Urteil des EuG vom 10.04.2003

EuG: kommission, eröffnung des verfahrens, verordnung, staatliche beihilfe, unterbrechung der verjährung, klage auf nichtigerklärung, mitgliedstaat, verjährungsfrist, rückforderung

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte erweiterte Kammer)
10. April 2003
„Nichtigkeitsklage - Staatliche Beihilfe - Verordnung (EG) Nr. 659/1999 - Verjährungsfrist - Rückforderung der
Beihilfe - Maßnahme, die die Verjährung unterbricht“
In der Rechtssache T-366/00
Scott SA
Peretz und Solicitor R. Griffith, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
unterstützt durch
Französische Republik
Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Streithelferin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte,
wegen teilweiser Nichtigerklärung der Entscheidung 2002/14/EG der Kommission vom 12. Juli 2000
betreffend die von Frankreich zugunsten von Scott Paper SA/Kimberly-Clark gewährte staatliche Beihilfe (ABl.
L 12, S. 1)
erlässt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN
(Fünfte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten J. D. Cooke, des Richters R. García-Valdecasas, der Richterin P. Lindh sowie
der Richter N. J. Forwood und H. Legal,
Kanzler: J. Palacio González, Hauptverwaltungsrat,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2002
folgendes
Urteil
Zugrunde liegender Sachverhalt und rechtlicher Rahmen
1.
Bei der Klägerin handelte es sich um die französische Tochtergesellschaft der Scott Paper Company
mit Sitz in den Vereinigten Staaten, deren Tätigkeit in dem im vorliegenden Fall maßgeblichen
Zeitraum in der Herstellung von Sanitär- und Haushaltspapier bestand.
2.
1986 beschloss die Klägerin, ein Werk in Frankreich zu errichten, und wählte hierfür ein Grundstück
im Gewerbegebiet von La Saussaye im Departement Loiret.
3.
Am 31. August 1987 schlossen die Stadt Orleans, das Departement Loiret und die Klägerin einen
Vertrag über den Verkauf eines Grundstücks von 48 ha Größe in dem betreffenden Gewerbegebiet an
die Klägerin und über die Abwassergebühr, die nach einem Vorzugstarif berechnet werden sollte, der
25 % der niedrigsten von anderen Gewerbebetrieben entrichteten Gebühr entsprach. Die Stadt
Orleans bot auch die kostenfreie Erschließung des Standorts an. Der Vertrag sah außerdem vor, dass
sich das Departement Loiret und die Stadt Orleans höchstens bis zu einem Betrag von 80 Millionen
FRF an den Arbeiten für die Erschließung des Standorts zugunsten der Klägerin beteiligen sollten.
Schließlich wurde der Kaufpreis für das Grundstück einschließlich Erschließung auf 31 Mio. FRF, d. h.
65 FRF/m
2
, festgelegt.
4.
Im November 1996 veröffentlichte der französische Rechnungshof einen öffentlichen Bericht mit
dem Titel „Les interventions des collectivités territoriales en faveur des entreprises“ [Interventionen
der Gebietskörperschaften zugunsten von Unternehmen] (öffentlicher Sonderbericht des
Rechnungshofes, November 1996, Paris). Mit diesem Bericht wollte er auf eine Anzahl von Beihilfen
aufmerksam machen, die möglicherweise von den Gebietskörperschaften zugunsten bestimmter
Unternehmen gewährt worden waren, und insbesondere auf die Übertragung eines Grundstücks von
48 ha Größe im Gewerbegebiet La Saussaye an die Klägerin.
5.
Im Anschluss an die Veröffentlichung dieses Berichts ging bei der Kommission mit Schreiben vom
23. Dezember 1996 eine Beschwerde ein, mit der gerügt wurde, dass die Stadt Orleans und der
Conseil général des Departements Loiret der Klägerin die betreffenden 48 ha zu Vorzugsbedingungen
verkauft hätten, und mit der der Tarif beanstandet wurde, der der Klägerin für die
Abwasserentsorgung eingeräumt worden sei.
6.
Mit Schreiben vom 17. Januar 1997 ersuchte die Kommission die französischen Behörden um
zusätzliche Angaben. Daran schloss sich von Januar 1997 bis April 1998 ein Schriftwechsel zwischen
den französischen Behörden und der Kommission an, in dessen Verlauf die französischen Behörden u.
a. mit Schreiben vom 19. März, vom 21. April und vom 29. Mai 1997 die erbetenen Angaben und
Erläuterungen übermittelten. Am 8. August 1997 ersuchte die Kommission die französischen Behörden
erneut um nähere Angaben. Die Kommission erhielt von ihnen am 3. November 1997 und vom
Beschwerdeführer am 8. Dezember 1997, am 29. Januar 1998 und am 1. April 1998 zusätzliche
Informationen.
7.
