaben von ABB und der von ABB, Pan-Isovit und Henss/Isoplus im September 1993
vorgeschlagenen Erhöhung des Marktanteils von Tarco gegenüber dem im August 1993 im Vermerk
von ABB IC Møller genannten Anteil ist zu schließen, dass es nach den Treffen im August und
September 1993 eine Vereinbarung über die Aufteilung des deutschen Marktes gab, auch wenn die
Diskussion über die Quoten noch fortgesetzt wurde.
55.
Das Argument der Klägerin, sie habe dem System in der im Vorschlag von ABB enthaltenen Form
nicht zugestimmt, ist irrelevant. Die aufeinander folgenden Treffen, bei denen die Unternehmen die
Aufteilung der Marktanteile erörterten, wären nicht möglich gewesen, wenn zu dieser Zeit bei den
Teilnehmern an diesen Treffen kein gemeinsamer Wille bestanden hätte, die Verkäufe auf dem
deutschen Markt durch eine Aufteilung der Marktanteile auf die einzelnen Wirtschaftsteilnehmer zu
beschränken.
56.
Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EG-
Vertrag schon dann vor, wenn die betreffenden Unternehmen ihren gemeinsamen Willen zum
Ausdruck gebracht haben, sich auf dem Markt in einer bestimmten Weise zu verhalten (vgl. z. B. Urteile
des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg.
1970, 661, Randnr. 112, und vom 29. Oktober 1980 in den Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und
218/78, Van Landewyck u. a./Kommission, Slg. 1980, 3125, Randnr. 86, Urteil Kommission/Anic
Partecipazioni, Randnr. 130, und Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-1/89,
Rhône-Poulenc/Kommission, Slg. 1991, II-867, Randnr. 120).
57.
Unter diesen Umständen hat die Kommission aus der Fortsetzung von Treffen über die Aufteilung
der Marktanteile im August und September 1993 zutreffend geschlossen, dass es zwischen den
Teilnehmern an diesen Treffen eine Vereinbarung gab, die sich zumindest auf eine grundsätzliche
Aufteilung des deutschen Marktes erstreckte.
58.
Es trifft zu, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass es eine solche grundsätzliche
Vereinbarung in Bezug auf das System der bei Überschreitung der zugeteilten Quoten zu leistenden
Zahlungen und auf die einheitliche Preisliste gab. Dies kann jedoch nicht zur Ungültigkeit der
Ergebnisse der Entscheidung führen, da die Kommission in deren Randnummer 137 Absatz 3 nur die
Vereinbarung über die Quotenregelung bei den Marktanteilen im August 1993 als Vereinbarung im
Sinne von Artikel 85 EG-Vertrag eingestuft hat.
59.
Was die Mitwirkung der Klägerin an einer solchen grundsätzlichen Vereinbarung über die Aufteilung
des deutschen Marktes anbelangt, so wird ihre Anwesenheit bei den Treffen am 30. Juni und am 18.
oder 19. August 1993, an die sie sich angeblich nicht erinnern kann, von ABB in deren Antwort
bestätigt, während sie in Bezug auf das Treffen am 8. oder 9. September 1993 selbst ihre Teilnahme
eingeräumt hat.
60.
Selbst wenn die Klägerin nicht bei den Treffen am 30. Juni und am 18. oder 19. August 1993
anwesend war, geht aus den Akten hervor, dass sie gleichwohl in die Verhandlungen einbezogen war,
in deren Rahmen diese beiden Treffen stattfanden. Zum einen ist die Klägerin dadurch, dass sie sich
im Sommer 1993 mit einer Prüfung ihrer Verkäufe auf dem deutschen Markt einverstanden erklärte,
dem bei dem Treffen am 30. Juni 1993 gefassten dahin gehenden Beschluss nachgekommen. Zum
anderen hat die Klägerin eingeräumt, dass bei einem Treffen mit ABB imJuni 1993 über die Aufteilung
des deutschen Marktes gesprochen worden sei und dass sie dabei erklärt habe, eine Aufteilung
dieses Marktes zwischen den deutschen und den dänischen Unternehmen in einem Verhältnis von
weniger als „60-40“ nicht hinnehmen zu wollen (Stellungnahme zur Mitteilung der Beschwerdepunkte).
Eine Aufteilung mit dieser Vorgabe wurde gleichzeitig von ABB ins Auge gefasst, die in einem Vermerk
vom 2. Juli 1993 zur Vorbereitung des Treffens mit der Klägerin (Anhang 48 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte) erklärt, die Klägerin wolle de facto einen höheren Marktanteil. Aus diesem
Schriftstück und aus dem Vermerk von Pan-Isovit vom 18. August 1993 ergibt sich, dass die Klägerin,
auch wenn es vor dem Treffen am 18. oder 19. August 1993 noch keine Vereinbarung über die
Aufteilung des deutschen Marktes gab, zu den Unternehmen gehörte, die eine solche Vereinbarung
anstrebten.
61.
Unter diesen Umständen kann sich die Klägerin ihrer Verantwortung für die grundsätzliche
Vereinbarung über die Aufteilung des deutschen Marktes nicht unter Hinweis darauf entziehen, dass
sie bei dem Treffen am 8. oder 9. September 1993 erklärt habe, keine Vereinbarung in Deutschland
treffen zu wollen, und dass sie bei einem Treffen am 29. September 1993 den Vorschlag von ABB
abgelehnt habe.
62.
Der von der Klägerin bei den Treffen am 8. oder 9. und am 29. September 1993 vertretene
Standpunkt stellte keine öffentliche Distanzierung von der grundsätzlichen Vereinbarung über die
Aufteilung des deutschen Marktes dar, die Gegenstand der Verhandlungen im August und September
1993 war. Es ist richtig, dass es - wie ABB in ihrer Antwort anerkennt - hauptsächlich am Verhalten der
Klägerin lag, dass es letztlich nicht zu einer schriftlichen Vereinbarung über die Aufteilung des
deutschen Marktes kam und dass die Vereinbarung nachfolgend ganz scheiterte. Da zu einem
bestimmten Zeitpunkt Einigkeit über die grundsätzliche Aufteilung des deutschen Marktes bestand,
hat die Klägerin gleichwohl nicht hinreichend dargetan, dass sie zu diesem Zeitpunkt einen
Standpunkt einnahm, der den anderen Verhandlungspartnern klar gezeigt hätte, dass sie sich von
diesem Grundsatz einer Aufteilung distanzierte. Aus allen in den Randnummern 52 bis 54 aufgeführten
Schriftstücken geht hervor, dass in den Monaten August und September 1993 andere Teilnehmer wie
Pan-Isovit und ABB die Position der Klägerin nicht als Distanzierung vom Grundsatz einer Aufteilung des
Marktes auffassten.
63.
Durch die Teilnahme an den Verhandlungen im August und September 1993 und insbesondere
durch ihre Anwesenheit bei dem Treffen am 8. oder 9. September 1993, bei dem sie sich nicht
öffentlich von dessen Inhalt distanzierte, hat die Klägerin den anderen Teilnehmern Anlass zu der
Annahme gegeben, dass sie den Ergebnissen des Treffens zustimmte und sich daran halten werde,
so dass der Nachweis ihrer Beteiligung an der aus diesem Treffen resultierenden Vereinbarung als
erbracht angesehen werden kann (vgl. die in Randnr. 39 genannte Rechtsprechung).
64.
Da die Kommission der Klägerin nicht vorwirft, eine Vereinbarung im Sinne von Artikel 85 EG-Vertrag
über ein System von Ausgleichszahlungen und eine einheitliche Preisliste geschlossen zu haben, und
auch nicht geltend macht, dass die Vereinbarung über die Aufteilung des deutschen Marktes
tatsächlich in die Praxis umgesetzt wurde, beruft sich die Klägerin vergeblich darauf, dass sie sich dem
Abschluss einer schriftlichen Vereinbarung über Ausgleichszahlungen und über eine einheitliche
Preisliste widersetzt habe, sowie darauf, dass die Vereinbarung über die Aufteilung des Marktes nicht
umgesetzt worden sei.
65.
Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Kommission für die Zeit von November 1990 bis September
1993 die Teilnahme der Klägerin an Vereinbarungen über die Erhöhung der Preise außerhalb
Dänemarks im Jahr 1990, über die Erhöhung der Preise in Deutschland ab 1. Januar 1992, über die
Preisfestsetzung und die Aufteilung der Projekte in Italien und über die Quotenregelung bei den
Marktanteilen im August 1993 rechtlich hinreichend dargetan hat.
66.
Das Vorbringen der Klägerin zu ihrer Beteiligung an wettbewerbswidrigen Aktivitäten außerhalb des
dänischen Marktes in der Zeit von 1990 bis 1993 ist daher zurückzuweisen.
2. Zur Einstellung der Mitwirkung am Kartell im Jahr 1993 und zur Mitwirkung am Kartell ab 1994
- Vorbringen der Parteien
67.
Die Klägerin trägt vor, sie habe das Kartell im April 1993 verlassen. Die Kommission behaupte daher
zu Unrecht, dass der damalige „Preisrückgang in Dänemark eindeutig eine Folge von Machtkämpfen
innerhalb des Kartells und nicht seiner Auflösung“ gewesen sei. Ihr Rückzug aus dem Kartell werde
durch mehrere interne Memoranden von ABB bestätigt, in denen ihr Verhalten als
„vereinbarungswidrig“ und „aggressiv“ bezeichnet und die starke Veränderung der Anteile am
dänischen Markt auf ihre Forderung nach einem höheren Marktanteil zurückgeführt werde.
68.
In Bezug auf Deutschland vor 1994 und Dänemark von April 1993 bis 1994 dürfe die Bedeutung der
Unstimmigkeiten innerhalb des Kartells nicht heruntergespielt werden, da sie dazu geführt hätten,
dass die Klägerin das Kartell 1993 verlassen habe. In Bezug auf die Zeit von 1993 bis 1994 habe die
Kommission kein Parallelverhalten auf dem relevanten Markt nachgewiesen; dort habe es vielmehr
einen Preiskrieg gegeben.
69.
Die Klägerin bestreitet nicht, 1993 und 1994 an gelegentlichen Treffen teilgenommen zu haben. So
habe sie sich am 5. und 6. Juli 1993 mit ABB getroffen und dabei deren Vorschläge für ihre
Wiedereingliederung in das Kartell abgelehnt. Eine solche Teilnahme sei jedoch kein Beweis für ein
ununterbrochenes Parallelverhalten im streitigen Zeitraum. Die Beteiligung einiger
betroffenerUnternehmen an gelegentlichen, allein den deutschen Markt betreffenden Sitzungen sei
irrelevant, da alle diese Unternehmen und insbesondere die Klägerin ihr Verhalten auf dem relevanten
Markt autonom bestimmt hätten. Es reiche daher als Nachweis für eine abgestimmte Verhaltensweise
nicht aus, dass es Kontakte gegeben habe, die nicht zu einer Vereinbarung der Unternehmen über
eine Aufteilung des Marktes geführt hätten. Die Situation auf dem relevanten Markt in den Jahren vor
1995 zeige eindeutig, dass es dort kein Parallelverhalten gegeben habe.
70.
In Bezug auf das europaweite Kartell räumt die Klägerin ein, dem Treffen am 3. Mai 1994
beigewohnt zu haben, bei dem die Preise auf dem deutschen Markt erörtert wurden; sie bestreitet
aber, zu dieser Zeit eine Preisliste benutzt zu haben. Sie erinnere sich auch nicht, an dem Treffen vom
18. August 1994 in Kopenhagen teilgenommen zu haben, und habe am 30. September 1994 zum
ersten Mal an einem multilateralen Treffen teilgenommen. In der Entscheidung werde gleichwohl
fälschlich ausgeführt, dass schon im Herbst 1994 eine globale Einigung über die Aufteilung des
europäischen Marktes erzielt worden sei. Erst mit Wirkung zum 20. März 1995 sei eine abschließende
Regelung für diesen Markt getroffen worden, und erst zu dieser Zeit habe es Versuche zur
Durchführung einer solchen Vereinbarung gegeben. In Bezug auf den deutschen Markt habe das
erste Treffen der Kontaktgruppe am 7. Oktober 1994 zu keiner Einigung geführt. Das erste Treffen, bei
dem einzelne Projekte den Teilnehmern zugeteilt worden seien, habe im Januar 1995 stattgefunden.
Für den dänischen Markt sei eine förmliche Marktaufteilungsvereinbarung im März 1995 noch nicht
einmal in Kraft gewesen.
71.
Die Beklagte ist der Auffassung, die Klägerin habe das Kartell im April 1993 nicht verlassen.
Während der gesamten Dauer der Zuwiderhandlung habe sie weiter an den regelmäßigen Treffen
teilgenommen. Alle von ihr ausgesprochenen Drohungen hätten dazu gedient, von ABB einen
größeren Marktanteil zuerkannt zu bekommen. Darüber hinaus habe sie an den Treffen im August und
September 1993 teilgenommen und sich im Herbst 1993 oder Anfang 1994 auf Verlangen von ABB
bereit erklärt, zum Gehalt einer von Powerpipe abgeworbenen Person beizutragen.
72.
Die Klägerin bemühe sich vergeblich um den Nachweis, dass das Kartell 1993/94 ausgesetzt worden
sei, denn die Kommission räume in der Entscheidung selbst ein, dass die verschiedenen
Vereinbarungen trotz der Fortführung bilateraler Kontakte zwischen den Kartellteilnehmern von Ende
1993 bis Anfang 1994 ausgesetzt worden seien.
- Würdigung durch das Gericht
73.
Das Vorbringen der Klägerin ist dahin zu verstehen, dass sie nach ihrem angeblichen Rückzug aus
dem Kartell im April 1993 erst ab März 1995, nach Abschluss einer endgültigen Vereinbarung über die
Aufteilung des europäischenMarktes, an einer Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise im
Sinne von Artikel 85 EG-Vertrag teilgenommen habe.
74.
Erstens kann entgegen der Behauptung der Klägerin aus der etwa im April 1993 eingetretenen
Veränderung des Kartells nicht geschlossen werden, dass sie zu dieser Zeit ihre Mitwirkung an
wettbewerbswidrigen Aktivitäten im Fernwärmesektor eingestellt hatte.
75.
Insoweit genügt die Feststellung, dass die dänischen Hersteller sowie Pan-Isovit und Henss/Isoplus,
auch wenn die Preise auf dem dänischen Markt ab März/April 1993 zu fallen begannen und die
Vereinbarungen über die Aufteilung der Projekte nicht mehr eingehalten wurden, bei den Treffen am
30. Juni 1993 in Kopenhagen, am 18. oder 19. August 1993 in Zürich und am 8. oder 9. September
1993 in Kopenhagen und Frankfurt Verhandlungen über die Aufteilung des deutschen Marktes
fortsetzten, die im August 1993 zu einer bei den Treffen im September 1993 näher ausgearbeiteten
Grundsatzvereinbarung führten. Wie in den obigen Randnummern 59 bis 63 ausgeführt, hat die
Kommission rechtlich hinreichend dargetan, dass die Klägerin insbesondere durch ihre Anwesenheit
bei dem Treffen am 8. oder 9. September 1993 an diesen Verhandlungen mitwirkte.
76.
In diesem Kontext hat die Kommission somit in Randnummer 37 der Entscheidung zu Recht
behauptet, dass der damalige Preisrückgang in Dänemark eindeutig eine Folge von Machtkämpfen
innerhalb des Kartells und nicht von dessen Auflösung gewesen sei.
77.
Zweitens ist zum Zeitraum nach der Änderung der Vereinbarung über die Aufteilung des deutschen
Marktes im September/Oktober 1993 festzustellen, dass die Kommission selbst in der Entscheidung
anerkannt hat, dass die wettbewerbswidrigen Aktivitäten auf dem Markt eine Zeit lang nicht
bedeutsam waren und jedenfalls nicht nachgewiesen werden konnten.
78.
In Randnummer 52 ihrer Entscheidung führt die Kommission aus, zu dieser Zeit seien die Preise auf
den großen nationalen Märkten binnen weniger Monate um 20 % zurückgegangen. Die Hersteller
hätten sich trotzdem weiterhin getroffen, auch wenn die mehrseitigen Treffen durch zwei- und
dreiseitige Kontakte abgelöst worden seien. Es sei sehr wahrscheinlich, dass diese Treffen
hauptsächlich Bemühungen von ABB zum Gegenstand gehabt hätten, eine neue Vereinbarung zur
Wiederherstellung der „Ordnung“ auf diesen Märkten zustande zu bringen (Randnr. 52 Absatz 5 der
Entscheidung). Die Klägerin habe sich am 28. Januar, 23. Februar und 11. März 1994 mit ABB und am
8. Januar und 19. März 1994 mit Tarco getroffen (Randnr. 52 Absätze 6 und 7 der Entscheidung). Über
diese Treffen gebe es allerdings keinerlei Informationen, abgesehen von der Behauptung der Klägerin,
Tarco habe von ihr erfolglos eine Kompensation als Voraussetzung für „Friedensverhandlungen“
gefordert (Randnr. 52 Absatz 7 der Entscheidung).
79.
In Randnummer 53 ihrer Entscheidung fügt die Kommission hinzu, die Treffen der sechs Hersteller
seien am 7. März, 15. April und 3. Mai 1994 wieder aufgenommen worden. Bei den Zusammenkünften
im März und April sei u. a. über Preiserhöhungen diskutiert worden, anscheinend jedoch ohne
Ergebnis. Nach dem Treffen am 3. Mai 1994, an dem die Klägerin, ABB, Henss und Pan-Isovit
teilgenommen hätten, sei jedoch eine Preisliste erarbeitet worden, die als Grundlage für alle Verkäufe
auf dem deutschen Markt habe dienen sollen (Randnr. 54 Absatz 1 der Entscheidung). Bei einem
Treffen der sechs größten Unternehmen mit Brugg am 18. August 1994 seien wahrscheinlich die
Ausarbeitung einer neuen gemeinsamen Preisliste und die Einschränkung der Rabatte auf ein
gemeinsam festgelegtes Maß vereinbart worden (Randnr. 56 Absatz 3 der Entscheidung).
80.
Für die Zeit nach September/Oktober 1993 hat die Kommission folglich anerkannt, dass es, auch
wenn die Kontakte zwischen den Unternehmen fortbestanden, keinen Beweis für eine Vereinbarung
oder abgestimmte Verhaltensweise im Sinne von Artikel 85 EG-Vertrag gibt, bis eine Erhöhung der
Preise auf dem deutschen Markt ausgehandelt wurde. Zu diesen Verhandlungen heißt es in der
Entscheidung, sie hätten erst nach dem Treffen am 3. Mai 1994 zu einer Vereinbarung geführt.
81.
Ebenso vertritt die Kommission in dem der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts gewidmeten Teil
der Entscheidung die Auffassung, dass es eine „Aussetzung“ der Absprachen gegeben habe.
Zunächst räumt die Kommission bei der Würdigung der Art des Verstoßes im vorliegenden Fall ein,
dass - wenn auch eine Kontinuität zwischen dem dänischen und dem europaweiten Kartell bestanden
habe, so dass eine einzige kontinuierliche Zuwiderhandlung vorliege - die Absprachen für kurze Zeit
ausgesetzt worden seien (Randnr. 145 Absatz 3 der Entscheidung). Genauer gesagt weist die
Kommission insoweit in Randnummer 141 Absatz 3 der Entscheidung für die Zeit von September 1993
bis März 1994 auf Folgendes hin: „Eine Unterbrechung dieser Art kann als Aussetzung der normalen
Absprachen und Beziehungen angesehen werden. Schon bald erkannten die Hersteller jedoch, dass
eine Fortführung des Machtkampfes nur schaden konnte, und kehrten an den Verhandlungstisch
zurück.“ Ebenso trifft die Kommission bei der Würdigung der Dauer des Verstoßes folgende
Feststellungen: „Für den Zeitraum von sechs Monaten vom Oktober 1993 bis zum März 1994 können
die Absprachen als suspendiert gelten, wobei (nach Aussage von ABB) zweiseitige und dreiseitige
Gespräche fortgesetzt wurden. Im Mai 1994 waren die Absprachen in Deutschland mit der Einführung
der Euro-Preisliste wieder aktiviert worden ...“ (Randnr. 152 Absatz 1 der Entscheidung).
82.
In diesem Kontext kann die Klägerin nicht behaupten, die Kommission habe ihr in der Entscheidung
vorgeworfen, im Zeitraum nach ihrer Weigerung, die Vereinbarung über die Aufteilung des deutschen
Marktes zu unterzeichnen - d. h. von September/Oktober 1993 bis März 1994 -, an
wettbewerbswidrigen Aktivitäten teilgenommen zu haben.
83.
In Bezug auf die Fortsetzung des Kartells hat die Kommission zu Recht festgestellt, dass die Klägerin
nach dem Treffen am 3. Mai 1994 an einer Vereinbarung über eine Preisliste für den deutschen Markt
und dann ab Herbst 1994 an einer Vereinbarung über eine Quotenregelung für den europäischen
Markt mitwirkte.
84.
Was die Preisliste für den deutschen Markt anbelangt, so gab es nach der Antwort von ABB eine
Preisliste, die nach einem Treffen am 3. Mai 1994 in Hannover bei allen Lieferungen an deutsche
Anbieter angewandt werden sollte. Dies wird durch das Schreiben vom 10. Juni 1994 bestätigt, mit
dem der Koordinator des Kartells Herrn Henss und die Geschäftsführer der Klägerin, von ABB, von
Dansk Rørindustri, von Pan-Isovit und von Tarco zu einem für den 18. August 1994 vorgesehenen
Treffen einlud (Anhang 56 der Mitteilung der Beschwerdepunkte); darin heißt es:
„[Der] Termin für die vereinbarte Besprechung über [die] Marktsituation in [der BRD] ist jetzt auf
Donnerstag 11 Uhr, den 18. August 1994, ... festgelegt.
Da die Liste vom 9. Mai 1994 in einigen Positionen unvollständig ist und es somit bei
Angebotsvergleichen zu erheblichen Konfrontationen und Interpretationsunterschieden geführt hat,
erlaube ich mir, die fehlenden Positionen durch beiliegende Liste zu ergänzen.“
85.
Aus diesem Schreiben geht hervor, dass es eine Preisliste gab, die bei der Abgabe von Angeboten
angewandt werden sollte und bereits angewandt wurde, auch wenn dabei Probleme aufgetreten
waren. Die Existenz einer solchen Liste wird durch Tarco in ihrer zweiten Antwort vom 31. Mai 1996 auf
das Auskunftsverlangen vom 13. März 1996 bestätigt, in der eine vom Koordinator des Kartells den
Geschäftsführern „vermutlich im Mai 1994“ übermittelte Preisliste erwähnt wird. Nach der Antwort von
ABB wurden sodann bei dem Treffen am 18. August 1994 in Kopenhagen Maßnahmen zur
„Verbesserung“ des Preisniveaus in Deutschland erörtert.
86.
Was die Mitwirkung der Klägerin an dieser Vereinbarung über eine gemeinsame Preisliste
anbelangt, so räumt sie ein, an dem Treffen vom 3. Mai 1994, bei dem die Preissituation auf dem
deutschen Markt erörtert wurde, teilgenommen und anschließend eine Preisliste erhalten zu haben.
Ferner ist es als erwiesen anzusehen, dass die Klägerin an dem Treffen vom 18. August 1994
teilnahm, auch wenn sie vor dem Gericht behauptet hat, dass ihr Verkaufsleiter beabsichtigt habe,
daran teilzunehmen, dies aber letztlich nicht getan habe. Die Anwesenheit eines Vertreters der
Klägerin bei diesem Treffen wird nicht nur von der Klägerin selbst in der Übersicht über die
Dienstreisen ihres Verkaufsleiters im Anhang ihrer Antwort vom 25. April 1996 auf das
Auskunftsverlangen vom 13. März 1996 bestätigt, sondern auch durch die Antwort von ABB und durch
Brugg (Übersicht in Anhang 2 der Antwort von Brugg vom 9. August 1996 auf dasAuskunftsverlangen).
In Anbetracht des Einladungsschreibens für das Treffen vom 18. August 1994, das an die Klägerin
gerichtet war und in dem die ihr übersandte Preisliste erwähnt wurde, hat die Kommission ihre
Mitwirkung an der Vereinbarung über die Preisliste zutreffend aus ihrer Anwesenheit bei den Treffen
am 3. Mai und 18. August 1994 geschlossen.
87.
Die Klägerin kann sich insoweit nicht darauf berufen, dass sie eine solche Vereinbarung nie
angewandt habe, denn allein die Tatsache, dass sich ein Unternehmen, das mit anderen
Unternehmen an Treffen teilgenommen hat, bei denen Beschlüsse über die Preise gefasst wurden,
nicht an die vereinbarten Preise hält, kann den wettbewerbswidrigen Zweck dieser Sitzungen und
folglich auch die Beteiligung des betreffenden Unternehmens an der Absprache nicht beseitigen,
sondern würde allenfalls beweisen, dass es die fraglichen Vereinbarungen nicht durchgeführt hat (vgl.
die in Randnr. 47 genannte Rechtsprechung).
88.
In Bezug auf die Vereinbarung über die Aufteilung des europäischen Marktes räumt die Klägerin ein,
dass bei dem Treffen am 30. September und auch bei späteren Treffen am 12. Oktober und 16.
November 1994 über die Aufteilung des europäischen Marktes gesprochen wurde, macht aber
geltend, eine Vereinbarung sei erst im März 1995 getroffen worden.
89.
Insoweit hat die Kommission einen rechtlich hinreichenden Beweis für ihre Behauptung erbracht,
dass bei dem Treffen am 30. September 1994 grundsätzliche Übereinstimmung darüber erzielt worden
sei, für den europäischen Markt ein Quotensystem mit Einzelvorgaben für jeden nationalen Markt zu
vereinbaren und dann der niedrigeren Ebene der Kontaktgruppen zur Umsetzung zu überlassen
(Randnr. 59 Absatz 4 der Entscheidung).
90.
ABB hat nämlich in ihrer Antwort eingeräumt, dass eine grundsätzliche globale Aufteilung des
europäischen Marktes bereits bei dem Treffen im September 1994 vereinbart worden sei, während die
individuellen Anteile später bei dem Treffen am 16. November 1994 festgelegt worden seien. Ferner
hat die Klägerin in Bezug auf das Treffen am 30. September 1994 - von dem sie behauptet, dass dort
keine Vereinbarung getroffen worden sei und dass es dafür der Mitwirkung von Brugg und eines
anderen europäischen Herstellers, KWH, bedurft hätte - eingeräumt, dass Einigkeit über die
Fortsetzung des Verfahrens bestanden habe und vereinbart worden sei, dass die Klägerin über den
Vorschlag von ABB nachdenken werde, dass ABB alle Unternehmen einschließlich KWH und Brugg
besuchen werde, um die endgültige Lösung auszuarbeiten, und dass die Marktanteile festgelegt
würden, wenn es ABB gelungen sei, KWH in die Vereinbarung einzubeziehen. Mit diesem Vorbringen
der Klägerin kann die Schlussfolgerung der Kommission nicht widerlegt werden, der zufolge die
Antwort von ABB zeige, dass sich die Teilnehmer am Treffen vom 30. September 1994 auf die
grundsätzliche Aufteilung des europäischen Marktes geeinigt hätten. Indem sie ABB damit betrauten,
eine Vereinbarung mit allen betroffenen Unternehmen auszuarbeiten, brachten dieTeilnehmer an
diesem Treffen nämlich ihren gemeinsamen Willen zum Ausdruck, ihr Marktverhalten durch eine
Aufteilung der Marktanteile auf die einzelnen Wirtschaftsteilnehmer zu koordinieren, auch wenn die
Festlegung der konkreten Anteile von der Vergabe von Marktanteilen an Brugg und an KWH abhing.
