Urteil des EuG vom 15.12.1999

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URTEIL DES GERICHTS (Zweite erweiterte Kammer)
15. Dezember 1999
„Staatliche Beihilfen - Ausgleich der durch die Teilung Deutschlands verursachten wirtschaftlichen Nachteile
- Beträchtliche Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats - Wirtschaftliche Entwicklung einer Region -
Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen in der Kfz-Industrie“
In den verbundenen Rechtssachen T-132/96 und T-143/96
Freistaat Sachsen,
Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts Aloyse May, 31, Grand-rue, Luxemburg,
und
Volkswagen AG und Volkswagen Sachsen GmbH,
Wolfsburg bzw. Mosel (Deutschland), Prozeßbevollmächtigte: Rechtsanwälte Michael Schütte, Berlin, und
Martina Maier, Düsseldorf, Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte Bonn und Schmitt, 62, avenue
Guillaume, Luxemburg,
Kläger,
unterstützt durch
Bundesrepublik Deutschland,
Ministerialrat Wolf-Dieter Plessing und Professor Thomas Oppermann, Universität Tübingen, als
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift: Bundesministerium für Wirtschaft, Bonn,
Streithelferin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
Jessen, Juristischer Dienst, dann durch Paul Nemitz als Bevollmächtigte, Beistand: Rechtsanwälte Hans-
Jürgen Rabe, Georg Berrisch und Marco Nuñez Müller, Hamburg, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez
de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Beklagte,
unterstützt durch
Vereinigtes Königreich Großbritannien und Nordirland,
Solicitor's Department, als Bevollmächtigten, Beistand: Barrister Sarah Moore, London, Zustellungsanschrift:
Botschaft des Vereinigten Königreichs, 14, boulevard Roosevelt, Luxemburg,
Streithelfer,
wegen Teilnichtigerklärung der Entscheidung 96/666/EG der Kommission vom 26. Juni 1996 über eine Beihilfe
Deutschlands an den Volkswagen-Konzern für die Werke in Mosel und Chemnitz (ABl. L 308, S. 46)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten A. Potocki sowie der Richter K. Lenaerts, C. W. Bellamy, J. Azizi und A. W. H.
Meij,
Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. Juni 1999,
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
1.
Mit Schreiben vom 31. Dezember 1988 teilte die Kommission den Mitgliedstaaten mit, daß sie nach
ihrer Entscheidung vom 19. Juli 1988 über die Aufstellung eines allgemeinen Gemeinschaftsrahmens
für staatliche Beihilfen in der Kfz-Industrie (im folgenden: Gemeinschaftsrahmen) auf der Grundlage
von Artikel 93 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 88 Absatz 1 EG) in ihrer Sitzung vom 22. Dezember
1988 die Voraussetzungen für die Durchführung dieses Rahmens festgelegt habe, die in der Anlage
des Schreibens wiedergegeben seien. Sie forderte die Mitgliedstaaten auf, ihr binnen eines Monats
mitzuteilen, ob sie mit dem Gemeinschaftsrahmen einverstanden seien.
2.
Der Gemeinschaftsrahmen wurde in einer Mitteilung (89/C 123/03) im
veröffentlicht (ABl. 1989, C 123, S. 3). Er sollte nach seinem Unterabschnitt 2.5 „am
1. Januar 1989 in Kraft treten“ und „für zwei Jahre gültig“ sein.
3.
Nach Abschnitt 1, vierter Absatz, war Ziel des Gemeinschaftsrahmens u. a. die Herstellung eines
höheren Maßes an Disziplin bei der Gewährung von Beihilfen, um die Voraussetzungen für einen
unverfälschten Wettbewerb in diesem Wirtschaftszweig der Gemeinschaft zu schaffen. Die Kommission
betonte in diesem Abschnitt, daß sie nur dann eine wirksame Wettbewerbspolitik betreiben könne,
wenn sie zu einzelnen Beihilfefällen vor der Gewährung Stellung beziehen könne.
4.
Unterabschnitt 2.2 Absatz 1 des Gemeinschaftsrahmens lautet:
„Anmeldepflichtig gemäß Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag sind Beihilfen staatlicher Einrichtungen, die
(einem) Unternehmen des Kfz-Sektors im Sinne dieses Gemeinschaftsrahmens innerhalb einer
genehmigten Beihilferegelung gewährt werden, wenn der Kostenaufwand einer zu fördernden
Maßnahme 12 Millionen ECU übersteigt. Beihilfen, die außerhalb einer genehmigten Regelung gewährt
werden sollen, unterliegen ungeachtet ihres Umfangs und ihrer Intensität ausnahmslos der
Anmeldungspflicht gemäß Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag ... Vorhaben der Mitgliedstaaten zur
Gewährung oder Änderung von Beihilfen sindder Kommission so rechtzeitig mitzuteilen, daß ihr
ausreichend Zeit zur Abgabe einer Stellungnahme zur Verfügung steht.“
5.
Unter Abschnitt 3 des Gemeinschaftsrahmens, der die Leitlinien für die Beurteilung der Beihilfefälle
betrifft, führt die Kommission u. a. folgendes aus:
- „Regionalbeihilfen
...
Die Kommission ist sich des wertvollen Beitrags zur Entwicklung wirtschaftlich benachteiligter Regionen
bewußt, der mit der Errichtung oder Erweiterung von Anlagen zur Herstellung von Kraftfahrzeugen und
Kfz-Teilen geleistet werden kann. Deshalb befürwortet sie in der Regel Investitionsbeihilfen, die als
Beitrag zur Überwindung von Strukturschwächen in benachteiligten Regionen der Gemeinschaft
gewährt werden. Mit der vorherigen Anmeldung solcher Beihilfen müßte die Kommission in Zukunft die
Möglichkeit erhalten, deren Nutzwirkungen auf die regionale Entwicklung (d. h. ihr Beitrag zur
dauerhaften Entwicklung einer Region durch die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen und die
wirtschaftliche Einbindung auf regionaler und kommunaler Ebene) den möglichen nachteiligen
Auswirkungen auf den gesamten Sektor (wie z. B. die Entstehung umfangreicher
Überschußkapazitäten) gegenüberzustellen. Bei dieser Bewertung soll die grundlegende Bedeutung
der Regionalbeihilfen für die Herstellung des Zusammenhalts innerhalb der Gemeinschaft nicht in
Frage gestellt, sondern gewährleistet werden, daß andere Gesichtspunkte des
Gemeinschaftsinteresses, wie z. B. die Entwicklung der Industrie der Gemeinschaft, ebenfalls
berücksichtigt werden.“
6.
Nachdem die Bundesregierung der Kommission ihre Absicht mitgeteilt hatte, den
Gemeinschaftsrahmen nicht anzuwenden, erließ letztere gemäß Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag die
Entscheidung 90/381/EWG vom 21. Februar 1990 zur Änderung der deutschen Beihilferegelung
zugunsten der Kfz-Industrie (ABl. L 188, S. 55). Artikel 1 dieser Entscheidung lautet:
„(1) Die Bundesrepublik Deutschland meldet der Kommission ab dem 1. Mai 1990 gemäß Artikel 93
Absatz 3 EWG-Vertrag alle aufgrund der im Anhang aufgeführten Beihilferegelungen gewährten
Beihilfen für Projekte mit einem Kostenumfang von mehr als 12 Millionen ECU an Unternehmen des
Kraftfahrzeugsektors gemäß der Begriffsbestimmung in Unterabschnitt 2.1 des
Gemeinschaftsrahmens für staatliche Beihilfen in der Kraftfahrzeugindustrie. Die Anmeldungen sind
gemäß den in den Unterabschnitten 2.2 und 2.3 genannten Erfordernissen vorzunehmen. Die
Bundesrepublik legt der Kommission ferner die in dem Gemeinschaftsrahmen geforderten
Jahresberichte vor.
(2) Die Verpflichtung gemäß Absatz 1 gilt über die nicht erschöpfende Aufstellung der
Beihilferegelungen im Anhang hinaus auch für sonstige Beihilferegelungen, die von der Kfz-Industrie in
Anspruch genommen werden können.
(3) Im Rahmen des Berlin-Förderungsgesetzes gewährte Beihilfen an Unternehmen der
Kraftfahrzeugindustrie in Berlin sind von der mit dem Gemeinschaftsrahmen eingeführten
Anmeldungspflicht freigestellt, jedoch in den vorzulegenden Jahresberichten aufzuführen.“
7.
Die Kommission genehmigte in einem an die deutsche Regierung gerichteten Schreiben vom 2.
Oktober 1990 die Regelung über regionale Beihilfen für das Jahr 1991 gemäß dem 19. Rahmenplan
auf der Grundlage des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ vom 6. Oktober 1969 (im folgenden: Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe),
wies aber darauf hin, daß bei der Durchführung der beabsichtigten Maßnahmen der in einigen
Industriebereichen bestehende Gemeinschaftsrahmen beachtet werden müsse. Im 19. Rahmenplan
(Teil I Punkt 9.3, S. 43) heißt es, daß die Kommission
„Entscheidungen getroffen [hat], die die Gewährung von Beihilfen auch im Rahmen genehmigter
Systeme, z. B. der Regionalhilfe, an bestimmte Sektoren untersagen oder an die Vorabgenehmigung
jedes einzelnen Fördervorhabens knüpfen ...
Solche Regelungen bestehen in folgenden Bereichen:
a) ...
- Kraftfahrzeugindustrie, sofern der Kostenaufwand einer zu fördernden Maßnahme 12 Millionen ECU
übersteigt“.
8.
Mit dem Beitritt der aus der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik hervorgegangenen
fünf neuen Bundesländer, darunter des Freistaates Sachsen, zur Bundesrepublik Deutschland wurde
am 3. Oktober 1990 die Herstellung der staatlichen Einheit Deutschlands proklamiert.
9.
Die Kommission teilte den Mitgliedstaaten mit Schreiben vom 31. Dezember 1990 mit, daß sie eine
Verlängerung des Gemeinschaftsrahmens für erforderlich halte.
10.
Diese Entscheidung der Kommission war ebenfalls Gegenstand einer Mitteilung (91/C 81/05), die im
(ABl. 1991, C 81, S. 4) veröffentlicht wurde. In dieser
Mitteilung heißt es u. a.:
„... glaubt die Kommission, daß der Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen an die Kfz-Industrie
in seiner derzeitigen Form verlängert werden sollte. Dieeinzige Änderung besteht darin, daß, wie die
Kommission entschieden hat, die Meldepflicht in der Bundesrepublik Deutschland nun auch für West-
Berlin und das Territorium der ehemaligen DDR gilt [Artikel 1 Absatz 3 der Kommissionsentscheidung
vom 21. Februar 1990, veröffentlicht im ABl. L 188 vom 27. Juli 1990, gilt nicht mehr seit dem 1. Januar
1991].
Nach zwei Jahren will die Kommission den Gemeinschaftsrahmen erneut prüfen. Sollten sich dann
Änderungen als erforderlich erweisen (oder der Gemeinschaftsrahmen hinfällig werden), wird die
Kommission vor einer Entscheidung [die] Mitgliedstaaten hören.“
11.
Die Kommission genehmigte mit Schreiben vom 5. Dezember 1990 und 11. April 1991 an die
deutsche Regierung die Anwendung des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe auf die neuen
Bundesländer, wies aber noch einmal darauf hin, daß bei der Durchführung der beabsichtigten
Maßnahmen der in einigen Industriebereichen bestehende Gemeinschaftsrahmen beachtet werden
müsse. Ebenso genehmigte sie mit Schreiben vom 9. Januar 1991 die Ausweitung der bestehenden
Regionalbeihilferegelungen auf die neuen Bundesländer und stellte dabei klar, daß die Bestimmungen
des Gemeinschaftsrahmens zu beachten seien.
12.
Am 23. Dezember 1992 entschied die Kommission, „den Gemeinschaftsrahmen nicht zu ändern“,
und „bis zu der nächsten von der Kommission zu organisierenden Überprüfung“ fortgelten zu lassen.
Diese Entscheidung wurde in einer Mitteilung (93/C 36/06) im
(ABl. 1993, C 36, S. 17) veröffentlicht.
13.
Mit Urteil vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache C-135/93 (Spanien/Kommission, Slg. 1995, I-1651,
Randnr. 39) stellte der Gerichtshof fest, daß diese Entscheidung so auszulegen ist, „daß mit ihr die
Geltung des Rahmens nur bis zu seiner nächsten Überprüfung verlängert worden ist, die wie die
vorangegangenen nach einem weiteren Anwendungszeitraum von zwei Jahren erfolgen sollte“. Dieser
Zeitraum war am 31. Dezember 1994 abgelaufen.
14.
Nach Verkündung dieses Urteils teilte die Kommission mit Schreiben vom 6. Juli 1995 den
Mitgliedstaaten mit, sie habe im Interesse der Gemeinschaft am 5. Juli 1995 beschlossen, ihre
Entscheidung vom 23. Dezember 1992 rückwirkend vom 1. Januar 1995 an zu verlängern, so daß der
Gemeinschaftsrahmen ohne Unterbrechung anwendbar bleibe. Diese Verlängerung finde nur bis zum
Abschluß des Verfahrens des Artikels 93 Absatz 1 EG-Vertrag Anwendung, dessen gleichzeitige
Einleitung sie beschlossen habe (vgl. Randnr. 15). Diese Entscheidung, die in einer Mitteilung (95/C
284/03) im (ABl. 1995, C 284, S. 3) veröffentlicht wurde,
wurde vom Gerichtshof mit Urteil vom 15. April 1997 in der Rechtssache C-292/95
(Spanien/Kommission, Slg. 1997, I-1931) für nichtig erklärt.
15.
In einem zweiten Schreiben vom 6. Juli 1995 unterrichtete die Kommission die Mitgliedstaaten im
übrigen über ihre Entscheidung vom 5. Juli 1995, ihnen nach dem Urteil Spanien/Kommission vom 29.
Juni 1995 vorzuschlagen, den Gemeinschaftsrahmen mit einigen Änderungen, insbesondere der
Anhebung der Schwelle für Anmeldungen auf 17 Millionen ECU, für zwei Jahre wieder einzuführen (vgl.
Mitteilung 95/C 284/03). Die neue Fassung des vorgeschlagenen Gemeinschaftsrahmens sah in
Unterabschnitt 2.5 folgendes vor: „Der Gemeinschaftsrahmen tritt nach Zustimmung der
Mitgliedstaaten in Kraft, spätestens jedoch zum 1. Januar 1996. Beihilfevorhaben, die von den
zuständigen Behörden bis zu diesem Datum noch nicht genehmigt sind, unterliegen der
Anmeldungspflicht ab 1. Januar 1996.“ Die deutsche Regierung stimmte dieser Wiedereinführung des
Gemeinschaftsrahmen mit Schreiben vom 15. August 1995 zu.
Sachverhalt
16.
Mit dem Inkrafttreten der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik
Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik am 1. Juli 1990 brach der Absatz und damit
die Fertigung von Trabant-Fahrzeugen in Sachsen zusammen. Zur Erhaltung der Kraftfahrzeugindustrie
in dieser Region nahm die Volkswagen AG (im folgenden: Volkswagen) Verhandlungen mit der
Treuhandanstalt auf, die im Oktober 1990 zu einer Grundsatzvereinbarung führten. Diese
Vereinbarung sah u. a. vor:
- gemeinsame Gründung einer Beschäftigungsgesellschaft, der Sächsischen Automobilbau GmbH
(nachstehend: SAB), deren Gesellschaftskapital zu 87,5 % zunächst von der Treuhandanstalt und zu
12,5 % von Volkswagen gehalten werden sollte;
- Übernahme der (seinerzeit noch in Bau befindlichen) Lackieranlage und der bestehenden
Endmontage in Mosel (nachstehend: Mosel I) durch SAB;
- Übernahme der alten Motorenfertigung in Chemnitz (im folgenden: Chemnitz I) durch die
Volkswagen Sachsen GmbH (im folgenden: VW Sachsen), eine hundertprozentige Tochtergesellschaft
von Volkswagen;
- Übernahme der Zylinderkopffertigung in Eisenach durch VW Sachsen und
- Errichtung eines neuen Fahrzeugwerks in Mosel mit den vier Hauptfertigungsbereichen Preßwerk,
Rohbau, Lackiererei und Endmontage (im folgenden: Mosel II) und Neubau eines Motorenwerks in
Chemnitz (im folgenden: Chemnitz II) durch VW Sachsen.
17.
Ursprünglich war die Übernahme und Umstrukturierung von Mosel I und Chemnitz I als
vorübergehende Lösung gedacht, um zu vermeiden, daß diebestehende Belegschaft bis zu der für
1994 vorgesehenen Inbetriebnahme von Mosel II und Chemnitz II arbeitslos würde.
18.
Mit Schreiben vom 19. September 1990 forderte die Kommission die deutsche Regierung auf, ihr
gemäß dem Gemeinschaftsrahmen die staatlichen Beihilfen für diese Investitionsvorhaben mitzuteilen.
Mit Schreiben vom 14. Dezember 1990 und 14. März 1991 unterstrich sie, daß solche Beihilfen nicht
ohne vorherige Notifizierung und Genehmigung durch die Kommission gewährt werden dürften. Diese
Frage stand auch auf der Tagesordnung zweier bilateraler Zusammenkünfte in Bonn am 31. Januar
1991 und 7. Februar 1991.
19.
Mit zwei Bescheiden vom 22. März 1991 bewilligte das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft
und Arbeit auf der Grundlage des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe der VW Sachsen
bestimmte Investitionszuschüsse für Mosel II und Chemnitz II (im folgenden: Bescheide von 1991).
Insgesamt beliefen sich diese Zuschüsse auf 757 Millionen DM für Mosel II, verteilt auf die Jahre 1991
bis 1994, und auf 147 Millionen DM für Chemnitz II, verteilt auf die Jahre 1991 bis 1996.
20.
Mit Bescheid vom 18. März 1991 bewilligte das Finanzamt Zwickau-Land der VW-Sachsen bestimmte
Investitionszulagen gemäß dem Investitionszulagengesetz von 1991.
21.
Der Volkswagen-Konzern beantragte weiter, gemäß dem Fördergebietsgesetz von 1991
Sonderabschreibungen vornehmen zu dürfen.
22.
Mit Schreiben vom 25. März 1991 übermittelten die deutschen Behörden der Kommission eine Reihe
von Informationen über die in den Randnummern 19 bis 21 genannten Beihilfen, wiesen aber
gleichzeitig darauf hin, daß genauere Informationen ihnen noch nicht vorlägen und daß beabsichtigt
sei, diese Beihilfen im Rahmen der von der Kommission für die neuen Bundesländer genehmigten
Beihilferegelungen zu gewähren. Die Kommission erklärte mit Schreiben vom 17. April 1991, daß das
Schreiben der deutschen Behörde vom 25. März 1991 eine Notifizierung nach Artikel 93 Absatz 3 EG-
Vertrag darstelle, daß aber noch weitere Informationen erforderlich seien.
23.
Mit Schreiben vom 29. Mai 1991 machten die deutschen Behörden geltend, daß der
Gemeinschaftsrahmen auf die neuen Bundesländer zwischen dem 1. Januar 1991 und dem 31. März
1991 nicht anwendbar gewesen sei. Da die fraglichen Beihilfen vor dem 31. März 1991 genehmigt
worden seien, könne die Kommission die einzelnen dazugehörigen Akten nur im Rahmen der
Regionalbeihilferegelungen prüfen (vgl. Randnr. 7). Die Kommission wies diesen Standpunkt der
deutschen Behörden bei einem bilateralen Treffen am 10. Juli 1991 zurück und verlangte mit
Schreiben vom 16. Juli 1991 weitere detaillierte Informationen. Auf die Antwort der Bundesregierung
vom 17. September 1991 legte die Kommission dieser mit Schreiben vom 27. November 1991 weitere
Fragen vor.
24.
Im Oktober und Dezember 1991 erhielt der Volkswagen-Konzern für Mosel II und Chemnitz II
Investitionszuschüsse in Höhe von 360,8 Millionen DM und Investitionszulagen in Höhe von 10,6
Millionen DM.
25.
Mit Entscheidung vom 18. Dezember 1991 (ABl. 1992, C 68, S. 14; im folgenden: Entscheidung über
die Eröffnung eines Prüfungsverfahrens), die der deutschen Regierung am 14. Januar 1992 zugestellt
wurde, eröffnete die Kommission ein förmliches Prüfungsverfahren nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag
über die Vereinbarkeit der verschiedenen Beihilfen für die Finanzierung der Investitionen in Mosel I und
II, Chemnitz I und II und dem Werk in Eisenach mit dem Gemeinsamen Markt.
26.
In dieser Entscheidung kam die Kommission u. a. zu folgendem Ergebnis:
„Die von Ihren Behörden vorgesehenen Beihilfevorhaben geben aus folgenden Gründen Anlaß zu
Bedenken:
- sie wurden der Kommission nicht gemäß dem Verfahren nach Artikel 93 Absatz 3 EWG-Vertrag
gemeldet;
- die hohe Intensität der Beihilfen zur Förderung von Investitionen, die zu einer spürbaren
Ausweitung der Kapazität auf dem europäischen Kfz-Markt führen, könnte Wettbewerbsverfälschungen
herbeiführen;
- mit den bisher vorliegenden Begründungen wären die relativ hohe Intensität der Regionalbeihilfen,
die Gewährung indirekter Investitionsbeihilfen und vorübergehender Betriebsbeihilfen durch die
Treuhand allein mit dem Hinweis auf die Strukturnachteile [für den Volkswagen-Konzern] in den neuen
Bundesländern nicht zu rechtfertigen; gemessen an den Kriterien des Gemeinschaftsrahmens für
staatliche Beihilfen an die Kfz-Industrie wäre die Gesamtbeihilfeintensität als unangemessen hoch und
damit unvereinbar einzustufen.“
27.
Mit Schreiben vom 29. Januar 1992 erklärte sich die Bundesregierung bereit, weitere
Beihilfezahlungen bis zum Abschluß des förmlichen Prüfungsverfahrens auszusetzen.
28.
Mit Schreiben vom 24. April 1992 forderte die Kommission die deutschen Behörden, die
Treuhandanstalt und Volkswagen auf, ihr weitere Informationen zu übermitteln. Nach einer
Zusammenkunft am 28. April 1992 und auf die Schreiben der Kommission vom 14. Mai 1992, 5. Juni
1992, 21. August 1992 und 17. November 1992 hin übermittelten die deutschen Behörden mit
Schreiben vom 20. Mai 1992, 3. und 12. Juni 1992, 20. und 29. Juli 1992, 8. und 25. September 1992,
16. und 21. Oktober 1992 sowie 4. und 25. November 1992 sowie Volkswagen mit Schreiben vom 15.
Juni 1992, 30. Oktober 1992, 12. Juni 1993 und 20. Juni 1993zusätzliche Informationen. Die Parteien
trafen sich zu weiteren Gesprächen am 16. Juni 1992, 9. September 1992, 12. und 16. Oktober 1992,
3. Dezember 1992 sowie 8. und 11. Juni 1993.
29.
Am 13. Januar 1993 beschloß Volkswagen, wesentliche Teile der ursprünglich für Mosel und
Chemnitz vorgesehenen Investitionen aufzuschieben. Vorgesehen war nun, daß die Lackieranlage und
die Endmontage in Mosel II erst 1997 zum Einsatz kommen sollten und daß das Motorenwerk Chemnitz
II erst 1996 seine Produktion aufnehmen solle. Die Kommission erklärte sich damit einverstanden, ihre
Beurteilung auf der Grundlage der neuen Investitionspläne von Volkswagen zu überprüfen.
30.
Am 30. März 1993 erließ das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit zwei Bescheide
zur Änderung der Bescheide von 1991 (im folgenden: Bescheide von 1993). Der Gesamtbetrag der
Zuschüsse für die nunmehr vorgesehene Investition belief sich auf 708 Millionen DM für Mosel II,
verteilt auf die Jahre 1991 bis 1997, und auf 195 Millionen DM für Chemnitz II, verteilt auf die Jahre
1992 bis 1997.
31.
Einige Einzelheiten der neuen Investitionsvorhaben von Volkswagen wurden der Kommission bei
einer Zusammenkunft am 5. Mai 1993 vorgestellt. Mit Schreiben vom 6. Juni 1993 übermittelte
Deutschland ebenfalls eine Reihe von Informationen; Volkswagen ergänzte sie durch Schreiben vom
24. Juni 1993 und 6. Juli 1993 sowie durch ein Telefax vom 10. November 1993. Diese neuen
Informationen wurden zudem bei Zusammenkünften am 18. Mai 1993, 10. Juni 1993, 2. Juli 1993 und
22. Juli 1993 geprüft. Neue Informationen über die von Volkswagen geplanten Kapazitäten wurden
durch ein Schreiben der deutschen Regierung vom 15. Februar 1994 und ein Telefax vom 25. Februar
1994 übermittelt.
32.
Bei einer Besichtigung der Werke Anfang April 1994 und bei Gesprächen am 11. Mai 1994 sowie am
2., 7. und 24. Juni 1994 konnte die Kommission neue Informationen über diese Projekte einholen.