Mit Schreiben vom 10. Juli 1998 unterrichtete die Kommission die französischen Behörden von ihrer
Entscheidung vom 20. Mai 1998, „angesichts der weiterhin bestehenden Bedenken hinsichtlich der
Bedingungen, die die französischen Behörden gegenüber [der Klägerin] angewandt haben“, das
Verfahren nach Artikel 88 Absatz 2 EG zu eröffnen, und forderte sie auf, sich zu der Angelegenheit zu
äußern und eine Reihe von Fragen zu beantworten (nachfolgend: Entscheidung über die
Verfahrenseröffnung). In diesem Schreiben bat die Kommission die französischen Behörden
außerdem, die Klägerin von der Eröffnung des Verfahrens in Kenntnis zu setzen und sie darauf
hinzuweisen, dass sie möglicherweise die gesamte rechtswidrig erhaltene Beihilfe zurückzahlen muss.
Den Beteiligten wurde die Eröffnung des Verfahrens mit Veröffentlichung des Schreibens im
vom 30. September 1998 (ABl. C 301, S. 4) mitgeteilt und
Gelegenheit gegeben, gegebenenfalls zu den betreffenden Maßnahmen Stellung zu nehmen.
8.
Die Klägerin erfuhr von der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung durch Telefonanruf der
französischen Behörden vom 30. September 1998.
9.
Nach Bitte um Fristverlängerung äußerten sich die französischen Behörden mit Schreiben vom 25.
November 1998 zu der Entscheidung über die Verfahrenseröffnung. In Erwiderung u. a. auf eine
Anordnung der Kommission vom 8. Juli 1999 nach Artikel 10 Absatz 3 der Verordnung Nr. 659/1999
erteilten die französischen Behörden am 15. Oktober 1999 teilweise die benötigten Auskünfte.
10.
Im Laufe des Verwaltungsverfahrens äußerte sich die Klägerin und nahmen ihre Vertreter an Treffen
zwischen der Kommission und den französischen Behörden teil.
11.
Am 16. April 1999 trat die Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über
besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags [jetzt Artikel 88 EG] (ABl. L
83, S. 1) gemäß ihrem Artikel 30 in Kraft. Mit dieser Verordnung wurden die Verfahrensvorschriften für
staatliche Beihilfen aufgestellt.
12.
Artikel 15 dieser Verordnung sieht vor:
„Frist
(1) Die Befugnisse der Kommission zur Rückforderung von Beihilfen gelten für eine Frist von zehn
Jahren.
(2) Diese Frist beginnt mit dem Tag, an dem die rechtswidrige Beihilfe dem Empfänger entweder als
Einzelbeihilfe oder im Rahmen einer Beihilferegelung gewährt wird. Jede Maßnahme, die die
Kommission oder ein Mitgliedstaat auf Antrag der Kommission bezüglich der rechtswidrigen Beihilfe
ergreift, stellt eine Unterbrechung der Frist dar. Nach jeder Unterbrechung läuft die Frist von neuem
an. Die Frist wird ausgesetzt, solange die Entscheidung der Kommission Gegenstand von
Verhandlungen vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften ist.
(3) Jede Beihilfe, für die diese Frist ausgelaufen ist, gilt als bestehende Beihilfe.“
Streitige Entscheidung
13.
Am 12. Juli 2000 erließ die Kommission eine Entscheidung über die von Frankreich zugunsten der
Klägerin gewährte staatliche Beihilfe (nachfolgend: streitige Entscheidung), deren Artikel 1 vorsieht:
„Die staatliche Beihilfe in Form des Vorzugspreises für ein Grundstück und eines Vorzugstarifs für die
Abwasserentsorgung, die Frankreich zugunsten von Scott gewährt hat und die sich bei dem
Vorzugspreis für das Grundstück auf 39,58 Mio. FRF (6,03 Mio. EUR) beläuft bzw. einen aktualisierten
Wert von 80,77 Mio. FRF (12,3 Mio. EUR) erreicht ... ist mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar.“
14.
Artikel 2 der streitigen Entscheidung bestimmt:
„(1) Frankreich ergreift alle erforderlichen Maßnahmen, um von dem Begünstigten die im Artikel 1
genannte und ihm bereits rechtswidrig zur Verfügung gestellte Beihilfe zurückzufordern.
(2) Die Rückforderung erfolgt unverzüglich nach nationalem Verfahrensrecht, soweit die Verfahren
die sofortige Durchführung dieser Entscheidung tatsächlich ermöglichen. Die zurückzufordernde
Beihilfe umfasst Zinsen, die von dem Zeitpunkt an, ab dem sie dem Empfänger zur Verfügung stand,
bis zum Zeitpunkt ihrer Rückzahlung erhoben werden. Die Zinsen werden auf der Grundlage des
Bezugssatzes berechnet, der für die Berechnung des Nettosubventionsäquivalents von Beihilfen mit
regionaler Zielsetzung gilt.“
15.
In der streitigen Entscheidung vertrat die Kommission die Auffassung, die Verjährungsfrist, die nach
Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999 für ihre Befugnisse zur Rückforderung einer rechtswidrig
gewährten Beihilfe gelte, sei im vorliegenden Fall unterbrochen worden. Denn jede von ihr in Bezug auf
die rechtswidrige Beihilfe ergriffene Maßnahme unterbreche die Verjährungsfrist (219.
Begründungserwägung der streitigen Entscheidung).
16.