91.
Folglich war die Kommission zu der Behauptung berechtigt, dass die Vereinbarung über die
Aufteilung des europäischen Marktes grundsätzlich bei dem Treffen am 30. September 1994 zustande
gekommen sei, auch wenn die einzelnen Anteile erst später festgelegt werden sollten. Insoweit kann
jedenfalls der 20. März 1995 nicht als der Zeitpunkt angesehen werden, zu dem die Aufteilung der
Anteile am europäischen Markt erstmals Gegenstand einer gemeinsamen Vereinbarung war, da es zu
einer solchen Vereinbarung nach den übereinstimmenden Angaben von ABB in ihrer Antwort und von
Pan-Isovit (Antwort vom 17. Juni 1996 auf das Auskunftsverlangen) bei dem Treffen am 16. November
1994 kam.
92.
Da die Mitwirkung der Klägerin an der globalen Vereinbarung über die Aufteilung des europäischen
Marktes aufgrund ihrer Anwesenheit bei den Treffen am 30. September, 12. Oktober und 16.
November 1994 erwiesen ist, kann sie sich schließlich nicht darauf berufen, dass diese Vereinbarung
auf den verschiedenen nationalen Märkten erst später durchgeführt worden sei, nachdem die
nationalen Kontaktgruppen tätig geworden seien.
93.
Aus dem Vorstehenden folgt, dass das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen ist, soweit sie sich
gegen die Feststellungen in der Entscheidung zur Einstellung ihrer Mitwirkung am Kartell Ende 1993
und zur Wiederaufnahme ihrer Mitwirkung Anfang 1994 wendet.
94.
Zu prüfen sind jedoch noch die Ausführungen der Klägerin zur Beurteilung von Dauer und Stetigkeit
der Zuwiderhandlung.
3. Zu Dauer und Stetigkeit der der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlung
- Vorbringen der Parteien
95.
Die Klägerin führt aus, da es sich um zwei gesonderte Kartelle handele, habe sie nicht „zwischen
November/Dezember 1990 bis wenigstens März/April 1996“, d. h. insgesamt fünf Jahre und fünf Monate
lang, fortgesetzt an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 EG-Vertrag mitgewirkt. Vielmehr sei von
einer Dauer von zwei Jahren und drei Monaten in Bezug auf das ursprüngliche dänische Kartell und von
- je nach Land - vier bis höchstens 16 oder 18 Monaten im Fall von Deutschland in Bezug auf das
spätere europaweite Kartell auszugehen.
96.
Da die Beklagte nach ihren Angaben berücksichtigt habe, dass „im Anfangszeitraum die
Vorkehrungen unvollständig und von begrenzter Wirkung außerhalb des dänischen Marktes waren“,
sei darauf hinzuweisen, dass eine alsweniger weit reichend eingestufte Zuwiderhandlung als weniger
schwerwiegend hätte beurteilt werden müssen, statt ihr eine geringere Dauer beizumessen.
97.
Die Beklagte trägt vor, bei dem Kartell habe es sich nicht um eine Reihe wiederholter, aber
gesonderter Vereinbarungen gehandelt, sondern um einen globalen Verstoß, der bis zum Frühjahr
1996 und nicht bis zum Herbst 1995 gedauert habe und gegen Ende noch ausgeprägter gewesen sei
als zuvor.
- Würdigung durch das Gericht
98.
Nach Artikel 1 Absatz 2 der Entscheidung dauerte die der Klägerin zur Last gelegte
Zuwiderhandlung von „November/Dezember 1990 bis wenigstens März/April 1996“.
99.
In Randnummer 153 Absatz 4 der Entscheidung vertritt die Kommission die Ansicht, dass die
„Beteiligung der verschiedenen Unternehmen am Verstoß ... von folgender Dauer [war]: a) ABB, [die
Klägerin], Tarco und [Dansk Rørindustri] ab etwa November 1990 in Dänemark, mit einer schrittweisen
Ausweitung auf die gesamte EU und bis mindestens März oder April 1996, wobei die Absprachen
möglicherweise von Oktober 1993 bis etwa März 1994 ausgesetzt waren“.
100.
Die Kommission hat die Dauer der der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlung zutreffend
berechnet.
101.
Erstens kann nicht bestritten werden, dass die Beteiligung der Klägerin im „November/Dezember
1990“ auf dem dänischen Markt begann, und dass sie ihre Beteiligung am europaweiten Kartell erst
im „März/April 1996“ beendete. Zum einen ist oben in den Randnummern 42 bis 45 dargelegt worden,
dass die Klägerin im November 1990 an abgestimmten Preiserhöhungen bei einem Treffen am 22.
November 1990 teilnahm. Zum anderen genügt hinsichtlich des Endes ihrer Beteiligung am Kartell die
Feststellung, dass sie einräumt, noch am 4. März 1996 an einem Treffen des Geschäftsführer-Klubs
und bis zum 25. März 1996 an Treffen der deutschen Kontaktgruppe teilgenommen zu haben.
102.
Zweitens macht die Klägerin zu Unrecht geltend, die Kommission hätte das Vorliegen von zwei
gesonderten Kartellen feststellen sowie berücksichtigen müssen, dass ihre Mitwirkung am dänischen
Kartell im April 1993 geendet und ihre Mitwirkung am europaweiten Kartell erst im März 1995
begonnen habe. Nach den obigen Feststellungen in den Randnummern 50 bis 65 und 84 bis 88 hat
die Klägerin noch im August oder September 1993 an einer grundsätzlichen Vereinbarung über die
Aufteilung des deutschen Marktes und dann ab Mai 1994 an der Vereinbarung über die gemeinsame
Preisliste in Deutschland teilgenommen. Wie sich aus Randnummer 153 der Entscheidung ergibt, hat
die Kommission bei der Beurteilung der Dauer des der Klägerin zur Last gelegten Verstoßes
abergerade berücksichtigt, dass die Kartellabsprachen in der Zeit von Oktober 1993 bis etwa März
1994 ausgesetzt waren.
103.
Überdies wird im Rahmen der Berechnung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße bestätigt,
dass die Kommission einen Zeitraum der Aussetzung des Kartells berücksichtigt hat. Nach
Randnummer 175 Absatz 3 der Entscheidung wurde bei der Festsetzung ihrer Geldbuße vom selben
Zeitraum ausgegangen wie bei ABB. Zu ABB heißt es aber in Randnummer 170 der Entscheidung, die
Aussetzung der Vorkehrungen „ab Ende 1993 bis Anfang 1994“ gehöre neben der Tatsache, dass sie
im Anfangszeitraum unvollständig und von begrenzter Wirkung außerhalb des dänischen Marktes
gewesen seien und ihre entwickelteste Form erst mit dem im Jahr 1994/95 vereinbarten europaweiten
Kartell angenommen hätten, zu den Faktoren, denen die Kommission Rechnung getragen habe, als
sie die Geldbuße wegen des Vorliegens einer fünf Jahre dauernden Zuwiderhandlung mit 1,4
gewichtet habe.
104.
Dass die Klägerin ab Mai 1994 wieder am Kartell mitwirkte, während in der Entscheidung nur eine
Aussetzung bis „etwa März 1994“ berücksichtigt wurde, macht die Beurteilung der Dauer der
Zuwiderhandlung durch die Kommission nicht ungültig, da nach Randnummer 170 der Entscheidung
die Aussetzung des Kartells für einige Monate jedenfalls nur einer von mehreren Faktoren bei der
Ermittlung der Auswirkungen der bei der Berechnung der Geldbuße heranzuziehenden Dauer der
Zuwiderhandlung war, so dass die genannten Auswirkungen nicht davon abhingen, wie viele Monate
die Kartellabsprachen genau ausgesetzt waren.
105.
Da die Aussetzung der Tätigkeiten des Kartells bei der Beurteilung von dessen Dauer berücksichtigt
wurde, kann sich die Klägerin auch nicht darauf berufen, dass die Kommission das fragliche Kartell als
einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung eingestuft hat.
106.
Mit der Einstufung des fraglichen Kartells als einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung hat die
Kommission das u. a. von der Klägerin im Verwaltungsverfahren vorgebrachte Argument
zurückgewiesen, dass es sich bei dem „dänischen“ und dem „europaweiten“ Kartell um zwei völlig
unterschiedliche und voneinander getrennte Zuwiderhandlungen gehandelt habe. In diesem Kontext
hat die Kommission ausgeführt, es habe von Beginn des Kartells in Dänemark an das längerfristige
Ziel der Ausdehnung der Kontrolle auf den gesamten Fernwärmemarkt bestanden (Randnr. 140
Absatz 3 der Entscheidung), für die Zeit von September 1993 bis März 1994 könne jede
Unterbrechung als Aussetzung der normalen Absprachen und Beziehungen angesehen werden
(Randnr. 141 Absatz 3 der Entscheidung) und es gebe in Methode und Praxis eine klare Kontinuität
zwischen der Vereinbarung von 1994 über den gesamteuropäischen Markt und früheren Absprachen
(Randnr. 142 Absatz 1 der Entscheidung).
107.
Folglich hat die Kommission, als sie in ihrer Entscheidung die Ansicht vertrat, dass das ab Ende
1994 errichtete europaweite Kartell nur eine Fortsetzung des früherenKartells der Hersteller auf dem
Fernwärmemarkt gewesen sei, der Klägerin keine ununterbrochene Mitwirkung an einem Kartell im
gesamten Zeitraum von November 1990 bis März 1996 zur Last gelegt. Dies gilt umso mehr, als die
Kommission Folgendes ausdrücklich anerkannt hat: „Die Zuwiderhandlung bildet einen einzigen,
kontinuierlichen Verstoß; die Kommission räumt jedoch ein, dass Intensität und Wirkung im relevanten
Zeitraum variierten. Sie griff schrittweise, ausgehend von im Wesentlichen den dänischen Markt
betreffenden Absprachen im Jahr 1991 (bei zeitweiser, allerdings kurzer Aussetzung), auf andere
Märkte über und erhielt etwa 1994 die Form eines gesamteuropäischen Kartells, das fast den
gesamten Handel mit dem relevanten Produkt abdeckte“ (Randnr. 145 Absatz 3 der Entscheidung).
108.
Somit ist das Vorbringen der Klägerin zu Dauer und Stetigkeit der Zuwiderhandlung zurückzuweisen.
109.
Die das Vorliegen eines fortgesetzten Kartells von 1990 bis 1996 betreffende Rüge ist daher in
vollem Umfang zurückzuweisen.
C -
1. Vorbringen der Parteien
110.
Die Klägerin wirft der Kommission vor, in ihrem Fall fälschlich den italienischen Markt einbezogen zu
haben, auf dem sie nicht tätig gewesen sei. Für Zuwiderhandlungen, die ihr örtlicher Vertriebshändler
Socologstor auf diesem Markt begangen habe, könne sie nicht zur Verantwortung gezogen werden,
da sie nur zu 49 % an diesem Unternehmen beteiligt sei.
111.
Es gebe insoweit keinen Grund, Socologstor anders zu behandeln als die KE KELIT Kunststoffwerk
GmbH (im Folgenden: KE KELIT), die ebenfalls ihre Produkte vertrieben habe und gegen die eine
eigene Geldbuße festgesetzt worden sei. Auch wenn die Anwesenheit der Klägerin bei Treffen zum
italienischen Markt eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln darstellen könne, habe die
Kommission nicht dargetan, dass sie Socologstor ihren Willen habe aufzwingen können, um eine
Wettbewerbsbeschränkung herbeizuführen.
112.
Die Beklagte verweist auf die Belege für die Zuteilung von Quoten für Italien an alle Hersteller
einschließlich der Klägerin sowie auf deren Anwesenheit bei einem Treffen der Kontaktgruppe für
Italien und bei einem anderen Treffen am 9. Juni 1995, bei dem es ebenfalls um dieses Land
gegangen sei. Die Klägerin hätte sich nicht die Mühe gemacht, an diesen Treffen teilzunehmen, wenn
sie kein echtes Interesse an Italien gehabt hätte. Im Übrigen entlaste die Tatsache, dass die
Kommission die Möglichkeit gehabt hätte, ein Verfahren unmittelbar gegen Socologstor einzuleiten,
die Klägerin nicht von ihrer Verantwortung für die Handlungen des Kartells in Italien.
2. Würdigung durch das Gericht
113.
Die Klägerin bestreitet nicht, dass sie am ersten Treffen der Kontaktgruppe für Italien am 21. März
1995 in Mailand sowie an einem weiteren Treffen in Bezug auf Italien am 9. Juni 1995 in Zürich
teilnahm.
114.
Überdies ergibt sich aus einigen Vermerken, die die Kommission von den fraglichen Unternehmen
erlangt hat, dass die Klägerin in Bezug auf den italienischen Markt in die Zuteilung von Quoten und
Projekten einbezogen war (Anhänge 64, 111 und 188 der Mitteilung der Beschwerdepunkte); dies wird
auch von Pan-Isovit bestätigt (Antwort vom 17. Juni 1996 auf das Auskunftsverlangen).
115.
Folglich verfügte die Kommission über genügend Anhaltspunkte dafür, dass sich die Mitwirkung der
Klägerin am europaweiten Kartell auch auf den italienischen Markt erstreckte, so dass nicht geprüft zu
werden braucht, in welchem Umfang die Klägerin das Verhalten ihres Vertriebshändlers auf diesem
Markt kontrollieren konnte.
116.
Die Rüge der Klägerin ist daher zurückzuweisen.
D -
1. Vorbringen der Parteien
117.
Die Klägerin trägt vor, sie habe sich nicht an der den Rohrherstellern vorgeworfenen
Zuwiderhandlung beteiligt, die darin bestehen solle, dass Qualitätsnormen dazu verwendet worden
seien, die Preise hoch zu halten und die Einführung neuer kostensparender Technologie zu verzögern.
Sie sei vielmehr das Opfer eines solchen Verhaltens gewesen, das sich in erster Linie gegen die von
ihr entwickelte Technologie gerichtet habe.
118.
Die Beklagte behaupte insoweit zu Unrecht, dass eine solche Zuwiderhandlung nicht zu dem in der
Entscheidung geahndeten Verhalten gehöre. Sie sei zwar nicht in die „wesentlichen Merkmale“ der
Zuwiderhandlungen aufgenommen worden, doch werde dieses Verhalten in Randnummer 2 der
Entscheidung als gesonderte Zuwiderhandlung genannt, die u. a. der Klägerin zur Last gelegt werde.
In Artikel 1 der Entscheidung werde aber zur Definition der fraglichen Zuwiderhandlung ausdrücklich
auf die Erwägungen an anderer Stelle verwiesen.
119.
Die Beklagte weist darauf hin, dass in Artikel 1 der Entscheidung die Verwendung von
Qualitätsnormen nicht zu den wesentlichen Merkmalen der Zuwiderhandlung gezählt werde. Die Frage,
ob die Klägerin ein Opfer der Kooperation in Bezug auf die Qualitätsnormen gewesen sei, da sie über
effizientere Technologie verfügt habe, sei bei der Beurteilung mildernder Umstände im Rahmen der
Festsetzung der Höhe der Geldbuße zu prüfen.
2. Würdigung durch das Gericht
120.
Die Verwendung von Qualitätsnormen, um ein bestimmtes Preisniveau zu halten und die Einführung
neuer kostensparender Technologien zu verzögern, gehört zu den in Randnummer 2 der Entscheidung
genannten Merkmalen der fraglichen Zuwiderhandlung. Später verweist die Kommission in den
Randnummern 113 bis 115 bei der Prüfung der Rolle des Herstellerverbandes „European District
Heating Pipe Manufacturers Association“ (EuHP) im Kartell auf die Absicht von ABB, mittels der
Qualitätsnormen zu verhindern, dass die Klägerin ein kontinuierliches Herstellungsverfahren anwende,
mit dem die Produktionskosten und dadurch die Preise gesenkt werden könnten. Ferner gehört nach
Randnummer 147, letzter Gedankenstrich, der Entscheidung zu den durch das Kartell herbeigeführten
Wettbewerbsbeschränkungen „die Nutzung von Normen und Standards, um die Einführung einer
neuen Technik, die eine Verringerung der Preise zur Folge hätte, zu verhindern oder zu verzögern
(betrifft die EuHP-Mitglieder)“.
121.
Die Kooperation in Bezug auf die Qualitätsnormen gehört jedoch nicht zu den in Artikel 1 Absatz 3
der berichtigten Fassung der angefochtenen Entscheidung genannten wesentlichen Merkmalen des
Kartells. Die dänische Fassung der Entscheidung, die der Klägerin am 21. Oktober 1988 zugestellt
wurde, enthielt zwar in ihrem verfügenden Teil einen Abschnitt, in dem die Kooperation in Bezug auf
die Qualitätsnormen zu den wesentlichen Merkmalen des Kartells gezählt wurde. Die Kommission hat
aber genau diesen Abschnitt des verfügenden Teils mit Berichtigungsentscheidung vom 6. November
1998 gestrichen und damit klar zu erkennen gegeben, dass sie nicht daran festhält, diese
Kooperation als Bestandteil der der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlung einzustufen.
122.
Auch wenn weiterhin insofern eine gewisse Unstimmigkeit besteht, als die Kooperation in Bezug auf
die Qualitätsnormen im verfügenden Teil der Entscheidung nicht unter den Merkmalen der fraglichen
Zuwiderhandlung aufgeführt ist, in der Begründung aber mehrfach beschrieben wird, gibt es nach der
Klarstellung durch die genannte Berichtigung keinen Zweifel mehr daran, dass die Kommission der
Klägerin nicht vorwirft, durch die Beteiligung an einer Kooperation in Bezug auf die Qualitätsnormen
eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 EG-Vertrag begangen zu haben.
123.
Folglich kann die Klägerin die Gültigkeit der Entscheidung nicht unter Hinweis darauf in Frage
stellen, dass sie sich nicht an einer solchen Kooperation beteiligt habe.
124.
Diese Rüge ist daher zurückzuweisen.
E -
1. Vorbringen der Parteien
125.
Die Klägerin wendet sich gegen alle sie betreffenden Ausführungen in der Entscheidung zu
aufeinander abgestimmten Maßnahmen gegenüber Powerpipe. Sie habe zwar an Treffen
teilgenommen, bei denen über Maßnahmen gegen Powerpipe gesprochen worden sei, habe aber nie
eine solche abgestimmte Maßnahme durchgeführt.
126.
Das Treffen in Billund im Juli 1992 und die Abwerbung des Geschäftsführers des schwedischen
Unternehmens Powerpipe hätten vor dem Beitritt Schwedens zur Europäischen Union am 1. Januar
1995 stattgefunden. Folglich seien sie nur insoweit relevant, als sie sich auf den Wettbewerb
innerhalb der Europäischen Union ausgewirkt hätten. Falls es überhaupt eine solche Auswirkung
gegeben habe, sei sie aber minimal gewesen.
127.
Sie habe zwar an dem Treffen mit ABB und Powerpipe in Billund teilgenommen, bei dem ABB eine
Warnung an Powerpipe gerichtet habe. Gegenstand dieses Treffens sei aber die Erörterung eines
möglichen Verkaufs von Powerpipe an ABB und/oder sie gewesen, und sie habe sich von den
Verhandlungen mit ABB zurückgezogen, als diese klar zu erkennen gegeben habe, dass sie Powerpipe
schließen und aufspalten wolle.
128.
Was die Abwerbung des Geschäftsführers von Powerpipe anbelange, so sei eine Zeit lang geplant
gewesen, eine Interessenvertretung in Brüssel zu eröffnen, und der Vorschlag von ABB, gemeinsam
diese Person dafür einzustellen, sei als gute Wahl erschienen. Die Frage sei erst später, vermutlich im
Herbst 1993 oder Anfang 1994, erneut aufgeworfen worden. Die Klägerin habe von der Abwerbung
erst erfahren, als ABB ihr die Rechnung für die damit verbundenen Kosten präsentiert habe. Die
Klägerin habe angenommen, dass der Betreffende Powerpipe verlassen wollte und selbst an ABB
herangetreten sei. In diesem Kontext habe sie sich bereit erklärt, einen Teil der Kosten für seine
Einstellung zu tragen. Von einer Kampagne von ABB zur Abwerbung anderer Mitarbeiter von Powerpipe
sei ihr nichts bekannt gewesen, und sie habe sich nicht daran beteiligt.
129.
Sie bestreite nicht, 1994 Kontakt zu Powerpipe aufgenommen zu haben, um sie davon zu
überzeugen, sich von dem Projekt in Neubrandenburg zurückzuziehen, nachdem Henss insoweit
starken Druck ausgeübt habe; sie habe Powerpipe vorgeschlagen, zu einer gütlichen Einigung mit
Henss/Isoplus zu kommen. Sie habe Powerpipe aber weder bei diesem Gespräch noch bei einem
zweiten telefonischen Kontakt in irgendeiner Weise gedroht.
130.
Bei dem Projekt in Leipzig-Lippendorf habe sie versucht, den Zuschlag zu erhalten, obwohl im
Rahmen des Kartells vereinbart worden sei, dieses Projekt den drei deutschen Herstellern zukommen
zu lassen. Sie habe ihre deutsche Tochtergesellschaft jedoch anweisen müssen, das im Rahmen
dieses Projekts abgegebene Angebot für 20-Meter-Rohre zurückzuziehen und durch ein Angebot für
18-Meter-Rohre zu ersetzen. Das erste Angebot hätte nämlich erhebliche Investitionen in neue
Produktionsanlagen erfordert, die sich nicht rentiert hätten.Das neue Angebot sei irrtümlich nie
abgegeben worden. Da der Projektführer über die Rücknahme des ersten Angebots ungehalten
gewesen sei, seien die Verhandlungen mit der Klägerin dann eingestellt worden.
131.
Zum Zeitpunkt des Treffens am 24. März 1995 habe der Projektführer ihres Wissens noch nicht die
Entscheidung getroffen, den Auftrag für das Projekt in Leipzig-Lippendorf an Powerpipe zu vergeben.
Sie habe am ersten Teil dieses Treffens nicht teilgenommen, bei dem möglicherweise ein
gemeinsames Vorgehen gegen Powerpipe erörtert worden sei. Während des Teils des Treffens, bei
dem sie zugegen gewesen sei, habe Henss auf kollektive Maßnahmen gedrängt. Die Klägerin habe die
Arbeitsgemeinschaft der drei deutschen Hersteller dagegen aufgefordert, sich dem Preis von
Powerpipe anzupassen, und habe ihr sogar angeboten, als Subunternehmer Rohre zu liefern. Die
Diskussionen hätten sich ferner darauf konzentriert, dass Powerpipe insbesondere innerhalb der
vorgesehenen Fristen technisch nicht in der Lage sei, das Angebot zu erfüllen. Bei dem Treffen habe
die Klägerin ABB vorgeschlagen, dem Projektführer zu erläutern, welcher Schaden für den Ruf der
Fernwärme im Allgemeinen bereits durch die Wahl eines unzureichend qualifizierten Lieferanten bei
dem Projekt in Turin entstanden sei. Die Bemühungen von ABB beim Projektführer seien erfolglos
gewesen, weil sich die Arbeitsgemeinschaft dem Preis von Powerpipe nicht habe anpassen wollen.
Erst im April 1995 habe die Klägerin erfahren, dass Powerpipe den Zuschlag erhalten habe.
132.
Die Klägerin habe keine gegen Powerpipe gerichtete Vereinbarung durchgeführt. Ihres Wissens
gelte dies auch für die übrigen Hersteller mit Ausnahme von ABB und Isoplus. Diese beiden
Unternehmen hätten bei einem Treffen des EuHP am 5. Mai 1995 darauf bestanden, abgestimmte
Maßnahmen gegenüber Powerpipe zu ergreifen, damit diese Versorgungsschwierigkeiten bekomme.
Da die Klägerin das vom Subunternehmer des Projekts in Leipzig-Lippendorf benötigte Material nicht
hergestellt habe, sei sie gar nicht in der Lage gewesen, dieses zu liefern. Bei einem Treffen am 13.
Juni 1995 habe es keine Bestätigung für eine gegen Powerpipe gerichtete Vereinbarung gegeben.
133.
Lymatex, ein Subunternehmer der Klägerin, sei von ihr in keiner Weise angewiesen worden,
Powerpipe zu schaden. Lymatex sei damals mit der Lieferung von Verbindungsstücken an die Klägerin
weit in Rückstand geraten, während diese sich vertraglich verpflichtet habe, ihren gesamten Bedarf
an Verbindungsstücken für 1995 von Lymatex zu beziehen. Entgegen den Angaben in Randnummer
102 der Entscheidung habe die Klägerin nur darauf bestanden, dass Lymatex ihre vertraglichen
Verpflichtungen ihr gegenüber erfülle. Lymatex habe aus eigenem Antrieb den Entwurf eines
Schreibens an Powerpipe der Klägerin zugeleitet, offenbar um ihr zu zeigen, dass sie sich bemühe, ihre
Lieferprobleme zu lösen; zu diesem Entwurf habe sich die Klägerin nie geäußert.
134.
Im Übrigen seien die Probleme von Powerpipe bei der Erfüllung ihrer vertraglichen Verpflichtungen
auf ihr eigenes Verhalten zurückzuführen. Bei dem Projekt von Århus Kommunale Værker (ÅKV) sei
Powerpipe einen Vertrag eingegangen, der die für sie unerfüllbare Verpflichtung enthalten habe, u. a.
kurzfristig Verbindungsstücke der gleichen Art wie die der Klägerin zu liefern. Wegen der
Lieferschwierigkeiten von Powerpipe sei der Projektführer letztlich vom Vertrag zurückgetreten. Diese
Entscheidung sei daher unabhängig davon getroffen worden, dass Lymatex beschlossen habe,
Powerpipe nicht mehr zu beliefern. Bestätigt werde dies dadurch, dass die Entscheidung, Powerpipe
den Lieferauftrag zu entziehen, am 10. Mai 1995 getroffen worden sei, also am gleichen Tag, an dem
Lymatex Powerpipe mitgeteilt habe, dass sie vorübergehende Lieferprobleme habe und bis September
1995 keine neuen Bestellungen annehmen könne. Die Gründe für den Rücktritt des Kunden vom
Vertrag hätten somit nichts mit dem Verhalten der Klägerin zu tun.
135.
Folglich habe die Klägerin bei den Versuchen, Powerpipe vom Markt zu verdrängen, keine Rolle
gespielt. Dass sie darauf bestanden habe, von Lymatex beliefert zu werden, sei völlig legitim gewesen,
und die angeblichen Konsequenzen dieser Haltung für Powerpipe hätten nicht auf einem
rechtswidrigen Verhalten beruht.
136.
