Urteil des EuG vom 14.05.1998

EuG: kommission, unternehmen, hersteller, gemeinsames ziel, klagegrund, umkehr der beweislast, gericht erster instanz, preisabsprache, grundsatz der gleichbehandlung, anhörung

URTEIL DES GERICHTS (Dritte erweiterte Kammer)
14. Mai 1998
„Wettbewerb — Artikel 85 Absatz 1 EG-Vertrag — Beweis für die Beteiligung an Absprachen — Geldbuße —
Bestimmung der Höhe — Begründung“
In der Rechtssache T-295/94
Buchmann GmbH,
Rechtsanwalt Helmut Braun, Bergmannstraße 21, Dresden,
Klägerin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Beistand: Rechtsanwalt Dirk Schroeder, Köln,
Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-
Kirchberg,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren
nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 — Karton, ABl. L 243, S. 1)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Dritte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten B. Vesterdorf sowie des Richters C. P. Briët, der Richterin P. Lindh und der
Richter A. Potocki und J. D. Cooke,
Kanzler: J. Palacio González, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 25. Juni bis zum 8. Juli 1997,
folgendes
Urteil
Sachverhalt
1.
Die vorliegende Rechtssache betrifft die Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994
in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 — Karton, ABl. L 243, S. 1), die vor ihrer
Veröffentlichung durch eine Entscheidung der Kommission vom 26. Juli 1994 (K[94] 2135 endg.)
berichtigt wurde (im folgenden: Entscheidung). In der Entscheidung wurden gegen 19 Kartonhersteller
und -lieferanten aus der Gemeinschaft wegen Verstößen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages
Geldbußen festgesetzt.
2.
Gegenstand der Entscheidung ist das Erzeugnis Karton. In der Entscheidung werden drei
Kartonsorten erwähnt, die den Qualitäten „GC“, „GD“ und „SBS“ zugeordnet werden.
3.
Karton der Qualität GD (im folgenden: GD-Karton) ist ein Karton mit einer grauen unteren Lage
(Altpapier), der in der Regel für die Verpackung von Non-food-Produkten verwendet wird.
4.
Karton der Qualität GC (im folgenden: GC-Karton) besitzt eine obere weiße Lage und wird gewöhnlich
für die Verpackung von Nahrungsmitteln verwendet. GC-Karton ist von höherer Qualität als GD-Karton.
In dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum bestand zwischen diesen beiden Produkten im
allgemeinen ein Preisunterschied von etwa 30 %. In geringerem Umfang wird hochwertiger GC-Karton
auch für graphische Zwecke verwendet.
5.
SBS ist die Bezeichnung für durch und durch weißen Karton (im folgenden: SBS-Karton). Sein Preis
liegt etwa 20 % über dem von GC-Karton. Er dient zur
Verpackung von Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und Zigaretten, ist aber hauptsächlich für
graphische Zwecke bestimmt.
6.
Mit Schreiben vom 22. November 1990 legte die British Printing Industries Federation (BPIF), eine
Branchenorganisation der Mehrzahl der britischen Kartonbedrucker, bei der Kommission eine
informelle Beschwerde ein. Sie machte geltend, daß die das Vereinigte Königreich beliefernden
Kartonhersteller eine Reihe gleichzeitiger und einheitlicher Preiserhöhungen vorgenommen hätten,
und ersuchte die Kommission, das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln der
Gemeinschaft zu prüfen. Um ihr Vorgehen publik zu machen, gab die BPIF eine Pressemitteilung
heraus. Deren Inhalt wurde von der Fachpresse im Dezember 1990 verbreitet.
7.
Am 12. Dezember 1990 reichte die Fédération française du cartonnage bei der Kommission
ebenfalls eine informelle Beschwerde mit Behauptungen betreffend den französischen Kartonmarkt
ein, die ähnlich wie die BPIF-Beschwerde lautete.
8.
Am 23. und 24. April 1991 nahmen Beamte der Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 3 der
Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85
und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), in den Geschäftsräumen verschiedener
Unternehmen und Branchenorganisationen des Kartonsektors ohne Vorankündigung gleichzeitig
Nachprüfungen vor.
9.
Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission an alle Adressaten der Entscheidung
Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 und ersuchte um die Vorlage von
Dokumenten.
10.
Aufgrund der im Rahmen dieser Nachprüfungen und Ersuchen um Auskünfte und Vorlage von
Dokumenten erlangten Informationen kam die Kommission zu dem Ergebnis, daß sich die betreffenden
Unternehmen von etwa Mitte 1986 bis (in den meisten Fällen) mindestens April 1991 an einer
Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt hätten.
11.
Sie beschloß daher, ein Verfahren gemäß dieser Bestimmung einzuleiten. Mit Schreiben vom 21.
Dezember 1992 richtete sie eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an alle fraglichen Unternehmen.
Sämtliche Adressaten antworteten darauf schriftlich. Neun Unternehmen baten um eine mündliche
Anhörung. Ihre Anhörung fand vom 7. bis zum 9. Juni 1993 statt.
12.
Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Entscheidung, die folgende Bestimmungen
enthält:
Buchmann GmbH, Cascades S.A., Enso-Gutzeit Oy, Europa Carton AG, Finnboard — the Finnish Board
Mills Association, Fiskeby Board AB, Gruber & Weber GmbH & Co. KG, Kartonfabriek .De Eendracht' NV
(unter der Firma BPB de Eendracht handelnd), NV Koninklijke KNP BT NV (ehemals Koninklijke
Nederlandse Papierfabrieken NV), Laakmann Karton GmbH & Co. KG, Mo Och Domsjö AB (MoDo), Mayr-
Melnhof Gesellschaft mbH, Papeteries de Lancey S.A., Rena Kartonfabrik A/S, Sarrió SpA, SCA Holding
Ltd (ehemals Reed Paper & Board (UK) Ltd), Stora Kopparbergs Bergslags AB, Enso Española S.A.
(früher Tampella Española S.A.) und Moritz J. Weig GmbH & Co. KG haben gegen Artikel 85 Absatz 1
des EG-Vertrages verstoßen, indem sie sich
— im Falle von Buchmann und Rena von etwa März 1988 bis mindestens Ende 1990,
— im Falle von Enso Española von mindestens März 1988 bis mindestens Ende April 1991 und
— im Falle von Gruber & Weber von mindestens 1988 bis Ende 1990,
— in den [übrigen] Fällen von Mitte 1986 bis mindestens April 1991,
an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten,
durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft
— sich regelmäßig an einer Reihe geheimer und institutionalisierter Sitzungen zwecks Erörterung
und Festlegung eines gemeinsamen Branchenplans zur Einschränkung des Wettbewerbs trafen;
— sich über regelmäßige Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder Landeswährung
verständigten;
— gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft planten und
durchführten;
— sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile
der führenden Hersteller verständigten;
— in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur Kontrolle des
Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten
Preiserhöhungen sicherzustellen;
— als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen (über Lieferungen,
Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten.
...
Gegen die nachstehenden Unternehmen werden für den in Artikel 1 festgestellten Verstoß folgende
Geldbußen festgesetzt:
i) gegen Buchmann GmbH eine Geldbuße in Höhe von 2 200 000 ECU;
...“
13.
Der Entscheidung zufolge geschah die Zuwiderhandlung im Rahmen einer aus mehreren Gruppen
oder Ausschüssen bestehenden Organisation namens „Produktgruppe Karton“ (im folgenden: PG
Karton).
14.
Im Rahmen dieser Organisation sei Mitte 1986 ein Ausschuß namens „Presidents' Working Group“
(PWG) eingesetzt worden, der aus hochrangigen Vertretern der (etwa acht) führenden
Kartonlieferanten der Gemeinschaft bestanden habe.
15.
Der PWG habe sich u. a. mit der Erörterung und Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise und
Kapazitäten beschäftigt. Er habe insbesondere umfassende Beschlüsse über die zeitliche Folge und
die Höhe der von den Herstellern vorzunehmenden Preiserhöhungen gefaßt.
16.
Der PWG habe der „Präsidentenkonferenz“ (PK) Bericht erstattet, an der (mehr oder weniger
regelmäßig) fast alle Generaldirektoren der betreffenden Unternehmen teilgenommen hätten. Die PK
habe im maßgeblichen Zeitraum zweimal pro Jahr getagt.
17.
Ende 1987 sei das „Joint Marketing Committee“ (JMC) eingesetzt worden. Die Hauptaufgabe des JMC
habe darin bestanden, zum einen zu ermitteln, ob und, wenn ja, wie sich Preiserhöhungen
durchsetzen ließen, und zum anderen die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und
wichtigsten Kunden im Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu
gelangen.
18.
Schließlich habe die „Wirtschaftliche Kommission“ (WK) unter anderem die Preisentwicklung auf den
nationalen Märkten und die Auftragslage erörtert und dem JMC oder — bis Ende 1987 — dessen
Vorgänger, dem „Marketing Committee“, über die Ergebnisse ihrer Arbeit berichtet. Die WK habe aus
Vertriebs- und/oder
Verkaufsleitern der meisten fraglichen Unternehmen bestanden und sei mehrmals pro Jahr
zusammengetreten.
19.
Aus der Entscheidung geht ferner hervor, daß die Tätigkeiten der PG Karton nach Ansicht der
Kommission durch einen Informationsaustausch über die Treuhandgesellschaft FIDES mit Sitz in Zürich
(Schweiz) unterstützt wurden. In der Entscheidung heißt es, die meisten Mitglieder der PG Karton
hätten der FIDES regelmäßig Berichte über Auftragslage, Produktion, Verkäufe und
Kapazitätsauslastung geliefert. Diese Berichte seien im Rahmen des FIDES-Systems bearbeitet
worden, und die Teilnehmer hätten die zusammengefaßten Daten erhalten.
20.
Die Klägerin soll der Entscheidung zufolge an einigen Sitzungen des JMC und an einer Sitzung der
WK teilgenommen haben. Ihr wird eine Beteiligung an der Zuwiderhandlung von etwa März 1988 bis
mindestens Ende 1990 zur Last gelegt.
Verfahren
21.
Mit Klageschrift, die am 28. September 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die
Klägerin die vorliegende Klage erhoben.
22.
Mit besonderem Schriftsatz, der am 14. Oktober 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist,
hat sie ferner die Aussetzung des Vollzugs der Entscheidung beantragt. Mit Beschluß vom 21.
Dezember 1994 in der Rechtssache T-295/94 R (Buchmann/Kommission, Slg. 1994, II-1265) hat der
Präsident des Gerichts diesen Antrag zurückgewiesen.
23.
Sechzehn der achtzehn anderen für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemachten Unternehmen
haben ebenfalls Klage gegen die Entscheidung erhoben (Rechtssachen T-301/94, T-304/94, T-308/94,
T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-
348/94, T-352/94 und T-354/94).
24.
Die Klägerin in der Rechtssache T-301/94, die Laakmann Karton GmbH, hat ihre Klage mit Schreiben,
das am 10. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß
vom 18. Juli 1996 in der Rechtssache T-301/94 (Laakmann Karton/Kommission, nicht in der amtlichen
Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.
25.
Vier finnische Unternehmen, die als Mitglieder der Wirtschaftsvereinigung Finnboard
gesamtschuldnerisch für die Zahlung der gegen diese festgesetzten Geldbuße haftbar gemacht
wurden, haben ebenfalls gegen die Entscheidung geklagt (verbundene Rechtssachen T-339/94, T-
340/94, T-341/94 und T-342/94).
26.
Schließlich hat der Verband CEPI-Cartonboard, der nicht zu den Adressaten der Entscheidung
gehört, Klage erhoben. Er hat sie jedoch mit Schreiben, das am 8. Januar 1997 bei der Kanzlei des
Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 6. März 1997 in der Rechtssache T-
312/94 (CEPI-Cartonboard/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist
dieseRechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.
