Urteil des EuG vom 17.09.2003

EuG: kommission, verordnung, irrtum, gericht erster instanz, grundsatz der gleichbehandlung, zollkontingent, e contrario, guter glaube, finanzen, import

URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)
17. September 2003
„Nachträgliche buchmäßige Erfassung von Einfuhrabgaben - Voraussetzungen - Artikel 220 Absatz 2
Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 - Erkennbarer Irrtum - Sorgfalt - Verordnung (EG) Nr. 774/94
- Kombinierte Nomenklatur - WTO-Zollkontingente“
In den verbundenen Rechtssachen T-309/01 und T-239/02
Peter Biegi Nahrungsmittel GmbH
Commonfood Handelsgesellschaft für Agrar-Produkte mbH
Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte K. Landry und L. Harings,
Klägerinnen,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften,
als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt M. Núñez-Müller, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen Teilnichtigerklärung der Entscheidung Nr. K(2001) 2533 der Kommission vom 14. August 2001 (REC
4/00) zur Feststellung, dass die nachträgliche buchmäßige Erfassung der von der Gesellschaft Peter Biegi
Nahrungsmittel GmbH nicht erhobenen Einfuhrabgaben für Importe von Geflügelfleisch mit Ursprung in
Thailand in der Zeit vom 13. bis 18. Juli 1995 und vom 4. bis 22. September 1995 gerechtfertigt ist
(Rechtssache T-309/01), und Nichtigerklärung der Entscheidung Nr. K(2002) 857 der Kommission vom 5.
März 2002 (REC 4/01) zur Feststellung, dass die nachträgliche buchmäßige Erfassung der von der
Gesellschaft Commonfood Handelsgesellschaft für Agrarprodukte mbH nicht erhobenen Einfuhrabgaben für
den Import von Geflügelfleisch mit Ursprung in Thailand am 24. Juli 1995 gerechtfertigt ist (Rechtssache T-
239/02),
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tiili sowie der Richter P. Mengozzi und M. Vilaras,
Kanzler: I. Natsinas, Verwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 17. September 2003
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
1.
Durch Artikel 3 der Verordnung (EG) Nr. 774/94 des Rates vom 29. März 1994 zur Eröffnung und
Verwaltung gemeinschaftlicher Zollkontingente für hochwertiges Rindfleisch, Schweinefleisch,
Geflügelfleisch, Weizen und Mengkorn sowie für Kleie und andere Rückstände (ABl. L 91, S. 1) wurde
ab 1. Juli 1994 ein jährliches gemeinschaftliches Zollkontingent über eine Gesamtmenge von 15 000
Tonnen für Hühnerfleisch der KN-Codes 0207 41 10, 0207 41 41 und 0207 41 71 eröffnet. Im Rahmen
dieser Kontingentsmenge wurde der Zollsatz des Gemeinsamen Zolltarifs auf 0 % festgesetzt. Durch
Artikel 1 der gemäß ihrem Artikel 2 ab dem 1. Juli 1995 geltenden Verordnung (EG) Nr. 2198/95 der
Kommission vom 18. September 1995 zur Änderung der Verordnung Nr. 774/94 (ABl. L 221, S. 3) wurde
dieses jährliche gemeinschaftliche Zollkontingent beibehalten.
2.
Artikel 1 der Verordnung (EG) Nr. 1431/94 der Kommission vom 22. Juni 1994 zur Festlegung der
den Geflügelfleischsektor betreffenden Durchführungsbestimmungen zur Einfuhrregelung gemäß der
Verordnung Nr. 774/94 (ABl. L 156, S. 9), die nach ihrem Artikel 8 am 26. Juni 1994 in Kraft getreten
ist, hat folgenden Wortlaut:
„Für sämtliche Einfuhren der Gemeinschaft, die im Rahmen der mit den Artikeln 3 und 4 der
Verordnung Nr. 774/94 eröffneten Zollkontingente für die Erzeugnisse der Gruppen gemäß Anhang I
getätigt werden, ist eine Einfuhrlizenz vorzulegen.
Die Erzeugnismengen, auf die diese Regelung anwendbar ist, sowie der Prozentsatz der Abschöpfung
für die einzelnen Gruppen sind im Anhang I ausgewiesen.“
3.
In Anhang I der Verordnung Nr. 1431/94 wurde für eine jährliche Menge bis zu 5 100 Tonnen
Hühnerfleisch der Codes KN 0207 41 10, 0207 41 41 und 0207 41 71 mit Ursprung in Thailand
(Gruppe 2) ein Abschöpfungssatz von 0 % festgesetzt. Der gleiche Satz wurde für eine jährliche Menge
bis zu 7 100 Tonnen Hühnerfleisch dieser KN-Codes mit Ursprung in Brasilien (Gruppe 1) und eine
jährliche Menge bis zu 3 300 Tonnen Hühnerfleisch dieser KN-Codes mit Ursprung in sonstigen
Drittländern (Gruppe 3) festgesetzt.
4.
Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2658/87 des Rates vom 23. Juli 1987 über die zolltarifliche und
statistische Nomenklatur sowie den Gemeinsamen Zolltarif (ABl. L 256, S. 1) hat eine neue
Warennomenklatur (Kombinierte Nomenklatur oder abgekürzt KN) eingeführt. Die Kombinierte
Nomenklatur ist im Anhang I dieser Verordnung enthalten, in dem auch die anwendbaren Zollsätze
und weitere erforderliche Angaben festgelegt sind.
5.
Durch die Verordnung (EG) Nr. 1359/95 der Kommission vom 13. Juni 1995 wurden die Anhänge I
und II der Verordnung Nr. 2658/87 geändert und die Verordnung (EWG) Nr. 802/80 aufgehoben (ABl. L
142, S. 1). Nach ihrem Artikel 3 ist die Verordnung Nr. 1359/95 am 1. Juli 1995 in Kraft getreten.
6.
In seiner so geänderten Fassung enthielt dieser Anhang I „Kombinierte Nomenklatur“ in seinem Teil
III „Anhänge zum Zolltarif“, Abschnitt III „Zollkontingente“ einen Anhang 7 mit dem Titel „Von den
zuständigen Gemeinschaftsbehörden zu gewährende WTO-Zollkontingente“. Unter der laufenden Nr.
18 dieses Anhangs findet sich Folgendes:
Lfd.
Nr.
KN-Code
Bezeichnung
Menge Zollsatz
(%)
Sonstige
Bedingungen
1
2
3
4
5
6
...
...
...
...
...
...
0207 41 10
0207 41 41
0207 41 71
Teile von Hausgeflügel, gefroren:
entbeint
Brüste und Teile davon
Andere
15 500 t
7.
Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober
1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: ZK) bestimmt:
„2. [Es] erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung, wenn
...;
b) der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht
buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vom Zollschuldner nicht erkannt werden konnte
und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten
hat;
...“
Sachverhalt und Verfahren
8.
Die Peter Biegi Nahrungsmittel GmbH und die Commonfood Handelsgesellschaft für Agrarprodukte
mbH (nachstehend: Biegi bzw. Commonfood bzw. Klägerinnen) sind miteinander verbundene
Gesellschaften deutschen Rechts, die im Handel mit Geflügelfleisch tätig sind. Die Klägerinnen
gehören zu den Hauptimporteuren von Hühnerfleisch in Deutschland.
9.
Mit dem am 29. Juni 1995 erlassenen „Eilverteiler Zolltarif mit Sonderverteiler“ (nachstehend:
Eilverteiler) änderte das deutsche Bundesministerium der Finanzen den Deutschen Gebrauchszolltarif,
indem es u. a. mit Wirkung vom 1. Juli 1995 das Tarifkontingent K 4047 (Hühnerfleisch) mit Nullsatz
einfügte. Dieses Kontingent entspricht den oben genannten Codes KN 0207 41 10, 0207 41 41 und
0207 41 71. Der Eilverteiler enthielt keinen Hinweis auf das Erfordernis einer Einfuhrlizenz für den
Import von Produkten, die unter das genannte Tarifkontingent fielen.
