Urteil des EuG vom 15.09.1998

EuG: kommission, bfm, markt, auswärtige angelegenheiten, klagegrund, regierung, gericht erster instanz, staatliche beihilfe, republik, darlehen

URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)
15. September 1998
„Staatliche Beihilfen - Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag - Mitteilung über die Einleitung eines Verfahrens - Nicht
ausdrücklich erwähnte Beihilfen - Beihilfe für Unternehmen in den benachteiligten Gebieten -
Umstrukturierung - Rückforderung der Beihilfe - Verjährung“
In den verbundenen Rechtssachen T-126/96 und T-127/96
Breda Fucine Meridionali SpA (BFM),
(Italien),
Ente Partecipazioni e Finanziamento Industria Manifatturiera (EFIM),
Rechts in Liquidation mit Sitz in Rom,
vertreten durch die Rechtsanwälte Antonio Tizzano und Gian Michele Roberti, Neapel, 36, place du Grand
Sablon, Brüssel,
Klägerinnen,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Gussetti, Juristischer Dienst, sowie Enrico Altieri, zur Kommission abgeordneter nationaler Beamter, sodann
durch Paul Nemitz und Paolo Stancanelli, Juristischer Dienst, als
Bevollmächtigte,Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner,
Luxemburg-Kirchberg,
Beklagte,
unterstützt durch
Französische Republik
Abteilungsleiterinnen in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für Auswärtige Angelegenheiten,
Jean-Marc Belorgey und Frédérik Million, Chargés de mission in dieser Direktion, und Gautier Mignot, Sekretär
für Auswärtige Angelegenheiten im selben Ministerium, als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift:
Französische Botschaft, 9, boulevard Prince Henri, Luxemburg,
und
Manoir industries SA,
Rechtsanwalt Bernard van de Walle de Ghelcke, Brüssel, Zustellungsanschrift: Kanzlei des Rechtsanwalts
Freddy Brausch, 11, rue Goethe, Luxemburg,
Streithelferinnen,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 96/614/EG der Kommission vom 29. Mai 1996 über Maßnahmen
Italiens zugunsten des Unternehmens Breda Fucine Meridionali SpA (ABl. L 272, S. 46), mit der die
staatlichen Beihilfen, die die italienische Regierung der Breda Fucine Meridionali SpA gewährt hat, für mit
dem Gemeinsamen Markt unvereinbar und rechtswidrig erklärt werden,
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung der Präsidentin V. Tiili sowie der Richter C. P. Briët, K. Lenaerts, A. Potocki und J. D. Cooke,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. Mai 1998,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
1.
Die 1961 gegründete Gesellschaft Breda Fucine Meridionali (im folgenden: BFM) ist eine Gießerei für
den zweiten Schmelzvorgang. Sie hat sich namentlich auf die Lieferung von Bahnmaterial,
insbesondere Herzstücke für Kreuzungen, spezialisiert. Ihr Sitz ist in Bari im italienischen Mezzogiorno,
also in einer Gegend, für die gegebenenfalls regionalbedingte Beihilfen gemäß Artikel 92 Absatz 3
Buchstabe a EG-Vertrag gewährt werden können.
2.
BFM wurde bis Ende 1986 von zwei Gesellschaften (Oto Melara SpA und Breda Meccanica Bresciana
SpA) kontrolliert, die - wie BFM behauptet - auf dem Verteidigungssektor tätig waren. Zu dieser Zeit
nahm das Unternehmen angeblich eine Reihe von Investitionen insbesondere im Bereich der
Verteidigung, der Kernenergie und der Stromversorgung vor. Die Beklagte bestreitet jedoch die
Zugehörigkeit von BFM zum Verteidigungssektor. BFM wird seit 1987 von der Gesellschaft Finanziaria
Ernesto Breda (im folgenden: FEB), die ihrerseits der Staatsholding Ente partecipazioni e
finanziamento industria manifatturiera (im folgenden: EFIM) gehört.
3.
Mit Gesetzesdekret Nr. 340 vom 18. Juli 1992, das durch das Gesetzesdekret Nr. 362 vom 14.
August 1992 (im folgenden: Gesetzesdekret Nr. 362/92) bestätigt wurde, ordnete die italienische
Regierung die Liquidation von EFIM mit Wirkung vom gleichen Zeitpunkt an. Für den
Liquidationsvorgang galten mehrere Gesetzesdekrete, darunter Nr. 414 vom 20. Oktober 1992 (im
folgenden: Gesetzesdekret Nr. 414/92) und Nr. 487 vom 19. Dezember 1992 (im folgenden:
Gesetzesdekret Nr. 487/92), das mit einigen Änderungen in das Gesetz Nr. 33 vom 17. Februar 1993
(im folgenden: Gesetz Nr. 33/93) umgewandelt wurde. Dieses Liquidationsverfahren wurde von
Beihilfemaßnahmen begleitet, die von den italienischen Behörden nicht mitgeteilt wurden. Die
Kommission leitete daher mit Entscheidung vom 23. Dezember 1992, die den italienischen Behörden
am 24. Februar 1993 bekanntgegeben wurde, insbesondere gegenüber den Gesetzesdekreten Nrn.
362/92 und 414/92 das Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages ein (Mitteilung der
Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag an die übrigen Mitgliedstaaten und sonstigen
Beteiligten betreffend Beihilfen an EFIM, ABl. 1993, C 75, S. 2). Dieses Verfahren wurde durch die
Entscheidung vom 26. Januar 1993, die der italienischen Regierung am 10. März 1993
bekanntgegeben wurde, insbesondere auf das Gesetzesdekret Nr. 487/92 erweitert (Mitteilung der
Kommission gemäß Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag an die übrigen Mitgliedstaaten und anderen
Beteiligten über Beihilfen, die Italien EFIM zu gewähren beabsichtigt, ABl. 1993, C 78, S. 4). EFIM wurde
durch Erlaß des italienischen Schatzministers vom 21. Januar 1995 zwangsliquidiert. DiesesVerfahren
wurde durch Entscheidung vom 27. Dezember 1996 endgültig abgeschlossen. FEB wurde ihrerseits
durch Dekret des italienischen Schatzministers vom 11. März 1994 zwangsliquidiert.
4.
Am 5. Oktober 1994 legte eine französiche Wettbewerberin von BFM, die Gesellschaft Manoir
industries (im folgenden: Manoir), bei der Kommission Beschwerde gegen Beihilfen ein, die BFM
angeblich vom italienischen Staat in Anspruch genommen hatte. Die Kommission ersuchte die
italienischen Behörden mit Schreiben vom 17. Oktober 1994 um Auskunft über diese Zuwendungen.
5.
Anhand der verfügbaren Informationen gelangte die Kommission insbesondere zu dem Schluß, daß
FEB und EFIM die Gesellschaft BFM von 1985 bis 1994 wiederholt durch Kapitalzuführungen,
Verlustausgleichszahlungen und Darlehen unterstützt hätten und BFM u. a. durch eine
Sonderbestimmung des Gesetzes Nr. 33/93 habe fortbestehen und die Liquidation vermeiden können.
6.
Da die Kommission erhebliche Schwierigkeiten hatte, festzustellen, ob die betreffenden Maßnahmen
mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar waren, teilte sie der italienischen Regierung durch Schreiben
vom 10. März 1995 mit, daß sie beschlossen habe, in bezug auf die genannten Maßnahmen das
Verfahren des Artikels 93 Absatz 2 EG-Vertrag einzuleiten, und forderte sie auf, sich zu der
Angelegenheit zu äußern. Die italienische Regierung nahm zu diesem Schreiben am 3. Mai 1995
Stellung, wobei sie betonte, daß die Bemerkungen der Kommission vage und ungenau seien, da sie
keine konkreten Angaben über die Höhe der fraglichen Beihilfe enthielten. Sie wies jedenfalls die
Feststellungen der Kommission zurück.
7.
Mit Schreiben vom 12. September 1995 ersuchte die Kommission die italienischen Behörden um
Übermittlung der Bilanzen von BFM für die Jahre 1985 bis 1994.
8.
Durch Mitteilung gemäß Artikel 93 Absatz 2 EG-Vertrag an die übrigen Mitgliedstaaten und
sonstigen Beteiligten über eine Beihilfe der italienischen Regierung an BFM (ABl. 1995, C 293, S. 8; im
folgenden: Eröffnungsmitteilung) unterrichtete die Kommission die Mitgliedstaaten und die beteiligten
Dritten von der Einleitung des Verfahrens nach der genannten Bestimmung.
