Urteil des EuG vom 09.07.1997

EuG: kommission, gerichtshof der europäischen gemeinschaften, entschädigung, berufskrankheit, klagegrund, gericht erster instanz, persönlichkeit, aufteilung, teilinvalidität, soziale sicherheit

URTEIL DES GERICHTS (Vierte Kammer)
9. Juli 199
​[234s„Beamte — Berufskrankheit — Ärzteausschuß — Berechnungsgrundlage für die in Artikel 73 Absatz 2
des Statuts vorgesehene Entschädigung“​[s
In der Rechtssache T-4/96
S
Klägerin,
gegen
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften
Verwaltungsangelegenheiten, als Bevollmächtigten, Zustellungsbevollmächtigter: Timothy Millett,
Gerichtshof, Luxemburg-Kirchberg,
Beklagter,
erstens wegen Antrags auf Aufhebung der Entscheidung des Gerichtshofes vom 11. April 1995, soweit darin
für die Berechnung der in Artikel 73 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften
vorgesehenen Entschädigung ein Invaliditätsgrad von 6 % zugrunde gelegt wird, zweitens wegen Antrags auf
Feststellung, daß die Klägerin Anspruch auf diese Entschädigung unter Zugrundelegung eines
Invaliditätsgrades von 30 % hat, und drittens wegen Antrags auf Ersatz des Geldentwertungsschadens
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Vierte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Richterin P. Lindh und des Richters J. D. Cooke,
Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 5. März 1997,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
1. Die Klägerin trat am ...
in den Dienst des Gerichtshofes.
2. Kurze Zeit nach ihrem Dienstantritt erkrankte sie und war gezwungen, ihren Dienst aufzugeben. Am ...
erkannte der in Artikel 13 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen
Gemeinschaften (im folgenden: Statut) vorgesehene Invaliditätsausschuß an, daß sie dauernd voll
dienstunfähig geworden sei und ein Amt ihrer Laufbahn nicht wahrnehmen könne. Am ... entschied die
Anstellungsbehörde, sie von Amts wegen in den Ruhestand zu versetzen und ihr ein Ruhegehalt
wegen Dienstunfähigkeit gemäß Artikel 78 des Statuts zu gewähren.
3. Im Anschluß an einen befürwortenden Bericht des Invaliditätsausschusses vom ... nahm die Klägerin
am ... ihren Dienst beim Gerichtshof wieder auf. Am ... erkrankte sie jedoch erneut und beendete
endgültig ihren aktiven Dienst.
4. Sodann wurden innerhalb des Gerichtshofes parallel zwei voneinander unabhängige Verfahren
durchgeführt.
5. Das erste Verfahren wurde auf Initiative des Gerichtshofes auf der Grundlage der Artikel 53, 59 und
78 des Statuts eingeleitet. Am ... beschloß der Präsident des Gerichtshofes, den Fall der Klägerin von
einem Invaliditätsausschuß prüfen zu lassen, der erneut anerkannte, daß die Klägerin dauernd voll
dienstunfähig im Sinne von Artikel 78 sei. Am ... beschloß die Anstellungsbehörde, die Klägerin von
Amts wegen in den Ruhestand zu versetzen und ihr erneut ein Ruhegehalt wegen Dienstunfähigkeit
gemäß Artikel 78 zu gewähren. Aus den Akten ergibt sich, daß sich der Invaliditätsausschuß in diesem
Verfahren nicht zu der Frage geäußert hat, ob die Krankheit der Klägerin in ursächlichem
Zusammenhang mit der Berufstätigkeit steht (Anlage 2 zur Erwiderung).
6. Um dieses Verfahren geht es im vorliegenden Rechtsstreit nicht.
7. Das zweite Verfahren wurde auf Initiative der Klägerin auf der Grundlage von Artikel 73 des Statuts
eingeleitet. Da die Klägerin der Ansicht war, daß ihre physischen und psychischen Störungen Folge
ihrer Arbeitsbedingungen seien, beantragte sie mit Schreiben vom 18. Dezember 1989 die
Anerkennung des ursächlichen Zusammenhangs ihrer Krankheit mit der Berufstätigkeit.
8. Auf diesen Antrag hin kam der vom Gerichtshof benannte Arzt, Dr. De Meersman, in einem
medizinischen Gutachten vom 4. Dezember 1990 zu der Schlußfolgerung, daß die Krankheit der
Klägerin keine „Berufskrankheit ... oder ... berufliche Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit“
darstelle. Aufgrund dieses Gutachtens stellte die Anstellungsbehörde der Klägerin am 20. Februar
1991 gemäß Artikel 21 Absatz 1 der Regelung zur Sicherung der Beamten der Europäischen
Gemeinschaften bei Unfällen und Berufskrankheiten (im folgenden: Regelung) einen
Entscheidungsentwurf über die Ablehnung ihres Antrags auf Anerkennung des ursächlichen
Zusammenhangs ihrer Krankheit mit der Berufstätigkeit zu.
9. Mit Schreiben vom 17. April 1991 beantragte die Klägerin gemäß Artikel 21 Absatz 2 der Regelung die
Befassung eines Ärzteausschusses. Dieser Ärzteausschuß erstattete zwei Gutachten.
10. Im ersten Gutachten vom 3. März 1993 kam er zu der Schlußfolgerung, daß „sich die depressiven
Angstzustände von Frau S anläßlich ihrer Arbeit entwickelt [hatten], daß aber ihre pathologische
Persönlichkeit zu 50 % Ursache ihrer Erkrankung [war], 30 % auf allgemeine Lebensumstände
zurückzuführen [waren] und 20 % auf ihrer Arbeit [beruhten]“. Der Ärzteausschuß stellte klar, daß „die
Ausübung des Berufes weder die wesentliche noch die überwiegende Ursache für die Krankheit von
Frau S [war]“.
11. Da die Anstellungsbehörde der Ansicht war, daß sie auf der Grundlage dieses Gutachtens keine
Entscheidung treffen könne, bat sie den Ärzteausschuß mit Schreiben vom 20. Juni 1994 um
Beantwortung von fünf zusätzlichen Fragen:
„1. Festsetzung des Grades der bei Frau S weiterhin bestehenden dauernden Invalidität;
2. Angabe, ob bei ihr schon vor ihrem Dienstantritt bei den Europäischen Gemeinschaften eine
Krankheit bestand;
3. wenn nein, Angabe, ob hinreichend nachgewiesen ist, daß zwischen der Krankheit und der
Ausübung der Berufstätigkeit von Frau S bei den Gemeinschaften ein unmittelbarer Zusammenhang
besteht;
4. wenn ja, Angabe, ob hinreichend nachgewiesen ist, daß sich die Krankheit verschlimmert hat und
daß zwischen dieser etwaigen Verschlimmerung und der Ausübung der Berufstätigkeit von Frau S bei
den Gemeinschaften ein unmittelbarer Zusammenhang besteht;
5. gegebenenfalls Festsetzung des aus dieser etwaigen Verschlimmerung resultierenden
Invaliditätsgrades.“
12. In einem zweiten Gutachten vom 12. Januar 1995 beantwortete der Ärzteausschuß die fünf
zusätzlichen Fragen der Anstellungsbehörde wie folgt:
„1. auf die erste Frage: Der Grad der bei Frau S weiterhin bestehenden dauernden Invalidität
beträgt 30 %;
2. auf die zweite Frage: Bei Frau S bestand vor ihrem Dienstantritt bei den Europäischen
Gemeinschaften Krankheit;
3. auf die dritte Frage: Der unmittelbare Zusammenhang zwischen der Ausübung der Berufstätigkeit
von Frau S bei den Gemeinschaften und der Krankheit wird auf 20 % veranschlagt. Das heißt, daß auf
einer Skala von 100 die Ausübung der Berufstätigkeit zu 20 %, die pathologische Persönlichkeit zu 50
% und allgemeine Lebensumstände zu 30 % beteiligt sind;
4. und 5. auf die vierte und die fünfte Frage: Angesichts der Antwort auf die dritte Frage erübrigt sich
eine Antwort.“
13. Auf der Grundlage dieses zweiten Gutachtens erließ die Anstellungsbehörde am 11. April 1995
folgende Entscheidung:
„1. Gemäß Artikel 3 Absatz 2 der [Regelung] wird bei Frau S eine dauernde Teilinvalidität von 30 %
anerkannt, die zu 20 % anläßlich der Ausübung des Dienstes für den Gerichtshof der Europäischen
Gemeinschaften entstanden ist.