10.
Zwischen dem 13. und 18. Juli 1995 und zwischen dem 4. und 22. September 1995 meldete Biegi
gefrorene Teile von Hühnern (KN-Code 0207 41 10) mit Ursprung in Thailand in mehreren Sendungen
zur Einfuhr an. Am 24. Juli 1995 meldete Commonfood gefrorene Teile von Hühnern desselben KN-
Codes mit Ursprung in Thailand in mehreren Sendungen zur Einfuhr an. Die Klägerinnen fügten ihren
Zollanmeldungen keine Einfuhrlizenzen bei.
11.
Infolge des vorerwähnten Irrtums im Deutschen Gebrauchszolltarif in der durch den Eilverteiler
geänderten Fassung nahm das zuständige Zollamt jedoch das genannte Gemeinschaftskontingent in
Anspruch und gewährte den Klägerinnen Zollbefreiung.
12.
Im Laufe des Monats August 1995 nahmen die Klägerinnen aufgrund von Zweifeln an den bei der
Zollabfertigung im Juli 1995 erhobenen Abgaben über ihren für die Verwaltung von Einfuhrlizenzen
zuständigen Mitarbeiter telefonisch Kontakt zum Bundesfinanzministerium sowie zur Zentralen
Überwachungsstelle für Zollkontingente auf, um Auskünfte über die auf Importe der fraglichen
Produkte anwendbare Regelung zu erhalten. Die befragten Behörden sollen zunächst telefonisch
bestätigt haben, dass die festgesetzten Abgaben auch ohne Vorlage von Einfuhrlizenzen zur
Zollanmeldung korrekt gewesen seien. Die Klägerinnen baten daraufhin um eine schriftliche
Bestätigung dieser Auskunft.
13.
Die den Klägerinnen mit Schreiben vom 22. August 1995 übermittelte Antwort der Zollverwaltung
lautete jedoch, dass die Inanspruchnahme des Kontingents die Vorlage einer Einfuhrlizenz bei der
Zollanmeldung erfordere. Am gleichen Tag änderte das Bundesfinanzministerium rückwirkend den
Deutschen Gebrauchszolltarif. Diese Änderung hatte zur Folge, dass ab dem 1. Juli 1995 die Vorlage
einer Einfuhrlizenz für die Inanspruchnahme des fraglichen Zollkontingents erforderlich war.
14.
Mit zwei Steueränderungsbescheiden vom 12. und 13. August 1996 erhob das zuständige
Hauptzollamt Bremen-Freihafen daraufhin nachträglich Einfuhrzölle für die Importe von Commonfood in
Gesamthöhe von 222 116,06 DM (Bescheid vom 12. August 1996) und für die Importe von Biegi in
Gesamthöhe von 259 270,23 DM, davon 218 605,64 DM für die Importe im Juli 1995 und 40 664,59 DM
für die Importe im September 1995 (Bescheid vom 13. August 1996).
15.
Unter Berufung auf ihren guten Glauben, auf den Irrtum der deutschen Behörden und auf dessen
Nichterkennbarkeit verlangten die Klägerinnen, von der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der
Einfuhrabgaben abzusehen.
16.
Nachdem ihre Einsprüche am 30. Juli 1997 vom zuständigen Hauptzollamt zurückgewiesen worden
waren, erhoben die Klägerinnen Klage beim Finanzgericht Bremen. Wie aus dem Protokoll der
mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 1999 hervorgeht, hielt dieses Gericht nach
Beweisaufnahme die Klage von Biegi in Bezug auf die Zollanmeldungen vom September 1995 nicht für
erfolgversprechend, da diese Gesellschaft mit dem Schreiben der deutschen Zollverwaltung vom 22.
August 1995 ordnungsgemäß über die zutreffende Rechtslage informiert worden sei. Das
Finanzgericht Bremen empfahl Biegi daher, in Bezug auf diese Anmeldungen die Möglichkeit einer
Klagerücknahme zu erwägen. Bezüglich der Zollanmeldungen vom Juli 1995 hielt es das Gericht
hingegen vorläufig für möglich, den Klägerinnen Vertrauensschutz im Sinne von Artikel 220 Absatz 2 ZK
zu gewähren, und empfahl dem zuständigen Hauptzollamt, zu prüfen, ob nicht die genannten
Steueränderungsbescheide vom 12. und 13. August 1996 insoweit aufgehoben werden könnten, als
sie die fraglichen Anmeldungen beträfen.
17.
Nach Artikel 871 der Verordnung (EG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit
Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1) in geänderter Fassung
ersuchte die Bundesrepublik Deutschland die Kommission mit Schreiben vom 2. August 2000 und vom
17. April 2001 um Entscheidung der Frage, ob ein Absehen von der nachträglichen buchmäßigen
Erfassung der Einfuhrabgaben in den Streitfällen zwischen der Verwaltung sowie Biegi und
Commonfood gerechtfertigt sei.
18.
Da für die Kommission nach den Umständen des Falles kein Irrtum der Zollbehörden selbst
ersichtlich war, der von einem im Sinne des Artikels 220 Absatz 2 Buchstabe b ZK gutgläubig
handelnden Wirtschaftsteilnehmer nicht hätte erkannt werden können, befand sie mit den
Entscheidungen vom 14. August 2001 (Rechtssache T-309/01) und vom 5. März 2002 (Rechtssache T-
239/02) (nachstehend: angefochtene Entscheidungen), von denen die erste Biegi am 5. Oktober
2001 und die zweite Commonfood am 25. Juni 2002 zugestellt wurde, dass die Einfuhrabgaben, die
Gegenstand der genannten Ersuchen der Bundesrepublik Deutschland waren, buchmäßig zu erfassen
seien.
19.
Mit Klageschriften, die am 12. Dezember 2001 und am 8. August 2002 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen sind, haben die Klägerinnen die vorliegenden, unter den Aktenzeichen T-309/01 und T-
239/02 eingetragenen Klagen erhoben.
20.
In der Rechtssache T-309/01 ist das schriftliche Verfahren am 1. Juli 2002 abgeschlossen worden.
21.
In der Rechtssache T-239/02 hat das Gericht (Vierte Kammer) mit Beschluss vom 10. Dezember
2002 gemäß Artikel 47 § 1 der Verfahrensordnung in der Fassung der Änderung vom 6. Dezember
2000 (ABl. L 322, S. 4) entschieden, dass ein zweiter Schriftsatzwechsel nicht erforderlich ist, weil der
Akteninhalt so vollständig ist, dass es den Parteien möglich ist, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel
und ihre Argumente in der mündlichen Verhandlung näher darzulegen. Da Commonfood keinen Antrag
auf Ergänzung der Akten gestellt hat, ist das schriftliche Verfahren in der Rechtssache T-239/02 am
17. Dezember 2002 abgeschlossen worden.
22.
Mit Beschluss der Präsidentin der Vierten Kammer des Gerichts vom
17. Januar 2003 sind die Rechtssachen T-309/01 und T-239/02 gemäß Artikel 50 der
Verfahrensordnung zu gemeinsamem mündlichen Verfahren und zu gemeinsamer Entscheidung
verbunden worden.
23.
Im Rahmen prozessleitender Maßnahmen hat das Gericht die Kommission zur Vorlage eines
Schriftstücks aufgefordert. Die Kommission ist dieser Aufforderung fristgerecht nachgekommen.
24.
Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Vierte Kammer) beschlossen, die mündliche
Verhandlung zu eröffnen. Die Parteien haben in der Sitzung vom 2. April 2003 mündlich verhandelt und
Fragen des Gerichts beantwortet.
