Urteil des EuG vom 30.04.1998

EuG: kommission, kleine und mittlere unternehmen, juristische person, markt, handel, staatliche beihilfe, nummer, grundsatz der gleichbehandlung, gericht erster instanz, klagegrund

URTEIL DES GERICHTS (Fünfte erweiterte Kammer)
30. April 1998
„Nichtigkeitsklage — Luftverkehr — Staatliche Beihilfe — Geringer Betrag — Wettbewerbsverzerrung —
Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten — Begründung“
In der Rechtssache T-214/95
Vlaams Gewest (Flämische Region),
Zustellungsanschrift: Kanzlei der Rechtsanwälte Duro und Lorang, 4, boulevard Royal, Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Kommission der Europäischen Gemeinschaften
Jessen, Juristischer Dienst, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: Carlos Gómez de la Cruz,
Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,
Beklagte,
wegen Nichtigerklärung der Entscheidung 95/466/EG der Kommission vom 26. Juli 1995 über eine Beihilfe der
Flämischen Region zugunsten des belgischen Luftverkehrsunternehmens Vlaamse
Luchttransportmaatschappij NV (ABl. L 267, S. 49)
erläßt
DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Fünfte erweiterte Kammer)
unter Mitwirkung des Präsidenten R. García-Valdecasas sowie der Richterin V. Tiili und der Richter J. Azizi, R.
M. Moura Ramos und M. Jaeger,
Kanzler: A. Mair, Verwaltungsrat
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und der mündlichen Verhandlung vom 25. September 1997,
folgendes
Urteil
Rechtlicher Rahmen
1.
Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (im folgenden:
Vertrag) lautet:
„Soweit in diesem Vertrag nicht etwas anderes bestimmt ist, sind staatliche oder aus staatlichen
Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen
oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem
Gemeinsamen Markt unvereinbar, soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen.“
2.
Gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages kann die Kommission „Beihilfen zur Förderung
der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige oder Wirtschaftsgebiete, soweit sie die
Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft“,
ausnahmsweise für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklären.
3.
Am 20. Mai 1992 verabschiedete die Kommission einen Gemeinschaftsrahmen für staatliche
Beihilfen an kleine und mittlere Unternehmen (ABl. C 213, S. 2). Gemäß dessen Abschnitt 3.2 sind
Beihilfen, die in einem Zeitraum von drei Jahren einen Gesamtbetrag von 50 000 ECU nicht
überschreiten, von der Anmeldepflicht nach Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages befreit. Gemäß
Abschnitt 1.6 gilt der Gemeinschaftsrahmen jedoch nicht für Beihilfen an Unternehmen in
Wirtschaftszweigen, für die besondere gemeinschaftliche Vorschriften über staatliche Beihilfen
bestehen; dazu gehört u. a. der Verkehrssektor.
4.
Die Kommission legte die für staatliche Beihilfen an Luftverkehrsunternehmen geltenden
Bestimmungen in ihrer Mitteilung 94/C 350/07 mit dem Titel „Anwendung der Artikel 92 und 93 des EG-
Vertrags sowie des Artikels 61 des [Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum] auf
staatliche Beihilfen im Luftverkehr“ (ABl. 1994, C 350, S. 5; im folgenden: Leitlinien) fest. In Nummer 50
(Kapitel IX) dieser Leitlinien wird bestätigt, daß das für Regelungen über Beihilfen an kleine und
mittlere Unternehmen vorgesehene beschleunigte Genehmigungsverfahren nicht für Beihilfen im
Verkehrssektor gilt.
5.
Die Leitlinien betreffen die Beihilfen, die den Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft von den
Mitgliedstaaten gewährt werden (Nr. 10, Kapitel II). In Nummer 51 (Kapitel X) wird ausgeführt, daß sich
die Kommission ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der Leitlinien im
an sie halten werde und daß sie entscheiden werde, wann der geeignete Zeitpunkt
für ihre Überarbeitung gekommen sei.
6.
In Nummer 8 (Abschnitt I.4) heißt es: „Die Kommission möchte den Luftverkehrsunternehmen des
EWR gleiche Ausgangsbedingungen verschaffen, so daß sie sich effektiv am Wettbewerb beteiligen
können.“
7.
In Nummer 14 (Kapitel III) wird ausgeführt: „Direkte Beihilfen, die Betriebsverluste ausgleichen
sollen, sind grundsätzlich nicht mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar und können nicht von dem
Beihilfeverbot ausgenommen werden.“
8.