2. Frau S erhält eine Entschädigung von 1 094 745 [BFR], die auf der Grundlage von 6 % (30 % x 20
%) unter Berücksichtigung der gesamten Grundgehälter der letzten zwölf Monate vor dem Tag der
Erstellung des ärztlichen Gutachtens vom ..., in dem eine auf den Arbeitsbedingungen beruhende
Krankheit erwähnt wird, berechnet wird, also: monatliches Grundgehalt von 190 060 [BFR] x 12
Monate x 8 x 6 %.“
14. Diese Entscheidung wird angefochten.
15. Am 5. Juli 1995 legte die Klägerin gegen diese Entscheidung gemäß Artikel 90 des Statuts Beschwerde
ein. Diese Beschwerde wies der für Beschwerden zuständige Ausschuß des Gerichtshofes mit
Entscheidung vom 2. Oktober 1995 zurück, die der Klägerin am 16. Oktober 1995 mitgeteilt wurde.
Verfahren und Anträge der Parteien
16. Unter diesen Umständen hat die Klägerin mit Klageschrift, die am 15. Januar 1996 bei der Kanzlei des
Gerichts eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben. Das Gericht (Vierte Kammer) hat auf Bericht
des Berichterstatters beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu
eröffnen.
17. Die Parteien haben in der Sitzung vom 5. März 1997 mündlich verhandelt und die Fragen des Gerichts
beantwortet.
18. In ihrer Klageschrift beantragt die Klägerin,
die vom Gerichtshof als Anstellungsbehörde getroffene Entscheidung vom 11. April 1995
insoweit aufzuheben, als darin für die Berechnung der in Artikel 73 des Statuts vorgesehenen
Entschädigung ein Invaliditätsgrad von 6 % zugrunde gelegt wird,
festzustellen, daß die Klägerin Anspruch auf die in Artikel 73 des Statuts vorgesehene
Entschädigung unter Zugrundelegung eines Invaliditätsgrades von 30 % hat,
soweit erforderlich, die Entscheidung über die Zurückweisung der Beschwerde der Klägerin vom
2. Oktober 1995 aufzuheben und
dem Beklagten die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
19. In ihrer Erwiderung beantragt die Klägerin außerdem,
den Beklagten zur Zahlung eines unter allem Vorbehalt mit 1 973 541 BFR veranschlagten
Betrages an Zinsen von 8 % aus der Entschädigung, die die Klägerin gemäß Artikel 73 des
Statuts für die Zeit vom 18. Dezember 1989 bis 20. Juni 1994 beanspruchen kann, zu
verurteilen.
20. In seiner Klagebeantwortung beantragt der Beklagte,
die Klage als unbegründet abzuweisen und
der Klägerin ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.
21. In seiner Gegenerwiderung beantragt der Beklagte außerdem,
den von der Klägerin erstmals in ihrer Erwiderung gestellten Antrag, den Beklagten zur Zahlung
eines mit 1 973 541 BFR veranschlagten Zinsbetrags zu verurteilen, als unzulässig
zurückzuweisen und
jedenfalls die Klage als unbegründet abzuweisen.
Zum Antrag auf Feststellung des Anspruchs der Klägerin auf die in Artikel 73 des Statuts
vorgesehene Entschädigung unter Zugrundelegung eines Invaliditätsgrades von 30 %
22. Die Klägerin beantragt, festzustellen, daß sie Anspruch auf die in Artikel 73 des Statuts vorgesehene
Entschädigung wegen Invalidität unter Zugrundelegung eines Invaliditätsgrades von 30 % hat. Dieser
Antrag läuft darauf hinaus, dem Beklagten aufzugeben, die Entschädigung unter Zugrundelegung
eines bestimmten Invaliditätsgrades zu berechnen. Der Gemeinschaftsrichter kann jedoch keine
Anordnungen an ein Gemeinschaftsorgan richten, ohne in die Befugnisse der Anstellungsbehörde
einzugreifen (vgl. Urteile des Gerichts vom 13. Juli 1993 in der Rechtssache T-20/92, Moat/Kommission,
Slg. 1993, II-799, Randnr. 36, und vom 8. Juni 1995 in der Rechtssache T-496/93, Allo/Kommission, Slg.
ÖD 1995, II-405, Randnrn. 32 und 33).
23. Daraus folgt, daß dieser Antrag unzulässig ist.
Zum Antrag, ein Schriftstück im Verfahren teilweise nicht zu berücksichtigen
24. Die Klägerin trägt vor, der Beklagte habe in Anlage 4 zu seiner Klagebeantwortung das gesamte
medizinische Gutachten von Dr. De Meersman vom 4. Dezember 1990 vorgelegt (siehe oben, Randnr.
8). Dieses Gutachten falle unter die ärztliche Schweigepflicht, so daß der Beklagte es nicht ohne
vorherige Genehmigung durch die Klägerin hätte vorlegen dürfen. Im übrigen sei nur das Ergebnis
dieses Gutachtens, nicht aber der gesamte Text für den vorliegenden Rechtsstreit von Interesse.
Daher beantragt die Klägerin, dieses Gutachten mit Ausnahme der darin enthaltenen
Schlußfolgerungen im Verfahren nicht zu berücksichtigen.
25. Das Gericht ist der Ansicht, daß im vorliegenden Fall die Entscheidung über diesen Antrag
vorzubehalten ist, solange nicht die Prüfung der Klagegründe und Argumente der Parteien die
Berücksichtigung dieses Gutachtens verlangt.
Zum Aufhebungsantrag
26. Die Klägerin stützt ihre Klage auf vier Klagegründe:
Rechtswidrigkeit der Gutachten des Ärzteausschusses;
Verstoß gegen die Begründungspflicht;
Verstoß gegen Artikel 73 des Statuts, gegen die Artikel 3 Absatz 2 und 12 Absatz 2 der
Regelung sowie gegen die im Anhang der Regelung enthaltenen Sätze, die im Fall der Invalidität
anwendbar sind (im folgenden: Invaliditätstabelle);
Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.
27. Bevor das Vorbringen der Parteien dargestellt wird, ist auf die Vorschriften hinzuweisen, die den
rechtlichen Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits bilden.
28. Artikel 73 des Statuts gehört zu den Vorschriften über die soziale Sicherheit. Sein Absatz 1 bestimmt
insbesondere, daß der Beamte vom Tage seines Dienstantritts an für den Fall von Berufskrankheiten
gesichert wird. Absatz 2 garantiert bestimmte Leistungen im Todesfall, bei dauernder Vollinvalidität
und bei dauernder Teilinvalidität, wenn eine Berufskrankheit die Ursache war.