Anträge der Parteien
25.
In der Rechtssache T-309/01 beantragt Biegi,
- die Entscheidung der Kommission vom 14. August 2001 (REC 4/00) insoweit für nichtig zu erklären,
als sie die nachträgliche buchmäßige Erfassung von Einfuhrabgaben in einer Höhe von 218 605,65 DM
anordnet,
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
26.
In der Rechtssache T-239/02 beantragt Commonfood,
- die Entscheidung der Kommission vom 5. März 2002 (REC 4/01), mit der die nachträgliche
buchmäßige Erfassung von Einfuhrabgaben in einer Höhe von 222 116,06 DM angeordnet wird, für
nichtig zu erklären,
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
27.
Die Kommission beantragt in den beiden Rechtssachen T-309/01 und T-239/02,
- die Klagen abzuweisen,
- den Klägerinnen die Kosten aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
28.
Die Klägerinnen stützen ihre Klagen auf drei Gründe: erstens eine Verletzung von Artikel 220 Absatz
2 Buchstabe b ZK, zweitens einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und drittens
einen Verstoß gegen die Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung und der Gleichbehandlung.
Vorbringen der Parteien
29.
Nach Auffassung der Klägerinnen sind die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 220
Absatz 2 Buchstabe b ZK im vorliegenden Fall für die streitigen im Juli 1995 getätigten Importe erfüllt.
Infolgedessen sei die nachträgliche buchmäßige Erfassung der Einfuhrabgaben für diese Importe
nicht gerechtfertigt gewesen, und die angefochtenen Entscheidungen seien für nichtig zu erklären.
30.
Die Klägerinnen machen hierzu erstens geltend, es sei unstreitig, dass den zuständigen deutschen
Zollbehörden ein Irrtum unterlaufen sei. Der Eilverteiler, mit dem das deutsche Bundesministerium der
Finanzen den Deutschen Gebrauchszolltarif mit Wirkung vom 1. Juli 1995 geändert habe, enthalte
nämlich keinen Hinweis auf die Notwendigkeit der Vorlage einer Einfuhrlizenz für die Inanspruchnahme
des dort erwähnten Zollkontingents K 4047. Der gleiche Irrtum sei auch den mit der Abfertigung
betrauten deutschen Zollstellen unterlaufen, wie den Hauptzollämtern Bremen-Freihafen,
Bremerhaven und Hamburg-Ericus (nunmehr Hamburg-Freihafen) sowie der Zentralen
Überwachungsstelle für Zollkontingente bei der Oberfinanzdirektion Köln, die der Ansicht gewesen
seien, dass die Vorlage von Einfuhrlizenzen für die Inanspruchnahme der Kontingente nicht
erforderlich sei.
31.
In diesem Zusammenhang tragen die Klägerinnen vor, ihr mit den Fragen der Einfuhrlizenzen
betrauter Mitarbeiter Steiner habe Anfang Juli 1995 telefonische Auskünfte eines zuständigen
Beamten bei der Zentralen Überwachungsstelle für Zollkontingente erhalten, wonach das
Zollkontingent K 4047 des Eilverteilers ein besonderes zusätzliches Kontingent sei, das keine Vorlage
von Einfuhrlizenzen erfordere. Die gleiche Auskunft sei den Klägerinnen vom Bundesministerium der
Finanzen und von der Zentralen Überwachungsstelle für Zollkontingente auch nach den streitigen
Importen anlässlich eines Telefongesprächs vom 18. August 1995 erteilt worden, was sie veranlasst
habe, um eine schriftliche Bestätigung dieser Auskunft zu ersuchen. Die Klägerinnen beantragen,
hierzu ihre Mitarbeiter Steiner und Paparatti zu vernehmen.
32.
Als Erwiderung auf das Vorbringen der Kommission, die den Klägerinnen angeblich vor
Durchführung der streitigen Importe erteilten telefonischen Auskünfte seien weder belegt noch
erheblich und außerdem in der Klageschrift erstmals und damit verspätet vorgebracht worden,
verweist Biegi auf das Schreiben der deutschen Zollbehörden vom 2. Juni 2000 an die Kommission und
auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 1999 vor dem Finanzgericht Bremen,
die bestätigten, dass die besagten Auskünfte erteilt worden seien.
33.
Zweitens machen die Klägerinnen geltend, sie hätten, obwohl sie im Importgeschäft tätig seien,
den Irrtum der deutschen Zollbehörden nicht erkennen können.
34.
Die Nichterkennbarkeit des fraglichen Irrtums beruhe zunächst auf der Komplexität der
einschlägigen Rechtsvorschriften. Zwar sei in der Verordnung Nr. 1431/94 der Kommission
angegeben, dass die Inanspruchnahme des durch die Verordnung Nr. 774/94 des Rates eröffneten
Vorzugszollkontingents die Vorlage einer Einfuhrlizenz voraussetze. Doch habe das Zollkontingent, das
in Anhang I Teil III Abschnitt III Anhang 7 der die Kombinierte Nomenklatur der Waren einführenden
Verordnung Nr. 2658/87 in der Fassung der Verordnung Nr. 1359/95 unter der laufenden Nummer 18
aufgeführt sei, in seiner sechsten Spalte mit der Überschrift „Sonstige Bedingungen“ keinen dahin
gehenden Hinweis enthalten. Es habe sich daher um ein neues, der Verordnung Nr. 1359/95
unterliegendes und von den Verordnungen Nrn. 774/94 und 1431/94 getrenntes Zollkontingent
gehandelt, so dass es den Klägerinnen nicht möglich gewesen sei, den erforderlichen
Zusammenhang herzustellen und daraus die erforderlichen Schlüsse zu ziehen.
35.
Ferner beruhe die Nichterkennbarkeit des Irrtums auf der Tatsache, dass der Deutsche
Gebrauchszolltarif in der durch den Eilverteiler vom 29. Juni 1995 geänderten Fassung keinen Hinweis
auf die Verordnung Nr. 1431/94 enthalten habe.
36.
Schließlich bestätigten die Irrtümer, die den verschiedenen mit dem Problem befassten zuständigen
deutschen Behörden vor und nach den streitigen Importen unterlaufen seien, sowohl die mangelnde
Klarheit und Transparenz der Rechtslage als auch die Nichterkennbarkeit des Irrtums für die
Klägerinnen.
37.
Unter diesen Umständen sind die Klägerinnen der Auffassung, dass sie trotz ihrer Erfahrung im
Geflügelhandel nicht in der Lage gewesen seien, den Irrtum der zuständigen Zollbehörden zu
erkennen. Biegi fügt hinzu, dass es ihr in Ermangelung einer Rechtsabteilung nicht möglich gewesen
sei, rechtliche Erwägungen über das Verhältnis unterschiedlicher Verordnungen untereinander
anzustellen. Vielmehr habe sie sich auf die einschlägigen Hinweise im Deutschen Gebrauchszolltarif
sowie die Auskünfte der angerufenen Behörden der höchsten Verwaltungsebene verlassen dürfen.
38.
Drittens machen die Klägerinnen geltend, sie hätten ihrer Sorgfaltspflicht genügt und gutgläubig
gehandelt. Biegi fügt hinzu, sie habe dadurch, dass sie mehrfach die höchsten zuständigen
deutschen Zollbehörden um Auskunft ersucht habe, in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des
Gerichthofes gehandelt, wonach ein Wirtschaftsteilnehmer, sobald er Zweifel an der Auslegung des
Zollrechts habe, sich weitestmöglichen Aufschluss darüber verschaffen müsse, ob seine Zweifel
berechtigt seien (Urteil des Gerichtshofes vom 26. Juni 1990 in der Rechtssache C-64/89, Deutsche
Fernsprecher, Slg. 1990, I-2535, Randnr. 22).