Außerdem wurden ihr bei diesen Gesprächen Unterlagen übergeben. Weitere Unterlagen wurden von
den deutschen Behörden und Volkswagen am 10. Mai 1994, 30. Juni 1994 sowie am 4. und 12. Juli
1994 übermittelt.
33.
Am 24. Mai 1994 erließ das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit zwei neue
Bescheide zur Änderung der Bescheide von 1991 und 1993 (nachstehend: Bescheide von 1994). Der
Gesamtbetrag der Zuschüsse für die jetzt vorgesehene Investition belief sich auf 648 Millionen DM für
Mosel II, verteilt auf die Jahre 1991 bis 1997, und auf 167 Millionen DM für Chemnitz II, verteilt auf die
Jahre 1992 bis 1997.
34.
Mit Vertrag vom 21. Juni 1994 und Ergänzungsvertrag vom 1. November 1994 erwarb Volkswagen
von der Treuhandanstalt deren Anteil von 87,5 % am Gesellschaftskapital der SAB.
35.
Am 27. Juli 1994 erließ die Kommission die Entscheidung 94/1068/EG über Beihilfen für Investitionen
des Volkswagen-Konzerns in den neuen Bundesländern (ABl. L 385, S. 1; im folgenden: Entscheidung
Mosel I). In dieser Entscheidung stellte die Kommission u. a. folgendes fest (Abschnitt IV, vierter
Absatz, der Begründungserwägungen):
„Bei der Einleitung des Verfahrens hatte die Kommission sämtliche Investitionsvorhaben von
Volkswagen in Sachsen als Ganzes gesehen und wollte auch über alle Beihilfeelemente zusammen
entscheiden. 1993 stellte Volkswagen die Investitionen für die neuen Werke zurück, argumentierte
aber auch dann noch, daß Fertigungstechnik, Arbeitsaufwand und andere entscheidende Größen
hiervon nicht berührt würden. Bei einer Werksbesichtigung in diesem Jahr wurde jedoch klar, was
Experten bestätigten, daß sich diese Auffassung nicht länger halten läßt. Volkswagen gab der
Kommission gegenüber auch zu, daß die alten Pläne inzwischen überholt sind und an neuen
gearbeitet wird. Die neuen Pläne für die neuen Auto- und Motorenwerke Mosel II und Chemnitz II sind
eng verzahnt mit der Entwicklung des Golf A 4, der in Produktion gehen soll, wenn auch Mosel II die
Fertigung aufnimmt, d. h. 1997. Die endgültige Fassung der neuen Pläne wird erst zum Jahresende
1994 vorliegen. Soweit bekannt, beinhalten die neuen Pläne wesentliche Änderungen in der
Technologie und Produktionsstruktur. Es ist offensichtlich, daß die ursprüngliche Verbindung zwischen
den Investitionen in den alten Treuhandwerken und Neubauplänen auf der grünen Wiese heute nicht
mehr besteht. Die Kommission hat daher beschlossen, sich vorerst nur mit der Umstrukturierungshilfe
für die bestehenden Werke zu befassen - hier kann sie sich anhand der vorliegenden Informationen
eine klare Meinung bilden - und über die Neubauprojekte erst zu entscheiden, wenn Volkswagen und
Deutschland feste Investitions- und Beihilfepläne vorlegen können.“
36.
Wie sich aus der Entscheidung Mosel I ergibt, wurden die Lackiererei und die Endmontage Mosel I
gemäß der Vereinbarung mit der Treuhandanstalt modernisiert und umgebaut (vgl. Randnr. 16). In der
Anfangszeit bis 1992 wurden in Mosel I die Modelle VW Polo und Golf A 2 endmontiert, deren Teile in
anderen Werken des Volkswagen-Konzerns hergestellt und vollständig zerlegt an Mosel geliefert
wurden. Von Juli 1992 an konnte durch die Verbindung der gerade umgebauten Lackiererei und
Endmontage des Werks Mosel I mit dem gerade in Betrieb genommenen neuen Karosseriewerk Mosel
II die Produktion des Modells Golf A 3 in Mosel aufgenommen werden, wobei die Preßarbeiten
anderweitig durchgeführt wurden. Anschließend wurde im Januar 1993 die Logistik von Wolfsburg nach
Mosel I verlegt, und in der Umgebung siedelten sich neue Zulieferer an, die die für Mosel I und
Chemnitz I erforderlichen Teile liefern konnten. Das neue Preßwerk Mosel II nahm seinen Betrieb im
März 1994 neben dem Werk Mosel I auf.
37.
Die Kommission erklärte in Artikel 1 der Entscheidung Mosel I u. a. verschiedene Beihilfen, die bis
Ende 1993, dem Zeitpunkt, zu dem die Umstrukturierungabgeschlossen sein sollte, gewährt worden
waren, in Höhe von 487,3 Millionen DM für Mosel I und in Höhe von 84,8 Millionen DM für Chemnitz I für
mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar. Dagegen wurden verschiedene später gewährte Beihilfen,
insbesondere diejenigen, die als Beihilfen für Ersatzbeschaffungs- und Modernisierungsinvestitionen
eingestuft wurden, die laut der Entscheidung Mosel I nach dem Gemeinschaftsrahmen unter keinen
Umständen genehmigt werden konnten, für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt (vgl.
Entscheidung Mosel I, Abschnitte IX und X).
38.
Die deutsche Regierung unterrichtete die Kommission in der Folge mehrmals mündlich über
Verzögerungen bei der Fertigstellung der Vorhaben Mosel II und Chemnitz II. Die Kommission erinnerte
die deutschen Behörden in einem Schreiben vom 12. April 1995 daran, daß sie die Pläne von
Volkswagen für diese neuen Werke mitteilen müßten, damit die Kommission die betreffenden Beihilfen
prüfen könne. Dieses Schreiben blieb unbeantwortet. Mit Schreiben vom 4. August 1995 forderte die
Kommission dringend die erforderlichen Informationen an und kündigte eine einstweilige Anordnung
und eine spätere abschließende Entscheidung auf der Grundlage der vorliegenden Informationen für
den Fall an, daß Deutschland der Aufforderung nicht nachkommen sollte. In Beantwortung dieses
Schreibens unterrichtete Deutschland die Kommission mit Schreiben vom 22. August 1995, daß die
Investitionspläne von Volkswagen noch immer nicht abgeschlossen seien.
39.
Am 31. Oktober 1995 erließ die Kommission die Entscheidung 96/179/EG, mit der der deutschen
Regierung auferlegt wird, alle Unterlagen, Informationen und Daten über die Neuinvestitionsvorhaben
der Volkswagen-Gruppe in den neuen Bundesländern und über die zu gewährenden Beihilfen zu
übermitteln (ABl. 1996, L 53, S. 50).
40.
Auf diese Entscheidung hin wurden der Kommission bei einem Gespräch am 20. November 1995
einige Informationen über das Projekt und die Produktionskapazität übermittelt. Diese wurden in
einem Schreiben vom 13. Dezember 1995 bestätigt und bei einer Besichtigung des Vorhabens am 21.
und 22. Dezember 1995 erläutert. Am 15. Januar 1996 richtete die Kommission weitere Fragen an die
deutschen Behörden. Nach einem Gespräch vom 23. Januar 1996 wurden ihr die meisten noch
ausstehenden Informationen mit Schreiben vom 1. und 12. Februar 1996 übermittelt.
41.
Am 21. Februar 1996 erließ das Sächsische Staatsministerium für Wirtschaft und Arbeit zwei
Bescheide zur Änderung der Bescheide von 1991, 1993 und 1994 (im folgenden: Bescheide von
1996). Die Investitionszuschüsse für Mosel II beliefen sich nun auf insgesamt 499 Millionen DM, verteilt
auf die Jahre 1991 bis 1997, und für Chemnitz II auf 109 Millionen DM, verteilt auf die Jahre 1992 bis
1997.
42.
Mit Schreiben vom 23. Februar 1996 wies die Kommission die deutschen Behörden darauf hin, daß
ihr noch verschiedene Informationen fehlten. Diese wurden ihr beieiner Unterredung am 25. März
1996 übermittelt und am 2. und 11. April 1996 erörtert. Ein zusätzliches Treffen fand am 29. Mai 1996
statt.
43.
Am 26. Juni 1996 erließ die Kommission die Entscheidung 96/666/EG über eine Beihilfe
Deutschlands an den Volkswagen-Konzern für die Werke in Mosel und Chemnitz (ABl. L 308, S. 46; im
folgenden: angefochtene Entscheidung), deren verfügender Teil lautet:
Die folgenden, von Deutschland geplanten Beihilfen für die verschiedenen Investitionsvorhaben der
Volkswagen AG in Sachsen sind mit Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c) des Vertrages und Artikel 61
Absatz 3 Buchstabe c) EWR-Abkommen vereinbar:
- die von Deutschland an [den Volkswagen-Konzern] gewährte Beihilfe für [dessen]
Investitionsvorhaben in Mosel (Mosel II) und Chemnitz (Chemnitz II) in Form von Investitionszuschüssen
bis zu 418,7 Millionen DM;
- die von Deutschland an [den Volkswagen-Konzern] gewährte Beihilfe für [dessen]
Investitionsvorhaben in Mosel (Mosel II) und Chemnitz (Chemnitz II) in Form von Investitionszulagen bis
zu 120,4 Millionen DM.
Die folgenden, von Deutschland geplanten Beihilfen für die verschiedenen Investitionsvorhaben der
Volkswagen AG in Sachsen sind mit Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c) des Vertrages und Artikel 61
Absatz 3 Buchstabe c) EWR-Abkommen unvereinbar und dürfen nicht gewährt werden:
- die geplante Investitionsbeihilfe an [den Volkswagen-Konzern] für [dessen] Investitionsvorhaben in
Mosel II und Chemnitz II in Form von Sonderabschreibungen auf Investitionen im Rahmen des
Fördergebietsgesetzes mit einem nominellen Wert von 51,67 Millionen DM;
- die geplante Investitionsbeihilfe an [den Volkswagen-Konzern] für [dessen] Investitionsvorhaben in
Mosel II in Form von Investitionszuschüssen in Höhe von 189,1 Millionen DM, die über den in Artikel 1
erster Gedankenstrich genannten Betrag hinausgeht.
Deutschland gewährleistet, daß die Kapazität der Werke in Mosel 1997 ein Niveau von 432
Einheiten/Tag nicht überschreitet ...
Darüber hinaus übermittelt und erklärt Deutschland der Kommission Jahresberichte über die
Verwirklichung der förderfähigen Investitionen in Höhe von 2 654,1 Millionen DM in Mosel II und
Chemnitz II und über die tatsächlich erfolgten Beihilfezahlungen, um sicherzustellen, daß die
kombinierte effektive Beihilfeintensität, ausgedrückt als Bruttosubventionsäquivalent, 22,3 % für
Mosel II und 20,8 % für Chemnitz II nicht überschreitet ...
Deutschland teilt der Kommission innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieser Entscheidung mit,
welche Maßnahmen getroffen wurden, um dieser Entscheidung nachzukommen.
Diese Entscheidung ist an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet.“
44.
Nach einem Schreiben des Vorstandsvorsitzenden von Volkswagen an den Ministerpräsidenten des
Freistaates Sachsen vom 8. Juli 1996 zahlte der Freistaat Sachsen an Volkswagen im Juli 1996 90,7
Millionen DM Investitionszuschüsse, die in der angefochtenen Entscheidung für mit dem Gemeinsamen
Markt unvereinbar erklärt worden waren.
Verfahren
45.
Der Freistaat Sachsen zum einen und Volkswagen und VW Sachsen zum anderen haben mit
Klageschriften, die am 26. August bzw. 13. September 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen
und dort unter den Nummern T-132/96 bzw. T-143/96 in das Register eingetragen worden sind, Klage
auf teilweise Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung erhoben.
46.
Die Bundesrepublik Deutschland hat mit Klageschrift, die am 16. September 1996 bei der Kanzlei
des Gerichtshofes eingegangen und dort unter der Nummer C-301/96 in das Register eingetragen
worden ist, Klage auf teilweise Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung erhoben.
47.
Die Kommission hat mit Klageschrift, die am 16. September 1996 bei der Kanzlei des Gerichtshofes
eingegangen ist, gegen die Bundesrepublik Deutschland Klage wegen Vertragsverletzung erhoben,
nachdem der Freistaat Sachsen 90,7 Millionen DM an Beihilfen gezahlt hatte, die in der
angefochtenen Entscheidung als mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt worden waren.
Diese Klage ist unter der Nummer C-302/96 in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen
worden.
48.
Die Kommission hat in der Rechtssache T-132/96 mit besonderem Schriftsatz, der am 8. November
1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, eine Einrede der Unzulässigkeit nach Artikel 114 §
1 der Verfahrensordnung erhoben.
49.
Der Gerichtshof hat mit Beschluß vom 4. Februar 1997 das Verfahren in der Rechtssache C-301/96,
Deutschland/Kommission, bis zur Verkündung der Urteile des Gerichts ausgesetzt.
50.
Mit Schriftsätzen, die am 13. Februar 1997 bzw. am 19. Februar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen sind, haben die Bundesrepublik Deutschland und das Vereinigte Königreich beantragt,
als Streithelfer in den Rechtssachen T-132/96 und T-143/96 zugelassen zu werden.
51.
Mit Schriftsätzen vom 10. April 1997, 17. Juli 1997 und 26. Mai 1998 haben die Kläger beantragt,
bestimmte Informationen gegenüber dem Vereinigten Königreich vertraulich zu behandeln.
52.
Mit Beschluß vom 26. März 1998 hat der Präsident des Gerichtshofes die Streichung der
Rechtssache C-302/96 im Register angeordnet.
53.
Am 29. Juni 1998 hat das Gericht (Zweite erweiterte Klammer) eine informelle Sitzung mit den
Parteien abgehalten.
54.
Mit Beschluß vom 30. Juni 1998 hat das Gericht (Zweite erweiterte Kammer) die Entscheidung über
die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit dem Endurteil vorbehalten.
55.
Mit Beschlüssen vom 1. und 3. Juli 1998 hat der Präsident der Zweiten erweiterten Kammer des
Gerichts die Bundesrepublik Deutschland und das Vereinigte Königreich als Streithelfer in den
Rechtssachen T-132/96 und T-143/96 zur Unterstützung der Anträge der Kläger bzw. der Beklagten
zugelassen. Der Präsident hat außerdem den Anträgen auf vertrauliche Behandlung teilweise
stattgegeben.
56.
Mit Beschluß vom 7. Juli 1998 hat der Präsident der Zweiten erweiterten Kammer des Gerichts die
Rechtssachen T-132/96 und T-143/96 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu
gemeinsamer Entscheidung verbunden.
57.
Mit Schriftsätzen, die in der Zeit vom 17. bis zum 22. Juli 1998 in Beantwortung einer vom Gericht
(Zweite erweiterte Kammer) im Rahmen prozeßleitender Maßnahmen gestellten Frage eingegangen
sind, haben die Parteien sowie die Bundesrepublik Deutschland zu den möglichen Folgen der
gütlichen Einigung in der Rechtssache C-302/96 für das weitere Verfahren und insbesondere den
Streitgegenstand in den Rechtssachen T-132/96 und T-143/96 Stellung genommen.
58.
Das Gericht (Zweite erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters beschlossen, die
mündliche Verhandlung zu eröffnen. Mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs, das entschuldigt
gefehlt hat, haben die Beteiligten in der Sitzung vom 30. Juni 1999 mündlich verhandelt und Fragen
des Gerichts beantwortet.
Anträge der Beteiligten
59.
Der Freistaat Sachsen beantragt,
- Artikel 2 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären;
- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
60.
Volkswagen und VW Sachsen beantragen,
- Artikel 2 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären;
- Artikel 3 der Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit dadurch die Beihilfeintensität,
ausgedrückt als Bruttosubventionsäquivalent, auf 22,3 % für Mosel II und 20,8 % für Chemnitz II
begrenzt wird;
- Artikel 1 der angefochtenen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit die Höhe der
Investitionszuschüsse, die als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt worden sind, auf 418,7
Millionen DM begrenzt worden ist;
- der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
61.
Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt die Anträge der Kläger.
62.
Die Kommission beantragt in der Rechtssache T-132/96,
- die Klage als unzulässig, hilfsweise als unbegründet abzuweisen;
- dem Freistaat Sachsen die Kosten aufzuerlegen.
63.
In der Rechtssache T-143/96 beantragt die Kommission,
- die Klage als unbegründet abzuweisen;
- Volkswagen und VW Sachsen gesamtschuldnerisch die Kosten aufzuerlegen.
64.
Das Vereinigte Königreich unterstützt die Anträge der Kommission.
65.
In der Sitzung vom 30. Juni 1999 haben die Klägerinnen in der Rechtssache T-143/96 beantragt, den
Rechtsstreit für erledigt zu erklären, soweit er dieNichtigerklärung des Artikels 2 erster
Gedankenstrich der angefochtenen Entscheidung betrifft, mit dem die Investitionsbeihilfen in Form
von Sonderabschreibungen auf Investitionen für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt
worden sind, und insoweit Artikel 87 § 6 der Verfahrensordnung anzuwenden. Das Gericht hat zur
Kenntnis genommen, daß dieser Antrag nach Ansicht der Kommission als teilweise Klagerücknahme zu
verstehen und daher Artikel 87 § 5 der Verfahrensordnung anzuwenden ist.
Zur Zulässigkeit der Klage in der Rechtssache T-132/96
66.
Zur Begründung ihrer Einrede der Unzulässigkeit macht die Kommission geltend, daß eine
Gebietseinheit wie der Freistaat Sachsen im Rahmen des Beihilfesystems a priori kein Klagerecht nach
Artikel 173 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 230 EG) habe, da Artikel 93 EG-Vertrag nur die
Mitgliedstaaten als Rechtsträger gegenüber der Gemeinschaft betreffe.
67.
Die Kommission verweist u. a. darauf, daß Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt
Artikel 87 EG) ebenso wie Artikel 93 Absatz 2 sich auf „von einem Staat oder aus staatlichen Mitteln“
gewährte Beihilfen beziehe. Die Anmeldeverpflichtung nach Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag betreffe
allein den Mitgliedstaat. An dem Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag sei nur dieser beteiligt.
Entscheide die Kommission, daß eine Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sei, sei nur
der Mitgliedstaat verpflichtet, sie aufzuheben oder umzugestalten. Komme er dieser Verpflichtung
nicht nach, richte die Kommission die Klage nach Artikel 93 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG-Vertrag nur
gegen den Mitgliedstaat.
68.
Würde unter diesen Umständen einer Gebietseinheit ein Klagerecht eingeräumt, würde dies die
ausschließliche Verantwortung des Mitgliedstaats für aus öffentlichen Mitteln gewährte Beihilfen in
Frage stellen und könnte zu Interessenkonflikten zwischen der betreffenden Gebietseinheit und dem
betreffenden Mitgliedstaat führen, zu deren Entscheidung weder die Kommission noch der
Gemeinschaftsrichter befugt sei.
69.
Jedenfalls bestehe aus Sicht des Gemeinschaftsrechts zwischen dem Freistaat Sachsen und der
Bundesrepublik Deutschland Teilidentität. Der Freistaat könne im Verhältnis zur Bundesrepublik nicht
als „eine andere Person“ angesehen werden, ohne daß das System des Klagerechts nach Artikel 173
EG-Vertrag verändert würde.
70.
Die Zulässigkeit der in Rede stehenden Klage würde zwangsläufig zu einer unabsehbaren
Vermehrung solcher Klagen und zu einer Erhöhung der Rechtsunsicherheit führen, würde das System
gemäß den Artikeln 92 und 93 EG-Vertrag untergraben und die Durchsetzung von
Beihilfeentscheidungen der Kommission gefährden.
71.
Weiter macht die Kommission geltend, der Freistaat Sachsen habe aus zwei Gründen kein
Rechtsschutzinteresse gemäß Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag: Zum einen sei die von ihm gewährte
Beihilfe im vorliegenden Fall bundesrechtlich vorgesehen, und zum anderen verfüge die
Bundesrepublik Deutschland über ein Klagerecht nach Artikel 173 Absatz 2 EG-Vertrag. Dem Freistaat
Sachsen könne also kein Rechtsschutzinteresse zuerkannt werden, das von dem Deutschlands
verschieden sei; im übrigen habe die Bundesrepublik Deutschland ebenfalls eine Klage auf
Nichtigerklärung der angefochtenen Entscheidung erhoben (Rechtssache C-301/96).
72.
Die Tatsache, daß der Freistaat Sachsen nach der verfassungsrechtlichen Ordnung der
Bundesrepublik Deutschland Staatsqualität besitze, habe im Rahmen der Rechtsordnung der
Gemeinschaft keine Auswirkungen. Der EG-Vertrag räume den Bundesländern keine besonderen
Rechte ein. Sie hätten lediglich die Rechte, die ihnen gegebenenfalls nach Artikel 198a EG-Vertrag
(nach Änderung jetzt Artikel 263 EG) im Rahmen des Ausschusses der Regionen zuständen. Es sei
also nicht so, daß dem Freistaat Sachsen als juristischer Person im Gemeinschaftsrecht automatisch
eine Klagebefugnis zustehe (vgl. Schlußanträge des Generalanwalts Lenz in den Rechtssachen 62/87
und 72/87, Urteil des Gerichtshofes vom 8. März 1988, Exécutif régional wallon und
Glaverbel/Kommission, Slg. 1988, 1573, 1582, Nr. 13, Schlußanträge des Generalanwalts Van Gerven
in der Rechtssache 70/88, Urteil des Gerichtshofes vom 22. Mai 1990, Parlament/Rat, Slg. 1990, I-
2041, I-2063, und Schlußanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache C-298/89, Urteil des
Gerichtshofes vom 29. Juni 1993, Gibraltar/Rat, Slg. 1993, I-3605, I-3621, Nrn. 38 bis 51).
73.
Im übrigen beruhe eine Investitionsbeihilfe in Form von Sonderabschreibungen, die nach dem
Fördergebietsgesetz gewährt werde, ausschließlich auf dem bundesrechtlichen Gesetz über
Sonderabschreibungen und Abzugsbeträge im Fördergebiet, dessen Anwendung und Durchführung
gemäß Artikel 87 des Grundgesetzes (GG) der Bundesfinanzverwaltung obliege. Gleiches gelte für die
steuerlichen Investitionszulagen (Investitionszulagengesetz, 1993). Ebenso sei das Gesetz über die
Gemeinschaftsaufgabe vom 6. Oktober 1969, auf dem die Investitionszuschüsse im vorliegenden Fall
beruhten, ein Bundesgesetz, das auf Artikel 91a GG beruhe, der die „Verbesserung der regionalen
Wirtschaftsstruktur“ grundsätzlich den einzelnen Ländern zuweise, dem Bund aber erhebliche
Mitwirkungsrechte einräume (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 14. Oktober 1987 in der Rechtssache
248/84, Deutschland/Kommission, Slg. 1987, 4013, Randnrn. 2 ff.). Der Bund trage die Hälfte der
Ausgaben. Im übrigen könne die Bundesregierung nach Artikel 85 GG allgemeine
Verwaltungsvorschriften erlassen und den Landesbehörden Weisungen erteilen, Beauftragte zu ihnen
entsenden und Bericht und Vorlage der Akten verlangen. Daraus ergebe sich zum einen die
nachhaltige Mitwirkung des Bundes bei der Durchführung vonGemeinschaftsaufgaben. Zum anderen
zeige sich daran die Identität der Interessen von Bund und Ländern, wenn es um die Verbesserung
der regionalen Wirtschaftsstruktur gehe. Der Freistaat Sachsen sei daher nicht in der Lage darzutun,
inwieweit sich seine Interessen von denen der Bundesrepublik Deutschland unterschieden (Urteil des
Gerichtshofes vom 10. Juli 1986 in der Rechtssache 282/85, DEFI/Kommission, Slg. 1986, 2469,
Randnr. 18). Im vorliegenden Fall sei der Rechtsschutz dadurch gewährleistet, daß die Bundesrepublik
Deutschland selbst Klage erhoben habe.
74.
Ferner macht die Kommission geltend, der Freistaat Sachsen sei von der angefochtenen
Entscheidung weder unmittelbar noch individuell betroffen.
75.
Er sei nicht unmittelbar betroffen, da er anders als die Kläger nicht an dem Verwaltungsverfahren
beteiligt gewesen sei und seine Verpflichtung zur Gewährung der Investitionszuschüsse sich auf ein
Bundesgesetz gründe. Daran ändere auch der Umstand nichts, daß die Durchführung des
Rahmenplans aufgrund § 9 des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe den Ländern übertragen sei
und der Bund die Hälfte der Ausgaben erstatte. Jedenfalls beziehe sich die angefochtene
Entscheidung nicht ausschließlich auf Investitionszuschüsse, sondern auch auf andere vom Bund
gewährte Zulagen. Es handele sich um eine einheitliche Entscheidung über sämtliche Beihilfen, die
allein an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet sei.