Die Beklagte weist darauf hin, dass die Klägerin einräume, an einer ganzen Reihe von Treffen
teilgenommen zu haben, bei denen Maßnahmen gegen Powerpipe erörtert worden seien; dies gelte
insbesondere für das Treffen mit ABB und Powerpipe im Juli 1992, bei dem Letztere „verwarnt“ worden
sei. Dieses Eingeständnis reiche aus, um sie mit den abgestimmten Maßnahmen gegen Powerpipe in
Verbindung zu bringen. Zudem habe die Klägerin keine Beweise vorgelegt, die Zweifel an den
Feststellungen in den Randnummern 143 und 144 der Entscheidung weckten, nach denen sie sich
durch ihre Anwesenheit bei dem Treffen am 24. März 1995 an einer Vereinbarung zur Schädigung von
Powerpipe beteiligt habe.
2. Würdigung durch das Gericht
137.
Es ist der Klägerin nicht gelungen, die Feststellungen der Kommission zu ihrer Mitwirkung an einem
Plan zur Ausschaltung von Powerpipe und insbesondere zur Abwerbung wichtiger Mitarbeiter von
Powerpipe zu entkräften.
138.
Die Klägerin bestreitet nicht, an dem in Randnummer 91 der Entscheidung geschilderten Treffen in
Billund im Juli 1992 teilgenommen zu haben. Es ist auch unstreitig, dass die Klägerin mit ABB eine
Vereinbarung über die Abwerbung des Geschäftsführers von Powerpipe und die Teilung der damit
verbundenen Kosten traf und durchführte.
139.
Insoweit kann den Angaben der Klägerin, dass die Vereinbarung über die Beteiligung an den Kosten
der Abwerbung Powerpipe nicht habe schaden sollen,nicht gefolgt werden. Da ABB Powerpipe bereits
bei ihrem Treffen im Juli 1992 in Gegenwart der Klägerin verwarnt hatte, musste dieser klar sein, dass
der Plan von ABB, Mitarbeiter von Powerpipe einzustellen, Teil einer Strategie zur Schädigung von
Powerpipe war. Aus dem Vermerk von ABB vom 2. Juli 1993, der zur Vorbereitung eines Treffens mit der
Klägerin diente, geht hervor, dass die Einstellung dieses Geschäftsführers als „gemeinsame
Maßnahme gegenüber Powerpipe“ betrachtet wurde (Anhang 48 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte). Wie die Klägerin im Verwaltungsverfahren eingeräumt hat, wusste sie, dass die
Einstellung dieser Person als gegen Powerpipe gerichtete Maßnahme angesehen werden konnte
(Erklärung von Herrn Bech im Anhang der Antwort der Klägerin vom 25. April auf das
Auskunftsverlangen vom 13. März 1996).
140.
Selbst wenn die Klägerin geltend machen kann, sich anfänglich allein deshalb zur Beteiligung an
den Abwerbekosten bereit erklärt zu haben, um die Eröffnung einer Interessenvertretung zu
ermöglichen, kann diese Erklärung jedenfalls nicht die Tatsache rechtfertigen, dass sie bereit war,
den vorgesehenen Beitrag zu einem Zeitpunkt zu zahlen, zu dem klar war, dass die betreffende Person
von ABB zur Übernahme anderer als der geplanten Aufgaben eingestellt wurde.
141.
Unstreitig ist ferner, dass sich die Klägerin zu der Zeit, als Powerpipe ein Angebot für das Projekt in
Neubrandenburg abgab, mit ABB und Henss darauf verständigte, Druck auf Powerpipe auszuüben,
damit diese ihr Angebot zurückzieht. Auch wenn die Klägerin selbst bei ihren Gesprächen mit
Powerpipe dieser nicht drohte, steht fest, dass sie sich so verhielt, wie es mit den anderen
Kartellteilnehmern vereinbart worden war. Sie räumt ein, dass ihr Verkaufsleiter Powerpipe damals
bestätigt habe, dass es zwischen den Branchenangehörigen ein gewisses Einvernehmen gebe.
142.
Zu dem Druck, dem die Klägerin ausgesetzt gewesen sein soll, ist festzustellen, dass sich ein
Unternehmen, das mit anderen an wettbewerbswidrigen Handlungen teilnimmt, nicht darauf berufen
kann, dies unter dem Zwang der übrigen Teilnehmer getan zu haben. Es hätte nämlich, statt an
diesen Handlungen teilzunehmen, den ausgeübten Druck bei den zuständigen Behörden zur Anzeige
bringen und bei der Kommission eine Beschwerde nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 einlegen
können (vgl. Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-9/89, Hüls/Kommission, Slg.
1992, II-499, Randnrn. 123 und 128, und Urteil Tréfileurope/Kommission, Randnr. 58).
143.
Zur Vergabe des Projekts in Leipzig-Lippendorf ist festzustellen, dass die Schlussfolgerungen der
Kommission auf den Ergebnissen des Treffens in Düsseldorf am 24. März 1995 beruhen.
144.
Die Klägerin bestreitet insoweit nicht, dass es innerhalb des Kartells eine Vereinbarung gab, nach
der das Projekt in Leipzig-Lippendorf ABB, Henss/Isoplus und Pan-Isovit zugedacht war.
145.
Die Kommission war berechtigt, daraus in Randnummer 99 ihrer Entscheidung den Schluss zu
ziehen, dass die Klägerin ihr Angebot für dieses Projekt zumindest zum Teil aufgrund des Drucks der
anderen Hersteller zurückgezogen habe. Selbst wenn die Klägerin der Ansicht gewesen sein sollte,
dass die durch ihr erstes Angebot erforderlich werdenden Investitionen nicht rentabel sein könnten,
ist ihre Behauptung, die Abgabe eines neuen Angebots sei nur „irrtümlich“ unterblieben, nicht
glaubhaft, da sie in Anbetracht der Zuteilung des Projekts innerhalb des Kartells hätte wissen
müssen, dass ein solches Verhalten dem entsprach, was die übrigen Kartellteilnehmer von ihr
erwarteten.
146.
Ferner ergibt sich aus den Aufzeichnungen von Tarco über das Treffen am 24. März 1995 (Anhang
143 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), dass die Vergabe des Projekts in Leipzig-Lippendorf an
Powerpipe Anlass zur Erörterung einer Reihe von Maßnahmen war. In diesen Aufzeichnungen heißt es:
„[Powerpipe] hat offenbar den Zuschlag für [das Projekt] Leipzig-Lippendorf erhalten.
- Keine Belieferung von L-L, IKR, Mannesmann-Seiffert, VEAG durch irgendeinen Hersteller.
- Alle Auskunftsersuchen über das Projekt sind [X] mitzuteilen.
- Keiner unserer Zulieferer darf für [Powerpipe] arbeiten; wenn sie dies tun, wird die künftige
Zusammenarbeit eingestellt.
- Wir werden versuchen zu verhindern, dass [Powerpipe] Lieferungen von (z. B.) Kunststoff erhält.
- EuHP soll prüfen, ob wir uns darüber beschweren können, dass eine nicht qualifizierte Firma den
Zuschlag erhielt.“
147.
Nimmt ein Unternehmen an einem Treffen mit offensichtlich wettbewerbswidrigem Zweck teil, ohne
sich offen von dessen Inhalt zu distanzieren, so gibt es den anderen Teilnehmern Anlass zu der
Annahme, dass es dem Ergebnis des Treffens zustimmt und sich daran halten wird (vgl. die oben in
Randnr. 39 angeführte Rechtsprechung). Unter solchen Umständen reicht die Tatsache, dass bei dem
Treffen, an dem das fragliche Unternehmen teilnahm, eine rechtswidrige Absprache erörtert wurde,
als Beweis für seine Beteiligung an dieser Absprache aus.
148.
Da bei dem Treffen am 24. März 1995 wettbewerbswidrige Maßnahmen erörtert wurden, sind alle
Unternehmen, die an diesem Treffen teilnahmen, ohne sich offen zu distanzieren, als Beteiligte an der
aus den fraglichen Maßnahmen bestehenden Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise
anzusehen.
149.
Ob Powerpipe bereits den Zuschlag für das Projekt in Leipzig-Lippendorf erhalten hatte, als das
Treffen vom 24. März 1995 stattfand, ist dabei unerheblich. Den bei diesem Treffen erörterten
Maßnahmen lag jedenfalls die Annahme zugrunde, dass Powerpipe den Zuschlag erhalten werde.
Auch wenn der Vertrag zwischen der VEAG, von der die fragliche Ausschreibung stammte, und
Powerpipe möglicherweise erst nach diesem Treffen unterzeichnet wurde, geht aus dem Schreiben
der VEAG an den Generalunternehmer des Projekts vom 21. März 1995 (Anhang 142 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte) und aus der Antwort der VEAG vom 29. September 1995 auf das
Auskunftsverlangen hervor, dass die Entscheidung des Auftraggebers zugunsten von Powerpipe am
21. März 1995 fiel, also vor dem fraglichen Treffen.
150.
Im Übrigen kann sich die Klägerin ihrer Verantwortung nicht unter Hinweis darauf entziehen, dass
sie bei dem Teil des Treffens, bei dem möglicherweise ein gemeinsames Vorgehen gegen Powerpipe
erörtert worden sei, nicht zugegen gewesen sei. Sie räumt nämlich ein, dass Henss während des Teils
des Treffens, an dem sie teilnahm, auf „kollektive Maßnahmen“ drängte.
151.
Das Verhalten der Klägerin bei dem Treffen am 24. März 1995 kann auch nicht als offene
Distanzierung von der Entscheidung angesehen werden, Powerpipe nicht zu beliefern; nach dem
Kontext - insbesondere der Situation, in der sich Powerpipe bei dem ÅKV-Projekt befand, und den
Lieferproblemen von Lymatex - hat sie vielmehr eine diese Entscheidung unterstützende Haltung
eingenommen.
152.
Zum einen bestreitet die Klägerin nicht, ihr Missfallen zum Ausdruck gebracht zu haben, als sie
erfuhr, dass es Powerpipe gelungen war, nach Erhalt des Zuschlags für das ÅKV-Projekt, das das
Kartell ABB und ihr zugedacht hatte, im Rahmen der Erfüllung dieses Auftrags von der schwedischen
Tochtergesellschaft der Klägerin beliefert zu werden. Eine solche Haltung zeugt von dem Willen der
Klägerin, dafür zu sorgen, dass Powerpipe bei der Durchführung seiner Projekte
Versorgungsschwierigkeiten bekommt.
153.
Zum anderen ist es als erwiesen anzusehen, dass sich die Klägerin an Lymatex gewandt hat, damit
diese ihre Lieferungen an Powerpipe hinauszögert. Die Behauptung von Powerpipe, ein Mitarbeiter von
Lymatex habe ihr bestätigt, dass die Entscheidung, sie nicht vor September 1995 zu beliefern, nichts
mit den im Schreiben von Lymatex an Powerpipe vom 10. Mai 1995 (Anhang 153 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte) angesprochenen Produktionsschwierigkeiten zu tun gehabt habe, wird dadurch
bestätigt, dass ein Entwurf dieses Schreibens (Anhang 155 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) bei
den Nachprüfungen gefunden wurde, die die Kommission am 28. Juni 1995 u. a. im Büro des
Geschäftsführers der Klägerin vornahm. Die Tatsache, dass Lymatex es für erforderlich hielt, die
Klägerin über ihre Antwort auf die Bestellung von Powerpipe zu informieren, noch bevor Powerpipe
diese Antwort übersandt wurde, zeigt, dass Lymatex der Klägerin zumindest die Möglichkeit geben
wollte, auf die von ihrbeabsichtigte Beantwortung dieser Bestellung Einfluss zu nehmen. Angesichts
des Beschlusses bei dem Treffen am 24. März 1995, Powerpipe nicht zu beliefern, kann das
Vorhandensein des Entwurfs der Antwort von Lymatex bei der Klägerin nur als Bestätigung dafür
verstanden werden, dass die Klägerin am oder vor dem 10. Mai 1995 Kontakt zu Lymatex hatte und
dabei zum Ausdruck brachte, dass die Lieferungen an Powerpipe hinausgezögert werden sollten. Dem
steht nicht entgegen, dass Lymatex andere Bestellungen von Powerpipe nicht annullierte. Im Übrigen
hat Lymatex der Kommission insoweit keine wahren Angaben zur Übersendung eines Entwurfs ihrer
Antwort an die Klägerin gemacht, denn sie hat behauptet, es habe sich nicht um einen Entwurf,
sondern um eine Kopie des Schreibens an Powerpipe gehandelt, und sie habe nur belegen wollen,
dass sie etwas tue, um ihren vertraglichen Verpflichtungen gegenüber der Klägerin nachzukommen
(Anhang 157 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), während aus den Angaben auf der im Besitz der
Klägerin befindlichen Fassung des Schreibens klar hervorgeht, dass es sich um einen Entwurf handelt,
der ihr einige Stunden vor der Übersendung der endgültigen Fassung des Schreibens an Powerpipe
übermittelt wurde.
154.
Da es hinreichende Beweise dafür gibt, dass sich die Klägerin nicht von dem bei dem Treffen am 24.
März 1995 gefassten Boykottbeschluss distanziert hat, braucht nicht geklärt zu werden, inwieweit das
Verhalten der Klägerin die unmittelbare Ursache der Verluste war, die Powerpipe nach eigenen
Angaben insbesondere im Rahmen des ÅKV-Projekts erlitten hat.
155.
Folglich hat die Kommission einen stichhaltigen Nachweis für die Beteiligung der Klägerin an einer
Vereinbarung zur Schädigung von Powerpipe erbracht, da die Klägerin nicht dargetan hat, dass sie
sich vom Ergebnis des fraglichen Treffens distanziert hatte.
156.
Diese Schlussfolgerung wird auch durch das Argument der Klägerin nicht in Frage gestellt, sie wäre
jedenfalls nicht in der Lage gewesen, einen Boykott von Powerpipe vorzunehmen, da sie das vom
Subunternehmer des fraglichen Projekts benötigte Material nicht hergestellt habe.
157.
Ein Boykott kann einem Unternehmen auch dann zugerechnet werden, wenn es sich nicht
tatsächlich an dessen Durchführung beteiligt hat oder beteiligen konnte. Andernfalls würden
Unternehmen, die Boykottmaßnahmen zugestimmt haben, aber keine Gelegenheit hatten, selbst zu
ihrer Durchführung beizutragen, von jeder Verantwortung für ihre Beteiligung an der Vereinbarung
befreit.
158.
Ein Unternehmen, das sich an einer vielgestaltigen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln
durch eigene Handlungen beteiligt hat, die den Begriff der auf ein wettbewerbswidriges Ziel
gerichteten Vereinbarung oder abgestimmten Verhaltensweise im Sinne von Artikel 85 Absatz 1 EG-
Vertrag erfüllen und zur Verwirklichung der Zuwiderhandlung in ihrer Gesamtheit beitragen sollen,
kann für die gesamte Zeit seiner Beteiligung an der genannten Zuwiderhandlung auchfür das
Verhalten verantwortlich sein, das andere Unternehmen im Rahmen dieser Zuwiderhandlung an den
Tag legen, wenn das betreffende Unternehmen nachweislich von dem rechtswidrigen Verhalten der
anderen Beteiligten weiß oder es vernünftigerweise vorhersehen kann und bereit ist, die daraus
erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen (in diesem Sinne auch Urteil Kommission/Anic Partecipazioni,
Randnr. 203).
159.
Aufgrund ihrer Anwesenheit bei dem Treffen am 24. März 1995 kannte die Klägerin die Maßnahmen,
mit denen die Geschäftstätigkeit von Powerpipe behindert werden sollte. Da sie sich nicht von diesen
Maßnahmen distanzierte, gab sie den anderen Teilnehmern an dem Treffen zumindest Anlass zu der
Annahme, dass sie dessen Ergebnis zustimme und sich daran halten werde und dass sie bereit sei,
die daraus erwachsende Gefahr auf sich zu nehmen.
160.
Soweit die Kommission auf Vorgänge in Schweden vor dessen Beitritt zur Europäischen Union am 1.
Januar 1995 Bezug genommen hat, genügt schließlich der Hinweis, dass die Maßnahmen zur
Behinderung der Tätigkeit von Powerpipe, für die die Klägerin zur Verantwortung zu ziehen ist, durch
den Eintritt von Powerpipe auf den deutschen Markt ausgelöst wurden und dass ihnen somit die
Absicht zugrunde lag, Powerpipe daran zu hindern, ihre Tätigkeit in der Europäischen Union zu
verstärken. Zudem hat die Klägerin, als sie sich bereit erklärte, zur Abwerbung des Geschäftsführers
von Powerpipe beizutragen, tatsächlich schon vor dem 1. Januar 1995 im Gemeinsamen Markt eine
Vereinbarung zur Behinderung der Tätigkeit von Powerpipe durchgeführt. Folglich hat die Kommission
die in Schweden entstandenen wettbewerbswidrigen Tätigkeiten insofern berücksichtigt, als sie den
Wettbewerb innerhalb der Europäischen Union tatsächlich beeinträchtigten.
161.
Hierzu enthält Randnummer 148 der Entscheidung folgende klare Ausführungen:
„Die Kommission wird für die Zwecke dieses Verfahrens die gemeinsamen Maßnahmen gegen
Powerpipe im schwedischen Markt vor dem Beitritt Schwedens (1. Januar 1995) nur insoweit
berücksichtigen, als diese i) den Wettbewerb innerhalb der Gemeinschaft beeinträchtigten
(Powerpipes Eintritt in den deutschen Markt) und ii) Beweise für einen fortdauernden Plan zur
Schädigung oder Ausschaltung von Powerpipe nach diesem Zeitpunkt liefern.“
162.
Nach alledem ist auch die Rüge in Bezug auf die abgestimmten Maßnahmen gegen Powerpipe
zurückzuweisen.
F -
1. Vorbringen der Parteien
163.
Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe den von ABB auf sie ausgeübten Druck
unterschätzt; die Beklagte bestreitet dies.
2. Würdigung durch das Gericht
164.
Wie die Klägerin ausgeführt hat, erwähnt die Kommission in ihrer Entscheidung mehrmals, dass ABB
erheblichen Druck auf die übrigen Unternehmen der Branche ausgeübt habe, um sie dazu zu
bewegen, sich den fraglichen wettbewerbswidrigen Absprachen anzuschließen. Zudem hat die
Kommission bei der Ermittlung der Höhe der gegen ABB festgesetzten Geldbuße anerkannt, dass ABB
„[ihre] Wirtschaftsmacht und [ihre] Ressourcen als ein bedeutendes multinationales Unternehmen
benutzt hat, um die Wirksamkeit des Kartells zu steigern und zu gewährleisten, dass andere
Unternehmen sich nach [ihren] Wünschen richten“ (Randnr. 169 der Entscheidung).
165.
Zu der Zuwiderhandlung, die der Klägerin zur Last gelegt wird, genügt der Hinweis, dass sich ein
Unternehmen, das sich unter dem Zwang anderer Teilnehmer an wettbewerbswidrigen Handlungen
beteiligt, nach ständiger Rechtsprechung nicht auf diesen Zwang berufen kann, da es, statt an
diesen Handlungen teilzunehmen, den ausgeübten Druck hätte zur Anzeige bringen können (vgl. die in
Randnr. 142 angeführte Rechtsprechung).
166.
Da diese Rüge nicht durchgreift, ist der auf materielle Fehler bei der Anwendung von Artikel 85
Absatz 1 EG-Vertrag gestützte Klagegrund in vollem Umfang zurückzuweisen.
II -
A -
1. Vorbringen der Parteien
167.
Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe sie davon abgehalten, auf Akteneinsicht zu bestehen.
Bei Pan-Isovit, die offenbar Einsicht in die Akten verlangt habe, sei zur Strafe die Herabsetzung der
Geldbuße wegen ihrer Zusammenarbeit geringer ausgefallen als bei anderen Unternehmen. Die
Klägerin habe sich unter Druck mit einem Verzicht auf einen Teil ihrer Rechte einverstanden erklärt, da
sie gehofft habe, die Unterlagen über das Kartell unmittelbar von ABB zu erhalten. ABB habe ihr
jedoch nur ausgewählte Unterlagen zukommen lassen, die zudem unvollständig gewesen seien. Dass
die Kommission es den betroffenen Unternehmen überlassen habe, untereinander für einen
angemessenen Austausch von Akten zu sorgen, sei keine zufrieden stellende Lösung.
168.
Die Beklagte bestreitet, die Unternehmen an der Akteneinsicht gehindert zu haben, und weist
darauf hin, dass sich die Klägerin mit einem Austausch von Unterlagenunter den betroffenen
Unternehmen einverstanden erklärt habe. Die Herabsetzung der Geldbuße von Pan-Isovit habe nichts
mit der Haltung dieses Unternehmens zur Akteneinsicht zu tun gehabt. In Bezug auf ABB könne nicht
gesagt werden, dass sie unvollständige Unterlagen vorgelegt habe.
2. Würdigung durch das Gericht
169.
Der Zweck der Akteneinsicht in Wettbewerbssachen besteht darin, es den Adressaten einer
Mitteilung der Beschwerdepunkte zu ermöglichen, von den in den Akten der Kommission enthaltenen
Beweismitteln Kenntnis zu nehmen, damit sie auf deren Grundlage zu den Schlussfolgerungen, zu
denen die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte gelangt ist, sachgerecht Stellung
nehmen können (Urteile des Gerichtshofes vom 17. Dezember 1998 in der Rechtssache C-185/95 P,
Baustahlgewebe/Kommission, Slg. 1998, I-8417, Randnr. 89, und vom 8. Juli 1999 in der Rechtssache
C-51/92 P, Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1999, I-4235, Randnr. 75; Urteile des Gerichts vom 29.
Juni 1995 in den Rechtssachen T-30/91, Solvay/Kommission, Slg. 1995, II-1775, Randnr. 59, und T-
36/91, ICI/Kommission, Slg. 1995, II-1847, Randnr. 69). Die Akteneinsicht gehört somit zu den
Verfahrensgarantien, die die Rechte der Verteidigung schützen und insbesondere die effektive
Ausübung des in Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 und in Artikel 2 der Verordnung Nr.
99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze (1) und (2)
der Verordnung Nr. 17 (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268) vorgesehenen Anhörungsrechts sicherstellen
sollen (Urteil des Gerichts vom 1. April 1993 in der Rechtssache T-65/89, BPB Industries und British
Gypsum/Kommission, Slg. 1993, II-389, Randnr. 30).
170.
Nach ständiger Rechtsprechung muss die Kommission den betroffenen Unternehmen und
Unternehmensvereinigungen, damit sich diese gegen die ihnen in der Mitteilung der
Beschwerdepunkte zur Last gelegten Beschwerdepunkte sachgerecht verteidigen können, die
vollständige Ermittlungsakte zugänglich machen, mit Ausnahme der Schriftstücke, die
Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen oder sonstige vertrauliche Informationen enthalten, und
der internen Vermerke der Kommission (Urteile des Gerichts vom 17. Dezember 1991, Hercules
Chemicals/Kommission, Randnr. 54, und vom 19. Mai 1999 in der Rechtssache T-175/95, BASF
Coatings/Kommission, Slg. 1999, II-1581).
171.
Im Rahmen des nach der Verordnung Nr. 17 durchgeführten kontradiktorischen Verfahrens darf die
Kommission nicht allein entscheiden, welche Schriftstücke der Verteidigung dienlich sind (Urteile vom
29. Juni 1995, Solvay/Kommission, Randnr. 81, und ICI/Kommission, Randnr. 91). Der allgemeine
Grundsatz der Waffengleichheit lässt es nicht zu, dass die Kommission allein darüber entscheiden
kann, ob sie Schriftstücke gegen die Unternehmen verwendet, zu denen diese keinen Zugang hatten
und bezüglich deren sie somit nicht entscheiden konnten, ob sie von ihnen für ihre Verteidigung
Gebrauch machen sollen (Urteile vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission, Randnr. 83, und
ICI/Kommission, Randnr. 93).
172.
Im Licht dieser Grundsätze ist zu prüfen, ob die Kommission im vorliegenden Fall ihrer Verpflichtung
nachgekommen ist, Einsicht in die vollständige Ermittlungsakte zu gewähren.
173.
Zunächst hat die Kommission in ihrem der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügten Schreiben
vom 20. März 1997 der Klägerin Folgendes mitgeteilt:
„Um den Unternehmen die Abfassung ihrer Stellungnahme zu den Beschwerdepunkten zu erleichtern,
erhalten sie Gelegenheit, Einsicht in die Kommissionsakten zu nehmen. Im vorliegenden Fall hat die
Kommission alle in Betracht kommenden Unterlagen als Anlage den Beschwerdepunkten beigefügt
(einschließlich einer Liste aller Unterlagen). Zu diesen Unterlagen gehört auch der in Betracht
kommende Schriftwechsel auf der Grundlage von Artikel 11 der Verordnung Nr. [17]. Hinweise auf
Sachverhalte, die keinerlei Verbindung mit diesem Fall aufweisen, sind in den Unterlagen unkenntlich
gemacht worden.
Falls Sie in die Ihnen zugänglichen Akten in den Gebäuden der Kommission Einsicht nehmen wollen,
werden Sie gebeten, mit ... innerhalb von drei Wochen nach Erhalt dieses Schreibens Kontakt
aufzunehmen, um einen Termin zu vereinbaren.“
174.
Auf eine schriftliche Frage des Gerichts hat die Klägerin geantwortet, sie habe am 23. April 1997
Kontakt zur Kommission aufgenommen, um Einsicht in die gesamte Akte zu erhalten. Zwar steht fest,
dass ein solches Telefongespräch stattfand, doch die Parteien streiten über dessen genauen Inhalt
und insbesondere darüber, ob die Kommission, wie die Klägerin behauptet, eine Akteneinsicht mit den
Worten abgelehnt habe, dass die Unternehmen, „wenn sie sich tatsächlich kooperativ zeigen wollten,
selbst für den Austausch von Kopien sorgen sollten“, und ob die Klägerin letztlich Einsicht in die
gesamte Akte verlangte. Unstreitig ist jedoch, dass bei diesem Gespräch von einem Verfahren zum
Austausch von Unterlagen unter den betroffenen Unternehmen die Rede war.
175.
Es steht fest, dass die Kommission den Unternehmen, an die die Mitteilung der Beschwerdepunkte
gerichtet worden war, im April und im Mai 1997 vorschlug, einen Austausch aller bei den
Nachprüfungen bei ihnen sichergestellten Unterlagen durchzuführen. Unstreitig erklärten sich alle
betroffenen Unternehmen mit Ausnahme von Dansk Rørindustri bereit, einen solchen Austausch von
Unterlagen vorzunehmen. Nachfolgend erhielten alle am Austausch von Unterlagen mitwirkenden
Unternehmen, zu denen auch die Klägerin gehörte, von jedem der übrigen Unternehmen die bei
diesem sichergestellten Unterlagen sowie eine entweder von den fraglichen Unternehmen oder, im
Fall von ABB und Pan-Isovit, auf deren Ersuchen von der Kommission erstellte Liste. Von den bei Dansk
Rørindustri sichergestellten Unterlagen wurde ein Teil auf Verlangen der Kommission am 18. Juni 1997
den übrigen Unternehmen übermittelt, während ein anderer Teil von der Kommission selbst am 24.
September 1997 übersandt wurde.
176.
Ferner steht fest, dass sich die Klägerin nach dem Telefongespräch vom 23. April 1997 wegen der
Akteneinsicht nicht mehr an die Dienststellen der Kommission wandte.
177.