In Kapitel V, das u. a. Freistellungen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige
betrifft, die gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages und Artikel 61 Absatz 3 Buchstabe c
des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (im folgenden: EWR-Abkommen) gewährt
werden können, sehen die Leitlinien vor, daß Beihilfen zur Umstrukturierung nur unter bestimmten
Bedingungen für vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt erklärt werden können. Eine dieser
Bedingungen lautet, daß die Beihilfe Bestandteil eines umfassenden, von der Kommission zu
genehmigenden Umstrukturierungsprogramms sein muß (Nr. 38 Ziffer 1 der Leitlinien). Ein Programm,
das mit staatlichen Beihilfemitteln finanziert werden solle, könne nur dann als nicht dem gemeinsamen
Interesse zuwiderlaufend betrachtet werden, wenn es keine Ausweitung der Kapazität und des
Angebots der betreffenden Fluggesellschaft auf Kosten ihrer unmittelbaren europäischen
Wettbewerber zum Ziel habe (Nr. 38 Ziffer 4 der Leitlinien).
9.
Schließlich wird in Nummer 50 (Kapitel IX) der Leitlinien im Interesse einer Vereinfachung der
Verwaltungsverfahren ein beschleunigtes Verfahren für geringfügige Beihilfen im Luftverkehr
eingeführt. Dort heißt es, die Kommission werde bei neuen Beihilferegelungen oder Änderungen
bestehender Beihilferegelungen, die gemäß Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages angemeldet worden
seien, ein beschleunigtes Genehmigungsverfahren anwenden, wenn
— die Beihilfe zugunsten eines bestimmten Begünstigten über einen Dreijahreszeitraum hinweg
nicht mehr als eine Million ECU betrage und
— die Beihilfe an ganz bestimmte Investitionsziele geknüpft sei, wobei Betriebsbeihilfen
ausgeschlossen seien.
Sachverhalt
10.
Die Vlaamse Luchttransportmaatschappij NV (VLM) ist ein privates Luftverkehrsunternehmen mit Sitz
in Antwerpen. Sie wurde am 21. Februar 1992 mit einem Grundkapital von 10 Millionen BFR gegründet.
Das Kapital wurde anschließend mehrmals erhöht und belief sich Ende 1993 auf 75 Millionen BFR; im
Lauf des Jahres 1994 wurde es auf 100 Millionen BFR aufgestockt. Seit 1993 bietet VLM u. a. zwischen
Antwerpen und London (London City Airport) und zwischen Rotterdam und London (London City Airport)
Linienflüge an.
11.
Die Strecke Antwerpen—London wird auch von anderen Gesellschaften bedient, u. a. von dem
britischen Unternehmen Cityflyer Express Ltd (im folgenden: Cityflyer), dessen An- und Abflugort der
Flughafen Gatwick ist.
12.
Am 17. Dezember 1993 erhielt VLM von der Flämischen Region ohne vorherige Unterrichtung der
Kommission ein zinsloses Darlehen von 20 Millionen BFR, das ab dem zweiten Jahr in Höhe von jährlich
4 Millionen BFR zurückzuzahlen war.
13.
Im Darlehensvertrag heißt es:
De begunstigde verbindt zich tot de verdere uitbouw en exploitatie van meerdere Europese
vliegroutes.
Ter ondersteuning van deze activiteit verleent het Gewest de begunstigde een terugbetaalbaar
renteloos voorschot.
...
Voor de duur van het contract is voor de vervreemding of hypothekering van onroerend en roerend
patrimonium en het handelsfonds van de zaak alsook voor de vervreemding van bepaalde activa van
de begunstigde vooraf instemming nodig van het Gewest.
Bij wijziging van de aandeelhoudersstructuur is vooraf de instemming van het Gewest vereist.
Het kapitaal van de onderneming mag tijdens de duur van het contract niet worden verlaagd zonder
voorafgaande toestemming van het Gewest.
Indien deze voorwaarden niet worden nageleefd, is de overeenkomst onmiddellijk opzegbaar en wordt
het voorschot onmiddellijk opeisbaar.“
(„
Die Begünstigte verpflichtet sich zum weiteren Ausbau und Betrieb mehrerer europäischer
Flugstrecken.