76.
Der Freistaat Sachsen sei auch nicht individuell betroffen. Für ihn seien nämlich keine besonderen,
ihn aus dem Kreis der übrigen Personen heraushebenden Umstände festzustellen, die ihn in ähnlicher
Weise individualisierten wie den Adressaten einer Entscheidung (vgl. Schlußanträge des
Generalanwalts Lenz in der Rechtssache 222/83, Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 1984, Commune
de Differdange u. a./Kommission, Slg. 1984, 2889, 2905).
77.
Schließlich entspreche die Lage im vorliegenden Fall derjenigen, die das Gericht in seinem Beschluß
vom 16. Juni 1988 in der Rechtssache T-238/97 (Comunidad Autónoma de Cantabria/Rat, Slg. 1998, II-
2271) beschrieben habe. Dagegen seien die Urteile des Gerichts vom 30. April 1998 in der
Rechtssache T-214/95 (Vlaams Gewest/Kommission, Slg. 1998, II-717) und vom 15. Juni 1999 in der
Rechtssache T-288/97 (Regione autonoma Friuli Venezia Giulia/Kommission, Slg. 1999, II-0000) auf den
vorliegenden Fall nicht übertragbar, da zum einen die Investitionsbeihilfen in Form von
Sonderabschreibungen von den Bundesbehörden aufgrund von Bundesrecht gewährt worden seien,
zum anderen die Investitionszuschüsse auf einem Bundesgesetz beruhten und der Freistaat Sachsen
insoweit nicht im Rahmen eigener Zuständigkeiten tätig werde und über kein Ermessen verfügte, und
zum dritten die angefochtene Entscheidung den Freistaat Sachsen nicht zur Rückforderung der
streitigen Beihilfen verpflichte, sondern ihm lediglich ihre Auszahlung untersage.
78.
Das Vereinigte Königreich schließt sich im wesentlichen dem Vorbringen der Kommission an.
79.
Der Freistaat Sachsen widerspricht dem Vorbringen der Kommission. Er macht im wesentlichen
geltend, die Kommission habe ihn zur Erhebung der Klage ermutigt, die Entscheidungen über die
Gewährung der betreffenden Beihilfen fielen nach deutschem Recht ausschließlich in seine
Zuständigkeit, diese Beihilfen seien zumindest teilweise von ihm finanziert worden, seine Vertreter
hätten am Verwaltungsverfahren teilgenommen, und er sei zudem unmittelbar und individuell von der
angefochtenen Entscheidung betroffen.
80.
Die Bundesrepublik Deutschland schließt sich im wesentlichen dem Vorbringen des Freistaats
Sachsen an.
81.
Der Freistaat Sachsen, der nach deutschem Recht Rechtspersönlichkeit besitzt, kann
Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag erheben, wonach jede natürliche oder
juristische Person gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen
Entscheidungen Klage erheben kann, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere
Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen (vgl. Urteil
Vlaams Gewest/Kommission, Randnr. 28, und die dort angeführte Rechtsprechung sowie Beschluß
Comunidad Autónoma de Cantabria/Rat, Randnr. 43).
82.
Da die angefochtene Entscheidung an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, ist somit zu
prüfen, ob der Freistaat Sachsen unmittelbar und individuell betroffen ist.
83.
Andere Personen als die Adressaten einer Entscheidung können nur dann behaupten, individuell im
Sinne von Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag betroffen zu sein, wenn diese Entscheidung sie wegen
bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen
heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie einen
Adressaten (Urteile des Gerichtshofes vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62,
Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 213, 238, und vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 169/84,
Cofaz u. a./Kommission, Slg. 1986, 391, Randnr. 22). Diese Bestimmung bezweckt nämlich, auch
demjenigen Rechtsschutz zu verschaffen, der, ohne Adressat der fraglichen Handlung zu sein, von ihr
tatsächlich in ähnlicher Weise betroffen ist wie der Adressat (Urteil Gemeinde Differdange u.
a./Kommission, Randnr. 9).
84.
Die angefochtene Entscheidung betrifft Beihilfen, die der Freistaat Sachsen teilweise aus eigenen
Mitteln gewährt hat. Sie erfaßt nicht nur Handlungen, die der Freistaat Sachsen erlassen hat, nämlich
die Bescheide von 1991, 1993, 1994 und 1996, sondern sie hindert diesen auch daran, seine
autonomen Befugnisse nachseinen Vorstellungen auszuüben (vgl. Urteile Vlaams Gewest/Kommission,
Randnr. 29, und Regione autonoma Friuli Venezia Giulia/Kommission, Randnr. 31).
85.
Wie sich nämlich aus den Randnummern 2 bis 4 des von der Kommission angeführten Urteils in der
Rechtssache Deutschland/Kommission vom 14. Oktober 1987 ergibt, werden in der Bundesrepublik
Deutschland Regionalbeihilfen grundsätzlich von den einzelnen Bundesländern gewährt, auch wenn
der Bund seit Änderung des Grundgesetzes aus dem Jahr 1969 gemäß dem neuen Artikel 91a GG bei
der Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur durch die einzelnen Länder mitwirkt. Gemäß dem
aufgrund von Artikel 91a GG erlassenen Gesetz über die Gemeinschaftsaufgabe werden seit 1972
regelmäßig Beihilfeprogramme in Form von Rahmenplänen gemeinsam von Bund und Ländern
aufgestellt. Die in Durchführung dieser Rahmenpläne gewährten Beihilfen werden sowohl vom Bund
als auch von den Ländern finanziert. Parallel zu den aufgrund der Gemeinschaftsaufgabe aufgestellten
Rahmenpläne können die Länder auch regionale Förderprogramme zugunsten von in ihrem Gebiet
investierenden Unternehmen vorsehen.
86.
Zudem ist der Freistaat Sachsen nach der angefochtenen Entscheidung verpflichtet, das
Verwaltungsverfahren zur Wiedereinziehung der Beihilfen bei den Empfängern einzuleiten, wofür er auf
nationaler Ebene allein zuständig ist. Das Gericht hat in diesem Zusammenhang in der Sitzung auf
Antrag der Kommission zur Kenntnis genommen, daß ein Teil der Beihilfen an den Freistaat Sachsen
selbst zurückgezahlt worden ist.
87.
Entgegen der Auffassung der Kommission kann die Situation des Freistaats Sachsen nicht mit
derjenigen der Comunidad Autónoma de Cantabria in der Rechtssache, die zu dem zitierten Beschluß
Comunidad Autónoma de Cantabria/Rat geführt hat, gleichgesetzt werden, da sich die
Individualisierung, auf die sich diese Gebietskörperschaft berufen hatte, auf die sozioökonomischen
Auswirkungen der angefochtenen Handlung auf ihr Gebiet beschränkte.
88.
Infolgedessen ist der Freistaat Sachsen von der angefochtenen Entscheidung im Sinne von Artikel
173 Absatz 4 EG-Vertrag individuell betroffen.
89.
Im übrigen ist die angefochtene Entscheidung zwar an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet,
doch hat diese bei ihrer Weiterleitung an den Freistaat Sachsen kein Ermessen ausgeübt.
90.
Der Freistaat Sachsen ist daher von der angefochtenen Handlung auch unmittelbar im Sinne von
Artikel 173 Absatz 4 EG-Vertrag betroffen (vgl. in diesem Sinne Urteile des Gerichtshofes vom 13. Mai
1971 in den verbundenen Rechtssachen 41/70, 42/70, 43/70 und 44/70, International Fruit Company
u. a./Kommission, Slg. 1971, 411, Randnrn. 26 bis 28, vom 29. März 1979 in der Rechtssache 113/77,
NTNToyo Bearing Company u. a./Rat, Slg. 1979, 1185, Randnr. 11, und vom 26. April 1988 in der
Rechtssache 207/86, Apesco/Kommission, Slg. 1988, 2151, Randnr. 12).
91.
Zur Frage, ob das Interesse des Freistaats Sachsen an einer Anfechtung der fraglichen
Entscheidung nicht im Interesse der Bundesrepublik Deutschland aufgeht (vgl. Urteil Regione
autonoma Friuli Venezia Giulia/Kommission, Randnr. 34), ist nach alledem festzustellen, daß die
Stellung des Freistaats Sachsen nicht mit der des Klägers in der Rechtssache verglichen werden
kann, die zu dem Urteil DEFI/Kommission geführt hat. In dieser Rechtssache war die französische
Regierung befugt, die Verwaltung und Politik des DEFI-Ausschusses zu bestimmen und damit auch die
Interessen zu definieren, die dieser zu vertreten hatte. Dagegen sind die im vorliegenden Fall
streitigen Investitionszuschüsse Maßnahmen des Freistaats Sachsen, die dieser kraft seiner ihm
unmittelbar aufgrund der deutschen Verfassung zustehenden Gesetzgebungs- und Finanzhoheit
erlassen hat.
92.
Somit hat der Freistaat Sachsen an der Anfechtung der streitigen Entscheidung ein Interesse, das
von dem der Bundesrepublik Deutschland verschieden ist, und kann deshalb nach Artikel 173 Absatz
4 EG-Vertrag gegen diese Entscheidung klagen.
93.
Die weiteren Gründe und Argumente der Kommission zur Stützung ihrer Einrede der Unzulässigkeit
sind aus den in den Randnummern 37 bis 49 des Urteils Regione autonoma Friuli Venezia/Kommission
dargelegten Gründen zurückzuweisen.
94.
Nach alledem ist die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.
Begründetheit
95.
Zur Begründung ihrer Anträge in der Rechtssache T-143/96 tragen die Klägerinnen Volkswagen und
VW Sachsen vier Klagegründe vor: Sachverhaltsverfälschung, in der sie eine Verletzung wesentlicher
Formvorschriften im Sinne des Artikels 173 EG-Vertrag sehen, Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 2
Buchstabe c EG-Vertrag, mehrere Verstöße gegen Artikel 92 Absatz 3 EG-Vertrag und Verstoß gegen
den Grundsatz des Vertrauensschutzes. Sie rügen auch mehrere Begründungsmängel der
angefochtenen Entscheidung. Der Freistaat Sachsen macht zur Begründung seines Antrags in der
Rechtssache T-132/96 zwei Klagegründe geltend: Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-
Vertrag und Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 3 EG-Vertrag.
96.
Der Klagegrund der Verfälschung des Sachverhalts durch die Kommission in der von den Klägern
dargestellten Weise hat jedoch gegenüber den anderen Klagegründen keinen eigenständigen Gehalt.
Zudem kann eine Sachverhaltsverfälschung nicht als „Verletzung wesentlicher Formvorschriften“ im
Sinne des Artikels 173 EG-Vertrag angesehen werden. Im übrigen ist das Gerichtnicht an die von den
Parteien vorgenommene Qualifizierung ihres Vorbringens gebunden.
97.
Im vorliegenden Fall sind sämtliche Klagegründe und Argumente einer von drei Hauptgruppen
zuzuteilen, die Verstöße zum einen gegen Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag, zum anderen
gegen Artikel 92 Absatz 3 EG-Vertrag und zum dritten gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes
rügen. Die Vorwürfe der Sachverhaltsverfälschung sowie der mangelhaften Begründung der
angefochtenen Entscheidung können zudem auch erschöpfend geprüft werden, wenn sie formell der
einen oder anderen dieser drei Gruppen zugeordnet sind, wie die Kläger in ihren Anmerkungen zum
Sitzungsbericht eingeräumt haben.
Vorbringen der Parteien
98.
Nach Ansicht der Kläger hat die Kommission gegen Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag
verstoßen, da sie in Abschnitt X, dritter Absatz, der angefochtenen Entscheidung erklärt habe, daß
dieser Ausnahmetatbestand „eng auszulegen [ist] und nicht für Regionalbeihilfen für neue
Investitionsprojekte angewandt werden [soll]“. Die Kommission habe somit abgelehnt, zu prüfen, ob
die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung erfüllt seien, und habe sich mit dem
Hinweis auf Zweckmäßigkeitserwägungen begnügt, obwohl sie über kein Ermessen verfügt habe, da
es sich um eine gesetzliche Ausnahme vom Verbot staatlicher Beihilfen handele (vgl. Urteil des
Gerichtshofes vom 17. September 1980 in der Rechtssache 730/79, Philip Morris/Kommission, Slg.
1980, 2671, Randnr. 17, Schlußanträge des Generalanwalts Tesauro in der Rechtssache C-142/87,
Urteil des Gerichtshofes vom 21. März 1990, Belgien/Kommission, Slg. 1990, I-959, I-979, Nr. 19, im
folgenden: Urteil Tubermeuse II, und Schlußanträge des Generalanwalts Lenz in der Rechtssache
102/87, Urteil des Gerichtshofes vom 13. Juli 1988, Frankreich/Kommission, Slg. 1988, 4067, 4075, Nr.
25).
99.
Zum einen sei Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag auch nach der Herstellung der Einheit
Deutschlands im Jahre 1990 selbst in den nicht an der ehemaligen Grenze liegenden Gebieten
anwendbar geblieben.
100.
Zum anderen gelte Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag für die neuen Bundesländer. Diese
Vorschrift spreche nämlich generell von den durch die Teilung Deutschlands betroffenen Gebieten
und differenziere dabei nicht zwischen Ost und West.
101.
Die Kläger verweisen darauf, daß Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag bei der
Unterzeichnung des Vertrags von Maastricht nicht aufgehoben worden sei, daß eine entsprechende
Bestimmung in das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum aufgenommen worden sei und
daß bei Abschluß des Vertrages vonAmsterdam diese Bestimmung unverändert als Artikel 87 Absatz 2
Buchstabe c EG übernommen worden sei. Nach Ansicht des Freistaats Sachsen ist die einzig
naheliegende Interpretation des auf diese Weise zum Ausdruck gebrachten Willens der Hohen
Vertragsparteien, daß diese Bestimmung all diejenigen Gebiete Deutschlands erfassen solle, die
aufgrund der wirtschaftlichen Schäden, die das kommunistische Regime dort hinterlassen habe, weit
hinter den anderen Gebieten der Bundesrepublik zurückgeblieben seien.
102.
Der Freistaat Sachsen beanstandet dabei die beharrliche Weigerung der Kommission, Artikel 92
Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag nach 1990 auf die neuen Bundesländer anzuwenden. Dies stehe im
Widerspruch zu dem Standpunkt der Kommission in ihrer Entscheidung vom 11. Dezember 1964 über
Beihilfen zugunsten der wirtschaftlichen Eingliederung des Saargebiets in die Bundesrepublik
Deutschland (, Nr. 2-1965, S. 33; im folgenden:
Saargebiets-Entscheidung).
103.
Zum dritten habe die Bundesregierung im Verwaltungsverfahren die Anwendung des Artikels 92
Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag verlangt (vgl. angefochtene Entscheidung Abschnitt V, erster Absatz,
unter 1). Da es sich um eine Legalausnahme von dem Verbot des Artikels 92 Absatz 1 EG-Vertrag
handele, wäre es Sache der Kommission gewesen, nachzuweisen, daß die Voraussetzungen für ihre
Anwendung im vorliegenden Fall nicht erfüllt seien, und nicht Aufgabe der Bundesregierung, das
Gegenteil nachzuweisen. Die Kommission habe sich trotz eines Schreibens ihres Mitglieds Sir Leon
Brittan an die Bundesregierung vom 1. Juni 1992, das die Zusage enthalten habe, die Möglichkeit der
Anwendung von Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag von den Dienststellen der Kommission
prüfen zu lassen, geweigert, genauere Angaben zur Kenntnis zu nehmen oder sich mit dieser Frage
auseinanderzusetzen. Damit habe die Kommission auch gegen ihre Verpflichtung verstoßen, selbst
den entscheidungserheblichen Sachverhalt zu ermitteln (Urteile des Gerichtshofes vom 13. Juli 1966 in
den Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 395, und vom 14.
Februar 1978 in der Rechtssache 27/76, United Brands/Kommission, Slg. 1978, 207, Randnrn. 267 f.,
sowie Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-9/89, Hüls/Kommission, Slg. 1992, II-
499, Randnrn. 66 bis 68).
104.
Zum vierten entspreche die Begründung der angefochtenen Entscheidung in diesem Punkt
(Abschnitt X, dritter Absatz) nicht den Erfordernissen der Rechtsprechung des Gerichtshofes und
reiche daher nicht aus, um die Nichtanwendung des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag zu
rechtfertigen (vgl. namentlich Urteile des Gerichtshofes vom 4. Juli 1963 in der Rechtssache 24/62,
Deutschland/Kommission, Slg. 1963, 141, 155, vom 13. März 1985 in den Rechtssachen 296/82 und
318/82, Niederlande und Leeuwarder Papierwarenfabriek/Kommission, Slg. 1985, 809, Randnrn. 23
und 24, vom 28. April 1993 in der Rechtssache C-364/90, Italien/Kommission, Slg. 1993, I-2097,
Randnrn. 44 und 45, und vom 24. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-329/93, C-62/95 und C-
63/95,Deutschland/Kommission, Slg. 1996, I-5151, Randnrn. 36 und 53). Der Umstand, daß der
Entscheidungsadressat die Begründung aus früheren ähnlichen Entscheidungen entnehmen könne,
ersetze nicht die Begründung (Urteil des Gerichtshofes vom 17. März 1983 in der Rechtssache 294/81,
Control Data Belgium/Kommission, Slg. 1983, 911, 932).
105.
Dieser Begründungsmangel der angefochtenen Entscheidung könne in der Klagebeantwortung
nicht geheilt werden, da die angefochtene Entscheidung nicht einmal ansatzweise eine Begründung
enthalte (Urteile des Gerichtshofes vom 26. November 1981 in der Rechtssache 195/80,
Michel/Parlament, Slg. 1981, 2861, Randnr. 22, und vom 12. November 1985 in der Rechtssache
183/83, Krupp/Kommission, Slg. 1985, 3609, Randnr. 21; Urteil des Gerichts vom 2. Juli 1992 in der
Rechtssache T-61/89, Dansk Pelsdyravlerforening/Kommission, Slg. 1992, II-1931, Randnrn. 131 und
137). Jedenfalls stehe das Vorbringen in der Klagebeantwortung, daß die territoriale Anwendbarkeit
des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag in den neuen Bundesländern ausgeschlossen sei, in
Widerspruch zu der angefochtenen Entscheidung.
106.
Zum fünften sei die Begründung der angefochtenen Entscheidung in sich widersprüchlich, da die
Kommission einerseits die Anwendung des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag mit der
Begründung ausschließe, es handele sich im vorliegenden Fall um „neue Investitionsprojekte“,
andererseits aber bei der Prüfung der Beihilfe nach Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag darauf
hinweise, daß es sich nicht um eine „Neu“-, sondern um eine „Erweiterungsinvestition“ handele.
107.
Zum sechsten erfülle der Freistaat Sachsen, insbesondere der Landesteil mit den Städten Zwickau
und Chemnitz, die Voraussetzungen des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag, da er
wirtschaftlich völlig von Westdeutschland abgeschnitten gewesen sei. Der Freistaat Sachsen verweist
dazu auf das Gutachten von Dohnanyi/Pohl, aus dem sich ergebe, daß die schlechte wirtschaftliche
Situation der neuen Bundesländer durch die Teilung Deutschlands bedingt sei.
108.
Zur Ermittlung der aus dieser Teilung resultierenden Nachteile bedürfe es eines Vergleichs der
wirtschaftlichen Situation Sachsens vor und nach der Teilung. Dagegen brauchten im Rahmen der
vorliegenden Klage die Folgen des politischen und wirtschaftlichen Systems der Deutschen
Demokratischen Republik nicht geprüft zu werden.
109.
Vor der Teilung Deutschlands sei in der Region Zwickau/Chemnitz insbesondere mit der Auto-Union
AG eine bedeutende Automobilindustrie angesiedelt gewesen. Durch die Teilung sei der Absatz dieser
Fahrzeuge auf den traditionellen Märkten in Westdeutschland und im übrigen Europa vollständig
unterbunden worden. Die Auto-Union AG habe neue Werke in Ingolstadt in Bayern errichtet.
Anschließend sei die Produktion von Fahrzeugen und Motoren in Zwickau und Chemnitz trotzeines
begrenzten Absatzes nach Osteuropa zusammengebrochen. Wäre Deutschland nicht geteilt worden,
hätte die Auto-Union AG, jetzt Audi, in der Region verbleiben können und wäre ebenso erfolgreich
gewesen wie jetzt.
110.
Daher sei die Gesamtheit der streitigen Beihilfen, die dazu bestimmt gewesen seien, die Ansiedlung
eines Automobil- und eines Motorenwerks in Sachsen zu fördern, im Sinne des Artikels 92 Absatz 2
Buchstabe c „erforderlich“ gewesen, da die durch die Teilung Deutschlands bedingten Nachteile
fortbeständen. Im vorliegenden Fall habe nur die Aussicht auf die Gesamtheit dieser Beihilfen
Volkswagen bewogen, in die Wiederansiedlung einer Automobilindustrie zu investieren, die von ihrer
Bedeutung her mit der vergleichbar sei, die vor der Teilung in der Region bestanden habe. Die
Investitionen von Volkswagen seien im übrigen ein Signal, um andere Unternehmer zu Investitionen in
der Region zu motivieren.
111.
Zum siebten sei die Nichtanwendung des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag in der
Entscheidung Mosel I ohne Bedeutung, da weder die Bundesregierung noch Volkswagen die
Möglichkeit gehabt hätten, diese Entscheidung gerichtlich anzufechten, denn die wesentlichen zur
Entscheidung anstehenden Beihilfen seien von der Kommission für mit dem Gemeinsamen Markt
vereinbar erklärt worden.
112.
Die Kommission habe infolgedessen in der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht die Kriterien
des Artikels 92 Absatz 3 EG-Vertrag und insbesondere die des Gemeinschaftsrahmens angewandt, die
sich grundlegend von denen unterschieden, die sie aufgrund von Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-
Vertrag hätte heranziehen müssen.
113.
Die Bundesrepublik Deutschland schließt sich im wesentlichen dem Vorbringen der Kläger an und
verweist im übrigen auf ihre Schriftsätze in der Rechtssache C-301/96.
114.
Bundeskanzler Kohl habe in einem den vorliegenden Fall betreffenden Schreiben vom 9. Dezember
1992 an den Präsidenten der Kommission Delors darauf hingewiesen, daß die Bundesregierung „für
Fälle, wie sie jetzt bei der EG-Kommission anhängig sind, Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c des
Vertrages als maßgeblich ansieht“. Die Bundesrepublik Deutschland habe trotz ihrer Differenzen mit
der Kommission wegen der Anwendung dieser Bestimmung auf die neuen Bundesländer mit dieser im
Verwaltungsverfahren zusammengearbeitet, da die Kommission in anderen Fällen Verständnis für
deren schwierige Wirtschaftslage gezeigt habe, so daß praktische Kompromisse möglich gewesen
seien. Die Bundesregierung habe jedoch ausdrücklich den Vorbehalt gemacht, daß bei richtiger
Auslegung des EG-Vertrags die betreffende Bestimmung angewandt werden müsse.
115.
Es handele sich um eine Legalausnahme; wenn die Tatbestandsmerkmale des Artikels 92 Absatz 2
Buchstabe c EG-Vertrag erfüllt seien, sei die Beihilfe „ex lege“ mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar.
Im übrigen hätte sich die Prüfung der Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag darauf
beschränken müssen, ob die nationalen Behörden, die die Beihilfe gewährt hätten, den Tatbestand
des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag „mißbräuchlich angewandt“ hätten.
116.
Anders als Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe b EG-Vertrag über Beihilfen im Fall von Naturkatastrophen
oder ähnlichen Ereignissen gehe es bei Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag nicht um die
„Beseitigung von Schäden“, sondern um einen „Ausgleich“ für die Folgen der Teilung Deutschlands.
Diese flexiblere Formulierung trage dem wirtschaftlich komplexen Sachverhalt der Teilungsnachteile
Rechnung. Sie ziele auf die Gesamtheit der Maßnahmen, mit denen in den neuen Bundesländern
Wirtschafts- und Sozialstrukturen hergestellt werden sollten, die mit denen in den anderen Gebieten
Deutschlands vergleichbar seien.
117.
Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag beziehe sich auf das gesamte Gebiet der neuen
Bundesländer. Die „wirtschaftlichen Nachteile“, um die es im vorliegenden Fall gehe, seien
offenkundig durch die Teilung Deutschlands „verursacht“ worden, wie sich aus einem Vergleich des
deutschen Automobilbaus in Sachsen vor 1939 (1936 etwa 27 %) und im Jahr 1990 (etwa 5 %)
ergebe. Dieser Niedergang sei vor allem auf die Trennung von den traditionellen Absatzgebieten im
Westen und die zwangsweise Umorientierung auf das damalige RGW-Gebiet Osteuropas in einer
ineffizienten Wirtschaftsform zurückzuführen.
118.
Die Investitionen von Volkswagen in Sachsen hätten sich 1996 auf insgesamt 3,5 Milliarden DM
belaufen und etwa 23 000 Arbeitsplätze geschaffen. Diese Investitionen seien somit von einer
herausragenden Bedeutung für den Wiederaufbau in den neuen Bundesländern gewesen.