39.
Um ihre Sorgfalt darzutun, führen die Klägerinnen aus, dass sie nicht allein auf den Deutschen
Gebrauchszolltarif vertraut, sondern auch bei den zuständigen nationalen Behörden bis hin zum
Bundesministerium der Finanzen nachgefragt hätten. Die von allen Behörden gegebenen
telefonischen Auskünfte, wonach die Vorlage einer Einfuhrlizenz für das fragliche Zollkontingent nicht
erforderlich gewesen sei, hätten aber bei den Klägerinnen ein berechtigts Vertrauen geschaffen, das
sie zum Tätigwerden berechtigt habe. Die Klägerinnen seien im Übrigen ihrer Pflicht zur Lektüre der
Amtsblätter nachgekommen; aus diesen habe sich aber weder ein Hinweis auf die Erforderlichkeit
einer Einfuhrlizenz noch ein Zusammenhang mit den Verordnungen Nrn. 774/94 und 1431/94 ergeben.
Ihr Fall unterscheide sich also von dem der Rechtssache Covita (Urteil des Gerichtshofes vom 26.
November 1998 in der Rechtssache C-370/96, Slg. 1998, S. I-7711), die von der Kommission zu
Unrecht herangezogen werde.
40.
Die Klägerinnen machen außerdem geltend, dass zahlreiche Kontingente im Bereich des
Geflügelfleischs nach dem „Windhundprinzip“ funktionierten und die wirtschaftlichen Entscheidungen
über den Import solcher Waren deshalb schnell getroffen werden müssten. Es sei ihnen deshalb
unmöglich gewesen, die verschiedenen Behörden zuvor um schriftliche Klarstellungen zu bitten. Eine
solche Anfrage hätte dazu geführt, dass sie aufgrund des Zeitablaufs bis zum Vorliegen der Antworten
überhaupt keine Importe hätten tätigen können.
41.
Biegi fügt hinzu, es sei ihrem Verhalten zu verdanken, dass die deutsche Zollverwaltung auf ihren
Irrtum aufmerksam geworden sei und den Deutschen Gebrauchszolltarif am 22. August 1995
berichtigt habe, so dass der Gemeinschaft weitere Ausfälle von Einfuhrabgaben erspart geblieben
seien. Überdies sei sie entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht verpflichtet gewesen, bei der
Kommission Auskünfte einzuholen, da die Anwendung des Zollrechts in der Zuständigkeit der
nationalen Zollbehörden liege und der Zollbeteiligte nur ein Anhörungsrecht habe. Ebenso
unzutreffend sei es, wenn die Kommission ihr vorwerfe, keine schriftliche Anfrage an die Bundesanstalt
für Landwirtschaft und Ernährung (BLE) gerichtet zu haben, weil die Fragen im Zusammenhang mit der
Behandlung eines neu eingeführten WTO-Zollkontingents nicht in die Zuständigkeit dieser Anstalt,
sondern in die der Zentralen Überwachungsstelle für Zollkontingente fielen.
42.
Schließlich trägt Biegi vor, ihr guter Glaube könne nicht deshalb in Frage gestellt werden, weil ihr
Geschäftsführer Peter Biegi, wie die Kommission geltend mache, in seiner Eigenschaft als langjähriger
Vorsitzender der Deutschen Bundesvereinigung des Wild- und Geflügel-Groß- und Außenhandels
Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich des Geflügelfleischs habe, die Biegi zugerechnet werden
könnten. Tatsächlich stelle der Vorsitz dieses Verbandes eine rein ehrenamtliche Tätigkeit dar,
während die laufende Verwaltung und Geschäftstätigkeit dieses Verbandes von seinem
hauptamtlichen Geschäftsführer wahrgenommen würden. Peter Biegi habe niemals an den Sitzungen
der verschiedenen Ausschüsse in Brüssel teilgenommen und verfüge daher nicht über konkrete
Kenntnis oder spezielles Wissen in Bezug auf das streitige Zollkontingent oder etwaige
Zusammenhänge mit den Verordnungen Nrn. 1431/94 und 1359/95. Biegi beantragt, Peter Biegi und
Caspar von der Crone, Geschäftsführer der erwähnten Deutschen Bundesvereinigung, zu dieser Frage
vor dem Gericht zu hören.
43.
Viertens behaupten die Klägerinnen, sie hätten alle geltenden Vorschriften in Bezug auf die
Zollanmeldung eingehalten.
44.
Die Kommission entgegnet, die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 220 Absatz 2
Buchstabe b ZK seien im vorliegenden Fall nicht erfüllt und die nachträgliche buchmäßige Erfassung
der Einfuhrabgaben sei daher gerechtfertigt.
45.
Erstens trägt sie in Bezug auf die den deutschen Zollbehörden unterlaufenen Irrtümer vor, die
einzigen im Sinne von Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b ZK berücksichtigungsfähigen Irrtümer seien
die fehlerhafte Fassung des Deutschen Gebrauchszolltarifs durch das Bundesministerium der
Finanzen sowie die mehrmalige Abfertigung von den Klägerinnen eingeführter Waren im Juli 1995 unter
Gewährung der Zollpräferenz ohne Vorlage einer Einfuhrlizenz.
46.
Dagegen weist die Kommission ausdrücklich den erstmals in den Klageschriften enthaltenen
Vortrag der Klägerinnen zurück, sie hätten über ihren Mitarbeiter Steiner vor den streitigen Importen
unzutreffende telefonische Auskünfte von der Zentralen Überwachungsstelle für Zollkontingente bei
der Oberfinanzdirektion Köln erhalten.
47.
Sie hält den Behauptungen der Klägerinnen entgegen, die ihr von den deutschen Zollbehörden
übermittelten Schreiben vom 2. Juni 2000 und vom 2. August 2000, die Stellungnahme von Biegi vom
8. Juni 2001 an die Kommission und die Stellungnahme der Klägerinnen vom 25. Juli 1997 an das
Hauptzollamt Bremen-Freihafen hätten sich keineswegs auf telefonische Auskünfte vor der streitigen
Wareneinfuhr bezogen, sondern belegten lediglich, dass die Klägerinnen diese Behörden am 18.
August 1995, also nach den streitigen Ausfuhren, telefonisch um Auskunft über die Rechtslage
gebeten hätten. Gleiches gelte für das Protokoll der mündlichen Verhandlung des Finanzgerichts
Bremen vom 14. Dezember 1999 und die Zeugenaussagen von Herrn Steiner und Frau Paparatti vor
diesem Gericht. Unter diesen Umständen sei der Antrag der Klägerinnen auf Vernehmung von Herrn
Steiner und Frau Paparatti überflüssig und zurückzuweisen.
48.
Jedenfalls wirkten sich die angeblich vor den streitigen Importen geführten und verspätet
vorgetragenen Telefongespräche, selbst wenn man sie als erwiesen unterstellte, auf die vorliegenden
Rechtsstreitigkeiten nicht aus, weil sich die Klägerinnen während des Verwaltungsverfahrens nicht
darauf berufen hätten. Die unzutreffenden telefonischen Auskünfte, die den Klägerinnen im August
1995 von den deutschen Zollbehörden erteilt worden seien, seien im Rahmen der vorliegenden
Klagen, deren Gegenstand auf die im Juli 1995 durchgeführten Importe beschränkt sei, rechtlich
unerheblich.
49.
Zweitens macht die Kommission geltend, die Irrtümer der deutschen Zollbehörden hätten von den
Klägerinnen erkannt werden können.
50.