9.
In Absatz 6 dieser Mitteilung erklärt die Kommission folgendes:
„Aus den Unterlagen geht ... hervor, daß einerseits EFIM BFM Mittel in Höhe von 52 Mrd. Lit zugeführt
hat und andererseits die Banken staatlich verbürgte Darlehen von 10 Mrd. Lit an BFM gewährt haben.
Schließlich hat sich gezeigt, daß infolge des für das Liquidierungsverfahren von EFIM vorgesehenen
Ad-hoc-Gesetzes keine Liquidierung für BFM eröffnet wurde, obgleich in der Regel die Liquidierung
eines Mutterunternehmens mit der Liquidierung der Töchter verbunden ist. Aufgrund einer weiteren
Ad-hoc-Bestimmung des italienischen Gesetzes vom 17. Februar 1993, Nr. 33, Artikel 7 Absatz 2, die
ausschließlich auf Unternehmen unterKontrolle von EFIM Anwendung findet, gelang es BFM auch, die
Auflösung zu vermeiden und sich weiter am Markt zu halten. Diese Bestimmung stellt eine Ausnahme
von den verbindlichen Vorschriften des Artikels 2448 des italienischen Zivilgesetzbuches dar, wonach
das Herabsinken des Kapitals unter den gesetzlichen Mindestbetrag (200 Mio. Lit) ein
Auflösungsgrund ist.“
10.
In Absatz 10 der Eröffnungsmitteilung stellt die Kommission folgendes fest:
„Nach den vorliegenden Angaben hatte BFM in den letzten drei Jahren beträchtliche Verluste und hat
die Verschuldung des Unternehmens inzwischen das Fünffache seines Gesellschaftskapitals erreicht.
Hierzu ist festzustellen, daß BFM sich an dem in Rede stehenden Markt ausschließlich durch die
staatlichen Investitionen sowie die Mittel von EFIM und von [FEB] und die staatlichen Bürgschaften für
Lieferanten und Gläubiger von BFM halten konnte.“
11.
Nach Schätzung der Kommission anhand der verfügbaren Informationen beliefen sich nämlich am
Ende des Geschäftsjahres 1993 die Gesamtschulden von BFM auf 88,7 Milliarden LIT gegenüber einem
Gesellschaftskapital von 17 Milliarden LIT.
12.
Aufgrund einer Analyse der Sachlage kam die Kommission vorläufig zu dem Schluß, daß „die
Interventionen des italienischen Staates zugunsten von BFM, insbesondere die Nichtanwendung der
allgemeinen Vorschriften über die Liquidierung und Auflösung von Gesellschaften sowie die Bürgschaft
für die Schulden von BFM und die Maßnahmen der ... EFIM sowie der ... [FEB], insbesondere in Form
von Finanzierungen und Bürgschaften, die Möglichkeit zur künstlichen Erhaltung von BFM am Markt
geboten [haben] und folglich als staatliche Beihilfen zu betrachten [sind], die den Wettbewerb auf
dem in Rede stehenden Markt verfälschen“ (Absatz 12 der Eröffnungsmitteilung). Sie betonte erneut,
daß sie ernsthafte Schwierigkeiten habe, festzustellen, „ob die in Rede stehenden Beihilfen,
insbesondere die Bürgschaft des italienischen Staates für die Schulden von BFM, die Finanzierungen
und Bürgschaften der EFIM und [FEB] für BFM, die Nichtanwendung der Vorschriften des italienischen
Zivilgesetzbuches über die Liquidierung und Auflösung der Gesellschaften sowie jede andere
öffentliche Intervention zugunsten BFM mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar sind“ (Absatz 16 der
Eröffnungsmitteilung).
13.
Die Erklärungen, die Manoir und die deutsche Regierung gegenüber der Kommission mit Schreiben
vom 21. November 1995 und 6. November 1995 abgaben, wurden der italienischen Regierung mit
Schreiben vom 31. Januar 1996 mitgeteilt. Die Regierung hat hierzu nicht Stellung genommen.
14.
Am 27. Februar 1996 fand eine Sitzung statt, in der BFM den Vertretern der Generaldirektion
Wettbewerb der Kommission ihren Standpunkt darlegte. Diese ersuchten um Vorlage eines
Rechnungsberichts über die wirtschaftliche und finanzielle Lage von BFM mit weiteren Einzelheiten
über die gemachten Angaben.Der angeforderte Bericht wurde der Kommission am 4. April 1996 von
den italienischen Behörden übermittelt.
15.
Am 29. Mai 1996 erließ die Kommission die Entscheidung 96/614/EG über Maßnahmen Italiens
zugunsten von BFM (ABl. L 272, S. 46; im folgenden: streitige Entscheidung).
16.
Artikel 1 der streitigen Entscheidung lautet wie folgt:
„Die staatlichen Beihilfemaßnahmen, die das Unternehmen BFM in Anspruch genommen hat, nämlich:
a) Kapitalzuführungen in Höhe von 12 Mrd. Lit, d. h. 7 Mrd. Lit 1986, 5 Mrd. Lit 1987;
b) Ausgleich von Verlusten in Höhe von 50,8 Mrd. Lit, insbesondere 7,1 Mrd. Lit 1985, 11,2 Mrd. Lit
1987, 3,9 Mrd. Lit 1988, 11,6 Mrd. Lit 1990 und 17 Mrd. Lit 1991;
c) Darlehen der [FEB] und der Holding EFIM an BFM, wodurch diese sich in Höhe von 63 Mrd. Lit
gegenüber ihren Muttergesellschaften verschuldet hat;
d) Artikel 7 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 33/1993, verlängert durch den Ministerialerlaß vom 24. Januar
1996, aufgrund dessen BFM sich der Tilgung seiner Schulden gegenüber der öffentlichen Hand und
gegenüber öffentlichen Unternehmen, einschließlich seiner Verbindlichkeiten gegenüber öffentlichen
Kreditinstituten, entziehen und den Betrieb fortsetzen konnte, ohne die mit dem Gemeinsamen Markt
unvereinbaren öffentlichen Zuwendungen zurückzahlen zu müssen und ohne abgewickelt zu werden;
e) Bestimmungen des Gesetzes Nr. 33/1993, aufgrund deren BFM die Tilgung der Darlehen der
öffentlichen Kreditinstitute ISVEIMER und IMI in Höhe von 6,609 Mrd. Lit aussetzen konnte,
sind zu Unrecht gewährt worden, weil sie der Kommission nicht gemäß Artikel 93 Absatz 3 EG-Vertrag
vor der Gewährung gemeldet wurden.
Die Maßnahmen sind nach Artikel 92 EG-Vertrag mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar.“
17.
Die Entscheidung sieht in Artikel 2 vor, daß Italien die an BFM gezahlten Beihilfen zurückfordert, und
zwar einschließlich Zinsen ab dem Zeitpunkt der Gewährung bis zur Rückzahlung. Ferner muß Italien
gemäß Artikel 3 der Entscheidung die Bestimmungen über die Verlängerung der vom allgemeinen
Recht abweichendenRegelung betreffend die Verbindlichkeiten gegenüber der öffentlichen Hand und
gegenüber öffentlichen Unternehmen sowie die Bestimmungen über die Aussetzung der Tilgung der
von öffentlichen Kreditinstituten gewährten Darlehen gegenüber BFM unverzüglich aussetzen und sie
aufheben.
18.
Am 21. August 1996 wurde die verwaltungsmäßige Zwangsliquidation von BFM angeordnet. Die
Vermögensgegenstände des Unternehmens wurden versteigert und der Firma Finmeccanica
übertragen.
Verfahren
19.
Unter diesen Umständen haben BFM und EFIM mit Klageschriften, die am 12. August 1996 bei der
Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, die vorliegenden Klagen erhoben, die unter den Nummern T-
126/96 und T-127/96 eingetragen worden sind.
20.
Manoir und die Französische Republik haben mit Antragsschriften, die am 18. Dezember 1996 und
30. Januar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, ihre Zulassung als Streithelferinnen
zur Unterstützung der Anträge der Beklagten in den beiden Rechtssachen beantragt.
21.
Die Italienische Republik hat mit am 6. Februar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen
Telefaxen ihre Zulassung als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerinnen in den
beiden Rechtssachen beantragt.
22.
Mit Schreiben, die am 20. Februar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die
Klägerinnen in den beiden Rechtssachen beantragt, daß bestimmte in den Akten enthaltene
Informationen gegenüber der Französischen Republik und Manoir vertraulich behandelt werden.