In ihrer Antwort auf die schriftliche Frage des Gerichts macht die Klägerin geltend, sie habe aus
dem genannten Telefongespräch geschlossen, dass es in ihrem Interesse liege, keine Einsicht in die
gesamte Akte der Kommission zu verlangen, da ihr sonst mangelnde Kooperation im
Verwaltungsverfahren zur Last gelegt würde.
178.
Die Klägerin hat jedoch keinen Beweis für ein Verhalten der Kommission erbracht, aus dem sie
damals vernünftigerweise hätte schließen können, dass die Ausübung ihres Rechts auf Akteneinsicht
Auswirkungen auf die spätere Beurteilung des Umfangs ihrer Kooperation bei der Berechnung der
Geldbuße haben würde. Es trifft zu, dass ABB in einem Schreiben an die Kommission vom 6. Juni 1997
ihren Vorschlag zum Austausch von Unterlagen mit ihrer Bereitschaft zur Kooperation mit der
Kommission verknüpfte und dass Tarco in einem Schreiben an die Kommission vom 19. Juni 1997
ausführte, dass sie durch die Teilnahme am Austausch von Unterlagen „unsere beabsichtigte und
tatsächliche Kooperation mit der Kommission fort[setzte], obwohl wir Gefahr liefen, keine Einsicht in
die gesamte Akte zu erhalten“. In diesen Ausführungen kommt zwar der Wille der betreffenden
Unternehmen zum Ausdruck, ihre Kooperation beizubehalten, doch nehmen sie nicht auf ein Verhalten
der Kommission Bezug, das den Eindruck hätte erwecken können, dass ein Antrag auf Akteneinsicht
eine Erhöhung der Geldbuße zur Folge hätte. Die Klägerin hat auch keinen Beweis für ihre Behauptung
in der Klageschrift erbracht, dass sie sich „unter Druck“ bereit erklärt habe, nicht auf Akteneinsicht zu
bestehen. Das Gleiche gilt im Übrigen für ihre Behauptung, dass der Antrag von Pan-Isovit auf
Akteneinsicht Auswirkungen auf die Beurteilung ihrer Kooperation bei der Berechnung der Geldbuße
gehabt habe.
179.
Folglich hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass die Kommission Druck auf sie ausgeübt hat,
damit sie von der Möglichkeit der Einsichtnahme in die gesamte Ermittlungsakte keinen Gebrauch
macht. Daher ist anzunehmen, dass die Klägerin von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machen
wollte.
180.
Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass die Kommission, indem sie gemäß der Ankündigung in
ihrem der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügten Schreiben die Akteneinsicht in ihren
Räumlichkeiten vorsah und durchführte, ihrer Verpflichtung nachgekommen ist, den Unternehmen von
sich aus, ohne Schritte von deren Seite abzuwarten, Einsicht in die Ermittlungsakte zu gewähren.
181.
Unter diesen Umständen kann der Kommission auch kein Vorwurf daraus gemacht werden, dass sie
den Zugang zur Ermittlungsakte dadurch erleichtern wollte, dass sie die betroffenen Unternehmen
aufforderte, untereinander über ihreRechtsanwälte einen Austausch der bei den Nachprüfungen bei
ihnen sichergestellten Unterlagen vorzunehmen.
182.
Insoweit kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass sie keine ausreichende Akteneinsicht
erhalten habe, weil ABB im Rahmen dieses Austauschs von Unterlagen Schriftstücke übersandt habe,
aus denen einige Passagen getilgt worden seien.
183.
Aus dem Schreiben der Rechtsanwälte von ABB an die Rechtsanwälte der Klägerin vom 4. Juni 1997
geht hervor, dass ABB einige Schriftstücke „redigiert“ („redacted“) hatte, da sie interne Unterlagen
mit vertraulichen Informationen darstellten. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich die
Akteneinsicht nicht auf Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen und sonstige vertrauliche
Informationen erstrecken (siehe oben, Randnr. 170). Wenn die Klägerin Zweifel in Bezug auf die
Fassung bestimmter von ABB oder anderen Konkurrenten vorgelegten Unterlagen - insbesondere
hinsichtlich der von ABB in bestimmten Unterlagen getilgten Informationen - oder Zweifel an der
Vollständigkeit der von ihren Konkurrenten erstellten Listen von Unterlagen gehabt hätte, hätte sie
nichts daran gehindert, Kontakt zur Kommission aufzunehmen und gegebenenfalls von ihrem Recht
Gebrauch zu machen, die gesamte Ermittlungsakte in den Räumlichkeiten der Kommission einzusehen.
184.
Nach alledem hat die Kommission, als sie den betroffenen Unternehmen vorschlug, die Einsicht in
die Unterlagen durch deren Austausch zu erleichtern, und gleichzeitig selbst das Recht auf Einsicht in
die gesamte Ermittlungsakte gewährleistete, den in der Rechtsprechung des Gerichts aufgestellten
Anforderungen genügt, wonach ein Austausch von Unterlagen zwischen den Unternehmen die
Kommission nicht von ihrer Pflicht entbinden kann, im Rahmen der Aufklärung einer Zuwiderhandlung
gegen das Wettbewerbsrecht die Einhaltung der Verteidigungsrechte der betroffenen Unternehmen
selbst zu gewährleisten. Die Verteidigung eines Unternehmens kann nämlich nicht von dem guten
Willen eines anderen Unternehmens abhängen, das als sein Konkurrent gilt, gegen das die
Kommission gleichartige Vorwürfe erhoben hat und dessen wirtschaftliche und verfahrensrechtliche
Interessen oft entgegengesetzt sind (Urteile vom 29. Juni 1995, Solvay/Kommission, Randnrn. 85 und
86, und ICI/Kommission, Randnrn. 95 und 96).
185.
Folglich ist die Rüge unzureichender Akteneinsicht zurückzuweisen.
B -
1. Vorbringen der Parteien
186.
Die Klägerin wirft der Kommission vor, dadurch ihre Verteidigungsrechte verletzt zu haben, dass sie
nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte mit Schreiben vom22. Mai 1997 und vom 9. Oktober 1997
zweimal weitere Schriftstücke zur Stützung ihrer Anschuldigungen hinzugezogen habe. Die Kommission
sei nicht berechtigt, sich auf diese Schriftstücke zu berufen, da sie in der Mitteilung der
Beschwerdepunkte nicht klar angegeben habe, dass sie dies tun werde.
187.
Die Beklagte weist darauf hin, dass keine Verfahrensvorschrift sie daran hindere, nach der
Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte zusätzliche Beweise vorzulegen. In den fraglichen
Schreiben habe sie erläutert, dass sich die ihnen beigefügten Unterlagen auf Argumente bezögen, die
in der Mitteilung der Beschwerdepunkte oder in den Stellungnahmen zu dieser vorgebracht worden
seien. Da diese Schreiben lange vor der Anhörung übersandt worden seien, habe die Klägerin die
Möglichkeit gehabt, darauf zu antworten, und dies auch getan.
2. Würdigung durch das Gericht
188.
Nach Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 in Verbindung mit den Artikeln 2 und 4 der
Verordnung Nr. 99/63 muss die Kommission die Beschwerdepunkte, die sie den betroffenen
Unternehmen und Vereinigungen entgegenhalten will, mitteilen; sie darf in ihren Entscheidungen nur
Beschwerdepunkte berücksichtigen, zu denen diese Unternehmen und Vereinigungen Gelegenheit zur
Äußerung hatten (Urteil CB und Europay/Kommission, Randnr. 47).
189.
Ebenso verlangt der Grundsatz des rechtlichen Gehörs, der ein Grundprinzip des
Gemeinschaftsrechts ist, das unter allen Umständen, insbesondere aber in allen Verfahren, die zu
Sanktionen führen können, zu beachten ist, selbst wenn es sich dabei um ein Verwaltungsverfahren
handelt, dass die betroffenen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen bereits während des
Verwaltungsverfahrens in die Lage versetzt werden, zum Vorliegen und zur Bedeutung der von der
Kommission geltend gemachten Tatsachen, Beschwerdepunkte und Umstände angemessen Stellung
zu nehmen (Urteil des Gerichtshofes vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La
Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnr. 11; Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der
Rechtssache T-11/89, Shell/Kommission, Slg. 1992, II-757, Randnr. 39).
190.
Es gibt jedoch keine Bestimmung, die es der Kommission verbietet, den Parteien nach der
Übersendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte neue Schriftstücke zu übermitteln, in denen sie
eine Stütze für ihr Vorbringen sieht, sofern sie den Unternehmen die erforderliche Zeit einräumt, sich
hierzu zu äußern (Urteil des Gerichtshofes vom 25. Oktober 1983 in der Rechtssache 107/82,
AEG/Kommission, Slg. 1983, 3151, Randnr. 29).
191.
Im Schreiben vom 22. Mai 1997 hat die Kommission auf die Bedeutung der als Anlagen X1 bis X9
beigefügten Schriftstücke für die Mitteilung der Beschwerdepunkte vom 20. März 1997 hingewiesen
und angegeben, welchen Abschnitt der Mitteilung der Beschwerdepunkte jedes einzelne Schriftstück
betrifft.Folglich wurde die Klägerin ausreichend über die Relevanz dieser Schriftstücke für die bereits
übermittelten Beschwerdepunkte informiert.
192.
Bei den dem Schreiben vom 9. Oktober 1997 beigefügten Schriftstücken handelt es sich um eine
Reihe von 1 bis 18 nummerierter ergänzender Unterlagen zur Mitteilung der Beschwerdepunkte und
um eine Reihe von Antworten einiger Unternehmen auf Auskunftsverlangen; sie wurden zusammen mit
Übersichten übersandt, die für jede Unterlage den behandelten Gegenstand und eine Bezugnahme
auf den einschlägigen Abschnitt der Mitteilung der Beschwerdepunkte und gegebenenfalls auf
Abschnitte in den Stellungnahmen bestimmter Unternehmen zur Mitteilung der Beschwerdepunkte
enthalten.
193.
Folglich wurden mit den Schreiben der Kommission vom 22. Mai 1997 und vom 9. Oktober 1997
keine neuen Beschwerdepunkte eingeführt, sondern bestimmte Unterlagen benannt, die zusätzliche
Beweise für die in der dafür vorgesehenen Mitteilung enthaltenen Beschwerdepunkte darstellen.
194.
Da die Kommission hinreichende Angaben darüber gemacht hat, inwieweit sich jedes der
Schriftstücke, die nach der Mitteilung der Beschwerdepunkte übersandt wurden, auf diese bezog, und
da die Klägerin auch nicht geltend macht, nicht über die erforderliche Zeit verfügt zu haben, sich zu
ihnen zu äußern, war die Klägerin in der Lage, zum Vorliegen und zur Bedeutung der in diesen
Schriftstücken geltend gemachten Tatsachen, Beschwerdepunkte und Umstände angemessen
Stellung zu nehmen.
195.
Aus diesen Gründen ist die Rüge zurückzuweisen, soweit sie die Heranziehung neuer Beweismittel
betrifft.
C -
1. Vorbringen der Parteien
196.
Nach Ansicht der Klägerin hat die Kommission durch die Heranziehung ihrer neuen Leitlinien für das
Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen, die gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 und
gemäß Artikel 65 Absatz 5 EGKS-Vertrag festgesetzt werden (ABl. 1998, C 9, S. 3) (im Folgenden: neue
Leitlinien oder Leitlinien), die Verteidigungsrechte verletzt. Obwohl mit diesen Leitlinien die zuvor
geltenden Regeln grundlegend geändert würden, habe die Kommission in ihrer Mitteilung der
Beschwerdepunkte in keiner Weise zu erkennen gegeben, dass sie bei der Berechnung der
Geldbußen eine neue Politik verfolgen werde. Es werde aber allgemein als wünschenswert angesehen,
dass die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte die Kriterien nenne, die sie bei der
Bemessung der Geldbuße heranziehen wolle.
197.
Die Beklagte weist hinsichtlich des Fehlens jeder Angaben zur Höhe der Geldbuße in der Mitteilung
der Beschwerdepunkte darauf hin, dass es dazu keine Verpflichtung gebe.
2. Würdigung durch das Gericht
198.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission die gegen die Klägerin festgesetzte
Geldbuße unstreitig anhand der in den Leitlinien angekündigten allgemeinen Methode für die
Berechnung von Geldbußen ermittelt hat.
199.
Nach ständiger Rechtsprechung erfüllt die Kommission ihre Verpflichtung zur Wahrung des
Anhörungsrechts der Unternehmen, wenn sie in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich
darauf hinweist, dass sie prüfen werde, ob gegen die betreffenden Unternehmen Geldbußen
festzusetzen seien, und die für die etwaige Festsetzung einer Geldbuße wesentlichen tatsächlichen
und rechtlichen Gesichtspunkte wie Schwere und Dauer der vermuteten Zuwiderhandlung sowie den
Umstand anführt, ob diese „vorsätzlich oder fahrlässig“ begangen worden sei. Damit macht sie
gegenüber den Unternehmen die Angaben, die diese für ihre Verteidigung nicht nur gegen die
Feststellung einer Zuwiderhandlung, sondern auch gegen die Festsetzung einer Geldbuße benötigen
(Urteil des Gerichtshofes vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80 bis 103/80, Musique diffusion
française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825, Randnr. 21).
200.
Folglich sind bei der Bemessung der Geldbußen die Verteidigungsrechte der betroffenen
Unternehmen gegenüber der Kommission dadurch gewahrt, dass sie sich zu Dauer, Schwere und
Wettbewerbswidrigkeit des ihnen zur Last gelegten Sachverhalts äußern können. Außerdem verfügen
die Unternehmen bezüglich der Bemessung der Geldbußen über eine zusätzliche Garantie, weil das
Gericht mit Befugnis zu uneingeschränkter Nachprüfung entscheidet und u. a. die Geldbuße gemäß
Artikel 17 der Verordnung Nr. 17 aufheben oder herabsetzen kann (Urteil des Gerichts vom 6. Oktober
1994 in der Rechtssache T-83/91, Tetra Pak/Kommission, Slg. 1994, II-755, Randnr. 235).
201.
Hierzu ist festzustellen, dass die Kommission auf den Seiten 53 und 54 der der Klägerin
übersandten Mitteilung der Beschwerdepunkte erläutert hat, von welcher Dauer der Zuwiderhandlung
sie in ihrem Fall auszugehen beabsichtigte.
202.
Sodann hat sie auf den Seiten 57 und 58 der Mitteilung der Beschwerdepunkte die Gründe, aus
denen es sich im vorliegenden Fall ihres Erachtens um einen besonders schweren Verstoß handelt,
sowie die erschwerenden Umstände dargelegt: Manipulation der Ausschreibungsverfahren,
aggressive Durchsetzung des Kartells, um die Befolgung durch alle an den Vereinbarungen Beteiligten
zu gewährleisten und den einzigen nicht daran teilnehmenden Konkurrenten von Bedeutung
auszuschalten, sowie Fortsetzung der Zuwiderhandlung nach den Untersuchungen.
203.
Zugleich hat die Kommission dort ausgeführt, dass sie bei der Bemessung der Geldbuße der
einzelnen Unternehmen u. a. deren Rolle bei den wettbewerbswidrigen Praktiken, alle wesentlichen
Unterschiede bei der Dauer ihrer Beteiligung, ihre Bedeutung in der Fernwärmebranche, ihren Umsatz
in diesem Sektor, gegebenenfalls ihren Gesamtumsatz, um Größe und Wirtschaftskraft des fraglichen
Unternehmens zu erfassen und die nötige Abschreckungswirkung zu gewährleisten, und schließlich
alle mildernden Umstände berücksichtigen werde (Mitteilung der Beschwerdepunkte, S. 58).
204.
Ferner weist die Kommission auf Seite 58 der Mitteilung der Beschwerdepunkte in Bezug auf die
Klägerin darauf hin, dass diese eine führende Rolle im Kartell gespielt habe, der zweitgrößte Hersteller
von Fernwärmerohren sei und an allen Maßnahmen des Kartells führend beteiligt, wenn auch ABB
untergeordnet gewesen sei.
205.
Damit hat die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte die tatsächlichen und
rechtlichen Gesichtspunkte angegeben, auf die sie sich bei der Berechnung der Geldbuße der
Klägerin stützen würde, so dass deren Anhörungsrecht insoweit gebührend beachtet wurde.
206.
Da die Kommission die tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte angegeben hatte, auf die sich
ihre Berechnung der Geldbußen stützte, brauchte sie nicht zu erläutern, in welcher Weise sie jeden
dieser Gesichtspunkte bei der Bemessung der Geldbuße heranziehen würde. Angaben zur Höhe der
beabsichtigten Geldbußen wären nämlich, solange den Unternehmen keine Gelegenheit gegeben
wurde, zu den gegen sie in Betracht gezogenen Beschwerdepunkten Stellung zu nehmen, eine nicht
sachgerechte Vorwegnahme der Entscheidung der Kommission (Urteil Musique diffusion française u.
a./Kommission, Randnr. 21; Urteil des Gerichtshofes vom 9. November 1983 in der Rechtssache
322/81, Michelin/Kommission, Slg. 1983, 3461, Randnr. 19).
207.
Folglich war die Kommission auch nicht verpflichtet, den betroffenen Unternehmen während des
Verwaltungsverfahrens mitzuteilen, dass sie eine neue Methode für die Berechnung der Geldbußen
anzuwenden beabsichtigte.
208.
Insbesondere brauchte die Kommission in der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht auf die
Möglichkeit einer Änderung ihrer Politik bezüglich des Niveaus der Geldbußen hinzuweisen, eine
Möglichkeit, die von allgemeinen wettbewerbspolitischen Erwägungen abhing, die mit den
Besonderheiten der vorliegenden Fälle nicht in unmittelbarem Zusammenhang standen (Urteil
Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 22). Die Kommission ist nämlich nicht
verpflichtet, die Unternehmen zu warnen, indem sie ihnen ihre Absicht mitteilt, das allgemeine Niveau
der Geldbußen anzuheben (Urteil Solvay/Kommission vom 10. März 1992, Randnr. 311).
209.
Folglich verpflichtete das Anhörungsrecht der Klägerin die Kommission nicht dazu, ihr ihre Absicht
mitzuteilen, in ihrem Fall die neuen Leitlinien anzuwenden.
210.
Aus all diesen Gründen ist die Rüge einer Verletzung des Anhörungsrechts auch in Bezug auf die
Anwendung der Leitlinien bei der Berechnung von Geldbußen zurückzuweisen.
III -
A -
1. Vorbringen der Parteien
211.
Die Klägerin wirft der Kommission vor, gegen das Rückwirkungsverbot verstoßen zu haben, da in
ihrem Fall die neuen Leitlinien angewandt worden seien, obwohl sie mit der Kommission kooperiert
habe, ohne deren Absicht zu kennen, ihre Politik im Bereich der Geldbußen grundlegend zu ändern.
212.
Die in Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 vorgesehenen Geldbußen hätten Strafcharakter und fielen
daher unter Artikel 7 Absatz 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten (EMRK), der die Verhängung höherer als der im Zeitpunkt der Begehung der
fraglichen Zuwiderhandlung angedrohten Strafen verbiete. Die rückwirkende Anwendung der neuen
Rechtsregeln, die sich die Kommission in Bezug auf die Bußgeldbemessung auferlegt habe und die
normativen Charakter hätten und für die Kommission verbindlich seien, verstoße daher gegen Artikel 7
Absatz 1 EMRK. Selbst wenn diesen neuen Regeln kein normativer Charakter beigemessen werde,
sondern sie nur als Änderung der Praxis der Kommission angesehen würden, verstoße die Anwendung
der aus einer solchen Änderung resultierenden Normen gegen die in der genannten Bestimmung
enthaltenen Grundsätze. Wie sich u. a. aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für
Menschenrechte ergebe, fänden diese Grundsätze auch auf Änderungen der Rechtsprechung
Anwendung.
213.
Die Kommission sei zwar normalerweise berechtigt, das allgemeine Niveau der Geldbußen ohne
Vorwarnung anzuheben. Im vorliegenden Fall habe die Kommission jedoch ihre Politik und Praxis bei
Geldbußen grundlegend geändert und sei deshalb zu einer vorherigen Ankündigung verpflichtet
gewesen; dies gelte umso mehr, wenn ein Unternehmen - wie die Klägerin - freiwillig belastende
Beweismittel geliefert habe, ohne sich dieser grundlegenden Änderung bewusst zu sein.
214.
Die Leitlinien führten bei Unternehmen in der Situation der Klägerin zu einer systematischen
Erhöhung der Geldbußen. Durch die Berechnung der Geldbußen anhand absoluter Beträge führten
die Leitlinien zwangsläufig zu einerBerechnungsmethode, die kleine und mittlere Unternehmen
deutlich stärker belaste als ein System, bei dem die Geldbuße ganz oder teilweise vom Umsatz des
betreffenden Unternehmens abhänge.
215.
Die Beklagte hält dem entgegen, die neuen Leitlinien bildeten nur den Rahmen für die Anwendung
von Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 durch sie und brächten keine Änderung dieses Rahmens mit
sich. Sie hätte auch ohne den Erlass der neuen Leitlinien genau die gleiche Geldbuße gegen die
Klägerin festsetzen können.
216.
Überdies stellten die Leitlinien eine Änderung in der allgemeinen Vorgehensweise der Kommission
bei der Berechnung der Geldbußen dar, die in einem konkreten Fall nicht zwangsläufig zu einer
Erhöhung führe. Selbst wenn die Leitlinien auf die Festsetzung höherer Geldbußen abzielen würden,
wäre dies voll und ganz mit der Rechtsprechung vereinbar.
2. Würdigung durch das Gericht
217.
Nach ständiger Rechtsprechung gehören die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen,
deren Wahrung der Gemeinschaftsrichter zu sichern hat (vgl. u. a. Gutachten 2/94 des Gerichtshofes
vom 28. März 1996, Slg. 1996, I-1759, Randnr. 33, und Urteil des Gerichtshofes vom 29. Mai 1997 in
der Rechtssache C-299/95, Kremzow, Slg. 1997, I-2629, Randnr. 14). Dabei lässt er sich von den
gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die
völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluss die
Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. In diesem Rahmen kommt der EMRK
besondere Bedeutung zu (Urteil Kremzow, Randnr. 14; Urteil des Gerichts vom 20. Februar 2001 in der
Rechtssache T-112/98, Mannesmannröhren-Werke/Kommission, Slg. 2001, II-729, Randnr. 60). Im
Übrigen heißt es in Artikel F Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union (nach Änderung jetzt
Artikel 6 Absatz 2 EU): „Die Union achtet die Grundrechte, wie sie in der [EMRK] gewährleistet sind und
wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten als allgemeine
Grundsätze des Gemeinschaftsrechts ergeben.“
218.
Artikel 7 Absatz 1 EMRK lautet: „Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt
werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war.
Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung
angedrohte Strafe verhängt werden.“
219.
Das in Artikel 7 EMRK als Grundrecht verankerte Verbot der Rückwirkung von Strafvorschriften ist
ein allen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten gemeinsamer Grundsatz und gehört zu den
allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gemeinschaftsrichter zu sichern hat (Urteil des
Gerichtshofes vom 10. Juli 1984 in der Rechtssache 63/83, Kirk, Slg. 1984, 2689, Randnr. 22).
220.
Zwar sind nach Artikel 15 Absatz 4 der Verordnung Nr. 17 Entscheidungen der Kommission, mit
denen wegen Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht Geldbußen festgesetzt werden, nicht
strafrechtlicher Art (Urteil Tetra Pak/Kommission, Randnr. 235); gleichwohl muss die Kommission in
jedem Verwaltungsverfahren, das in Anwendung der Wettbewerbsregeln des Vertrages zu Sanktionen
führen kann, die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts und insbesondere das
Rückwirkungsverbot beachten (vgl. analog dazu Urteil Michelin/Kommission, Randnr. 7).
221.
Dies setzt voraus, dass die gegen ein Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die
Wettbewerbsregeln verhängten Sanktionen denen entsprechen, die zum Zeitpunkt der Begehung der
Zuwiderhandlung vorgesehen waren.
222.
Die Sanktionen, die die Kommission wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln
der Gemeinschaft verhängen kann, sind in Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 geregelt, der vor Beginn
der Zuwiderhandlung erlassen wurde. Die Kommission ist nicht befugt, die Verordnung Nr. 17 zu
ändern oder - z. B. durch allgemeine Regeln, die sie sich selbst auferlegt - von ihr abzuweichen. Auch
wenn sie die Geldbuße der Klägerin unstreitig anhand der in den Leitlinien angekündigten allgemeinen
Methode für die Berechnung von Geldbußen festgesetzt hat, ist sie dabei jedoch im Rahmen der in
Artikel 15 der Verordnung Nr. 17 geregelten Sanktionen geblieben.
223.
In Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 heißt es: „Die Kommission kann gegen Unternehmen
und Unternehmensvereinigungen durch Entscheidung Geldbußen in Höhe von eintausend bis einer
Million Rechnungseinheiten oder über diesen Betrag hinaus bis zu zehn vom Hundert des von dem
einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten
Umsatzes festsetzen, wenn sie vorsätzlich oder fahrlässig ... gegen Artikel 85 Absatz (1) ... des
Vertrages verstoßen ...“ Weiter heißt es dort: „Bei der Festsetzung der Höhe der Geldbuße ist neben
der Schwere des Verstoßes auch die Dauer der Zuwiderhandlung zu berücksichtigen.“
224.
Nach Nummer 1 Absatz 1 der Leitlinien wird bei der Berechnung der Geldbußen der Grundbetrag
nach Maßgabe der Schwere und der Dauer des Verstoßes als den einzigen Kriterien von Artikel 15
Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 errechnet.
225.
Gemäß den Leitlinien wählt die Kommission als Ausgangspunkt bei der Berechnung der Geldbußen
einen anhand der Schwere des Verstoßes ermittelten Betrag (im Folgenden: allgemeiner
Ausgangspunkt). Bei der Ermittlung der Schwere eines Verstoßes sind seine Art und die konkreten
Auswirkungen auf den Markt, sofern diese messbar sind, sowie der Umfang des betreffenden
räumlichen Marktes zu berücksichtigen (Nr. 1 Teil A Absatz 1). Dabei werden die Verstöße in drei
Gruppen unterteilt: „minder schwere Verstöße“, bei denen Geldbußen zwischen 1 000 und 1 Million
ECU in Betracht kommen, „schwere Verstöße“, beidenen die Geldbußen zwischen 1 Million und 20
Millionen ECU liegen können, und „besonders schwere Verstöße“, für die Geldbußen oberhalb von 20
Millionen ECU vorgesehen sind (Nr. 1 Teil A Absatz 2, erster bis dritter Gedankenstrich). Innerhalb
dieser einzelnen Kategorien und insbesondere bei den als „schwer“ und „besonders schwer“
eingestuften Verstößen ermöglicht die Skala der festzusetzenden Geldbußen eine Differenzierung
gemäß der Art des begangenen Verstoßes (Nr. 1 Teil A Absatz 3). Ferner ist die tatsächliche
wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße zu berücksichtigen, Wettbewerber und Verbraucher
wirtschaftlich in erheblichem Umfang zu schädigen, und die Geldbuße ist auf einen Betrag
festzusetzen, der eine hinreichend abschreckende Wirkung entfaltet (Nr. 1 Teil A Absatz 4).
226.