29. Gemäß Artikel 73 Absatz 2 Buchstabe b hat der Beamte bei dauernder Vollinvalidität Anspruch auf
Zahlung eines Kapitalbetrags in achtfacher Höhe des jährlichen Grundgehalts, bemessen nach den
Monatsgrundgehältern des Beamten in den letzten zwölf Monaten vor dem Unfall. Nach Artikel 73
Absatz 2 Buchstabe c hat der Beamte bei dauernder Teilinvalidität Anspruch auf Zahlung eines Teils
des unter Buchstabe b vorgesehenen Betrages, berechnet nach der Invaliditätstabelle.
30. Die Voraussetzungen für die Anwendung des Artikels 73 des Statuts sind in derRegelung festgelegt.
31. Artikel 3 der Regelung definiert den Begriff der Berufskrankheit wie folgt:
„1. Berufskrankheiten sind die Krankheiten, die in der der Empfehlung der Kommission vom 22. Mai
1990 [ABl. L 160, S. 39] beigefügten .Europäischen Liste der Berufskrankheiten' in deren jeweiliger
Fassung aufgeführt sind, sofern der Beamte bei seiner dienstlichen Tätigkeit für die Europäischen
Gemeinschaften der Gefahr dieser Erkrankungen ausgesetzt ist.
2. Als Berufskrankheit gilt auch eine Krankheit oder Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit,
die nicht in der in Absatz 1 genannten Liste aufgeführt ist, wenn nachgewiesen wird, daß sie in
Ausübung oder anläßlich der Ausübung des Dienstes für die Gemeinschaften entstanden ist.“
32. Artikel 12 bekräftigt die in Artikel 73 Absatz 2 Buchstaben b und c des Statuts garantierten
Leistungen wie folgt:
„1. Bei dauernder Vollinvalidität infolge ... einer Berufskrankheit erhält der Beamte den in Artikel 73
Absatz 2 Buchstabe b des Statuts vorgesehenen Kapitalbetrag.
2. Bei dauernder Teilinvalidität infolge ... einer Berufskrankheit erhält der Beamte einen Kapitalbetrag,
der sich nach den Sätzen der Invaliditätstabelle im Anhang bemißt.“
33. Die Invaliditätstabelle legt in genauen Prozentsätzen den Grad der verschiedenen Arten dauernder
Invalidität fest, die bei den Beamten vorliegen können. Außerdem bestimmt sie, daß in den von ihr
nicht erfaßten Invaliditätsfällen bei der Feststellung des Invaliditätsgrades des Beamten sinngemäß
nach den vorgesehenen Sätzen zu verfahren ist.
34. Die Entscheidung über die Anerkennung einer Krankheit als Berufskrankheit und die Entscheidung
über den Grad einer dauernden Invalidität trifft nach Artikel 19 der Regelung die Anstellungsbehörde
aufgrund der Stellungnahme des oder der von den Organen bestellten Ärzte und, falls der Beamte
dies verlangt, nach Einholung eines Gutachtens des Ärzteausschusses. Artikel 23 Absatz 1 sieht vor,
daß sich dieser Ausschuß aus drei Ärzten zusammensetzt: Der erste wird von der Anstellungsbehörde,
der zweite von dem betroffenen Beamten und der dritte einvernehmlich von den ersten beiden
benannt. Der Ärzteausschuß erstattet bei Abschluß seiner Arbeiten ein Gutachten, das er der
Anstellungsbehörde und dem Beamten zuleitet.
Vorbringen der Parteien
35. Die Klägerin macht geltend, die Gutachten des Ärzteausschusses vom 3. März 1993 und 12. Januar
1995 seien in zweifacher Hinsicht rechtswidrig.
36. Zum einen habe der Ärzteausschuß dadurch, daß er die Bedeutung der verschiedenen Ursachen ihrer
Krankheit präzise in Prozentsätzen wiedergegeben habe, die Grenzen des ihm von der
Anstellungsbehörde erteilten Auftrags überschritten. Die Anstellungsbehörde habe nämlich mit der
dritten Frage in ihrem Schreiben vom 20. Juni 1994 von ihm wissen wollen, „ob hinreichend
nachgewiesen ist, daß zwischen der Krankheit und der Ausübung der Berufstätigkeit von Frau S bei
den Gemeinschaften ein unmittelbarer Zusammenhang besteht“. Mit der Bejahung dieser Frage im
Gutachten vom 12. Januar 1995 habe der Ärzteausschuß seine Aufgabe erfüllt, so daß er keine
prozentuale Aufteilung habe vornehmen dürfen, um die die Anstellungsbehörde nicht gebeten habe.
37. Zum anderen sei diese prozentuale Aufteilung nach Artikel 73 des Statuts, nach den Artikeln 3 Absatz
2 und 12 Absatz 2 der Regelung sowie nach der Invaliditätstabelle weder vorgesehen noch geboten.
Die Klägerin bezieht sich insoweit auf ihr Vorbringen zur Begründung ihres dritten Klagegrundes.
Danach habe der Ärzteausschuß die in diesen Vorschriften vorgesehenen Begriffe der Berufskrankheit
und des Invaliditätsgrades falsch beurteilt, so daß seine Schlußfolgerungen rechtswidrig seien (vgl.
Urteile des Gerichtshofes vom 26. Januar 1984 in der Rechtssache 189/82, Seiler u. a./Rat, Slg. 1984,
229, und vom 10. Dezember 1987 in der Rechtssache 277/84, Jänsch/Kommission, Slg. 1987, 4923).
38. Der Beklagte macht insbesondere geltend, die Klägerin gehe von einem zu starren und
formalistischen Begriff des „Auftrags“ des Ärzteausschusses aus.
Würdigung durch das Gericht
39. Der Inhalt der Aufgabe des Ärzteausschusses ist im Lichte der Artikel 19 und 23 der Regelung zu
prüfen.
40. Nach ständiger Rechtsprechung bezwecken diese Vorschriften, die Beurteilung aller medizinischen
Fragen, die für das Funktionieren des durch die Regelung geschaffenen Versicherungssystems von
Bedeutung sind, medizinischen Sachverständigen zu übertragen. Sie sind von der Absicht getragen,
bei Streitigkeiten zu einer endgültigen Schlichtung aller medizinischen Fragen zu gelangen (vgl. z. B.
Urteile des Gerichtshofes vom 21. Mai 1981 in der Rechtssache 156/80, Morbelli/Kommission, Slg.
1981, 1357, Randnrn. 18 und 20, vom 29. November 1984 in der Rechtssache 265/83,
Suss/Kommission, Slg. 1984, 4029, Randnr. 11, und vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-185/90
P, Kommission/Gill, Slg. 1991, I-4779, Randnr. 24).
41. Aus dieser Rechtsprechung ergibt sich, daß der Ärzteausschuß mit einer umfangreichen Aufgabe
betraut ist, die darin besteht, der Anstellungsbehörde alle medizinischen Beurteilungen zu liefern, die
für ihre Entscheidung über die Anerkennung einer Krankheit des Beamten als Berufskrankheit und für
die Festlegung des Grades seiner dauernden Invalidität erforderlich sind.
42. Im Interesse der Effektivität ist es jedoch wünschenswert, daß die Anstellungsbehörde bei der
Befassung des Ärzteausschusses durch einen klaren und genauen Auftrag die Punkte nennt, zu
denen sie eine endgültige medizinische Beurteilung wünscht. Im übrigen kann die
Anstellungsbehörde, wenn sie ein Gutachten des Ärzteausschusses erhält, durch einen zusätzlichen
Auftrag ihre Fragen präzisieren oder neue Fragen stellen, um alle gewünschten Beurteilungen zu
erhalten (vgl. Urteil des Gerichts vom 23. November 1995 in der Rechtssache T-64/94,
Benecos/Kommission, Slg. ÖD 1995, II-769, Randnrn. 46 und 58). In diesen Fällen ist der
Ärzteausschuß selbstverständlich verpflichtet, die Fragen der Anstellungsbehörde klar und genau zu
beantworten. Diese Aufträge dürfen jedoch nicht zur Folge haben, daß der Ärzteausschuß daran
gehindert wird, der Anstellungsbehörde zusätzliche medizinische Feststellungen mitzuteilen, die ihr
Klarheit für ihre Entscheidung verschaffen können.