23.
Mit Beschlüssen vom 11. März 1997 hat der Präsident des Gerichts die Streithilfeanträge der
Italienischen Republik wegen verspäteter Einreichung zurückgewiesen.
24.
Mit Beschlüssen vom 16. Juli 1997 hat der Präsident des Gerichts den Anträgen der Französischen
Republik und von Manoir auf Zulassung als Streithelferinnen zur Unterstützung der Anträge der
Beklagten in den beiden Rechtssachen und zum Teil den Anträgen der Klägerinnen auf vertrauliche
Behandlung stattgegeben.
25.
Mit Beschluß vom 30. September 1997 hat der Präsident des Gerichts nach Anhörung der
Verfahrensbeteiligten die Rechtssachen T-126/96 und T-127/96 zu gemeinsamer mündlicher
Verhandlung und Entscheidung verbunden.
26.
Die Streithelferinnen haben ihre Streithilfeschriftsätze am 15. Oktober 1997 eingereicht.
27.
Die Kommission hat mit Schreiben, das am 5. Dezember 1997 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, darauf verzichtet, sich zu diesen Schriftsätzen zu äußern. Die Klägerinnen haben sich
am 16. Februar 1998 zu den Streithilfeschriftsätzen geäußert. Das schriftliche Verfahren ist zu diesem
Zeitpunkt abgeschlossen worden.
28.
Das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) hat auf Bericht des Berichterstatters die mündliche
Verhandlung eröffnet. Die Verfahrensbeteiligten haben in der Sitzung vom 26. Mai 1998 mündlich
verhandelt und die Fragen des Gerichts beantwortet. Das Gericht hat die Verfahrensbeteiligten im
Rahmen prozeßleitender Maßnahmen um bestimmte Angaben ersucht.
Anträge der Verfahrensbeteiligten
29.
BFM beantragt,
- die streitige Entscheidung in vollem Umfang oder, hilfsweise, zum Teil für nichtig zu erklären;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
30.
EFIM beantragt,
- die streitige Entscheidung in vollem Umfang oder, hilfsweise, zum Teil für nichtig zu erklären;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
31.
Die Kommission beantragt in den beiden Rechtssachen,
- die Klagen abzuweisen;
- den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
32.
Die französische Regierung unterstützt die Anträge der Kommission und beantragt zudem, den
zweiten Klagegrund zurückzuweisen.
33.
Manoir beantragt,
- die Klagen als unbegründet abzuweisen;
- den Klägerinnen die Kosten des Verfahrens einschließlich der Streithilfekosten aufzuerlegen.
Zur Begründetheit
34.
Die Klägerinnen machen fünf Klagegründe zur Stützung ihrer Anträge geltend. Der erste
Klagegrund, der aus zwei Teilen besteht, bezieht sich zum einen auf eine Verletzung der
Verfahrensrechte der Klägerinnen, da die angefochtene Entscheidung im wesentlichen Maßnahmen
für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erkläre, die von der Mitteilung über die Einleitung des
Verfahrens nicht betroffen gewesen seien, und zum anderen auf eine Verletzung der
Begründungspflicht. Der zweite Klagegrund stützt sich auf einen Verstoß gegen die Grundsätze der
Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes sowie auf die Nichtbeachtung einer fünfjährigen
Verjährungsfrist. Der dritte Klagegrund beruht auf einem Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 1 des
Vertrages, da die Kommission nicht dargetan habe, daß die streitigen Maßnahmen staatliche Beihilfen
darstellten. Mit dem vierten Klagegrund wird ein Fehler bei der Anwendung des Artikels 92 Absatz 3
Buchstaben a und c des Vertrages gerügt. Der fünfte Klagegrund schließlich betrifft die angebliche
Rechtswidrigkeit des Artikels 2 der streitigen Entscheidung. Bei dem zweiten und dem fünften
Klagegrund geht es im wesentlichen um die Frist zwischen der Gewährung der streitigen Beihilfen und
deren Bemängelung durch die Kommission in der angefochtenen Entscheidung; diese beiden
Klagegründe werden daher zusammen geprüft.
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
35.
Die Klägerinnen führen aus, die Kommission habe in der Eröffnungsmitteilung lediglich erklärt, daß
BFM von EFIM Beträge in Höhe von 52 Milliarden LIT und staatlich verbürgte Darlehen in Höhe von 10
Milliarden LIT erhalten habe, ohne in irgendeiner Weise auf andere vermutliche Kapitalzuflüsse oder
deren Zeitpunkt hinzuweisen. Sie betonen, daß die Kommission in dieser Mitteilung somit die meisten
in der streitigen Entscheidung bemängelten Beihilfen keineswegs erwähnt habe.
36.
Die Kommission habe, indem sie erstmals in der endgültigten Entscheidung Beihilfen gerügt habe,
die von ihr zuvor nicht bemängelt worden seien, zum einen die Verteidigungsrechte der Klägerinnen
verletzt und zum anderen gegen den Geist des in Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages vorgesehenen
Verfahrens verstoßen, der u. a. dem betroffenen Mitgliedstaat und den beteiligten Unternehmen
sowie den übrigen Mitgliedstaaten und den interessierten Kreisen die Möglichkeit verschaffen solle,
sich zu äußern.
37.
Das Verbot, die in der Mitteilung über die Einleitung des Verfahrens vorgebrachten
Beanstandungen in der endgültigen Entscheidung zu ändern oder in dieser gar neue Rügen
hinzuzufügen, gelte für alle entsprechenden Verfahren des Gemeinschaftsrechts.
38.
Demnach sei die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären, und zwar schon wegen der
angeblichen Beihilfen, die in der Eröffnungsmitteilung nicht ausdrücklich beanstandet worden seien.
39.
Die Kommission legt zunächst dar, daß die Rügen bezüglich der Eröffnungsmitteilung unzulässig
seien, da die Klägerinnen nicht Klage wegen dieser anfechtbaren Handlung erhoben hätten, die
endgültige Beurteilungen bezüglich der Natur der Beihilfen zum Ausdruck gebracht habe (siehe Urteil
des Gerichtshofes vom 30. Juni 1992 in der Rechtssache C-312/90, Spanien/Kommission, Slg. 1992, I-
4117).
40.
Die Kommission betont, sie habe in Absatz 16 ihrer Eröffnungsmitteilung den
Untersuchungsgegenstand in der Weise definiert, daß er sich auf alle Interventionen der öffentlichen
Hand erstrecke, die BFM zugute gekommen seien (siehe oben, Randnr. 12 a. E.).
41.
Sie habe jedenfalls den Gegenstand ihrer Untersuchung genau umrissen, indem sie mit Telefax vom
1. Dezember 1994 zum einen den Liquidator von EFIM aufgefordert habe, „alle erforderlichen Angaben
zu machen, um die Angelegenheit aufzuklären“, und zum anderen die italienischen Behörden um
Vorlage der Bilanzen der letzten zehn Jahre ersucht habe und ihnen ferner eine Abschrift der
Erklärungen von Manoir und der deutschen Regierung mit der Bitte um Stellungnahme zugeleitet
habe. Im übrigen hätten BFM und EFIM genau gewußt, welche Beihilfen ihnen zugute gekommen seien.
42.
Die Klägerinnen erwidern, eine Klage gegen eine Mitteilung über die Einleitung des Verfahrens nach
Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages sei nur zulässig, wenn die Kommission eine bereits bestehende
Beihilfe zu Unrecht als neu bezeichnet habe. Da dies hier nicht zutreffe, seien die Rügen bezüglich der
Eröffnungsmitteilung zulässig.
Würdigung durch das Gericht
43.
Zur Zulässigkeit dieses Klagegrundes ist zunächst festzustellen, daß eine Entscheidung über die
Einleitung des Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages zwar Rechtswirkungen erzeugt und
somit eine anfechtbare Handlung darstellt, soweit sie eine Qualifizierung der Beihilfe als bestehend
oder neu und eine Wahl der anwendbaren Verfahrensregeln enthält (Urteil Spanien/Kommission,
Randnrn. 17, 20 und 24). Sie kann indessen nur in diesem Maß eine anfechtbare Handlung im Sinne
des Artikels 173 des Vertrages darstellen. Der Gerichtshof hat nämlich in dem genannten Urteil
ausgeführt, daß sich seine Prüfung nicht auf die von der Kommission in dieser Eröffnungsmitteilung
vorgenommene Beurteilung der Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem Vertrag erstreckt (Randnr. 10 des
Urteils). Der Klagegrund ist somit zulässig.