27.
Mit Schreiben vom 5. Februar 1997 hat das Gericht die Parteien zu einer informellen Sitzung
geladen, in der sie sich u. a. zu einer etwaigen Verbindung der Rechtssachen T-295/94, T-304/94, T-
308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-
347/94, T-348/94, T-352/94 und T-354/94 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung äußern sollten. In
dieser Sitzung, die am 29. April 1997 stattfand, haben sich die Parteien mit einer solchen Verbindung
einverstanden erklärt.
28.
Mit Beschluß vom 4. Juni 1997 hat der Präsident der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts die
genannten Rechtssachen wegen ihres Zusammenhangs gemäß Artikel 50 der Verfahrensordnung zu
gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden und einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache
T-334/94 auf vertrauliche Behandlung stattgegeben.
29.
Mit Beschluß vom 20. Juni 1997 hat er einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-337/94 auf
vertrauliche Behandlung eines in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegten
Dokuments stattgegeben.
30.
Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) beschlossen, die
mündliche Verhandlung zu eröffnen, und hat prozeßleitende Maßnahmen getroffen, indem es die
Parteien ersucht hat, einige schriftliche Fragen zu beantworten und bestimmte Dokumente
vorzulegen. Die Parteien sind diesen Ersuchen nachgekommen.
31.
Die Parteien in den in Randnummer 27 genannten Rechtssachen haben in der Sitzung, die vom 25.
Juni bis zum 8. Juli 1997 stattfand, mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.
Anträge der Parteien
32.
Die Klägerin beantragt,
— die Entscheidung für nichtig zu erklären;
— der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
33.
Die Kommission beantragt,
— die Klage abzuweisen;
— die Klägerin zu verurteilen, die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten für das Verfahren
der einstweiligen Anordnung zu tragen.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung
Vorbringen der Parteien
34.
Die Klägerin trägt vor, nach dem Protokoll der Anhörung vor der Kommission habe ein Vertreter der
Kommission ausgeführt, daß sie zu den Kartonherstellern gehört habe, die mehr oder weniger alle in
der Mitteilung der Beschwerdepunkte erhobenen Vorwürfe zugegeben hätten. Sie habe an dieser
Anhörung nicht teilgenommen, und die fragliche Äußerung sei falsch.
35.
Somit seien alle bei der Anhörung und später vorgelegten Beweise rechtswidrig erlangt worden,
denn die übrigen Unternehmen hätten ihre Stellungnahmen auf der Grundlage des angeblich von ihr
abgelegten Geständnisses abgegeben.
36.
Die Kommission trägt vor, die Äußerung ihres Vertreters während der Anhörung treffe zu, da die
Klägerin die von ihr erhobenen tatsächlichen Vorwürfe in der Tat im wesentlichen anerkannt habe. Im
übrigen habe ihr Vertreter seine Ausführungen ausdrücklich unter dem Vorbehalt der Berichtigung
gemacht.
37.
Schließlich gebe es keinen Anhaltspunkt dafür, daß sie den Beitrag der Klägerin zum fraglichen
Kartell nicht zutreffend gewürdigt habe.
Würdigung durch das Gericht
38.
Dem vorgebrachten Klagegrund kann nicht gefolgt werden. Selbst wenn man unterstellt, daß die
streitige Äußerung des Vertreters der Kommission bei der Anhörung vor der Kommission falsch war,
behauptet die Klägerin lediglich, daß die Kommission die in der Entscheidung angeführten Beweise
infolge dieser Äußerung erlangt habe, ohne dafür irgendein Indiz zu liefern.
39.
Der Vertreter der Kommission hat seine Ausführungen jedenfalls ausdrücklich unter dem Vorbehalt
der Berichtigung gemacht (Protokoll der Anhörung, S. 12), so daß den an der Anhörung
teilnehmenden Unternehmen klar sein mußte, daß sie sich auf die fragliche Angabe nicht verlassen
konnten.
Vorbringen der Parteien
40.
Die Klägerin führt aus, die Entscheidung zeige, daß sich die Kommission in mehreren Punkten auf
falsche oder ungenaue Tatsachenfeststellungen gestützt habe. Durch die Stützung auf allgemeine
Feststellungen habe die Kommission einen Fehler begangen. Aus der Begründung der Entscheidung
hätte hervorgehen müssen, wie die Kommission die Bestandteile der Zuwiderhandlung in bezug auf
sie und in bezug auf die anderen Unternehmen bewertet habe. Die Entscheidung sei daher als
rechtswidrig anzusehen.
41.
Die Kommission weist darauf hin, daß die Zuwiderhandlung eine Vielzahl von Unternehmen und
einen Zeitraum von fast fünf Jahren betroffen habe. Unter derartigen Umständen müsse die
Entscheidung zwangsläufig allgemeinere Aussagen über das Kartell enthalten. In der Entscheidung
und ihren Anhängen befinde sich jedoch eine Beschreibung des Tatbeitrags der Klägerin (vgl.
Randnrn. 44 ff.,49 ff., 74 ff. und 167 ff.).
42.
Außerdem sei in den Randnummern 116 ff. der Entscheidung klargestellt worden, daß die
Beteiligung jedes Unternehmens an jeder Handlung des Kartells nicht im einzelnen nachgewiesen
werden müsse. Alle Handlungen hätten zu einem Gesamtplan gehört, mit dem ein gemeinsames Ziel
verfolgt worden sei, und die Unternehmen, die dem Gesamtplan zugestimmt hätten, hätten daher
zwangsläufig am gesamten Kartell mitgewirkt. Die einzelnen Bestandteile der Zuwiderhandlung seien
nämlich untrennbar miteinander verbundene Aspekte ein und desselben Gesamtplans gewesen.
Würdigung durch das Gericht
43.
Das Vorbringen der Klägerin ist so zu verstehen, daß sie die Entscheidung in bezug auf ihre
Beteiligung an der Zuwiderhandlung für unzureichend begründet hält.
44.
Nach ständiger Rechtsprechung (Urteile des Gerichtshofes vom 4. Juli 1963 in der Rechtssache
24/62, Deutschland/Kommission, Slg. 1963, 143, 155, und vom 17. Januar 1984 in den Rechtssachen
43/82 und 63/82, VBVB und VBBB/Kommission, Slg. 1984, 19, Randnr. 22, sowie Urteil des Gerichts
vom 24. Januar 1992 in der Rechtssache T-44/90, La Cinq/Kommission, Slg. 1992, II-1, Randnr. 42) soll
die Begründung einer beschwerenden Entscheidung dem Gemeinschaftsrichter die Ausübung seiner
Rechtmäßigkeitskontrolle ermöglichen und es dem Betroffenen gestatten, Kenntnis von den Gründen
für die getroffene Maßnahme zu erlangen, damit er seine Rechte verteidigen und prüfen kann, ob die
Entscheidung zutreffend begründet ist.
45.
Der Vorwurf einer fehlenden oder unzureichenden Begründung stellt folglich einen Klagegrund dar,
mit dem die Verletzung wesentlicher Formvorschriften geltend gemacht wird; als solcher ist er von dem
im Rahmen der inhaltlichen Überprüfung einer Entscheidung zu untersuchenden Klagegrund zu
unterscheiden, mit dem die Fehlerhaftigkeit ihrer Gründe gerügt wird.
46.
Im vorliegenden Fall wird in der Entscheidung im Zusammenhang mit der Beschreibung der
abgestimmten Preiserhöhungen (Randnrn. 76, 78 und 79) unmittelbar auf die Klägerin Bezug
genommen. Außerdem beziehen sich die Randnummern der Entscheidung, in denen die
wettbewerbsfeindlichen Gespräche im JMC beschrieben werden (insbesondere Randnrn. 44 bis 46, 58,
71, 73, 84, 85 und 87), zwangsläufig auf die Klägerin, die ihre Teilnahme an den Sitzungen dieses
Gremiums nicht leugnet. Schließlich werden in der Entscheidung die Erwägungen, aus denen die
Kommission von ihrer Mitwirkung an einem Gesamtkartell ausging, klar dargestellt (Randnrn. 116 bis
119).
47.
Unter diesen Umständen enthält die Begründung der Entscheidung hinreichende Anhaltspunkte,
denen die Klägerin die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte entnehmen
konnte, die die Kommission dazu veranlaßten, sie für eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1
des Vertrages verantwortlich zu machen.
48.
Folglich ist der Klagegrund einer unzureichenden Begründung der Entscheidung als unbegründet
zurückzuweisen.
49.
Die Klägerin trägt in ihren Schriftsätzen vor, die Kommission sei zu Unrecht davon ausgegangen,
daß sie ab Mitte 1986 am Kartell beteiligt gewesen sei (Randnr. 2 der Entscheidung), während sie sich
erst ab 1988 am Kartell beteiligt habe.
50.
In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin an diesem Klagegrund jedoch nicht festgehalten.
Vorbringen der Parteien
51.
Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe ihre Teilnahme an den verschiedenen Gremien der PG
Karton falsch gewürdigt. Sie habe nur sporadisch ab 1988 an Sitzungen des JMC teilgenommen. Sie
habe folglich nicht an „einer Reihe geheimer und institutionalisierter Sitzungen“ (vgl. Randnr. 2, erster
Gedankenstrich, der Entscheidung) mitgewirkt. Insbesondere habe sie nicht an der Sitzung des JMC
vom 16. Oktober 1989 teilgenommen, auf die sich Anlage 109 der Mitteilung der Beschwerdepunkte
(Randnr. 82 der Entscheidung) beziehe.
52.
Sie habe weder an Sitzungen des PWG noch an Treffen der PK teilgenommen. Auf die Einlassung
der Kommission in ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen, daß Randnummer 42 der
Entscheidung, in der es heiße, daß alle Hersteller an den Sitzungen der PK teilgenommen hätten,
einen redaktionellen Fehler enthalte, sei zu entgegnen, daß die Teilnahme an den Sitzungen des PWG
und der PK als wesentlicher Bestandteil der Zuwiderhandlung angesehen worden sei.
53.
Schließlich habe sie nur an einer Sitzung der WK teilgenommen, die zur Besichtigung der neuen
Anlagen der Kartonfabrik von Cascades gedient habe.
54.
Die Kommission stellt das Vorbringen der Klägerin zu ihrer Teilnahme an Sitzungen der
verschiedenen Gremien und Ausschüsse der PG Karton nicht in Abrede. Aus der Entscheidung ergebe
sich, daß nicht von einer umfangreicheren als der von der Klägerin selbst eingeräumten Teilnahme an
den Sitzungen der Gremien der PG Karton ausgegangen worden sei.
55.
Sie habe zwar in Randnummer 42 der Entscheidung fälschlich ausgeführt, daß alle Adressaten der
Entscheidung an den Sitzungen der PK teilgenommen hätten. Dabei handele es sich aber nur um
einen redaktionellen Fehler, wie Randnummer 119 der Entscheidung und die ihr beigefügte Tabelle 7
zeigten. Im übrigen sei die Teilnahme an den Sitzungen der PK kein tragendes Element des
Kartellvorwurfs.
56.
Daß die Klägerin möglicherweise nicht an der Sitzung des JMC vom 16. Oktober 1989 teilgenommen
habe, sei unerheblich.
57.
Schließlich sei die Kommission zu Recht davon ausgegangen, daß die Klägerin nur an einer Sitzung
der WK teilgenommen habe.
Würdigung durch das Gericht
58.
Die Kommission ist unstreitig nicht von einer Teilnahme der Klägerin an den Sitzungen des PWG
ausgegangen.
59.
Nach Tabelle 7 im Anhang der Entscheidung wirkte die Klägerin im JMC mit. Überdies heißt es in der
Entscheidung, daß sie seit 1986 an einer Sitzung der WK teilgenommen habe.