Zum einen sei die vorliegend maßgebliche Rechtslage keineswegs unklar und komplex. Die von den
Klägerinnen angeführte Verordnung Nr. 1359/95 sei nur eine Änderungsverordnung zu der
allgemeinen Verordnung Nr. 2658/87 über die zolltarifliche und statistische Nomenklatur und habe
allenfalls deklaratorische Bedeutung (Schlussanträge von Generalanwalt Roemer in der Rechtssache
9/73, Schlüter, entschieden durch Urteil vom 24. Oktober 1973, Slg. 1973, 1135, 1162).
Regelungsgegenstand dieser Verordnung sei offensichtlich nicht die Eröffnung eines Zollkontingents
bzw. die Nichtanordnung der Vorlage einer Einfuhrlizenz gewesen, da letzteres in der Verordnung Nr.
774/94 und der Durchführungsverordnung Nr. 1431/94 geregelt sei, deren Artikel 1 seit Juni 1994, d.
h. über ein Jahr vor den hier streitigen Einfuhren, eine solche Pflicht zur Vorlage einer Einfuhrlizenz
statuiert habe.
51.
Zum anderen hätten die Klägerinnen gegen die ihnen nach ständiger Rechtsprechung obliegenden
Sorgfaltspflichten verstoßen und sich vielmehr nur auf den Deutschen Gebrauchszolltarif und auf die
angeblichen telefonischen Auskünfte nationaler Behörden verlassen, ohne je die einschlägigen
Amtsblätter der Europäischen Gemeinschaften sowie die dort veröffentlichten Rechtsakte zu
konsultieren oder konsultieren zu lassen.
52.
Die Kommission weist in dieser Hinsicht zunächst auf die große Erfahrung der Klägerinnen hin, die
seit mehreren Jahrzehnten Handelsgeschäfte und Einfuhren mit den betreffenden Waren
durchführten. Sie hätten daher die vorliegend maßgebliche Rechtslage besonders gut erkennen
können.
53.
Sodann hätten die Klägerinnen angesichts der Tatsache, dass die Verordnungen Nrn. 1431/94 und
1359/95 am 22. Juni 1994 und am 26. Juni 1995 im
veröffentlicht worden seien, vor den Einfuhrerklärungen bei weitem genug Zeit gehabt, um zur
Beseitigung ihrer Zweifel hinsichtlich des Erfordernisses einer Einfuhrlizenz für die streitigen Einfuhren
rechtzeitig eine schriftliche Anfrage an die deutschen Zollbehörden oder die Kommission zu richten.
54.
Schließlich könnten die Klägerinnen auch aus der mehrmaligen Abfertigung der Waren durch die
Zollstellen ohne Vorlage von Einfuhrlizenzen keine besondere Gutgläubigkeit ableiten. Nach ständiger
Rechtsprechung ergebe sich ein Irrtum der Zollbehörden in der Regel nicht aus der Entgegennahme
einer Zollerklärung an der Einfuhrstelle (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Mai 1996 in den
Rechtssachen C-153/94 und C-204/94, Faroe Seafood u. a., Slg. 1996, I-2465, Randnr. 93).
Würdigung durch das Gericht
55.
Gemäß Artikel 220 Absatz 2 Buchstabe b ZK können die zuständigen Behörden von der
nachträglichen buchmäßigen Erfassung von Einfuhrabgaben absehen, wenn drei Voraussetzungen
kumulativ erfüllt sind. Erstens muss die Nichterhebung auf einem Irrtum der zuständigen Behörden
beruhen, zweitens muss es sich dabei um einen Irrtum handeln, der für einen gutgläubigen
Abgabenschuldner nicht erkennbar war, und drittens muss dieser alle geltenden Vorschriften über
seine Zollerklärung eingehalten haben (vgl. entsprechend Urteile des Gerichtshofes vom 12. Juli 1989
in der Rechtssache 161/88, Binder, Slg. 1989, 2415, Randnrn. 15 und 16, vom 27. Juni 1991 in der
Rechtssache C-348/89, Mecanarte, Slg. 1991, I-3277, Randnr. 12, vom 4. Mai 1993 in der Rechtssache
C-292/91, Weis, Slg. 1993, I-2219, Randnr. 14, und Urteil Faroe Seafood u. a., Randnr. 83; Beschlüsse
des Gerichtshofes vom 9. Dezember 1999 in der Rechtssache C-299/98 P, CPL Imperial 2 und
Unifrigo/Kommission, Slg. 1999, I-8683, Randnr. 22, und vom 11. Oktober 2001, William Hinton & Sons,
C-30/00, Slg. 2001, I-7511, Randnrn. 68, 69, 71 und 72; Urteil des Gerichts vom 5. Juni 1996 in der
Rechtssache T-75/95, Günzler Aluminium/Kommission, Slg. 1996, II-497, Randnr. 42).
56.
Zunächst ist zur ersten dieser Voraussetzungen festzustellen, dass im vorliegenden Fall unstreitig
zwei Irrtümer der deutschen Zollbehörden vorliegen: die fehlerhafte Fassung des Eilverteilers und die
Zollabfertigung der im Juli 1995 von den Klägerinnen eingeführten Waren unter Gewährung der
Zollpräferenz ohne Vorlage einer Einfuhrlizenz.
57.
Der in der Erteilung falscher telefonischer Auskünfte durch das Bundesministerium der Finanzen
und die Zentrale Überwachungsstelle für Zollkontingente an einen Mitarbeiter der Klägerinnen im
August 1995, hier am 18. August 1995, liegende Irrtum ist im Rahmen der vorliegenden Klagen, die
nur die im Juli 1995 getätigten Einfuhren zum Gegenstand haben, von vornherein unerheblich. Im
Übrigen hat die deutsche Zollverwaltung in ihrer Antwort vom 22. August 1995 auf eine schriftliche
Anfrage der Klägerinnen vom 18. August 1995 an das Bundesministerium der Finanzen diese
telefonischen Auskünfte nicht bestätigt und eindeutig darauf hingewiesen, dass die Inanspruchnahme
des streitigen Kontingents die Vorlage einer Einfuhrlizenz bei der Zollanmeldung erfordere.
58.
In den Klageschriften weisen die Klägerinnen auf einen weiteren Irrtum hin, der darin liege, dass ein
Beamter der Zentralen Überwachungsstelle für Zollkontingente ihrem Mitarbeiter Steiner vor dem 13.
Juli 1995, also vor den streitigen Einfuhren, zur Frage der Erforderlichkeit einer Einfuhrlizenz falsche
telefonische Auskünfte erteilt habe. Unabhängig davon, dass dieses Vorbringen verspätet ist und
seine Erheblichkeit von der Kommission bestritten wird, findet sich jedoch für diese telefonischen
Auskünfte in den Akten keinerlei Nachweis.
59.
Die von den Klägerinnen angeführten Schriftstücke, nämlich die oben erwähnten, von den
deutschen Zollbehörden an die Kommission übermittelten inhaltsgleichen Schreiben vom 2. Juni 2000
und vom 2. August 2000 enthalten lediglich eine Bezugnahme auf das Telefonat vom 18. August 1995.
Gleiches gilt für die Stellungnahme von Herrn Biegi vom 8. Juni 2001 an die Kommission sowie die
Stellungnahme der Klägerinnen vom 25. Juli 1997 an das Hauptzollamt Bremen-Freihafen. Überdies
finden diese Behauptungen, wie die Kommission zu Recht hervorhebt, weder im Protokoll der
mündlichen Verhandlung des Finanzgerichts Bremen vom 14. Dezember 1999 noch in den
Zeugenaussagen von Herrn Steiner und Frau Paparatti vor diesem Gericht eine Bestätigung. Aus dem
genannten Protokoll, das im Übrigen der Kommission im Verwaltungsverfahren nicht übermittelt
wurde, geht hervor, dass Herr Steiner als ungefähre Zeitangabe für ein Telefonat mit der
Zollkontingentstelle in Düsseldorf die Monate „Juli/August 1995“ nannte, während Frau Paparatti
angab, sie habe am 21. August 1995 eine Aktennotiz verfasst, „wenige Tage nach den darin
erwähnten Telefongesprächen“. Die von den Klägerinnen beantragte Beweisaufnahme durch
Vernehmung von Herrn Steiner und Frau Paparatti durch das Gericht zu diesem Punkt braucht daher
nicht angeordnet zu werden.