44.
Ist die Kommission aufgrund einer ersten Prüfung zu der Überzeugung gelangt, daß eine staatliche
Beihilfe mit dem Vertrag unvereinbar ist, oder hat sie hierbei nicht alle Schwierigkeiten hinsichtlich der
Beurteilung der Vereinbarkeit dieser Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt ausräumen können, so ist
sie nach ständiger Rechtsprechung verpflichtet, alle erforderlichen Stellungnahmen einzuholen und zu
diesem Zweck das Verfahren des Artikels 93 Absatz 2 des Vertrages einzuleiten (siehe insbesondere
Urteil des Gerichtshofes vom 2. April 1998 in der Rechtssache C-367/95, Kommission/Sytraval u. a.,
Slg. 1998, I-1719, Randnr. 39).
45.
Aus Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages geht nämlich hervor, daß die Kommission entscheidet,
„nachdem sie den Beteiligten eine Frist zur Äußerung gesetzt hat“. Der Gerichtshof hat festgestellt,
daß die Eröffnungsmitteilung lediglich dem Zweck dient, von den Beteiligten alle Auskünfte zu
erhalten, die dazu beitragen können, der Kommission Klarheit über ihr weiteres Vorgehen zu
verschaffen (Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1973 in der Rechtssache 70/72,
Kommission/Deutschland, Slg. 1973, 813, Randnr. 19).
46.
Es ist festzustellen, daß die beanstandeten Maßnahmen entgegen dem Erfordernis des Artikels 93
Absatz 3 des Vertrages der Kommission nicht vor ihrer Durchführung gemeldet wurden. Diese
Meldepflicht soll der Kommission jedoch Gelegenheit geben, ihre Kontrolle über jede beabsichtigte
Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen rechtzeitig und im allgemeinen Interesse der
Gemeinschaften auszuüben (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-
301/87, Frankreich/Kommission, Slg. 1990, I-307, Randnr. 17).
47.
Insoweit ist das Argument der Klägerinnen zurückzuweisen, daß eine Maßnahme mit genau den
gleichen Auswirkungen auf die rechtliche und finanzielle Situation von BFM wie Artikel 7 Absatz 2 des
Gesetzes Nr. 33/93, nämlich das Gesetzesdekret Nr. 414/92, der Kommission bereits gemeldet und
von ihr stillschweigend genehmigt worden sei. Die Kommission hat nämlich bei der Untersuchung der
Unterlagen über die Beihilfen Italiens an EFIM festgestellt, daß die Übermittlung einer Abschrift des
Gesetzesdekrets Nr. 414/92 durch die italienischen Behörden nicht als gültige Anmeldung eingestuft
werden konnte, da sie keine ausdrückliche Bezugnahme auf Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages enthielt
und nicht dem Generalsekretariat vorgelegt wurde, so daß die betreffenden Maßnahmen als nicht
angemeldet anzusehen waren (siehe Nr. 1 Absätze 8 bis 10 der vorgenannten Mitteilung der
Kommission).
48.
Ferner haben die italienischen Behörden nicht die Auskünfte erteilt, um die sie die Kommission am
17. Oktober 1994 vor Einleitung des Verfahrens nach Artikel 93Absatz 2 des Vertrages gebeten hatte
(siehe oben, Randnr. 4). So mußte sich die Kommission in diesem Stadium mit den Informationen
begnügen, die sie von der Beschwerdeführerin erhalten hatte.
49.
Die Kommission konnte sich somit im Stadium der Verfahrenseinleitung insbesondere in
Ermangelung einer vorherigen Mitteilung kein genaues Bild von den staatlichen Beihilfemaßnahmen
machen, die BFM in Anspruch genommen hatte. Es kann ihr daher nicht vorgeworfen werden, daß sie
in der Eröffnungsmitteilung in allgemeinen Worten außer Artikel 7 Absatz 2 des Gesetzes N. 33/93 „die
Mittel von EFIM und von [FEB] und die staatlichen Bürgschaften für Lieferanten und Gläubiger von
BFM“ (siehe oben, Randnr. 12) sowie „die Maßnahmen der ... EFIM sowie der ... [FEB], insbesondere in
Form von Finanzierungen und Bürgschaften“ (siehe oben, Randnr. 8), in Frage gestellt hat. Ferner
konnten die Betroffenen unbedingt aufgrund des Hinweises auf den Wiederholungscharakter der
Maßnahmen (siehe insbesondere Absatz 10 der Eröffnungsmitteilung) erkennen, daß die
Untersuchung der Kommission alle Beihilfemaßnahmen der Vorjahre umfaßte.
50.
Das Gericht stellt jedenfalls fest, daß die von der streitigen Entscheidung erfaßten Beihilfen (siehe
oben, Randnr. 16), nämlich die Kapitalzuführungen, Verlustausgleichszahlungen und Finanzierungen
von FEB und EFIM zugunsten von BFM, ferner Artikel 7 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 33/93, aufgrund
dessen BFM insbesondere die Schulden gegenüber öffentlichen Einrichtungen und öffentlichen
Kreditinstituten nicht zu tilgen brauchte, sowie Bestimmungen des Gesetzes Nr. 33/93, aufgrund deren
BFM die Tilgung von Darlehen öffentlicher Kreditinstitute aussetzen konnte, sind zweifellos gleicher Art
wie die in vorstehender Randnummer dargelegten Maßnahmen, die in der Eröffnungsmitteilung in
Frage gestellt wurden.
51.
Unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles, insbesondere in Anbetracht der
fehlenden Anmeldung der Beihilfen und in Ermangelung eines Umstrukturierungsplans (siehe oben,
Randnr. 46, und unten, Randnrn. 87 und 88), ist es unerheblich, daß der genaue Betrag der Beihilfen
erst in der endgültigen Entscheidung angegeben wurde, da die genaue Bezifferung der Beihilfen vor
allem erforderlich war, um den Rückforderungsbetrag zu bestimmen. Ebenso konnte die Kommission
die betreffenden Jahre zu Recht in der endgültigen Entscheidung angeben, da sie erst anhand der auf
ihr Ersuchen während der Untersuchung vorgelegten Bilanzen von BFM feststellen konnte, wann die
Maßnahmen erfolgten.
52.
Im übrigen konnte es BFM zweifellos nicht unbekannt bleiben, welche staatlichen Maßnahmen ihr in
den betreffenden Jahren zugute gekommen waren.
53.
Da schließlich die Eröffnungsmitteilung eine ausreichende Unterrichtung über die Beihilfen enthielt,
die später in der endgültigen Entscheidung als rechtswidrig und unvereinbar mit dem Gemeinsamen
Markt angesehen wurden, wurden die Betroffenen, darunter BFM und EFIM, durch diese Mitteilung in
angemessener Weise in die Lage versetzt, sich zu äußern.
54.
Somit ist der erste Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
55.
Die Klägerinnen machen geltend, daß die streitige Entscheidung höchst unzureichend begründet
sei, und zwar insbesondere bezüglich des Staatsbeihilfecharakters der in Frage stehenden
Interventionen und ihrer Vereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt; dies habe unmittelbaren Einfluß
auf die Schlußfolgerungen der Kommission und die logische Kohärenz der Entscheidung, wodurch die
Klägerin daran gehindert werde, die Gründe zu erfassen, auf denen die Entscheidung beruhe.
56.
Diese Rüge ist nach Ansicht der Kommission ebenfalls zurückzuweisen.
Würdigung durch das Gericht
57.
Die den Gemeinschaftsorganen nach Artikel 190 des Vertrages obliegende Verpflichtung, ihre
Entscheidungen zu begründen, soll dem Gemeinschaftsrichter die Ausübung seiner
Rechtmäßigkeitskontrolle ermöglichen und es dem Betroffenen gestatten, Kenntnis von den Gründen
für die getroffene Maßnahme zu erlangen, damit er seine Rechte verteidigen und prüfen kann, ob die
Entscheidung berechtigt ist (vgl. z. B. Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache
T-358/94, Air France/Kommission, Slg. 1996, II-2109, Randnr. 161).
58.