60.
Die Häufigkeit ihrer Teilnahme an den Sitzungen des JMC ist Tabelle 4 im Anhang der Entscheidung
zu entnehmen. Danach hat sie in der Zeit von Mitte 1986 bis Ende 1990 an fünf Sitzungen dieses
Gremiums teilgenommen, die alle zwischen Februar 1990 und November 1990 stattfanden. Ferner
heißt es in einer Fußnote: „Buchmann gibt Teilnahme ab 1988 zu, für die Zeit vor 1990 liegen jedoch
keine
näheren Angaben vor.“ Aus Tabelle 4 ergibt sich ferner, daß die Kommission nicht von einer Teilnahme
der Klägerin an der Sitzung des JMC vom 16. Oktober 1989 ausgegangen ist.
61.
Schließlich geht hinsichtlich der Teilnahme an den Sitzungen der PK aus einer Gesamtbetrachtung
der Entscheidung hervor, daß es sich bei Randnummer 42 Absatz 1 Satz 1 („Alle Unternehmen, an die
die vorliegende Entscheidung gerichtet ist, waren in der Präsidentenkonferenz vertreten.“) um einen
— von der Kommission eingeräumten — redaktionellen Fehler handelt. Insoweit genügt der Hinweis
darauf, daß die Klägerin nach den der Entscheidung beigefügten Tabellen 3 und 7 nicht zu den
Unternehmen gehört, die an Sitzungen der PK teilnahmen.
62.
Da die Teilnahme der Klägerin an Sitzungen des JMC, die Daten der Sitzungen dieses Gremiums, an
denen sie nach Ansicht der Kommission teilnahm, und ihre Teilnahme an einer Sitzung der WK
unstreitig sind, hat die Kommission ihre Teilnahme an den Gremien der PG Karton ordnungsgemäß
dargetan.
63.
Folglich ist der Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.
Vorbringen der Parteien
64.
Die Klägerin trägt vor, die Kommission sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß sie sich an
Maßnahmen zur Mengenkontrolle und zum Einfrieren der Marktanteile auf dem erreichten Niveau
beteiligt habe. Sie habe im fraglichen Zeitraum stets mit voller Kapazität gearbeitet, ihre Maschinen
nie abgestellt und ihre Erzeugnisse auch nicht außerhalb der Gemeinschaft verkauft. Es sei ihr
vielmehr gelungen, ihre Umsätze auf dem französischen Markt durch eine aggressive Preispolitik zu
verdoppeln. Außerdem habe sie nie dem PWG angehört, bei dem es sich um das Gremium der PG
Karton handele, in dem gemäß Randnummer 56 der Entscheidung über die Marktanteile diskutiert
worden sei.
65.
Zu ihrer angeblichen Beteiligung an Preisinitiativen führt sie unter Bezugnahme auf Randnummer
38 der Entscheidung und auf ihr Schreiben an die Kommission vom 2. November 1991 aus, sie habe
die von Feldmühle erhaltenen Informationen über Preiserhöhungen nie angefordert. Außerdem hätten
die von dieser einseitig mitgeteilten Informationen ihr Verhalten nicht beeinflußt; die Preiserhöhungen
von Feldmühle seien auch oft geringer ausgefallen oder später erfolgt als angekündigt. Entgegen der
Behauptung der Kommission sei sie nicht voll über das Verhalten ihrer Konkurrenten unterrichtet
gewesen.
66.
Sie sei auch keiner Preisdisziplin unterworfen worden. Dies werde dadurch belegt, daß es ihr
gelungen sei, ihre Marktanteile im In- und Ausland zu erhöhen. Die Behauptung in Randnummer 136
letzter Absatz der Entscheidung, daß auf
Sitzungen des JMC „Zauderer gedrängt wurden, die Preiserhöhungen der Marktführer zu
unterstützen“, treffe folglich auf sie nicht zu.
67.
Sie gehöre insbesondere nicht zu den Unternehmen, die nach Randnummer 77 der Entscheidung
an der zwischen Februar und April 1988 in Frankreich durchgeführten Preiserhöhung teilgenommen
hätten. Auch die Darstellung der Preise in den bei FS-Karton gefundenen Notizen (Anlage 115 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte) beziehe sich nicht auf sie, denn sie werde darin im Zusammenhang
mit der Angabe der bei den wichtigsten Kunden in Deutschland praktizierten Preise nicht erwähnt.
68.
Schließlich habe sie sich nie am Austausch von Informationen über die Auftragseingänge und den
Auftragsbestand beteiligt, weder der FIDES noch anderen solche Informationen gemeldet und keine
Statistiken darüber erhalten. Nach Randnummer 82 der Entscheidung sei der Austausch von
Informationen über den Auftragsbestand jedoch ein wichtiger Faktor des Kartells gewesen. Außerdem
sei die Kommission von der irrigen Annahme ausgegangen, daß sie tatsächlich am fraglichen
Informationsaustausch (vgl. Randnrn. 2, 116 und 134 der Entscheidung) und insbesondere an der
Überwachung der Auftragsbestände mitgewirkt habe.
69.
Nach Ansicht der Kommission enthalten die Entscheidung und ihre Anhänge eine Beschreibung des
Tatbeitrags der Klägerin in bezug auf die Maßnahmen zur Kontrolle des Angebots und zur Festlegung
der Marktanteile (vgl. Randnrn. 44 ff., 49 ff., 74 ff. und 167 ff.).
70.
Außerdem sei in den Randnummern 116 ff. der Entscheidung klargestellt worden, daß die
Beteiligung jedes Unternehmens an jeder Handlung des Kartells nicht im einzelnen nachgewiesen
werden müsse. Alle Handlungen hätten zu einem Gesamtplan gehört, mit dem ein gemeinsames Ziel
verfolgt worden sei, und die Unternehmen, die dem Gesamtplan zugestimmt hätten, hätten daher
zwangsläufig am gesamten Kartell mitgewirkt.
71.
Das JMC habe eine äußerst wichtige Funktion innerhalb des Kartells erfüllt, da es u. a. zu seinen
Aufgaben gehört habe, zu ermitteln, ob und gegebenenfalls wie sich Preiserhöhungen durchsetzen
ließen. Im JMC seien die praktischen Aspekte der Durchführung der vorgeschlagenen Preiserhöhungen
erörtert und ausgearbeitet worden. Es sei auch für die tatsächliche Umsetzung der Preisinitiativen
verantwortlich gewesen. Die fortgesetzte Teilnahme der Klägerin an den Sitzungen dieses Gremiums
rechtfertige unter diesen Umständen den gegen sie erhobenen Vorwurf. Angesichts des Charakters
der Gespräche im JMC sei es auf dessen Sitzungen nämlich zwangsläufig um die Mengenkontrolle und
die Marktaufteilung gegangen. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte sei daher davon auszugehen,
daß die Klägerin den dort getroffenen Absprachen zugestimmt habe (vgl. Urteil des Gerichts vom 24.
Oktober 1991 in der Rechtssache T-1/89, Rhône-Poulenc/Kommission, Slg. 1991, II-867, Randnrn. 56
und 66 f.).
72.
Daß die Klägerin möglicherweise nicht an allen fraglichen Maßnahmen beteiligt gewesen sei, spiele
keine Rolle, denn diese Maßnahmen hätten zwar vor allem große Hersteller betroffen, ließen sich aber
nicht von den Maßnahmen in bezug auf Preiserhöhungen trennen (vgl. Urteile des Gerichts vom 24.
Oktober 1991 in der Rechtssache T-2/89, Petrofina/Kommission, Slg. 1991, II-1087, Randnr. 287, und
vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-7/89, Hercules Chemicals/Kommission, Slg. 1991, II-
1711, Randnr. 272). Der Grund für die Erstreckung des Kartells auf Mengenkontrollen und die
ausdrückliche Erwähnung einer „Preis-vor-Menge“-Politik habe nämlich gerade darin bestanden, daß
allen Herstellern bewußt gewesen sei, daß sich Preiserhöhungen bei einem Überangebot nicht
durchsetzen ließen.
73.
Auch das Vorbringen der Klägerin, daß sie ihre Maschinen nicht abgestellt und ihre Kapazitäten
ausgenutzt habe, sei unerheblich, denn in den Randnummern 70 ff. der Entscheidung werde
ausdrücklich dargelegt, daß die Kapazitäten 1988 und 1989 voll ausgelastet gewesen und die
Hersteller 1990 zu Abstellzeiten ermutigt worden seien. Da sich die getroffenen Vereinbarungen
unstreitig auf Mengenkontrollen erstreckt hätten, spiele der individuelle Beitrag der Klägerin zur
Einhaltung dieser Vereinbarungen zudem für die Frage ihrer Beteiligung an ihnen keine Rolle (vgl.
Urteile des Gerichts in der Rechtssache Rhône-Poulenc/Kommission, Randnr. 125, und vom 10. März
1992 in der Rechtssache T-13/89, ICI/Kommission, Slg. 1992, II-1021, Randnrn. 291, 293 und 305).
74.
Die Klägerin bestreite nicht, an den in den Anhängen der Entscheidung im einzelnen aufgeführten
Preisinitiativen beteiligt gewesen zu sein. Insbesondere habe ihr die Kommission eine Beteiligung an
der zwischen Februar und April 1988 in Frankreich durchgeführten Preiserhöhung nie vorgeworfen. Sie
habe aber in Deutschland an allen Preiserhöhungen während des maßgeblichen Zeitraums
mitgewirkt.
75.
Die Behauptung der Klägerin, daß die Informationen von Feldmühle ihr Verhalten nicht beeinflußt
hätten, ändere nichts daran, daß sie aufgrund ihrer Teilnahme an den Sitzungen des JMC stets
Gewißheit über das zukünftige Verhalten ihrer Konkurrenten gehabt habe.
76.
Was schließlich den Informationsaustausch anbelange, so treffe es zu, daß die Klägerin der FIDES
ihre Auftragseingänge und -bestände nicht gemeldet habe. Wie in Randnummer 69 der Entscheidung
dargelegt werde, sei es jedoch üblich gewesen, daß die Hersteller auf den Sitzungen des JMC ihren
Auftragsbestand offengelegt hätten. Dies werde durch die bei FS-Karton gefundenen Notizen (Anlage
115 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, vgl. Randnr. 92 der Entscheidung) bestätigt, die Angaben
über die prozentualen Marktanteile und den Auftragsbestand bestimmter Unternehmen sowie über
Preise und geplante Preisanhebungen enthielten.
77.
Die Klägerin bestreite nur, von der FIDES Statistiken erhalten zu haben, nicht aber die Erlangung
solcher Informationen aus anderer Quelle (Schreiben an die Kommission vom 5. August 1991, Punkt 6
unter c).
Würdigung durch das Gericht
78.
Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die dort genannten Unternehmen gegen Artikel 85 Absatz
1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich — im Fall der Klägerin von etwa März 1988 bis mindestens
Ende 1990 — an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise
beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft u. a. „sich über regelmäßige
Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder Landeswährung verständigten“ und „gleichzeitige und
einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft planten und durchführten“, „sich
vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der
führenden Hersteller verständigten“ und „in zunehmendem Maße ab Anfang 1990 abgestimmte
Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die Durchsetzung der
vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen“.
79.
Folglich haben alle in Artikel 1 der Entscheidung aufgeführten Unternehmen gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich an einer einzigen Zuwiderhandlung in Form von
Absprachen beteiligten, die sich auf drei verschiedene Gegenstände bezogen, mit denen aber ein
gemeinsames Ziel verfolgt wurde. Diese Absprachen sind als die Bestandteile des Gesamtkartells
anzusehen.
80.