Zur Unterstützung dieser Tätigkeit gewährt die Region der Begünstigten ein rückzahlbares zinsloses
Darlehen.
...
Während der Laufzeit des Vertrages bedürfen die Veräußerung oder die hypothekarische Belastung
von unbeweglichem und beweglichem Vermögen und des Firmenwerts sowie die Veräußerung
bestimmter Aktiva der Begünstigten einer vorherigen Zustimmung durch die Region.
Bei einer Änderung der Struktur der Anteilseigner muß vorab die Zustimmung der Region eingeholt
werden.
Das Kapital des Unternehmens darf während der Laufzeit des Vertrages nicht ohne vorherige
Zustimmung der Region herabgesetzt werden.
Werden diese Voraussetzungen nicht eingehalten, so ist die Vereinbarung sofort kündbar, und das
Darlehen kann sofort zurückgefordert werden.“)
14.
Im Anschluß an eine Beschwerde von Cityflyer eröffnete die Kommission am 16. November 1994 das
Verfahren gemäß Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages (ABl. 1994, C 359, S. 2).
15.
Cityflyer und das Luftverkehrsunternehmen British Airways gaben Stellungnahmen ab. Sie ersuchten
die Kommission um die Feststellung, daß das zinslose Darlehen eine mit dem Gemeinsamen Markt
unvereinbare Beihilfe darstelle.
16.
Am 23. Januar 1995 nahm auch die belgische Regierung Stellung.
17.
Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission am 26. Juli 1995 die Entscheidung 95/466/EG über
eine Beihilfe der Flämischen Region zugunsten des belgischen Unternehmens Vlaamse
Luchttransportmaatschappij NV (im folgenden:
angefochtene Entscheidung). Sie wurde der belgischen Regierung am 25. September 1995 mitgeteilt
und am 9. November 1995 im Amtsblatt veröffentlicht (ABl. L 267, S. 49).
18.
In dieser Entscheidung kam die Kommission zu dem Ergebnis, daß das Darlehen der Flämischen
Region an VLM rechtswidrige staatliche Beihilfeelemente enthalte, da es dem Unternehmen unter
Verstoß gegen Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages gewährt worden sei. Diese Beihilfeelemente seien
nach Artikel 92 des Vertrages und Artikel 61 des EWR-Abkommens mit dem Gemeinsamen Markt
unvereinbar (Artikel 1 der angefochtenen Entscheidung). Belgien wurde daher aufgegeben, die
Verzinsung dieses Darlehens zum Satz von 9,3 % (Artikel 2) und die Rückzahlung der Beihilfe in Höhe
der bei diesem Zinssatz seit ihrer Gewährung angefallenen Zinsen anzuordnen (Artikel 3). Der Satz
von 9,3 % ergibt sich aus einem Basiszinssatz von 7,3 %, der 1994 in Belgien für staatliche
Obligationen galt, zuzüglich einer Risikoprämie von 2 % (letzter Absatz von Abschnitt V der
angefochtenen Entscheidung).
Verfahren
19.
Die Klageschrift ist am 27. November 1995 eingereicht und am folgenden Tag in das Register
eingetragen worden.
20.
Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Fünfte erweiterte Kammer) die mündliche
Verhandlung eröffnet. Die Parteien haben in der Sitzung vom 25. September 1997 mündlich
verhandelt und mündliche Fragen des Gerichts beantwortet.
Anträge
21.
Die Klägerin beantragt,
— die angefochtene Entscheidung für nichtig zu erklären;
— der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
22.
Die Beklagte beantragt,
— die Klage als unbegründet abzuweisen;
— der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
23.
In der Sitzung hat die Beklagte beantragt, die Klage für unzulässig zu erklären.
Zur Zulässigkeit
24.
Die Beklagte trägt vor, die Klage sei nicht gemäß Artikel 173 Absatz 2 EG-Vertrag zulässig, da die
Klägerin kein Mitgliedstaat sei. Die Klage sei auch nicht gemäß Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages
zulässig, da sich die streitige Entscheidung weder an die Klägerin richte noch sie unmittelbar und
individuell betreffe. Außerdem habe sie kein eigenes Interesse daran, gegen die angefochtene
Entscheidung vorzugehen. Ihr Rechtsschutzinteresse ergebe sich nämlich daraus, daß sie die streitige
Beihilfe gewährt habe, und falle insofern mit dem des belgischen Staates zusammen (vgl. Urteil des
Gerichtshofes vom 10. Juli 1986 inder Rechtssache 282/85, DEFI/Kommission, Slg. 1986, 2469).