Darüber hinaus kann der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Großunternehmen in den
meisten Fällen über ausreichende Ressourcen an juristischem und wirtschaftlichem Sachverstand
verfügen, anhand deren sie besser erkennen können, in welchem Maß ihre Vorgehensweise einen
Verstoß darstellt und welche Folgen aus wettbewerbsrechtlicher Sicht zu gewärtigen sind (Nr. 1 Teil A
Absatz 5).
227.
Innerhalb der drei oben genannten Kategorien kann es in bestimmten Fällen angebracht sein, den
festgesetzten Betrag zu gewichten, um das jeweilige Gewicht und damit die tatsächliche Auswirkung
des Verstoßes jedes einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb zu berücksichtigen, vor allem,
wenn an einem Verstoß derselben Art Unternehmen von sehr unterschiedlicher Größe beteiligt waren,
und infolgedessen den allgemeinen Ausgangspunkt an den spezifischen Charakter jedes
Unternehmens anzupassen (im Folgenden: spezifischer Ausgangspunkt) (Nr. 1 Teil A Absatz 6).
228.
Bei der Berücksichtigung der Dauer eines Verstoßes ist nach den Leitlinien zu unterscheiden
zwischen Verstößen von kurzer Dauer (in der Regel weniger als ein Jahr), bei denen der anhand der
Schwere ermittelte Betrag nicht zu erhöhen ist, Verstößen von mittlerer Dauer (in der Regel zwischen
einem und fünf Jahren), bei denen dieser Betrag um bis zu 50 % erhöht werden kann, und Verstößen
von langer Dauer (in der Regel mehr als fünf Jahre), bei denen dieser Betrag für jedes Jahr des
Verstoßes um bis zu 10 % erhöht werden kann (Nr. 1 Teil B Absatz 1, erster bis dritter
Gedankenstrich).
229.
Anschließend enthalten die Leitlinien eine Liste von Beispielen für erschwerende und mildernde
Umstände, die zu einer Erhöhung oder Herabsetzung des Grundbetrags führen können, und nehmen
dann auf die Mitteilung der Kommission vom 18. Juli 1996 über die Nichtfestsetzung oder die
niedrigere Festsetzung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl. C 207, S. 4, im Folgenden: Mitteilung über
Zusammenarbeit) Bezug.
230.
Als allgemeine Bemerkung wird hinzugefügt, dass der Endbetrag der nach diesem Schema
ermittelten Geldbuße (Grundbetrag einschließlich der durch dieerschwerenden oder mildernden
Umstände bedingten prozentualen Auf- oder Abschläge) gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung
Nr. 17 in keinem Fall 10 % des Gesamtumsatzes der betroffenen Unternehmen übersteigen dürfe (Nr.
5 Buchstabe a). Ferner kann es den Leitlinien zufolge nach Durchführung der genannten
Berechnungen je nach Fall angezeigt sein, im Hinblick auf die entsprechende Anpassung der
vorgesehenen Geldbußen einige objektive Faktoren zu berücksichtigen, wie z. B. einen besonderen
wirtschaftlichen Zusammenhang, die von den Beteiligten an dem Verstoß eventuell erzielten
wirtschaftlichen oder finanziellen Vorteile und die besonderen Merkmale der betreffenden
Unternehmen wie ihre tatsächliche Steuerkraft in einem gegebenen sozialen Umfeld (Nr. 5 Buchstabe
b).
231.
Folglich wird die Berechnung der Geldbußen auch nach der in den Leitlinien beschriebenen
Methode anhand der beiden in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 genannten Kriterien -
Schwere des Verstoßes und Dauer der Zuwiderhandlung - unter Beachtung der dort festgelegten
Obergrenze in Bezug auf den Umsatz jedes Unternehmens vorgenommen.
232.
Somit kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Leitlinien über den in der genannten
Bestimmung vorgegebenen rechtlichen Rahmen für Sanktionen hinausgehen.
233.
Entgegen der Behauptung der Klägerin stellt die Änderung der bisherigen Verwaltungspraxis der
Kommission durch die Leitlinien auch keine Verfälschung des rechtlichen Rahmens für die Ermittlung
der zu verhängenden Geldbußen dar und verstößt daher nicht gegen die in Artikel 7 Absatz 1 EMRK
enthaltenen Grundsätze.
234.
Zum einen bildet die frühere Entscheidungspraxis der Kommission nicht selbst den rechtlichen
Rahmen für Geldbußen in Wettbewerbssachen, da dieser allein in der Verordnung Nr. 17 geregelt ist.
235.
Zum anderen kann die Einführung einer neuen Berechnungsmethode durch die Kommission, auch
wenn sie in einigen Fällen zu höheren Geldbußen führen mag, ohne jedoch die in der Verordnung Nr.
17 festgelegte Obergrenze zu überschreiten, angesichts des der Kommission in dieser Verordnung
eingeräumten Ermessens nicht als eine gegen das Gebot rechtmäßigen Handelns und den Grundsatz
der Rechtssicherheit verstoßende rückwirkende Verschärfung der rechtlich in Artikel 15 der
Verordnung Nr. 17 geregelten Geldbußen angesehen werden.
236.
Das Vorbringen, die Berechnung der Geldbußen anhand der in den Leitlinien beschriebenen
Methode, insbesondere ausgehend von einem Betrag, der sich grundsätzlich nach der Schwere des
Verstoßes richte, könne die Kommission dazu veranlassen, höhere Geldbußen als nach ihrer früheren
Praxis zu verhängen, ist insoweit unerheblich. Nach gefestigter Rechtsprechung ist die Schwere
derZuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die
besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen
gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall
berücksichtigt werden müssten (Beschluss des Gerichtshofes vom 25. März 1996 in der Rechtssache
C-137/95 P, SPO u. a./Kommission, Slg. 1996, I-1611, Randnr. 54; Urteil des Gerichtshofes vom 17. Juli
1997 in der Rechtssache C-219/95 P, Ferriere Nord/Kommission, Slg. 1997, I-4411, Randnr. 33; vgl.
auch Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T-295/94, Buchmann/Kommission, Slg.
1998, II-813, Randnr. 163). Außerdem verfügt die Kommission nach ständiger Rechtsprechung bei der
Festlegung der Höhe der Geldbußen im Rahmen der Verordnung Nr. 17 über ein Ermessen, um die
Unternehmen dazu anhalten zu können, die Wettbewerbsregeln einzuhalten (Urteile des Gerichts vom
6. April 1995 in der Rechtssache T-150/89, Martinelli/Kommission, Slg. 1995, II-1165, Randnr. 59, vom
11. Dezember 1996 in der Rechtssache T-49/95, Van Megen Sports/Kommission, Slg. 1996, II-1799,
Randnr. 53, und vom 21. Oktober 1997 in der Rechtssache T-229/94, Deutsche Bahn/Kommission, Slg.
1997, II-1689, Randnr. 127).
237.
Ferner geht aus der Rechtsprechung hervor, dass die Kommission dadurch, dass sie in der
Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbußen in bestimmter Höhe verhängt
hat, nicht daran gehindert ist, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen
Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen
Wettbewerbspolitik sicherzustellen (Urteil Musique diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 109,
Urteil Solvay/Kommission vom 10. März 1992, Randnr. 309, und Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in
der Rechtssache T-304/94, Europa Carton/Kommission, Slg. 1998, II-869, Randnr. 89). Die wirksame
Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft verlangt vielmehr, dass die Kommission das
Niveau der Geldbußen jederzeit den Erfordernissen dieser Politik anpassen kann (Urteil Musique
diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 109).
238.
Aus all diesen Gründen ist die Rüge eines Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot
zurückzuweisen.
B -
1. Vorbringen der Parteien
239.
Die Klägerin trägt vor, die Anwendung einer neuen Politik zur Berechnung der Geldbußen, nachdem
sie freiwillig belastende Beweismittel geliefert habe, verstoße gegen den Grundsatz des
Vertrauensschutzes. Sie sei berechtigt gewesen, auf die zum Zeitpunkt ihrer Kontaktaufnahme mit der
Kommission bestehende Praxis der Kommission bei der Berechnung der Geldbußen zu vertrauen. Das
Ermessen der Kommission sei unter diesen Umständen dadurch eingeschränkt worden, dass sie auf
der Grundlage der in der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13.Juli 1994 in einem
Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 - Karton) (ABl. L 243, S. 1, im Folgenden:
Entscheidung „Karton“) und dem Entwurf für eine Bekanntmachung der Kommission über den Erlass
oder die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellfällen (ABl. 1995, C 341, S. 13, im Folgenden: Entwurf
der Mitteilung über Zusammenarbeit), auf die damals sowohl sie als auch die Kommission Bezug
genommen hätten, dargestellten Methode zur Berechnung der Geldbußen mit der Kommission
kooperiert habe.
240.
Die Beklagte führt aus, nach der Rechtsprechung hätten Unternehmen, die gegen die
Wettbewerbsregeln verstießen, kein „Recht“ auf ein bestimmtes Bußgeldniveau. Die Klägerin könne
sich auch nicht darauf berufen, dass sie, als sie sich zur Übergabe von Schriftstücken an die
Kommission entschlossen habe, auf die Mitteilung über Zusammenarbeit vertraut und später
festgestellt habe, dass die Bußgeldpolitik durch die neuen Leitlinien geändert worden sei. Die
Kommission habe durch die Herabsetzung der Geldbuße um 30 % Wortlaut und Geist dieser Mitteilung
in vollem Umfang beachtet. Da in der Mitteilung die Berechnung des Grundbetrags der Geldbuße nicht
behandelt werde, habe sie bei den betroffenen Unternehmen keine Erwartung in Bezug auf das
Niveau der Geldbuße vor ihrer Verringerung gemäß der Mitteilung wecken können.
2. Würdigung durch das Gericht
241.
Bei der Festsetzung von Geldbußen wegen Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln übt die
Kommission ihre Befugnis im Rahmen des ihr durch die Verordnung Nr. 17 eingeräumten Ermessens
aus. Nach ständiger Rechtsprechung dürfen die Wirtschaftsteilnehmer nicht auf die Beibehaltung
einer bestehenden Situation vertrauen, die im Rahmen des Ermessensspielraums der
Gemeinschaftsorgane verändert werden kann (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1982 in der
Rechtssache 245/81, Edeka Zentrale, Slg. 1982, 2745, Randnr. 27, und vom 14. Februar 1990 in der
Rechtssache C-350/88, Delacre u. a./Kommission, Slg. 1990, I-395, Randnr. 33).
242.
Die Kommission ist vielmehr befugt, das allgemeine Niveau der Geldbußen innerhalb der in der
Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung
der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen (vgl. die in Randnr. 237 genannte
Rechtsprechung).
243.
Folglich können Unternehmen, die in ein Verwaltungsverfahren einbezogen sind, das zu einer
Geldbuße führen kann, nicht darauf vertrauen, dass die Kommission das zuvor praktizierte
Bußgeldniveau nicht überschreiten wird.
244.
Zu dem Vertrauen auf die Entscheidung „Karton“, auf das sich die Klägerin insbesondere
hinsichtlich der wegen ihrer Kooperation im Verwaltungsverfahren vorzunehmenden Herabsetzung der
Geldbuße beruft, ist festzustellen, dass allein aus der Tatsache, dass die Kommission in früheren
Entscheidungen bei einembestimmten Verhalten die Geldbuße in bestimmtem Umfang herabgesetzt
hat, nicht abgeleitet werden kann, dass sie verpflichtet wäre, bei der Beurteilung eines ähnlichen
Verhaltens im Rahmen eines späteren Verwaltungsverfahrens eine entsprechende Herabsetzung
vorzunehmen (vgl. in Bezug auf einen mildernden Umstand das Urteil des Gerichts vom 14. Mai 1998 in
der Rechtssache T-347/94, Mayr-Melnhof/Kommission, Slg. 1998, II-1751, Randnr. 368).
245.
Im vorliegenden Fall konnte die Kommission ihre zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung
„Karton“ geltende Politik jedenfalls deshalb nicht anwenden, weil inzwischen ihre am 18. Juli 1996
veröffentlichte Mitteilung über Zusammenarbeit ergangen war. Damit hat die Kommission bei den
Unternehmen ein berechtigtes Vertrauen auf die Anwendung der in dieser Mitteilung genannten
Kriterien geweckt, das sie verpflichtet, nunmehr die fraglichen Kriterien heranzuziehen.
246.
Die Klägerin konnte zum Zeitpunkt ihrer Kontaktaufnahme mit der Kommission nicht davon
ausgehen, dass diese in ihrem Fall die im Entwurf der Mitteilung über Zusammenarbeit angekündigte
Methode anwenden würde, da aus diesem im Amtsblatt veröffentlichten Dokument klar hervorgeht,
dass es sich um einen Entwurf handelte. Die Kommission fügte ihm eine Erläuterung bei, in der es
heißt, dass sie den Erlass einer Bekanntmachung über die Nichtverhängung oder die Ermäßigung von
Geldbußen gegen Unternehmen beabsichtige, die mit ihr bei der Ermittlung oder Verfolgung von
Zuwiderhandlungen zusammenarbeiteten, und dass sie zuvor alle Betroffenen auffordere, zu diesem
Entwurf Stellung zu nehmen. Ein solcher Entwurf konnte die betroffenen Unternehmen nur darauf
aufmerksam machen, dass die Kommission in diesem Bereich eine Mitteilung erlassen wollte.
247.
Soweit die Argumentation der Klägerin darauf beruht, dass sich die Kommission nicht an die
Mitteilung über Zusammenarbeit gehalten habe, gleicht sie ihrem Vorbringen zur falschen Anwendung
dieser Mitteilung.
248.
Folglich ist die erhobene Rüge zurückzuweisen, soweit sie auf einen Verstoß gegen den Grundsatz
des Vertrauensschutzes gestützt wird.
C -
1. Vorbringen der Parteien
249.
Die Klägerin trägt mehrere Argumente zur Stützung ihrer These vor, dass die Kommission eine
überhöhte und diskriminierende Geldbuße gegen sie festgesetzt und dabei gegen die Grundsätze der
Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit verstoßen habe.
250.
Erstens habe die Kommission, indem sie die Geldbuße ausgehend von abstrakten Beträgen allein
anhand der Schwere der Zuwiderhandlung berechnet habe, kleine und mittlere Unternehmen
benachteiligt. Sie habe die betroffenen Unternehmennach ihrer Größe in vier Gruppen unterteilt. Da
der spezifische Ausgangspunkt, den sie für ABB als Unternehmen der ersten Gruppe gewählt habe,
unter 10 % des Umsatzes dieses Unternehmens gelegen habe, habe die Berechnungsmethode die
volle Berücksichtigung aller relevanten Faktoren bei der Ermittlung des Endbetrags der Geldbuße
ermöglicht. Bei der Klägerin und den übrigen Unternehmen der zweiten und der dritten Gruppe, die
kleiner als ABB seien, seien die spezifischen Ausgangspunkte dagegen so hoch gewesen, dass die
genannten Faktoren wegen der Vorschrift in der Verordnung Nr. 17, dass 10 % des Umsatzes nicht
überschritten werden dürften, nicht zum Tragen gekommen seien.
251.
Somit habe die Kommission kleine und mittlere Unternehmen benachteiligt, obwohl ihre allgemeine
Politik dahin gehe, Unternehmen, die hauptsächlich in der von der Zuwiderhandlung betroffenen
Branche tätig seien, weniger streng zu behandeln als multinationale Unternehmen, die gleichzeitig in
vielen Branchen tätig seien. Das Verhalten der Kommission verstoße auch gegen Artikel 130 Absatz 1
EG-Vertrag (jetzt Artikel 157 Absatz 1 EG), der die Kommission verpflichte, ein für die Initiative und
Weiterentwicklung insbesondere der kleinen und mittleren Unternehmen günstiges Umfeld zu fördern.
252.
Zweitens habe die von der Kommission verwendete Berechnungsmethode dazu geführt, dass
gegen die Unternehmen der zweiten und der dritten Gruppe Grundbeträge festgesetzt worden seien,
die über der in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 vorgeschriebenen Obergrenze von 10 % des
Umsatzes lägen. Diese Obergrenze dürfe in keinem Stadium der Berechnung überschritten werden.
Wenn es zulässig wäre, dass die Kommission die Geldbuße anhand von Grundbeträgen berechne, die
diese Obergrenze von 10 % überschritten, wäre jede Korrektur, die die Kommission am Betrag der
Geldbuße vornehme, völlig illusorisch und würde sich nicht auf den Endbetrag der Geldbuße
auswirken, der jedenfalls 10 % des Gesamtumsatzes betrüge.
253.
In ihrer Erwiderung fügt die Klägerin hinzu, nach Nummer 5 Buchstabe a der Leitlinien dürfe „der
Endbetrag der nach [dem] Schema ermittelten Geldbuße (Grundbetrag einschließlich der durch die
erschwerenden oder mildernden Umstände bedingten prozentualen Auf- oder Abschläge)“ in keinem
Fall 10 % des Umsatzes der Unternehmen übersteigen. Die Leitlinien selbst ließen somit keine
Berechnung zu, deren Ergebnis über der Obergrenze von 10 % des Umsatzes liege.
254.
Die Kommission habe, um der Obergrenze von 10 % des Umsatzes im Stadium der Berechnung der
Geldbuße nach der Berücksichtigung mildernder Umstände, aber vor der Verringerung des Betrages
wegen der Kooperation Rechnung zu tragen, die Geldbußen bei den Unternehmen der zweiten und der
dritten Gruppe auf das höchste rechtlich zulässige Niveau herabgesetzt. Im Fall der Klägerin habe die
vor der Verringerung wegen ihrer Kooperation festgesetzte Geldbuße 12 700 000 ECU betragen, d. h.
genau 10 % ihres Umsatzes.
255.
Drittens habe die Kommission die Geldbußen auf ein Niveau festgesetzt, das nicht die jeweilige
Größe der Unternehmen widerspiegele. Während sie in früheren Fällen in erster Linie den Umsatz bei
den Erzeugnissen herangezogen habe, die Gegenstand der Zuwiderhandlung gewesen seien, habe
sie im vorliegenden Fall die gegen die Klägerin festgesetzte Geldbuße auf 10 % ihres Gesamtumsatzes
herabgesetzt. Die Kommission sei aber verpflichtet, bei der Bemessung der Geldbuße beide
Umsatzzahlen zu berücksichtigen, um der Größe des betreffenden Unternehmens und seiner Präsenz
auf den verschiedenen Märkten Rechnung zu tragen.
256.
Ferner habe die Kommission die tatsächliche Situation der Klägerin verkannt, da sie sie als
Unternehmen eingestuft habe, das sich hauptsächlich auf das fragliche Erzeugnis spezialisiert habe,
während sie in Wirklichkeit auf dem relevanten Markt nur 36,8 % ihres Gesamtumsatzes erzielt habe.
Aufgrund dieser falschen Beurteilung der Situation der Klägerin sei gegen sie eine Geldbuße
festgesetzt worden, die außer Verhältnis zu ihrem Umsatz auf dem relevanten Markt stehe. Die
verwendete Berechnungsmethode habe zu einer Benachteiligung der Klägerin gegenüber den
Unternehmen der dritten Gruppe geführt, da die Differenz zwischen den gegen diese Unternehmen
und der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße außer Verhältnis zu ihrem Größenunterschied
stehe.
257.
Viertens habe sich die Kommission durch die Berechnung der Geldbußen auf der Grundlage
höherer als der rechtlich zulässigen Beträge der Möglichkeit beraubt, die anderen Faktoren zu
berücksichtigen, die für die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung relevant seien. So habe sie
die Geldbußen nicht anhand des Gewinns berechnet, den jedes der betroffenen Unternehmen auf
dem relevanten Markt erzielt habe, obwohl dieser Faktor nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes
und nach der im angesprochenen eigenen Praxis der
Kommission berücksichtigt werden müsse. Die Kommission habe außer Acht gelassen, dass die
Klägerin während der Dauer der angeblichen Zuwiderhandlung keine überhöhte Gewinnspanne erzielt
habe. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern die übrigen Gesichtspunkte, auf die die Kommission bei der
Bemessung der Geldbuße abgestellt habe, die theoretischen Gewinne jedes Unternehmens
widerspiegeln könnten, wie die Beklagte behaupte.
258.
Schließlich sei die Geldbuße insofern unverhältnismäßig, als die Kommission außer Acht gelassen
habe, ob die Klägerin zur Zahlung der Geldbuße in der Lage sei, und diese so hoch angesetzt habe,
dass sie das Überleben der Klägerin gefährde. In früheren Fällen habe die Kommission dagegen
mehrfach wegen der finanziellen Schwierigkeiten der betroffenen Unternehmen eine niedrigere als die
übliche Geldbuße festgesetzt. Zudem habe sie in ihren Leitlinien ausgeführt, dass sie die
vorgesehenen Geldbußen an die tatsächliche Steuerkraft der Unternehmen in einem gegebenen
sozialen Umfeld anpassen wolle. Die Unternehmen hätten an diese Absichtserklärung berechtigte
Erwartungen geknüpft. Die Klägerin habe in den Jahren 1997 und 1998 erhebliche Verluste erlitten,
die zusammen mit der Geldbuße den Nettowert ihres Eigenkapitals überstiegen hätten. Um den
Konkurszu verhindern und sich die Mittel zur Zahlung der Geldbuße zu verschaffen, habe sie den
größten Teil ihrer Produktion und ihres Vertriebs sowie den Namen „Løgstør Rør“ verkaufen müssen.
Auch wenn sie als juristische Person noch existiere, sei sie deshalb vom fraglichen Markt
verschwunden.
259.
Die von der Kommission festgesetzten Geldbußen müssten abschreckend wirken und dürften nicht
dazu führen, die Unternehmen vom relevanten Markt zu vertreiben und dadurch den Wettbewerb in
der fraglichen Branche zu beeinträchtigen. Die Festsetzung derart hoher Geldbußen könnte aber dazu
führen, dass die zwei wichtigsten Konkurrenten von ABB - die Klägerin und Tarco - vom Markt
verschwänden.
260.
Die neuen Leitlinien, anhand deren die Kommission die überhöhte und diskriminierende Geldbuße
festgesetzt habe, verstießen gegen Artikel 184 EG-Vertrag (jetzt Artikel 241 EG). Die Kommission habe
in ihren Leitlinien die Grundbeträge für die Bußgeldberechnung so hoch angesetzt, dass sie sich
dadurch des ihr in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 eingeräumten Ermessens bei der
Berücksichtigung aller relevanten Faktoren einschließlich etwaiger mildernder Umstände beraubt
habe.
261.
Die Beklagte weist zunächst darauf hin, dass die Behauptung, sie sei bei der Ermittlung der zur
Berechnung der Geldbußen dienenden Beträge in diskriminierender Weise vorgegangen, der
Grundlage entbehre.
262.
Die Heranziehung eines einheitlichen Betrages von 20 Millionen ECU als Ausgangspunkt für alle
Zuwiderhandelnden könne nicht als diskriminierend angesehen werden, da dieser Betrag
anschließend bei jedem von ihnen an die Schwere seiner Beteiligung an der Zuwiderhandlung
angepasst worden sei. Die Kommission habe der unterschiedlichen Größe und Wirtschaftskraft der
fraglichen Unternehmen ausdrücklich Rechnung getragen, insbesondere durch Erhöhung des
Ausgangsbetrags der gegen ABB festzusetzenden Geldbuße. Die Geldbuße der Klägerin von 8,9
Millionen ECU sei keineswegs der höchste zulässige Betrag, sondern bleibe unter der nach der
Verordnung Nr. 17 zulässigen Obergrenze.
263.
Selbst wenn ABB zu Unrecht gegenüber der Klägerin begünstigt worden wäre, könnte dies zudem
nicht zu einer Herabsetzung der Geldbuße der Klägerin führen, da sich niemand zu seinem Vorteil auf
eine gegenüber anderen begangene Rechtsverletzung berufen könne. Im Übrigen könne die Klägerin
nicht als mittelgroßes Unternehmen eingestuft werden. Was Artikel 130 EG-Vertrag anbelange, so
erscheine es aufgrund dessen allgemeiner Natur kaum denkbar, dass eine Maßnahme wegen
Unvereinbarkeit mit ihm für nichtig erklärt werden könnte.
264.
Des Weiteren treffe es nicht zu, dass die bei der Berechnung der Geldbußen herangezogenen
Beträge zu keinem Zeitpunkt höher als 10 % des Umsatzes sein dürften. Für die in Artikel 15 Absatz 2
der Verordnung Nr. 17 festgelegteObergrenze komme es nur auf das Endergebnis der
Bußgeldberechnung und nicht auf die im Lauf der Berechnung ermittelten Beträge an. Die Kommission
hätte im Übrigen einen unter 10 % des Umsatzes liegenden Ausgangspunkt wählen können, der zum
gleichen Endbetrag der Geldbuße geführt hätte. Falls die Anwendung der Kriterien in den Leitlinien
einen über der Obergrenze liegenden Betrag ergebe, sei sie auch nicht daran gehindert, diesen
Betrag auf genau diese Obergrenze herabzusetzen, bevor sie in der Mitteilung über Zusammenarbeit
genannten Kriterien anwende. Soweit sich die Klägerin in ihrer Erwiderung auf Nummer 5 Buchstabe a
der Leitlinien stütze, sei dieses Argument neu und nach Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung des
Gerichts unzulässig.
265.
Die von der Klägerin befürwortete Auslegung der Obergrenze von 10 % des Umsatzes sei überdies
unbegründet, da sie dazu zwingen würde, mit der Berechnung auf einem übermäßig niedrigen Niveau
zu beginnen, um diese Grenze zu keinem Zeitpunkt der Berechnung zu überschreiten; dies könnte zur
Festlegung eines Ausgangspunkts führen, der nicht mehr den in den Leitlinien aufgestellten Kriterien
entspräche. Nach dieser Methode müsste die gesamte Berechnung umgedreht werden, und der
Ausgangspunkt würde sich erst an ihrem Ende herausstellen. Dies wäre willkürlich und hätte zur
Folge, dass die Kommission die besonderen Umstände jedes Einzelfalls außer Acht lassen würde.
266.
Die Kommission sei berechtigt, eine Geldbuße zu verhängen, die 10 % des Gesamtumsatzes eines
Unternehmens nicht überschreite. Auch wenn sie häufig den Umsatz auf dem relevanten Markt als
Ausgangspunkt für die Berechnung der Geldbußen herangezogen habe, sei sie nicht verpflichtet
gewesen, dieser früheren Praxis zu folgen. Bei der Berechnung der Geldbuße sei eine Vielzahl von
Gesichtspunkten zu berücksichtigen, und dem Umsatz dürfe keine unverhältnismäßige Bedeutung
beigemessen werden. Die frühere Praxis der Kommission sei jedenfalls nicht ständig angewandt
worden, da Geldbußen auch anhand anderer Umsätze als der auf dem relevanten Markt oder anhand
der von den Zuwiderhandelnden erlangten Vorteile ermittelt worden seien.
267.
Mit der Angabe, dass sich die Klägerin auf ein Produkt spezialisiert habe, sei in der Entscheidung
nicht gesagt worden, dass sie nur ein Produkt herstelle. Die Beschreibung der Klägerin als
Unternehmen, das sich hauptsächlich auf ein Produkt spezialisiert habe, sei nicht falsch, da nach den
von ihr selbst gemachten Angaben auf die Fernwärmerohre zum Zeitpunkt der Durchführung der
Untersuchung etwa 80 % ihres Gesamtumsatzes entfallen seien. Die Kommission habe sich im Übrigen
nur auf diesen Gesichtspunkt gestützt, um die Klägerin von ABB abzugrenzen und den Ausgangspunkt
ihrer Geldbuße von 20 Millionen auf 10 Millionen ECU zu verringern.