Die Klägerin beteiligte sich unstreitig vor März 1988 nicht an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel
85 Absatz 1 des Vertrages. Ferner bestreitet die Klägerin weder, in der Zeit von Februar 1990 bis
Ende 1990 an fünf Sitzungen des JMC teilgenommen zu haben, noch ihre Teilnahme an einer Sitzung
der WK im Februar 1990.
81.
In bezug auf das tatsächliche Marktverhalten der Klägerin in der Zeit von März 1988 bis Ende 1990
geht aus der Entscheidung hervor, daß die Kommission über Beweise zu verfügen glaubt, nach denen
dieses Unternehmen im März/April 1988, im Oktober 1988, im April 1989, im Oktober 1989 und im April
1990 an abgestimmten Preiserhöhungen in Deutschland teilnahm.
82.
Angesichts dessen ist zu prüfen, ob die Kommission nachgewiesen hat, daß sich die Klägerin im
fraglichen Zeitraum an den drei Bestandteilen der Zuwiderhandlung — einer Preisabsprache, einer
Absprache über die Abstellzeiten und einer Absprache über die Marktanteile — beteiligte, bevor auf
das Vorbringen der Klägerin zum Informationsaustauschsystem der FIDES eingegangen wird.
— Zur Beteiligung der Klägerin an einer Preisabsprache
83.
Nach Ansicht der Kommission hatte das JMC von Anfang an folgende Hauptaufgabe:
„— zu ermitteln, ob sich Preiserhöhungen durchsetzen lassen, und falls ja, wie, und anschließend
dem PWG Bericht zu erstatten;
— die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im Detail
auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu gelangen ...“ (Randnr. 44 Absatz 1
der Entscheidung).
84.
Im einzelnen führt die Kommission in Randnummer 45 Absätze 1 und 2 der Entscheidung folgendes
aus:
„[D]ieser Ausschuß [erörterte] für jeden einzelnen Markt, wie die vom PWG vereinbarten
Preiserhöhungen von den Herstellern durchgesetzt werden sollten. Die praktischen Aspekte der
Durchführung der vorgeschlagenen Preiserhöhungen wurden in .Round Table'-Gesprächen erörtert,
wobei jeder Teilnehmer Gelegenheit erhielt, sich zu der vorgeschlagenen Preiserhöhung zu äußern.
Schwierigkeiten bei der Durchführung der vom PWG beschlossenen Preiserhöhungen oder
gelegentliche Fälle von Verweigerung der Zusammenarbeit wurden dem PWG gemeldet, der dann (wie
Stora es formulierte) .zu versuchen hatte, das erforderliche Maß an Zusammenarbeit zustande zu
bringen'. Das JMC erstellte stets gesonderte Berichte für GC- und für GD-Sorten. Änderte der PWG
aufgrund der Berichte des JMC einen Preisfestsetzungsbeschluß, so waren die hierfür erforderlichen
Schritte auf den nächsten JMC-Sitzungen zu erörtern.“
85.
Die Kommission verweist zur Stützung dieser Angaben zum Gegenstand der Sitzungen des JMC zu
Recht auf die Aussagen von Stora (Anlagen 35 und 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte).
86.
Außerdem hat sie, auch wenn sie nicht über ein offizielles Protokoll einer Sitzung des JMC verfügt,
von Mayr-Melnhof und Rena einige interne Aufzeichnungen über die Sitzungen vom 6. September
1989, 16. Oktober 1989 und 6. September 1990 erlangt (Anlagen 117, 109 und 118 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte). In diesen Aufzeichnungen, deren Inhalt in den Randnummern 80, 82 und 87 der
Entscheidung beschrieben wird, werden die eingehenden Erörterungen wiedergegeben, die auf
diesen Sitzungen über die abgestimmten Preisinitiativen stattfanden. Sie stellen somit Beweismittel
dar, die die Beschreibung der Aufgaben des JMC durch Stora eindeutig bestätigen.
87.
Insoweit genügt es, als Beispiel auf die von Rena erlangten Notizen über die Sitzung des JMC vom 6.
September 1990 (Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) zu verweisen, in denen es u. a.
heißt:
„Preiserhöhung wird angekündigt:
Frankreich 40 FF
Niederlande 14
Deutschland 12 DM
Italien 80 LIT
Belgien 2,50 BFR
Schweiz 9 FS
England 40 UKL
Irland 45 IRL
Alle Sorten sollten gleich heraufgesetzt werden: GD, UD, GT, GC usw.
Nur 1 Preiserhöhung pro Jahr.
Für Lieferungen ab 7. Januar.
Nicht später als 31. Januar.
Schreiben vom 14. September mit Preiserhöhung (Mayr-Melnhof).
19. September. Brief von Feldmühle geht raus.
Cascades vor Ende September.
Alle Schreiben müssen vor dem 8. Oktober raus sein.“
88.
Wie die Kommission in den Randnummern 88 bis 90 der Entscheidung erläutert, konnte sie ferner
interne Unterlagen sicherstellen, die den Schluß zuließen, daß die Unternehmen und insbesondere
diejenigen, die in Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnt worden seien, die
vereinbarten Preiserhöhungen tatsächlich angekündigt und vorgenommen hätten.
89.
Auch wenn die von der Kommission angeführten Unterlagen nur eine kleine Zahl der Sitzungen des
JMC in dem von der Entscheidung erfaßten Zeitraum betreffen, bestätigen alle verfügbaren
schriftlichen Beweise die Angabe von Stora, daß die Hauptaufgabe des JMC darin bestanden habe, die
Durchführung der abgestimmten Preiserhöhungen festzulegen und zu planen. Insoweit ist das fast
völlige Fehlen von offiziellen oder internen Protokollen der Sitzungen des JMC als hinreichender Beweis
für die Behauptung der Kommission anzusehen, daß sich die an den Sitzungen teilnehmenden
Unternehmen bemühten, die wahre Natur der Erörterungen in diesem Gremium zu verschleiern (vgl. u.
a. Randnr. 45 der Entscheidung). Diese Umstände haben zu einer Umkehr der Beweislast geführt, und
den Adressaten der Entscheidung, die an den Sitzungen dieses Gremiums teilgenommen hatten,
oblag der Nachweis, daß es ein rechtmäßiges Ziel verfolgte. Da sie diesen Beweis nicht erbracht
haben, hat die Kommission zu Recht angenommen, daß die von den Unternehmen bei den Sitzungen
dieses Gremiums geführten Gespräche einen im wesentlichen wettbewerbsfeindlichen Zweck hatten.
90.
Was die individuelle Situation der Klägerin anbelangt, so ist ihre Teilnahme an fünf Sitzungen des
JMC in einem Zeitraum von etwa elf Monaten angesichts des Vorstehenden und trotz des Fehlens
schriftlicher Beweise für die bei diesen fünf
Sitzungen geführten Gespräche als hinreichender Beleg für ihre Beteiligung an der Preisabsprache
während dieses Zeitraums anzusehen.
91.
Diese Feststellung wird durch die von der Kommission angeführten Unterlagen zum tatsächlichen
Preisverhalten der Klägerin bestätigt. Insoweit stellt die Klägerin die Angaben in den der Entscheidung
beigefügten Tabellen zum Umfang der Preiserhöhungen und zum Zeitpunkt ihrer Ankündigung und
ihres Inkrafttretens nicht in Abrede. Aus diesen Tabellen geht hervor, daß die Klägerin in der Zeit, für
die ihr die Zuwiderhandlung zur Last gelegt wird, auf dem deutschen Markt Preiserhöhungen
angekündigt und vorgenommen hat, die hinsichtlich des Umfangs, des Zeitpunkts der Ankündigung
und des Inkrafttretens den in der PG Karton getroffenen Entscheidungen entsprachen.
92.
Das Vorbringen der Klägerin, daß ihr Verhalten durch die von Feldmühle erhaltenen Informationen
über Preiserhöhungen nicht beeinflußt worden sei, ist zurückzuweisen. Zum einen bestätigt nämlich
ihr Eingeständnis, Informationen über die Preise erhalten zu haben, folgende Aussage von Stora:
„Kleinere deutsche Hersteller von GD-Sorten, die auf den PWG-Sitzungen nicht vertreten waren —
darunter Buchmann und [Laakmann] —, wurden von Zeit zu Zeit durch eines der deutschsprachigen
Unternehmen, die an diesen Sitzungen teilnahmen — d. h. Feldmühle, Mayr-Melnhof, Weig —, über
ihren Ausgang informiert“ (Anlage 38 der Mitteilung der Beschwerdepunkte). Zum anderen wird die
Behauptung eines angeblichen autonomen Marktverhaltens durch die zu diesem Punkt in der
Entscheidung enthaltenen und von der Klägerin nicht bestrittenen Angaben nicht gestützt.
93.
Im Ergebnis hat die Kommission somit nachgewiesen, daß sich die Klägerin in der Zeit von März
1988 bis Ende 1990 an einer Preisabsprache beteiligte.
— Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Abstellzeiten
94.
Der Entscheidung zufolge beteiligten sich die an den Sitzungen des PWG teilnehmenden
Unternehmen ab Ende 1987 an einer Absprache über die Abstellzeiten der Anlagen; ab 1990 sei es
tatsächlich zu Abstellzeiten gekommen.
95.
Gemäß Randnummer 37 Absatz 3 der Entscheidung umfaßte der eigentliche Auftrag des PWG nach
der Darstellung von Stora „die Erörterung und Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise,
Preiserhöhungen und Kapazitäten“. Ferner führt die Kommission unter Bezugnahme auf die „1987 im
PWG erzielte Vereinbarung“ (Randnr. 52 Absatz 1 der Entscheidung) aus, sie habe u. a. dazu gedient,
„.das Angebot auf einem konstanten Niveau' zu halten“ (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung).
96.
Zur Rolle des PWG bei der Absprache über die Lieferkontrolle, die durch die Prüfung der
Abstellzeiten der Maschinen gekennzeichnet war, heißt es in der Entscheidung, daß der PWG bei der
Durchsetzung der Abstellzeiten eine
entscheidende Rolle gespielt habe, als ab 1990 die Produktionskapazität zugenommen habe und die
Nachfrage gesunken sei: „Von Anfang 1990 an [hielt es] die Branche ... für erforderlich ..., sich im
Rahmen des PWG über Abstellzeiten zu verständigen. Die großen Hersteller räumten ein, daß sie die
Nachfrage nicht durch Preissenkungen steigern konnten und daß die Aufrechterhaltung der vollen
Produktion lediglich einen Preisrückgang bewirken würde. Theoretisch ließ sich anhand der
Kapazitätsberichte errechnen, wie lange die Maschinen abgestellt werden mußten, um Angebot und
Nachfrage wieder ins Gleichgewicht zu bringen“ (Randnr. 70 der Entscheidung).
97.
Ferner heißt es in der Entscheidung: „Der PWG wies jedoch nicht formell jedem Hersteller seine
.Abstellzeiten' zu. Laut Stora bestanden praktische Schwierigkeiten, einen koordinierten Plan für
Abstellzeiten für alle Hersteller aufzustellen. Aus diesen Gründen bestand laut Stora nur .ein loses
System der Ermutigung'“ (Randnr. 71 der Entscheidung).
98.
In ihrer zweiten Aussage (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 24) führt Stora
aus: „Mit der Einführung der Preis-vor-Menge-Politik durch den PWG und der allmählichen Anwendung
eines einheitlichen Preissystems ab 1988 erkannten die Mitglieder des PWG an, daß Abstellzeiten
erforderlich sein würden, um diese Preise angesichts geringerer Nachfragesteigerung zu halten. Ohne
Abstellzeiten hätten die Hersteller vereinbarte Preisniveaus angesichts zunehmender Überkapazität
nicht halten können.“
99.