25.
Die Klägerin ist der Ansicht, sie sei in ihrer Eigenschaft als eigenständige juristische Person, die zur
Gewährung der streitigen Beihilfe befugt sei, ebenso wie das Königreich Belgien, an das sich die
angefochtene Entscheidung richte, im Sinne von Artikel 173 Absatz 2 des Vertrages unmittelbar und
individuell betroffen (vgl. Urteil des Gerichtshofes vom 8. März 1988 in den Rechtssachen 62/87 und
72/87, Exécutif régional wallon und Glaverbel/Kommission, Slg. 1988, 1573).
26.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, daß das Gericht nur für Nichtigkeitsklagen, die unter Artikel 173
Absatz 4 des Vertrages fallen, im ersten Rechtszug zuständig ist (Beschluß 94/149/EGKS, EG des Rates
vom 7. März 1994 zur Änderung des Beschlusses 93/350/Euratom, EGKS, EWG vom 8. Juni 1993 zur
Änderung des Beschlusses 88/591/EGKS, EWG, Euratom vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines
Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften [ABl. L 66, S. 29]). Es ist dagegen nicht für
Klagen zuständig, die ein Mitgliedstaat, der Rat oder die Kommission gemäß Artikel 173 Absatz 2 des
Vertrages erhebt.
27.
Gemäß Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages kann jede natürliche oder juristische Person gegen die
Entscheidungen Klage erheben, die, obwohl sie als eine an eine andere Person gerichtete
Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen.
28.
Im vorliegenden Fall wurde die angefochtene Entscheidung an das Königreich Belgien gerichtet.
Insoweit geht aus der allgemeinen Systematik der Verträge eindeutig hervor, daß der Begriff des
Mitgliedstaats im Sinne der institutionellen Bestimmungen und insbesondere derjenigen über die
gerichtlichen Klagen nur die Regierungsbehörden der Mitgliedstaaten der Europäischen
Gemeinschaften erfaßt und nicht auf die Regierungen von Regionen oder autonomen Gemeinschaften
erstreckt werden kann, welchen Umfang die ihnen zuerkannten Befugnisse auch haben mögen
(Beschlüsse des Gerichtshofes vom 21. März 1997 in der Rechtssache C-95/97, Wallonische
Region/Kommission, Slg. 1997, I-1787, Randnr. 6, und vom 1. Oktober 1997 in der Rechtssache C-
180/97, Regione Toscana/Kommission, Slg. 1997, I-5245, Randnr. 6). Die Flämische Region kann ihr
Vorgehen daher nicht auf Artikel 173 Absatz 2 des Vertrages stützen. Da sie nach dem nationalen
belgischen
Recht Rechtspersönlichkeit besitzt, ist sie aber als juristische Person im Sinne von Artikel 173 Absatz 4
des Vertrages anzusehen (Beschlüsse Wallonische Region/Kommission, Randnr. 11, und Regione
Toscana/Kommission, Randnr. 11; siehe auch die Schlußanträge von Generalanwalt Lenz zu dem
bereits in Randnr. 25 genannten Urteil Exécutif régional wallon und Glaverbel/Kommission, Slg. 1988,
1573, 1581, 1582).
29.
Die angefochtene Entscheidung wirkt sich unmittelbar und individuell auf die Rechtsstellung der
Flämischen Region aus. Sie hindert sie nämlich unmittelbar daran, ihre eigenen Befugnisse — die im
vorliegenden Fall in der Gewährung der streitigen Beihilfe bestehen — in der von ihr gewünschten
Weise auszuüben, und zwingt sie, den mit VLM geschlossenen Darlehensvertrag zu ändern.
30.
Folglich hat sie ein eigenes Interesse an der Anfechtung der Entscheidung. Ihre Lage kann nicht
mit der des Comité de développement et de promotion du textile et de l'habillement in dem Verfahren,
das zu dem bereits in Randnummer 24 genannten Urteil DEFI/Kommission führte, verglichen werden. In
dieser Rechtssache war die französische Regierung berechtigt, die Geschäftsführung und die Politik
dieses Komitees zu bestimmen und somit auch die Interessen festzulegen, die es zu vertreten hatte
(Randnr. 18). Im vorliegenden Fall kann die Regierung des belgischen Staates dagegen offenbar nicht
in die Ausübung der eigenen Befugnisse der Flämischen Region eingreifen, insbesondere soweit sie
die Gewährung von Beihilfen an Unternehmen betreffen.