119.
Die Kommission macht geltend, sie habe sehr wohl geprüft, ob Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-
Vertrag auf den vorliegenden Fall anwendbar sei. Sie habe jedoch dessen Anwendung mit der
gleichen Begründung wie in der Entscheidung Mosel I ablehnen können.
120.
Zum einen sei die deutsche Regierung im Verwaltungsverfahren nicht ihrer Darlegungslast
nachgekommen, nach der sie alle Angaben zu machen habe, die die Prüfung erlaubten, ob die
Voraussetzungen für die beantragte Ausnahmeermächtigung vorlägen (Urteil Philip
Morris/Kommission, Randnr. 18, und Schlußanträge des Generalanwalts Capotorti in dieser
Rechtssache, S. 2693, Nr. 16, Urteil Italien/Kommission, Randnr. 20, Schlußanträge des
Generalanwalts Darmon in der Rechtssache Deutschland/Kommission, Urteil vom 14. Oktober 1987, S.
4025, Nr. 8). Weder die deutsche Regierung noch Volkswagen hätten nach Februar 1993 die
Anwendung des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertragverlangt; sie hätten zu keinem Zeitpunkt
konkrete Darlegungen zu den Tatbestandsvoraussetzungen dieser Bestimmung gemacht, auch nicht,
nachdem die Kommission in der Entscheidung Mosel I die Anwendung auf den konkreten Fall
abgelehnt habe.
121.
Zum anderen handele es sich bei Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag um eine
Ausnahmevorschrift, die eng auszulegen sei (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 10. Mai 1960 in den
Rechtssachen 3/58 bis 18/58, 25/58 und 26/58, Barbara Erzbergbau u. a./Hohe Behörde, Slg. 1960,
372, 415).
122.
Zum dritten verlange Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag einen unmittelbaren
Kausalzusammenhang zwischen dem auszugleichenden wirtschaftlichen Nachteil und der Teilung
Deutschlands. Die unmittelbaren Folgen dieser Teilung seien nach der Herstellung der Einheit
praktisch behoben, da die Straßen- und Bahnverbindungen wiederhergestellt worden seien und die
traditionellen Absatzmärkte wieder zur Verfügung ständen. Infolgedessen könne diese Bestimmung
seit 1990 nur noch in einigen Ausnahmefällen Anwendung finden.
123.
Die Kommission macht geltend, die Beibehaltung des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag
in den Verträgen von Maastricht und Amsterdam erkläre sich durch das Veto der Bundesrepublik
Deutschland gegen die Aufhebung der Bestimmung. Ein Wille, Artikel 87 Absatz 2 Buchstabe c EG eine
andere Bedeutung zuzumessen als Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag in seiner
ursprünglichen Auslegung, ergebe sich weder aus dem Vertrag über die Europäische Union noch aus
dem Vertrag von Amsterdam. Im übrigen könnten die Kläger nicht begründen, warum diese
Bestimmung nunmehr nicht nur die Folgen der Teilung Deutschlands, sondern auch die Auswirkungen
der Planwirtschaft der Deutschen Demokratischen Republik sowie die Folgen der Einführung der
Marktwirtschaft nach der Herstellung der Einheit Deutschlands erfassen solle.
124.
Zum vierten seien selbst vor der Herstellung der Einheit Deutschlands nur einige Gebiete der
ehemaligen Bundesrepublik, die wegen ihrer unmittelbaren Grenznähe benachteiligt gewesen seien,
beihilfefähig im Sinne des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag gewesen. Dabei habe es sich
vorwiegend um den Zonenrand und Westberlin gehandelt. Die Herstellung der Einheit Deutschlands
habe hieran grundsätzlich nichts geändert. Selbst wenn in einigen Ausnahmefällen die Anwendung
des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag auch auf grenznahe Gebiete beiderseits der
ehemaligen deutschen Teilungslinie, also auch auf den Zonenrand der ehemaligen Deutschen
Demokratischen Republik, gerechtfertigt sein könne, erlaube diese Vorschrift doch keine allgemeine
und umfassende Förderung der neuen Bundesländer.
125.
Zum fünften verweist die Kommission auf die Beständigkeit ihrer Entscheidungspraxis. Seit der
Herstellung der Einheit Deutschlands habe sie sich nur in zwei Entscheidungen (Entscheidung
92/465/EWG der Kommission vom 14.April 1992 über eine Beihilfe des Landes Berlin [Deutschland] an
die Daimler-Benz AG [ABl. L 263, S. 15 im folgenden: Daimler-Benz-Entscheidung] und Entscheidung
der Kommission vom 13. April 1994 über eine Beihilfe an Hersteller von Glas- und Porzellanwaren in
Tettau [ABl. C 178, S. 24; im folgenden: Tettau-Entscheidung]) auf Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-
Vertrag gestützt; in beiden Fällen hätten die unmittelbaren Folgen der Zonengrenze fortgewirkt. In
ihren übrigen Entscheidungen über Beihilfen für die neuen Bundesländer habe die Kommission Artikel
92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag nicht angewandt. Was die Saargebiet-Entscheidung angehe, so
sei das Saarland bei Inkrafttreten des EWG-Vertrags bereits ein Bundesland gewesen. Im übrigen
gebe es ausweislich des Bulletins der EWG Nr. 2-1965 keine Anhaltspunkte, daß die betreffenden
Beihilfen nach Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag und nicht nach Artikel 92 Absatz 2
Buchstabe b EG-Vertrag genehmigt worden seien.
126.
Zum sechsten sei die allgemeine schlechte Wirtschaftslage der neuen Bundesländer keine
unmittelbare Folge der Teilung Deutschlands, sondern des politischen Systems der ehemaligen
Deutschen Demokratischen Republik und der Herstellung der Einheit Deutschlands selbst,
insbesondere des Verlustes der Märkte dieser Bundesländer im Rahmen des Rates für gegenseitige
Wirtschaftshilfe und im Rahmen der Zusammenarbeit mit der ehemaligen UdSSR, der Einführung der
deutschen Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, der Anhebung des ostdeutschen Lohnniveaus auf
das westdeutsche und der Rechtsunsicherheiten vor allem bezüglich der Eigentumsverhältnisse bei
Grundstücken.
127.
Im übrigen sei in Zwickau und Chemnitz ebenso wie in anderen europäischen Ländern vor Ende des
Zweiten Weltkriegs ein Rückgang der Automobilindustrie festzustellen gewesen.
128.
Schließlich habe die Kommission, da ihre Entscheidungspraxis bisher unangefochten geblieben sei,
keinen Grund gesehen, die angefochtene Entscheidung bezüglich der Unanwendbarkeit des Artikels
92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag eingehender zu begründen.
Würdigung durch das Gericht
129.
Nach Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag sind mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar
„Beihilfen für die Wirtschaft bestimmter, durch die Teilung Deutschlands betroffener Gebiete der
Bundesrepublik Deutschland, soweit sie zum Ausgleich der durch die Teilung verursachten
wirtschaftlichen Nachteile erforderlich sind“.
130.
Diese Vorschrift ist mit der Herstellung der Einheit Deutschlands keineswegs implizit außer Kraft
getreten, sondern sowohl im Vertrag von Maastricht vom 7. Februar 1992 als auch im Vertrag von
Amsterdam vom 2. Oktober 1997 aufrechterhalten worden. Zudem ist eine gleichlautende Vorschrift in
Artikel 61Absatz 2 Buchstabe c des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai
1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) aufgenommen worden.
131.
Angesichts der objektiven Geltung der Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, deren Beachtung
und praktische Wirksamkeit sicherzustellen sind, läßt sich daher nicht annehmen, daß diese
Bestimmung nach der Herstellung der Einheit Deutschlands gegenstandslos geworden ist, wie die
Kommission im Gegensatz zu ihrer eigenen Verwaltungspraxis (vgl. insbesondere die Entscheidung in
den Fällen Daimler-Benz und Tettau) in der Sitzung geltend gemacht hat.
132.
Da es sich jedoch um eine Ausnahme von dem in Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag niedergelegten
allgemeinen Grundsatz der Unvereinbarkeit staatlicher Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt handelt,
ist Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag eng auszulegen.
133.
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sind zudem bei der Auslegung einer
gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift nicht nur deren Wortlaut, sondern auch ihr Zusammenhang und
die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung verfolgt werden, deren Teil sie ist (vgl. Urteile des
Gerichtshofes vom 17. November 1983 in der Rechtssache 292/83, Merck, Slg. 1983, 3781, 3792, und
vom 21. Februar 1984 in der Rechtssache 337/82, St. Nikolaus Brennerei, Slg. 1984, 1051, 1062).
134.
Der Ausdruck „Teilung Deutschlands“ bezieht sich im vorliegenden Fall historisch auf die Errichtung
der Trennungslinie zwischen der Ostzone und den Westzonen im Jahr 1948. Daher sind „durch die
Teilung verursachte wirtschaftliche Nachteile“ nur diejenigen wirtschaftlichen Nachteile, die die
Isolierung aufgrund der Errichtung oder Aufrechterhaltung dieser Grenze - beispielsweise die
Umschließung bestimmter Regionen (vgl. die Daimler-Benz-Entscheidung), die Unterbrechung der
Verkehrswege (vgl. die Tettau-Entscheidung) oder für einige Unternehmen der Verlust ihrer
natürlichen Absatzgebiete, so daß sie einer Unterstützung bedürfen, um sich den neuen
Verhältnissen anzupassen oder um diese nachteilige Lage überstehen zu können (vgl. in diesem Sinn,
allerdings zu Artikel 70 Absatz 4 EGKS-Vertrag, Urteil Barbara Erzbergbau u. a./Hohe Behörde, S. 415) -
verursacht haben.
135.
Dagegen verkennen die Kläger und die deutsche Regierung sowohl den Ausnahmecharakter des
Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag als auch dessen Zusammenhang und Zweck, wenn sie
meinen, daß diese Bestimmung es erlaube, den unbestreitbaren wirtschaftlichen Rückstand der
neuen Bundesländer bis zu dem Punkt vollständig auszugleichen, an dem diese Länder einen
Entwicklungsstand erreicht haben, der dem der alten Bundesländer vergleichbar ist.
136.
Die wirtschaftliche Benachteiligung, unter der die neuen Bundesländer allgemein leiden, ist nämlich
nicht durch die Teilung Deutschlands im Sinne von Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag
verursacht worden. Die Teilung Deutschlands als solche hat sich auf die wirtschaftliche Entwicklung
der Ostzone und derWestzonen nur am Rande ausgewirkt, sie zu Beginn zudem in gleicher Weise
getroffen und die anschließende günstige Wirtschaftsentwicklung in den alten Bundesländern nicht
verhindert.
137.
Somit beruht die unterschiedliche Entwicklung der alten und der neuen Bundesländer auf anderen
Gründen als der Teilung Deutschlands als solcher, namentlich auf den unterschiedlichen politisch-
wirtschaftlichen Systemen, die in den beiden Staaten diesseits und jenseits der Grenze errichtet
wurden.
138.
Daraus folgt, daß die Kommission keinen Rechtsfehler begangen hat, als sie in Abschnitt X, dritter
Absatz, der angefochtenen Entscheidung den Grundsatz aufgestellt hat, daß der
Ausnahmetatbestand des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag nicht auf Regionalbeihilfen für
neue Investitionsprojekte angewendet werden sollte und die Freistellungsvoraussetzungen von Artikel
92 Absatz 3 Buchstaben a und c EG-Vertrag sowie der Gemeinschaftsrahmen genügten, um den
Problemen in den neuen Bundesländern zu begegnen.
139.
Die Kläger machen in diesem Zusammenhang zu Unrecht geltend, daß die Begründung
widersprüchlich sei, weil die Kommission an anderen Stellen der angefochtenen Entscheidung die
streitigen Investitionen als „Erweiterungsinvestitionen“ qualifiziert habe. Der Ausdruck
„Regionalbeihilfen für neue Investitionsprojekte“ wird nämlich im Rahmen einer Entgegnung auf ein
allgemeines Vorbringen der deutschen Regierung (vgl. Abschnitt V, erster Absatz, unter 1 der
angefochtenen Entscheidung) verwendet und bezieht sich daher nicht spezifisch auf die Beihilfen für
die Investitionsprojekte von Volkswagen in den Werken Mosel II und Chemnitz II, sondern auf sämtliche
Beihilfen zur Förderung der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung der neuen Bundesländer.
140.
Soweit es um die Frage geht, ob die streitigen Beihilfen - abgesehen davon, daß sie der
wirtschaftlichen Entwicklung des Freistaats Sachsen dienen - speziell dazu bestimmt sind, die durch
die Teilung Deutschlands verursachten Nachteile auszugleichen, ist außerdem darauf hinzuweisen,
daß der Mitgliedstaat, der beantragt, Beihilfen in Abweichung von den Regeln des EG-Vertrags
gewähren zu dürfen, zur Zusammenarbeit mit der Kommission verpflichtet ist und aufgrund dessen
insbesondere alle Angaben zu machen hat, die diesem Organ die Prüfung erlauben, ob die
Voraussetzungen für die beantragte Ausnahmeermächtigung vorliegen (Urteil vom 28. April 1993,
Italien/Kommission, Randnr. 20).
141.
Die Akten des Gerichts enthalten keinen Anhaltspunkt dafür, daß die deutsche Regierung oder die
Kläger im Verwaltungsverfahren besondere Argumente zum Nachweis eines ursächlichen
Zusammenhangs zwischen der Teilung Deutschlands und der Lage der sächsischen
Automobilindustrie nach der Herstellung der Einheit vorgetragen hätten.
142.
Die Kommission hat daher zu Recht geltend gemacht, daß die Parteien konkret nichts vorgetragen
hätten, was die Anwendung des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag auf den vorliegenden Fall
rechtfertigen könnte.
143.
Die Kläger und die deutsche Regierung, die auf ihre schriftsätzlichen Äußerungen zu diesen Fragen
in der Rechtssache C-301/96 verwiesen hat, haben vor dem Gericht zwar geltend gemacht, daß sich
die wirtschaftlichen Nachteile, die dem Freistaat Sachsen durch die Teilung Deutschlands entstanden
seien, durch einen Vergleich der deutschen Automobilproduktion in dieser Region vor 1939 und der im
Jahr 1990 nachweisen lasse. Der Rückgang der sächsischen Automobilindustrie im Vergleich zur
westdeutschen im allgemeinen sei namentlich durch die Teilung des deutschen Marktes und dem
damit zusammenhängenden Verlust der traditionellen Absatzgebiete dieser Industrie im Westen als
Folge dieser Teilung bedingt gewesen.
144.
Soweit diese Argumentation vor dem Gericht zuzulassen ist, obwohl sie nicht im Vorverfahren
vorgetragen worden ist (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 14. September 1994 in den Rechtssachen
C-278/92, C-279/92 und C-280/92, Spanien/Kommission, Slg. 1994, I-4103, Randnr. 31, und Urteil des
Gerichts vom 25. März 1999 in der Rechtssache T-37/97, Forges de Clabecq/Kommission, Slg. 1999, II-
0000, Randnr. 93), ist sie zurückzuweisen.
145.
Selbst unterstellt, daß der Wegfall der traditionellen Absatzgebiete der sächsischen
Automobilindustrie durch die Hindernisse im innerdeutschen Handel bedingt war, bedeutet dies noch
nicht, daß die schlechte Wirtschaftslage dieser Industrie im Jahr 1990 unmittelbare Folge dieses, wie
unterstellt wird, auf die Teilung Deutschlands im Jahr 1948 zurückgehenden Verlustes der
Absatzgebiete gewesen ist. Die von den Klägern dargestellten Schwierigkeiten beruhen in erster Linie
auf der anderen Wirtschaftsorganisation des ostdeutschen Systems, die nicht „durch die Teilung
Deutschlands“ im Sinne des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag „verursacht“ worden sind.
146.
Allein der Vergleich der Lage der sächsischen Automobilindustrie in den Jahren vor 1939 mit der im
Jahr 1990 genügt daher nicht, um einen hinreichend unmittelbaren Zusammenhang zwischen den
wirtschaftlichen Nachteilen, unter denen diese Industrie zum Zeitpunkt der Gewährung der streitigen
Beihilfen litt, und der „Teilung Deutschlands“ im Sinne der genannten Bestimmung nachzuweisen.
147.
Was die Saargebiets-Entscheidung betrifft, so haben die Parteien sie im Rahmen dieses Verfahrens
weder vorgelegt noch einen entsprechenden Antrag gestellt. Die Kläger sind den Nachweis schuldig
geblieben, daß diese Entscheidung auf einer anderen Auffassung der Kommission in der
Vergangenheit beruhte und daß diese Auffassung, selbst wenn sie bewiesen wäre, die Gültigkeit der
rechtlichen Beurteilungen im Jahr 1996 in Frage stellte.
148.
Somit haben die Kläger und die Streithelferin nichts vorgetragen, was den Schluß zuließe, daß die
Kommission die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums mit der Feststellung überschritten hätte, daß
die streitigen Beihilfen nicht den Tatbestand der Ausnahmevorschrift des Artikels 92 Absatz 2
Buchstabe c EG-Vertrag erfüllten.
149.
Zu der Rüge der mangelhaften Begründung ist festzustellen, daß die nach Artikel 190 EG-Vertrag
(jetzt Artikel 253 EG) vorgeschriebene Begründung die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt
erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen muß, daß der Gemeinschaftsrichter seine
Kontrollaufgabe wahrnehmen kann und die Betroffenen die Gründe für die erlassene Maßnahme
erkennen können (vgl. z. B. Urteil des Gerichts vom 7. November 1997 in der Rechtssache T-84/96,
Cipeke/Kommission, Slg. 1997, II-2081, Randnr. 46).
150.
Die angefochtene Entscheidung enthält nur eine kurze Zusammenfassung der Gründe, aus denen
die Kommission die Anwendung der Ausnahmevorschrift des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-
Vertrag auf den vorliegenden Sachverhalt abgelehnt hat.
151.
Die angefochtene Entscheidung ist jedoch in einem der deutschen Regierung und den Klägern
wohlbekannten Kontext erlassen worden und entspricht der ständigen Entscheidungspraxis
namentlich gegenüber diesen Parteien. Eine solche Entscheidung kann summarisch begründet
werden (Urteil des Gerichtshofes vom 26. November 1975 in der Rechtssache 73/74, Papiers
peints/Kommission, Slg. 1975, 1491, Randnr. 31, und Urteil des Gerichts vom 27. Oktober 1994 in der
Rechtssache T-34/92, Fiatagri und New Holland Ford/Kommission, Slg. 1994, II-905, Randnr. 35).
152.
Die deutsche Regierung hat nämlich im Verkehr mit der Kommission seit 1990 wiederholt auf Artikel
92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag Bezug genommen und dabei auf die Bedeutung dieser
Bestimmung für den Wiederaufbau des ehemaligen Ostdeutschlands hingewiesen (vgl. u. a. das
Schreiben von Bundeskanzler Kohl an Präsident Delors vom 9. Dezember 1992).
153.
Die dazu von der deutschen Regierung vorgetragenen Argumente sind von der Kommission in
verschiedenen Schreiben oder Entscheidungen zurückgewiesen worden (vgl. u. a. Mitteilung gemäß
Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag an die übrigen Mitgliedstaaten und sonstigen Interessierten
betreffend das Vorhaben der deutschen Regierung, der Adam Opel AG Beihilfen für ihr
Investitionsvorhaben in den neuen Bundesländern zu gewähren [ABl. 1993, C 43, S. 14], Mitteilung
gemäß Artikel 93 Absatz 2 des EWG-Vertrags an die übrigen Mitgliedstaaten und die anderen
Beteiligten betreffend das Vorhaben der deutschen Behörden, der Rhône-Poulenc Rhotex GmbH
Beihilfen zu gewähren [ABl. 1993, C 210, S. 11], Entscheidung 94/266/EG der Kommission vom 21.
Dezember 1993 über das Vorhaben zur Vergabe einer Beihilfe an die SST-Garngesellschaft mbH,
Thüringen [ABl. 1994, L 114, S. 21], die Entscheidung Mosel I und die Entscheidung94/1074/EG der
Kommission vom 5. Dezember 1994 über ein Beihilfevorhaben Deutschlands zugunsten der Textilwerke
Deggendorf GmbH, Thüringen [ABl. L 386, S. 13]).
154.
Besondere Bedeutung kommt in diesem Zusammenhang der Entscheidung Mosel I zu, mit der die
Kommission einige der streitigen Beihilfen in Höhe von 125,2 Millionen DM für mit dem Gemeinsamen
Markt unvereinbar erklärt hatte, nachdem sie mit der gleichen Begründung wie in der angefochtenen
Entscheidung festgestellt hatte, daß diese Beihilfen nicht unter die Ausnahmevorschrift des Artikels
92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag fallen könnten. Dabei haben weder die Kläger noch die
Bundesrepublik Deutschland gegen diese frühere Entscheidung Klage erhoben.
155.
Zwar gab es zwischen der Kommission, den deutschen Behörden und den Klägern zwischen dem
Erlaß der Entscheidung Mosel I und dem der angefochtenen Entscheidung zahlreiche Kontakte, bei
denen deutlich wurde, daß die unterschiedlichen Standpunkte bezüglich der Anwendbarkeit des
Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag auf die streitigen Beihilfen fortbestanden (vgl. die
Abschnitte V und VI der angefochtenen Entscheidung), doch wurde dabei kein spezielles oder neues
Argument namentlich zu einem ursächlichen Zusammenhang zwischen der Teilung Deutschlands und
der Lage der sächsischen Automobilindustrie nach der Herstellung der Einheit vorgetragen (vgl.
Randnr. 141).
156.
Somit waren die Kläger und die Streithelferin hinreichend über die Gründe für die angefochtene
Entscheidung unterrichtet; die Kommission brauchte diese mangels speziellerer Argumente auch nicht
eingehender zu begründen.
157.
Nach alledem sind die Rügen eines Verstoßes gegen Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag
und einer mangelhaften Begründung zurückzuweisen.
158.
Die Kläger rügen verschiedene Verstöße gegen Artikel 92 Absatz 3 EG-Vertrag, die teils die
allgemeine Systematik des Artikels und teils speziell die Buchstaben a und b dieser Bestimmung
betreffen. Zunächst ist zu prüfen, ob gegen Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe b verstoßen worden ist.
Vorbringen der Parteien
159.
Die Kläger machen geltend, die Kommission habe gegen Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe b EG-Vertrag
verstoßen, da sie die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung nicht geprüft habe. Sie
beziehen sich auf Abschnitt X, zweiter Absatz, der angefochtenen Entscheidung, der lautet:
„Die Freistellung nach Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe b) des Vertrages kann im Fall Deutschlands
sicherlich keine Anwendung finden. Zwar hat die deutsche Vereinigung negative Auswirkungen auf die
deutsche Wirtschaft gehabt, diese allein reichen aber für die Anwendung von Artikel 92 Absatz 3
Buchstabe b) auf eine Beihilferegelung nicht aus. Zuletzt kam die Kommission 1991 zu der Auffassung,
daß eine Beihilferegelung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats
abhalf, als sie eine Beihilfe für ein Privatisierungsprogramm in Griechenland genehmigte. In der
betreffenden Entscheidung führte die Kommission aus, daß das Privatisierungsprogramm ein
integraler Bestandteil der Verpflichtungen war, die gemäß der Entscheidung 91/306/EWG des Rates
vom 4. März 1991 hinsichtlich der Sanierung der gesamten Volkswirtschaft übernommen worden
waren. Der Fall Deutschlands liegt eindeutig anders.“
160.
Nach Ansicht der Kläger ist diese Begründung zum einen unzureichend. Die Kommission habe
lediglich einen Textbaustein aus früheren Entscheidungen verwendet (vgl. insbesondere
Entscheidung Mosel I). Die angefochtene Entscheidung behandele überhaupt nicht die
entscheidende Frage, ob die Beihilfen in dem konkreten Fall zur Behebung einer beträchtlichen
Störung im Wirtschaftsleben der Bundesrepublik Deutschland hätten dienen sollen. Im übrigen
erläutere die angefochtene Entscheidung die Unterschiede zwischen dem vorliegenden Fall und dem
Privatisierungsprogramm Griechenlands nicht, die nach Ansicht der Kommission die Nichtanwendung
des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe b EG-Vertrag rechtfertigten.
161.
Zum anderen habe sich die Kommission nicht ernsthaft mit der Frage der Anwendbarkeit des
Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe b EG-Vertrag auseinandergesetzt, obwohl die Bundesregierung sich im
Verwaltungsverfahren mehrfach auf diese Bestimmung bezogen habe, als sie geltend gemacht habe,
daß die Probleme der Integration und Überführung der ehemaligen Planwirtschaft der neuen
Bundesländer in eine Marktwirtschaft eine beträchtliche Störung des Wirtschaftslebens Deutschlands
darstellten.
162.