Im folgenden Punkt ihrer Erklärung fügt sie hinzu: „1988 und 1989 konnte die Industrie mit nahezu
voller Kapazität arbeiten. Abstellzeiten neben der normalen Schließung wegen Reparaturen und
Feiertagen wurden ab 1990 erforderlich ... Schließlich waren Abstellzeiten nötig, wenn der
Auftragseingang stockte, um die Preis-vor-Menge-Politik aufrechtzuerhalten. Die Länge der von den
Herstellern (zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Verbrauch)
einzuhaltenden Abstellzeit konnte anhand der Kapazitätsberichte errechnet werden. Der PWG nahm
keine formelle Zuweisung von Abstellzeiten vor, obwohl ein loses System der Ermutigung bestand ...“
100.
Die Kommission stützt ihre Schlußfolgerungen ferner auf Anlage 73 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte, eine vertrauliche Aktennotiz des für die Verkaufsaktivitäten der Mayr-Melnhof-
Gruppe in Deutschland zuständigen Verkaufsleiters (Herrn Katzner) an den Geschäftsführer von Mayr-
Melnhof in Österreich (Herrn Gröller) vom 28. Dezember 1988, die die Marktsituation betrifft.
101.
Nach diesem in den Randnummern 53 bis 55 der Entscheidung behandelten Schriftstück gab es bei
der 1987 beschlossenen engeren Zusammenarbeit im „Präsidentenkreis“ „Gewinner und Verlierer“.
Der Ausdruck „Präsidentenkreis“ ist nach der Auslegung von Mayr-Melnhof eine gemeinsame
Bezeichnung für PWG und PK in allgemeinem Zusammenhang, d. h. ohne Bezugnahme auf ein
bestimmtes Ereignis oder Treffen (Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 2.a); diese
Auslegung braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht erörtert zu werden.
102.
Die vom Verfasser genannten Gründe dafür, daß er Mayr-Melnhof bei Abfassung der Aktennotiz als
„Verlierer“ ansah, stellen wichtige Beweise für das Vorliegen einer Absprache der Teilnehmer an den
Sitzungen des PWG über die Abstellzeiten dar.
103.
Der Verfasser stellt nämlich folgendes fest:
„4.) Und an dieser Stelle beginnt die unterschiedliche Auffassung der Beteiligten über das Gewollte.
...
c) Alle Außendienstler und europäischen Vertreter wurden von ihren Mengenbudgets entbunden,
und es wurde eine fast lückenlose, harte Preispolitik vertreten (die Mitarbeiter verstanden oftmals
unsere geänderte Einstellung zum Markt nicht — früher wurde nur Tonnage gefordert und jetzt nur
Preisdisziplin mit der Gefahr, die Maschinen abzustellen).“
104.
Mayr-Melnhof macht geltend (Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), daß der oben
wiedergegebene Abschnitt einen unternehmensinternen Sachverhalt betreffe. Bei einer Analyse im
allgemeineren Kontext der Aktennotiz läßt dieser Auszug jedoch erkennen, daß auf der Ebene des
Verkaufspersonals eine im „Präsidentenkreis“ beschlossene rigorose Politik durchgesetzt wurde. Das
Schriftstück ist somit dahin auszulegen, daß die Teilnehmer an der Vereinbarung von 1987, d. h.
zumindest die Teilnehmer an den Sitzungen des PWG, unbestreitbar die Folgen der beschlossenen
Politik für den Fall erwogen haben, daß diese rigoros angewandt wird.
105.
Demnach ist davon auszugehen, daß die Kommission das Vorliegen einer Absprache über die
Produktionsunterbrechungen zwischen den Teilnehmern an den Sitzungen des PWG nachgewiesen
hat.
106.
In der Entscheidung heißt es, auch die an den Sitzungen des JMC teilnehmenden Unternehmen,
darunter die Klägerin, hätten sich an dieser Absprache beteiligt.
107.
Hierzu führt die Kommission u. a. folgendes aus:
„Neben den zusammengefaßten Daten des FIDES-Systems pflegten die Hersteller auf den JMC-
Sitzungen auch ihren individuellen Auftragsbestand offenzulegen.
Die Informationen über den Auftragsbestand (ausgedrückt in Produktionstagen) waren aus zweierlei
Gründen wichtig:
— einmal für die Entscheidung darüber, ob abgestimmte Preisanhebungen vorgenommen werden
können;
— zum anderen für die Entscheidung über notwendige Abstellzeiten zur Aufrechterhaltung des
Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage ...“ (Randnr. 69 Absätze 3 und 4 der Entscheidung).
108.
Ferner stellt sie fest:
„Die inoffiziellen Aufzeichnungen über zwei JMC-Sitzungen im Januar 1990 (siehe Randnummer 84) und
im September 1990 (Randnummer 87) wie auch andere Dokumente (Randnummern 94 und 95)
bestätigen ..., daß die großen Hersteller ihre kleineren Wettbewerber in der PG Karton laufend über
ihre Pläne unterrichteten, zusätzliche Abstellzeiten vorzusehen, um so einem Preisrückgang
zuvorzukommen“ (Randnr. 71 Absatz 3 der Entscheidung).
109.
Die schriftlichen Beweise, die die Sitzungen des JMC betreffen (Anlagen 109, 117 und 118 der
Mitteilung der Beschwerdepunkte), bestätigen, daß die Gespräche über Abstellzeiten im
Zusammenhang mit der Vorbereitung von abgestimmten Preiserhöhungen stattfanden. Insbesondere
werden in Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Notizen von Rena vom 6. September
1990 (siehe auch oben, Randnr. 87), der Umfang der Preiserhöhungen in mehreren Ländern, die
Zeitpunkte der künftigen Ankündigungen dieser Erhöhungen sowie die in Arbeitstagen ausgedrückten
Auftragsbestände mehrerer Hersteller erwähnt. Der Verfasser des Schriftstücks vermerkt, daß einige
Hersteller Abstellzeiten vorsähen, die er z. B. wie folgt aufführt:
„Kopparfors 5 — 15 days
5/9 will stop for five days“
110.
Außerdem zeigen die Anlagen 117 und 109 der Mitteilung der Beschwerdepunkte — obwohl sie
keine unmittelbaren Angaben zu den vorgesehenen Abstellzeiten enthalten —, daß die
Auftragsbestände und die Auftragseingänge auf den Sitzungendes JMC vom 6. September 1989 und
vom 16. Oktober 1989 erörtert wurden.
111.
Diese Schriftstücke stellen zusammen mit den Aussagen von Stora einen hinreichenden Beweis für
die Beteiligung der bei den Sitzungen des JMC vertretenen Hersteller an der Absprache über die
Abstellzeiten dar. Den an der Preisabsprache teilnehmenden Unternehmen war nämlich zwangsläufig
bewußt, daß durch die Prüfung der Auftragsbestände und der Auftragseingänge sowie die Gespräche
über etwaige Abstellzeiten nicht nur festgestellt werden sollte, ob die Marktbedingungen für eine
abgestimmte Preiserhöhung günstig waren, sondern
auch, ob das Abstellen der Anlagen geboten war, um zu verhindern, daß das vereinbarte Preisniveau
durch ein Überangebot gefährdet würde. Insbesondere geht aus Anlage 118 der Mitteilung der
Beschwerdepunkte hervor, daß sich die Teilnehmer an der Sitzung des JMC vom 6. September 1990
auf die Ankündigung einer bevorstehenden Preiserhöhung einigten, obwohl mehrere Hersteller erklärt
hatten, daß sie sich anschickten, ihre Produktion zu unterbrechen. Die Marktbedingungen gingen
folglich dahin, daß die tatsächliche Durchführung einer künftigen Preiserhöhung höchstwahrscheinlich
(zusätzliche) Abstellzeiten erfordern würde, so daß die Hersteller diese Auswirkung zumindest implizit
gebilligt haben.
112.
Auf dieser Grundlage ist, ohne daß die anderen von der Kommission in der Entscheidung
angeführten Beweismittel (Anlagen 102, 113, 130 und 131 der Mitteilung der Beschwerdepunkte)
geprüft zu werden brauchen, davon auszugehen, daß die Kommission die Beteiligung der
Unternehmen, die an den Sitzungen des JMC und an der Preisabsprache teilnahmen, an einer
Absprache über die Abstellzeiten nachgewiesen hat.
113.
Daher ist davon auszugehen, daß sich die Klägerin in der Zeit von März 1988 bis Ende 1990 an
einer Absprache über die Abstellzeiten beteiligte.
— Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile
114.
Die Klägerin bestreitet, sich an einer Absprache über die Marktanteile beteiligt zu haben, ohne aber
die in der Entscheidung enthaltene Behauptung in Abrede zu stellen, daß die an den Sitzungen des
PWG teilnehmenden Hersteller eine Vereinbarung getroffen hätten, die „ein .Einfrieren' der
Marktanteile der führenden Hersteller in Westeuropa auf dem erreichten Niveau [umfaßte], ohne daß
Versuche unternommen wurden, neue Kunden zu gewinnen oder durch aggressive Preispolitik
bestehende Geschäftsbeziehungen auszubauen“ (Randnr. 52 Absatz 1).
115.
Unter diesen Umständen ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission in bezug auf die
Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, folgendes ausführt:
„Obgleich die kleineren Kartonhersteller, die an den JMC-Sitzungen teilnahmen, nicht im einzelnen über
die Gespräche im PWG betreffend die Marktanteile unterrichtet waren, war ihnen im Rahmen der
.Preis-vor-Menge'-Politik, an die sie sich alle hielten, sehr wohl bekannt, daß sich die führenden
Hersteller darauf verständigt hatten, .das Angebot auf einem konstanten Niveau' zu halten, wie ihnen
sicherlich auch die Notwendigkeit bewußt war, ihr eigenes Verhalten entsprechend anzupassen“
(Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung).
116.
Obwohl dies aus der Entscheidung nicht ausdrücklich hervorgeht, macht sich die Kommission in
diesem Punkt die Aussagen von Stora zu eigen, in denen es heißt:
„Andere Hersteller, die nicht am PWG teilnahmen, wurden im allgemeinen nicht über die Einzelheiten
der Gespräche über die Marktanteile informiert. Im Rahmen der Preis-vor-Menge-Politik, an der sie
teilnahmen, dürfte ihnen die Übereinkunft der führenden Hersteller, die Preise durch die Beibehaltung
konstanter Angebotsmengen nicht zu untergraben, jedoch bekannt gewesen sein.
In bezug auf das Angebot an GC-Sorten war der Anteil der Hersteller, die nicht am PWG teilnahmen,
ohnehin so unbedeutend, daß ihre Teilnahme oder Nichtteilnahme an den Vereinbarungen über die
Marktanteile so gut wie keine Auswirkungen hatte“ (Anlage 43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte,
Punkt 1.2).
117.
Die Kommission stützt sich somit — wie Stora — im wesentlichen auf die Annahme, daß die
Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, aber nachweislich an anderen
Bestandteilen der in Artikel 1 der Entscheidung beschriebenen Zuwiderhandlung mitwirkten, von der
Existenz der Absprache über die Marktanteile gewußt haben müssen, auch wenn es dafür keine
unmittelbaren Beweise gibt.
118.
Einer solchen Argumentation kann nicht gefolgt werden. Erstens führt die Kommission kein
Beweismittel an, aus dem hervorginge, daß die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG
teilnahmen, einer allgemeinen Vereinbarung zustimmten, die u. a. das Einfrieren der Marktanteile der
führenden Hersteller vorsah.
119.