60.
Sodann ist festzustellen, dass die Kommission in den angefochtenen Entscheidungen der Ansicht
war, die zweite oben in Randnummer 55 genannte Voraussetzung für die Anwendung von Artikel 220
Absatz 2 Buchstabe b ZK sei vorliegend nicht erfüllt gewesen. Daher ist zu prüfen, ob die Ansicht der
Kommission zutrifft, die Irrtümer der deutschen Zollbehörden hätten von den Klägerinnen erkannt
werden können.
61.
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Erkennbarkeit eines Irrtums der zuständigen Zollbehörden
unter Berücksichtigung seiner Art, der Berufserfahrung der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer und der
von ihnen aufgewandten Sorgfalt zu beurteilen (Urteile Faroe Seafood u. a., Randnr. 99, Covita,
Randnr. 26, Urteile des Gerichtshofes vom 8. April 1992 in der Rechtssache C-371/90, Beirafrio, Slg.
1992, I-2715, Randnr. 21, vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C-187/91, Belovo, Slg. 1992, I-4937,
Randnr. 17, vom 1. April 1993 in der Rechtssache C-250/91, Hewlett Packard France, Slg. 1993, I-
1819, Randnr. 22, vom 19. Oktober 2000 in der Rechtssache C-15/99, Sommer, Slg. 2000, I-8989,
Randnr. 37, und vom 14. November 2002 in der Rechtssache C-251/00, Ilumitrónica, Slg. 2002, I-
10433, Randnr. 54).
62.
Was die Art des Irrtums angeht, sind der Komplexitätsgrad der betreffenden Regelung (vgl. Urteile
Deutsche Fernsprecher, Randnr. 20, Belovo, Randnr. 18, Hewlett Packard France, Randnr. 23, und
Faroe Seafood u. a., Randnr. 100) sowie die Länge des Zeitraums zu prüfen, in dem die Behörden in
ihrem Irrtum verharrten (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache C-
38/95, Foods Import, Slg. 1996, I-6543, Randnr. 30, und Ilumitrónica, Randnr. 56).
63.
In den vorliegenden Rechtssachen sind die Regeln für die Inanspruchnahme des streitigen
gemeinschaftlichen Zollkontingents in den Rechtsvorschriften zur Eröffnung und Verwaltung dieses
Kontingents festgelegt, also in der Verordnung Nr. 774/94 in der Fassung der Verordnungen Nrn.
2198/95 und 1431/94. Artikel 1 der Verordnung Nr. 1431/94, dessen Anwendung nicht zeitlich
beschränkt ist, sieht eindeutig vor, dass für sämtliche Einfuhren der Gemeinschaft, die im Rahmen
dieses mehrjährigen Zollkontingents getätigt werden, eine Einfuhrlizenz vorzulegen ist. Zudem regelt
Artikel 2 dieser Verordnung die Aufteilung der für das Jahr 1994 und die folgenden Jahre festgesetzten
Menge, und in den Artikeln 3 und 4 sind die Einzelheiten für die Beantragung der Einfuhrlizenzen
festgelegt. Diese Rechtsvorschrift erscheint also nicht als komplex. Dies haben die Klägerinnen im
Übrigen nicht bestritten.
64.
Die Klägerinnen tragen jedoch vor, die Komplexität der anwendbaren Regelung ergebe sich
tatsächlich aus der Verordnung Nr. 1359/95 der Kommission, und zwar insbesondere aus der
Tatsache, dass diese Verordnung in der laufenden Nr. 18 ihres genannten Anhangs 7 mit Wirkung
vom 1. Juli 1995 ein neues WTO-Zollkontingent mit Nullsatz über eine Menge von 15 500 Tonnen
Hühnerfleisch derselben KN-Codes eingeführt habe, ohne auf die Verordnung Nr. 1431/94 und auf die
dort auferlegte Pflicht zur Vorlage einer Einfuhrlizenz hinzuweisen.
65.
Hierzu ist festzustellen, dass die Verordnung Nr. 1359/95, durch die die Kommission eine ab dem 1.
Juli 1995 anwendbare neue Fassung der kombinierten Warennomenklatur veröffentlichte, in ihrem
genannten Anhang 7 eine Liste der von den zuständigen Gemeinschaftsbehörden zu gewährenden
WTO-Zollkontingente aufstellte. Wie von der Kommission in den angefochtenen Entscheidungen zu
Recht hervorgehoben, ist diese Liste nicht als Verweis auf die Verordnungen zu verstehen, die für die
in ihr aufgeführten Kontingente gelten, da in Verordnungen über die Kombinierte Nomenklatur und
den Gemeinsamen Zolltarif enthaltene Hinweise auf andere zollrechtliche Regelungen ohnehin nur
deklaratorische Bedeutung haben; sie machen diese anderen Regelungen nicht zum Gegenstand des
Gemeinsamen Zolltarifs (vgl. sinngemäß Schlussanträge von Generalanwalt Roemer in der
Rechtssache Schlüter, S. 1167).
66.
Entgegen dem Vortrag der Klägerinnen wurde also mit der Verordnung Nr. 1359/95 nicht ab dem 1.
Juli 1995 ein neues, angeblich von der Verordnung Nr. 774/94 in der geänderten Fassung getrenntes
Vorzugszollkontingent eröffnet, sondern lediglich im genannten Anhang 7 auf das Zollkontingent über
eine Menge von 15 500 t hingewiesen, das, mit Ausnahme der französischen Fassung, in der
versehentlich eine Menge von 15 000 t genannt ist, bereits in allen anderen Sprachfassungen dieser
Verordnung einschließlich insbesondere der deutschen sowie im Anhang I der Verordnung Nr.
1431/94 enthalten war. Diese identische Vorzugskontingentmenge wurde später durch die
Verordnung Nr. 2198/95 aufgrund des im Rahmen der Verhandlungen der Uruguay-Runde getroffenen
Übereinkommens (vgl. zweite Begründungserwägung dieser Verordnung), die am gleichen Tag wie die
Verordnung Nr. 1359/95 in Kraft trat, beibehalten. Durch diese Verordnung wurden jedoch unstreitig
die Verordnungen Nr. 774/94, geänderte Fassung, und Nr. 1431/94 nicht geändert und schon gar
nicht aufgehoben. Es ist daher kaum vorstellbar, dass zwei gemeinschaftliche Vorzugskontingente
über eine gleiche Menge Waren, die denselben KN-Codes entsprechen und den gleichen Ursprung
haben, mit Wirkung vom selben Tag, nämlich dem 1. Juli 1995, eröffnet worden sein sollen, und dass
das erste Kontingent, das nach der Verordnung Nr. 774/94 in der geänderten Fassung, mit der Pflicht
zur Vorlage einer Einfuhrlizenz verbunden war, während dies beim zweiten, dem nach der Verordnung
Nr. 1359/95, nicht der Fall gewesen sein soll.
67.
Zur Beurteilung der Art des Irrtums ist außerdem zu berücksichtigen, dass die zuständigen
Zollbehörden auf ihrem Irrtum nicht beharrten und ihn binnen sehr kurzer Frist, nämlich eines Monats,
nachdem er ihnen unterlaufen war, berichtigten. Dieser Umstand spricht dafür, dass das fragliche
Problem nicht schwer zu lösen war (vgl. e contrario Urteile Belovo/Kommission, Randnr. 18, Faroe
Seafood u. a., Randnrn. 7 und 104; Foods Import, Randnr. 30, und Ilumitrónica, Randnrn. 56 bis 58).