Die streitige Entscheidung enthält im ganzen eine Begründung, die ausreicht, um Artikel 1 dieser
Entscheidung zu stützen, wonach die in Rede stehenden Interventionen zu Unrecht gewährte
staatliche Beihilfen darstellen, die mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar sind. Die Entscheidung
ist nicht inkohärent, da die Kommission genügend erklärt hat, daß jeder Kapitalzuschuß BFM den
Fortbestand auf dem Markt erlaubt hat, obwohl das Unternehmen seit seiner Gründung offensichtlich
unrentabel war und sein Stammkapital bereits seit langem durch die Verluste aufgebraucht war. Die
Kommission hat auch genügend erklärt, warum sie die Sonderregelung als nicht gerechtfertigt
angesehen hat. Ferner hat sie erklärt, daß die Rückforderung der Beihilfe nach dem
Gemeinschaftsrecht erforderlich ist, womit sie die Artikel 2 und 3 begründet hat, denen zufolge die
Wirkungen der Beihilfe aufzuheben sind.
59.
Somit ist auch der zweite Teil des ersten Klagegrundes zurückzuweisen.
60.
Demgemäß ist der erste Klagegrund im ganzen als nicht stichhaltig zurückzuweisen.
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
61.
Die Klägerinnen machen im Rahmen ihres zweiten Klagegrundes erstens geltend, daß die
Kommission gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verstoßen habe,
indem sie ihre rechtliche Bewertung ab 1995 auf Handlungen und Beziehungen ausgeweitet habe, die
zum Teil bis 1985 zurückreichten. Eine Entscheidung, mit der die Rechtswidrigkeit und die
Unvereinbarkeit so weit zurückliegender Maßnahmen festgestellt würden, könne nämlich
schwerwiegende und nicht gerechtfertigte Auswirkungen auf die Sicherheit der rechtlichen und
wirtschaftlichen Beziehungen haben. Zweitens habe die Kommission eine Verjährungsfrist nicht
beachtet, die entsprechend der Regelung in anderen Bereichen fünf Jahre betragen müsse.
62.
Im Rahmen des fünften Klagegrundes wegen des angeblich rechtswidrigen Charakters von Artikel 2
der streitigen Entscheidung machen die Klägerinnen geltend, daß auch die in diesem Artikel
auferlegte Verpflichtung zur Rückforderung der Beihilfen gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit,
des Vertrauensschutzes und der Verjährung sowie gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und
der Nichtdiskriminierung verstoße.
63.
Die Klägerinnen vertreten daher die Auffassung, daß die streitige Entscheidung für nichtig zu
erklären sei, und zwar schon wegen der angeblichen Beihilfen, die mehr als fünf Jahre vor der
Eröffnungsmitteilung gewährt worden seien.
64.
Die Kommission betont, daß es keine Bestimmung gebe, die eine Verjährungs- oder Ausschlußfrist
für ihre Maßnahmen auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen vorschreibe. Die Klägerinnen könnten
sich auch nicht auf die herangezogenen Grundsätze berufen.
65.
Die Rückforderung sei im übrigen die logische Folge der Feststellung der Rechtswidrigkeit der
betreffenden Beihilfe (Urteil des Gerichtshofes vom 21. März 1990 in der Rechtssache C-142/87,
Belgien/Kommission, Slg. 1990, I-959, Randnr. 66). Die Wiederherstellung der vorherigen Lage, die
durch die Rückforderungsanordnung erreicht werden solle, bringe es notwendigerweise auch mit sich,
daß diese Anordnung sich auf die Erhebung der Zinsen auf die seit der Zahlung gewährten Beträge
erstrecke (Urteil des Gerichts vom 8. Juni 1995 in der Rechtssache T-459/93, Siemens/Kommission,
Slg. 1995, II-1675, Randnrn. 96 bis 103).
66.
Die französische Regierung räumt ein, daß die Grundsätze der Rechtssicherheit und des
Vertrauensschutzes unter bestimmten Umständen bewirken könnten, daß eine Entscheidung, mit der
die Rechtswidrigkeit oder die Unvereinbarkeit einer staatlichen Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt
festgestellt werde, nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr erlassen werden könne. In
Ermangelung einer vom Gemeinschaftsgesetzgeber festgelegten Verjährung sei vorzugsweise von Fall
zu Fall zu prüfen, ob der Grundsatz der Rechtssicherheit eingehalten worden sei. Die Anwendung
dieses Grundsatzes dürfe die Betroffenen indessen keinesfalls veranlassen, gegen die Bestimmungen
des Artikels 93 des Vertrages zu verstoßen.Im vorliegenden Fall können sich die Klägerinnen nach
Ansicht der französischen Regierung nicht auf eine Verjährung berufen.
Würdigung durch das Gericht
67.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber bisher keine Verjährungsfrist
für Maßnahmen der Kommission gegenüber nicht mitgeteilten staatlichen Beihilfen festgelegt hat.
Eine Verjährungsfrist muß jedoch, um ihre Aufgabe, die Rechtssicherheit zu gewährleisten, erfüllen zu
können, vom Gemeinschaftsgesetzgeber grundsätzlich im voraus festgelegt werden (z. B. Urteile des
Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 41/69, ACF Chemiefarma/Kommission, Slg. 1970,
661, Randnrn. 19 und 20, und vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69, ICI/Kommission, Slg. 1972,
619, Randnrn. 47 und 48, sowie Urteil des Gerichts vom 17. Oktober 1991 in der Rechtssache T-26/89,
De Compte/Parlament, Slg. 1991, II-781, Randnr. 68).
68.
Zudem kann weder die Frist der Verordnung (EWG) Nr. 2988/74 des Rates vom 26. November 1974
über die Verfolgungs- und Vollstreckungsverjährung im Verkehrs- und Wettbewerbsrecht der
Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. L 319, S. 1) noch die Frist des Artikels 43 der EG-Satzung
des Gerichtshofes entsprechend angewandt werden, die eine Verjährungsfrist für aus
außervertraglicher Haftung der Gemeinschaft hergeleitete Ansprüche vorsehen.
69.
Ferner ist darauf hinzuweisen, daß die in Rede stehenden Maßnahmen der Kommission nicht
gemeldet wurden. Wie die französische Regierung bemerkt, kann sich der Begünstigte, abgesehen
von außergewöhnlichen Umständen, nur dann auf ein berechtigtes Vertrauen in die
Ordnungsmäßigkeit einer Beihilfe berufen, wenn diese unter Beachtung der Bestimmungen des
Artikels 93 des Vertrages gewährt wurde (Urteile des Gerichtshofes vom 20. September 1990 in der
Rechtssache C-5/89, Kommission/Deutschland, Slg. 1990, I-3437, Randnr. 17, und vom 14. Januar
1997 in der Rechtssache C-169/95, Spanien/Kommission, Slg. 1997, I-135, Randnr. 48). Außerdem
dürfen einem Mitgliedstaat keinesfalls die Folgen seines Verstoßes gegen die in Artikel 93 Absatz 3
des Vertrages vorgesehene Meldepflicht zugute kommen (Urteil Frankreich/Kommission, Randnr. 11).
70.
Aus diesen Gründen sind diese beiden Klagegründe zurückzuweisen, zumal auch nicht
nachgewiesen worden ist, daß außergewöhnliche Umstände vorlagen.
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
71.
Die Klägerinnen bemerken, daß die beanstandeten Interventionen keine Beihilfen im Sinne des
Artikels 92 Absatz 1 des Vertrages darstellten. Es handele sich um Investitionen, die zum einen ein
privater Investor hätte realisieren können und die zum anderen im Rahmen des
Umstrukturierungsplans gerechtfertigt gewesen seien und dazu gedient hätten, dem Unternehmen
die Rückgewinnung der Existenzfähigkeit und seine bestmögliche Veräußerung zu erlauben.
72.
Sie beanstanden, daß die Kommission die betreffenden Maßnahmen nicht anhand der Situation
bewertet habe, die bestanden habe, als die Maßnahmen getroffen worden seien. Hätte die
Kommission nämlich die mögliche Erklärung der Interventionen und die Lage von BFM zur Zeit des
Erlasses der Maßnahmen berücksichtigt, so wäre ihre Entscheidung anders, und zwar zugunsten der
Klägerinnen, ausgefallen.
73.
Hierzu führen die Klägerinnen in erster Linie aus, daß die Verschuldung aufgrund der
Betriebsbelastungen im Zusammenhang mit den Tätigkeiten, die BFM vor 1987 auf dem
Verteidigungssektor ausgeübt habe, die Ergebnisse der nachfolgenden Zeit erheblich beeinflußt
habe. Im übrigen fielen die Interventionen in der Zeit, als BFM für die Verteidigung tätig gewesen sei,
nicht unter Artikel 92, sondern unter die Ausnahmeregelung des Artikels 223 Absatz 1 Buchstabe b
des Vertrages.
74.