Zum dritten machen die Kläger geltend, daß der Tatbestand des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe b
EG-Vertrag im vorliegenden Fall erfüllt sei. Hierfür genüge der Nachweis, daß die betreffenden
Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Bundeslandes
bestimmt gewesen seien (vgl. Urteil Philip Morris/Kommission, Randnrn. 20 bis 25). Der Freistaat
Sachsen sei, insbesondere im Jahr 1991, durch ein, gemessen am europäischen Durchschnitt,
besonders niedriges Bruttosozialprodukt und eine besonders hohe Arbeitslosigkeit geprägt gewesen.
Im übrigen sei die Anwendung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe b EG-Vertrag nicht deshalb
ausgeschlossen, weil die betreffenden Beihilfen nur einem einzigen Unternehmen gewährt worden
seien, und es komme dabei auch nicht auf den Anteil des Unternehmens an der Volkswirtschaft an.
Dieses Argument, das die Kommission in der Klagebeantwortung in der Rechtssche T-143/96 geltend
gemacht habe, sei zudem verspätet und unzulässig.
163.
Die Kommission macht zum einen geltend, daß sie bei der Vornahme der nach Artikel 92 Absatz 3
Buchstabe b EG-Vertrag erforderlichen wirtschaftlichen und sozialen Wertungen über ein weites
Ermessen verfüge (Urteil Philip Morris/Kommission, Randnr. 24).
164.
Zum anderen habe sie anhand der Beihilfe für ein Privatisierungsprogramm in Griechenland, die in
Vollzug einer Entscheidung des Rates genehmigt worden sei und die gesamte Volkswirtschaft
Griechenlands betroffen habe, dargestellt, welche Anforderungen sie gewöhnlich an die Anwendung
des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe b EG-Vertrag stelle. Somit liege kein Verstoß gegen Artikel 190 EG-
Vertrag vor.
165.
Zum dritten sei der Tatbestand des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe b EG-Vertrag im vorliegenden
Fall nicht erfüllt.
Würdigung durch das Gericht
166.
Nach Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe b EG-Vertrag können als mit dem Gemeinsamen Markt
vereinbar angesehen werden „Beihilfen ... zur Behebung einer beträchtlichen Störung im
Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats“.
167.
Nach der aus dem systematischen Zusammenhang erkennbaren Zielsetzung dieser Bestimmung
muß die betreffende Störung das gesamte Wirtschaftsleben des betreffenden Mitgliedstaats
beeinträchtigen und nicht nur das eines seiner Regionen oder Gebietsteile. Dieses Ergebnis
entspricht im übrigen dem Grundsatz, daß Ausnahmen wie Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe b EG-Vertrag
eng auszulegen sind. Das von den Klägern zur Unterstützung ihres Vorbringens angeführte Urteil Philip
Morris/Kommission enthält zu dem hier streitigen Punkt keine Aussage.
168.
Somit ist das Vorbringen der Kläger nicht schlüssig und daher zurückzuweisen. Die Kläger verweisen
nämlich lediglich auf die Wirtschaftslage des Freistaats Sachsen und behaupten nicht einmal, daß
diese zu einer beträchtlichen Störung des Wirtschaftslebens der Bundesrepublik Deutschland
insgesamt geführt habe.
169.
Im übrigen hängt die Frage, ob die Herstellung der Einheit Deutschlands eine beträchtliche Störung
des Wirtschaftslebens der Bundesrepublik Deutschland hervorgerufen hat, von der Bewertung
komplexer wirtschaftlicher und sozialer Sachverhalte ab, die im gemeinschaftlichen Kontext
vorzunehmen ist. Bei einer solchen Bewertung verfügt die Kommission im Rahmen des Artikels 92
Absatz 3 EG-Vertrag über ein weites Ermessen (vgl. entsprechend Urteil des Gerichtshofes vom 15.
Mai 1997 in der Rechtssache C-355/95 P, TWD/Kommission, Slg. 1997, I-2549, Randnr. 26). Die
gerichtliche Nachprüfung muß sich insoweit darauf beschränken, ob die Vorschriften über das
Verfahren und die Begründung eingehalten und die Tatsachen richtig ermittelt wurden und kein
offensichtlicher Beurteilungsfehler oder Ermessensmißbrauch vorliegt. Insbesondere darf der
Gemeinschaftsrichter nicht seine wirtschaftliche Beurteilung an die Stelle derBeurteilung der
Kommission setzen (Urteile des Gerichts vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache T-380/94,
AIUFFASS und AKT/Kommission, Slg. 1996, II-2169, Randnr. 56, und vom 5. November 1997 in der
Rechtssache T-149/95, Ducros/Kommission, Slg. 1997, II-2031, Randnr. 63).
170.
Im vorliegenden Fall haben die Kläger konkret nichts dafür vorgetragen, daß die Kommission einen
offenkundigen Beurteilungsfehler begangen hätte, als sie in den nachteiligen Auswirkungen der
Herstellung der Einheit Deutschlands auf die deutsche Wirtschaft allein, so sehr es zu solchen auch
gekommen sein mag, keinen Grund für die Anwendung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe b EG-
Vertrag auf eine Beihilferegelung gesehen hat.
171.
Auch wenn die Begründung der angefochtenen Entscheidung kurz ist, ist sie angesichts des
Kontexts der Rechtssache, der früheren Entscheidungen, insbesondere der Entscheidung Mosel I,
und mangels besonderer Argumente im Verwaltungsverfahren ausreichend. Die Ausführungen in den
Randnummern 140 bis 142 und 149 bis 156 gelten entsprechend auch für die Begründung der
Entscheidung der Kommission, die Ausnahmevorschrift des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe b EG-
Vertrag nicht auf den vorliegenden Fall anzuwenden.
172.
Somit sind die Rügen eines Verstoßes gegen Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe b EG-Vertrag und einer
mangelhaften Begründung zurückzuweisen.
Vorbringen der Parteien
173.
Die Kläger machen geltend, die Kommission habe gegen Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag
verstoßen, wonach „Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen
die Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht“,
als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden könnten.
174.
Zum einen sei Sachsen ein Gebiet im Sinne dieser Bestimmung, wie die Kommission in Abschnitt XII,
erster Absatz, der angefochtenen Entscheidung stillschweigend eingeräumt habe. Der angefochtenen
Entscheidung sei aber keine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit einer Anwendung von Artikel 92
Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag zu entnehmen. Die Tatsache, daß die Kommission dazu nicht
Stellung genommen habe, bedeute einen Ermessensfehlgebrauch. Dadurch habe die Kommission
gegen diese Bestimmung verstoßen.
175.
Zum anderen stelle Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag zwar für die Festlegung der
Gebiete, für die die Ausnahmen in Betracht kämen, strengere Voraussetzungen als Artikel 92 Absatz 3
Buchstabe c EG-Vertrag auf, verlange dagegen aber nicht, daß die Handelsbedingungen nicht in einer
Weise verändertwürden, die dem gemeinschaftlichen Interesse zuwiderlaufe (Urteil
Deutschland/Kommission vom 14. Oktober 1987, Randnr. 19). Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-
Vertrag sei somit die speziellere Vorschrift, die vorrangig vor Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-
Vertrag zu prüfen sei.
176.
Zum dritten erlaube Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag den nationalen Behörden, dem
Investor, der sich in einem besonders benachteiligten Gebiet ansiedeln wolle, einen besonderen, über
einen etwaigen Nachteilsausgleich hinausgehenden Anreiz (Beihilfezuschlag oder „top-up“) zu bieten.
Selbst wenn sektorspezifische Überlegungen im Rahmen des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-
Vertrag nicht völlig ausgeschlossen werden könnten (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Januar 1997 in
der Rechtssache C-169/95, Spanien/Kommission, Slg. 1997, I-135), sei bei Beihilfen in besonders
wirtschaftsschwachen Regionen im Sinne dieser Vorschrift stärkeres Gewicht auf den Bereich der
Regionalförderung zu legen, während bei Regionen im Sinne von Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-
Vertrag sektorpolitische Überlegungen stärker zu berücksichtigen seien. Daher sei im ersten Fall eine
höhere Beihilfeintensität zulässig.
177.
Daher genüge der Hinweis in der angefochtenen Entscheidung auf bestehende Überkapazitäten im
Kraftfahrzeugsektor nicht, um die Nichtanwendung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag zu
rechtfertigen. Es handele sich dabei nur um Überlegungen, die möglicherweise im Rahmen der
Ermessensausübung nach dieser Vorschrift zu berücksichtigen seien. Im übrigen sei bei
Ermessensentscheidungen eine besonders umfassende und detaillierte Begründung erforderlich
(Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 1960 in den Rechtssachen 36/59, 37/59, 38/59 und 40/59,
Präsident u. a./Hohe Behörde, Slg. 1960, 885, 921 ff.; Schlußanträge des Generalanwalts Roemer,
Urteil Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 401), insbesondere wenn es um
Beihilfeentscheidungen gehe, die einzelnen Unternehmen zugute kommen sollten (Schlußanträge des
Generalanwalts Darmon, Urteil vom 14. Oktober 1987 in der Rechtssache Deutschland/Kommission,
Slg. 1987, 4027).
178.
Die Kommission macht geltend, sie habe die Frage, ob die Beihilfen nach Artikel 92 Absatz 3
Buchstabe a EG-Vertrag genehmigt werden könnten, sehr wohl geprüft, wie sich aus den Abschnitten
X, dritter Absatz, und XII, erster Absatz, der angefochtenen Entscheidung ergebe.
179.
Zum einen sei es Praxis der Kommission, die höchstzulässige Intensität der Regionalbeihilfen (d. h.
die Höhe der Beihilfe im Verhältnis zur Höhe der Investition, ausgedrückt in einem Prozentsatz) in
Deutschland auf 35 % für die Gebiete im Sinne des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag und
auf 18 % für die Gebiete im Sinne des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag festzusetzen. In der
angefochtenen Entscheidung seien Beihilfesätze von 22,3 % für Mosel II und von 20,8 % für Chemnitz II
genehmigt worden. Somit sei offenkundig, daß die Kommission Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-
Vertrag auf den vorliegenden Fall angewandt habe.
180.
Zum anderen verfüge die Kommission, auch wenn sie die neuen Bundesländer als Fördergebiet im
Sinne des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag angesehen habe, in diesem Bereich doch über
ein weites Ermessen (Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juni 1993 in der Rechtssache C-225/91,
Matra/Kommission, Slg. 1993, I-3203, Randnrn. 23 ff.). Insbesondere könne sie dabei die
Auswirkungen der Beihilfe auf den entsprechenden Wirtschaftssektor in der Gemeinschaft insgesamt
einschließlich der Gefahr der Schaffung von Überkapazitäten sowie die Verhältnismäßigkeit zwischen
dem Beihilfebetrag und den regionalen Nachteilen berücksichtigen.
181.
Zum dritten werde in der angefochtenen Entscheidung ausführlich dargelegt, daß die betreffenden
Beihilfen die bestehenden Überkapazitäten im Kraftfahrzeugsektor verstärken und damit dem
Gemeinschaftsinteresse zuwiderlaufen würden. Die Kommission habe somit hinreichend begründet,
warum sie diese Beihilfen über die bewilligten Sätze hinaus nicht nach Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a
EG-Vertrag genehmigt habe.
182.
Schließlich trägt die Kommission vor, Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag sei nicht vorrangig
vor Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c anzuwenden. Die Gebiete im Sinne des Artikels 92 Absatz 3
Buchstabe a EG-Vertrag zeichneten sich dadurch aus, daß ein Investor dort auf höhere
Investitionskostennachteile treffe als in den Gebieten im Sinne des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c
EG-Vertrag. Da in einem Fall wie dem vorliegenden diese Nachteile für die Ermittlung des
genehmigungsfähigen Gesamtbeihilfebetrags in die Kosten-Nutzen-Analyse eingestellt würden, werde
die höhere Förderungswürdigkeit der Gebiete im Sinne des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-
Vertrag berücksichtigt. Es könne also keine Rede davon sein, daß eine parallele Anwendung der
Buchstaben a und c des Artikels 92 Absatz 3 EG-Vertrag der Bestimmung unter Buchstabe a ihren
eigenständigen Anwendungsbereich nähme.
Würdigung durch das Gericht
183.
In Abschnitt X, erster Absatz, der angefochtenen Entscheidung gibt die Kommission zunächst die
Ansicht der deutschen Regierung wieder, daß die drei Ausnahmeregelungen des Artikels 92 Absatz 2
Buchstabe c, Absatz 3 Buchstabe b und Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag auf den vorliegenden Fall
anwendbar seien. In den beiden folgenden Absätzen erläutert die Kommission, warum sie die
Anwendung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe b und des Artikels 92 Absatz 2 Buchstabe c auf die
streitigen Beihilfen nicht für möglich hält. Im dritten Absatz Satz 2 erklärt die Kommission, daß „die
Freistellungsvoraussetzungen von Artikel 92 Absatz 3 Buchstaben a und c sowie, angesichts des
betroffenen Wirtschaftssektors, der Gemeinschaftsrahmen für staatliche Beihilfen an die
Kraftfahrzeugindustrie sie in die Lage versetzen, den Problemen der neuen Bundesländer
entsprechend zu reagieren“.
184.
Somit hat die Kommission anerkannt, daß nicht nur Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c, sondern auch
Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a auf die streitigen Beihilfen anwendbar ist, wie sich aus der
sinngemäßen Wiedergabe der Begriffe der letztgenannten Bestimmung in Abschnitt XII, erster Absatz,
der angefochtenen Entscheidung ergibt. Die Kommission hat dort nämlich anerkannt, daß die neuen
Bundesländer „ein unterentwickeltes Gebiet mit niedrigem Lebensstandard“ sind, wo eine
„außerordentlich hohe und noch zunehmende Arbeitslosigkeit“ herrscht. Sie verweist darauf, daß
hohe Investitionsbeihilfen und Beihilfen anderer Art als „Beitrag zur Entwicklung der Region“
genehmigt worden sind.
185.
Die Kommission hat in ihren Schriftsätzen, ohne daß die Kläger oder die deutsche Regierung dem
widersprochen hätten, geltend gemacht, daß sie höhere Beihilfesätze genehmigt habe, als sie nach
ihrer Praxis bei der Anwendung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag auf Regionalbeihilfen
in Deutschland zulasse. Den besonderen Nachteilen von Investoren in den Gebieten, die unter Artikel
92 Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag fielen, sei in der Kosten-Nutzen-Analyse Rechnung getragen
worden, die zur Ermittlung des genehmigungsfähigen Gesamtbeihilfebetrags durchgeführt worden sei,
so daß bei ihren Berechnungen die höhere Beihilfefähigkeit dieser Gebiete berücksichtigt worden sei.
186.
Das Argument, die Kommission habe die günstigere Bestimmung des Artikels 92 Absatz 3
Buchstabe a auf die streitigen Beihilfen nicht anwenden wollen, ist somit unbegründet.
187.
In dem Urteil vom 14. Januar 1997 in der Rechtssache Spanien/Kommission hat der Gerichtshof
zudem ausdrücklich das Vorbringen der Kläger in der Klageschrift mit der Feststellung (in Randnr. 17)
zurückgewiesen, daß aus der unterschiedlichen Formulierung in den Buchstaben a und c des Artikels
92 Absatz 3 EG-Vertrag „nicht abgeleitet werden [könne], daß die Kommission bei der Anwendung des
Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe a das gemeinsame Interesse außer acht lassen dürfte und sich darauf
zu beschränken hätte, die regionale Spezifität der fraglichen Maßnahme zu prüfen, ohne ihre
Auswirkungen auf den oder die relevanten Märkte in der gesamten Gemeinschaft zu untersuchen“.
Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt (in Randnr. 20), daß „die Anwendung des Artikels 92 Absatz 3
Buchstabe a ebenso wie Buchstabe c die Berücksichtigung nicht nur der regionalen Auswirkungen der
in diesen Vertragsvorschriften genannten Beihilfen, sondern auch die Prüfung der Auswirkungen
dieser Beihilfen auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 92 Absatz 1 und damit
ihrer möglichen sektoralen Auswirkungen auf Gemeinschaftsebene voraussetzt“.
188.
Somit sind die Rügen der Kläger, in der angefochtenen Entscheidung werde auf die
Überkapazitäten im Kraftfahrzeugsektor Bezug genommen, angesichts des weiten Ermessens, über
das die Kommission im Rahmen des Artikels 92 Absatz 3 EG-Vertrag verfügt (vgl. auch Urteil vom 14.
Januar 1997 in der Rechtssache Spanien/Kommission, Randnr. 19) offensichtlich unbegründet. Dies
giltinsbesondere für die Beihilfezuschläge oder „top-up“, zu denen die Kommission in Abschnitt XI,
fünfter Absatz, der angefochtenen Entscheidung ausgeführt hat, daß bei der Beurteilung der
Regionalbeihilfen für die Automobilindustrie diese Zuschläge „in der Regel genehmigt [werden], es sei
denn, die Investition trägt zur Schaffung von Kapazitätsproblemen im betreffenden Sektor bei. In
einem solchen Fall wird die Beihilfe strikt auf den Nettoausgleich der regionalen Nachteile
beschränkt.“
189.
Schließlich hat die Kommission namentlich in den Abschnitten X, XI und XII der angefochtenen
Entscheidung ihre Beurteilung auf der Grundlage von Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag
ordnungsgemäß begründet.
190.
Somit sind die Rügen eines Verstoßes gegen Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag und einer
mangelhaften Begründung zurückzuweisen.
191.
Die Kläger führen in der Sache fünf Rügen an.
a) Zur Notwendigkeit einer ex-ante-Betrachtung und zur Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrahmens
Vorbringen der Parteien
192.
Nach Ansicht der Kläger muß die Kommission bei der Beurteilung der Vereinbarkeit einer Beihilfe mit
dem Gemeinsamen Markt auf die Informationen abstellen, über die sie im Zeitpunkt der Gewährung
der streitigen Beihilfe (ex-ante-Betrachtung) und nicht im Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung
(ex-post-Betrachtung) verfügt. Sie verweisen dazu auf das Urteil des Gerichtshofes vom 14. Februar
1990 in der Rechtssache C-301/87 (Frankreich/Kommission, [Boussac], Slg. 1990, I-307, Randnrn. 43
und 45) sowie auf das Urteil des Gerichts vom 22. Oktober 1996 in der Rechtssache T-266/94
(Skibsværftsforeningen u. a./Kommission, Slg. 1996, II-1399, Randnrn. 96 und 98) und führen aus,
- nach Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag müsse die Kommission von jeder beabsichtigten Einführung
einer Beihilfe vorab unterrichtet werden, um deren Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt aus der
ex-ante-Sicht prüfen können;
- für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt sei der Zeitpunkt
maßgeblich, zu dem die Beeinflussung des Wettbewerbs stattfinde (vgl. für die Rückzahlung einer
Beihilfe Urteil des Gerichtshofes vom 4. April 1995 in der Rechtssache C-348/93, Kommission/Italien,
Slg. 1995, I-673, Randnr. 26);
- die Beurteilung, ob ein Element staatlicher Beihilfe vorliege, insbesondere die Anwendung des
Kriteriums des marktwirtschaftlich handelnden privaten Investors, müsse ex ante erfolgen (Urteile des
Gerichtshofes in der Rechtssache Boussac, Randnrn. 43 bis 45, Tubermeuse II, und vom 21. März
1991 in der Rechtssache C-305/89, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-1603, Randnr. 19);
- die ex-post-Sicht widerspreche dem Rechtsstaatsprinzip. Wenn es für die Beurteilung einer Beihilfe
auf die rechtliche und tatsächliche Situation im Zeitpunkt des Erlasses der Kommissionsentscheidung
ankäme, könnte die Kommission gemäß dem von ihr gewünschten Ergebnis den genehmsten
Zeitpunkt wählen. Im übrigen müßten die Kriterien vorhersehbar sein, was bei einer ex-post-
Betrachtung nicht gewährleistet sei.
193.
Infolgedessen sei für die Prüfung der Vereinbarkeit der betreffenden Beihilfen mit dem
Gemeinsamen Markt der Zeitpunkt ihrer Bewilligung, d. h. der 22. März 1991, und nicht der Zeitpunkt
des Erlasses der angefochtenen Entscheidung im Jahr 1996 maßgebend. Dies gelte auch für die
Teilbeträge der Beihilfe, die zum Zeitpunkt der Erlasses der angefochtenen Entscheidung noch nicht
ausgezahlt gewesen seien. Alle Teilbeträge der gleichzeitig und für dasselbe Projekt bewilligten
Beihilfe seien nämlich nach ein und demselben rechtlichen und tatsächlichen Rahmen zu beurteilen.
194.
Die Kläger machen weiter geltend, daß die streitigen Beihilfen Teil eines bereits genehmigten
Regionalbeihilfeprogramms gewesen seien und die Kommission deshalb nicht mehr hätte prüfen
dürfen, ob die Beihilfen mit dem Gemeinschaftsrahmen vereinbar seien. Der Kommission habe nur das
eingeschränkte Recht auf Überprüfung zugestanden, ob diese Beihilfen den Bedingungen dieses
bereits genehmigten Programms entsprochen hätten.
195.
Im vorliegenden Fall seien die Investitionszuschüsse durch die Bescheide von 1991 endgültig
bewilligt worden (vgl. Randnr. 19). Die späteren Abänderungsbescheide hätten sich nicht auf die
grundsätzliche Entscheidung bezogen, sondern lediglich die Höhe der Beihilfen herabgesetzt, um
dadurch ihre nachteiligen Auswirkungen auf den Wettbewerb abzumildern. Was die Investitionszulagen
betreffe, so seien diese am 18. März 1991 verbindlich zugesagt worden (vgl. Randnr. 20).
196.
Alle diese Beihilfen seien im Rahmen des 19. Rahmenplans gewährt worden, der auf der Grundlage
des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe erlassen worden sei. Dieser Plan sei von der
Kommission bereits genehmigt gewesen, wie sich aus Abschnitt VIII, vierter Absatz, der angefochtenen
Entscheidung ergebe. Der Vorbehalt in den Bescheiden von 1991, daß die Beihilfen noch von der
Kommission genehmigt werden müßten, sei somit gegenstandslos.
197.
Die Kläger bestreiten im übrigen die Behauptung der Kommission in der Klagebeantwortung, daß
diese sich bei der Genehmigung der allgemeinenBeihilfeprogramme die Prüfung der Einhaltung der
Artikel 92 und 93 EG-Vertrag ausdrücklich vorbehalten habe. Die Kläger rügen ausdrücklich, daß die
Kommission ihnen die angeblichen Papiere mit diesem Vorbehalt nicht übermittelt habe, und weisen
darauf hin, daß deren Vorlage mit der Gegenerwiderung verspätet und unzulässig sei.
198.
Selbst unterstellt, die Kommission hätte die Genehmigung des 19. Rahmenplans unter den
Vorbehalt der Einhaltung des Gemeinschaftsrahmens gestellt, wäre dieser Gemeinschaftsrahmen im
März 1991, dem Zeitpunkt der endgültigen Bewilligung der streitigen Beihilfen, nicht anwendbar
gewesen.
199.
Wie sich nämlich aus Unterabschnitt 2.5 des 1989 veröffentlichten Gemeinschaftsrahmens ergebe,
habe dieser vom 1. Januar 1989 an für zwei Jahre gelten sollen. Die Gültigkeit des
Gemeinschaftsrahmens sei somit am 31. Dezember 1990 abgelaufen. Die Bundesrepublik Deutschland
habe seiner Wiedereinführung erst im April 1991 nach der endgültigen Bewilligung der betreffenden
Beihilfen zugestimmt.
200.
Ergänzend tragen die Kläger folgendes vor:
- Die Entscheidung 90/381 vom 21. Februar 1990, nach der die Bundesrepublik Deutschland „nach
Maßgabe“ des Gemeinschaftsrahmens verpflichtet worden sei, der Kommission Beihilfen ab einer
bestimmten Größenordnung zu melden, sei auf die neuen Länder nicht anwendbar gewesen, die noch
nicht zur Bundesrepublik gehört hätten, und habe den Gemeinschaftsrahmen über seine
ursprüngliche bis zum 31. Dezember 1990 befristete Geltungsdauer hinaus nicht verlängern können.
- Die Entscheidung über die Verlängerung des Gemeinschaftsrahmens, der von diesem Zeitpunkt an
auf die neuen Bundesländer ausgedehnt worden sei, sei im Amtsblatt C 81 vom 26. März 1991
veröffentlicht worden, das am 27. März 1991, d. h. nach der endgültigen Bewilligung der betreffenden
Beihilfen, verfügbar gewesen sei. Der Gemeinschaftsrahmen habe nicht rückwirkend gelten können,
da dies seinem Wortlaut nicht zu entnehmen sei und es dem Grundsatz der Rechtssicherheit
widerspräche, den Beginn der Geltungsdauer eines Rechtsakts der Gemeinschaft auf einen Zeitpunkt
vor dessen Veröffentlichung zu legen (Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 1991 in der Rechtssache C-
368/89, Crispoltoni, Slg. 1991, I-3695, Randnr. 17).