43. Im vorliegenden Fall ist der Ärzteausschuß in seinen Gutachten vom 3. März 1993 und 12. Januar 1995
zu der Schlußfolgerung gelangt, daß drei Faktoren zum Auftreten der Krankheit der Klägerin
beigetragen hatten. Er hat außerdem die Bedeutung dieser Faktoren mit präzisen Prozentsätzen
bewertet.
44. Auch wenn kein Auftrag vorlag, in dem eine solche Bewertung ausdrücklich verlangt wurde, war der
Ärzteausschuß entsprechend der ihm nach den Artikeln 19 und 23 der Regelung obliegenden Aufgabe
befugt, der Anstellungsbehörde diese Feststellung mitzuteilen.
45. Das Vorbringen, die streitige prozentuale Aufteilung sei nach Artikel 73 des Statuts, nach den Artikeln
3 Absatz 2 und 12 Absatz 2 der Regelung sowie nach der Invaliditätstabelle weder vorgesehen noch
geboten, betrifft den dritten Klagegrund. Es wird daher im Rahmen dieses Klagegrundes geprüft.
46. Daraus folgt, daß der erste Klagegrund nicht durchgreift.
Vorbringen der Parteien
47. Die Klägerin macht geltend, die Gutachten des Ärzteausschusses vom 3. März 1993 und 12. Januar
1995 seien unzureichend begründet. Zwischen den in den Gutachten enthaltenen medizinischen
Feststellungen und dem Ergebnis, zu dem die Gutachten gelangten, bestehe kein verständlicher
Zusammenhang (vgl. Urteil des Gerichts vom 12. Juli 1990 in der Rechtssache T-154/89,
Vidrányi/Kommission, Slg. 1990, II-445, Randnr. 48).
48. In diesen Gutachten seien nämlich nicht die Gründe angegeben, aus denen der Ärzteausschuß nach
der Feststellung des Bestehens eines hinreichend unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der
Berufstätigkeit und der Krankheit der Klägerin — diese Feststellung genüge für die Schlußfolgerung,
daß eine Berufskrankheit vorliege (siehe unten, Randnr. 64) — seine Arbeiten fortgesetzt habe und zu
dem Schluß gelangt sei, daß diese Krankheit zu 20 % auf die Berufstätigkeit der Klägerin, zu 30 % auf
ihre allgemeinen Lebensumstände und zu 50 % auf ihre pathologische Persönlichkeit zurückzuführen
sei. Außerdem erläuterten die in den Gutachten enthaltenen Feststellungen weder die Methode,
anhand deren der Ärzteausschuß die prozentuale Aufteilung vorgenommen habe, noch die
Quantifizierung der drei Ursachen für die Krankheit der Klägerin und die Bedeutung der Begriffe
„allgemeine Lebensumstände“ und „pathologische Persönlichkeit“.
49. Da sich die Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 11. April 1995 auf unzureichend begründete
medizinische Gutachten stütze, sei sie aus dem gleichen Grund rechtswidrig und müsse folglich
aufgehoben werden.
50. Der Beklagte stellt die Zulässigkeit dieses Klagegrundes in Frage, weil die Klägerin ihn nicht in ihrer
Beschwerde geltend gemacht habe (vgl. Urteile des Gerichts vom 27. November 1990 in der
Rechtssache T-7/90, Kobor/Kommission, Slg. 1990, II-721 Randnrn. 34 bis 36, vom 12. März 1996 in der
Rechtssache T-361/94, Weir/Kommission, Slg. ÖD 1996, II-381, Randnrn. 27 bis 34, vom 6. Juni 1996 in
der Rechtssache T-262/94, Baiwir/Kommission, Slg. ÖD 1996, II-739, Randnrn. 40, 41 und 42, und vom
11. Juni 1996 in der Rechtssache T-118/95, Anacoreta Correia/Kommission, Slg. ÖD 1996, II-835,
Randnr. 43).
51. Jedenfalls seien die Gutachten vom 3. März 1993 und 12. Januar 1995 ausreichend begründet.
Würdigung durch das Gericht
Zur Zulässigkeit des Klagegrundes
52. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin in ihrer Beschwerde den Klagegrund des Verstoßes
gegen die Begründungspflicht geltend gemacht hat, da dieser Klagegrund jedenfalls zulässig ist.
53. Nach ständiger Rechtsprechung stellt der Klagegrund der fehlenden Begründung der Handlung eines
Organs einen Grund dar, den der Gemeinschaftsrichter als solchen jedenfalls von Amts wegen prüfen
kann (vgl. insbesondere Urteile des Gerichtshofes vom 20. März 1959 in der Rechtssache 18/57,
Nold/Hohe Behörde, Slg. 1959, 91, vom 1. Juli 1986 in der Rechtssache 185/85, Usinor/Kommission,
Slg. 1986, 2079, Randnr. 19, und vom 20. Februar 1997 in der Rechtssache C-166/95 P,
Kommission/Daffix, Slg. 1997, I-0000, Randnr. 24, sowie Urteil des Gerichts vom 27. Februar 1997 in
der Rechtssache T-106/95, FFSA u. a./Kommission, Slg. 1997, II-0000, Randnr. 62). Daraus folgt, daß
keinem Kläger die Berufung auf diesen Klagegrund allein deshalb versagt werden kann, weil er ihn
nicht in seiner Beschwerde geltend gemacht hat (vgl. Urteil des Gerichts vom 14. Juli 1994 in der
Rechtssache T-534/93, Grynberg und Hall/Kommission, Slg. ÖD 1994, II-595, Randnr. 59, und Urteil des
Gerichtshofes, Kommission/Daffix a. a. O., Randnr. 25).
Zur Stichhaltigkeit des Klagegrundes
54. Die vom Ärzteausschuß vorgenommene medizinische Beurteilung im eigentlichen Sinne ist als
endgültig anzusehen, wenn sie unter ordnungsgemäßen Voraussetzungen erfolgt ist (vgl. Urteile des
Gerichtshofes Suss/Kommission, a. a. O., Randnrn. 9 bis 15, und vom 19. Januar 1988 in der
Rechtssache 2/87, Biedermann/Rechnungshof, Slg. 1988, 143, Randnr. 8; Urteile des Gerichts
Vidrányi/Kommission, a. a. O., Randnr. 48, vom 26. September 1990 in der Rechtssache T-122/89,
F./Kommission, Slg. 1990, II-517, Randnr. 16, und vom 14. Januar 1993 in der Rechtssache T-88/91,
F./Kommission, Slg. 1993, II-13, Randnr. 39), und die gerichtliche Kontrolle kann sich nur auf die
Ordnungsmäßigkeit der Errichtung und der Tätigkeit eines solchen Ausschusses (vgl. Urteile
Morbelli/Kommission, a. a. O., Randnrn. 18 und 20, Suss/Kommission, a. a. O., Randnr. 11,
Biedermann/Rechnungshof, a. a. O., Randnr. 8, und Kommission/Gill, a. a. O., Randnr. 24) sowie auf die
Ordnungsmäßigkeit seiner Stellungnahmen erstrecken. Folglich kann das Gericht prüfen, ob die
Stellungnahme eine Begründung enthält, anhand deren die Erwägungen beurteilt werden können, auf
denen die in ihr enthaltenen Schlußfolgerungen beruhen (vgl. Urteil des Gerichts vom 12. Januar 1983
in der Rechtssache 257/81, K./Rat, Slg. 1983, 1, Randnr. 17), und ob ein verständlicher
Zusammenhang besteht zwischen den in ihr enthaltenen medizinischen Feststellungen und den
Schlußfolgerungen, zu denen der Ärzteausschuß gelangt (vgl. Urteil Jänsch/Kommission, a. a. O.,
Randnr. 15, sowie Urteile des Gerichts vom 27. Februar 1992 in der Rechtssache T-165/89,
Plug/Kommission, Slg. 1992, II-367, Randnr. 75, und vom 30. Mai 1995 in der Rechtssache T-556/93,
Saby/Kommission, Slg. ÖD 1995, II-375, Randnr. 35).
55. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist zu prüfen, ob im vorliegenden Fall zwischen den
medizinischen Feststellungen, die der Ärzteausschuß getroffen hat, und den Schlußfolgerungen, zu
denen er gelangt ist, ein „verständlicher Zusammenhang“ besteht.
56. Das Gutachten des Ärzteausschusses vom 3. März 1993 beschreibt detailliert die zahlreichen
medizinischen Untersuchungen, denen sich die Klägerin unterzogen hat. Der Ärzteausschuß hat die
Klägerin wiederholt befragt und hat ihre Vermerke, Bemerkungen und Kommentare berücksichtigt. Er
hat sich eingehend mit ihrer gesamten Akte und ihrer medizinischen Vorgeschichte beschäftigt. So
hat er u. a. feststellen können, daß die Klägerin ... und .... bereits zwei depressive Phasen gehabt
habe, daß sie „von Natur aus gewissenhaft und perfektionistisch“ sei, daß sie „der Stressansammlung
bei ihrer Arbeit nicht gewachsen [war]“, daß sie im Zustand eines „vollständigen
Medikamentenentzugs“ gewesen sei und daß ihre Angstzustände auf einer „kreativen (wenn nicht
katastrophischen) Antizipation der Zukunft“ beruhten.
57. Alle diese Angaben zeigen hinreichend die Gründe, aus denen der Ärzteausschuß die Bedeutung der
verschiedenen Ursachen der Krankheit der Klägerin bestimmen und bewerten konnte. In diesem
Zusammenhang ist klarzustellen, daß sich die Sachverständigen, aus denen der Ärzteausschuß
zusammengesetzt ist, bei ihren Schlußfolgerungen nicht nur auf objektive Umstände wie die
vorgenannten, sondern auch auf die Erfahrung stützen, die sie auf dem betreffenden Gebiet erlangt
haben. Diese Erfahrung kann aber trotz der Bedeutung, die ihr zukommt, keinen Umstanddarstellen,
der begründet werden könnte.
58. Daher ist das Vorbringen, wonach die streitigen Gutachten bezüglich der prozentualen Aufteilung der
drei Ursachen für die Krankheit der Klägerin weder die Gründe noch die Methode erläutern,
zurückzuweisen.
59. Bezüglich der genauen Bedeutung der Begriffe „allgemeine Lebensumstände“ und „pathologische
Persönlichkeit“ weist das Gericht darauf hin, daß die Aufgabe des Ärzteausschusses nur darin
besteht, rein wissenschaftliche Stellungnahmen abzugeben, nicht aber darin, rechtliche Wertungen
vorzunehmen (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofes vom 21. Januar 1987 in der Rechtssache 76/84,
Rienzi/Kommission, Slg. 1987, 315, Randnrn. 9 bis 12, und Urteil vom 26. September 1990,
F./Kommission, a. a. O., Randnr. 15). Im vorliegenden Fall ergibt sich die Bedeutung der Begriffe
„allgemeine Lebensumstände“ und „pathologische Persönlichkeit“ nicht nur aus dem allgemeinen
Wortsinn, sondern auch aus den medizinischen Feststellungen u. a. zur Persönlichkeit und zur
Krankheitsgeschichte der Klägerin.
60. Daher ist festzustellen, daß die Gutachten des Ärzteausschusses zwischen den darin enthaltenen
medizinischen Feststellungen und den Schlußfolgerungen, zu denen sie gelangen, einen
verständlichen Zusammenhang herstellen.
61. Daraus folgt, daß der zweite Klagegrund nicht durchgreift.
Vorbringen der Parteien
62. Die Klägerin führt aus, das in Artikel 73 des Statuts, in den Artikeln 3 Absatz 2 und 12 Absatz 2 der
Regelung sowie in der Invaliditätstabelle vorgesehene Verfahren umfasse zwei unterschiedliche
Phasen.
63. Die erste Phase bestehe darin, zu bestimmen, ob die Krankheit des Beamten eine Berufskrankheit im
Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Regelung darstelle. Hierfür müßten die Anstellungsbehörde und
gegebenenfalls der Ärzteausschuß prüfen, ob nachgewiesen sei, daß die Krankheit des Beamten in
Ausübung oder anläßlich der Ausübung des Dienstes für die Europäischen Gemeinschaften
entstanden sei. Sobald der Kausalzusammenhang zwischen seiner Krankheit und seiner
Berufstätigkeit nachgewiesen sei, habe der Beamte Anspruch auf die in Artikel 73 Absatz 2 des
Statuts vorgesehene Entschädigung wegen Invalidität.
64. Für den Nachweis dieses Kausalzusammenhangs verlange keine Vorschrift, daß die Ausübung des
Dienstes die einzige, wesentliche oder überwiegende Ursache für die Krankheit des Beamten sei.
Vielmehr sei nach dem Urteil Plug/Kommission (a. a. O., Randnr. 81) dieser Kausalzusammenhang
nachgewiesen, sobald der Krankheitszustand des Beamten in einem hinreichend unmittelbaren
Zusammenhang mit der von ihm ausgeübten Tätigkeit stehe. In dieser Hinsicht sei das vorerwähnte
Urteil Seiler u. a./Rat, auf das sich der Beklagte, wie unten in Randnummer 74 angegeben, beruft,
nicht einschlägig. Zum einen beschränke es sich strikt auf die Auslegung des Begriffes der
Berufskrankheit im Fall der Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit. Zum anderen sei es vor
dem Urteil Plug/Kommission erlassen und somit von diesem verworfen worden.
65. Jedenfalls sei im vorliegenden Fall hinreichend nachgewiesen, daß die Krankheit der Klägerin eine
Berufskrankheit darstelle. Sowohl im Gutachten vom 3. März 1993 als auch in dem vom 12. Januar
1995 habe der Ärzteausschuß einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen ihrer Krankheit und der
Ausübung ihres Dienstes bei den Gemeinschaften festgestellt.
66. Die zweite Phase des Verfahrens bestehe darin, den Grad der dauernden Invalidität des Beamten
festzustellen und anhand dieses Grades die Entschädigung wegen Invalidität zu berechnen, die ihm
gemäß Artikel 73 Absatz 2 des Statuts gezahlt werde.
67. In diesem Zusammenhang weist die Klägerin darauf hin, daß der dauernd teilinvalide Beamte nach
Artikel 73 Absatz 2 Buchstabe c Anspruch auf Zahlung eines Teiles der im Fall der dauernden
Vollinvalidität vorgesehenen Entschädigung habe, daß sich dieser Teil gemäß Artikel 12 Absatz 2 der
Regelung nach dem Invaliditätsgrad des Beamten bemesse und daß dieser Grad anhand der
Invaliditätstabelle oder sinngemäß nach dieser Tabelle festgesetzt werde (vgl. Urteil des Gerichtshofes
vom 2. Oktober 1979 in der Rechtssache 152/77, B./Kommission, Slg. 1979, 2819).