Die nach 1987 getätigten Interventionen ließen sich durch die von der Muttergesellschaft verfolgte
„Gruppenpolitik“ erklären, die von dem Bestreben getragen gewesen sei, den Ruf und die
Glaubwürdigkeit der Unternehmensgruppe sowie den Wert der vorherigen Investitionen zu sichern.
Schließlich sei das Systemdes Artikels 7 Absatz 2 des Gesetzes Nr. 33/93 (siehe oben, insbesondere
Randnr. 5) notwendig gewesen, um die Sanierung und die Umstrukturierung von BFM zu
gewährleisten, und habe es dem Unternehmen ermöglicht, die Betriebsfähigkeit wieder zu erlangen.
75.
Die Klägerinnen weisen darauf hin, daß der Gerichtshof in seinem Urteil vom 14. November 1984 in
der Rechtssache 323/82 (Intermills/Kommission, Slg. 1984, 3809, Randnr. 39) ausgeführt habe, daß
„die Begleichung alter Schulden zu dem Zweck, den Bestand eines Unternehmens zu sichern, die
Handelsbedingungen nicht notwendigerweise im Sinne von Artikel 92 Absatz 3 in einer dem
gemeinsamen Interesse zuwiderlaufenden Weise verändert, z. B. wenn eine Aktion mit einem
Umstrukturierungsplan einhergeht“.
76.
BFM habe schon im September 1984 einen Umstrukturierungsplan erstellt, und der
Sanierungsprozeß habe sich seit 1985 wie vorgesehen entwickelt. 1988 sei das Betriebsergebnis fast
ausgeglichen gewesen. Die positive Tendenz sei zwar 1989 wegen „außergewöhnlicher Faktoren“
unterbrochen worden, seit 1992 habe aber eine neue Umstrukturierungsphase radikale Senkungen
der Kapazität und des Personalbestands mit sich gebracht, und ein Gutachten zeige eine eindeutige
Verbesserung der Betriebsindikatoren. BFM sei durchaus betriebsfähig gewesen, als die Kommission
die streitige Entscheidung erlassen habe.
77.
Die Kommission erklärt, dieses Vorbringen sei nicht begründet. Es sei ihr kein
Umstrukturierungsplan zugegangen. Derjenige, an den sich eine Entscheidung richte, die eine Beihilfe
für unvereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erkläre, müsse aber beweisen, daß die beanstandeten
Maßnahmen dazu dienten, die strukturellen Probleme des Unternehmens zu lösen, dem diese Beihilfe
zugute komme. Jedenfalls sei die Dauer - über vier Jahre - der betreffenden Ausnahmeregelung des
Gesetzes Nr. 33/93 übermäßig lang gewesen.
78.
Zudem habe BFM seit der Unternehmensgründung keinen Gewinn zu verzeichnen. Unter diesen
Umständen könne das Verhalten von EFIM und FEB gegenüber BFM selbst unter dem Gesichtspunkt
einer Rettung der Unternehmensgruppe nicht dem Verhalten eines gewöhnlichen Investors
gleichgestellt werden, da für das Unternehmen keinerlei ernsthafte Aussicht auf Rentabilität
bestanden habe. Im übrigen seien die Argumente der Klägerinnen bezüglich der Verschuldungsgründe
in keiner Weise stichhaltig. Die Beurteilung der Kommission sei nämlich nicht moralischer Art, sondern
beschränke sich auf die Bewertung der Fähigkeit des Unternehmens, dank der Stützungsmaßnahmen
kurzfristig unter marktwirtschaftlichen Bedingungen arbeiten zu können.
Würdigung durch das Gericht
79.
Nach ständiger Rechtsprechung können Kapitalzuweisungen der öffentlichen Hand an
Unternehmen, in welcher Form sie auch erfolgen, staatliche Beihilfen darstellen, wenn die
Voraussetzungen des Artikels 92 des Vertrages erfüllt sind. Um festzustellen, ob solche Maßnahmen
den Charakter staatlicher Beihilfen haben, ist zu prüfen, ob ein privater Investor in vergleichbarer Lage
hätte veranlaßt werden können, Kapitalhilfen dieses Umfangs zu gewähren. In diesem Zusammenhang
hat der Gerichtshof klargestellt, daß, auch wenn das Verhalten des privaten Investors, mit dem die
Intervention des öffentlichen Investors, der wirtschaftspolitische Ziele verfolgt, verglichen werden
muß, nicht zwangsläufig das eines gewöhnlichen Investors sein muß, der Kapital zum Zweck seiner
mehr oder weniger kurzfristigen Rentabilisierung anlegt, es doch wenigstens das einer privaten
Holding oder einer privaten Unternehmensgruppe zu sein hat, die eine globale oder sektorale
Strukturpolitik verfolgt und sich von längerfristigen Rentabilitätsaussichten leiten läßt (siehe
insbesondere Urteil des Gerichtshofes vom 14. September 1994 in den verbundenen Rechtssachen C-
278/92, C-279/92 und C-280/92, Spanien/Kommission, Slg. 1994, I-4103, Randnrn. 20 bis 22).
80.
Wie der Gerichtshof ferner festgestellt hat, „kann ein privater Anteilseigner vernünftigerweise einem
Unternehmen das Kapital zuführen, das zur Sicherstellung seines Fortbestandes erforderlich ist, wenn
es sich in vorübergehenden Schwierigkeiten befindet, aber seine Rentabilität - gegebenenfalls nach
einer Umstrukturierung - wieder zurückgewinnen kann. Eine Muttergesellschaft kann somit während
eines beschränkten Zeitraums auch Verluste einer ihrer Tochtergesellschaften übernehmen, um
dieser die Einstellung ihrer Tätigkeit untermöglichst günstigen Bedingungen zu ermöglichen. ... Wenn
Kapitalzuschüsse eines öffentlichen Kapitalgebers jedoch selbst langfristig von jeder Aussicht auf
Rentabilität absehen, sind sie als Beihilfen im Sinne des Artikels 92 EWG-Vertrag anzusehen“ (Urteil
des Gerichtshofes vom 21. März 1991 in der Rechtssache C-303/88, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-
1433, Randnrn. 21 und 22).
81.
Vor der Untersuchung des vorliegenden Falles ist darauf hinzuweisen, daß die von der Kommission
vorzunehmende Prüfung der Frage, ob eine bestimmte Maßnahme als Beihilfe im Sinne des Artikels 92
Absatz 1 des Vertrages anzusehen ist, weil der Staat nicht „wie ein normaler Wirtschaftsteilnehmer“
gehandelt hat, eine komplexe wirtschaftliche Beurteilung umfaßt (Urteil des Gerichtshofes vom 29.
Februar 1996 in der Rechtssache C-56/93, Belgien/Kommission, Slg. 1996, I-723, Randnrn. 10 und 11).
Nach ständiger Rechtsprechung steht der Kommission jedoch ein weites Ermessen zu, wenn sie eine
Handlung vornimmt, die eine solche Beurteilung einschließt, und die gerichtliche Kontrolle dieser
Handlung muß sich demnach auf die Prüfung der Fragen beschränken, ob die Vorschriften über das
Verfahren und die Begründung eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt, der der getroffenen
Entscheidung zugrunde gelegt wurde, zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich
fehlerhafte Würdigung dieses Sachverhalts oder ein Ermessensmißbrauch vorliegt (Urteil vom 29.
Februar 1996, Belgien/Kommission, Randnr. 11, und Urteil Air France/Kommission, a. a. O., Randnrn. 71
und 72). Insbesondere darf das Gericht die wirtschaftliche Beurteilung des Urhebers der
Entscheidung nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen (Urteil des Gerichts vom 12. Dezember
1996 in der Rechtssache T-380/94, AIUFFASS und AKT/Kommission, Slg. 1996, II-2169, Randnr. 56).