Die Kommission stellte fest, die streitige Beihilfe sei am 31. August 1987 gewährt worden. Die erste,
in Form eines Auskunftsersuchens an die französischen Behörden ergriffene Maßnahme der
Kommission datiere vom 17. Januar 1997. Mithin sei die Verjährungsfrist vor Ablauf der festgelegten
Frist von zehn Jahren unterbrochen worden, so dass sie befugt sei, die fragliche Beihilfe
zurückzufordern (220. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung).
17.
Ferner weist die Kommission in der streitigen Entscheidung das Vorbringen der Klägerin zurück,
dass die Verjährungsfrist den Beihilfeempfänger schützen solle und folglich erst unterbrochen werde,
wenn dieser Kenntnis davon erhalte, dass die Kommission eine Untersuchung in Bezug auf die Beihilfe
durchführe. Denn nach Ansicht der Kommission hat die Frage, wer letztendlich in den Genuss der
Verjährungsfrist kommt, nichts mit deren Berechnungsweise zu tun. Außerdem richte sich Artikel 15
der Verordnung Nr. 659/1999 nicht an Dritte, sondern beschränke sich auf die Beziehungen zwischen
ihr selbst und den Mitgliedstaaten. Die Kommission treffe daher keine Informationspflicht gegenüber
Dritten. Diese könnten dem betreffenden Artikel keinen besonderen Anspruch entnehmen. In einem
Beihilfeverfahren hätten sie lediglich die Verfahrensrechte, die sich aus Artikel 88 Absatz 2 EG
ergäben (221. bis 223. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung).
18.
Wenn Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999 auf den Empfänger der Beihilfe Bezug nehme, dann
nur, um den Zeitpunkt zu bestimmen, ab dem die Verjährungsfrist laufe, nämlich „mit dem Tag, an
dem die rechtswidrige Beihilfe dem Empfänger ... gewährt“ werde (223. Begründungserwägung der
streitigen Entscheidung).
19.
Die Kommission weist außerdem darauf hin, dass der Empfänger einer Beihilfe überprüfen müsse,
ob die ihm gewährte Beihilfe gemeldet worden sei. Sei keine solche Meldung erfolgt und liege keine
Genehmigung vor, dann bestehe keine Rechtssicherheit (224. Begründungserwägung der streitigen
Entscheidung).
Verfahren und Anträge der Beteiligten
20.
Die Klägerin hat mit Klageschrift, die am 30. November 2000 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen ist, die vorliegende Klage erhoben.
21.
Das Departement Loiret hat mit Klageschrift, die am 4. Dezember 2000 bei der Kanzlei des Gerichts
eingegangen und unter dem Aktenzeichen T-369/00 eingetragen worden ist, eine Klage erhoben, die
ebenfalls auf die Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung gerichtet ist.
22.
Mit Schriftsatz, der am 5. April 2001 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die
Französische Republik beantragt, zur Unterstützung der Anträge der Klägerin als Streithelferin im
vorliegenden Verfahren zugelassen zu werden. Am 25. April 2001 hat das Gericht nach Artikel 64 § 3
Buchstabe e seiner Verfahrensordnung eine informelle Sitzung abgehalten, die sowohl die vorliegende
Rechtssache als auch die Rechtssache T-369/00 betraf und in der der vom Kläger in der Rechtssache
T-369/00 gestellte Antrag auf Verbindung dieser beiden Rechtssachen und der von der Klägerin in der
vorliegenden Rechtssache gestellte Antrag erörtert worden sind, die Frage nach der Verjährung vorab
zu entscheiden.
23.
Mit Beschluss des Präsidenten der Fünften erweiterten Kammer vom 10. Mai 2001 ist die
Französische Republik als Streithelferin zur Unterstützung der Anträge der Klägerin zugelassen
worden. In ihrem Streithilfeschriftsatz nimmt die Französische Republik lediglich zu dem Klagegrund
Stellung, mit dem ein Verstoß gegen den Grundsatz des Vertrauensschutzes geltend gemacht wird,
und äußert sich nicht zur Frage nach der Geltung der Verjährungsfrist gemäß Artikel 15 der
Verordnung Nr. 659/1999 im vorliegenden Fall.
24.
Auf Bericht des Berichterstatters und unter Berücksichtigung der in der informellen Sitzung
geäußerten Auffassungen hat das Gericht (Fünfte erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche
Verhandlung zu eröffnen, sie jedoch auf die Rüge zu beschränken, die Befugnis der Kommission zur
Rückforderung der staatlichen Beihilfe, die Frankreich in Form eines Vorzugspreises für ein Grundstück
von 48 ha Größe in La Saussaye gewährt habe, sei verjährt.
25.
Als prozessleitende Maßnahme hat das Gericht die Klägerin aufgefordert, zu bestimmten Punkten
Stellung zu nehmen, die die Kommission in ihrer Gegenerwiderung aufgeworfen hat; die
Stellungnahme ist fristgemäß erfolgt.
26.
Die Parteien haben in der Sitzung vom 26. September 2002 mündlich verhandelt und mündliche
Fragen des Gerichts beantwortet.
27.