Zweitens ist die bloße Tatsache, daß sich diese Unternehmen an einer Preisabsprache und an der
Absprache über die Abstellzeiten beteiligten, kein Beleg dafür, daß sie sich auch an einer Absprache
über die Marktanteile beteiligten. Insoweit ist die Absprache über die Marktanteile entgegen der
offenbar von der Kommission vertretenen Ansicht nicht untrennbar mit der Preisabsprache und/oder
der Absprache über die Abstellzeiten verbunden. Es genügt der Hinweis, daß die Absprache über die
Marktanteile der führenden im PWG vertretenen Hersteller der Entscheidung zufolge (Randnrn. 52 ff.)
darauf abzielte, vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen konstante Marktanteile aufrechtzuerhalten;
dies galt selbst für Zeiträume, in denen aufgrund der Marktbedingungen und insbesondere des
Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage eine Kontrolle der Produktion zur Sicherstellung der
tatsächlichen Durchführung der vereinbarten Preiserhöhungen nicht erforderlich war. Folglich belegt
die etwaige Beteiligung an der Preisabsprache und/oder der Absprache über die Abstellzeiten nicht,
daß sich die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, unmittelbar an der
Absprache über die Marktanteile beteiligten oder daß sie davon wußten oder zwangsläufig davon
wissen mußten.
120.
Drittens ist festzustellen, daß die Kommission in Randnummer 58 Absätze 2 und 3 der Entscheidung
auf Anlage 102 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine von Rena erlangte Aufzeichnung, die der
Entscheidung zufolge eine Sondersitzung des
Nordic Paperboard Institute (NPI) am 3. Oktober 1988 betreffen soll, als zusätzliches Beweismittel für
die fragliche Behauptung verweist. Insoweit genügt die Feststellung, daß die Klägerin dem NPI nicht
angehörte und daß die Bezugnahme auf möglicherweise erforderliche Abstellzeiten in diesem
Schriftstück aus den bereits genannten Gründen keinen Beweis für eine Absprache über die
Marktanteile darstellen kann.
121.
Die Kommission kann jedoch alle Unternehmen, an die sich eine Entscheidung der vorliegenden Art
richtet, nur dann als während eines bestimmten Zeitraums für ein Gesamtkartell verantwortlich
ansehen, wenn sie nachweist, daß jedes von ihnen entweder der Aufstellung eines Gesamtplans
zugestimmt hat, der die Bestandteile des Kartells umfaßt, oder während dieses Zeitraums an all
seinen Bestandteilen unmittelbar mitgewirkt hat. Ein Unternehmen kann ferner auch dann, wenn
feststeht, daß es nur an einem oder mehreren Bestandteilen dieses Kartells unmittelbar mitgewirkt
hat, für ein Gesamtkartell zur Verantwortung gezogen werden, sofern es wußte oder zwangsläufig
wissen mußte, daß die Absprache, an der es sich beteiligte, Teil eines Gesamtplans war und daß sich
dieser Gesamtplan auf sämtliche Bestandteile des Kartells erstreckte. In diesem Fall kann die
Tatsache, daß das betreffende Unternehmen nicht an allen Bestandteilen des Gesamtkartells
unmittelbar mitgewirkt hat, es nicht von der Verantwortung für die Zuwiderhandlung gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages befreien. Ein solcher Umstand kann jedoch bei der Beurteilung der Schwere
der ihm zur Last gelegten Zuwiderhandlung berücksichtigt werden.
122.
Im vorliegenden Fall hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß die Klägerin wußte oder
zwangsläufig wissen mußte, daß ihre eigene Zuwiderhandlung Teil eines Gesamtplans war, der sich
neben der Preisabsprache und der Absprache über die Abstellzeiten, an denen sie sich tatsächlich
beteiligte, auf eine Absprache über die Marktanteile der führenden Hersteller erstreckte.
123.
Somit ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung, wonach die Vereinbarung und die
abgestimmte Verhaltensweise, an denen sich die Klägerin beteiligte, „vorbehaltlich gelegentlicher
Änderungen ... [zur] Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller“ diente, in
bezug auf die Klägerin für nichtig zu erklären.
— Zum Vorbringen der Klägerin in bezug auf das Informationsaustauschsystem der FIDES
124.
Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die darin genannten Unternehmen gegen Artikel 85
Absatz 1 des Vertrages verstoßen, indem sie sich an einer Vereinbarung und abgestimmten
Verhaltensweise beteiligten, durch die sie u. a. „als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen [d. h.
einer Preisabsprache, einer Absprache über die Marktanteile und einer Absprache über die
Abstellzeiten] Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und
Kapazitätsauslastung) austauschten“.
125.
In bezug auf das Informationsaustauschsystem der FIDES ist die Entscheidung angesichts ihres
verfügenden Teils und ihrer Randnummer 134 Absatz 3 dahin auszulegen, daß die Kommission den
Verstoß dieses Systems gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages darin sah, daß es das festgestellte
Kartell stützte.
126.
Gemäß Randnummer 134 Absatz 3 der Entscheidung handelte es sich beim
Informationsaustauschsystem der FIDES um „eine wichtige Hilfe bei
— der laufenden Beobachtung der Entwicklung der Marktanteile;
— der laufenden Beobachtung der Angebots- und Nachfragesituation im Hinblick auf die Erhaltung
der vollen Kapazitätsauslastung;
— den Entscheidungen darüber, ob abgestimmte Preiserhöhungen vorgenommen werden könnten;
— der Planung der notwendigen Abstellzeiten“.
127.
Die Behauptung der Klägerin, daß sie der FIDES keine Informationen über die Auftragseingänge und
den Auftragsbestand geliefert habe, wird von der Kommission nicht bestritten. In der Entscheidung
wird auch nicht geltend gemacht, daß die Klägerin der FIDES solche Informationen geliefert habe. Die
Kommission beschränkt sich in Randnummer 61 Absatz 2 der Entscheidung auf die Feststellung, daß
die „meisten Mitglieder der PG Karton“ der FIDES Informationen verschafft hätten.
128.
Da der Verstoß des Informationsaustauschsystems der FIDES gegen Artikel 85 Absatz 1 des
Vertrages nur darin gesehen wurde, daß es das festgestellte Kartell stützte, ist die Tatsache, daß die
Klägerin dieses System nicht mit Informationen versorgte, als solche unerheblich. Dagegen ist zu
prüfen, ob die Klägerin an den Gesprächen über die FIDES-Statistiken teilnahm, um die
wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen zu unterstützen, an denen sie sich nachweislich beteiligte.
129.
Insoweit hat die Klägerin in einem Schreiben an die Kommission vom 13. August 1991, mit dem ein
Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 beantwortet wurde, die Beteiligung an
Gesprächen über die FIDES-Statistiken eingeräumt und dies in der mündlichen Verhandlung bestätigt.
In bezug auf die Gespräche im Rahmen der Sitzungen des JMC führt sie in dem fraglichen Schreiben
aus (Punkt 6 unter c): „Besprochen wurden vor allem die Fides-Statistiken ... Daneben beanspruchten
Berichte über die Beschäftigung der einzelnen Unternehmen viel Zeit. Für uns waren die jeweils
aktuellen Statistiken der Fides zum Auftragseingang, Auftragsbestand, verkauften und unverkauften
Lagerbestand im Vergleich zur Kapazität der meldenden Firmen von großem Interesse; da wir an den
entsprechenden Meldungen zur Fides nicht teilnahmen, erhielten wir von dort diese Statistiken nicht.“
130.
Im übrigen bestreitet die Klägerin nicht die Richtigkeit der Behauptungen in der Entscheidung über
die Verwendung der FIDES-Statistiken zu wettbewerbswidrigen Zwecken (siehe oben, Randnr. 126).
131.
Unter diesen Umständen ist der Beweis erbracht, daß sie an einem u. a. die Auftragseingänge und
den Auftragsbestand betreffenden Informationsaustausch teilnahm, um die wettbewerbswidrigen
Verhaltensweisen zu unterstützen, an denen sie sich nachweislich beteiligte.
132.
Nach alledem ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung in bezug auf die Klägerin für
nichtig zu erklären; im übrigen ist der Klagegrund zurückzuweisen.
133.
Die Klägerin trägt vor, die Kommission habe zu Unrecht behauptet, daß sie zu den Adressaten der
Entscheidung gehört habe, die „in ihren schriftlichen Einlassungen nicht den Versuch [unternahmen],
die gegen sie in der Mitteilung derBeschwerdepunkte vorgebrachten Sachverhalte im Kern zu
bestreiten“ (Randnr. 107 der Entscheidung).
134.
Dieser Klagegrund ist zurückzuweisen.
135.
Die Klägerin hat nicht erläutert, inwiefern sich eine etwaige Unrichtigkeit der Entscheidung in
diesem Punkt auf deren Rechtmäßigkeit hätte auswirken können. Sie macht insoweit nicht geltend,
daß sie daran gehindert gewesen sei, die Tatsachenbehauptungen der Kommission im
Verwaltungsverfahren oder im Verfahren vor dem Gericht zu bestreiten.
Zum Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße
136.
In der informellen Sitzung vom 29. April 1997 wurden die Unternehmen, die gegen die Entscheidung
Klage erhoben haben, aufgefordert, für den Fall der Verbindung der Rechtssachen zu gemeinsamer
mündlicher Verhandlung die Möglichkeit gemeinsamer mündlicher Ausführungen durch mehrere von
ihnen in Betracht zu ziehen. Sie wurden darauf hingewiesen, daß solche gemeinsamen mündlichen
Ausführungen nur von den Klägerinnen gemacht werden können, die in ihren Klageschriften die den
gemeinsam zu behandelnden Themen entsprechenden Klagegründe auch tatsächlich geltend
gemacht haben.
137.
Mit Telefax vom 14. Mai 1997, das im Namen aller Klägerinnen vorgelegt worden ist, haben diese
mitgeteilt, daß sie sechs Fragen im Rahmen gemeinsamer mündlicher Ausführungen behandeln
wollten, darunter
a) die Beschreibung des Marktes und die fehlenden Auswirkungen des Kartells,
b) das allgemeine Bußgeldniveau und dessen Begründung in der Entscheidung
und
c) die Frage der Rechtmäßigkeit der von der Kommission gewährten Bußgeldnachlässe.
138.
In ihrer Klageschrift hat die Klägerin einige Bemerkungen zur Begründung der Entscheidung in
bezug auf die Geldbußen gemacht (siehe unten, Randnr. 158). Dagegen enthält die Klageschrift kein
Vorbringen zur Beschreibung des Marktes und zu den fehlenden Auswirkungen des Kartells, zum
allgemeinen Bußgeldniveau oder zur Rechtmäßigkeit der von der Kommission gewährten
Bußgeldnachlässe. Die Klägerin hat in der Verhandlung gleichwohl erklärt, daß sie sich den
betreffenden gemeinsamen mündlichen Ausführungen anschließe.
139.
Gemäß Artikel 48 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung können neue Angriffs- und
Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei denn, daß sie auf
rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des Verfahrens zutage
getreten sind. Im vorliegenden Fall hat die Klägerin keinen erst während des Verfahrens zutage
getretenen rechtlichen oder tatsächlichen Grund angeführt, der das fragliche neue Vorbringen
rechtfertigen könnte.
140.
Daher sind die betreffenden Klagegründe, auf die sich die Klägerin erstmals in der Verhandlung
berufen hat, unzulässig.
Vorbringen der Parteien
141.
In der Verhandlung hat die Klägerin geltend gemacht, die Kommission habe bei der
Bußgeldbemessung eine falsche Umsatzzahl herangezogen. Aus der Antwort der Kommission auf eine
schriftliche Frage des Gerichts gehe hervor, daß die Höhe der einzelnen Geldbußen anhand des
jeweiligen Umsatzes der in Artikel 1 der Entscheidung genannten Unternehmen im Jahr 1990 auf dem
Kartonmarkt der Gemeinschaft festgelegt worden sei.
142.
In ihrem Fall habe die Kommission fälschlich den 1990 mit einem von der Entscheidung nicht
erfaßten Erzeugnis, dem Graukarton (vgl. Randnr. 4 Absatz 2 der Entscheidung), erzielten Umsatz
einbezogen.