68. Aus diesem Verfahren ergebe sich, daß der Faktor, der in der Ausübung der Berufstätigkeit bestehe,
nur in der ersten Phase, bei der Prüfung des unmittelbaren Zusammenhangs zwischen der Krankheit
des Beamten und der Ausübung seines Dienstes für die Gemeinschaften, eine Rolle spiele. Dagegen
sei dieser Faktor in der zweiten Phase unerheblich. Im Fall der dauernden Teilinvalidität müsse nämlich
der Teilbetrag der in Artikel 73 Absatz 2 Buchstabe c des Statuts vorgesehenen Entschädigung
zwingend dem Invaliditätsgrad des Beamten entsprechen.
69. Daher hätte die Invaliditätsentschädigung der Klägerin auf der Grundlage ihres gesamten
Invaliditätsgrades, also 30 %, berechnet werden müssen. Die Entschädigung müsse somit 30 % des
im Fall der dauernden Vollinvalidität vorgesehenen Betrages darstellen.
70. Vorliegend habe die Anstellungsbehörde den beruflichen Faktor rechtswidrig in der zweiten Phase des
Verfahrens berücksichtigt. Sie habe nämlich bei der Berechnung der Invaliditätsentschädigung ihren
Invaliditätsgrad (30 %) nur mit dem Bruchteil multipliziert, der den beruflichen Ursachen ihrer Krankheit
entspreche (20 %), nicht aber mit dem Bruchteil, der den anderen als beruflichen Ursachen dieser
Krankheit, d. h. ihrer pathologischen Persönlichkeit (50 %) und ihren allgemeinen Lebensumständen
(30 %), entspreche.
71. Der Beklagte habe somit das vorstehend beschriebene Verfahren nicht eingehalten und daher gegen
die mit diesem Klagegrund angeführten Vorschriften verstoßen.
72. Den Argumenten der Klägerin tritt der Beklagte mit einem Haupt- und einem Hilfsvorbringen entgegen.
73. In erster Linie macht er geltend, der Zweck des in Artikel 73 des Statuts und in der Regelung
vorgesehenen Versicherungssystems bestehe darin, die Beamten insoweit zu entschädigen, als sich
ihre Krankheit aus der Ausübung ihres Dienstes für die Gemeinschaften ergebe. Daher müsse der
Höchstbetrag der Entschädigung, den er der Klägerin vorliegend gewähren könne, dem Teil ihrer
dauernden Teilinvalidität (30 %) entsprechen, der in Ausübung ihres Dienstes entstanden sei (20 %).
Dieser Betrag entspreche somit 6 % (30 % x 20 %) des im Fall der dauernden Vollinvalidität
vorgesehenen Betrages.
74. Hilfsweise ist der Beklagte für den Fall, daß er nach den Statutsbestimmungen die an die Klägerin zu
zahlende Entschädigung nicht weiter unterteilen könne, der Meinung, daß die Klägerin überhaupt
keine Entschädigung nach Artikel 73 des Statuts beanspruchen könne. Die Krankheit der Klägerin
stelle nämlich keine Berufskrankheit im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Regelung dar. Der Beklagte
verweist insoweit auf das vorerwähnte Urteil Seiler u. a./Rat (a. a. O., Randnr. 19), in dem der
Gerichtshof seiner Ansicht nach entschieden hat, daß, wenn die Krankheit eines Beamten durch
mehrere, sowohl berufliche wie außerberufliche Faktoren verursacht worden sei, die
Anstellungsbehörde und gegebenenfalls der Ärzteausschuß das Vorliegen einer Berufskrankheit nur
unter der Voraussetzung annehmen könnten, daß die Ausübung des Dienstes für die Gemeinschaften
den „engsten Zusammenhang“ mit der Krankheit des Beamten aufweise. Dieses Kriterium sei
vorliegend aber nicht erfüllt.
Würdigung durch das Gericht
75. Im Rahmen des durch das Statut eingeführten Systems der Versicherung gegen Berufskrankheiten
haben die Beamten nur dann Anspruch auf die in Artikel 73 Absatz 2 des Statuts garantierten
Leistungen, wenn zuvor nachgewiesen wird, daß ihre Krankheit eine „Berufskrankheit“ im Sinne von
Artikel 3 der Regelung darstellt.
76. Angesichts der von den Parteien vorgebrachten Argumente ist es zweckmäßig, zunächst auf den
Inhalt des Begriffes „Berufskrankheit“ in Artikel 3 der Regelung einzugehen.
77. Artikel 3 Absatz 1 bestimmt, daß die Krankheiten, die in der oben in Randnummer 31 genannten
„Europäischen Liste der Berufskrankheiten“ aufgeführt sind, Berufskrankheiten darstellen, „sofern der
Beamte bei seiner dienstlichen Tätigkeit für die Europäischen Gemeinschaften der Gefahr dieser
Erkrankungen ausgesetzt ist“. Absatz 2 sieht vor, daß eine in der vorgenannten Liste nicht
aufgeführte Krankheit ebenfalls eine Berufskrankheit darstellt, „wenn nachgewiesen wird, daß sie in
Ausübung oder anläßlich der Ausübung des Dienstes für die Gemeinschaften entstanden ist“.
78. Aus dieser Vorschrift und der Liste der Invaliditätsfälle, die in der Invaliditätstabelle genannt werden,
ergibt sich, daß der Begriff der Berufskrankheit ein sehr weites Spektrum von Krankheitszuständen
erfassen soll.
79. Ist somit die Ausübung des Dienstes die einzige, wesentliche oder überwiegende Ursache für die
Krankheit des Beamten, so stellt diese eine Berufskrankheit im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der
Regelung dar (vgl. Urteile Seiler u. a./Rat, a. a. O., Randnr. 19, und Benecos/Kommission, a. a. O.,
Randnr. 46).
80. Dieser Vorschrift würde jedoch ihre praktische Wirksamkeit genommen, wenn die Anerkennung der
Krankheit eines Beamten als Berufskrankheit allein auf diesen Fall beschränkt werden müßte. Es gibt
nämlich komplexere Situationen, in denen die Krankheit eines Beamten mehrere berufliche und
außerberufliche, physische oder psychische Ursachen hat, von denen jede einzelne zum Auftreten der
Krankheit beigetragen hat. In diesem Fall hat der Ärzteausschuß festzustellen, ob die Ausübung des
Dienstes für die Gemeinschaften — und zwar unabhängig davon, wie die Bedeutung dieses Faktors im
Vergleich zu den nichtberuflichen Faktoren zu bewerten ist — einen unmittelbaren Zusammenhang mit
der Krankheit des Beamten, z. B. als ihr auslösender Faktor, aufweist (vgl. Urteile K./Rat, a. a. O.,
Randnr. 20, Rienzi/Kommission, a. a. O., Randnr. 10, und Plug/Kommission, a. a. O., Randnr. 81).
81. Im vorliegenden Fall hat die Anstellungsbehörde durch ihre Entscheidung, der Klägerin eine
Entschädigung nach Artikel 73 Absatz 2 Buchstabe c des Statuts zu gewähren, anerkannt, daß deren
Krankheit eine Berufskrankheit im Sinne von Artikel 3 Absatz 2 der Regelung darstellt.
82. Daher ist zu prüfen, ob die von der Anstellungsbehörde angewandte Methode zur Berechnung der
Höhe der Entschädigung mit Artikel 73 Absatz 2 des Statuts, Artikel 12 der Regelung und der
Invaliditätstabelle in Einklang steht.