In dieser Sitzung hat die Klägerin dem Gericht mitgeteilt, dass sie ihre Nichtigkeitsklage
zurücknehme, soweit sie die in Artikel 1 der streitigen Entscheidung erwähnte staatliche Beihilfe
betreffe, die in Form eines Vorzugstarifs für die Abwasserentsorgung gewährt worden sei; ihre Klage
beschränke sich auf den Antrag, die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit in ihr die
Rechtswidrigkeit einer Beihilfe festgestellt werde, die in Form eines Vorzugspreises für ein Grundstück
gewährt worden sei, und auf den Hilfsantrag auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der streitigen
Entscheidung im selben Umfang. Das Gericht hat diese teilweise Klagerücknahme zu Protokoll
genommen.
28.
Im vorliegenden Urteil beschränkt sich das Gericht daher auf die Prüfung des Antrags auf
Nichtigerklärung von Artikel 2 der streitigen Entscheidung, soweit sich dieser Antrag auf den
Klagegrund stützt, mit dem ein Verstoß gegen Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999 geltend
gemacht wird.
29.
In diesem Zusammenhang beantragt die Klägerin,
- Artikel 2 der streitigen Entscheidung für nichtig zu erklären, soweit er die Beihilfe betrifft, die in
Form des in ihrem Artikel 1 genannten Vorzugspreises für ein Grundstück gewährt worden sein soll;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
30.
Die Französische Republik, die als Streithelferin die Anträge der Klägerin unterstützt, beantragt,
- die streitige Entscheidung für nichtig zu erklären;
- der Kommission die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
31.
Die Kommission beantragt,
- die Klage abzuweisen;
- der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen;
- hilfsweise, die Beteiligten zur Tragung ihrer eigenen Kosten zu verurteilen.
Entscheidungsgründe
32.
Die Klägerin macht geltend, dadurch, dass die Kommission in Artikel 2 der streitigen Entscheidung
die Rückforderung der Beihilfe angeordnet habe, deren Gewährung sie auf den 31. August 1987
datiert habe, habe sie die in Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehene Verjährungsfrist
von zehn Jahren verletzt.
33.
Dieser Klagegrund besteht aus zwei Teilen. Erstens wendet sich die Klägerin gegen die Auslegung
von Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999 durch die Kommission in der 219. bis 224.
Begründungserwägung der streitigen Entscheidung, wonach die Verjährungsfrist von zehn Jahren zwar
im vorliegenden Fall gelte, aber am 17. Januar 1997, dem Tag, an dem die Kommission ein Ersuchen
um zusätzliche Auskünfte an die französischen Behörden gerichtet habe, d. h. vor dem zehnten
Jahrestag der Beihilfegewährung, unterbrochen worden sei. Zweitens beanstandet die Klägerin die
alternative Auslegung von Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999 durch die Kommission in ihrer
Klagebeantwortung, der zufolge die Befugnis der Kommission zur Rückforderung der Beihilfe, die der
Klägerin am 31. August 1987 gewährt worden sei, aufgrund der Entscheidung über die Eröffnung des
Verfahrens, die am 30. September 1998 veröffentlicht worden sei und von der sie vor Inkrafttreten der
Verordnung Nr. 659/1999 erfahren habe, nicht der dort vorgesehenen Verjährung unterliege.
34.
Die Kommission nimmt auf zweierlei Weise zu dem Klagegrund Stellung. Erstens bekräftigt sie die
Auslegung von Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999, die sie in der streitigen Entscheidung
vorgebracht hatte. Zweitens trägt sie in der Klagebeantwortung vor, Artikel 15 der betreffenden
Verordnung sei im vorliegenden Fall nicht anwendbar, weil das Verfahren nach Artikel 88 Absatz 2 EG
eröffnet worden sei und die Klägerin vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 659/1999, nämlich
spätestens am 30. September 1998, dem Tag der Veröffentlichung der Entscheidung über die
Eröffnung des Verfahrens im , hiervon Kenntnis erlangt
habe. Eine Beihilfe, die vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 659/1999 gewährt worden sei, könne
nur dann nach deren Artikel 15 verjährt sein, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein,
nämlich zum einen, dass mindestens zehn Jahre seit der Gewährung der Beihilfe verstrichen seien, und
zum anderen, dass vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 659/1999 keine Maßnahme ergriffen worden
sei, die die Verjährung unterbrochen habe.
35.
Nach Auffassung des Gerichts ist zunächst der erste Teil des Klagegrundes zu prüfen.
36.
Die Klägerin trägt sechs Gründe gegen die Auslegung von Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999
in der 219. bis 224. Begründungserwägung der streitigen Entscheidung vor.
37.
Erstens könne ein Maßnahme der Kommission die Frist, in der der Anspruch gegenüber dem
Beihilfeempfänger verjähre, nicht unterbrechen, es sei denn, der Empfänger, gegen den eine
Anordnung zur Rückforderung eines Betrages gerichtet sein könne, die der betreffende Mitgliedstaat
zum Abschluss eines Beihilfeverfahrens gegebenenfalls erlassen müsse, hätte von ihr Kenntnis. Das
gelte sogar dann, wenn am Beihilfeverfahren, um die Worte der Kommission aufzugreifen, „streng
genommen“ nur die Kommission und der betreffende Mitgliedstaat beteiligt seien. Wie auch immer
sich die Lage aus rechtlicher Sicht darstelle, es sei der Empfänger, der sich in Wirklichkeit in der
Position des Verfahrensgegners der Kommission befinde, und er sei es, der am Ende des Verfahrens
nach Artikel 88 Absatz 2 EG den Schaden erleide. Aus diesem Grund sei es der Empfänger, der
berechtigt sein müsse, sich zu seiner Verteidigung auf die Verjährung gemäß Artikel 15 der
Verordnung Nr. 659/1999 zu berufen.