- Die Kommission habe nicht nachgewiesen, wann die Entscheidung über die Verlängerung des
Gemeinschaftsrahmens erlassen worden sei. Zudem sei zweifelhaft, ob diese Entscheidung
rechtsgültig ergangen sei. Das Schreiben der Kommission an die Mitgliedstaaten datiere nämlich vom
31. Dezember 1990, doch fänden zum Jahresende keine Kommissionssitzungen statt. Imübrigen
entspreche der im veröffentlichte Text (ABl. 1991, C 81,
S. 4) nicht dem, den die Bundesregierung erhalten habe.
- Das Schreiben der Kommission, mit dem diese der Bundesregierung vorgeschlagen habe, den
Gemeinschaftsrahmen zu verlängern, sei bei der deutschen Regierung erst am 8. Januar 1991
eingegangen, wie der Eingangsstempel der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Europäischen
Gemeinschaften zeige. Zu diesem Zeitpunkt sei die Gültigkeit des alten Gemeinschaftsrahmens
bereits abgelaufen gewesen, und der Vorschlag der Kommission sei deshalb als Vorschlag zur
Wiedereinführung dieses Rahmens zu verstehen; mangels Zustimmung der Mitgliedstaaten sei eine
rückwirkende Geltung nicht möglich gewesen (vgl. Urteile vom 29. Juni 1995 in der Rechtssache
Spanien/Kommission, Randnr. 24, und vom 15. April 1997, Randnrn. 28 ff.).
- Der Gemeinschaftsrahmen sei an sich gegenüber den Mitgliedstaaten nicht verbindlich, solange
diese ihm nicht zustimmten. Im vorliegenden Fall habe die Bundesrepublik Deutschland den
Gemeinschaftsrahmen von Anfang an abgelehnt (vgl. Entscheidung 90/381 vom 21. Februar 1990).
Am 7. Februar 1991 habe der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium gegenüber dem für
Wettbewerbsfragen zuständigen Kommissionsmitglied die Auffassung der Bundesregierung dargelegt,
wonach der Gemeinschaftsrahmen in den neuen Bundesländern nicht anwendbar sei. Die
Zustimmung der Bundesrepublik sei schließlich erst im April 1991 erfolgt.
201.
Die Kommission trägt im wesentlichen vor, sie sei berechtigt gewesen, den im Juni 1996 gültigen
Gemeinschaftsrahmen anzuwenden und die tatsächlichen Umstände zum Zeitpunkt des Erlasses der
angefochtenen Entscheidung zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall hätten nämlich die Kläger ihre
Vorhaben nach dem März 1991 grundlegend geändert, und auch die Bewilligungsbescheide seien bis
Februar 1996 mehrfach abgeändert worden. Es sei daher ausgeschlossen, daß die Kommission 1996
die Vereinbarkeit der Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt nach dem Stand von 1991 hätte prüfen
müssen, da sich zwischenzeitlich alle wesentlichen Parameter grundlegend geändert hätten.
202.
Im übrigen hätten die streitigen Beihilfen ihr zur vorherigen Genehmigung notifiziert werden müssen.
Würdigung durch das Gericht
203.
Entgegen dem Vorbringen der Kläger lassen sich die streitigen Beihilfemaßnahmen nicht als Teil
eines von der Kommission bereits genehmigten Programms regionaler Beihilfen und damit als von der
Pflicht zur vorherigen Anmeldung befreit ansehen.
204.
Durch die Bezugnahme in dem auf der Grundlage des Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe
erlassenen 19. Rahmenplan auf bestimmte Sektoren, in denen jedes Fördervorhaben an die vorherige
Genehmigung der Kommission geknüpft ist (vgl. Randnr. 7), hat Deutschland zur Kenntnis genommen,
daß die Genehmigung der in diesem Plan vorgesehenen Regionalbeihilfen sich nicht auf die fraglichen
Sektoren, insbesondere nicht auf den Kraftfahrzeugsektor, erstreckte, sofern der Kostenaufwand
einer zu fördernden Maßnahme 12 Millionen ECU überstieg.
205.
Bestätigt wird dies u. a. durch das Schreiben der Kommission vom 2. Oktober 1990 über die
Genehmigung der Regionalbeihilferegelung des 19. Rahmenplans für 1991 (vgl. Randnr. 7) und durch
das Schreiben der Kommission vom 5. Dezember 1990 über die Genehmigung der Anwendung des
Gesetzes über die Gemeinschaftsaufgabe auf die neuen Bundesländer (vgl. Randnr. 11), in denen die
Kommission die deutsche Regierung ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, daß bei der
Durchführung der beabsichtigten Maßnahmen der in bestimmten Industriebereichen bestehende
Gemeinschaftsrahmen beachtet werden müsse; ferner durch die Schreiben vom 14. Dezember 1990
und 14. März 1991, in denen die Kommission nachdrücklich darauf hinwies, daß die neuen Beihilfen für
Volkswagen nicht gewährt werden dürften, wenn sie ihr nicht mitgeteilt und von ihr genehmigt worden
seien (vgl. Randnr. 18), und durch die Tatsache, daß alle Bescheide von 1991 „unter dem Vorbehalt
der Genehmigung durch die EG-Kommission“ ergangen sind. Die Kläger vertreten zu Unrecht die
Ansicht, daß dieser Hinweis gegenstandslos sei, weil durch die Genehmigung des 19. Rahmenplans
die Beihilfen bereits bewilligt worden seien. Diese Genehmigung erstreckte sich nämlich, wie in
Randnummer 204 festgestellt, nicht auf den Kraftfahrzeugsektor. Im übrigen ist die Ansicht der Kläger
nicht zutreffend, daß die Vorlage der Schreiben in der Anlage zur Gegenerwiderung verspätet und
unzulässig sei. Diese Schreiben sind nämlich sowohl in Abschnitt II der angefochtenen Entscheidung
als auch in der Entscheidung über die Einleitung des Prüfungsverfahrens angeführt worden. Sie sind
außerdem als Entgegnung auf erstmals in der Erwiderung erhobene Einwände vorgelegt worden.
206.
Angesichts dessen könnte die Aussetzung der Anwendung des Gemeinschaftsrahmens zwischen
Januar und April 1991, selbst wenn sie bewiesen wäre, rechtlich nicht zur Folge haben, daß die
Beihilfen für den Kraftfahrzeugsektor als von der Genehmigung des 19. Rahmenplans erfaßt
anzusehen wären. Somit ist im Gegenteil davon auszugehen, daß Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag auf
die fraglichen Beihilfen in vollem Umfang anwendbar geblieben ist.
207.
Nach alledem bestand jedenfalls die Pflicht, die streitigen Beihilfen der Kommission vorab
mitzuteilen; die Beihilfen durften nicht ausgezahlt werden, bevor das Verfahren mit einer
abschließenden Entscheidung beendet war.
208.
Dagegen ist die Frage, ob der Gemeinschaftsrahmen für Deutschland im März 1991 verbindlich war,
für den vorliegenden Rechtsstreit ohne Bedeutung.
209.
Auch wenn die Regeln des Gemeinschaftsrahmens, die die Kommission den Mitgliedstaaten als
„eine zweckdienliche Maßnahme“ gemäß Artikel 93 Absatz 1 EG-Vertrag vorgeschlagen hat, nicht
verbindlich sind und die Staaten nur verpflichten, wenn sie ihnen zugestimmt haben (vgl. Urteil vom
15. April 1997 in der Rechtssache Spanien/Kommission, Randnrn. 30 bis 33), hindert nichts die
Kommission daran, die ihr mitzuteilenden Beihilfen im Rahmen des ihr bei der Anwendung der Artikel
92 und 93 EG-Vertrag eingeräumten weiten Ermessens anhand dieser Regeln zu prüfen.
210.
Ergänzend ist jedoch festzustellen, daß die Auffassung der Kläger, die 1996 durchgeführte Prüfung
der Vereinbarkeit der streitigen Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt habe nur anhand der 1991
vorliegenden Erkenntnisse erfolgen dürfen, in der Rechtsprechung des Gerichtshofes und des
Gerichts keine Stütze findet. Nach den Urteilen des Gerichtshofes vom 10. Juli 1986 in der
Rechtssache 234/84 (Belgien/Kommission, Slg. 1986, 2263, Randnr. 16) und vom 26. September 1996
in der Rechtssache C-241/94 (Frankreich/Kommission, Slg. 1996, 4551, Randnr. 33) ist die
Rechtmäßigkeit einer Entscheidung im Bereich von Beihilfen aufgrund der Informationen zu beurteilen,
über die die Kommission bei Erlaß der Entscheidung verfügte. In gleicher Weise hat das Gericht in
seinem Urteil vom 25. Juni 1998 in den Rechtssachen T-371/94 und T-394/94 (British Airways u. a. und
British Midland Airways/Kommission, Slg. 1998, II-2405, Randnr. 81) entschieden.
211.
Nach Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag sind Beihilfen, „die den Wettbewerb verfälschen oder zu
verfälschen drohen“, im übrigen verboten, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten
beeinträchtigen. Bei der Prüfung, ob eine Beihilfe im Sinne dieser Vorschrift vorliegt, ist die
Kommission folglich nicht streng an die Wettbewerbsverhältnisse gebunden, die zum Zeitpunkt des
Erlasses der Entscheidung bestanden. Sie muß eine Würdigung unter Berücksichtigung möglicher
Veränderungen vornehmen und der zu erwartenden Entwicklung des Wettbewerbs und den
Auswirkungen der betreffenden Beihilfe auf diesen Rechnung tragen.
212.
Somit ist nicht zu beanstanden, daß die Kommission Umständen Rechnung getragen hat, die nach
dem Erlaß eines Plans zur Einführung oder Änderung einer Beihilfe eingetreten sind. Daß der
betroffene Mitgliedstaat die geplanten Maßnahmen unter Verstoß gegen seine Verpflichtungen aus
Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag vor Erlaß einer das Prüfungsverfahren abschließenden Entscheidung
durchgeführt hat, ist hierbei ohne Bedeutung.
213.
Das Vorbringen der Kläger, daß eine solche Praxis mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit
unvereinbar sei, ist zurückzuweisen. Zwar soll die Kommission in dem vorgeschalteten
Prüfungsverfahren nach Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag übereine angemessene Frist verfügen, doch
muß sie dabei mit der gebotenen Eile handeln und dem Interesse der Mitgliedstaaten Rechnung
tragen, in den Fällen rasch Klarheit zu erlangen, in denen wegen der von den Mitgliedstaaten
erhofften Wirkungen der beabsichtigten Förderungsmaßnahmen ein dringendes Bedürfnis zum
Eingreifen bestehen kann. Die Kommission muß daher in einer angemessenen Frist Stellung nehmen,
die der Gerichtshof auf zwei Monate festgesetzt hat (Urteil des Gerichtshofes vom 11. Dezember 1973
in der Rechtssache 120/73, Lorenz/Kommission, Slg. 1973, 1471, Randnr. 4; vgl. auch Artikel 4 der
Verordnung [EG] Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die
Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags, ABl. L 83, S. 1). Im übrigen trifft die Kommission die gleiche
allgemeine Pflicht, mit der gebotenen Eile zu handeln, wenn sie die Eröffnung eines kontradiktorischen
Prüfungsverfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag beschließt; ihre Untätigkeit in einem solchen
Fall kann u. U. vom Gemeinschaftsrichter im Rahmen eines Verfahrens nach Artikel 175 EG-Vertrag
(jetzt Artikel 232 EG) mit Sanktionen belegt werden.
214.
Die Frage eines eventuellen Verstoßes gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit stellt sich im
vorliegenden Fall zudem nicht. Die Länge des Zeitraums zwischen dem Erlaß der ersten
Bewilligungsbescheide (März 1991) und dem der angefochtenen Entscheidung (26. Juni 1996) beruht
zum einen darauf, daß die streitigen Maßnahmen nicht vollständig mitgeteilt worden sind, zum
anderen auf den anschließenden Änderungen, die die Kläger an ihren Vorhaben vorgenommen
haben, die wiederum eine Änderung der Bewilligungsbescheide zur Folge hatten, und zum dritten auf
den erheblichen Schwierigkeiten der Kommission, von der deutschen Regierung und den Klägern die
Informationen zu erhalten, die sie für den Erlaß einer Entscheidung brauchte (vgl. Randnrn. 16 bis 42).
215.
Insbesondere aus der Entscheidung Mosel I ergibt sich, daß die Kommission Anfang 1993 zu einer
Entscheidung über sämtliche Investitionsvorhaben von Volkswagen, wie sie ihr ursprünglich mitgeteilt
worden waren, in der Lage war. Auf ein ausdrückliches Ersuchen von Volkswagen vom 31. Januar 1993
beschränkte die Kommission ihre Beurteilungen auf die Beihilfen für Mosel I und Chemnitz I. Erst als die
Kommission 1995 den deutschen Behörden androhte, eine Entscheidung auf der Grundlage der ihr
zur Verfügung stehenden unvollständigen Unterlagen zu erlassen, wurden ihr schließlich die
Informationen mitgeteilt, die sie benötigte. Erst im Laufe des Jahres 1996 war die Kommission
schließlich in der Lage, eine Entscheidung in voller Kenntnis der Sachlage zu erlassen.
216.
In der Zwischenzeit waren die ursprünglichen Vorhaben von den Klägern dreimal umgestaltet und
die Bescheide von 1991 folglich durch die Bescheide von 1993, 1994 und 1996 geändert worden.
Auch wenn die Parteien über den Umfang dieser Änderungen streiten, steht fest, daß sie zumindest
zu einer erheblichen Verkleinerung der Projekte und insbesondere zu einem Aufschub der
Inbetriebnahme der Lackiererei und Endmontage von Mosel II und Chemnitz II um drei bis vier Jahre
geführt haben.
217.
Somit sind die Kläger zu Unrecht der Ansicht, daß die Kommission Pläne, die 1993, 1994 oder 1996
erstellt worden sind, nur anhand der ihr 1991 zur Verfügung stehenden Erkenntnisse habe beurteilen
dürfen. Die Kommission hat im Gegenteil zu Recht die eingetretenen Änderungen in ihre Beurteilung
einbezogen.
218.
Selbst wenn die Kommission die durch die Bescheide von 1991 gewährten Beihilfen zunächst
genehmigt hätte, hätte sie sie zudem nach ihrer Änderung gemäß Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag
erneut prüfen können. Nach dieser Vorschrift wird die Kommission von jeder beabsichtigten
Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen so rechtzeitig unterrichtet, daß sie sich dazu äußern
kann. Selbst wenn es 1991 keine Überkapazitäten im Kraftfahrzeugsektor gegeben haben sollte, hätte
die Kommission somit den von 1993 an aufgetretenen Überkapazitäten grundsätzlich Rechnung
tragen dürfen.
219.
Nach alledem sind die Argumente der Kläger zur Notwendigkeit einer ex-ante-Betrachtung und zur
Unanwendbarkeit des Gemeinschaftsrahmens insgesamt zurückzuweisen.
b) Zur Qualifizierung der Lackiererei und Endmontage von Mosel II und Chemnitz II als
„Erweiterungsinvestition“
Vorbringen der Parteien
220.
Nach Ansicht des Freistaats Sachsen hat die Kommission mit ihrer Unterscheidung zwischen
Erweiterungsinvestitionen und Neuinvestitionen, die in dem Gemeinschaftsrahmen nicht vorkomme,
gegen den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts verstoßen (vgl. Urteile des Gerichtshofes
vom 22. Mai 1990 in der Rechtssache Parlament/Rat, Randnrn. 21 und 22, und vom 2. März 1994 in
der Rechtssache C-316/91, Parlament/Rat, Slg. 1994, I-625, Randnrn. 11 ff.). Nach Artikel 94 EG-
Vertrag (jetzt Artikel 89 EG) sei nämlich der Rat für den Erlaß aller zweckdienlichen
Durchführungsverordnungen zu den Artikeln 92 und 93 EG-Vertrag zuständig.
221.
Nach Ansicht der Kläger sind die Lackiererei und die Endmontage von Mosel II sowie das Werk
Chemnitz II zu Unrecht als „Erweiterungsinvestitionen“ eingestuft worden. Wären sie als „Investitionen
auf der grünen Wiese“ eingestuft worden wie der Rohbau und die Presse von Mosel II, wäre die
Gesamtheit der streitigen Investitionszuschüsse als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt
worden.
222.
Zum einen könne nur die Vergrößerung eines bestehenden Werkes als „Erweiterungsinvestition“
eingestuft werden. Im vorliegenden Fall sei Mosel II auf Ackerland gebaut worden, und die Gebäude
und Einrichtungen seien vollständig neu, von Mosel I räumlich getrennt und von einer anderen
Gesellschaft als der gebaut worden, die das letztgenannte Werk errichtet habe. Zudem habe das
Werk Mosel I mit der Inbetriebnahme aller Werksteile von Mosel II geschlossen werden sollen. Im
Verwaltungsverfahren und in der angefochtenen Entscheidung selbsthabe die Kommission sich stets
auf die „neuen Werke“ oder die „Neuinvestitionsprojekte“ der Kläger bezogen. Mosel II müsse daher
als Investition auf der grünen Wiese angesehen werden. Gleiches gelte für Chemnitz II.
223.
Zum anderen genügten Mosel II und Chemnitz II auch der Definition der Investition „auf der grünen
Wiese“ in Abschnitt XII, achter Absatz, der angefochtenen Entscheidung. Die Kommission habe zu
Unrecht zwischen Rohbau und Preßwerk von Mosel II einerseits und der Lackiererei und Endmontage
von Mosel II und dem Werk Chemnitz II andererseits unterschieden, obwohl das Vorhaben insgesamt
eine Investition auf der grünen Wiese darstelle.
224.
Mosel II und Chemnitz II seien ein einheitliches Vorhaben, das in verschiedenen Bauabschnitten
realisiert worden sei. Die Grundkonzeption, nämlich Errichtung eines Fahrzeugwerks mit vier
Fertigungsbereichen (Preßwerk, Rohbau, Lackiererei und Endmontage) und mit nahegelegenem
Motorenwerk, sei trotz der zeitlichen Streckung, der geringeren Investitionssumme, der geringeren
Kapazität und der geringeren Beihilfenhöhe gegenüber dem ursprünglichen Vorhaben von 1991 nicht
geändert worden.
225.
Die Produktionshallen seien wie geplant gebaut worden. Der Rohbau und das Preßwerk von Mosel II
seien wie vorgesehen 1992 bzw. 1994 fertiggestellt worden. Nur die Inbetriebnahme der Endmontage
sei von 1994 auf 1996 und die der Lackiererei von 1994 auf 1997 verschoben worden. Lediglich das
Logistikzentrum, das jedoch keinen Fertigungsbereich des Werkes darstelle, sei nicht wie vorgesehen
von Volkswagen auf dem Gelände von Mosel II gebaut worden, sondern einige Kilometer vom Werk
entfernt durch ein Drittunternehmen.
226.
Im Werk Mosel II sei eine neuere Technologie als ursprünglich geplant verwendet worden. Die
Produktion sei vereinfacht und rationalisiert und die Produktivität gesteigert worden, insbesondere
durch den Rückgriff auf qualifizierte Zulieferer in räumlicher Nähe sowie die Ausgliederung bestimmter
Dienstleistungen. Das Investitionsvorhaben sei dadurch jedoch nicht in seinem Inhalt verändert,
sondern lediglich dem technischen Fortschritt angepaßt worden.
227.
Die Zwischenlösung, daß der fertiggestellte Teil von Mosel II Rohkarossen an Mosel I liefere,
berechtige nicht zu dem Schluß, daß Mosel II keine Investition auf der grünen Wiese sei. Die
Kommission vertrete zu Unrecht die Ansicht, daß mit dieser Lösung 1994 ein „vollständig
funktionsfähiges“ Werk zur Verfügung gestanden habe, das aus der Endmontage und Lackiererei von
Mosel I und Rohbau und Preßwerk von Mosel II bestanden habe.
228.
Mosel I und Mosel II seien nie als integriertes Fahrzeugwerk geplant und gebaut worden. Zwischen
beiden Werken beständen erhebliche technische Unterschiede, so daß eine dauerhafte Einbeziehung
von Mosel I in den Fertigungsablauf von Mosel II wirtschaftlich unsinnig gewesen wäre.
229.
Der Kommission sei durchaus bekannt gewesen, daß Mosel I nur eine Übergangslösung gewesen
sei und habe geschlossen werden sollen. Die Kläger verweisen auf Abschnitt IX, neunter Absatz, der
Entscheidung Mosel I, wo es heiße: „Hinter dieser Übergangslösung stand die Überlegung, daß bis zur
Fertigstellung des neuen Werks Mosel II auf jeden Fall ein Facharbeiterstamm am Ort erhalten und
herangebildet werden müsse ...“
230.
Entsprechend dieser Übergangslösung sei die Fahrzeugfertigung in Mosel I am 23. Dezember 1996
eingestellt und die Lackiererei im März 1997 geschlossen worden. Die Fertigung des Passat B 5 sei in
Mosel II im Oktober 1996 angelaufen. Lediglich ein geringer Teil der Gebäude von Mosel I werde noch
für die Finish-Behandlung und zur Zwischenlagerung von konzernintern angelieferten Fahrzeugteilen
genutzt. Eine Einbindung von Mosel I in Mosel II sei nicht vorgesehen.
231.
Eine Fortführung der Anlagen in Mosel I nach der Fertigstellung von Mosel II oder deren
Wiederinbetriebnahme sei im übrigen aus technischen und wirtschaftlichen Gründen ausgeschlossen.
232.
Im übrigen habe die Kommission den Sachverhalt falsch dargestellt, da sie behaupte, daß die VW-
Unternehmen in Sachsen seit 1994 rentabel seien (Abschnitt XII, neunter Absatz, der angefochtenen
Entscheidung). Volkswagen habe im Gegenteil an VW Sachsen 367 Millionen DM zum Ausgleich der
Verluste von 1994 bis 1996 überwiesen. Der Kommission seien diese Tatsachen und Zahlen bekannt
gewesen. Außerdem gebe es keinen Zusammenhang zwischen Produktivität und Grad der Auslastung
eines Werkes auf der einen Seite und dessen Rentabilität auf der anderen Seite. Jedenfalls habe die
angebliche Rentabilität der Anlagen von Mosel 1994 im Verwaltungsverfahren keine Rolle gespielt, und
weder die Kläger noch die Bundesrepublik Deutschland hätten Gelegenheit gehabt, sich hierzu zu
äußern.
233.
Ohne Bedeutung sei, daß die Kläger bereits seit 1996 bestimmte für eine Investition auf der grünen
Wiese typische Nachteile beseitigt hätten. Der Aufwand sei von Volkswagen auf eigene Kosten und im
Hinblick auf die Neuinvestition in Mosel II zum Aufbau der Infrastruktur, Logistik und Zulieferstruktur
betrieben worden. Die ursprünglichen Nachteile seien in der Entscheidung Mosel I nicht berücksichtigt
worden, so daß die Kommission in der angefochtenen Entscheidung sämtliche mit den Investitionen in
Mosel II verbundenen Nachteile hätte berücksichtigen müssen.
234.
Was die Ausbildung der Arbeitnehmerschaft von Mosel I für ihren Einsatz in Mosel II angehe, so
weise die in Mosel I angewandte herkömmliche Lackiertechnik (auf Lösungsmittelbasis) erhebliche
Unterschiede zu der in Mosel II angewandten Technik (auf Wasserbasis) auf. Gleiches gelte für die
Endmontage. Die hochkomplizierte Anlagentechnologie und computerisierte Steuerungstechnik von
Mosel II erforderten eine besondere Beherrschung der Maschinen, die von dem in Mosel I eingesetzten
Know-how sehr verschieden sei.
235.
Während es 1990 keine Zulieferer in der Nähe des Werkes gegeben habe, die den Anforderungen
von Volkswagen entsprochen hätten, seien 1994 aufgrund der Bemühungen von Volkswagen im
Hinblick auf Mosel II bereits acht „Just-in-time“-Lieferanten angesiedelt gewesen, und Ende 1997 habe
es elf solcher Lieferanten für dreizehn Modul-Baugruppen gegeben. Diese Zulieferer hätten sich in der
Nähe von Mosel und Chemnitz jedoch nicht wegen der Aufrechterhaltung der Übergangslösung Mosel I
und Chemnitz I, sondern ausschließlich im Hinblick auf die ihnen durch Mosel II und Chemnitz II
eröffnete längerfristige Perspektive angesiedelt.
236.
Die Kommission macht geltend, entscheidend für die Einstufung der Lackiererei und der
Endmontage in Mosel II sei die Entscheidung von Volkswagen im Jahr 1993 gewesen, das Vorhaben
Mosel II in vier verschiedene Teilprojekte zu zerlegen, deren Bau und Inbetriebnahme zeitlich weit
auseinandergefallen seien. Die Betriebskostennachteile seien für jeden dieser Teile individuell vom
Zeitpunkt der Inbetriebnahme an zu berücksichtigen.
237.