268.
Zur Berücksichtigung der durch die Zuwiderhandlung erlangten Vorteile sei die Kommission nicht
verpflichtet. Es lasse sich im Allgemeinen nur schwer ermitteln, welche Vorteile jedes Unternehmen
aus seiner Beteiligung an der Zuwiderhandlung gezogen habe; dies gelte in besonderem Maß für den
vorliegenden Fall. Dieübrigen Gesichtspunkte, auf die sie abgestellt habe, sollten jedenfalls die von
jedem Unternehmen erlangten theoretischen Vorteile widerspiegeln. Ein schwerer und vorsätzlich
begangener Verstoß gegen Artikel 85 EG-Vertrag könne als so schwerwiegend eingestuft werden,
dass die Kommission dem tatsächlichen Gewinn keine besondere Bedeutung beizumessen brauche.
269.
Die Kommission sei auch nicht verpflichtet, der schlechten finanziellen Lage eines Unternehmens
bei der Festsetzung der Geldbuße Rechnung zu tragen, wenn sie unter der Obergrenze der
Verordnung Nr. 17 bleibe. Im vorliegenden Fall habe die Klägerin nicht dargetan, dass ihre Existenz
durch die Geldbuße bedroht werde oder dass der Verkauf ihrer Aktiva nötig gewesen sei, um die
Geldbuße zahlen zu können. Eine solche Maßnahme könne aus vielen Gründen getroffen worden sein
und dürfe jedenfalls nicht einer Verdrängung des Unternehmens vom relevanten Markt gleichgestellt
werden.
270.
Da die Geldbuße weder überhöht noch diskriminierend sei, habe die Klägerin keinen Grund, die
Rechtmäßigkeit der Leitlinien in Frage zu stellen. Auch die Behauptung, dass sich die Kommission
durch den Erlass der Leitlinien in einer Weise gebunden habe, die die Berücksichtigung etwaiger
mildernder Umstände und der Rolle der einzelnen Kartellteilnehmer ausschließe, treffe nicht zu.
2. Würdigung durch das Gericht
271.
Die Klägerin hat ihr Vorbringen zu einem Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und
der Verhältnismäßigkeit mit einer Einrede der Rechtswidrigkeit der Leitlinien gemäß Artikel 184 EG-
Vertrag verbunden, die sie darauf stützt, dass sich die Kommission durch deren Erlass ihres durch die
Verordnung Nr. 17 eingeräumten Ermessens bei der Berücksichtigung insbesondere der jeweiligen
Unternehmensgröße und der Rolle jedes Unternehmens bei einer Zuwiderhandlung beraubt habe.
Zunächst ist diese Einrede der Rechtswidrigkeit zu prüfen.
- Zur Einrede der Rechtswidrigkeit der Leitlinien
272.
Nach ständiger Rechtsprechung ist Artikel 184 EG-Vertrag Ausdruck eines allgemeinen
Grundsatzes, der jeder Partei das Recht gewährleistet, zum Zweck der Nichtigerklärung einer sie
unmittelbar und individuell betreffenden Entscheidung die Gültigkeit derjenigen früheren
Rechtshandlungen der Gemeinschaftsorgane zu bestreiten, die - auch wenn es sich nicht um eine
Verordnung handelt - die Rechtsgrundlage für die streitige Entscheidung bilden, falls die betreffende
Partei nicht das Recht hatte, gemäß Artikel 173 EG-Vertrag unmittelbar gegen diese
Rechtshandlungen zu klagen, deren Folgen sie nunmehr erleidet, ohne dass sie ihre Nichtigerklärung
hätte beantragen können (Urteil des Gerichtshofes vom 6. März 1979 in der Rechtssache 92/78,
Simmenthal/Kommission, Slg. 1979, 777, Randnrn. 39 und 40).
273.
Da Artikel 184 EG-Vertrag nicht den Zweck hat, einer Partei zu gestatten, die Unanwendbarkeit
eines Rechtsakts allgemeinen Charakters mit jeder beliebigen Klage geltend zu machen, muss der
allgemeine Rechtsakt, dessen Rechtswidrigkeit geltend gemacht wird, unmittelbar oder mittelbar auf
den streitgegenständlichen Fall anwendbar sein, und es muss ein unmittelbarer rechtlicher
Zusammenhang zwischen der angefochtenen Einzelentscheidung und dem betreffenden allgemeinen
Rechtsakt bestehen (Urteile des Gerichtshofes vom 31. März 1965 in der Rechtssache 21/64,
Macchiorlati Dalmas e Figli/Hohe Behörde, Slg. 1965, 242, 259, und vom 13. Juli 1966 in der
Rechtssache 32/65, Italien/Rat und Kommission, Slg. 1966, 458, 487; Urteil des Gerichts vom 26.
Oktober 1993 in den Rechtssachen T-6/92 und T-52/92, Reinarz/Kommission, Slg. 1993, II-1047,
Randnr. 57).
274.
In den ersten beiden Absätzen der Leitlinien hat die Kommission Folgendes angekündigt: „Die in
diesen Leitlinien dargelegten Grundsätze sollen dazu beitragen, die Transparenz und Objektivität der
Entscheidungen der Kommission sowohl gegenüber den Unternehmen als auch gegenüber dem
Gerichtshof zu erhöhen, sowie den Ermessensspielraum bekräftigen, der vom Gesetzgeber der
Kommission bei der Festsetzung der Geldbußen innerhalb der Obergrenze von 10 % des
Gesamtumsatzes der Unternehmen eingeräumt wurde. ... Das neue Verfahren für die Festsetzung des
Betrags der Geldbuße beruht auf folgendem Schema ...“ Folglich enthalten die Leitlinien - auch wenn
sie nicht die Rechtsgrundlage der angefochtenen Entscheidung darstellen, die auf den Artikeln 3 und
15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 beruht - eine allgemeine und abstrakte Regelung des Verfahrens,
das sich die Kommission zur Ermittlung der in der Entscheidung festgesetzten Geldbußen auferlegt
hatte, und schaffen damit Rechtssicherheit für die Unternehmen.
275.
Überdies ist unstreitig, dass die Kommission die Geldbuße der Klägerin anhand der allgemeinen
Methode festgesetzt hat, die sie sich in ihren Leitlinien auferlegt hatte (siehe oben, Randnr. 222).
276.
Somit besteht im vorliegenden Fall ein unmittelbarer rechtlicher Zusammenhang zwischen der
angefochtenen Einzelentscheidung und dem allgemeinen Rechtsakt, um den es sich bei den Leitlinien
handelt. Da die Klägerin nicht die Nichtigerklärung der Leitlinien als des allgemeinen Rechtsakts
verlangen konnte, können diese Gegenstand einer Einrede der Rechtswidrigkeit sein.
277.
In diesem Zusammenhang ist auf die obigen Ausführungen in den Randnummern 223 bis 232 zu
verweisen, nach denen die Kommission, als sie in ihren Leitlinien ankündigte, welche Methode sie bei
der Berechnung von Geldbußen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 anwenden will,
innerhalb des durch diese Bestimmung gesteckten rechtlichen Rahmens geblieben ist.
278.
Entgegen der Behauptung der Klägerin ist die Kommission bei der Ermittlung der Höhe der
Geldbußen anhand von Schwere und Dauer der fraglichen Zuwiderhandlung nicht verpflichtet, die
Geldbuße ausgehend von Beträgen zuberechnen, die auf dem Umsatz der betreffenden Unternehmen
beruhen, oder für den Fall, dass gegen mehrere an der gleichen Zuwiderhandlung beteiligte
Unternehmen Geldbußen festgesetzt werden, dafür zu sorgen, dass in den von ihr errechneten
Endbeträgen der Geldbußen der betreffenden Unternehmen alle Unterschiede in Bezug auf ihren
Gesamtumsatz oder ihren Umsatz auf dem relevanten Produktmarkt zum Ausdruck kommen.
279.
Nach gefestigter Rechtsprechung ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl
von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr
Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder
abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (vgl. die
oben in Randnr. 236 genannte Rechtsprechung).
280.
Zu den Gesichtspunkten für die Beurteilung der Schwere einer Zuwiderhandlung können die Menge
und der Wert der Waren, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, sowie Größe und
Wirtschaftskraft des Unternehmens und damit der Einfluss gehören, den es auf den Markt ausüben
konnte. Daraus ergibt sich zum einen, dass bei der Festsetzung der Geldbuße sowohl der
Gesamtumsatz des Unternehmens, der - wenn auch nur annähernd und unvollständig - etwas über
dessen Größe und Wirtschaftskraft aussagt, als auch der Teil dieses Umsatzes herangezogen werden
darf, der mit den Waren erzielt wurde, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, und der somit
einen Anhaltspunkt für deren Ausmaß liefern kann. Zum anderen folgt daraus, dass weder der einen
noch der anderen dieser Umsatzzahlen eine im Verhältnis zu den anderen Beurteilungskriterien
übermäßige Bedeutung zugemessen werden darf und dass die Festsetzung der Geldbußen nicht das
Ergebnis eines bloßen, auf den Gesamtumsatz gestützten Rechenvorgangs sein kann (Urteil Musique
diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 120 und 121; Urteile des Gerichts vom 14. Juli 1994 in
der Rechtssache T-77/92, Parker Pen/Kommission, Slg. 1994, II-549, Randnr. 94, und vom 14. Mai 1998
in der Rechtssache T-327/94, SCA Holding/Kommission, Slg. 1998, II-1373, Randnr. 176).
281.
Nach der Rechtsprechung ist die Kommission berechtigt, eine Geldbuße anhand der Schwere der
Zuwiderhandlung zu berechnen, ohne die verschiedenen Umsatzzahlen der betroffenen Unternehmen
zu berücksichtigen. So hat der Gemeinschaftsrichter eine Berechnungsmethode für zulässig erachtet,
bei der die Kommission zunächst den Gesamtbetrag der festzusetzenden Geldbußen ermittelt und ihn
dann auf die betroffenen Unternehmen aufteilt, wobei sie auf deren Aktivitäten in der fraglichen
Branche (Urteil des Gerichtshofes vom 8. November 1983 in den Rechtssachen 96/82 bis 102/82,
104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, IAZ u. a./Kommission, Slg. 1983, 3369, Randnrn. 48 bis 53) oder
auf den Umfang ihrer Beteiligung, ihre Rolle im Kartell und ihre jeweilige Bedeutung auf dem Markt,
berechnet anhand des durchschnittlichen Marktanteils in einem Referenzzeitraum, abstellt.
282.
Folglich ist die Kommission, als sie in ihren Leitlinien eine Methode zur Berechnung der Geldbußen
darlegte, die nicht auf dem Umsatz der betroffenen Unternehmen beruht, nicht von der Auslegung
des Artikels 15 der Verordnung Nr. 17 durch die Rechtsprechung abgewichen.
283.
Auch wenn die Leitlinien nicht vorsehen, dass die Geldbußen anhand des Gesamtumsatzes oder
des Umsatzes auf dem relevanten Produktmarkt der betroffenen Unternehmen berechnet werden,
schließen sie nicht aus, dass diese Umsätze bei der Bemessung der Geldbuße berücksichtigt werden,
damit allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts gewahrt bleiben und wenn die Umstände es
erfordern.
284.
Bei der Anwendung der Leitlinien kann der Umsatz der betroffenen Unternehmen eine Rolle spielen,
wenn die tatsächliche wirtschaftliche Fähigkeit der Urheber der Verstöße, Wettbewerber in
erheblichem Umfang zu schädigen, und das Erfordernis zu berücksichtigen sind, eine hinreichend
abschreckende Wirkung der Geldbuße zu gewährleisten, oder wenn der Tatsache Rechnung zu tragen
ist, dass Großunternehmen in den meisten Fällen über ausreichende Ressourcen an juristischem und
wirtschaftlichem Sachverstand verfügen, anhand deren sie besser erkennen können, in welchem Maß
ihre Vorgehensweise einen Verstoß darstellt und welche Folgen aus wettbewerbsrechtlicher Sicht zu
gewärtigen sind (siehe oben, Randnr. 226). Der Umsatz der betroffenen Unternehmen kann auch bei
der Ermittlung des jeweiligen Gewichts und damit der tatsächlichen Auswirkung des Verstoßes jedes
einzelnen Unternehmens auf den Wettbewerb eine Rolle spielen, vor allem, wenn an einem Verstoß
derselben Art Unternehmen von ganz unterschiedlicher Größe beteiligt waren (siehe oben, Randnr.
227). Ferner kann der Umsatz der Unternehmen einen Anhaltspunkt für die eventuell erzielten
wirtschaftlichen oder finanziellen Vorteile oder andere besondere Merkmale der Beteiligten an dem
Verstoß geben, die je nach den Umständen zu berücksichtigen sind (siehe oben, Randnr. 230).
285.
Zudem kann nach den Leitlinien der Grundsatz der Strafgleichheit für die gleiche Verhaltensweise
gegebenenfalls dazu führen, dass abgestufte Beträge gegenüber den beteiligten Unternehmen
festgesetzt werden, ohne dass dieser Abstufung eine arithmetische Formel zugrunde liegt (Nr. 1 Teil A
Absatz 7).
286.
Entgegen der Behauptung der Klägerin gehen die Leitlinien nicht über das in der Verordnung Nr. 17
vorgesehene Maß hinaus. Die Klägerin macht geltend, diese Leitlinien erlaubten es der Kommission,
anhand der Schwere der Zuwiderhandlung einen so hohen Ausgangspunkt für die Berechnung der
Geldbuße festzusetzen, dass sich im Hinblick darauf, dass die Geldbuße nach Artikel 15 Absatz 2 der
Verordnung Nr. 17 keinesfalls die Obergrenze von 10 % des Umsatzes des betroffenen Unternehmens
übersteigen dürfe, andere Faktoren wie die Dauer oder mildernde oder erschwerende Umstände
bisweilen nicht mehr auf die Höhe der Geldbuße auswirken könnten.
287.
Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17, der vorsieht, dass die Kommission Geldbußen in
Höhe von bis zu 10 % des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im
letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen kann, ist die Geldbuße, die letztlich gegen ein
Unternehmen festgesetzt wird, herabzusetzen, falls sie 10 % von dessen Umsatz übersteigt,
unabhängig von Zwischenberechnungen, mit denen Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung
Rechnung getragen werden soll.
288.
Folglich verbietet Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 der Kommission nicht, bei ihrer
Berechnung einen Zwischenbetrag heranzuziehen, der 10 % des Umsatzes des betroffenen
Unternehmens übersteigt, sofern die gegen dieses Unternehmen letztlich festgesetzte Geldbuße nicht
über dieser Obergrenze liegt.
289.
Dahin gehen im Übrigen auch die Leitlinien, denn darin heißt es: „Gemäß Artikel 15 Absatz 2 der
Verordnung Nr. 17 darf der Endbetrag der nach diesem Schema ermittelten Geldbuße (Grundbetrag
einschließlich der durch die erschwerenden oder mildernden Umstände bedingten prozentualen Auf-
oder Abschläge) in keinem Fall 10 % des Gesamtumsatzes der betroffenen Unternehmen übersteigen“
(Nr. 5 Buchstabe a).
290.
In einem Fall, in dem die Kommission bei ihrer Berechnung einen Zwischenbetrag heranzieht, der 10
% des Umsatzes des betroffenen Unternehmens übersteigt, kann ihr somit nicht zum Vorwurf gemacht
werden, dass sich bestimmte bei ihrer Berechnung berücksichtigte Faktoren nicht auf den Endbetrag
der Geldbuße auswirkten, da dies die Folge des in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17
aufgestellten Verbots der Überschreitung von 10 % des Umsatzes des betroffenen Unternehmens ist.
291.
Soweit sich die Klägerin darauf stützt, dass die Leitlinien gegen die Verordnung Nr. 17 verstießen,
ist ihre Einrede daher zurückzuweisen.
- Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung
292.
Die Klägerin wirft der Kommission vor, ihr und den anderen kleinen und mittleren Unternehmen eine
Geldbuße auferlegt zu haben, die im Verhältnis zur Geldbuße für ABB ihrem Umsatz und ihrer Größe
nicht ausreichend Rechnung trage.
293.
Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung liegt nach ständiger Rechtsprechung nur
dann vor, wenn vergleichbare Sachverhalte unterschiedlich oder unterschiedliche Sachverhalte gleich
behandelt werden, sofern eine Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt ist (Urteile des
Gerichtshofes vom 13. Dezember 1984 in der Rechtssache 106/83, Sermide, Slg. 1984, 4209, Randnr.
28, und vom 28. Juni 1990 in der Rechtssache C-174/89, Hoche, Slg. 1990, I-2681, Randnr. 25; Urteil
des Gerichts vom 14. Mai 1998 in der Rechtssache T-311/94, BPB de Eendracht/Kommission, Slg.
1998, II-1129, Randnr. 309).
294.
Im vorliegenden Fall handelt es sich nach Ansicht der Kommission um eine sehr schwere
Zuwiderhandlung, für die normalerweise eine Geldbuße von 20 Millionen ECU zu verhängen wäre
(Randnr. 165 der Entscheidung).
295.
Um der unterschiedlichen Größe der an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen Rechnung
zu tragen, hat die Kommission sie nach ihrer Bedeutung auf dem Markt der Gemeinschaft in vier
Kategorien eingeteilt und Anpassungen vorgenommen, um der Notwendigkeit Rechnung zu tragen,
eine wirksame Abschreckung zu gewährleisten (Randnr. 166 Absätze 2 bis 4 der Entscheidung). Aus
den Randnummern 168 bis 183 der Entscheidung geht hervor, dass bei den vier Kategorien je nach
ihrer Bedeutung spezifische Ausgangspunkte von 20 Millionen, 10 Millionen, 5 Millionen und 1 Million
ECU für die Berechnung der Geldbußen gewählt wurden.
296.
Zur Ermittlung der Ausgangspunkte für jede dieser Kategorien hat die Kommission in Beantwortung
einer Frage des Gerichts erläutert, diese Beträge spiegelten die Bedeutung jedes Unternehmens im
Fernwärmesektor unter Berücksichtigung seiner Größe und seines Gewichts im Verhältnis zu ABB und
im Kontext des Kartells wider. Dabei habe sie nicht nur den Umsatz der Unternehmen auf dem
fraglichen Markt, sondern auch die relative Bedeutung berücksichtigt, die die Mitglieder des Kartells
ausweislich der nach Anhang 60 der Mitteilung der Beschwerdepunkte innerhalb des Kartells
vereinbarten Quoten und der nach den Anhängen 169 bis 171 der Mitteilung der Beschwerdepunkte
für 1995 geplanten und erzielten Ergebnisse jedem von ihnen beimäßen.
297.
Darüber hinaus hat die Kommission den Ausgangspunkt für die Berechnung der Geldbuße von ABB
auf 50 Millionen ECU erhöht, um deren Stellung als einem der größten Industriekonzerne in Europa
Rechnung zu tragen (Randnr. 168 der Entscheidung).
298.
In diesem Zusammenhang ist im Hinblick auf alle bei der Festlegung der spezifischen
Ausgangspunkte berücksichtigten relevanten Faktoren davon auszugehen, dass der Unterschied
zwischen den bei der Klägerin und bei ABB gewählten Ausgangspunkten objektiv gerechtfertigt ist. Da
die Kommission nicht dafür zu sorgen braucht, dass die Endbeträge der Geldbußen, zu denen ihre
Berechnung bei den betroffenen Unternehmen führt, jeden Unterschied bei ihrem Umsatz zum
Ausdruck bringen, kann die Klägerin der Kommission nicht vorwerfen, dass bei ihr ein Ausgangspunkt
gewählt worden sei, der am Ende zu einer Geldbuße geführt habe, die gemessen an ihrem
Gesamtumsatz höher sei als bei ABB.
299.
Soweit sich die Kommission im vorliegenden Fall bei der Bemessung der Geldbußen auf den Umsatz
eines Unternehmens auf dem betreffenden Markt gestützt hat, hat das Gericht im Übrigen bereits
entschieden, dass sie nicht verpflichtet ist, bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung das
Verhältnis zwischen dem Gesamtumsatz eines Unternehmens und dem Umsatz beiden Waren, auf die
sich die Zuwiderhandlung erstreckte, zu berücksichtigen (Urteil SCA Holding/Kommission, Randnr.
184). In der vorliegenden Situation, in der sich die Kommission entschieden hat, bei der Beurteilung
von Schwere und Dauer der Zuwiderhandlung und insbesondere bei der Festlegung der
Ausgangspunkte für die Berechnung der Geldbußen eine Reihe relevanter Faktoren zu
berücksichtigen, ist sie daher erst recht nicht verpflichtet, den Betrag der Geldbußen anhand des
Gesamtumsatzes der betroffenen Unternehmen zu ermitteln.
300.
Da sich der bei der Klägerin gewählte Ausgangspunkt objektiv von dem bei ABB gewählten
unterscheidet, kann der Kommission nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass sich bestimmte bei
ihrer Berechnung berücksichtigte Faktoren nicht auf den Endbetrag der gegen die Klägerin
festgesetzten Geldbuße auswirkten, da dies die Folge des in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17
aufgestellten Verbots der Überschreitung von 10 % des Umsatzes des betroffenen Unternehmens ist
(siehe oben, Randnr. 290). Im Übrigen ist zu der im Verhältnis zu ABB weniger schwerwiegenden Rolle
der Klägerin bei der Zuwiderhandlung festzustellen, dass nach Randnummer 171 der Entscheidung
die besondere Rolle von ABB als erschwerender Umstand zu einer Erhöhung ihrer Geldbuße geführt
hat.
301.
Folglich hat die Klägerin nicht nachgewiesen, dass die Kommission sie bei der Festsetzung ihrer
Geldbuße gegenüber ABB oder allgemein die kleinen und mittleren Unternehmen gegenüber einem
großen Unternehmen wie ABB benachteiligt hat.
- Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
302.
Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist festzustellen, dass die Klägerin der
Kommission erstens vorwirft, ihren Umsatz auf dem relevanten Markt nicht ausreichend berücksichtigt
und ihr dadurch eine im Vergleich zu den Unternehmen der dritten Kategorie diskriminierende
Geldbuße auferlegt zu haben.
303.
Hierzu genügt der Hinweis, dass die Kommission - wie aus der Entscheidung und der von ihr nach
einer schriftlichen Frage des Gerichts gegebenen Erläuterung hervorgeht - bei der Festlegung der
spezifischen Ausgangspunkte für die Berechnung der Geldbußen eine Reihe von Faktoren
berücksichtigt hat, die die Bedeutung jedes Unternehmens in der Fernwärmebranche widerspiegeln
und zu denen der Umsatz auf dem relevanten Markt gehört. Allein die Tatsache, dass sich die
Kommission in diesem Kontext nicht ausschließlich auf den Umsatz der einzelnen Unternehmen auf
dem relevanten Markt gestützt, sondern auch andere die Bedeutung der Unternehmen auf diesem
Markt betreffende Faktoren herangezogen hat, kann nicht zu dem Ergebnis führen, dass die
Kommission eine unverhältnismäßige Geldbuße verhängt hat. Nach der Rechtsprechung darf weder
dem Gesamtumsatz eines Unternehmens noch dem Teil dieses Umsatzes, der mit den Waren erzielt
wurde, auf die sich die Zuwiderhandlung erstreckte, eine imVerhältnis zu den anderen
Beurteilungskriterien übermäßige Bedeutung zugemessen werden (siehe oben, Randnr. 280).
304.
In diesem Zusammenhang kann die Geldbuße der Klägerin nicht als unverhältnismäßig angesehen
werden, da der Ausgangspunkt ihrer Geldbuße nach den von der Kommission bei der Beurteilung der
Bedeutung jedes Unternehmens auf dem relevanten Markt herangezogenen Kriterien gerechtfertigt
ist. Angesichts der Quote, die der Klägerin im Rahmen des Kartells zugeteilt wurde, und den
angestrebten Ergebnissen, wie sie sich aus den Anhängen 60 und 169 bis 171 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte ergeben, war die Kommission berechtigt, bei ihr einen mindestens doppelt so
hohen Ausgangspunkt zu wählen wie bei den Unternehmen der dritten Kategorie.
305.
Insoweit kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass die Kommission sie in Randnummer 175
ihrer Entscheidung als „Einproduktunternehmen“ eingestuft hat. Aus diesem Abschnitt ergibt sich,
dass damit nur gerechtfertigt werden sollte, weshalb der Ausgangspunkt ihrer Geldbuße niedriger
liegt als bei ABB. Die Klägerin hat nicht darzutun vermocht, inwiefern sie durch eine solche Einstufung,
falls sie falsch sein sollte, benachteiligt worden wäre.
306.
Soweit die Klägerin der Kommission vorwirft, bei der Anwendung der Obergrenze von 10 % des
Umsatzes in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 ihren Umsatz auf dem relevanten Markt nicht
berücksichtigt zu haben, ist auf die ständige Rechtsprechung hinzuweisen, nach der unter dem
Umsatz, auf den sich Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 bezieht, der Gesamtumsatz des
betroffenen Unternehmens zu verstehen ist, da nur dieser einen ungefähren Anhaltspunkt für die
Größe und den Einfluss dieses Unternehmens auf den Markt liefern kann (Urteil Musique diffusion
française u. a./Kommission, Randnr. 119; Urteile des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-
144/89, Cockerill-Sambre/Kommission, Slg. 1995, II-947, Randnr. 98, und vom 7. Juli 1994 in der
Rechtssache T-43/92, Dunlop Slazenger/Kommission, Slg. 1994, II-441, Randnr. 160). Innerhalb der
durch diese Bestimmung der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenze kann die Kommission den Umsatz,
den sie hinsichtlich des geographischen Gebietes und der betroffenen Produkte als
Bemessungsgrundlage für die Festsetzung der Geldbuße heranziehen will, frei wählen.
307.
Zweitens kann die Klägerin einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch nicht
daraus ableiten, dass die Kommission ihre Geldbuße nicht anhand des von ihr auf dem relevanten
Markt erzielten Gewinns ermittelt habe. Der Gewinn, den die Unternehmen aus ihrem Verhalten ziehen
konnten, gehört zwar zu den Faktoren, die für die Beurteilung der Schwere des Verstoßes eine Rolle
spielen (Urteile Musique diffusion Française u. a./Kommission, Randnr. 129, und Deutsche
Bahn/Kommission, Randnr. 127), und die Kommission kann, soweit sie diesen Gewinn als rechtswidrig
ansehen darf, die Geldbußen in einer ihn übersteigenden Höhe festsetzen, doch ist nach gefestigter
Rechtsprechung die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einerVielzahl von Gesichtspunkten zu
ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die
Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende
Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (siehe oben, Randnr. 236).
Ferner hat die Kommission in ihren Leitlinien angekündigt, dass die von den Beteiligten an dem
Verstoß eventuell erzielten wirtschaftlichen oder finanziellen Vorteile zu den objektiven Faktoren
gehörten, die „je nach Fall“ im Hinblick auf die Anpassung der vorgesehenen Geldbußen zu
berücksichtigen sein könnten (siehe oben, Randnr. 230). Da die Kommission den Ausgangspunkt für
die gegen die Klägerin zu verhängende Geldbuße anhand eines Bündels von Faktoren festgelegt hat,
die ihre Bedeutung auf dem Markt widerspiegeln, kann jedenfalls nicht geltend gemacht werden, sie
habe die Vorteile vernachlässigt, die die Klägerin aus der fraglichen Zuwiderhandlung ziehen konnte.