143.
Sie habe der Kommission mit Schreiben vom 28. August 1991 in Beantwortung eines
Auskunftsverlangens gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 Auskünfte über ihren u. a. im Jahr 1990
durch den Verkauf von Karton erzielten Umsatz erteilt. Sie habe in diesem Schreiben angegeben, daß
sie mit Kartonprodukten weltweit einen Umsatz von etwa 156 Millionen DM erzielt habe, davon etwa
154 Millionen DM auf dem Gemeinschaftsmarkt. Aus dem Schreiben gehe klar hervor, daß etwa 17 %
der mitgeteilten Beträge auf den Verkauf anderer Kartonprodukte als „FBB“ (vgl. in diesem
Zusammenhang die Definitionen der verschiedenen Kartonsorten in Randnr. 4 der Entscheidung)
entfielen. Die Kommission hätte ihr daher zusätzliche Fragen stellen müssen, um genauere Auskünfte
über den Umsatz zu erhalten, der allein mit den in das Verfahren einbezogenen Erzeugnissen erzielt
worden sei.
144.
Da der Klägerin bis zum Erhalt der Antwort der Kommission auf eine schriftliche Frage des Gerichts
nach der Methode zur Festlegung der Höhe der Geldbußen nicht bekannt gewesen sei, wie die
Geldbußen berechnet worden seien, habe sie den von der Kommission begangenen Fehler in ihrer
Klageschrift nicht rügen können.
145.
Die Kommission hat geantwortet, daß das Schreiben der Klägerin vom 28. August 1991 keine
Aufschlüsselung des Umsatzes nach Kartonsorten enthalte. Außerdem gehe aus diesem Schreiben
zwar hervor, daß der mitgeteilte Umsatz nicht allein durch den Verkauf von „FBB“ erzielt worden sei,
aber die Entscheidung betreffe auch nicht allein diese Kartonsorte (vgl. Randnr. 4 der Entscheidung).
Schließlich sei in der Mitteilung der Beschwerdepunkte ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß
sich das Verfahren nicht auf Graukarton erstrecke. Unter diesen Umständen sei sie berechtigt
gewesen, sich auf die von der Klägerin mitgeteilte Zahl zu stützen.
Würdigung durch das Gericht
146.
Wie bereits ausgeführt, können gemäß Artikel 48 § 2 Absatz 1 der Verfahrensordnung neue
Angriffs- und Verteidigungsmittel im Laufe des Verfahrens nicht mehr vorgebracht werden, es sei
denn, daß sie auf rechtliche oder tatsächliche Gründe gestützt werden, die erst während des
Verfahrens zutage getreten sind.
147.
Im vorliegenden Fall ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, daß sich dieser Klagegrund auf
Gründe stützt, die in der Antwort der Kommission auf eine schriftliche Frage des Gerichts zutage
getreten sind.
148.
Wie sich aus Randnummer 169 Absatz 1, dritter Gedankenstrich, der Entscheidung ergibt, hat die
Kommission bei der Festsetzung der Geldbußen gegen die einzelnen Unternehmen u. a. den Umsatz in
der ganzen Kartonbranche berücksichtigt. Außerdem führt die Kommission in Randnummer 4 Absätze
1 und 2 der Entscheidung aus, daß diese sich auf GC-, GD- und SBS-Karton erstrecke, während
andere Erzeugnisse wie Graukarton „nicht unter den Begriff .Karton' (Cartonboard) [fallen], wie er von
den Herstellern selbst verwendet wird, und ... nicht Gegenstand dieses Verfahrens [sind]“.
149.
Der Klägerin konnte daher nicht verborgen bleiben, daß die Kommission die Höhe jeder Geldbuße
anhand des Umsatzes der einzelnen Unternehmen „in der ganzen Kartonbranche“ festlegte, d. h.
anhand des Umsatzes, den die einzelnen Unternehmen allein durch den Verkauf der von der
Entscheidung erfaßten Erzeugnisse unter Ausschluß insbesondere von Graukarton erzielt hatten.
150.
Im übrigen enthält die der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügte Einzeldarstellung Angaben
zu dem von der Klägerin in den Jahren 1988 bis 1990 im Kartonbereich erzielten Umsatz. Daraus geht
hervor, daß die Kommission das Schreiben der Klägerin vom 28. August 1991 so verstanden hat, daß
der von ihr mitgeteilte Umsatz allein die in das Verfahren einbezogenen Erzeugnisse betraf. Hierzu ist
festzustellen, daß die von der Klägerin übermittelten Umsatzzahlen nicht nach Kartonprodukten
aufgeschlüsselt waren.
151.
Da die Klägerin schließlich nicht geltend gemacht hat, daß die Kommission über Informationen —
eventuell für einen anderen Zeitraum als das Jahr 1990 — hinsichtlich des Umsatzes verfügt habe,
den die Klägerin allein mit den von der Entscheidung erfaßten Erzeugnissen erzielte, verfügte die
Klägerin zum Zeitpunkt der Erhebung der vorliegenden Klage über alle zur Geltendmachung des in
Rede stehenden Klagegrundes erforderlichen Angaben.
152.
Der Klagegrund ist folglich als unzulässig zurückzuweisen.
153.
In der Verhandlung hat die Klägerin geltend gemacht, der Übersicht über die Festlegung der Höhe
der Geldbußen, die die Kommission in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegt
habe, sei zu entnehmen, daß die gegen sie festgesetzte Geldbuße anhand des durch den
Kartonverkauf weltweit erzielten Umsatzes (76,2 Millionen ECU oder etwa 156 Millionen DM) und nicht
des in der Gemeinschaft erzielten Umsatzes (75,1 Millionen ECU oder etwa 154 Millionen DM) ermittelt
worden sei.
154.
Die Kommission hat sich darauf beschränkt, die Richtigkeit dieser Behauptung zu bestreiten.
155.
Wie die von der Kommission vorgelegte Übersicht zeigt, ist sie bei der Ermittlung der gegen die
Klägerin festzusetzenden Geldbuße von einem Umsatz von 76,2 Millionen ECU ausgegangen. Aus der
der Mitteilung der Beschwerdepunkte beigefügten Einzeldarstellung geht hervor, daß diese Zahl dem
von der Klägerin
im Jahr 1990 durch den weltweiten Kartonverkauf erzielten Umsatz entspricht. Wie sich aus dieser
Einzeldarstellung ferner ergibt, verfügte die Kommission auch über den von der Klägerin im Jahr 1990
in der Gemeinschaft erzielten Umsatz im Kartonbereich.
156.
Gemäß dem Grundsatz der Gleichbehandlung, der verlangt, daß vergleichbare Sachverhalte nicht
unterschiedlich behandelt werden dürfen, sofern eine Differenzierung nicht objektiv gerechtfertigt ist,
hätte die Kommission daher, wie sie es bei den anderen in Artikel 1 der Entscheidung genannten
Unternehmen getan hat, den von der Klägerin im Jahr 1990 in der Gemeinschaft erzielten Umsatz im
Kartonbereich von 75,1 Millionen ECU und nicht den auf dem Weltmarkt erzielten Umsatz heranziehen
müssen. Zudem konnte die Klägerin erst dann, als sie erfuhr, wie die Kommission bei der Ermittlung
der Höhe der einzelnen Geldbußen vorgegangen war, feststellen, daß die Kommission in ihrem Fall von
einem anderen Umsatz als bei den übrigen von der Entscheidung erfaßten Unternehmen
ausgegangen war. Da der im Jahr 1990 durch den Kartonverkauf in der Gemeinschaft erzielte Umsatz
um 1,1 Millionen ECU niedriger war als der weltweite Umsatz mit diesem Erzeugnis im Jahr 1990, ist
eine Herabsetzung der Geldbuße gerechtfertigt.
157.
Das Gericht wird dieser Feststellung im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zur unbeschränkten
Nachprüfung von Geldbußen Rechnung tragen (siehe unten, Randnr. 181).
Vorbringen der Parteien
158.
Die Klägerin macht in ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen geltend, daß die Kommission
die Tatsachen, die zur Festsetzung einer Geldbuße geführt hätten, nicht ausreichend geprüft habe
und daß sie in der Entscheidung hätte angeben müssen, wie sie den Sachverhalt bewertet habe und
von welchen Gründen sie sich bei der Bemessung der Geldbuße habe leiten lassen.
159.
In der Verhandlung hat die Klägerin klargestellt, daß sie eine Verletzung der Pflicht zur Begründung
der Entscheidung in bezug auf die Geldbußen habe rügen wollen (siehe oben, Randnr. 138).
160.
Die Kommission geht auf dieses Vorbringen in ihren Schriftsätzen nicht gesondert ein. In der
Verhandlung hat sie im Rahmen ihrer Antwort auf die gemeinsamen mündlichen Ausführungen zur
Begründung der Entscheidung in bezug auf die Geldbußen vorgetragen, die Randnummern 167 bis
172 der Entscheidung enthielten eine ausreichende Begründung für die von ihr bei der Bestimmung
der Höhe der Geldbußen herangezogenen Gesichtspunkte.
Würdigung durch das Gericht
161.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß sich die Klägerin in ihren Schriftsätzen nicht ausdrücklich auf
den Klagegrund eines Begründungsmangels der Entscheidung in bezug auf die Geldbußen berufen
hat. Sie hat jedoch in der Verhandlung klargestellt, daß sie sich auf einen solchen Klagegrund habe
berufen wollen, und sich insoweit den betreffenden gemeinsamen mündlichen Ausführungen
angeschlossen. Da der Klagegrund der Verletzung von Artikel 190 des Vertrages von Amts wegen zu
berücksichtigen ist, ist im vorliegenden Fall seine Begründetheit zu prüfen, ohne daß auf die Frage
seiner Zulässigkeit eingegangen zu werden braucht.
162.
Nach ständiger Rechtsprechung hat die Pflicht zur Begründung von Einzelfallentscheidungen den
Zweck, dem Gemeinschaftsrichter die Überprüfungder Entscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu
ermöglichen und den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, daß er erkennen kann, ob die
Entscheidung zutreffend begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung
ermöglicht; dabei hängt der Umfang der Begründungspflicht von der Art des fraglichen Rechtsakts
und den Umständen ab, unter denen er erlassen wurde (vgl. u. a. Urteil des Gerichts vom 11.
Dezember 1996 in der Rechtssache T-49/95, Van Megen Sports/Kommission, Slg. 1996, II-1799,
Randnr. 51).
163.
Handelt es sich um eine Entscheidung, mit der wie im vorliegenden Fall gegen mehrere
Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft
Geldbußen festgesetzt werden, so ist bei der Bestimmung des Umfangs der Begründungspflicht
insbesondere zu berücksichtigen, daß die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von
Gesichtspunkten zu ermitteln ist, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr
Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbußen gehören, ohne daß es eine zwingende oder
abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müßten (Beschluß
des Gerichtshofes vom 25. März 1996 in der Rechtssache C-137/95 P, SPO u. a./Kommission, Slg.
1996, I-1611, Randnr. 54).
164.
Außerdem verfügt die Kommission bei der Festlegung der Höhe der einzelnen Geldbußen über ein
Ermessen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue mathematische Formel anzuwenden (in
diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-150/89,
Martinelli/Kommission, Slg. 1995, II-1165, Randnr. 59).
165.