82.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß BFM nach Aktenlage seit der Gründung des Unternehmens
keinen Gewinn zu verzeichnen hat. Die Klägerinnen machen jedoch geltend, daß das Betriebsergebnis
im Jahr 1988 fast ausgeglichen gewesen sei, nach einer schwierigen Periode eine eindeutige
Verbesserung der Betriebsindikatoren habe festgestellt werden können und BFM lebensfähig,
strukturell gesund und gewinnfähig geworden sei. Die Kommission hat indessen, ohne daß die
Klägerinnen dem widersprochen hätten, in der streitigen Entscheidung folgendes festgestellt:
- 1990 wies BFM bei einem Umsatz von 14,6 Milliarden LIT Verluste in Höhe von 18 Milliarden LIT auf;
- 1991 beliefen sich die Verluste von BFM bei einem Umsatz in Höhe von 18,4 Milliarden LIT auf 14
Milliarden LIT;
- 1992 verzeichnete BFM bei einem Umsatz in Höhe von 19,9 Milliarden LIT Verluste in Höhe von 27,6
Milliarden LIT;
- 1993 erhöhten sich die Verluste bei einem verringerten Umsatz in Höhe von 14,7 Milliarden LIT auf
36,1 Milliarden LIT;
- 1994 erreichten die Verluste bei einem Umsatz von 20,6 Milliarden LIT einen Betrag von 13,8
Milliarden LIT;
- 1995 betrugen die Verluste bei einem Umsatz von 28,1 Milliarden LIT 15 Milliarden LIT;
- Ende 1994 beliefen sich die Schulden von BFM auf über 85 Milliarden LIT und entsprachen bei Erlaß
der streitigen Entscheidung dem Fünffachen des Stammkapitals von BFM in Höhe von 17 Milliarden LIT.
83.
Ferner ist festzustellen, daß die Bilanz von BFM, wie die Klägerinnen vortragen, zwar „durch
außerordentliche Posten aus früherer Geschäftsführung belastet“ war, daß die entsprechende
Verschuldung jedoch bei der Beurteilung der Wirtschafts- und Finanzlage des Unternehmens zu
berücksichtigen ist, die nach dem von den Klägerinnen selbst vorgelegten Gutachten „zweifellos
prekär“ war, sofern nicht zwischen „gewöhnlicher“ und „außerordentlicher“ Geschäftsführung
unterschieden wird. Wie die Kommission in der streitigen Entscheidung betont hat, sind bei der
Beurteilung der Rentabilität des Unternehmens nicht nur das Betriebsergebnis, sondern auch die
finanziellen Lasten zu berücksichtigen, die das Unternehmen normalerweise zu tragen hat. In diesem
Zusammenhang haben die Klägerinnen in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts
eingeräumt, daß die Tilgungen und finanziellen Belastungen von BFM ungewöhnlich hoch seien und
von den „außerordentlichen“ Belastungen abzusehen sei, um das Unternehmen als existenzfähig
betrachten zu können.
84.
Schließlich war die Kommission unter diesen Umständen bei der Ausübung des ihr auf diesem
Gebiet zustehenden weitgehenden Ermessens nicht gehalten, die negative Beurteilung aller
beanstandeten Maßnahmen, zu der sie gelangt war, durch Berücksichtigung einiger Anzeichen und
Perspektiven der Verbesserung, auf die sich die Klägerinnen berufen, abzuschwächen, da diese
angesichts der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Lage von BFM zum Zeitpunkt der
Interventionen als unwesentlich, in Anbetracht einer getrennt erstellten Bilanz für die „gewöhnliche
Geschäftsführung“ sogar als künstlich betrachtet werden konnten (siehe Urteil des Gerichtshofes vom
3. Oktober 1991 in der Rechtssache C-261/89, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-4437, Randnr. 14, und
Urteil Air France/Kommission, Randnr. 98).
85.
Somit ist die Kommission zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, daß ein privater Investor nicht die
Kapitalzuschüsse und sonstigen Finanzierungsmaßnahmen vorgenommen hätte, die die italienischen
Behörden im vorliegenden Fall gewährt haben.
86.
Das Gericht vertritt ebenso wie die Kommission in ihrer streitigen Entscheidung die Auffassung, daß
ein privater Investor, der Finanzierungshilfen und Kapitalzuführungen in der vorliegenden
Größenordnung in Betracht zieht, einenUmstrukturierungsplan verlangen würde, durch den das
Unternehmen seine Rentabilität erlangt.
87.
Die Klägerinnen haben jedoch in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß kein konkreter und
detaillierter Umstrukturierungsplan für die Zeit nach 1987 vorhanden war.
88.
Für die Zeit vor 1987 wird von den Parteien nicht bestritten, daß das Dokument, das die
Klägerinnen auf Ersuchen des Gerichts erstellt haben und das den Titel „Fünfjahresplan 1983-1987“
trägt, der Kommission nicht im Rahmen des Verwaltungsverfahrens zugeleitet wurde. Die Klägerinnen
können sich vor dem Gericht nicht auf ein derartiges Dokument berufen, das der Kommission nicht im
vorprozessualen Stadium vorgelegt wurde, da die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung im Bereich
staatlicher Beihilfen aufgrund der Informationen zu beurteilen ist, über die die Kommission bei Erlaß
der Entscheidung verfügte (Urteil des Gerichtshofes vom 29. September 1996 in der Rechtssache C-
241/94, Frankreich/Kommission, Slg. 1996, I-4551, Randnr. 33). Selbst wenn dieses Dokument
berücksichtigt werden könnte, hätte sie angesichts seines Inhalts offensichtlich nicht als echter
Umstrukturierungsplan angesehen werden können. Es ist darin nämlich keine besondere Maßnahme
vorgesehen, um die speziellen Probleme von BFM zu bewältigen. Die Beihilfen der öffentlichen Hand
waren somit nicht an konkrete Umstrukturierungsmaßnahmen gebunden, die in einem hierzu
erstellten Programm vorgesehen sind, was aber als unerläßliche Voraussetzung anzusehen ist, damit
ein Plan als Umstrukturierungsplan betrachtet werden kann.
89.
Bezüglich des Arguments, daß die Interventionen in der Zeit, als BFM angeblich für den
Verteidigungssektor tätig war, also vor 1986, nicht unter Artikel 92, sondern unter die
Ausnahmeregelung des Artikels 223 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages fielen, ist vor allem darauf
hinzuweisen, daß sich der italienische Staat nie auf die Bestimmungen dieses Artikels berufen hat.
Ferner ergibt sich aus den Antworten der Klägerinnen auf die schriftlichen und mündlichen Fragen des
Gerichts, daß keine der von der Kommission beanstandeten Beihilfen speziell an militärische Vorhaben
gebunden war, die in den Rahmen der nationalen Verteidigungspolitik fallen. Die Klägerinnen
behaupten nämlich zwar, daß bestimmte Interventionen „im Zusammenhang mit einem
Ungleichgewicht stehen“, das auf die Tätigkeit von BFM auf dem Verteidigungssektor zurückzuführen
sei, sie räumen jedoch ein, daß es „nicht möglich ist, einen Kausalzusammenhang zwischen dem
Zuschuß frischen Kapitals und seiner Zweckbestimmung herzustellen“. Somit kann, selbst wenn man
annimmt, daß BFM tatsächlich dem Verteidigungssektor zuzurechnen war, jedenfalls nicht davon
ausgegangen werden, daß die Interventionen aus dieser Zeit nicht unter Artikel 92, sondern unter die
Ausnahmeregelung des Artikels 223 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages fielen.
90.
Aus den vorstehend dargelegten Gründen hat die Kommission keine offensichtlich fehlerhafte
Beurteilung vorgenommen, als sie die in Rede stehenden Interventionenals staatliche Beihilfen im
Sinne des Artikels 92 Absatz 1 des Vertrages angesehen hat.
91.
Der dritte Klagegrund ist somit zurückzuweisen.
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
92.
Die Klägerinnen vertreten die Auffassung, die Kommission habe gegen Artikel 92 Absatz 3
Buchstaben a und c des Vertrages verstoßen, da sie weder die Sanierungs- und
Umstrukturierungsmaßnahmen von BFM noch den Umstand richtig gewürdigt habe, daß dieses
Unternehmen in einem besonders benachteiligten Gebiet niedergelassen sei. Hätte die Kommission
die genannten Bestimmungen richtig angewandt, so hätte sie nach Ansicht der Klägerinnen die
Vereinbarkeit der in Rede stehenden Interventionen mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt.
93.
Die beanstandeten Maßnahmen hätten jedenfalls, so führen die Klägerinnen aus, als mit dem
Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen werden müssen, da sie zur Anpassung der Strukturen von
BFM im Rahmen eines Programms zur Wiederherstellung der Existenzfähigkeit des Unternehmens
beitrügen, da sie ein Unternehmen beträfen, das sich in einem Unterstützungsgebiet befinde, in dem
die Erhaltung von Produktionstätigkeiten von vorrangiger Bedeutung sei, und da sie einem kleinen
Unternehmen zugute kämen, auf das als solches die Bestimmungen über die staatlichen Beihilfen
flexibel anzuwenden seien.
94.