38.
Da weder im bekannt gegeben worden sei, dass eine
die Verjährung unterbrechende Maßnahme ergriffen worden sei, noch - sei es unmittelbar, sei es über
den Mitgliedstaat - eine Mitteilung darüber erfolgt sei, könne es sich gegenüber dem Empfänger nicht
um eine die Verjährung unterbrechende Maßnahme im Sinne von Artikel 15 der Verordnung Nr.
659/1999 handeln. Im vorliegenden Fall sei keine dieser Voraussetzungen erfüllt.
39.
Zweitens solle Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999 die Rechtssicherheit für Empfänger
staatlicher Beihilfen und die Mitgliedstaaten gewährleisten. Die Behauptung der Kommission, dass
eine Maßnahme unterbrechende Wirkung haben könne, selbst wenn der Beihilfeempfänger nichts von
ihrer Existenz wisse, sei offenkundig nicht mit diesem Ziel vereinbar.
40.
Drittens räume die Kommission anscheinend ein, dass es eines der wesentlichen Merkmale einer
die Verjährung gegenüber dem Mitgliedstaat unterbrechenden Maßnahme sei, dass dieser von der
Existenz der betreffenden Maßnahme unterrichtet sein müsse. Ebenso müsse dem Beihilfeempfänger
jede Maßnahme der Kommission bekannt sein, mit der die Verjährung ihm gegenüber unterbrochen
werden solle.
41.
Viertens trägt die Klägerin vor, wenn sie die Auffassung vertrete, dass sich im Rahmen der
Beihilfeverfahren der Beihilfeempfänger in einer anderen Lage als sonstige Dritte befinde, so entwickle
sie damit keine „vollkommen neue“ Theorie. Die Veröffentlichungen der Kommission bestätigten
vielmehr diesen Ansatz.
42.
Fünftens schlössen gemäß Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 659/1999 die Maßnahmen der
Kommission, die die Verjährung unterbrechen könnten, auch die Maßnahmen ein, die ein Mitgliedstaat
auf Verlangen der Kommission ergreife. Die vom Mitgliedstaat ergriffenen Maßnahmen eigens zu
erwähnen, wäre nach Ansicht der Klägerin überflüssig, wenn allein das an den Mitgliedstaat gerichtete
Verlangen der Kommission ausreichen würde, um auch gegenüber dem Beihilfeempfänger die
Verjährung zu unterbrechen. Es sei offensichtlich, dass dem Gemeinschaftsgesetzgeber Umstände
vorgeschwebt hätten, unter denen die von der Kommission an den Mitgliedstaat gerichtete
Maßnahme die Frist gegenüber einem vom fraglichen Mitgliedstaat verschiedenen Rechtsträger nicht
unterbrochen habe, und dass daher der Hinweis erforderlich gewesen sei, dass die von einem
Mitgliedstaat auf Verlangen der Kommission erlassene Maßnahme die Verjährung gegenüber vom
Mitgliedstaat verschiedenen Rechtsträgern unterbrechen solle.
43.
Schließlich gebe es sechstens keinen verwaltungstechnischen oder praktischen Grund, aus dem
die Kommission daran gehindert wäre, den Empfänger einer angeblich rechtswidrigen Beihilfe davon
zu unterrichten, dass sie eine Prüfung der Beihilfe einleite, insbesondere wenn sie sich wie hier auf
Anregung eines Beschwerdeführers mit der Frage nach die Verjährung unterbrechenden Maßnahmen
und deren Folgen befasse. Aus verwaltungstechnischer und praktischer Sicht spreche daher nichts
gegen die von der Klägerin vorgeschlagene Auslegung von Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999.
44.
Die Kommission macht geltend, die Schreiben, die sie zwischen dem 17. Januar und dem 8. August
1997, d. h. vor Ablauf der Frist von zehn Jahren ab dem Tag der Beihilfegewährung, an die
französischen Behörden gerichtet habe, seien Maßnahmen, die die in Artikel 15 der Verordnung Nr.
659/1999 vorgesehene Verjährung unterbrächen.
45.
Am Beihilfeverfahren seien sie und der Mitgliedstaat beteiligt und nicht sie und die Beteiligten
einschließlich des Beihilfeempfängers. Das ergebe sich nicht nur aus dem Wortlaut der Artikel 87 EG,
88 EG und 89 EG sowie aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes, sondern auch aus dem
Wortlaut der Verordnung Nr. 659/1999 und insbesondere ihrem Artikel 25, dem zufolge
Entscheidungen nach den Bestimmungen der Verordnung an den betreffenden Mitgliedstaat
gerichtet seien.
46.
Außerdem sei das Beihilfeverfahren kein Strafverfahren gegen den Beihilfeempfänger. Ihm werde
keine Geldbuße auferlegt, und die Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe habe zum Ziel,
wirksamen Wettbewerb wiederherzustellen, und nicht, den Beihilfeempfänger zu bestrafen.
47.