Die zur Ermittlung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen und der Höhe der individuellen
Geldbußen herangezogenen Kriterien finden sich in den Randnummern 168 und 169 der
Entscheidung. Zudem führt die Kommission in bezug auf die individuellen Geldbußen in Randnummer
170 aus, daß die Unternehmen, die an den Sitzungen des PWG teilgenommen hätten, grundsätzlich
als „Anführer“ des Kartells und die übrigen Unternehmen als dessen „gewöhnliche
Mitglieder“ angesehen worden seien. Schließlich weist sie in den Randnummern 171 und 172 darauf
hin, daß die gegen Rena und Stora festgesetzten Geldbußen erheblich niedriger auszufallen hätten,
um deren aktiver Kooperation mit der Kommission Rechnung zu tragen, und daß acht andere
Unternehmen, darunter die Klägerin, ebenfalls in den Genuß einer in geringerem Umfang
herabgesetzten Geldbuße kommen könnten, da sie in ihren Erwiderungen auf die Mitteilung der
Beschwerdepunkte die vorgebrachten Tatsachenbehauptungen der Kommission in der Substanz nicht
bestritten hätten.
166.
In ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts hat die Kommission erläutert, daß die
Geldbußen auf der Grundlage des von den einzelnen Adressaten der Entscheidung auf dem
Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes berechnet worden seien. Gegen die
als „Anführer“ des Kartells angesehenen Unternehmen seien Geldbußen mit einem Basissatz von 9 %
und gegen die übrigen Unternehmen Geldbußen mit einem Basissatz von 7,5 % festgesetzt worden.
Schließlich habe die Kommission gegebenenfalls dem kooperativen Verhalten bestimmter
Unternehmen während des Verwaltungsverfahrens Rechnung getragen. Bei zwei Unternehmen seien
die Geldbußen aus diesem Grund um zwei Drittel und bei anderen Unternehmen um ein Drittel
herabgesetzt worden.
167.
Im übrigen ergibt sich aus einer von der Kommission vorgelegten Tabelle, die Angaben zur
Festlegung der Höhe aller individuellen Geldbußen enthält, daß diese zwar nicht durch streng
mathematische Anwendung allein der oben genannten Zahlen ermittelt wurden, daß diese Zahlen
jedoch bei der Berechnung der Geldbußen systematisch herangezogen wurden.
168.
In der Entscheidung wird aber nicht erläutert, daß die Geldbußen auf der Grundlage des von den
einzelnen Unternehmen auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes
berechnet wurden. Auch die zur Berechnung der festgesetzten Geldbußen angewandten Basissätze
von 9 % für die als „Anführer“ angesehenen Unternehmen und von 7,5 % für die „gewöhnlichen
Mitglieder“ sind in der Entscheidung nicht zu finden. Gleiches gilt für den Umfang der Herabsetzung
bei Rena und Stora einerseits und bei acht anderen Unternehmen andererseits.
169.
Im vorliegenden Fall ist erstens davon auszugehen, daß die Randnummern 169 bis 172 der
Entscheidung bei einer Auslegung im Licht der in der Entscheidung zu findenden eingehenden
Darstellung der jedem ihrer Adressaten zur Last gelegten Sachverhalte ausreichende und
sachgerechte Angaben zu den Gesichtspunkten enthalten, die bei der Beurteilung der Schwere und
der Dauer der von den einzelnen Unternehmen begangenen Zuwiderhandlung herangezogen wurden
(in diesem Sinne auch Urteil Petrofina/Kommission, Randnr. 264). Ebenso enthält Randnummer 168
der Entscheidung, die im Licht der allgemeinen Erwägungen über die Geldbußen in Randnummer 167
zu sehen ist, ausreichende Angaben zu
den Gesichtspunkten, die bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbußen herangezogen
wurden.
170.
Zweitens würde, wenn die Höhe der jeweiligen Geldbußen wie hier auf der Grundlage der
systematischen Heranziehung einiger ganz bestimmter Daten ermittelt wird, die Angabe all dieser
Faktoren in der Entscheidung den Unternehmen die Beurteilung der Frage erleichtern, ob die
Kommission bei der Festlegung der Höhe der individuellen Geldbuße Fehler begangen hat und ob die
Höhe jeder individuellen Geldbuße in Anbetracht der angewandten allgemeinen Kriterien
gerechtfertigt ist. Im vorliegenden Fall wäre mit der Angabe der fraglichen Faktoren —
Referenzumsatz, Referenzjahr, angewandte Basissätze und Umfang der Herabsetzung der Geldbußen
— in der Entscheidung keine möglicherweise gegen Artikel 214 des Vertrages verstoßende implizite
Preisgabe des genauen Umsatzes der Adressaten der Entscheidung verbunden gewesen. Denn der
Endbetrag der individuellen Geldbußen ergibt sich, wie die Kommission selbst ausgeführt hat, nicht
aus einer streng mathematischen Anwendung dieser Faktoren.
171.
Die Kommission hat im übrigen in der Verhandlung eingeräumt, daß sie in der Entscheidung die
systematisch berücksichtigten und in einer Pressekonferenz am Tag ihres Erlasses
bekanntgegebenen Faktoren durchaus hätte aufzählen können. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß
die Begründung einer Entscheidung nach ständiger Rechtsprechung in der Entscheidung selbst
enthalten sein muß und daß nachträgliche Erläuterungen der Kommission nur unter
außergewöhnlichen Umständen berücksichtigt werden können (vgl. Urteil des Gerichts vom 2. Juli
1992 in der Rechtssache T-61/89, Dansk Pelsdyravlerforening/Kommission, Slg. 1992, II-1931, Randnr.
131; in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1991 in der Rechtssache T-30/89,
Hilti/Kommission, Slg. 1991, II-1439, Randnr. 136).
172.
Gleichwohl ist festzustellen, daß die Begründung zur Festlegung der Höhe der Geldbußen in den
Randnummern 167 bis 172 der Entscheidung mindestens ebenso detailliert ist wie die Begründung in
früheren Entscheidungen der Kommission, die ähnliche Zuwiderhandlungen betrafen. Zwar ist der
Klagegrund eines Begründungsmangels von Amts wegen zu berücksichtigen, doch hatte der
Gemeinschaftsrichter zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung noch in keinem Fall die Praxis der
Kommission bei der Begründung der festgesetzten Geldbußen gerügt. Erst im Urteil vom 6. April 1995
in der Rechtssache T-148/89 (Tréfilunion/Kommission, Slg. 1995, II-1063, Randnr. 142) und in zwei
anderen Urteilen vom selben Tag in den Rechtssachen T-147/89 (Société métallurgique de
Normandie/Kommission, Slg. 1995, II-1057, abgekürzte Veröffentlichung) und T-151/89 (Société des
treillis et panneaux soudés/Kommission, Slg. 1995, II-1191, abgekürzte Veröffentlichung) hat es das
Gericht erstmals als wünschenswert bezeichnet, daß die Unternehmen die Berechnungsweise der
gegen sie verhängten Geldbuße im einzelnen in Erfahrung bringen können, ohne zu diesem Zweck
gerichtlich gegen die Entscheidung der Kommission vorgehen zu müssen.
173.
Folglich muß die Kommission, wenn sie in einer Entscheidung eine Zuwiderhandlung gegen die
Wettbewerbsregeln feststellt und gegen die daran beteiligten Unternehmen Geldbußen verhängt und
wenn sie systematisch bestimmte Grundelemente bei der Festlegung der Höhe der Geldbußen
heranzieht, diese Elemente in der Entscheidung selbst angeben, um es deren Adressaten zu
ermöglichen, die Richtigkeit der Höhe der Geldbuße zu überprüfen und festzustellen, ob eine
Diskriminierung vorliegt.
174.
Unter den zuvor in Randnummer 172 genannten besonderen Umständen und unter
Berücksichtigung der Tatsache, daß die Kommission bereit war, im gerichtlichen Verfahren alle
Auskünfte über den Berechnungsmodus der Geldbußen zu geben, kann das Fehlen einer speziellen
Begründung für den Berechnungsmodus der Geldbußen in der Entscheidung im vorliegenden Fall
nicht als Verstoß gegen die Begründungspflicht angesehen werden, der die völlige oder teilweise
Nichtigerklärung der festgesetzten Geldbußen rechtfertigt.
175.
Der vorliegende Klagegrund ist daher zurückzuweisen.
176.
Nach alledem ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung in bezug auf die Klägerin für
nichtig zu erklären.
177.
Hinsichtlich der in Artikel 3 der Entscheidung gegen die Klägerin festgesetzten Geldbuße ist
zunächst zu klären, ob die Tatsache, daß der Klägerin im Rahmen der von ihr begangenen
Zuwiderhandlung keine Absprache über die Marktanteile zur Last gelegt werden kann, zu einer
Herabsetzung dieser Geldbuße führen muß.
178.
Das Gericht ist im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung der
Ansicht, daß die von der Klägerin begangene Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des
Vertrages so schwerwiegend bleibt, daß die Geldbuße nicht herabzusetzen ist.
179.
Die Klägerin nahm nicht an den Sitzungen des PWG teil und wurde daher nicht als „Anführer“ des
Kartells zur Verantwortung gezogen. Da sie nach Angaben der Kommission nicht zu den „treibenden
Kräften“ des Kartells gehörte (Randnr. 170 Absatz 1 der Entscheidung), wurde gegen sie eine
Geldbuße in Höhe von 7,5 % ihres im Jahr 1990 in der Gemeinschaft erzielten Umsatzes im
Kartonbereich verhängt. Dieses von der Klägerin nicht beanstandete allgemeine Bußgeldniveau
erscheint gerechtfertigt.
180.
Auch wenn die Kommission zu Unrecht angenommen hat, daß den nicht im PWG vertretenen
Herstellern die Absprache über die Marktanteile „sehr wohl bekannt“ gewesen sei (Randnr. 58 Absatz
1 der Entscheidung), geht zudem aus der Entscheidung selbst hervor, daß sich die dem PWG
angehörenden Unternehmen über das „Einfrieren“ der Marktanteile verständigten (vgl. u. a. Randnr.
52) und daß über die Marktanteile der dort nicht vertretenen Hersteller nicht gesprochen wurde. Im
übrigen führt die Kommission in Randnummer 116 Absatz 3 der
Entscheidung aus, „daß die Marktaufteilungsabsprachen (insbesondere das in den Randnummern 56
und 57 beschriebene Einfrieren der Marktanteile) ihrem Wesen nach in erster Linie die führenden
Hersteller betrafen“. Die der Klägerin fälschlich zur Last gelegte Absprache über die Marktanteile
hatte somit, wie die Kommission selbst angibt, namentlich gegenüber der Preisabsprache nur
ergänzenden Charakter.
181.
Was die auf die Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbuße gerichteten Klagegründe
anbelangt, so hat sich die Kommission nach den Feststellungen des Gerichts bei der Ermittlung der
Höhe der Geldbuße fälschlich auf den im Jahr 1990 durch den Verkauf von Karton weltweit erzielten
Umsatz der Klägerin gestützt, statt allein den in diesem Jahr durch den Absatz in der Gemeinschaft
erzielten Umsatz heranzuziehen. Da die übrigen Klagegründe zurückgewiesen worden sind, setzt das
Gericht die in Artikel 3 der Entscheidung gegen die Klägerin verhängte Geldbuße in Ausübung seiner
Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auf 2 150 000 ECU fest.
Kosten
182.
Gemäß Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen im wesentlichen unterlegen ist, sind ihr
entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten des Verfahrens einschließlich derjenigen des
Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes aufzuerlegen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Dritte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13.
Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 — Karton) wird in bezug
auf die Klägerin für nichtig erklärt.
2. Die Höhe der in Artikel 3 der Entscheidung 94/601 gegen die Klägerin verhängten
Geldbuße wird auf 2 150 000 ECU festgesetzt.
3. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
4. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich derjenigen des Verfahrens
des vorläufigen Rechtsschutzes.
Vesterdorf
Briët
Lindh
Potocki Cooke
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 14. Mai 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
B. Vesterdorf
Verfahrenssprache: Deutsch.