308.
Zur Fähigkeit der Klägerin, die Geldbuße zu zahlen, genügt der Hinweis, dass die Kommission nach
ständiger Rechtsprechung nicht verpflichtet ist, bei der Bemessung der Geldbuße die schlechte
Finanzlage eines betroffenen Unternehmens zu berücksichtigen, da die Anerkennung einer solchen
Verpflichtung darauf hinauslaufen würde, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten
Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen (Urteil IAZ u.
a./Kommission, Randnrn. 54 und 55; Urteile des Gerichts vom 14. Mai 1998 in den Rechtssachen T-
319/94, Fiskeby Board/Kommission, Slg. 1998, II-1331, Randnrn. 75 und 76, und T-348/94, Enso
Española/Kommission, Slg. 1998, II-1875, Randnr. 316). Ebenso sehen die Leitlinien die
Berücksichtigung der „tatsächliche[n] Steuerkraft in einem gegebenen sozialen Umfeld“ im Hinblick
auf die Anpassung der vorgesehenen Geldbußen nur mit der Einschränkung vor, dass dies „je nach
Fall“ zu geschehen habe (siehe oben, Randnr. 230).
309.
Soweit sich die Klägerin auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stützt, ist
ihr Vorbringen daher ebenfalls zurückzuweisen.
310.
Somit ist die Rüge eines Verstoßes gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der
Verhältnismäßigkeit sowie der Rechtswidrigkeit der Leitlinien in vollem Umfang zurückzuweisen.
D -
1. Vorbringen der Parteien
311.
Nach Ansicht der Klägerin war die Kommission nicht berechtigt, die Zwischensumme der Geldbuße
wegen der angeblichen Dauer des Kartells von fünf Jahren mit 1,4 zu multiplizieren, denn sie habe nur
für relativ kurze Zeit an einem Kartell in Dänemark, das sie 1993 verlassen habe, und an einem
umfassenderen Kartell mitgewirkt, das nur wenige Monate bestanden habe, bevor dort die
Kooperation völlig zusammengebrochen sei. Für die Berechnung der Dauer ihrerZuwiderhandlung
könne nicht relevant sein, dass ABB die Existenz einer fortgesetzten Zuwiderhandlung eingeräumt
habe.
312.
Zudem hätte die Tatsache, dass „im Anfangszeitraum die Vorkehrungen unvollständig und von
begrenzter Wirkung außerhalb des dänischen Marktes waren“, bei der Beurteilung der Dauer des
Kartells berücksichtigt werden müssen.
313.
Die Beklagte weist darauf hin, dass das Vorbringen der Klägerin auf ein Bestreiten ihrer Mitwirkung
an einem fortgesetzten Kartell hinauslaufe. Bei der Festlegung der Dauer der Zuwiderhandlung auf
fünf Jahre in Randnummer 170 der Entscheidung habe sie berücksichtigt, dass die Vorkehrungen
außerhalb Dänemarks in der Anfangszeit unvollständig gewesen seien.
2. Würdigung durch das Gericht
314.
Wie bereits in den Randnummern 99 bis 109 ausgeführt, hat die Kommission die Dauer der der
Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlung zutreffend berechnet.
315.
Zu dem Umstand, dass die Vorkehrungen innerhalb des Kartells im Anfangszeitraum unvollständig
und von begrenzter Wirkung außerhalb des dänischen Marktes waren, genügt die Feststellung, dass
die Kommission dies bei der Beurteilung der Dauer der der Klägerin zur Last gelegten
Zuwiderhandlung gebührend berücksichtigt hat.
316.
Daher ist die Rüge zurückzuweisen.
E -
1. Vorbringen der Parteien
317.
Die Klägerin wendet sich gegen die von der Kommission vorgenommene Erhöhung des
Grundbetrags der Geldbuße um 30 % wegen erschwerender Umstände, insbesondere der bewussten
Fortsetzung ihrer Mitwirkung an der Zuwiderhandlung insbesondere nach den von der Kommission
durchgeführten Untersuchungen und ihrer angeblichen aktiven Rolle bei den Vergeltungsmaßnahmen
gegen Powerpipe. Dabei habe die Kommission im Übrigen keinen der in Nummer 2 ihrer Leitlinien
aufgezählten erschwerenden Umstände dargetan.
318.
Die Kommission habe die Geldbuße zu Unrecht wegen der Fortsetzung der Zuwiderhandlung nach
den Untersuchungen erhöht. Die Fortsetzung der fraglichen Praktiken nach Beginn der Untersuchung
der Kommission sei jeder Zuwiderhandlung immanent und könne daher nicht als erschwerender
Umstand angesehen werden. Dies werde dadurch bestätigt, dass nach der Entscheidungspraxis der
Kommission und ihren eigenen Leitlinien die Nichtfortsetzung der Zuwiderhandlung als mildernder
Umstand einzustufen sei. Wenn die frühzeitige Beendigung einer Zuwiderhandlung als mildernder
Umstandangesehen werden könne, gebe es keinen Grund, die Fortsetzung der Zuwiderhandlung
nach Beginn der Untersuchung als erschwerenden Umstand zu behandeln.
319.
Zu den abgestimmten Maßnahmen gegen Powerpipe wiederholt die Klägerin, dass sie an keiner
Strafaktion gegen Powerpipe mitgewirkt habe.
320.
Die Beklagte weist darauf hin, dass die Liste erschwerender Umstände in den Leitlinien nicht
abschließend sei. Deshalb habe sie die Fortsetzung der Zuwiderhandlung als erschwerenden
Umstand ansehen dürfen, zumal die Zuwiderhandlungen so schwerwiegend seien, dass keine redliche
Person ein solches Verhalten für rechtmäßig halten könne. Schließlich sei die Verantwortung der
Klägerin für das abgestimmte Vorgehen gegen Powerpipe in der Entscheidung nachgewiesen worden.
2. Würdigung durch das Gericht
321.
Erstens ist zur Liste erschwerender Umstände in den Leitlinien festzustellen, dass diese dort
ausdrücklich nur als Beispiele bezeichnet werden.
322.
Zur aktiven Rolle der Klägerin bei den Vergeltungsmaßnahmen gegen Powerpipe genügt der
Hinweis, dass nach den Feststellungen in den Randnummern 139 bis 164 erwiesen ist, dass die
Klägerin schon im Juli 1992 Kontakt zu ABB aufnahm, um das Geschäft von Powerpipe zu schädigen,
dass sie sich 1993 mit ABB auf die Abwerbung eines wichtigen Mitarbeiters dieses Unternehmens
verständigte und dass sie sich nach dem Treffen am 24. März 1995 bemühte, einen ihrer Lieferanten
zur Verzögerung seiner Lieferungen an Powerpipe zu bewegen. Unter diesen Umständen war die
Kommission berechtigt, ihr als erschwerenden Umstand ihre aktive Rolle bei den
Vergeltungsmaßnahmen gegen Powerpipe vorzuwerfen, wobei die führende Rolle von ABB in dieser
Angelegenheit im Übrigen anerkannt wurde.
323.
Zweitens bestreitet die Klägerin nicht, ihre Zuwiderhandlung nach den Untersuchungen der
Kommission fortgesetzt zu haben.
324.
Die Tatsache, dass die Beendigung einer Zuwiderhandlung nach dem ersten Tätigwerden der
Kommission als mildernder Umstand berücksichtigt werden kann, bedeutet entgegen der Behauptung
der Klägerin nicht, dass die Fortsetzung einer Zuwiderhandlung in einer solchen Situation nicht als
erschwerender Umstand angesehen werden kann. Die Reaktion eines Unternehmens auf die
Einleitung einer Untersuchung seiner Tätigkeiten kann nur unter Heranziehung des speziellen
Kontexts des konkreten Falles beurteilt werden. Da die Kommission somit grundsätzlich weder zur
Einstufung der Fortsetzung einer Zuwiderhandlung als erschwerender Umstand noch zur
Berücksichtigung der Beendigung einer Zuwiderhandlung als mildernder Umstand verpflichtet sein
kann, nimmt ihr die Möglichkeit, die Beendigung im Einzelfall als mildernden Umstand zu werten,
nichtdie Befugnis, die Fortsetzung in einem anderen Fall als erschwerenden Umstand zu behandeln.
325.
Daher kann der Rüge nicht gefolgt werden.
F -
1. Vorbringen der Parteien
326.
Die Klägerin wirft der Kommission vor, bestimmte Faktoren nicht berücksichtigt zu haben, die in der
Vergangenheit regelmäßig als mildernde Umstände angesehen worden seien; dazu gehöre der auf ein
Unternehmen von einem anderen Unternehmen ausgeübte Druck oder die Einführung einer Politik der
Befolgung des Wettbewerbsrechts durch das Unternehmen.
327.
Erstens hätte die Kommission berücksichtigen müssen, dass die Klägerin ein mittelgroßes
Familienunternehmen sei und somit nicht über das Kapital eines zu einem Konzern gehörenden
Unternehmens verfüge, wodurch ihre Fähigkeit zur Zahlung der Geldbuße eingeschränkt worden sei.
328.
Zweitens sei sie ständig starkem Druck von ABB ausgesetzt gewesen, die über die Macht und die
nötigen Mittel zur Beherrschung der Branche verfügt habe. ABB habe nie verhehlt, dass ihr
langfristiges Ziel darin bestehe, die Kontrolle über die Klägerin zu erlangen oder sie wegen der
Bedrohung durch ihre preisgünstigere Technologie zu schädigen. Die Klägerin sei daher mehr daran
interessiert gewesen, ABB nicht gegen sich aufzubringen, als daran, ein von dieser beherrschtes
Kartell mitzutragen. Der von ABB ausgeübte Druck hätte deshalb zugunsten der Klägerin als
mildernder Umstand berücksichtigt werden müssen.
329.
Entgegen der Behauptung der Beklagten reiche es insoweit nicht aus, diese Umstände bei der
Beurteilung der Schwere des Verhaltens von ABB zu berücksichtigen. Die Kommission sei verpflichtet
gewesen, bei der individuellen Beurteilung jedes Unternehmens die tatsächlichen Auswirkungen des
von ABB ausgeübten Drucks auf das Verhalten der Unternehmen und damit auch der Klägerin zu
prüfen. In der Entscheidung hätte jedenfalls berücksichtigt werden müssen, dass die Klägerin eine im
Vergleich zu ABB, der Anführerin des Kartells, untergeordnete Rolle gespielt habe.
330.
Drittens hätte die Kommission berücksichtigen müssen, dass die Klägerin über eine effizientere
Technologie verfüge, die es ihr ermögliche, die Preise zu drücken. Sie habe daher stets mehr
Interesse an einer Erhöhung ihrer Marktanteile als am Einfrieren der Marktsituation gehabt. Im EuHP
sei sie Opfer von Widerstand gegen die Nutzung ihrer neuen Fertigungstechnik geworden.
331.
Das Vorbringen der Beklagten, sie habe diese Situation nicht als mildernden Umstand
berücksichtigen können, da die Klägerin keine Beschwerde eingelegt habe, stehe in Widerspruch zum
Wortlaut der Mitteilung über Zusammenarbeit.
332.
Viertens könne die Mitwirkung der Klägerin am Kartell nur geringe Auswirkungen auf den Markt
gehabt haben, da ihre Marktanteile in Dänemark 1991 und 1992 deutlich über den ihr zugewiesenen
Anteilen gelegen hätten. Sie habe sich damit in dem nach der Rechtsprechung erforderlichen Umfang
von der von den anderen Unternehmen praktizierten Quotenregelung distanziert. Im Übrigen sei sie es
gewesen, die das erste Kartell in Dänemark schon im April 1993 beendet habe.
333.
Fünftens habe sie den EUHP Ende 1997 verlassen. Die Kooperation im EuHP habe zu dem in der
Entscheidung geahndeten Verhalten gehört. Die Kommission hätte bei der Festsetzung der Geldbuße
berücksichtigen müssen, was zu ihrem Ausscheiden aus dem EuHP geführt habe.
334.
Schließlich habe sie im Frühjahr ein internes Programm zur Befolgung des Gemeinschaftsrechts
eingeführt, das die Verteilung eines dahin gehenden Leitfadens sowie Vorträge und Gespräche mit
ihrem dänischen und deutschen Personal umfasst habe.
335.
Die Beklagte trägt vor, keiner der in der Klageschrift aufgezählten Umstände habe als mildernder
Umstand berücksichtigt werden müssen.
2. Würdigung durch das Gericht
336.
Die Kommission war im vorliegenden Fall zu der Annahme berechtigt, dass in Bezug auf die Klägerin
kein mildernder Umstand vorlag.
337.
Zunächst kann allein aus der Tatsache, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis
bestimmte Gesichtspunkte bei der Festlegung der Höhe der Geldbuße als mildernde Umstände
angesehen hat, nicht abgeleitet werden, dass sie verpflichtet wäre, dies in einer späteren
Entscheidung ebenfalls zu tun (Urteil Mayr-Melnhof/Kommission, Randnr. 368).
338.
Ferner kann der Umstand, dass die Klägerin ein mittelgroßes Familienunternehmen ist, keinen
mildernden Umstand darstellen. Selbst wenn es einen Zusammenhang zwischen der familiären
Verbundenheit der Gesellschafter eines Unternehmens und dessen Solvenz geben sollte, was nicht
erwiesen ist, ist die Kommission nach ständiger Rechtsprechung nicht verpflichtet, die schlechte
Finanzlage eines betroffenen Unternehmens zu berücksichtigen, da die Anerkennung einer solchen
Verpflichtung darauf hinauslaufen würde, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten
Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen (siehe oben, Randnr. 308).
339.
Was den von ABB auf die Klägerin ausgeübten Druck anbelangt, so hätte sie diesen bei den
zuständigen Behörden zur Anzeige bringen und bei der Kommission eine Beschwerde nach Artikel 3
der Verordnung Nr. 17 einlegen können, statt am Kartell teilzunehmen (siehe oben, Randnr. 142). Der
Kommission kann jedenfalls nicht vorgeworfen werden, diesen Druck außer Acht gelassen zu haben,
denn bei der Ermittlung der gegen ABB zu verhängenden Geldbuße wurde der Druck, den diese auf
andere Unternehmen ausübte, um sie zum Kartellbeitritt zu veranlassen, als Gesichtspunkt
herangezogen, der zur Erhöhung ihrer Geldbuße führte.
340.
Das Gleiche gilt für den Druck, den die übrigen im EuHP vertretenen Unternehmen auf die Klägerin
wegen der Nutzung ihrer neuen Technologie ausgeübt haben sollen. Die Klägerin war gerade deshalb,
weil sie über eine Technologie verfügte, die Kosteneinsparungen ermöglichte, in einer stärkeren
Position, sich den Handlungen des Kartells zu widersetzen und, falls dieses sie an der Nutzung ihrer
Technologie gehindert hätte, bei der Kommission Beschwerde einzulegen.
341.
Im Übrigen braucht weder nach dem Wortlaut der Mitteilung über Zusammenarbeit noch nach dem
Wortlaut der Leitlinien mangels Einlegung einer Beschwerde über die Ausübung von Druck durch
Konkurrenzunternehmen die Existenz solchen Drucks als mildernder Umstand berücksichtigt zu
werden.
342.
Schließlich kann sich die Klägerin nicht darauf berufen, dass sie im Rahmen des dänischen Kartells
die dort vereinbarte Quotenverteilung nicht immer respektiert habe. Dazu heißt es in den
Randnummern 36 und 37 der Entscheidung, die Klägerin habe zwar gedroht, das Kartell zu verlassen,
ihre Mitwirkung aber nicht beendet, sondern auf diesem Weg versucht, eine höhere Quote zu
erhalten. Die Klägerin hat eingeräumt, damals selbst Vorschläge für eine Änderung der Aufteilung der
Marktanteile gemacht zu haben (Antwort der Klägerin auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte). Zu
ihrem Ausscheiden aus dem dänischen Kartell im April 1993 ist auf die Feststellungen in den obigen
Randnummern 75 bis 77 zu verweisen, wonach sie nach dem Zerfall des dänischen Kartells noch an
Verhandlungen über eine Aufteilung des deutschen Marktes beteiligt war.
343.
Unter diesen Umständen war die Kommission zu der Annahme berechtigt, dass sich aus dem
Verhalten der Klägerin innerhalb des Kartells kein mildernder Umstand ableiten lasse.
344.
Zum Ausscheiden der Klägerin aus dem EuHP Anfang 1997 genügt der Hinweis, dass die
Kommission ihr die Kooperation im EuHP nicht als Bestandteil der Zuwiderhandlung zur Last gelegt hat
und zudem davon ausgegangen ist, dass die Zuwiderhandlung im Frühjahr 1996 endete, so dass sie
nicht als mildernden Umstand zu berücksichtigen brauchte, dass die Klägerin nach Ende des
Zeitraums der Zuwiderhandlung aus dem EuHP ausschied.
345.
Schließlich kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, dass sie die Durchführung eines
internen Programms zur Befolgung des Gemeinschaftsrechts durch die Klägerin nicht als mildernden
Umstand berücksichtigt hat. Es ist zwar wichtig, dass die Klägerin Maßnahmen ergriffen hat, um
künftige erneute Zuwiderhandlungen ihrer Mitarbeiter gegen das Wettbewerbsrecht der Gemeinschaft
zu verhindern, doch ändert dies nichts an der Tatsache der Zuwiderhandlung, die vorliegend
festgestellt worden ist (vgl. Urteil Hercules Chemicals/Kommission vom 17. Dezember 1991, Randnr.
357). Außerdem zeigt nach der Rechtsprechung die Einführung eines Programms zur Befolgung der
Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zwar, dass das fragliche Unternehmen gewillt ist, künftige
Zuwiderhandlungen zu verhindern, und stellt somit einen Faktor dar, der der Kommission die Erfüllung
ihrer Aufgabe erleichtert, die u. a. darin besteht, im Bereich des Wettbewerbs die im Vertrag
verankerten Grundsätze anzuwenden und die Unternehmen entsprechend anzuleiten; die bloße
Tatsache, dass die Kommission in ihrer früheren Entscheidungspraxis in einigen Fällen die Einführung
eines solchen Programms als mildernden Umstand berücksichtigt hat, bedeutet jedoch nicht, dass sie
verpflichtet wäre, in einem bestimmten Fall ebenso vorzugehen (Urteile des Gerichts vom 14. Mai
1998, Fiskeby Board/Kommission, Randnr. 83, und in der Rechtssache T-352/94, Mo och
Domsjö/Kommission, Slg. 1998, II-1989, Randnr. 417). Dies gilt umso mehr, wenn die fragliche
Zuwiderhandlung wie im vorliegenden Fall einen offenkundigen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1
Buchstaben a und c EG-Vertrag darstellt.
346.
Aus all diesen Gründen ist die Rüge daher zurückzuweisen.
G -
1. Vorbringen der Parteien
347.
Die Klägerin macht erstens geltend, die Verringerung der Geldbuße um 30 % gemäß Abschnitt D
der Mitteilung über Zusammenarbeit trage dem Wert ihrer Kooperation mit der Kommission nicht
ausreichend Rechnung. Zweitens hätte die Kommission in ihrem Fall die im Entwurf der Mitteilung über
Zusammenarbeit aufgestellten Grundsätze und nicht die Bestimmungen der Endfassung dieser
Mitteilung anwenden müssen. Drittens hätte wegen Ereignissen nach den Untersuchungen keine
Geldbuße gegen sie verhängt werden dürfen.
348.
Erstens hätte die Kommission berücksichtigen müssen, dass die Klägerin als erstes Unternehmen
die Presse darüber informiert habe, dass sie mit der Kommission bei deren Untersuchung kooperieren
werde. Sie habe der Kommission als erstes Unternehmen Informationen und wesentliche Beweise
geliefert, u. a. zur Fortsetzung des Kartells nach den Nachprüfungen, von der die Kommission nichts
gewusst habe. Bei ihrer systematischen Zusammenarbeit mit der Kommission habe sie sich flexibel
gezeigt, indem sie auf ihr Recht auf Akteneinsicht und ihr Recht, sich nicht selbst zu belasten,
verzichtet habe. Die Kommission könne ihreWeigerung, die Geldbuße stärker herabzusetzen, nicht
allein damit begründen, dass sie erst lange nach Beginn der Untersuchung zu kooperieren begonnen
habe, denn Abschnitt D der Mitteilung verlange nur, dass die Kooperation vor der Übersendung der
Beschwerdepunkte erfolge.
349.
Aufgrund ihrer Kooperation hätte die Geldbuße um mehr als 30 % verringert werden müssen, da sie
weit über das bloße Nichtbestreiten des Sachverhalts hinausgegangen sei, das z. B. in der
Entscheidung „Karton“ zu einer Herabsetzung der Geldbuße um 33 % geführt habe. Im vorliegenden
Fall sei die Geldbuße von KE KELIT allein wegen des Nichtbestreitens des Sachverhalts um 20 %
verringert worden.
350.
Sie hätte mit einer ähnlichen Herabsetzung wie in der Entscheidung „Karton“ rechnen dürfen, auf
die die Kommission bei der ersten Kontaktaufnahme mit ihr auch Bezug genommen habe. In der
Entscheidung 98/247/EGKS der Kommission vom 21. Januar 1998 in einem Verfahren nach Artikel 65
EGKS-Vertrag (Sache IV/35.814 - Legierungszuschlag) (ABl. L 100, S. 55, im Folgenden: Entscheidung
„Legierungszuschlag“) sei die Geldbuße wegen der Vorlage von Beweisen um 40 % verringert worden,
und gegen das Unternehmen, das als erstes Beweise geliefert habe, sei gar keine Geldbuße verhängt
worden.
351.
Zweitens hätte die Kommission die in ihrem Entwurf der Mitteilung über Zusammenarbeit und nicht
die in der Endfassung dieser Mitteilung aufgestellten Grundsätze anwenden müssen. Da diese
Endfassung noch nicht veröffentlicht gewesen sei, habe sie die Entscheidung zur Zusammenarbeit mit
der Kommission auf der Grundlage des Entwurfs der Mitteilung über Zusammenarbeit und der
früheren Praxis der Kommission getroffen. In ihrem Entwurf der Mitteilung über Zusammenarbeit habe
die Kommission im Übrigen erklärt, dass sie sich darüber im Klaren sei, dass die Mitteilung berechtigte
Erwartungen auslösen werde, auf die sich die Unternehmen berufen könnten, wenn sie der
Kommission ein Kartell meldeten.
352.
Nach dem Entwurf der Mitteilung über Zusammenarbeit sei die Geldbuße um mindestens 50 % zu
ermäßigen, wenn ein Unternehmen nach der Durchführung von Nachprüfungen drei Kriterien erfülle:
Es müsse das erste Unternehmen sein, das mit der Kommission zusammenarbeite, es müsse die
Kommission umfassend informieren und zu einer ununterbrochenen Zusammenarbeit bereit sein, und
es dürfe kein anderes Unternehmen zur Teilnahme am Kartell gezwungen oder in diesem eine
entscheidende Rolle gespielt haben. Der Entwurf der Mitteilung über Zusammenarbeit enthalte somit
nicht die in der Endfassung aufgestellte Voraussetzung, dass die Nachprüfungen keine
ausreichenden Gründe für die Eröffnung eines Verfahrens im Hinblick auf den Erlass einer
Entscheidung geliefert hätten. Der Entwurf der Mitteilung über Zusammenarbeit spiegele insoweit die
damalige Praxis der Kommission wider, die insbesondere durch die Entscheidung „Karton“ verdeutlicht
werde, in der die Geldbußen der Unternehmen um zwei Drittel herabgesetzt worden seien, weil sie
Beweise geliefert hätten, die dieNotwendigkeit für die Kommission, auf Indizienbeweise
zurückzugreifen, verringert und andere Unternehmen beeinflusst hätten, die sonst möglicherweise
weiterhin die Zuwiderhandlung abgestritten hätten.
353.
Selbst wenn die Kommission berechtigt gewesen sein sollte, die Endfassung ihrer Mitteilung
anzuwenden und im Fall der Klägerin Abschnitt D dieser Mitteilung heranzuziehen, sei nicht ersichtlich,
weshalb ihr nicht die höchstmögliche Herabsetzung um 50 % zuteil geworden sei.
354.
Drittens hätte wegen der rechtswidrigen Handlungen nach den Untersuchungen keine Geldbuße
gegen sie verhängt werden dürfen, da sie die Kommission über derartige Handlungen informiert habe,
von denen diese nach eigenen Angaben bis dahin nichts gewusst habe. Sowohl der Entwurf der
Mitteilung über Zusammenarbeit als auch die Endfassung sähen in Abschnitt B vor, dass ein
Unternehmen, das der Kommission ein ihr nicht bekanntes Kartell melde, Anspruch auf eine ganz
erhebliche Ermäßigung oder sogar - so der Entwurf der Mitteilung - auf völligen Erlass der Geldbuße
habe.
355.
Im vorliegenden Fall sei die Geldbuße nur in geringem Umfang herabgesetzt worden, da der der
Kommission zur Kenntnis gelangte Sachverhalt bereits zu einer Erhöhung der Geldbuße wegen der
längeren Dauer der Zuwiderhandlung und zu einer weiteren, im Wesentlichen auf der Schwere der
Zuwiderhandlung beruhenden Erhöhung um 30 % geführt habe.
356.
Die Beklagte trägt vor, sie habe von dem ihr bei der Anwendung ihrer Mitteilung über
Zusammenarbeit zustehenden Ermessen in zulässiger und angemessener Weise Gebrauch gemacht.
Nach Abschnitt D der Mitteilung habe die Unterstützung durch die Klägerin nur eine Ermäßigung um
30 % gerechtfertigt, da sie mit ihrer Zusammenarbeit nicht vor Erhalt eines Auskunftsverlangens
begonnen habe. Die Klägerin habe auch nicht dargetan, dass die Abschnitte B oder C dieser
Mitteilung anwendbar seien. Die Kommission könne jedenfalls nicht von der Endfassung ihrer
Mitteilung abweichen, da sie sich an die von ihr selbst öffentlich angekündigte Politik halten müsse.
357.
Da sie insoweit angesichts der Vielzahl zu berücksichtigender Faktoren über ein weites Ermessen
verfüge, habe die Klägerin keine berechtigte Erwartung wegen einer speziellen Ermäßigung in
früheren Fällen wie der Entscheidung „Karton“ hegen dürfen. Der Fall der Klägerin sei auch nicht mit
dem der Unternehmen vergleichbar, die in der Entscheidung „Legierungszuschlag“ Ermäßigungen von
40 % erhalten hätten. Das auf die Ermäßigung von 20 % bei KE KELIT gestützte Argument könnte
allenfalls zu einer Erhöhung der gegen diese festgesetzten Geldbuße führen.
358.
Die Klägerin könne sich jedenfalls nicht auf Abschnitt B der Mitteilung über Zusammenarbeit
stützen, um Immunität in Bezug auf die Verstöße nach derEinleitung der Untersuchung zu verlangen.
Die Fortsetzung der Zuwiderhandlung unter diesen Umständen sei vielmehr so anstößig, dass sich die
Kommission veranlasst gesehen habe, die Geldbuße zur Abschreckung zu erhöhen.