Die Rechte der Beteiligten einschließlich des Beihilfeempfängers seien in Artikel 88 Absatz 2 EG
sowie in der Verordnung Nr. 659/1999 und insbesondere in ihrem Artikel 20 festgelegt, der die
Überschrift „Rechte der Beteiligten“ trage. Die Kommission sei nicht verpflichtet, den mutmaßlichen
Beihilfeempfängern eine die Verjährung unterbrechende Maßnahme nach Artikel 15 Absatz 2 der
Verordnung Nr. 659/1999 mitzuteilen.
48.
Die Klägerin berufe sich anscheinend auf ein besonderes Verfahrensrecht zu ihren Gunsten,
nämlich das Recht, unmittelbar von ihr jede die Verjährung unterbrechende Maßnahme mitgeteilt zu
bekommen. Die Klägerin vertrete hierzu die Auffassung, dass die Verjährungsregelung
Rechtssicherheit für die Beihilfeempfänger gewährleisten solle. Die Kommission teilt diesen
Standpunkt nicht und führt aus, wie die anderen Verfahrensvorschriften für staatliche Beihilfen übe
die Verjährungsregelung ihre Wirkung gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat aus und nicht
gegenüber dem Beihilfeempfänger. Eine Anordnung zur Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe
habe nicht nur für den Beihilfeempfänger, sondern auch für den betreffenden Mitgliedstaat
nachteilige Folgen. Die Gewährung einer nicht angemeldeten Beihilfe verstoße gegen Artikel 88 Absatz
3 EG und könne nach nationalem Recht zu einer Klage wegen außervertraglicher Haftung gegen den
Mitgliedstaat führen.
49.
Schließlich weist die Kommission darauf hin, dass die Verjährungsfrist definitionsgemäß nur für nicht
angemeldete Beihilfen gelte. Eine nicht angemeldete Beihilfe verstoße gegen Artikel 88 Absatz 3 EG,
der unmittelbare Wirkung habe. Von den Empfängern werde erwartet, dass sie das
Gemeinschaftsrecht betreffend staatliche Beihilfen kennten, und sie könnten sich nicht auf fehlende
Kenntnis des Gesetzes als Grundlage für ein berechtigtes Vertrauen darauf berufen, dass die Beihilfe
niemals zurückgefordert werden könne. Daher sei Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999 in seiner
Gesamtheit und nicht, wie die Klägerin es wolle, nur in Bezug auf den Begriff der die Verjährung
unterbrechenden Maßnahme restriktiv auszulegen.
50.
Nach ständiger Rechtsprechung ist die Rechtmäßigkeit eines Gemeinschaftsrechtsakts anhand des
Sachverhalts und der Rechtslage zu beurteilen, die bei Erlass des Aktes bestanden (in diesem Sinne
Urteile des Gerichts vom 6. Oktober 1999 in der Rechtssache T-123/97, Salomon/Kommission, Slg.
1999, II-2925, Randnr. 48, und vom 14. Mai 2002 in der Rechtssache T-126/99, Graphischer
Maschinenbau/Kommission, Slg. 2002, II-2427, Randnr. 33).
51.
Des Weiteren ist nach ständiger Rechtsprechung zwar bei Verfahrensvorschriften im Allgemeinen
davon auszugehen, dass sie auf alle zum Zeitpunkt ihres Inkrafttretens anhängigen
Rechtsstreitigkeiten anwendbar sind; dies gilt jedoch nicht für materiell-rechtliche Vorschriften. Diese
werden im Allgemeinen so ausgelegt, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte
nur gelten, wenn aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass
ihnen eine solche Wirkung beizumessen ist. Diese Auslegung gewährleistet die Beachtung der
Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, nach denen die
Gemeinschaftsgesetzgebung klar und für die Betroffenen vorhersehbar sein muss (vgl. u. a. Urteile
des Gerichtshofes vom 12. November 1981 in den Rechtssachen 212/80 bis 217/80, Salumi u. a., Slg.
1981, 2735, Randnrn. 9 und 10, und vom 6. Juli 1993 in den Rechtssachen C-121/91 und C-122/91, CT
Control [Rotterdam] und JCT Benelux/Kommission, Slg. 1993, I-3873, insbesondere Randnrn. 22 und
23).
52.
Die Verordnung Nr. 659/1999, bei der es sich um eine Verfahrensverordnung über die Anwendung
von Artikel 88 EG handelt, wurde im Hinblick auf die von der Kommission auf diesem Gebiet entwickelte
Praxis insbesondere erlassen, um wirksame und effiziente Verfahren nach Artikel 88 EG zu
gewährleisten und um die Transparenz und Rechtssicherheit bei ihrer Durchführung zu erhöhen
(zweite und dritte Begründungserwägung der Verordnung). In ihrem Kapitel III, das die Überschrift
„Verfahren bei rechtswidrigen Beihilfen“ trägt, sind die Befugnisse der Kommission insbesondere in
Bezug auf die Prüfung staatlicher Beihilfen, Auskunftsersuchen, Anordnungen zur Auskunftserteilung
und die Rückforderung einer rechtswidrigen Beihilfe aufgeführt. Schon aus dem Wortlaut dieser
Vorschriften einschließlich des Artikels 15 geht hervor, dass sie verfahrensrechtlicher Art sind und
daher aufgrund der oben dargelegten Rechtsprechung auf alle staatliche Beihilfen betreffenden
Verwaltungsverfahren anwendbar sind, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung Nr.