68.
Jedenfalls ist, selbst wenn die Verordnung Nr. 1359/95 als Indiz für eine gewisse Komplexität der
anwendbaren Regelung angesehen werden könnte, die die Klägerinnen hinsichtlich des
Erfordernisses der Vorlage einer Einfuhrlizenz bei Inanspruchnahme des Kontingents irregeführt hätte,
zu prüfen, ob dieser Irrtum von den Klägerinnen unter Berücksichtigung ihrer Berufserfahrung und der
von ihnen nach der oben in Randnummer 61 angeführten Rechtsprechung aufzuwendenden Sorgfalt
hätte erkannt werden können.
69.
Hinsichtlich der Erfahrung des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers ist nach ständiger
Rechtsprechung zu untersuchen, ob er gewerbsmäßig im Wesentlichen im Ein- und Ausfuhrgeschäft
tätig ist und ob er bereits über eine gewisse Erfahrung im Handel mit den betreffenden Waren verfügt
(Urteile Deutsche Fernsprecher, Randnr. 21, Belovo, Randnr. 19, Hewlett Packard France, Randnr. 26,
Urteil des Gerichtshofes vom 28. Juni 1990 in der Rechtssache C-80/89, Behn Verpackungsbedarf, Slg.
1990, I-2659, Randnr. 14).
70.
Vorliegend steht außer Zweifel, dass die Klägerinnen dieser Kategorie erfahrener
Wirtschaftsteilnehmer angehören. Sie gehören nämlich zu den Hauptimporteuren von Hühnerfleisch in
Deutschland und behaupten, im Handel mit Geflügelfleisch über Erfahrung zu verfügen. Im Übrigen
haben sie der Behauptung der Kommission, dass sie auf diesem Gebiet seit mehreren Jahrzehnten
sehr aktiv seien, nicht widersprochen.
71.
Die Klägerinnen tragen jedoch vor, trotz ihrer Berufserfahrung sei ihre Kenntnis der Verordnung
über das fragliche Kontingent so gering gewesen, dass sie den Zusammenhang zwischen den
Verordnungen Nrn. 774/94 und 1431/94 und der durch die Verordnung Nr. 1359/95 neu gefassten
Kombinierten Nomenklatur nicht hätten herstellen können. Damit räumen die Klägerinnen jedoch ein,
dass sie die Regelung für dieses Kontingent kannten. Zudem ist, da die Klägerinnen bereits ähnliche
Geschäfte getätigt hatten und damit über Erfahrung in der Einfuhr der fraglichen Waren verfügten
und da für die Einfuhr dieser Waren seit 1994 eine Einfuhrlizenz vorzulegen war, davon auszugehen,
dass ihnen die Bedeutung dieser Lizenz für die Möglichkeit, für diese Waren ein mehrjähriges
Zollkontingent zu erhalten, bekannt war.
72.
Dafür, dass die Klägerinnen nicht nur in der Lage waren, zwischen den Verordnungen Nrn. 774/94
und 1431/94 und der Verordnung Nr. 1359/95 einen Zusammenhang herzustellen, sondern diesen
tatsächlich hergestellt haben, sprechen auch die Zweifel, die sie in dieser Hinsicht hatten, sowie ihre
Anfragen, die sie im August 1995 an die verschiedenen deutschen Zollbehörden richteten, um diese
Zweifel zu zerstreuen und Auskunft über den Inhalt der fraglichen Regelung einzuholen. Daher braucht
die von den Klägerinnen beantragte Beweisaufnahme durch Vernehmung der Herren Peter Biegi und
Caspar von der Crone durch das Gericht zu der angeblich geringen Kenntnis der Klägerinnen auf
diesem Gebiet nicht angeordnet zu werden.
73.
Zur Sorgfalt des betreffenden Wirtschaftsteilnehmers ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass er
sich, sobald er Zweifel hat, ob für die Inanspruchnahme eines Vorzugszollkontingents eine
Einfuhrlizenz erforderlich ist, informieren und sich weitestmöglich Aufschluss darüber verschaffen
muss, ob seine Zweifel berechtigt sind (vgl. Urteile Deutsche Fernsprecher, Randnr. 22, und Hewlett
Packard France, Randnr. 24).
74.
Die Klägerinnen tragen zunächst vor, sie hätten den Deutschen Gebrauchszolltarif in der Fassung
des Eilverteilers, der keinen Hinweis auf das Erfordernis einer Einfuhrlizenz für die Inanspruchnahme
des streitigen Zollkontingents enthalten habe, sorgfältig konsultiert.
75.
Hierzu ist daran zu erinnern, dass nach gefestigter Rechtsprechung die geltenden
Gemeinschaftszollvorschriften von ihrer Veröffentlichung im
an das einzige positive Recht auf dem betreffenden Gebiet darstellen, auf dessen
Unkenntnis sich niemand berufen kann. Ein von nationalen Behörden verfasster Gebrauchszolltarif wie
der deutsche stellt daher, wie bereits aus dem Wortlaut seiner Inhaltsangabe hervorgeht, nur ein
Handbuch für die Zollabfertigung mit lediglich hinweisender Bedeutung dar. Ein Gewerbetreibender,
der im Wesentlichen Import- und Exportgeschäfte tätigt und über einschlägige Erfahrungen verfügt,
muss sich daher anhand der einschlägigen Amtsblätter Gewissheit über das auf seine Geschäfte
anwendbare Gemeinschaftsrecht verschaffen. Er darf sich also bei der Berechnung des anwendbaren
Zollsatzes nicht nur auf die Angaben in einem nationalen Gebrauchszolltarif stützen (vgl. Urteile
Binder, Randnr. 19, Behn Verpackungsbedarf, Randnrn. 13 und 14, und William Hinton & Sons,
Randnr. 71).
76.
Sodann tragen die Klägerinnen vor, sie hätten Sorgfalt walten lassen, indem sie sich an
verschiedene Zollbehörden gewandt hätten, die ihnen zum Erfordernis einer Einfuhrlizenz sowohl vor
als auch nach den streitigen Einfuhren falsche telefonische Auskünfte erteilt hätten. Diese Auskünfte
hätten bei ihnen ein berechtigtes Vertrauen begründet, das sie zum Tätigwerden berechtigt habe.
77.
Dieses Vorbringen ist angesichts der oben in den Randnummern 57 bis 59 dargelegten
Ausführungen und Überlegungen zurückzuweisen. Im Übrigen hätten die angeblichen telefonischen
Auskünfte, gleich, ob sie erteilt wurden und welche Beweiskraft sie haben, lediglich den Eilverteiler
bestätigt; überdies könnten sie gegenüber der den Klägerinnen obliegenden Pflicht, die im
veröffentlichten einschlägigen Texte aufmerksam zu lesen und sich
bei Zweifeln hinsichtlich ihrer Bedeutung weitestmöglich Aufschluss darüber zu verschaffen, ob diese
Zweifel berechtigt sind, nicht erheblich sein.
78.
Schließlich ist das Vorbringen der Klägerinnen zurückzuweisen, sie verfügten aufgrund der langen
Antwortfrist für solche Anfragen und der Tatsache, dass zahlreiche Kontingente im Bereich des
Geflügelfleischs nach dem „Windhundprinzip“ funktionierten, nicht über die erforderliche Zeit, um die
zuständigen Behörden um schriftliche Klarstellung der Rechtslage zu bitten.
79.
Hätten sich nämlich, erstens, die betreffenden Wirtschaftsteilnehmer in ihrem Verhalten allein von
wirtschaftlichen Überlegungen wie denjenigen, auf die sich die Klägerinnen berufen, leiten zu lassen,
so wäre ihre Sorgfaltspflicht, wie sie in der Rechtsprechung definiert wurde, ohne Inhalt.