83. Insoweit sind Zweck und Charakter dieser Vorschriften zu berücksichtigen.
84. Zum einen beruht die in Artikel 73 vorgesehene Sicherung auf einem allgemeinen
Versicherungssystem (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 8. Oktober 1986 in den Rechtssachen 169/83
und 136/84, Leussink-Brummelhuis/Kommission, Slg. 1986, 2801, Randnr. 11). Wie der Beklagte
zutreffend ausgeführt hat, besteht der Zweck dieses Systems insbesondere darin, die Beamten zu
entschädigen, sofern die Krankheit, die ihre dauernde Invalidität verursacht hat, auf der Ausübung
ihres Dienstes für die Gemeinschaften beruht.
85. Zum anderen müssen Artikel 73 Absatz 2 des Statuts, Artikel 12 der Regelung und die
Invaliditätstabelle, wenn ihnen nicht ihre praktische Wirksamkeit genommen werden soll, es
ermöglichen, daß sich das Spektrum der verschiedenen von Artikel 3 Absatz 2 erfaßten
Krankheitszustände auch bei der Entschädigung der Beamten widerspiegelt.
86. Diese Würdigung wird außerdem durch den Wortlaut des Artikels 3 der Regelung, insbesondere Absatz
1, bestätigt. Aus dieser Vorschrift ergibt sich nämlich, daß der Begriff „Berufskrankheit“ auf dem
Bestehen eines Zusammenhangs zwischen dem pathologischen Zustand des Beamten und der
Ausübung seines Dienstes für die Gemeinschaften beruht. Im übrigen kann die Krankheit nur als
Berufskrankheit angesehen werden, „sofern“ dieser Zusammenhang besteht.
87. Stellt der Ärzteausschuß fest, daß von mehreren beruflichen und außerberuflichen Ursachen jede
einzelne unmittelbar zum Auftreten der Krankheit eines Beamten beigetragen hat, so ist die
Anstellungsbehörde demzufolge verpflichtet, diese medizinische Feststellung bei der Berechnung der
Höhe der Entschädigung nach Artikel 73 Absatz 2 des Statuts zu berücksichtigen.
88. Außerdem kann nicht ausgeschlossen werden, daß der Ärzteausschuß aufgrund der verschiedenen
von ihm durchgeführten Untersuchungen oder aufgrund seiner Erfahrung auf dem betreffenden
Gebiet der Meinung ist, daß er die Bedeutung der Rolle, die die Ausübung des Dienstes beim
Auftreten der Krankheit des Beamten gespielt hat, in der einen oder anderen Form bewerten oder
quantifizieren kann. Ergibt sich aus den Schlußfolgerungen des Ärzteausschusses klar und präzise
eine solche Bewertung, so ist die Anstellungsbehörde befugt, sie in die Berechnung der erwähnten
Entschädigung einfließen zu lassen.
89. Daher hat die Anstellungsbehörde auf der Grundlage von Artikel 73 des Statuts und der Regelung zu
Recht bschlossen, der Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 6 % der im Fall der dauernden
Vollinvalidität vorgesehenen Entschädigung zu gewähren.
90. Daraus folgt, daß der dritte Klagegrund nicht durchgreift.
Vorbringen der Parteien
91. Der Beklagte bestreitet die Zulässigkeit dieses Klagegrundes, weil sich die Klägerin nicht in ihrer
Beschwerde vom 5. Juli 1995 auf ihn berufen habe.
92. Auf dieses Argument erwidert die Klägerin insbesondere unter Anführung der Urteile des
Gerichtshofes vom 30. Oktober 1974 in der Rechtssache 188/73 (Grassi/Rat, Slg. 1974, 1099) und
vom 1. Juli 1976 in der Rechtssache 58/75 (Sergy/Kommission, Slg. 1976, 1139), daß dieser
Klagegrund weder den Grund noch den Gegenstand ihrer Beschwerde ändere. Mit ihm werde nämlich
die Rechtmäßigkeit der vom Ärzteausschuß vorgenommenen prozentualen Aufteilung der drei
Ursachen ihrer Krankheit in Frage gestellt. In ihrer Beschwerde habe sie diese Aufteilung aber bereits
ausdrücklich beanstandet. Im Rahmen der vorliegenden Klage habe sie diese Rüge nur in anderer
Weise als besonderen, aber mit dem dritten Klagegrund in engem Zusammenhang stehenden
Klagegrund vorgebracht.
93. In der Sache macht die Klägerin geltend, die von der Anstellungsbehörde angewandte Methode zur
Berechnung der Höhe ihrer Entschädigung sei mit dem Gleichheitsgrundsatz unvereinbar. Zur
Begründung ihrer Auffassung führt sie vierArgumente an.
94. Erstens habe diese Methode zur Folge, daß die Entschädigung nach Artikel 73 Absatz 2 Buchstabe c
des Statuts umgekehrt proportional zur Bedeutung der außerberuflichen Ursachen der Krankheit von
Beamten sei. Im Fall der Berufskrankheit erhielten Beamte, die aufgrund ihrer Persönlichkeit und ihrer
allgemeinen Lebensumstände empfindlicher auf bestimmte Arbeitsbedingungen innerhalb der
Gemeinschaften reagierten, wegen des Ausschlusses der außerberuflichen Ursachen ihrer Krankheit
eine niedrigere Entschädigung, als sie Beamte erhalten könnten, die nicht den gleichen
Persönlichkeitstyp aufwiesen oder nicht die gleichen Lebenserfahrungen gemacht hätten. Diese
unterschiedliche Behandlung sei nicht gerechtfertigt. Artikel 73 des Statuts und die Regelung zielten
nämlich darauf ab, allen Beamten ohne Rücksicht auf ihre Persönlichkeit oder ihre Lebenserfahrungen
die gleiche Sicherung gegen Berufskrankheiten zu gewähren.
95. Zweitens führe die beanstandete Methode dazu, daß die Entschädigung nach Artikel 73 Absatz 2
Buchstabe c des Statuts je nachdem, ob es sich um eine Berufskrankheit oder um eine „berufliche“
Verschlimmerung einer bestehenden Krankheit handele, der Höhe nach unterschiedlich ausfalle. Bei
einem Beamten, der sich, wie die Klägerin, nach seinem Dienstantritt bei den Gemeinschaften eine
Berufskrankheit zuziehe, werde die Höhe der Entschädigung nämlich nur auf der Grundlage
desjenigen Teils des Grades der dauernden Teilinvalidität bestimmt, der auf der Ausübung seines
Dienstes für die Gemeinschaften beruhe. Dagegen werde bei einem Beamten, der vor seinem
Dienstantritt bei den Gemeinschaften aufgrund seiner pathologischen Persönlichkeit und seiner
allgemeinen Lebensumstände erkrankt sei und dessen bestehende Krankheit sich anläßlich der
Ausübung seines Dienstes verschlimmere, die Höhe der Entschädigung auf der Grundlage des
gesamten Grades seiner dauernden Teilinvalidität einschließlich des Teils berechnet, der die
außerberuflichen Ursachen dieser Invalidität (pathologische Persönlichkeit und allgemeine
Lebensumstände) betreffe.
96. Drittens lege weder das Statut oder die Regelung noch die Anstellungsbehörde und nicht einmal der
Ärzteausschuß die Methode fest, nach der der Ärzteausschuß die Bestimmung und prozentuale
Aufteilung der verschiedenen Faktoren vorzunehmen habe, die zum Auftreten der Berufskrankheit, die
bei einem Beamten vorliegen könne, beigetragen hätten. Nur durch eine vorherige Festlegung dieser
Methode könne aber verhindert werden, daß der Ärzteausschuß gleiche oder ähnliche Sachverhalte
unterschiedlich behandele.