659/1999, d. h. am 16. April 1999, bei der Kommission anhängig waren.
53.
Da Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999 ferner im Gegensatz zu ihrem Artikel 11 Absatz 2 letzter
Unterabsatz, der die Befugnis der Kommission zur Anordnung der einstweiligen Rückforderung einer
rechtswidrigen Beihilfe betrifft, keine Übergangsbestimmung in Bezug auf seine zeitliche Geltung
enthält, gilt er für jede nach Inkrafttreten der Verordnung erlassene Maßnahme, mit der eine Beihilfe
endgültig zurückgefordert wird, auch dann, wenn die Beihilfe vor Inkrafttreten gewährt worden ist.
54.
Im vorliegenden Fall ist dem Wortlaut der streitigen Entscheidung und insbesondere der
Untersuchung der Frage nach der Geltung der Verjährungsfrist in der 219. bis 224.
Begründungserwägung zu entnehmen, dass die Kommission bei Erlass dieser Entscheidung selbst der
Ansicht war, dass ihre Maßnahme betreffend die Rückforderung der fraglichen Beihilfe unter Artikel 15
der Verordnung Nr. 659/1999 falle. Die Tatsache, dass die Kommission am 8. Juli 1999 aufgrund von
Artikel 10 Absatz 3 der Verordnung Nr. 659/1999 an die französischen Behörden eine Anordnung zur
Auskunftserteilung richtete, zeigt außerdem, dass sie sich bei der Durchführung des am 20. Mai 1998
gemäß Artikel 88 Absatz 2 EG eröffneten Beihilfeverfahrens ab Inkrafttreten der Verordnung Nr.
659/1999 am 16. April 1999 auf die neuen Verfahrensvorschriften gestützt hat.
55.
Daher hat das Gericht zunächst zu prüfen, ob die in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr.
659/1999 geregelte Unterbrechung der Verjährung im Fall einer Maßnahme anwendbar sein kann, die
vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung, aber während der Frist von zehn Jahren nach dem Tag der
Beihilfegewährung ergriffen wurde, und anschließend, wenn dies der Fall ist, ob eine solche
Maßnahme die Verjährung gegenüber dem Beihilfeempfänger nur unterbrechen kann, wenn sie ihm
zur Kenntnis gebracht worden ist.
56.
Selbst wenn die Verordnung Nr. 659/1999 am 31. August 1987 nicht galt, so dass die Gewährung
der Beihilfe zu diesem Zeitpunkt keine Verjährungsfrist von zehn Jahren in Gang setzte, ist dieser Tag
gleichwohl als erster Tag dieser Frist zu nehmen, wenn Artikel 15 auf die Sachlage am 12. Juli 2000
angewendet wird.
57.
Desgleichen ist den Maßnahmen, die die Kommission am 17. Januar 1997 ergriff, obwohl sie damals
nicht die Unterbrechung der Verjährung bewirkten, doch eine solche Wirkung beizumessen, wenn sie
im Zusammenhang mit der von der Kommission nach dem 16. April 1999 ausgeübten Befugnis zur
Rückforderung der am 31. August 1987 gewährten Beihilfe betrachtet werden. Mit dieser Auslegung
soll Artikel 15 keine Rückwirkung zugestanden werden, sondern lediglich seine einheitliche
Anwendung auf eine Reihe von vergangenen Tatsachen oder Ereignissen sichergestellt werden, die
ab dem 12. Juli 2000 geprüft worden sind. Wenn anzunehmen ist, dass die Beihilfegewährung am 31.
August 1987 die in Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehene Verjährungsfrist in Gang
gesetzt hat, sind mit anderen Worten die Ereignisse, die während dieser Frist eintreten, ebenfalls auf
der Grundlage dieser Verordnung zu beurteilen.
58.
Zu dem Vorbringen der Klägerin, die von der Kommission zwischen Januar und August 1997
ergriffenen Maßnahmen könnten keine Unterbrechung der Verjährung nach Artikel 15 der Verordnung
Nr. 659/1999 bewirken, weil sie seinerzeit keine Kenntnis von diesen Maßnahmen gehabt habe, ist
festzustellen, dass mit Artikel 15 eine einheitliche Verjährungsfrist für die Rückforderung einer Beihilfe
eingeführt worden ist, die gleichermaßen für den betreffenden Mitgliedstaat wie für Dritte gilt.
59.