31.
Demnach ist die Klage für zulässig zu erklären.
Zur Begründetheit
32.
Die Klägerin stützt ihre Klage auf drei Gründe, und zwar auf
— einen Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages,
— einen Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages und
— einen Verstoß gegen die Begründungspflicht gemäß Artikel 190 des Vertrages.
Dieser Klagegrund besteht aus drei Teilen:
— unzureichende Begründung der streitigen Entscheidung in bezug auf die Anwendung von
Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages (erster Teil);
— unzureichende Begründung der Zurückweisung des Vorbringens zur Freistellung geringfügiger
Beihilfen im Luftverkehr (zweiter Teil);
— unzureichende Begründung in bezug auf die Anwendung von Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c
des Vertrages (dritter Teil).
33.
Da sich die ersten beiden Teile des dritten Klagegrundes auf einen Verstoß gegen die
Begründungspflicht hinsichtlich der Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 92 Absatz 1 des
Vertrages stützen, wird das Gericht sie gleich nach dem ersten Klagegrund prüfen.
Vorbringen der Parteien
34.
Die Klägerin ist der Ansicht, daß die Beihilfe, wenn sie so geringfügig ist, daß sie die
Wettbewerbsposition des Begünstigten gegenüber seinen Konkurrenten auf dem relevanten Markt
nicht stärkt, weder den Wettbewerb verfälsche noch den Handel zwischen Mitgliedstaaten
beeinträchtige.
35.
Im vorliegenden Fall sei die Beihilfe derart gering, daß sie sich nicht auf die Kosten oder die
Preisstruktur von VLM auswirke. Sie betrage pro befördertem Passagier nur wenige belgische Franken.
Sie habe VLM folglich keinen Vorteil verschafft, der ihre Wettbewerbsposition gegenüber den anderen
Fluggesellschaften gestärkt habe, mit denen sie auf dem innergemeinschaftlichen Luftverkehrsmarkt
konkurriere. Die Beihilfe könne daher auch den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht
beeinträchtigen.
36.
Um eine Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten bejahen zu können, hätte die
Beklagte feststellen müssen, daß die streitige Beihilfe VLM einen Vorteil verschafft habe, der ihre
Wettbewerbsposition (gegenüber der ihrer Konkurrenten) gestärkt habe. Sie habe aber keine
Angaben darüber gemacht, inwiefern VLM durch das erhaltene Darlehen begünstigt worden sei.
37.
Zunächst seien die Ausführungen der Beklagten zu den Merkmalen des Luftverkehrssektors und
der Umstand, daß sie durch eine Beschwerde eines Konkurrenten über die Beihilfe unterrichtet
worden sei, insoweit unerheblich. Ferner lasse sich aus der Tatsache, daß eine staatliche Beihilfe
einem Unternehmen gewährt werde, dessen Tätigkeit dem Wesen nach den Handel zwischen
verschiedenen Mitgliedstaaten betreffe, nicht ableiten, daß das begünstigte Unternehmen dadurch
einen Vorteil gegenüber seinen Konkurrenten erlange. Im übrigen treffe es nicht zu, daß die
Bedienung der Strecke Antwerpen—London City Airport durch VLM andere Gesellschaften davon
abhalte, diese Strecke ebenfalls zu bedienen, da der Markt liberalisiert worden sei und die
Liberalisierungsmaßnahmen ein spezielles Verfahren für die Bereitstellung von Zeitfenstern für neue
Marktteilnehmer vorsähen. Schließlich habe sich VLM weder zum Zeitpunkt der Gewährung des
Darlehens noch zwei Jahre später in
finanziellen Schwierigkeiten befunden, denn es sei völlig normal, daß eine neu gegründete
Fluggesellschaft Anlaufverluste erleide.
38.