Volkswagen habe in Mosel seit Juli 1992, dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme des Rohbaus Mosel II,
über ein funktionsfähiges Fahrzeugwerk verfügt, da das Vorhandensein einer betriebsfähigen Presse
vor Ort nicht unbedingt erforderlich sei. Jedenfalls habe Volkswagen spätestens von 1994 an
Kraftfahrzeuge mittels zugelieferter Bauteile mit Hilfe der Betriebsteile Presse (Inbetriebnahme 1994)
und Rohbau (Inbetriebnahme Juli 1992) von Mosel II bearbeiten und in der Lackiererei und
Endmontage von Mosel I, die sich nahebei auf demselben Werksgelände befunden hätten,
fertigstellen können.
Würdigung durch Gericht
238.
Die Prüfung der Vereinbarkeit der streitigen Beihilfen mit dem Gemeinsamen Markt entsprechend
dem Gemeinschaftsrahmen bestand im wesentlichen in der Ermittlung der zusätzlichen Nettokosten
für eine Ansiedlung an dem gewählten Standort im Vergleich zu der Errichtung eines Werkes in einem
zentralen, nicht benachteiligten Gebiet der Gemeinschaft.
239.
Bei der Berechnung der Betriebskosten unterscheidet die Kommission zwischen sogenannten
„Investitionen auf der grünen Wiese“, bei denen sie die zusätzlichen Kosten für einen Zeitraum von
fünf Jahren berücksichtigt, und sogenannten „Erweiterungsinvestitionen“, bei denen sie die
zusätzlichen Betriebskosten nur für einen Zeitraum von drei Jahren berücksichtigt.
240.
In Abschnitt XII, achter Absatz, der angefochtenen Entscheidung heißt es:
„Dabei ist mit dem Ausdruck .Projekt auf der grünen Wiese' nicht nur einfach gemeint, daß sich das
Werk tatsächlich auf einer grünen Wiese befindet, sondern daß aus der Sicht des investierenden
Unternehmens der Standort ein neuer, nochnicht entwickelter ist. Daher steht das Unternehmen vor
den folgenden typischen außergewöhnlichen Problemen im Vergleich zu einer Erweiterung eines
bestehenden Werkes: Fehlen einer adäquaten Infrastruktur, Fehlen einer organisierten Logistik, keine
für die konkreten Zwecke des jeweiligen Unternehmens geschulte Arbeiterschaft und keine
aufgebaute Zulieferstruktur. Sollten jedoch diese Dienste von einem Werk der gleichen Gruppe in der
Nähe übernommen werden können, dann wird das Projekt als Erweiterung angesehen, sogar dann,
wenn es tatsächlich auf der grünen Wiese steht. Diese Gemeinschaftsdefinition unterscheidet sich
vom Konzept der Neuinvestitionen, welches durch nationales Recht bestimmt sein kann. Da bei einem
so definiertem Projekt auf der grünen Wiese größere Probleme entstehen und die Zeitspanne zur
Erreichung der vollen Kapazität und somit der Rentabilität um einiges länger ist, kann es
gerechtfertigt werden, daß die Betriebskostennachteile für eine längere Zeitspanne berechnet
werden.“
241.
Im Gegensatz zur Auffassung des Freistaats Sachsen hat die Kommission mit dieser Unterscheidung
nicht gegen den Grundsatz des institutionellen Gleichgewichts verstoßen. Die dem Rat in Artikel 94
EG-Vertrag eingeräumte Befugnis, alle zweckdienlichen Verordnungen zu den Artikeln 92 und 93 EG-
Vertrag zu erlassen, wird nicht in Frage gestellt, wenn die Kommission bei der Ausübung des weiten
Ermessens, über das sie bei der Anwendung dieser Bestimmungen verfügt, feststehende operationale
Kriterien anwendet, wie sie der Unterscheidung zwischen Investitionen auf der grünen Wiese und
Erweiterungsinvestitionen zugrunde liegen.
242.
Im vorliegenden Fall hat die Kommission Rohbau und Presse von Mosel II als Investitionen auf der
grünen Wiese angesehen. Sie hat daher in ihrer Kosten-Nutzen-Analyse deren Betriebskosten für
einen Zeitraum von fünf Jahren, und zwar von 1993 bis 1997 (Rohbau) und von 1994 bis 1998 (Presse)
berücksichtigt. Dagegen hat sie die Lackiererei und Endmontage von Mosel II und das Werk Chemnitz II
als Erweiterungsinvestitionen eingestuft, so daß deren Betriebskosten für einen Zeitraum von drei
Jahren, d. h. von 1997 bis 1999, berücksichtigt worden sind.
243.
Dazu hat die Kommission in Abschnitt XII, neunter und zehnter Absatz, der angefochtenen
Entscheidung ausgeführt:
„Im vorliegenden Fall hatte die Kommission zu berücksichtigen, daß die verschiedenen Werksteile des
Investitionsprojekts in Mosel zu unterschiedlichen Zeitpunkten in Betrieb genommen werden. Die mit
den verschiedenen Teilprojekten verbundenen Anlaufschwierigkeiten werden daher ebenfalls zu
unterschiedlichen Zeiten auftreten. Außerdem berücksichtigte die Kommission, daß sich die Art des
Projektes aufgrund der Verzögerung bei der Durchführung ebenfalls geändert hat. Mit Einrichtung der
Presse und des Rohbaus und deren Anbindung an das alte Werk Mosel I war in Mosel bereits 1994 ein
vollständig funktionsfähiges Fahrzeugwerk errichtet worden. Dies wird auch durch die Rentabilität der
VW-Unternehmen in Sachsen seit 1994 deutlich.
Die zukünftigen Investitionen für eine neue Lackiererei und Endmontage in Mosel II stellen daher keine
Investition auf der grünen Wiese dar, sondern die Erweiterung bestehender Kapazitäten. Da eine
Zulieferstruktur bereits besteht ..., die Infrastruktur bereits geschaffen wurde und die Mehrzahl der
Beschäftigten von Mosel I übernommen wird, ergeben sich die für ein Projekt auf der grünen Wiese
typischen Nachteile nur in wesentlich geringerem Maß. Dies gilt auch für das Motorenwerk Chemnitz II.
Wie in anderen Fällen einer Kapazitätserweiterung erfolgt die Produktionsausweitung in diesen
Werken sehr schnell. Während die deutschen Behörden und VW ursprünglich eine Analyse des
Zeitraums 1998-2002 für alle Projekte in Mosel und Chemnitz vorschlugen, hat die Kommission für die
Projekte auf der grünen Wiese die Betriebsnachteile für die Zeiträume von fünf Jahren, 1993-1997
(Rohbau) und 1994-1998 (Presse), und für die Erweiterungen für die Zeiträume von drei Jahren, 1997-
1999 (Lackiererei, Endmontage, Chemnitz II), untersucht. Dabei wurde auch berücksichtigt, daß die
Presse und der Rohbau in der gleichen Zeit (1997-1999) von einer Kapazität von 432 Autos/Tag auf
750 Autos/Tag erweitert werden, um die neue Lackiererei und Endmontage in Mosel II vollwertig zu
beliefern. Daher wurden zusätzliche, der Erweiterung zuzurechnende Betriebskostennachteile für
diesen Zeitraum (1997-1999) in der Analyse berücksichtigt.“
244.
Wie bereits ausgeführt, verfügt die Kommission bei der Frage, ob die Lackiererei und Endmontage
von Mosel II und das Werk Chemnitz II als Erweiterungsinvestitionen oder als Investitionen auf der
grünen Wiese anzusehen sind, im Rahmen des Artikels 92 Absatz 3 EG-Vertrag über ein weites
Ermessen. Das Gericht muß seine Kontrolle daher auf die Überprüfung beschränken, ob die für die
angefochtene Qualifizierung herangezogenen Tatsachen sachlich richtig sind und kein offensichtlicher
Fehler bei der Bewertung dieser Tatsachen vorliegt (vgl. Urteil Matra/Kommission, Randnrn. 23 bis 28).
245.
Die Einstufung einer Investition als Erweiterungsinvestition oder aber als Investition auf der grünen
Wiese ist gemeinschaftsrechtlich unabhängig von der Einstufung nach dem Bilanz- oder Steuerrecht
des Mitgliedstaats vorzunehmen, zu dem das begünstigte Unternehmen gehört (vgl. entsprechend
Urteil des Gerichts vom 8. Juni 1995 in der Rechtssache T-459/93, Siemens/Kommission, Slg. 1995, II-
1675, Randnr. 76).
246.
Hierbei ist nicht erwiesen, daß die Auffassung der Kommission offensichtlich unrichtig ist. Die
Anrechnung von Betriebskostennachteilen beginnt nach Auffassung der Kommission mit der
Inbetriebnahme eines neuen Werkes oder, bei zeitlich gestaffelter Inbetriebnahme unterschiedlicher
Fertigungsbereiche, für jeden Betriebsteil mit dem Zeitpunkt seiner Inbetriebnahme. Jeder Betriebsteil
ist somit getrennt zu bewerten, um dem Stand des Ausbaus des Standorts zum Zeitpunkt seiner
Inbetriebnahme Rechnung tragen zu können. Dies entspricht der Regel, daß Ausnahmen von dem in
Artikel 92 Absatz 1 EG-Vertrag niedergelegten Grundsatz der Unzulässigkeit staatlicher Beihilfen eng
auszulegen sind.
247.
Im vorliegenden Fall haben die Kläger entgegen ihren ursprünglichen Plänen die vier
Fertigungsbereiche von Mosel II zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen 1992 und 1997 in Betrieb
genommen. Unter diesen Umständen genügen die Argumente der Kläger nicht, um die
Schlußfolgerung der Kommission zu entkräften, daß die Lackiererei und Endmontage von Mosel II und
das Werk Chemnitz II nicht als Investitionen auf der grünen Wiese eingestuft werden könnten, da es
spätestens von 1994 an in Mosel ein vollständig funktionsfähiges Fahrzeugwerk, bestehend aus der
Lackiererei und der Endmontage von Mosel I (die von den Klägern mit einem Investitionsaufwand von
mehr als 414 Millionen DM modernisiert und in der Entscheidung Mosel I als ein „hochmoderner
Lackier- und Montagebetrieb“ beschrieben werden), dem Rohbau und der Presse von Mosel II
(Inbetriebnahme im Juli 1992 bzw. im März 1994) und dem Werk Chemnitz I gegeben habe. Nach dem
unwidersprochenen Hinweis der Kommission betrug die Produktionskapazität dieser Gesamtanlage
von 1992 an jährlich 100 656 Fahrzeuge; 1992 wurden 34 000 Fahrzeuge des neuen Modells Golf A 3
hergestellt, und 1993 waren es 71 800, 1994 90 100 und 1995 100 100 Fahrzeuge.
248.
Zwar haben die Kläger geltend gemacht, die Investitonen in Mosel II und Chemnitz II bildeten eine
Einheit; die Kombination von Mosel I/Chemnitz I mit dem ersten Teil von Mosel II sei nur eine
Übergangslösung gewesen. Festzustellen ist aber, daß der Volkswagen-Konzern erhebliche Beihilfen in
Höhe von 487,3 Millionen DM für Mosel I und 84,8 Millionen DM für Chemnitz I erhalten hat (vgl.
Entscheidung Mosel I). Dank dieser Beihilfen verfügte er spätestens von 1994 an über ein vollständig
funktionsfähiges Fahrzeugwerk und konnte von diesem Zeitpunkt an die Produktion aufnehmen.
Wären die Beihilfen nicht gewährt worden, wären sämtliche Projekte in Mosel II und Chemnitz II als
Investitionen auf der grünen Wiese eingestuft worden, andererseits hätte aber das neue Werk nicht
so schnell in Betrieb genommen werden können und die Investitionen hierfür wären kostspieliger
gewesen, da jedenfalls die Infrastruktur, die Logistik, die Belegschaft und das Zuliefernetz erst hätten
aufgebaut werden müssen. Die Auffassung der Kläger würde schließlich, wenn man ihr folgte, darauf
hinauslaufen, daß der Volkswagen-Konzern die Regelung für Investitionen auf der grünen Wiese für
das gleiche Projekt, den Bau eines Fahrzeugwerks, zweimal in Anspruch nehmen könnte.
249.
Zudem dienen Investitionen, wie die Kommission ausgeführt hat, in erster Linie nicht dem Empfang
staatlicher Beihilfen, sondern der Erzielung künftiger Gewinne. Ein Investor, dem es gelingt, bestimmte
Investitonsnachteile schneller zu beseitigen, indem er die Inbetriebnahme bestimmter Teile seines
Projekts vorzieht, sollte sich durch eine Kürzung der Beihilfen, die er in Anspruch nehmen könnte, nicht
„bestraft“ fühlen, da seine infrastrukturellen Betriebskosten sich verringern und seine
Produktionsbedingungen sich verbessern.
250.
Die Kommission hat somit keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie die
Lackiererei und Endmontage von Mosel II sowie Chemnitz II als„Erweiterung eines bestehenden
Werkes“ eingestuft hat. Somit ist die Ansicht unzutreffend, daß diese Fertigungsbereiche von Mosel II
und das Werk Chemnitz II „auf der grünen Wiese“ errichtet worden seien. Der Volkswagen-Konzern
hatte vielmehr, wie die Kommission vorgetragen hat, bereits 1996 bestimmte Nachteile beseitigt, die
für eine Investition auf der grünen Wiese in dem in der angefochtenen Entscheidung verwendeten
Sinn typisch sind.
251.
Insbesondere verfügte der Konzern, wie sich aus den Akten ergibt, von 1994 an, spätestens aber
1997 über eine angemessene Infrastruktur, eine organisierte Logistik, eine für seine Zwecke
geschulte Arbeitnehmerschaft und eine feste Zulieferstruktur.
252.
Daß die Belegschaft von Mosel I, die nach Mosel II gewechselt hat, d. h. etwa 1 330 Arbeitnehmer,
eine gewisse Schulung hat erhalten müssen, bevor sie bei den neuen Modellen unter Anwendung der
neuen Produktionstechnologien eingesetzt werden konnte, bedeutet, wie die Kommission ausgeführt
hat, nicht, daß diese Arbeitnehmer ungelernt im Sinne der Definition der Investition auf der grünen
Wiese gewesen wären.
253.
Was die Zulieferer betrifft, so hat es nach der Anlage B 4 zur Klageschrift in der Rechtssache T-
143/96 Ende 1995 in Mosel 129 Teilelieferanten (davon acht mit „Just-in-time-Anlieferung“) und 267
Zulieferer im Bau-, Ausrüstungs- und Dienstleistungsgewerbe gegeben, die zusammen etwa 22 000
Arbeitnehmer beschäftigten. Nach demselben Schriftstück ist die Zahl der örtlichen Zulieferer von Null
im Jahr 1990 auf 87 im Juni 1993 gestiegen. Nach dem unwidersprochenen Hinweis der Kommission
entspricht dies einem Anteil der örtlichen Zulieferer von 30 %, was weit über dem Durchschnitt der
europäischen Kraftfahrzeugindustrie liegt.
254.
Die bisherigen Erwägungen können nicht durch die Behauptung in Frage gestellt werden, die
Kommission habe in tatsächlicher Hinsicht die Rentabilität der Volkswagen-Werke in Sachsen seit
1994 falsch eingeschätzt. Zum einen ist eine solche Fehleinschätzung nicht bewiesen, da diese Werke
nach der in der Anlage zur Gegenerwiderung in der Rechtssache T-143/96 vorgelegten
Betriebsrechnung ein positives Betriebsergebnis von 49,4 Millionen DM für 1994, 170 Millionen DM für
1995 und 209 Millionen DM für 1996 erzielt haben. Zum anderen hat die Kommission zu Recht darauf
hingewiesen, daß die Rentabilität eines neuen Fahrzeugwerks nur ein Indiz unter anderen darstellt,
um zu entscheiden, ob dieses Werk als eine Investition auf der grünen Wiese oder als eine
Erweiterungsinvestition anzusehen ist. In der angefochtenen Entscheidung wird die Rentabilität der
Volkswagen-Werke in Sachsen nur zur Bestätigung dessen herangezogen, daß Mosel I und die Presse
und der Rohbau von Mosel II von 1994 an ein vollständig funktionsfähiges Fahrzeugwerk bildeten.
255.
Im übrigen ist die Frage, ob die Anlagen von Mosel I nach der Vollendung von Mosel II in Betrieb
bleiben, für die vorliegende Untersuchung ohne Bedeutung.
256.
Zum Werk Chemnitz II haben die Kläger kein konkretes Argument vorgetragen, das die Auffassung
der Kommission, daß es sich bei Chemnitz I um eine Erweiterungsinvestition handele, in Frage stellen
könnte. Die Kommission hat darauf hingewiesen, daß die Verlagerung der Produktion einzelner
Motorteile von Chemnitz I nach Chemnitz II schrittweise zwischen 1996 und 1998 stattgefunden habe,
so daß die beiden Werke nebeneinander jeweils wesentliche Motorbestandteile produziert hätten (vgl.
Anlage B 10 zur Klageschrift in der Rechtssache T-143/96).
257.
Nach alledem sind die Argumente der Kläger gegen die Einstufung der Lackiererei und Endmontage
von Mosel II und von Chemnitz II als „Erweiterungsinvestitionen“ zurückzuweisen.
c) Zur Kosten-Nutzen-Berechnung der Investition
Vorbringen der Parteien
258.
Die Kläger machen geltend, die Kosten-Nutzen-Analyse der Investition sei anhand unvollständiger
Unterlagen durchgeführt und unzureichend und/oder fehlerhaft begründet worden.
259.
Zum einen habe die Kommission bestimmte, wesentliche Unterlagen nicht berücksichtigt. Sie habe
nämlich dem externen Sachverständigen, den sie mit der Durchführung dieser Analyse betraut habe,
Herrn Sterk, nur die von Volkswagen im Januar 1996 vorgelegten Unterlagen überreicht. Diese
Unterlagen seien aber nur eine Ergänzung der von Volkswagen im Mai 1993 und im Mai 1994
vorgelegten Unterlagen gewesen. Die Unterlagen von 1996 seien daher unvollständig gewesen und
hätten den Sachverständigen irreführen können.
260.
Bei einem Treffen am 29. Mai 1996 habe Volkswagen erfahren, daß dem Sachverständigen die
Unterlagen von 1993 und 1994 nicht vorgelegen hätten; daraufhin habe sie diese unmittelbar an den
Sachverständigen gesandt. Angesichts der Kürze der Zeit zwischen der Übersendung der Unterlagen
und dem Erlaß der angefochtenen Entscheidung am 26. Juni 1996 sowie ausweislich der Entscheidung
selbst sei jedoch davon auszugehen, daß der Sachverständige sich nicht mit den Unterlagen habe
auseinandersetzen können.
261.
Aus dem mit der Klagebeantwortung vorgelegten Gutachten ergebe sich, daß der Sachverständige
nicht die Zeit gehabt habe, sich gründlich mit den in den Punkten 6.1.1, 6.1.3 und 6.5.2 bis 6.5.7 des
Gutachtens beschriebenen Nachteilen, insbesondere mit dem Zuschuß für die Straßenerschließung,
zu beschäftigen.
262.
Zum anderen sei die Kosten-Nutzen-Berechnung in Abschnitt XII, fünfter, sechster, siebter, elfter,
zwölfter und dreizehnter Absatz der angefochtenen Entscheidung nicht nachvollziehbar, so daß die
angefochtene Entscheidung gegen Artikel 190 EG-Vertrag verstoße.
263.
Selbst wenn die Kommission in der angefochtenen Entscheidung nicht jeden Einzelposten innerhalb
der Berechnung der Investitions- und Betriebskostennachteile habe aufschlüsseln müssen, hätten die
wichtigsten Positionen doch wenigstens in groben Zügen aufgeführt und beziffert werden müssen,
zumal die für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärten Beihilfen sehr hoch seien.
264.
Zum dritten lasse sich der angefochtenen Entscheidung nicht entnehmen, welche von Volkswagen
angegebenen Zusatzkosten nicht berücksichtigt worden seien. So seien die Kosten, die sich ergäben,
wenn auch die Arbeitnehmer von VW Sachsen binnen kurzer Frist nicht mehr nach dem sächsischen
Metalltarifvertrag, sondern nach dem Haustarif von Volkswagen zu entlohnen wären, auf 161,6
Millionen DM veranschlagt worden. Dieses Risiko stelle einen wesentlichen Gesichtspunkt dar, den die
Kommission vollständig außer acht gelassen oder zu Unrecht zurückgewiesen habe, ohne in der
angefochtenen Entscheidung hierauf auch nur mit einer Silbe einzugehen. Die nun in der
Klagebeantwortung vorgetragene Begründung sei verspätet.
265.
Die Kommission habe in Abschnitt XII, vierzehnter Absatz, der angefochtenen Entscheidung
fälschlicherweise als Tatsache behauptet, daß Volkswagen im Verwaltungsverfahren ihre vorläufige
Berechnung der Kosten-Nutzen-Analyse akzeptiert habe.
266.
In der Erwiderung tragen die Kläger vor, sie seien anhand der Klagebeantwortung in der Lage, die
Kosten-Nutzen-Analyse der Kommission nachzuvollziehen. Dies sei jedoch ohne Bedeutung für die
Frage, ob die angefochtene Entscheidung selbst hinreichend begründet sei. Dies sei nicht der Fall, da
die Kosten-Nutzen-Analyse der angefochtenen Entscheidung nicht beigefügt gewesen sei. Die
Geschäftsgeheimnisse in dieser Analyse seien solche der Kläger gewesen; somit hätte es genügt,
wenn die Kommission ihnen die Analyse als Bestandteil der Entscheidung übermittelt hätte.
267.
Die Kommission verweist darauf, daß sie die Firma Plant Location International, eine
Tochtergesellschaft der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Price Waterhouse, mit der Erstellung des
Entwurfs einer Kosten-Nutzen-Analyse betraut habe. Dieser Entwurf sei von den zuständigen
Dienststellen der Kommission geprüft und, soweit notwendig, korrigiert worden. Volkswagen habe mit
Herrn Sterk, der zuletzt in dieser Sache für Plant Location International mehrere Monate vor Erlaß der
angefochtenen Entscheidung tätig gewesen sei, insbesondere bei den Besprechungen am 11. April
und 29. Mai 1996 Kontakt gehabt. Die derKommission Herrn Sterk überreichte Dokumentation von
1996 habe alle einschlägigen Informationen enthalten. Herr Sterk habe das Vorhaben aufgrund
seiner monatelangen Analyse der Verhältnisse und in allen Einzelheiten gekannt. Es sei ihm daher
möglich gewesen, die ihm von Volkswagen übersandten Unterlagen von 1993 und 1994 rasch und
umfassend zu prüfen.
Würdigung durch das Gericht
268.
Zu der Rüge, daß die Kosten-Nutzen-Berechnung in der angefochtenen Entscheidung nicht
nachvollziehbar und damit die Begründung mangelhaft sei, ist festzustellen, daß nach ständiger
Rechtsprechung die Begründung eines Rechtsakts insbesondere unter Berücksichtigung des
Interesses zu beurteilen ist, das der Adressat oder andere betroffene Personen an Erläuterungen
haben können, insbesondere wenn sie bei der Ausarbeitung des angefochtenen Rechtsakts eine
aktive Rolle gespielt und die tatsächlichen und rechtlichen Gründe gekannt haben, die die Kommission
zum Erlaß ihrer Entscheidung veranlaßt haben (vgl. z. B. Urteil des Gerichts vom 7. Juli 1999 in der
Rechtssache T-106/96, Wirtschaftsvereinigung Stahl/Kommission, Slg. 1999, II-0000, Randnr. 172).
Zudem braucht die Kommission in der Begründung einer Entscheidung nicht auf alle tatsächlichen
oder rechtlichen Gesichtspunkte einzugehen, die von den Beteiligten vorgetragen worden sind, sofern
sie alle maßgeblichen Umstände und Faktoren des Einzelfalls berücksichtigt (vgl. Urteil British Airways
u. a. und British Midland Airways/Kommission, Randnr. 93).
269.
Wie sich aus den Akten ergibt, waren die Kläger im vorliegenden Fall eng an dem
Verwaltungsverfahren beteiligt, das zum Erlaß der angefochtenen Entscheidung geführt hat.
Insbesondere haben sie nicht bestritten, daß die verschiedenen Entwürfe einer Kosten-Nutzen-
Analyse, die die Kommission seit 1992 angefertigt hatte, ihnen übermittelt und mit ihren Vertretern
und denen der deutschen Regierung u. a. in den Sitzungen vom 11. April und 29. Mai 1996 Punkt für
Punkt durchgesprochen worden sind (vgl. die Protokolle dieser Sitzungen, Anlagen B 9 und B 12 zur
Klagebeantwortung in der Rechtssache T-143/96). Zudem entspricht die endgültige Kosten-Nutzen-
Analyse, auf die sich die angefochtene Entscheidung gründet, im wesentlichen den Entwürfen, die in
diesen Sitzungen geprüft worden sind; die darin vorgenommenen Änderungen wirken sich nur
zugunsten der Kläger aus.
270.