An dem aufgrund von Artikel 88 Absatz 2 EG eingerichteten Verfahren sind in erster Linie die
Kommission und der betreffende Mitgliedstaat beteiligt, wobei die Beteiligten, darunter der
Beihilfeempfänger, einen Anspruch darauf haben, unterrichtet zu werden und Gelegenheit zu erhalten,
ihren Standpunkt geltend zu machen (in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 14. November
1984 in der Rechtssache 323/82, Intermills/Kommission, Slg. 1984, 3809, Randnrn. 16 und 17). Denn
nach ständiger Rechtsprechung haben die Beteiligten im Wesentlichen die Rolle von
Informationsquellen für die Kommission im Rahmen des gemäß Artikel 88 Absatz 2 EG eingeleiteten
Verwaltungsverfahrens (Urteile des Gerichts vom 22. Oktober 1996 in der Rechtssache T-266/94,
Skibsværftsforeningen u. a./Kommission, Slg. 1996, II-1399, Randnr. 256, und vom 25. Juni 1998 in den
Rechtssachen T-371/94 und T-394/94, British Airways u. a. und British Midland Airways/Kommission,
Slg. 1998, II-2405, Randnr. 59). Die Kommission ist jedoch nicht verpflichtet, die potenziell Beteiligten
einschließlich des Beihilfeempfängers von den Maßnahmen zu unterrichten, die sie in Bezug auf eine
rechtswidrige Beihilfe vor Eröffnung des Verwaltungsverfahrens ergreift.
60.
Die Tatsache allein, dass die Klägerin nichts von der Existenz der Auskunftsersuchen wusste, die
die Kommission ab dem 17. Januar 1997 an die französischen Behörden richtete (siehe oben, Randnr.
6), nimmt ihnen folglich nicht ihre Rechtswirkung gegenüber der Klägerin. Somit handelt es sich bei
dem Schreiben vom 17. Januar 1997, das die Kommission vor der Eröffnung des
Verwaltungsverfahrens versendete und mit dem sie die französischen Behörden um zusätzliche
Angaben ersuchte, gemäß Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999 um eine Maßnahme, die die
Verjährungsfrist von zehn Jahren, die im vorliegenden Fall am 31. August 1987 begonnen hat, vor
ihrem Ablauf unterbrach, selbst wenn die Klägerin damals von dem Schriftwechsel nichts wusste.
61.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Fall die betreffende Beihilfe der Kommission
nicht gemeldet wurde. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich jedoch der Begünstigte, abgesehen
von außergewöhnlichen Umständen, nur dann auf ein berechtigtes Vertrauen auf die
Ordnungsgemäßheit einer Beihilfe berufen, wenn diese unter Beachtung des Artikels 88 EG gewährt
worden ist (Urteile des Gerichtshofes vom 20. September 1990 in der Rechtssache C-5/89,
Kommission/Deutschland, Slg. 1990, I-3437, Randnr. 14, und vom 14. Januar 1997 in der Rechtssache
C-169/95, Spanien/Kommission, Slg. 1997, I-135, Randnr. 51). Ein sorgfältiger Wirtschaftsteilnehmer
sollte nämlich normalerweise in der Lage sein, sich zu vergewissern, dass dieses Verfahren
eingehalten worden ist.
62.
Schließlich ist festzustellen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber vor dem 16. April 1999 keine
Verjährungsfrist für Maßnahmen der Kommission in Bezug auf nicht angemeldete staatliche Beihilfen
festgelegt hatte. Folglich konnte sich die Klägerin vor diesem Zeitpunkt hinsichtlich der Verjährung
einer nicht angemeldeten, 1987 gewährten Beihilfe weder auf berechtigtes Vertrauen noch auf die
Rechtssicherheit berufen. Die Auslegung, die Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999 oben in den
Randnummern 50 bis 57 gegeben worden ist, und dessen Anwendung auf die von der Kommission am
17. Januar 1997 ergriffene Maßnahme nimmt der Klägerin daher nicht die Rechtssicherheit oder ein
berechtigtes Vertrauen, das in den zehn Jahren nach Gewährung der fraglichen Beihilfe hätte
entstehen können.
63.
Nach alledem ist der erste Teil des vorliegenden Klagegrundes zurückzuweisen.
64.
Was den zweiten Teil des Klagegrundes angeht, der die von der Kommission in ihrer
Klagebeantwortung vorgebrachte alternative Auslegung von Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999
betrifft, hat das Gericht bereits oben in den Randnummern 57 bis 60 festgestellt, dass die
Verordnung auf den vorliegenden Fall anwendbar ist und dass die mit Artikel 15 eingeführte
Verjährungsfrist von zehn Jahren am 17. Januar 1997 unterbrochen wurde. Bei der Veröffentlichung
der Entscheidung über die Eröffnung des Verfahrens am 10. Juli 1998 waren die Befugnisse der
Kommission hinsichtlich der Rückforderung der Beihilfe daher nicht verjährt.
65.
Somit ist die Klage auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der streitigen Entscheidung abzuweisen,
soweit sie auf einen Verstoß der Kommission gegen Artikel 15 der Verordnung Nr. 659/1999 gestützt
wird.
Kosten
66.
Da das vorliegende Urteil auf die Frage der Verjährung beschränkt ist und das Verfahren
fortgesetzt wird, ist die Kostenentscheidung vorzubehalten.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Fünfte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage auf Nichtigerklärung von Artikel 2 der Entscheidung 2002/14/EG der
Kommission vom 12. Juli 2000 wird abgewiesen, soweit sie auf einen Verstoß der
Kommission gegen Artikel 15 der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März
1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel 93 des EG-Vertrags [jetzt
Artikel 88 EG] gestützt wird.
2. Im Übrigen wird das Verfahren fortgesetzt.
3. Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.
Cooke
García-Valdecasas
Lindh
Forwood
Legal
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 10. April 2003.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
J. D. Cooke
Verfahrenssprache: Englisch.