Die streitige Beihilfe habe VLM somit keinen Vorteil gegenüber den Konkurrenzunternehmen
verschafft, die im Rahmen von Umstrukturierungsprogrammen, die die Kommission genehmigt habe,
mehrere Milliarden belgische Franken erhielten oder die, wie die Beschwerdeführerin Cityflyer, zu
einem Franchisesystem gehörten und dadurch von der Gruppe, deren Mitglied sie seien, indirekt
subventioniert würden. Insoweit sei nicht nachvollziehbar, wie die Kommission behaupten könne, daß
ein von ihr auf höchstens 1 860 000 BFR pro Jahr geschätzter Betrag VLM in die Lage versetzt habe,
ihre Preise unverändert zu lassen, ihre Marktstellung gegenüber ihren Konkurrenten zu verteidigen
sowie größere Verluste und sogar den Konkurs zu verhindern.
39.
Schließlich habe die Beklagte dadurch gegen Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages verstoßen, daß sie
den Betrag der Beihilfe zu hoch angesetzt habe. Sie habe die Beihilfe nämlich unter Ansatz einer
Risikoprämie von 2 % berechnet und dies damit begründet, daß es für das streitige Darlehen keine
Sicherheit gebe, die unmittelbar an bewegliches oder unbewegliches Vermögen anknüpfe. Diese
Risikoprämie hätte aber 1 % betragen müssen, da nach Artikel 3 des Darlehensvertrags die
Einräumung einer Hypothek und die Veräußerung von Aktiva der vorherigen Zustimmung der Klägerin
bedürften und da diese berechtigt sei, sich auf erste Anforderung eine Hypothek einräumen zu
lassen. Die Höhe der Beihilfe entspreche folglich der Summe der bei Anwendung eines Zinssatzes von
8,3 % und nicht von 9,3 % geschuldeten Zinsen.
40.
Nach Ansicht der Beklagten ist der Klagegrund zurückzuweisen, da alle Voraussetzungen für die
Anwendung von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages im vorliegenden Fall erfüllt seien. Das streitige
Darlehen sei von einer staatlichen Stelle (der Flämischen Region) gewährt worden und verschaffe der
Begünstigten in einer Branche mit starkem Wettbewerb einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenten.
Es verfälsche somit den Wettbewerb und beeinträchtige den Handel zwischen Mitgliedstaaten, da —
insbesondere in Belgien — ein sehr großer Teil des europäischen Luftverkehrs innergemeinschaftlich
sei.
Würdigung durch das Gericht
41.
Es ist zu prüfen, ob die Beklagte zu dem Schluß berechtigt war, daß die fragliche Beihilfe den
Wettbewerb verfälschte oder zu verfälschen drohte und den Handel zwischen Mitgliedstaaten
beeinträchtigte.
A — Zur Verzerrung des Wettbewerbs
42.
Die streitige Beihilfe dient zur Förderung des Ausbaus und des Betriebes mehrerer europäischer
Flugstrecken (Artikel 1 des streitigen Darlehensvertrags; siehe oben,
Randnr. 13), auf denen die Begünstigte mit anderen Fluggesellschaften, zu denen auch
Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten gehören, in Wettbewerb steht. Der
Darlehensvertrag schreibt somit nicht vor, die Beihilfe zur Finanzierung einer bestimmten Ausgabe zu
verwenden. Durch die Zinslosigkeit des fraglichen Darlehens wird die Begünstigte daher von
gewöhnlichen Lasten befreit, die mit ihrem laufenden Betrieb verbunden sind.
43.
Wie der Gerichtshof und das Gericht ausgeführt haben, verfälschen Betriebsbeihilfen, also Beihilfen,
mit denen ein Unternehmen — wie mit der streitigen Beihilfe — von Kosten befreit werden soll, die es
normalerweise im Rahmen seines laufenden Betriebes oder seiner üblichen Tätigkeiten hätte tragen
müssen, grundsätzlich die Wettbewerbsbedingungen (Urteil des Gerichts vom 8. Juni 1995 in der
Rechtssache T-459/93, Siemens/Kommission, Slg. 1995, II-1675, Randnrn. 48 und 77, und die dort
genannte Rechtsprechung).
44.
Im fünften Absatz von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung hat die Beklagte folgendes
ausgeführt: „Angesichts des intensiven Wettbewerbs im Luftverkehrssektor der Gemeinschaft ist die
Tatsache, daß nur VLM die Strecke Antwerpen—London bis und ab London City Airport fliegt, für die
Beurteilung der Kommission unerheblich, da die Beihilfe die Zugangsmöglichkeiten vorhandener oder
potentieller Wettbewerber zum Markt der betreffenden Flugstrecke auf jeden Fall einschränkt und
dadurch den Wettbewerb verfälscht. Darüber hinaus ist es VLM nicht untersagt, die fragliche Beihilfe
für ein Vordringen in andere Märkte zu verwenden.“ Hierzu ist festzustellen, daß die Klägerin die
Existenz starken Wettbewerbs im Luftverkehrssektor der Gemeinschaft nicht bestritten hat.