Damit verstößt es nicht gegen die Begründungspflicht des Artikels 190 EG-Vertrag, wenn in der
angefochtenen Entscheidung die in der Kosten-Nutzen-Analyse einzeln aufgeführten Zahlen nicht
wiedergegeben werden und diese Analyse der angefochtenen Entscheidung nicht beigefügt ist.
271.
Im übrigen haben die Kläger nicht dargetan, daß der Sachverständige der Kommission nicht in der
Lage gewesen ist, sich zu den ihm Ende Mai und Anfang Juni 1996 übermittelten Unterlagen zu
äußern. Der Sachverständigenbericht (Anlage 13 zur Klagebeantwortung in der Rechtssache T-
143/96) enthält vielmehrden Vermerk „January 22, 1996, revised June, 1996“. Wie die Kommission zu
Recht festgestellt hat, bedeutet der Umstand, daß einige der übermittelten Daten nicht als
Investitions- bzw. Betriebskostennachteile anerkannt worden sind, nicht, daß diese Daten nicht
geprüft worden wären. Das gilt namentlich für den Antrag der örtlichen Behörden auf Rückzahlung des
den Klägern 1994 gewährten Baukostenzuschusses für die Straßenerschließung. Die Ansicht der
Kläger hierzu wird von dem Sachverständigen in Nummer 6.1.1 des Berichts erörtert und
zurückgewiesen.
272.
Die Rüge der Kläger, in der angefochtenen Entscheidung sei nicht angegeben, welche
Zusatzkosten nicht berücksichtigt worden seien, fällt unter die Rüge der mangelhaften Begründung
und ist aus den bereits genannten Gründen zurückzuweisen. Bei den Kosten von 161,6 Millionen DM,
die sich aus der künftigen Anwendung des Haustarifvertrags von Volkswagen auf die Arbeitnehmer
von Mosel ergeben könnten, handelt es sich, wie die Kommission zu Recht festgestellt hat, um ein
hypothetisches Risiko, dessen Verwirklichung sich zum Zeitpunkt der angefochtenen Entscheidung
noch nicht hat beurteilen lassen und das daher bei der Kosten-Nutzen-Analyse nicht hat
berücksichtigt werden können.
273.
Auch aus dem Protokoll der Sitzung vom 29. Mai 1996 (Anlage 12 zur Klagebeantwortung in der
Rechtssache T-143/96, S. 3) ergibt sich, daß Volkswagen die Analyse der Kommission zur Berechnung
der Betriebskosten als vernünftig und akzeptabel anerkannt hat.
274.
Somit ist das Vorbringen der Kläger zur Kosten-Nutzen-Berechnung der Investition zurückzuweisen.
d) Zu den Beihilfezuschlägen
Vorbringen der Parteien
275.
Die Kläger machen geltend, die Kommission habe einen Fehler begangen, indem sie die Möglichkeit
von Beihilfezuschlägen („top-up“) über den bloßen Ausgleich der regionalen Nachteile hinaus mit der
Begründung abgelehnt habe, daß dadurch Probleme der Überkapazität im Kraftfahrzeugsektor
entständen.
276.
Die Kommission habe sich mit dem im Rahmen des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c EG-Vertrag
wirklich entscheidenden Punkt, nämlich Anreize für die Ansiedlung in einem benachteiligten Gebiet zu
schaffen, nicht auseinandergesetzt. Im vorliegenden Fall hätten nur Beihilfezuschläge Investoren dazu
bewegen können, sich in Mosel und Chemnitz niederzulassen. Die Kommission habe auch nicht
berücksichtigt, daß nach der angefochtenen Entscheidung selbst 3 600 Arbeitsplätze neu geschaffen
oder gesichert worden seien und weitere 20 000 Arbeitsplätze mittelbar durch die Ansiedlung örtlicher
Zulieferer und durch andereMultiplikatoreffekte für die Wirtschaft der neuen Bundesländer geschaffen
würden.
277.
Die Kommission räume im übrigen selbst ein, daß Überkapazitäten im Kraftfahrzeugsektor erst seit
1993 beständen. Da Beihilfen bezogen auf den Zeitpunkt, zu dem sie bewilligt würden, und damit auf
der Basis der Marktlage im März 1991 zu beurteilen seien, hätten diese Überkapazitätsprobleme außer
Betracht bleiben und die Beihilfezuschläge somit gewährt werden müssen.
278.
Zudem enthalte die angefochtene Entscheidung eine Beschränkung der Produktionskapazität von
Mosel II bis 1997. Daher hätte die Kommission Beihilfezuschläge zumindest für die Bereiche Preßwerk
und Rohbau nicht verweigern dürfen.
279.
Die Kommission macht geltend, in der angefochtenen Entscheidung sei erläutert worden, daß
Beihilfezuschläge nicht genehmigt würden, wenn die Investition zur Schaffung von
Kapazitätsproblemen in dem betreffenden Sektor beitrage. Die Kommission habe die seit 1993 im
Kraftfahrzeugsektor bestehenden Überkapazitäten anhand genauer Zahlen sorgfältig untersucht.
Unter diesen Umständen habe es sich erübrigt, das Erfordernis, in Mosel und Chemnitz besondere
Anreize zu schaffen, gesondert zu würdigen.
Würdigung durch das Gericht
280.
Bei der Ausübung ihres Ermessens nach Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c oder nach Artikel 92
Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag kann die Kommission den Folgen der Beihilfen für den betreffenden
Sektor Rechnung tragen (Urteil Matra/Kommission, Randnr. 26). Aus den vorstehenden Erwägungen
ergibt sich im übrigen, daß die Kommission zu Recht die zum Zeitpunkt des Erlasses der
angefochtenen Entscheidung im Juni 1996 bestehende Sachlage berücksichtigt hat.
281.
Wie sich aus Abschnitt XII, erster Absatz, der angefochtenen Entscheidung ergibt, hat die
Kommission gebührend berücksichtigt, daß in benachteiligten Gebieten wie in Mosel und Chemnitz
Investitionsanreize geschaffen werden sollten. Sie hat dort nämlich ausgeführt, daß als Beitrag zur
Entwicklung der Region hohe Investitionsbeihilfen und Beihilfen anderer Art genehmigt worden seien
und daß die Regionen Mosel und Chemnitz mit Investitionsbeihilfen bis zu 33 % (bis April 1991) und
(danach) bis 35 % Bruttobeihilfeintensität gefördert werden könnten.
282.
Die Kommission hat in Abschnitt XI, fünfter Absatz, der angefochtenen Entscheidung jedoch darauf
hingewiesen, daß Beihilfezuschläge oder „top up“, die als zusätzlicher Anreiz für den Investor, in die
benachteiligten Regionen zu investieren, dienen sollten, nicht genehmigt werden könnten, wenn die
Investitionen zur Schaffung von Kapazitätsproblemen im betreffenden Sektor beitrügen. Ebenso hat
die Kommission in Abschnitt XII, neunzehnter Absatz, der angefochtenen Entscheidung betont, daß es
bei der Anwendung des Gemeinschaftsrahmens aufFälle, in denen eine Investition negative
Auswirkungen auf einen Sektor als Ganzes habe, ihre Praxis sei, die Beihilfen strikt auf die
Nettozusatzkosten zu begrenzen, die ein Investor in der benachteiligten Region zu tragen habe.
283.
Im übrigen werden in der angefochtenen Entscheidung die Probleme der seit 1993 in der
Kraftfahrzeugindustrie bestehenden erheblichen Überkapazität klar und eingehend beschrieben
(Abschnitt XII, fünfzehnter Absatz); auch wird dargestellt, inwieweit diese Überkapazität durch die
betreffenden Investitionen noch zunehmen wird (Abschnitt XII, achtzehnter Absatz). Die Kommission
hat (in Abschnitt XII, sechzenter und siebzehnter Absatz) der Begrenzung der Produktionskapazität von
Mosel II ebenfalls Rechnung getragen.
284.
Aufgrund dessen und angesichts des weiten Ermessens, über das die Kommission auf diesem
Gebiet verfügt, ist das Vorbringen der Kläger zu den Beihilfezuschlägen zurückzuweisen.
e) Zur Bestimmung der genehmigten Beihilfen
285.
Die angefochtene Entscheidung kommt in Abschnitt XII, neunzehnter Absatz, zu dem Ergebnis, daß
Beihilfen mit einer Intensität, ausgedrückt als Bruttosubventionsäquivalent, von 22,3 % für Mosel II
und 20,8 % für Chemnitz II zulässig seien. Es heißt dort, daß die Gewährung von
Investitionszuschüssen bis zu 418,7 Millionen DM für Mosel II und Chemnitz II und von
Investitionszulagen bis zu 120,4 Millionen DM für Mosel II und Chemnitz II genehmigt werden könne.
Nach Artikel 1 der angefochtenen Entscheidung sind Beihilfen bis zu dieser Höhe mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar. Nach Artikel 2 dieser Entscheidung sind Sonderabschreibungen in
Höhe von 51,67 Millionen DM für Mosel II und Chemnitz II und Investitionszuschüsse in Höhe von 189,1
Millionen DM für Mosel II und Chemnitz II mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar.
286.
Nach Ansicht der Kläger hat die Kommission gegen Artikel 190 EG-Vertrag verstoßen, da sich aus
dem von der Kommission zugrunde gelegten Bruttosubventionsäquivalent nicht die in den Artikeln 1
und 2 der angefochtenen Entscheidung angegebenen Beträge ermitteln ließen. Die Entscheidung
lasse nicht erkennen, welchen Abzinsungsfaktor die Kommission angewandt habe. Selbst bei Kenntnis
dieses Faktors aufgrund der verspäteten Mitteilung in der Klagebeantwortung in der Rechtssache T-
143/96 lasse sich immer noch nicht schlüssig nachvollziehen, aus welcher Rechnung sich die in den
Artikeln 1 und 2 der angefochtenen Entscheidung genannten Beträge ergeben sollten.
287.
Dieses Vorbringen ist zurückzuweisen. Wie vorstehend festgestellt, waren die Kläger und die
deutsche Regierung eng am Verwaltungsverfahren beteiligt und damit in der Lage, die einzelnen
Entwürfe der Kosten-Nutzen-Analyse, die die Kommission seit 1992 angefertigt hatte, Punkt für Punkt
zu erörtern. Auch wenn in der angefochtenen Entscheidung nicht die Art der Berechnung der
Abzinsungdes Bruttosubventionsäquivalents, die angewandt worden ist, um zu der genehmigten Höhe
der Beihilfen zu gelangen, und insbesondere nicht der Abzinsungssatz („Nominal Discount Rate“) von
7,5 % wiedergegeben sind, finden sich diese doch sowohl in der dem Sachverständigenbericht der
Kommission beigefügten Kosten-Nutzen-Analyse als auch im Protokoll der Sitzung vom 29. Mai 1996.
288.
Nach alledem sind die Rügen bezüglich eines Verstoßes gegen Artikel 92 Absatz 3 EG-Vertrag
zurückzuweisen.
III -
Vorbringen der Parteien
289.
Die Kläger machen geltend, die Kommission habe gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes
verstoßen, indem sie die Lackiererei und Endmontage von Mosel II und das Werk Chemnitz II als
Erweiterungsinvestitionen eingestuft und folglich für die Kosten-Nutzen-Analyse einen
Referenzzeitraum von drei Jahren zugrunde gelegt habe. Die Kommission habe bei den Klägern die
begründete Erwartung geweckt, daß sie die zugesagten Beihilfen anhand einer Kosten-Nutzen-Analyse
auf Basis eines Fünf-Jahres-Zeitraums überprüfen werde.
290.
Das Vertrauen der Wirtschaftsteilnehmer sei schutzwürdig, wenn ein Gemeinschaftsorgan bei
diesen begründete Erwartungen in das weitere Verhalten des Gemeinschaftsorgans geweckt habe
(Urteil des Gerichtshofes vom 11. März 1987 in der Rechtssache 265/85, Van den Bergh und
Jurgens/Kommission, Slg. 1987, 1155, Randnr. 44). Ebenso seien die Wirtschaftsteilnehmer vor einer
nachträglichen Umbewertung ihrer im Vertrauen auf die bestehende Rechtslage getroffenen
Dispositionen durch die Gemeinschaftsorgane geschützt (Urteile des Gerichtshofes vom 12. Juli 1989
in der Rechtssache 161/88, Binder, Slg. 1989, 2415, Randnrn. 21 bis 23, vom 11. Dezember 1990 in
der Rechtssache C-189/89, Spagl, Slg. 1990, I-4539, Randnr. 9, und Crispoltoni, Randnr. 21).
291.
Im vorliegenden Fall habe die Kommission Mosel II und Chemnitz II während des gesamten
Verwaltungsverfahrens von September 1990 bis April 1996 als Neuinvestition auf der grünen Wiese
eingestuft. Die Kläger berufen sich in diesem Zusammenhang insbesondere auf folgendes:
- Die Kommission habe in ihrem Schreiben vom 19. September 1990 an die deutsche Regierung eine
Anmeldung aller Beihilfen „für die neuen Investitionen der Volkswagen AG“ gefordert.
- In ihrer Mitteilung an die deutsche Regierung bezüglich ihrer Entscheidung über die Einleitung
eines Prüfungsverfahrens, habe die Kommission zwischen der „Fortführung der bestehenden
Fahrzeugwerke“ (Mosel I) und dem „Bau des vollständig neuen Werkes Mosel II“ unterschieden.
- In den Jahren 1992 bis 1994 habe die Kommission eine Kosten-Nutzen-Analyse für Mosel II und
Chemnitz II durchgeführt, bei der ein Fünf-Jahres-Zeitraum zugrunde gelegt worden sei.
- In der Entscheidung Mosel I spreche die Kommission durchgängig von den „neuen Werken“ Mosel II
und Chemnitz II, was zeige, daß die Kommission trotz der eingetretenen Verzögerung bei der
Durchführung des Projekts diese Investitionen nicht als Erweiterung von Mosel I bzw. Chemnitz I
angesehen habe, sondern als Neuinvestitionen.
- In ihrer Entscheidung 96/179/EG vom 31. Oktober 1995 habe die Kommission diese Vorhaben als
„Neuinvestitionen“ eingeordnet.
292.
Die Kläger bestreiten im übrigen, daß die Bediensteten und der Sachverständige der Kommission
bei der Besichtigung der Standorte am 21. und 22. Dezember 1995 erklärt hätten, daß die Projekte
Mosel II und Chemnitz II nicht insgesamt als Investitionen auf der grünen Wiese eingestuft werden
könnten. Die einzig relevante Frage, die bei dieser Gelegenheit erörtert worden sei, sei gewesen, ob
die Berechnung der Nachteile einheitlich zu einem Zeitpunkt, nämlich der Fertigstellung des
Gesamtvorhabens beginnen solle, oder aber je nach Fertigstellung der Fertigungsbereiche zu
verschiedenen Zeitpunkten.
293.
Die Kläger bestreiten, daß bei der Besprechung am 11. April 1996 die Anwendung eines Drei-Jahres-
Zeitraums für die Betriebskostennachteile der Lackiererei und Endmontage Mosel II diskutiert worden
sei. Die von der Kommission am 16. April 1996 vorgelegte Kosten-Nutzen-Analyse gehe noch von einem
Fünf-Jahres-Zeitraum aus.
294.
Obwohl die Anwendung eines Drei-Jahres-Zeitraums für die Betriebskostennachteile der Lackiererei
und Endmontage Mosel II bei der Besprechung vom 29. Mai 1996 erörtert worden sei, ergebe sich aus
dem Protokoll dieser Besprechung eindeutig, daß die Kläger diesen Grundsatz nicht akzeptiert hätten.
295.
Die Kläger hätten ihre Vorhaben vom Konzept her niemals geändert. Jedenfalls sei die zeitliche
Streckung der Investitionen seit Anfang 1993 bekannt gewesen. Die Kommission habe zum Zeitpunkt
des Erlasses der Entscheidung Mosel I im Juli 1994 somit die Änderung gekannt, die Volkswagen an
den Vorhaben Mosel II und Chemnitz II vorgenommen habe. Da die Kommission über die Beihilfen für
Mosel I getrennt entschieden habe, habe Volkswagen dies so verstanden, daß die Kommission Mosel I
und Mosel II als zwei völlig getrennte Projekte ansehe, die auch beihilferechtlich getrennt voneinander
zu behandeln seien. Im übrigen sei die Situation zum Zeitpunkt des Erlasses der angefochtenen
Entscheidung dieselbe gewesen wie zum Zeitpunkt der Entscheidung Mosel I. Das Preßwerk und
derRohbau von Mosel II seien in Betrieb gewesen, und die dort hergestellten Rohkarossen seien in
Mosel I lackiert und endmontiert worden.
296.
Die Kläger hätten nur im Hinblick darauf, daß die Kommission Mosel II und Chemnitz II
beihilferechtlich als Neuinvestitionen einordne, erhebliche Eigenmittel eingesetzt. Noch zum Zeitpunkt
der Entscheidung Mosel I hätte die Möglichkeit bestanden, die Investitionen in Lackiererei und
Endmontage anzuhalten und an einen anderen Standort zu verlagern. Wäre seinerzeit erkennbar
gewesen, daß die Kommission diese Anlagen als Erweiterungsinvestitionen einordne, wäre diese
Entscheidung tatsächlich getroffen worden.
297.
Die Kommission bestreitet, jemals den Eindruck vermittelt zu haben, daß sie Mosel II und Chemnitz II
als Investitionen auf der grünen Wiese anerkennen werde.
298.
Die Kläger könnten sich jedenfalls nicht auf Erklärungen aus der Zeit vor März 1996 berufen, da
diese auf einer unvollständigen Tatsachengrundlage beruht hätten. Die Kläger und/oder die
Bundesrepublik Deutschland hätten nämlich einschlägige Informationen bis zum letzten Moment
zurückgehalten, so daß der Kommission wesentliche Daten für die Bewertung der Investitionsprojekte
gefehlt hätten.
299.
Zudem könnten sich die Kläger nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, weil ihnen bewußt
gewesen sei, daß die Kommission möglicherweise einen Teil der bewilligten Beihilfen nicht genehmigen
würde und die Kläger daher vorab rechtswidrig ausgezahlte Beihilfen zurückzahlen müßten. Ausweislich
des Jahresabschlusses von VW Sachsen vom 31. Dezember 1995 hätten die Kläger diese Möglichkeit
erkannt und daher erhebliche Rückstellungen gebildet.
Würdigung durch das Gericht
300.
Nach ständiger Rechtsprechung kann sich jeder Wirtschaftsteilnehmer, bei dem ein
Gemeinschaftsorgan begründete Erwartungen geweckt hat, auf den Grundsatz des
Vertrauensschutzes berufen (vgl. z. B. Urteil des Gerichts vom 15. Dezember 1994 in der Rechtssache
T-489/93, Unifruit Hellas/Kommission, Slg. 1994, II-1201, Randnr. 51). Dagegen kann eine Verletzung
des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht geltend machen, wem die Verwaltung keine
bestimmten Zusicherungen gemacht hat (vgl. Urteile des Gerichts vom 11. Dezember 1996 in der
Rechtssache T-521/93, Atlanta u. a./Rat und Kommission, Slg. 1996, II-1707, Randnr. 57, und vom 29.
Januar 1998 in der Rechtssache T-113/96, Dubois & Fils/Rat und Kommission, Slg. 1998, II-125,
Randnr. 68).
301.
Im vorliegenden Fall hat die Kommission niemals zugesichert, daß die Investitionen des Volkswagen-
Konzerns in Mosel II und Chemnitz II insgesamt als Investitionen „auf der grünen Wiese“ qualifiziert
würden.
302.
Die Hinweise der Kommission auf die „Neuinvestitionen“ oder die „neuen Anlagen“ von Volkswagen
während des gesamten Verwaltungsverfahrens zwischen1990 und 1996 sind insoweit ohne
Bedeutung, da diese Ausdrücke in ihrer gewöhnlichen Bedeutung verwendet wurden und nur zur
Unterscheidung der Investitionen in Mosel I von denen in Mosel II dienen, nicht aber entscheiden
sollten, ob letztere als Erweiterungsinvestition oder Investition auf der grünen Wiese im Sinne der
angefochtenen Entscheidung anzusehen sind.
303.
Außerdem hatte die Kommission in der Entscheidung über die Einleitung eines Prüfungsverfahrens
der deutschen Regierung ihre Bedenken gegen die Vereinbarkeit der streitigen Beihilfen mit dem
Gemeinsamen Markt aufgrund u. a. der hohen Beihilfeintensität mitgeteilt (vgl. Randnr. 26).
304.
Jedenfalls haben die grundsätzliche Änderung der Projekte, die die Kläger Anfang 1993
vorgenommen haben, und die späteren Änderungen dieser Projekte in den Jahren 1994 und 1996 die
früheren Bewertungen der Kommission und damit die Zusicherungen, die sie hinsichtlich der
Einstufung von Mosel II und Chemnitz II als Erweiterungsinvestitionen oder Investitionen auf der grünen
Wiese hätte geben können, hinfällig gemacht.
305.
Im übrigen können sich die Kläger nicht auf ein berechtigtes Vertrauen berufen, solange sie der
Kommission nicht sämtliche Informationen übermittelt haben, die diese benötigt, um in voller Kenntnis
der Sachlage zu entscheiden. Infolgedessen konnten die Erklärungen und das Verhalten der
Kommission vor Anfang 1996 bei den Klägern keine berechtigten Erwartungen wecken.
306.
Im übrigen ergibt sich aus dem Protokoll der Sitzung vom 11. April 1996 (Anlage B 9 zur
Klagebeantwortung in der Rechtssache T-143/96, S. 4), daß dort u. a. erörtert worden ist, ob in der
Kosten-Nutzen-Analyse für die Lackiererei und Endmontage in Mosel II Betriebskostennachteile für
einen Zeitraum von drei oder von fünf Jahren berücksichtigt werden sollten. Somit hat die Kommission,
sobald sie über alle für ihre Beurteilung erforderlichen Informationen verfügte, zu verstehen gegeben,
daß die Investitionen der Kläger in Mosel II und Chemnitz II möglicherweise nicht in ihrer Gesamtheit als
Investitionen „auf der grünen Wiese“ eingestuft würden.
307.
Nach alledem ist der Klagegrund eines Verstoßes gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes als
unbegründet zurückzuweisen.
308.
Somit sind die Klagen insgesamt abzuweisen.
Kosten
309.
Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 87 § 5 der Verfahrensordnung wird eine Partei, die die Klage oder
einen Antrag zurücknimmt, auf entsprechendenAntrag zur Tragung der Kosten verurteilt. Nach Artikel
87 § 4 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer
beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.
310.
Nach alledem entspricht es einer gerechten Würdigung dieser Bestimmungen, wenn den Klägern
ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Kommission mit Ausnahme derjenigen Kosten, die der
Kommission durch die Streithilfe der Bundesrepublik Deutschland entstanden sind, auferlegt werden.
Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten. Sie trägt im übrigen die Kosten, die der
Kommission durch ihre Streithilfe entstanden sind. Das Vereinigte Königreich trägt seine eigenen
Kosten.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Zweite erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Es wird festgestellt, daß die Klägerinnen in der Rechtssache T-143/96 ihre Klage
insoweit zurückgenommen haben, als diese die Nichtigerklärung des Artikels 2 erster
Gedankenstrich der Entscheidung 96/666/EG der Kommission vom 26. Juni 1996 über eine
Beihilfe Deutschlands an den Volkswagen-Konzern für die Werke in Mosel und Chemnitz
betrifft.
2. Im übrigen werden die Klagen abgewiesen.
3. Die Kläger tragen ihre eigenen Kosten sowie die Kosten der Beklagten mit Ausnahme
der Kosten, die der Kommission durch die Streithilfe der Bundesrepublik Deutschland
entstanden sind. Die Bundesrepublik Deutschland trägt ihre eigenen Kosten sowie die
Kosten, die der Kommission durch ihre Streithilfe entstanden sind. Das Vereinigte
Königreich trägt seine eigenen Kosten.
Potocki
Lenaerts
Bellamy
Azizi Meij
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. Dezember 1999.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
A. Potocki
Inhaltsverzeichnis
Rechtlicher Rahmen
II -
Sachverhalt
II -
Verfahren
II -
Anträge der Beteiligten
II -
Zur Zulässigkeit der Klage in der Rechtssache T-132/96
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Begründetheit
II -
I - Zum Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 2 Buchstabe c EG-Vertrag
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
II - Zum Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 3 EG-Vertrag
II -
Zum Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe b EG-Vertrag
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zum Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a EG-Vertrag
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zum Verstoß gegen die allgemeine Systematik des Artikels 92 Absatz 3 EG-Vertrag
II -
a) Zur Notwendigkeit einer ex-ante-Betrachtung und zur Anwendbarkeit des
Gemeinschaftsrahmens
II -
b) Zur Qualifizierung der Lackiererei und Endmontage von Mosel II und Chemnitz II als
„Erweiterungsinvestition“
II -
c) Zur Kosten-Nutzen-Berechnung der Investition
II -
d) Zu den Beihilfezuschlägen
II -
e) Zur Bestimmung der genehmigten Beihilfen
II -
III - Zum Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Kosten
II -
Verfahrenssprache: Deutsch.