2. Würdigung durch das Gericht
359.
Die Kommission hat in ihrer Mitteilung über Zusammenarbeit festgelegt, unter welchen
Voraussetzungen gegen Unternehmen, die während der Untersuchung eines Kartellfalls mit ihr
zusammenarbeiten, keine oder niedrigere Geldbußen festgesetzt werden können (vgl. Abschnitt A 3
der Mitteilung über Zusammenarbeit).
360.
In Abschnitt E 3 der Mitteilung über Zusammenarbeit heißt es, diese habe berechtigte Erwartungen
geweckt, auf die sich die Unternehmen, die der Kommission ein Kartell melden wollten, berufen
würden. Angesichts des berechtigten Vertrauens, das die zur Zusammenarbeit mit der Kommission
bereiten Unternehmen aus dieser Mitteilung ableiten konnten, war die Kommission daher verpflichtet,
sich bei der Beurteilung der Kooperation der Klägerin im Rahmen der Bemessung ihrer Geldbuße an
die Mitteilung zu halten.
361.
Die Klägerin kann dagegen nicht geltend machen, dass die Kommission in ihrem Fall die im Entwurf
der Mitteilung angekündigten Kriterien hätte anwenden müssen. Wie oben in Randnummer 246
ausgeführt, konnte dieser Entwurf, mit dem die Unternehmen darauf aufmerksam gemacht wurden,
dass die Kommission eine Mitteilung zur Kooperation der Unternehmen bei der Ermittlung oder
Verfolgung von Zuwiderhandlungen erlassen wollte, für sich genommen kein Vertrauen darauf
begründen, dass die darin enthaltenen Kriterien tatsächlich angenommen und dann angewandt
werden. Jedes andere Ergebnis hätte die unerwünschte Auswirkung, dass die Kommission davon
abgehalten würde, Entwürfe von Mitteilungen zu veröffentlichen, um Stellungnahmen der betroffenen
Wirtschaftsteilnehmer zu erhalten.
362.
Zur Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit auf den Fall der Klägerin ist festzustellen,
dass dieser weder in den Anwendungsbereich von Abschnitt B der Mitteilung fällt, der Fälle betrifft, in
denen ein Unternehmen der Kommission eine geheime Absprache anzeigt, bevor diese eine
Nachprüfung vorgenommen hat (und in denen die Geldbuße um mindestens 75 % herabgesetzt
werden kann), noch in den Anwendungsbereich von Abschnitt C der Mitteilung, der sich auf ein
Unternehmen bezieht, das eine geheime Absprache anzeigt, nachdem die Kommission eine
Nachprüfung vorgenommen hat, die keine ausreichenden Gründe für die Eröffnung eines Verfahrens
im Hinblick auf den Erlass einer Entscheidung geliefert hat (dann kann die Geldbuße um 50 % bis 75
% herabgesetzt werden).
363.
Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit sieht Folgendes vor: „Arbeitet ein Unternehmen
mit der Kommission zusammen, ohne dass es alle [in den Abschnitten B und C genannten]
Voraussetzungen erfüllt, so wird die Höhe derGeldbuße, die ohne seine Mitarbeit festgesetzt worden
wäre, um 10 bis 50 % niedriger festgesetzt.“ Weiter heißt es dort:
„Dies gilt insbesondere, wenn
- ein Unternehmen der Kommission vor der Mitteilung der Beschwerdepunkte Informationen,
Unterlagen oder andere Beweismittel liefert, die zur Feststellung des Vorliegens eines Verstoßes
beitragen;
- ein Unternehmen der Kommission nach Erhalt der Mitteilung der Beschwerdepunkte mitteilt, dass
es den Sachverhalt, auf den die Kommission ihre Einwände stützt, nicht bestreitet.“
364.
Die Klägerin hat nicht dargetan, dass die Kommission - die anerkannt hat, dass die Klägerin ihr
freiwillig Unterlagen vorlegte, die in erheblichem Maße zur Ermittlung wichtiger Gesichtspunkte des
Falles beitrugen, insbesondere der Tatsache, dass die Teilnehmer beschlossen hatten, das Kartell
auch nach Beginn der Untersuchungen fortzuführen, was von der Kommission zwar vermutet wurde,
wofür sie jedoch keine Beweise hatte (Randnr. 177 der Entscheidung) - ihre Geldbuße über die ihr
gewährten 30 % hinaus hätte herabsetzen müssen.
365.
Wie die Kommission in Randnummer 177 ihrer Entscheidung ausführt, gaben die
Auskunftsverlangen der Klägerin Gelegenheit, die Beweise für die Zuwiderhandlung zu übermitteln.
Hierzu ergibt sich aus der Entscheidung, dass die Kommission in Bezug auf die von ABB angebotene
Zusammenarbeit die Ansicht vertrat, dass ABB die nach Abschnitt D mögliche Verringerung um 50 %
nicht zugestanden werden könne, da sie erst zur Zusammenarbeit bereit gewesen sei, nachdem die
Kommission eingehende Auskunftsersuchen versandt habe (Randnr. 174 Absätze 3 und 4). Folglich
war die Kommission nicht bereit, die Geldbuße um 50 % herabzusetzen, wenn das fragliche
Unternehmen ihr nicht vor Erhalt eines Auskunftsverlangens Informationen übermittelt hatte. Die
Klägerin hat der Kommission aber unstreitig erst nach Erhalt eines solchen Auskunftsverlangens
Unterlagen zur Verfügung gestellt.
366.
Zum Vergleich des vorliegenden Falles mit der früheren Praxis der Kommission ist festzustellen,
dass allein aus der Tatsache, dass die Kommission in früheren Entscheidungen bei einem bestimmten
Verhalten die Geldbuße in bestimmtem Umfang herabgesetzt hat, nicht abgeleitet werden kann, dass
sie verpflichtet wäre, bei der Beurteilung eines ähnlichen Verhaltens im Rahmen eines späteren
Verwaltungsverfahrens eine entsprechende Herabsetzung vorzunehmen (siehe oben, Randnr. 244).
367.
Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, dass die Geldbuße von KE KELIT um 20 %
herabgesetzt worden sei, weil diese den ihr zur Last gelegten Sachverhalt nicht bestritten habe.
Selbst wenn man unterstellt, dass die Kommissiondie Geldbuße dieses Unternehmens zu stark
herabgesetzt hätte, ist darauf hinzuweisen, dass die Beachtung des Grundsatzes der
Gleichbehandlung mit der Beachtung des Gebots rechtmäßigen Handelns in Einklang gebracht
werden muss, das besagt, dass sich niemand zu seinem Vorteil auf eine gegenüber anderen
begangene Rechtsverletzung berufen kann (Urteile SCA Holding/Kommission, Randnr. 160, und Mayr-
Melnhof/Kommission, Randnr. 334).
368.
Auch für die Zeit nach der Einleitung der Untersuchung, in der die Zuwiderhandlung fortgesetzt
wurde und für die die Klägerin der Kommission Beweise geliefert hat, kann sie keine stärkere
Herabsetzung verlangen. Da diese Fortsetzung des Kartells einen untrennbaren Aspekt der
Zuwiderhandlung darstellt, konnte diese im Rahmen der Anwendung der Mitteilung über
Zusammenarbeit nur als Ganzes beurteilt werden. Da die Klägerin die Voraussetzungen für die
Anwendung der Abschnitte B und C dieser Mitteilung nicht erfüllte, war ihr Verhalten anhand von
Abschnitt D zu würdigen.
369.
Schließlich war die Kommission berechtigt, die Fortsetzung der Zuwiderhandlung nach den
Nachprüfungen außer bei der Berechnung der Dauer der Zuwiderhandlung auch als erschwerenden
Umstand zu berücksichtigen, da ein solches Verhalten von der besonderen Entschlossenheit der
Kartellteilnehmer zeugte, ihre Zuwiderhandlung trotz der Gefahr der Verhängung einer Sanktion
fortzusetzen.
370.
Unter diesen Umständen hat die Kommission bei der Anwendung ihrer Mitteilung über
Zusammenarbeit keinen rechtlichen oder tatsächlichen Fehler begangen. Die Rüge ist daher
zurückzuweisen.
IV -
A - Vorbringen der Parteien
371.
Die Klägerin wirft der Kommission vor, gegen die Begründungspflicht verstoßen zu haben, da sie
nicht für Transparenz bei der Berechnungsmethode der Geldbuße gesorgt habe. Sie habe keine
Erläuterungen dazu gegeben, dass die Geldbuße anhand absoluter, vom Umsatz der Unternehmen
unabhängiger und über der rechtlich zulässigen Obergrenze liegender Ausgangsbeträge ermittelt
worden sei. Sie habe nicht erläutert, wie sie die Schwere der Zuwiderhandlung bei den beteiligten
kleinen und mittleren Unternehmen beurteilt habe. Insbesondere habe sie nicht angegeben, weshalb
sie von ihrer früheren Praxis abgewichen sei, die Geldbußen proportional zum Umsatz auf dem
relevanten Markt festzusetzen.
372.
Zudem habe die Beklagte dadurch gegen die Begründungspflicht verstoßen, dass sie ihre neuen
Leitlinien für die Berechnung der Geldbußen ohne jede Rechtfertigung rückwirkend angewandt habe.
373.
Ein weiterer Verstoß gegen diese Pflicht bestehe darin, dass die Kommission von ihrer früheren
Praxis, Nachsicht zu üben, und ihrem Entwurf der Mitteilung über Zusammenarbeit, in dem u. a. diese
Nachsicht zum Ausdruck komme, abgewichen sei und stattdessen eine andere, in der Endfassung der
Mitteilung über Zusammenarbeit verankerte Politik angewandt habe.
374.
Darüber hinaus habe die Kommission durch die Außerachtlassung aller von der Klägerin geltend
gemachter mildernder Umstände gegen ihre Begründungspflicht verstoßen. Selbst wenn die
Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, die von der Klägerin aufgezählten Umstände zu
berücksichtigen, hätte sie erläutern müssen, weshalb sie diesen Faktoren keine Beachtung
geschenkt habe.
375.
Die Beklagte weist darauf hin, dass die Klägerin in ihrem die Begründungspflicht betreffenden
Klagegrund lediglich Argumente, mit denen sie bereits eine angebliche Diskriminierung gerügt habe,
unter einem anderen Aspekt präsentiere.
376.
Das Vorbringen der Klägerin zur angeblich unzureichenden Begründung sei jedenfalls sowohl
hinsichtlich der „rückwirkenden“ Anwendung der neuen Leitlinien als auch in Bezug auf die gerügte
Abweichung der Kommission von ihrem Entwurf der Mitteilung über Zusammenarbeit unbegründet.
Schließlich habe es, da die Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, bestimmte Umstände als
mildernde Umstände zu berücksichtigen, insoweit keiner Begründung bedurft.
B - Würdigung durch das Gericht
377.
Nach ständiger Rechtsprechung muss die nach Artikel 190 EG-Vertrag (jetzt Artikel 253 EG)
vorgeschriebene Begründung die Überlegungen des Gemeinschaftsorgans, das den beanstandeten
Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die
Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine
Kontrollaufgabe wahrnehmen kann. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des
Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und dem
Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und
individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können (Urteil des Gerichtshofes vom 2. April
1998 in der Rechtssache C-367/95 P, Kommission/Sytraval und Brink's France, Slg. 1998, I-1719,
Randnr. 63).
378.
Handelt es sich um eine Entscheidung, mit der gegen mehrere Unternehmen wegen einer
Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft Geldbußen festgesetzt werden, so
ist bei der Ermittlung des Umfangs der Begründungspflicht insbesondere zu berücksichtigen, dass die
Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, zu denen
u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der
Geldbußen gehören, ohne dass es eine zwingende oder abschließende Liste vonKriterien gäbe, die
auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (Beschluss SPO u. a./Kommission, Randnr. 54).
379.
Im vorliegenden Fall hat die Kommission in ihrer Entscheidung zunächst allgemeine Feststellungen
zur Schwere der fraglichen Zuwiderhandlung getroffen und die besonderen Aspekte des Kartells
dargestellt, auf deren Grundlage sie zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es sich hier um einen sehr
schweren Verstoß handele, für den die voraussichtlichen Geldbußen mindestens 20 Millionen ECU
betragen dürften (Randnrn. 164 und 165 der Entscheidung). Sodann führt sie aus, dass dieser Betrag
anhand der tatsächlichen wirtschaftlichen Fähigkeit der Urheber der Verstöße, den Wettbewerb in
erheblichem Umfang zu schädigen, und des Erfordernisses, eine hinreichend abschreckende
Geldbuße festzusetzen, anzupassen sei (Randnr. 166 der Entscheidung). Ferner kündigt sie an, dass
sie bei der Festsetzung der Geldbußen erschwerende oder mildernde Umstände berücksichtigen und
erwägen werde, ob die Mitteilung über Zusammenarbeit auf die jeweiligen Unternehmen Anwendung
finden könne (Randnr. 167 der Entscheidung).
380.
Zu der gegen die Klägerin festzusetzenden Geldbuße weist die Kommission anschließend darauf
hin, dass der Ausgangspunkt für ihre Geldbuße wegen der Schwere ihrer Zuwiderhandlung unter
Berücksichtigung ihrer Stellung als zweitgrößter europäischer Hersteller von vorgedämmten Rohren
und der Tatsache, dass es sich bei ihr im Wesentlichen um ein Einproduktunternehmen handele, auf
10 Millionen ECU anzupassen sei (Randnr. 175 Absätze 1 und 2 der Entscheidung). Weiter gibt sie an,
wie die Geldbuße der Klägerin anhand der Dauer der Zuwiderhandlung zu gewichten ist (Randnr. 175
Absatz 3 der Entscheidung).
381.
Sodann führt die Kommission aus, der Grundbetrag der Geldbuße der Klägerin sei wegen des
erheblich erschwerenden Faktors der bewussten Fortsetzung ihrer Mitwirkung an der
Zuwiderhandlung nach den Untersuchungen sowie des weiteren erschwerenden Umstands ihrer
aktiven Rolle - wenn auch nicht auf derselben Stufe wie ABB - bei den Vergeltungsmaßnahmen gegen
Powerpipe zu erhöhen (Randnr. 176 Absätze 1 und 2 der Entscheidung). Ein mildernder Umstand liege
nicht vor; die Klägerin sei zwar möglicherweise von ABB unter Druck gesetzt worden, aber ihre
Behauptung, gegen ihren Willen in das Kartell gedrängt worden zu sein, sei eine erhebliche
Übertreibung (Randnr. 176 Absatz 3 der Entscheidung). Da der Endbetrag der nach diesem Schema
ermittelten Geldbuße gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 in keinem Fall 10 % des
Gesamtumsatzes der Klägerin übersteigen dürfe, sei die Geldbuße auf 12 700 000 ECU festzusetzen
(Randnr. 176 Absatz 4 der Entscheidung).
382.
Schließlich sei die Geldbuße der Klägerin nach der Mitteilung über Zusammenarbeit um 30 % zu
verringern, da sie freiwillig Unterlagen vorgelegt habe, die in erheblichem Maß zur Ermittlung wichtiger
Gesichtspunkte des Falles beigetragen hätten, insbesondere der Tatsache, dass die Teilnehmer
beschlossenhätten, das Kartell auch nach Beginn der Untersuchungen fortzuführen, was von der
Kommission zwar vermutet worden sei, wofür sie jedoch keine Beweise gehabt habe (Randnr. 177 der
Entscheidung).
383.
Bei einer Auslegung der Entscheidung im Licht des jedem Adressaten zur Last gelegten
Sachverhalts enthalten ihre Randnummern 164 bis 167 und 175 bis 177 ausreichende und
sachgerechte Angaben zu den Gesichtspunkten, die bei der Beurteilung von Schwere und Dauer der
von der Klägerin begangenen Zuwiderhandlung herangezogen wurden (vgl. Urteil des Gerichtshofes
vom 16. November 2000 in der Rechtssache C-248/98 P, KNP BT/Kommission, Slg. 2000, I-9641,
Randnr. 43).
384.
Unter diesen Umständen kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, die Höhe des Grund- und
Endbetrags der Geldbuße der Klägerin oder den Umfang der Herabsetzung wegen ihrer
Zusammenarbeit nicht genauer begründet zu haben, zumal im letztgenannten Punkt der Umfang der
Zusammenarbeit unter Bezugnahme auf Abschnitt D der Mitteilung über Zusammenarbeit dargestellt
wird.
385.
Selbst wenn man unterstellt, dass in der Entscheidung eine erhebliche Erhöhung des Niveaus der
Geldbuße im Vergleich zu früheren Entscheidungen vorgenommen wird, hat die Kommission die
Erwägungen, die sie veranlassten, die Geldbuße der Klägerin in dieser Höhe festzusetzen, ganz
deutlich zum Ausdruck gebracht (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 26. November 1975 in der
Rechtssache 73/74, Groupement des fabricants de papiers peints de Belgique u. a./Kommission, Slg.
1975, 1491, Randnr. 31).
386.
Die Klägerin kann der Kommission auch nicht vorwerfen, ihre Berechnung der Geldbuße nicht
anhand der als mildernde Umstände geltend gemachten Faktoren begründet zu haben.
387.
Da die Kommission in ihrer Entscheidung ausgeführt hat, dass sie bei der Klägerin keinen
mildernden Umstand berücksichtigt habe, hat sie alle nötigen Angaben geliefert, anhand deren die
Klägerin erkennen konnte, ob die Entscheidung begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet
ist, der ihre Anfechtung ermöglicht.
388.
Im Übrigen ist die Kommission zwar nach Artikel 190 EG-Vertrag verpflichtet, in den Gründen ihrer
Entscheidungen die sachlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmäßigkeit der Entscheidung
abhängt, sowie die Erwägungen anzugeben, die sie zu ihrem Erlass veranlasst haben; diese
Bestimmung zwingt sie jedoch nicht, auf alle sachlichen und rechtlichen Fragen einzugehen, die
während des Verwaltungsverfahrens behandelt wurden (Urteile Michelin/Kommission, Randnrn. 14 und
15, und Fiskeby Board/Kommission, Randnr. 127).
389.
Was den auf die Klägerin ausgeübten Druck anbelangt, so hat die Kommission jedenfalls in
Randnummer 176 Absatz 3 der Entscheidung die Gründe genannt, aus denen sie diesen Druck nicht
als einen zur Herabsetzung der Geldbuße führenden Umstand berücksichtigt hat.
390.
Schließlich kann der Kommission nicht vorgeworfen werden, den rechtlichen Rahmen des
vorliegenden Falles und insbesondere die Anwendung der neuen Leitlinien oder der Mitteilung über
Zusammenarbeit nicht verdeutlicht zu haben. In der Begründung brauchen nicht alle einschlägigen
tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung
eines Rechtsakts den Erfordernissen von Artikel 190 EG-Vertrag genügt, nicht nur anhand ihres
Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften
auf dem betreffenden Gebiet (Urteil Kommission/Sytraval und Brink's France, Randnr. 63). Da die
Kommission nach der Veröffentlichung ihrer Leitlinien und ihrer Mitteilung über Zusammenarbeit
verpflichtet war, sich bei der Bemessung einer Geldbuße wegen Verstoßes gegen die
Wettbewerbsregeln daran zu halten (siehe oben, Randnrn. 245 und 274), brauchte sie nicht
anzugeben, ob und aus welchen Gründen sie dies bei der Bemessung der Geldbuße der Klägerin tat.
391.
Folglich ist der Klagegrund eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht zurückzuweisen.
V -
A - Vorbringen der Parteien
392.
Die Klägerin trägt vor, der in Artikel 4 der Entscheidung für Verzugszinsen festgelegte Satz von 7,5
% - der von der Europäischen Zentralbank in ihren Ecu-Geschäften am ersten Arbeitstag des Monats,
in dem die Entscheidung erlassen wurde, angewandte Zinssatz zuzüglich 3,5 Prozentpunkten - sei
überhöht. Er übe unangemessenen Druck auf sie aus, um sie zu zwingen, die Geldbußen rasch zu
zahlen, obwohl sie über gute rechtliche Gründe für eine Anfechtung der Entscheidung zu verfügen
glaube. Der Zinssatz müsse deshalb auf ein angemessenes Maß herabgesetzt werden.
393.
Generalanwalt Fennelly habe in seinen Schlussanträgen in den Rechtssachen C-395/96 P und C-
396/96 P (Urteil des Gerichtshofes vom 16. März 2000, Compagnie maritime belge u. a./Kommission,
Slg. 2000, I-1365, I-1371) ausgeführt, dass der Zinssatz nicht so hoch sein dürfe, dass er die
Unternehmen zwinge, Geldbußen sofort zu zahlen, und dass ein ohne jede Erläuterung auferlegter
Zuschlag von 3,5 Prozentpunkten zu einem bereits hohen Satz nicht akzeptabel sei.
394.
Die Beklagte weist darauf hin, dass sie das Recht habe, einen so hohen Satz zu wählen, dass die
Unternehmen davon abgehalten würden, die Zahlung der Geldbuße zu verzögern. Angesichts der
aktuellen Sätze der Geschäftsbanken seiein Satz von 7,5 % völlig angemessen gewesen und habe sich
im Rahmen ihres Ermessensspielraums bewegt.
B - Würdigung durch das Gericht
395.
Die Erhebung von Verzugszinsen auf Geldbußen für Unternehmen, die vorsätzlich oder fahrlässig
gegen Artikel 85 EG-Vertrag verstoßen, gewährleistet die praktische Wirksamkeit des Vertrages. Diese
Zinsen stärken die Befugnisse der Kommission im Rahmen der ihr durch Artikel 89 EG-Vertrag (nach
Änderung jetzt Artikel 85 EG) übertragenen Aufgabe, auf die Verwirklichung der Wettbewerbsregeln zu
achten, und sorgen dafür, dass die Vorschriften des Vertrages nicht durch einseitiges Verhalten von
Unternehmen unterlaufen werden, die die Zahlung der gegen sie festgesetzten Geldbußen
hinauszögern. Hätte die Kommission nicht das Recht, neben Geldbußen auch Verzugszinsen zu
verlangen, so wären Unternehmen, die die Zahlung ihrer Geldbußen hinauszögern, gegenüber denen
im Vorteil, die ihre Geldbußen zum festgesetzten Fälligkeitstermin zahlen (Urteil des Gerichts vom 14.
Juli 1995 in der Rechtssache T-275/94, CB/Kommission, Slg. 1995, II-2169, Randnrn. 48 und 49).
396.
Würde das Gemeinschaftsrecht Maßnahmen zum Ausgleich des Vorteils, den ein Unternehmen aus
der verspäteten Zahlung einer Geldbuße ziehen kann, nicht zulassen, so schüfe dies einen Anreiz zur
Erhebung offensichtlich unbegründeter Klagen, deren ausschließliches Ziel darin bestünde, die
Zahlung der Geldbuße zu verzögern (Urteil AEG/Kommission, Randnr. 141).
397.
In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Kommission mit der Auferlegung eines
Zinssatzes von 7,5 % - des von der Europäischen Zentralbank in ihren Ecu-Geschäften am ersten
Arbeitstag des Monats, in dem die Entscheidung erlassen wurde, angewandten Zinssatzes zuzüglich
3,5 Prozentpunkten - das ihr bei der Wahl der Höhe der Verzugszinsen zustehende Ermessen nicht
überschritten hat.
398.
Der Zinssatz darf zwar nicht so hoch sein, dass er die Unternehmen effektiv zwingen würde,
Geldbußen sofort zu zahlen, selbst wenn sie der Auffassung sind, dass sie gute Gründe haben, die
Gültigkeit der Entscheidung der Kommission anzugreifen; die Kommission darf jedoch eine
Bezugsgröße wählen, die über dem üblichen durchschnittlichen Marktzins liegt, soweit dies erforderlich
ist, um hinhaltenden Maßnahmen vorzubeugen (Schlussanträge von Generalanwalt Fennelly in den
Rechtssachen Compagnie maritime belge u. a./Kommission, Nr. 190).
399.
Da die Kommission bei der Festlegung des Satzes der Verzugszinsen keinen Ermessensfehler
begangen hat, ist der Klagegrund, dass dieser Satz überhöht sei, zurückzuweisen.
400.
Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen.
Kosten
401.
Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichts ist die unterliegende Partei auf Antrag zur
Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr
entsprechend dem dahin gehenden Antrag der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Vierte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Mengozzi
Tiili
Moura Ramos
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 20. März 2002.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
P. Mengozzi
Inhaltsverzeichnis
Sachverhalt
II -
Verfahren und Anträge der Parteien
II -
Begründetheit
II -
I - Zum ersten Klagegrund: Materielle Fehler bei der Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 EG-
Vertrag
II -
A - Zum Ausgleichsmechanismus im Rahmen des dänischen Kartells
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
B - Zur Existenz eines fortgesetzten Kartells von 1990 bis 1996
II -
1. Zur Mitwirkung am Kartell außerhalb des dänischen Marktes in der Zeit von 1990 bis
1993
II -
- Vorbringen der Parteien
II -
- Würdigung durch das Gericht
II -
2. Zur Einstellung der Mitwirkung am Kartell im Jahr 1993 und zur Mitwirkung am Kartell ab
1994
II -
- Vorbringen der Parteien
II -
- Würdigung durch das Gericht
II -
3. Zu Dauer und Stetigkeit der der Klägerin zur Last gelegten Zuwiderhandlung
II -
- Vorbringen der Parteien
II -
- Würdigung durch das Gericht
II -
C - Zur Mitwirkung am europaweiten Kartell in Bezug auf den italienischen Markt
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
D - Zur Kooperation bei Qualitätsnormen
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
E - Zu den aufeinander abgestimmten Maßnahmen gegen Powerpipe
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
F - Zu dem von ABB ausgeübten Druck
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
II - Zum zweiten Klagegrund: Verletzung der Verteidigungsrechte
II -
A - Zur Akteneinsicht
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
B - Zur Verletzung des Anhörungsrechts in Bezug auf die Heranziehung neuer Beweismittel
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
C - Zur Verletzung des Anhörungsrechts in Bezug auf die Anwendung der Leitlinien für die
Berechnung der Geldbußen
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
III - Zum dritten Klagegrund: Verstöße gegen allgemeine Rechtsgrundsätze und materielle Fehler
bei der Bemessung der Geldbuße
II -
A - Zum Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
B - Zum Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
C - Zum Verstoß gegen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit
und zur Rechtmäßigkeit der Leitlinien
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
- Zur Einrede der Rechtswidrigkeit der Leitlinien
II -
- Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung
II -
- Zum Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
II -
D - Zur falschen Beurteilung der Dauer der Zuwiderhandlung
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
E - Zur falschen Anwendung erschwerender Umstände
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
F - Zur Nichtberücksichtigung mildernder Umstände
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
G - Zur fehlerhaften Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit
II -
1. Vorbringen der Parteien
II -
2. Würdigung durch das Gericht
II -
IV - Zum vierten Klagegrund: Verstoß gegen die Begründungspflicht bei der Bemessung der
Geldbuße
II -
A - Vorbringen der Parteien
II -
B - Würdigung durch das Gericht
II -
V - Zum fünften Klagegrund: überhöhter Zinssatz der Geldbuße
II -
A - Vorbringen der Parteien
II -
B - Würdigung durch das Gericht
II -
Kosten
II -
Verfahrenssprache: Englisch.