45.
Die Klägerin leugnet nicht, daß das streitige Darlehen VLM einen Vorteil verschafft hat, da es ihr
zinslos gewährt wurde. Sie ist jedoch der Ansicht, daß der VLM zugeflossene Vorteil ihre
Wettbewerbsposition gegenüber den konkurrierenden Fluggesellschaften nicht gestärkt habe.
46.
Begünstigt eine staatliche Stelle ein Unternehmen, das in einer durch intensiven Wettbewerb
gekennzeichneten Branche tätig ist, durch die Einräumung eines Vorteils, so liegt eine Verzerrung des
Wettbewerbs oder die Gefahr einer solchen Verzerrung vor. Ist der Vorteil geringer, so wird auch der
Wettbewerb geringer verfälscht, aber verfälscht wird er gleichwohl. Das Verbot in Artikel 92 Absatz 1
des Vertrages gilt für jede Beihilfe, die den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht,
unabhängig von ihrer Höhe, sofern sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt.
47.
Folglich ist die Beklagte zu Recht davon ausgegangen, daß die streitige Beihilfe denWettbewerb
verfälschte oder zu verfälschen drohte.
B — Zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten
48.
Nach ständiger Rechtsprechung schließt weder der verhältnismäßig geringe Umfang einer Beihilfe
noch die verhältnismäßig geringe Größe des begünstigten Unternehmens von vornherein die
Möglichkeit einer Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten aus (Urteile des
Gerichtshofes vom 21. März 1990 in der Rechtssache C-142/87, Belgien/Kommission, Slg. 1990, I-959,
Randnr. 43, und vom 14. September 1994 in den Rechtssachen C-278/92, C-279/92 und C-280/92,
Spanien/Kommission, Slg. 1994, I-4103, Randnrn. 40 bis 42).
49.
Auch eine relativ geringfügige Beihilfe kann den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen,
wenn — wie im vorliegenden Fall — in der Branche, in der das dadurch begünstigte Unternehmen tätig
ist, ein lebhafter Wettbewerb herrscht (Urteile des Gerichtshofes vom 11. November 1987 in der
Rechtssache 259/85, Frankreich/Kommission, Slg. 1987, 4393, Randnr. 24, und vom 21. März 1991 in
der Rechtssache C-303/88, Italien/Kommission, Slg. 1991, I-1433, Randnr. 27).
50.
Stärkt eine staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Finanzhilfe die Stellung eines
Unternehmens gegenüber konkurrierenden Unternehmen im innergemeinschaftlichen Handel, so muß
dieser als von der Beihilfe beeinflußt erachtet werden (Urteil des Gerichtshofes vom 17. September
1980 in der Rechtssache 730/79, Philip Morris/Kommission, Slg. 1980, 2671, Randnr. 11).
51.
Im vorliegenden Fall verfälscht das Darlehen nach Ansicht der Beklagten den Wettbewerb und
beeinträchtigt den Handel zwischen den Mitgliedstaaten, „da es einem einzelnen Unternehmen zugute
kommt, dessen Luftfahrttätigkeit — die den Handel naturgemäß unmittelbar berührt — sich auf
mehrere Mitgliedstaaten und möglicherweise den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum erstreckt.
Dies gilt insbesondere seit Inkrafttreten des dritten Luftverkehrspakets am 1. Januar 1993, mit dem
die Liberalisierung des Sektors vollendet und die Wettbewerbsmöglichkeiten erheblich gesteigert
werden. Bei VLM handelt es sich um ein Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft mit einer
aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 2407/92 des Rates erteilten Betriebsgenehmigung. Gemäß Artikel
3 der Verordnung (EWG) Nr. 2408/92 des Rates und Artikel 5 der Verordnung (EWG) Nr. 2409/92 des
Rates müssen die betreffenden Mitgliedstaaten VLM außer in den ausdrücklich vorgesehenen
Ausnahmefällen die Genehmigung erteilen, bei freier Tarifgestaltung Verkehrsrechte auf den
innergemeinschaftlichen Strecken auszuüben“ (vierter Absatz von Abschnitt V der angefochtenen
Entscheidung).