Die Kommission weist vor allem darauf hin, daß der Vorbehalt des Artikels 92 Absatz 3 Buchstaben a
und c des Vertrages einen wirklichen Umstrukturierungsplan voraussetze, damit die positiven
Wirkungen der Beihilfe für die regionale Entwicklung dauerhaft sein könnten und somit die
Auswirkungen einer Wettbewerbsverzerrung ausgeglichen würden (Urteil des Gerichtshofes vom 21.
März 1991 in der Rechtssache C-305/89, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-1603, Randnr. 36).
95.
Die Kommission betont, daß hier kein Umstrukturierungsplan vorliege und keine Ausnahme zum
Zuge komme.
96.
Die Streithelferin Manoir fügt hinzu, daß Beihilfen für ein Unternehmen in einem
Unterstützungsgebiet nicht mit größerem Entgegenkommen betrachtet werden dürften als bei nicht
unterstützten Regionen. Das betreffende Unternehmen müsse nämlich stets nach dem
Umstrukturierungsvorgang wirtschaftlich existenzfähig sein und wirklich zur Entwicklung der Region
beitragen, ohne daß es ständig unterstützt werden müsse.
Würdigung durch das Gericht
97.
Nach Artikel 92 Absatz 3 des Vertrages kann die Kommission in Abweichung vom Verbot staatlicher
Beihilfen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen und den Wettbewerb verfälschen
können, folgende Beihilfen für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklären:
„a) Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung von Gebieten, in denen die
Lebenshaltung außergewöhnlich niedrig ist oder eine erhebliche Unterbeschäftigung herrscht;
...
c) Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete,
soweit sie die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse
zuwiderläuft.“
98.
Wie die Kommission bemerkt, können Beihilfen für notleidende Unternehmen nur dann für mit Artikel
92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages vereinbar erklärt werden, wenn sie mit einem
Umstrukturierungsplan verbunden sind, der dazu dient, die Tätigkeit dieser Unternehmen zu
verringern oder umzuorientieren (Urteil vom 14. September 1994, Spanien/Kommission, Randnr. 67).
Somit weisen staatliche Unternehmensbeihilfen, die zur Kompensierung der Verluste des
Unternehmens verwendet werden, ohne daß sie Teil eines zufriedenstellenden
Umstrukturierungsprogramms sind, Merkmale auf, die sie von der in dieser Bestimmung vorgesehenen
Ausnahme vom Beihilfeverbot ausschließen (Urteil des Gerichtshofes vom 14. September 1994 in der
Rechtssache C-42/93, Spanien/Kommission, Slg. 1994, I-4175, Randnrn. 26 bis 29).
99.
Zudem mußte und konnte dieses Erfordernis, die Beihilfemaßnahmen mit einem zufriedenstellenden
Umstrukturierungsplan zu verbinden, den Klägerinnen vernünftigerweise bekannt sein. Die Kommission
hat nämlich schon in ihrem von 1979 (Nr. 228) betont,
daß sie die vorherige Mitteilung eines Umstrukturierungsplans verlangt, wenn es sich um einen
wichtigen Einzelanwendungsfall handelt. Diese Regel findet ihre Bestätigung und noch stärkere
Verdeutlichung in den Gemeinschaftsrichtlinien für die Beurteilung von staatlichen Beihilfen zur
Rettung und Umstrukturierung von Unternehmen in Schwierigkeiten (ABl. 1994, C 368, S. 12), in
denen ausdrücklich verlangt wird, daß der Kommission ein tragfähiges Umstrukturierungs- oder
Sanierungsprogramm im nötigen Detail vorgelegt wird (Nr. 3.2.2, A) und das Unternehmen den von
der Kommission genehmigten Umstrukturierungsplan vollständig durchführt (Nr. 3.2.2, D), und in
denen vorgesehen ist, daß die Durchführung des Umstrukturierungsplans in den einzelnen
Abschnitten und Ergebnissen anhand eines der Kommission jährlich vorzulegenden ausführlichen
Berichts kontrolliert wird (Nr. 3.2.2, E).
100.
Im vorliegenden Fall ist jedoch unbestritten, daß der Kommission im Verwaltungsverfahren kein
Umstrukturierungsplan von BFM vorgelegt wurde (siehe oben, Randnrn. 81 und 82). Somit war die
Anwendung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages zugunsten von BFM auf jeden Fall
ausgeschlossen.
101.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die in Artikel 92 Absatz 3 Buchstaben a und c des Vertrages
zugunsten der Regionalbeihilfen vorgesehenen Ausnahmen vom freien Wettbewerb auf der
gemeinschaftlichen Solidarität beruhen, die ein grundlegendes Ziel des Vertrages darstellt, wie aus
dessen Präambel hervorgeht. Es ist Sache der Kommission, in Ausübung ihres Ermessens unter
Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit auf einen Ausgleich zwischen den Zielen des
freien Wettbewerbs und der gemeinschaftlichen Solidarität hinzuwirken. In diesem Rahmen hat die
Kommission die sektoriellen Auswirkungen der geplanten Regionalbeihilfe auch bezüglich der
Regionen, die unter Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a des Vertrages fallen können, abzuschätzen, um
zu verhindern, daß durch die Beihilfemaßnahme auf Gemeinschaftsebene ein sektorielles Problem
entsteht, das schwerer wiegt als das ursprüngliche regionale Problem. Somit ist das Kriterium der
Existenzfähigkeit auch bei dieser Untersuchung von Bedeutung (siehe Urteil AIUFFASS und
AKT/Kommission, Randnrn. 54 und 120). Ferner hat der Gerichtshof betont, daß aus dem Unterschied
in der Formulierung zwischen Buchstabe a und Buchstabe c des Artikels 92 Absatz 3 nicht abgeleitet
werden kann, daß die Kommission bei der Anwendung des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe a das
gemeinsame Interesse außer acht lassen darf und sich darauf zu beschränken hat, die regionale
Spezifizität der fraglichen Maßnahmen zu prüfen, ohne ihre Auswirkungen auf den oder die relevanten
Märkte in der gesamten Gemeinschaft zu untersuchen (Urteil Spanien/Kommission vom 14. Januar
1997, Randnr. 17).
102.
BFM befindet sich zwar in einem Gebiet, das zu den Regionen gehört, denen nach Artikel 92 Absatz
3 Buchstabe a des Vertrages Regionalbeihilfen zugute kommen können. In dem betreffenden
Wirtschaftszweig bestand jedoch eine gewaltige Überkapazität (siehe die unbestrittene Feststellung
unter Titel VI der streitigen Entscheidung). Im Hinblick auf die vorstehend dargelegte Rechtsprechung
hat die Kommission keine offensichtlich fehlerhafte Würdigung vorgenommen, als sie die Gewährung
der genannten Ausnahmeregelung unter Berücksichtigung dieser Marktlage und zugleich der
offensichtlich mangelnden Existenzfähigkeit des Unternehmens verweigert hat. Somit können unter
den gegebenen Umständen, unter denen sich das durch rechtswidrige Beihilfen begünstigte
Unternehmen offensichtlich nur durch diese Beihilfen auf dem Markt halten könnte, regionale
Erwägungen nach Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe a keine Ausnahme von dem grundsätzlichen Verbot
von Beihilfen rechtfertigen, die den Wettbewerb verfälschen können. Derartige Beihilfen können
nämlich nicht als „Beihilfen zur Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung“ des betreffenden Gebietes
im Sinne des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe a des Vertrages angesehen werden.
103.
Demgemäß hat die Kommission keinen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen, als sie zu der
Auffassung gelangte, daß im vorliegenden Fall keine in Artikel 92 Absatz 3 Buchstaben a und c des
Vertrages vorgesehene Ausnahmeregelung vom Beihilfeverbot angewandt werden konnte.
104.
Danach ist dieser Klagegrund ebenfalls zurückzuweisen.
105.
Da kein Klagegrund durchgreifen konnte, sind die Klagen abzuweisen.
Kosten
106.
Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind sie als
Gesamtschuldner zur Tragung der Kosten der Kommission und der Streithelferin Manoir auf deren
Antrag zu verurteilen. Nach Artikel 87 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung trägt die Französische
Republik als Streithelferin ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Klägerinnen tragen die Kosten der Kommission und der Manoir industries SA als
Gesamtschuldner.
3. Die Französische Republik trägt ihre eigenen Kosten.
Tiili Briët Lenaerts
Potocki Cooke
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 15. September 1998.
Der Kanzler
Die Präsidentin
H. Jung
V. Tiili
Verfahrenssprache: Italienisch.