97. Viertens habe die prozentuale Aufteilung der drei Ursachen der Krankheit der Klägerin einen
besonders theoretischen Charakter. Diese Krankheit sei das Resultat einer Kombination eng
verknüpfter Faktoren, so daß es unmöglich sei, zu bestimmen, ob sich die Krankheit der Klägerin ohne
einen dieser Faktoren entwickelt hätte.
Würdigung durch das Gericht
98. Nach ständiger Rechtsprechung verlangt die Regel der Übereinstimmung zwischen Beschwerde und
Klage, daß ein vor dem Gemeinschaftsrichter geltend gemachter Klagegrund bereits im Rahmen des
Vorverfahrens vorgetragen worden ist, so daß die Anstellungsbehörde von den Rügen des
Betroffenen gegen die angegriffene Entscheidung hinreichend genau Kenntnis nehmen konnte;
andernfalls ist der Klagegrund unzulässig. Aus der Rechtsprechung ergibt sich auch, daß die beim
Gemeinschaftsrichter eingereichten Anträge zwar nur Rügen enthalten dürfen, die auf demselben
Grund beruhen wie die in der Beschwerde genannten Rügen; doch können diese Rügen vor dem
Gemeinschaftsrichter durch das Vorbringen von Gründen und Argumenten weiterentwickelt werden,
die nicht notwendigerweise in der Beschwerde enthalten sind, sich aber eng an diese anlehnen (vgl.
insbesondere Urteil des Gerichtshofes vom 14. März 1989 in der Rechtssache 133/88, Del Amo
Martinez/Parlament, Slg. 1989, 689, Randnrn. 9 und 10, sowie Urteile des Gerichts vom 29. März 1990
in der Rechtssache T-57/89, Alexandrakis/Kommission, Slg. 1990, II-143, Randnrn. 8 und 9, und
Allo/Kommission, a. a. O., Randnr. 26).
99. Außerdem darf die Verwaltung, da das Vorverfahren informeller Natur ist und die Betroffenen in dieser
Phase im allgemeinen ohne Mitwirkung eines Rechtsanwalts handeln, Beschwerden nicht eng
auslegen, sondern muß sie in einem Geist der Aufgeschlossenheit prüfen (vgl. Urteil Del Amo
Martinez/Parlament, a. a. O., Randnr. 11).
100. Im vorliegenden Fall bezieht sich die Beschwerde der Klägerin vom 5. Juli 1995 nicht nur nicht auf den
Klagegrund des Verstoßes gegen den Gleichheitsgrundsatz, sondern enthält auch keinen
Anhaltspunkt, aus dem der Beklagte, selbst wenn er sich bemüht hätte, die Beschwerde in einem
Geist der Aufgeschlossenheit auszulegen, hätte herleiten können, daß sich die Klägerin auf diesen
Grundsatz berufen wollte.
101. Unter diesen Umständen ist der vierte Klagegrund unzulässig.
102. Aus alledem ergibt sich, daß der Antrag der Klägerin auf Aufhebung der Entscheidung des Beklagten
vom 11. April 1995, soweit darin für die Berechnung der in Artikel 73 des Statuts vorgesehenen
Entschädigung ein Invaliditätsgrad von 6 % zugrunde gelegt wird, zurückzuweisen ist.
Zum Antrag auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 1 973 541 BFR
103. In ihrer Erwiderung beantragt die Klägerin außerdem, den Beklagten zur Zahlung von 1 973 541 BFR
zu verurteilen (siehe oben, Randnr. 19). Dieser Antrag ist auf Ersatz des Schadens gerichtet, der ihr
durch verschiedene Pflichtverletzungen und Unterlassungen des Beklagten bei der Behandlung ihrer
Angelegenheit entstanden sein soll.
104. Gemäß Artikel 44 der Verfahrensordnung des Gerichts haben die Parteien den Streitgegenstand in
der Klageschrift zu bestimmen. Zwar läßt Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung unter bestimmten
Voraussetzungen das Vorbringen neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens zu,
doch darf diese Vorschrift auf keinen Fall so ausgelegt werden, daß sie einer klagenden Partei die
Möglichkeit einräumt, den Gemeinschaftsrichter mit neuen Anträgen zu befassen und damit den
Streitgegenstand zu ändern (vgl. z. B. Urteile des Gerichtshofes vom 25. September 1979 in der
Rechtssache 232/78, Kommission/Frankreich, Slg. 1979, 2729, Randnr. 3, und vom 18. Oktober 1979
in der Rechtssache 125/78, Gema/Kommission, Slg. 1979, 3173, Randnr. 26, sowie Urteile des
Gerichts vom 18. September 1992 in der Rechtssache T-28/90, Asia Motor France u. a./Kommission,
Slg. 1992, II-2285, Randnr. 43, und vom 5. Juni 1996 in der Rechtssache T-398/94, Kahn
Scheepvaart/Kommission, Slg. 1996, II-477, Randnr. 20).
105. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin aber im Laufe des Verfahrens zusätzlich zu ihrem
Aufhebungsantrag einen Schadensersatzantrag gestellt, so daß der Charakter des ursprünglichen
Rechtsstreits geändert worden ist (vgl. Urteil des Gerichts vom 21. März 1996 in der Rechtssache T-
10/95, Chehab/Kommission, Slg. ÖD 1996, II-419, Randnr. 66).
106. Außerdem steht der vorgenannte Antrag nicht in engem Zusammenhang mit dem Aufhebungsantrag.
Da es sich um einen Rechtsstreit auf dem Gebiet des öffentlichen Dienstes der Gemeinschaften
handelt, hängt seine Zulässigkeit vom ordnungsgemäßen Ablauf des vorprozessualen
Verwaltungsverfahrens nach den Artikeln 90 und 91 des Statuts ab. Dieses Verfahren hätte zwingend
mit einem Antrag der Klägerin an die Anstellungsbehörde, den entstandenen Schaden zu ersetzen,
beginnen und gegebenenfalls mit einer Beschwerde gegen die Ablehnung des Antrags fortgeführt
werden müssen (vgl. Urteile des Gerichts vom 25. September 1991 in der Rechtssache T-5/90,
Marcato/Kommission, Slg. 1991, II-731, Randnrn. 49 und 50, vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache T-
1/91, Della Pietra/Kommission, Slg. 1992, II-2145, Randnr. 34, vom 8. Juni 1993 in der Rechtssache T-
50/92, Fiorani/Parlament, Slg. 1993, II-555, Randnrn. 45 und 46, Weir/Kommission, a. a. O., Randnr. 48,
und Chehab/Kommission, a. a. O., Randnr. 67).
107. Ein solches Vorverfahren hat aber im vorliegenden Fall nicht stattgefunden.
108. Daraus folgt, daß der Antrag der Klägerin auf Verurteilung des Beklagten zur Zahlung von 1 973 541
BFR unzulässig ist.
109. Was schließlich den Antrag der Klägerin angeht, den Wortlaut des medizinischen Gutachtens von Dr.
De Meersman vom 4. Dezember 1990 im Verfahren nicht zu berücksichtigen (siehe oben, Randnr. 24),
so braucht darüber nicht entschieden zu werden, da sich das vorliegende Urteil nicht auf dieses
Dokument stützt.
110. Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, daß die Klage insgesamt abzuweisen ist.
Kosten
111. Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 88 der Verfahrensordnung tragen jedoch in den Streitsachen
zwischen den Gemeinschaften und deren Bediensteten die Organe ihre Kosten selbst. Daher trägt
jede Partei ihre eigenen Kosten.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Vierte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
LenaertsLindh
Cooke
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 9. Juli 1997.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
K. Lenaerts
Verfahrenssprache: Französisch.