80.
Zweitens waren die einschlägigen Vorschriften der Verordnungen Nrn. 774/94 und 1431/94 über
die Einfuhrlizenz ein Jahr vor den streitigen Importen veröffentlicht worden und anwendbar. Die
Verordnung Nr. 1359/95 war ebenfalls am 26. Juni 1995, also drei Wochen vor den von Biegi
getätigten streitigen Einfuhren vom Juli 1995 und vier Wochen vor denjenigen von Commonfood,
veröffentlicht worden. Die Klägerinnen verfügten also vor den streitigen Einfuhren über ausreichend
Zeit, um zur Beseitigung ihrer Zweifel und zur Einholung von Klarstellungen hinsichtlich der geltenden
Regelung rechtzeitig eine schriftliche Anfrage an die zuständigen deutschen Zollbehörden oder die
Kommission zu richten. Es ist jedoch unstreitig, dass die Klägerinnen solche Schritte nicht rechtzeitig
unternommen haben.
81.
Drittens ist die Behauptung der Klägerinnen, die Antwort auf eine schriftliche Anfrage nehme
zwangsläufig viel Zeit in Anspruch, so dass sie die sich aus dem „Windhundprinzip“ ergebenden
Fristen nicht einhalten könnten, für die Beurteilung der Sorgfalt, die die Klägerinnen als erfahrene
Wirtschaftsteilnehmer an den Tag hätten legen müssen, unerheblich. Im Übrigen findet sich für diese
Behauptung der Klägerinnen zur Länge der Antwortfrist für schriftliche Anfragen im vorliegenden Fall
keine Bestätigung. Es steht nämlich fest, dass die nach den streitigen Einfuhren, und zwar am 18.
August 1995, gestellte schriftliche Anfrage der Klägerinnen an das Bundesministerium der Finanzen
innerhalb von vier Tagen mit dem genannten Schreiben vom 22. August 1995 beantwortet wurde.
82.
Es ist daher festzustellen, das die Klägerinnen die Sorgfalt, die ihnen als auf dem Gebiet der Einfuhr
der fraglichen Waren erfahrene Wirtschaftsteilnehmer obliegt, nicht haben walten lassen.
83.
Aus all diesen Erwägungen ergibt sich, dass die Kommission zu Recht angenommen hat, dass die
zweite der kumulativen Voraussetzungen des Artikels 220 Absatz 2 Buchstabe b ZK hier nicht erfüllt
war und dass die nachträgliche buchmäßige Erfassung der Abgaben für die streitigen Einfuhren
berechtigt war.
84.
Der erste Rechtsmittelgrund ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Vorbringen der Parteien
85.
Nach Auffassung der Klägerinnen verstoßen die angefochtenen Entscheidungen gegen den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, weil die Kommission den Wirtschaftsteilnehmern übertriebene
Sorgfaltspflichten auferlege, während sie selbst es versäumt habe, die Rechtslage durch einen
einzigen Hinweis auf die Verordnungen Nrn. 774/94 und 1431/94 in der Verordnung Nr. 1359/95
klarzustellen.
86.
Die Kommission erwidert, dieses Vorbringen der Klägerinnen überschneide sich mit dem Vorbringen
im Rahmen des ersten Klagegrundes, die Verordnung Nr. 1359/95 sei unklar. Wenn, wie im
vorliegenden Fall, die Voraussetzungen des Artikels 220 Absatz 2 Buchstabe b ZK nicht gegeben
seien, könne die nachträgliche buchmäßige Erfassung der Einfuhrabgaben jedenfalls keine Verletzung
des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit darstellen.
Würdigung durch das Gericht
87.
Sind die Anwendungsvoraussetzungen des Artikels 220 Absatz 2 Buchstabe b ZK nicht erfüllt, so
verstößt die nachträgliche buchmäßige Erfassung der Einfuhrabgaben nicht gegen den Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit (Urteil Faroe Seafood u. a., Randnr. 114).
88.
Da vorliegend die Anwendungsvoraussetzungen des Artikels 220 Absatz 2 Buchstabe b ZK nicht
erfüllt sind, kann die nachträgliche buchmäßige Erfassung der Abgaben für die streitigen Einfuhren
als solche nicht gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.
89.
Folglich ist der zweite Klagegrund zurückzuweisen.
Vorbringen der Parteien
90.
Die Klägerinnen tragen vor, die Kommission habe mit den angefochtenen Entscheidungen die im
Gemeinschaftsrecht geltenden Grundsätze der ordnungsgemäßen Verwaltung und der
Gleichbehandlung verletzt. Die angefochtenen Entscheidungen wichen nämlich zum Nachteil der
Klägerinnen von einer früheren Entscheidung vom 24. März 2000 ab, die in einem ähnlichen Fall (REC
11/98) getroffen worden sei.
91.
Die Kommission ist der Auffassung, der Vorwurf einer Verletzung des Grundsatzes der
ordnungsgemäßen Verwaltung sei von den Klägerinnen nicht begründet worden und daher nicht zu
berücksichtigen.
92.
Was die Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung bzw. des Diskriminierungsverbots
betreffe, so sei das Verfahren REC 11/98 mit den streitigen Verfahren (REC 4/00 und 4/01) nicht
vergleichbar. Der Irrtum der Zollbehörden im Verfahren REC 11/98 habe nicht lediglich in der
Veröffentlichung eines fehlerhaften nationalen Zolltarifs bestanden, sondern vor allem in dem
Umstand, dass die französischen Zollbehörden über zwei Jahre lang außerordentlich zahlreiche
Einfuhranmeldungen mit einem darin enthaltenen fehlerhaften Zollsatz akzeptiert hätten. Folglich
seien weder die Art des Irrtums noch die Dauer der irrtümlichen Handhabung, noch die Anzahl der
betroffenen Einfuhren mit den vorliegenden Verfahren vergleichbar.
Würdigung durch das Gericht
93.
Zunächst ist festzustellen, dass der Vorwurf einer Verletzung des Grundsatzes der
ordnungsgemäßen Verwaltung durch nichts belegt und daher zurückzuweisen ist.
94.
Sodann ist zum Vorwurf eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung daran zu
erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung nach diesem Grundsatz vergleichbare Sachverhalte
nur dann unterschiedlich behandelt werden dürfen, wenn eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt
ist (Urteile des Gerichtshofes vom 13. November 1984 in der Rechtssache 283/83, Racke, Slg. 1984,
3791, Randnr. 7, und vom 12. Dezember 2002, Fogasa, C-442/00, Slg. 2002, I-11915, Randnr. 32).
95.
Die Klägerinnen behaupten, die angefochtenen Entscheidungen wichen von einer früheren
Entscheidung der Kommission vom 24. März 2000 in einem Verfahren REC 11/98 ab, die ähnlich sei
und in der die Kommission befunden habe, dass eine nachträgliche buchmäßige Erfassung der
Einfuhrabgaben nicht gerechtfertigt sei.
96.
Jedoch ist, wie die Kommission vorgetragen hat, ohne dass die Klägerinnen dies im schriftlichen
Verfahren und in der mündlichen Verhandlung bestritten hätten, das Verfahren REC 11/98 nicht mit
den beiden vorliegenden Verfahren vergleichbar. Dieser Vorwurf ist deshalb als unerheblich
zurückzuweisen.
97.
Der dritte Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
98.
Nach alledem sind die Klagen abzuweisen.
Kosten
99.
Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen
entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Vierte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Klägerinnen tragen die Kosten des Verfahrens.
Tiili
Mengozzi
Vilaras
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. September 2003.
Der Kanzler
Die Präsidentin
H. Jung
V. Tiili
Verfahrenssprache: Deutsch.