52.
Diese und die oben in Randnummer 44 wiedergegebenen Erwägungen sind voll und ganz
begründet. Die streitige Beihilfe kommt einem auf den internationalen Handel ausgerichteten
Unternehmen zugute, da es Strecken zwischen Städten bedient, die sich in verschiedenen
Mitgliedstaaten befinden, und mit Fluggesellschaften aus anderen Mitgliedstaaten in Wettbewerb
steht. Wie Randnummer 42 zu entnehmen ist, dient die Beihilfe zur Förderung des Ausbaus und des
Betriebes europäischer Flugstrecken; dadurch wird ihre Eignung zur Beeinträchtigung des Handels
zwischen Mitgliedstaaten noch gesteigert.
53.
Folglich ist die Beklagte zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, daß die streitige Beihilfe den Handel
zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigte.
C — Zur Auswirkung der den Konkurrenten von VLM gewährten Beihilfen
54.
Der Umstand, daß Konkurrenten von VLM staatliche Beihilfen erhalten, die möglicherweise
rechtswidrig sind, hat keine Auswirkung auf die Einstufung als Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1
des Vertrages. Verletzt ein Mitgliedstaat eine Verpflichtung, die ihm nach dem Vertrag im
Zusammenhang mit dem Verbot in Artikel 92 obliegt, so kann dies nicht damit gerechtfertigt werden,
daß andere Mitgliedstaaten dieser Verpflichtung ebenfalls nicht nachkommen (Urteil des
Gerichtshofes vom 22. März 1977 in der Rechtssache 78/76, Steinike & Weinlig, Slg. 1977, 595,
Randnr. 24).
D — Zur Beurteilung der Höhe der Beihilfe
55.
Das Vorbringen der Klägerin, die Beklagte habe dadurch gegen Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages
verstoßen, daß sie den Betrag der Beihilfe zu hoch angesetzt habe, ist zurückzuweisen. Die Klägerin
hat nicht dargetan, daß VLM das streitige Darlehen dank der aus Artikel 3 des in Rede stehenden
Darlehensvertrags hervorgehenden Rechte zu dem — ihrer Ansicht nach heranzuziehenden — Satz von
8,3 % hätte erhalten können.
E — Ergebnis
56.
Wie sich aus den obenstehenden Ausführungen ergibt, hat die Klägerin nicht nachgewiesen, daß
die Beklagte Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages unrichtig angewandt hat. Der Klagegrund ist daher
zurückzuweisen.
Vorbringen der Parteien
57.
Die Klägerin bringt vor, nach ständiger Rechtsprechung müsse die gemäß Artikel 190 des Vertrages
erforderliche Begründung die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den angefochtenen
Rechtsakt erlassen habe, so klar und unzweideutig wiedergeben, daß es den Betroffenen möglich sei,
zur Wahrnehmung ihrer Rechte die tragenden Gründe für die Maßnahme zu erfahren, und daß der
Gerichtshof seine Kontrolle ausüben könne (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Februar 1990 in der
Rechtssache C-350/88, Delacre u. a./Kommission, Slg. 1990, I-395, und die dort genannte
Rechtsprechung, und Urteil des Gerichts vom 28. September 1995 in der Rechtssache T-95/94,
Sytraval und Brink's France/Kommission, Slg. 1995, II-2651, Randnr. 52).
58.
Um feststellen zu können, daß eine Beihilfe den Wettbewerb verfälsche und den
innergemeinschaftlichen Handel beeinträchtige, müsse die Kommission klar und unzweideutig
nachweisen, daß die Beihilfe dem Begünstigten einen Vorteil verschafft habe, der es ihm ermöglicht
habe, seine Position im innergemeinschaftlichen Handel gegenüber seinen Konkurrenten zu stärken
(Urteil Philip Morris/Kommission, bereits in Randnr. 50 genannt).
59.
Der angefochtenen Entscheidung zufolge sei es zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, daß eine
Beihilfe (auch wenn sie relativ geringfügig sei) den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen
könne. Ihr lasse sich jedoch nicht entnehmen, daß die streitige Beihilfe VLM tatsächlich einen
spürbaren Wettbewerbsvorteil verschaffe und dadurch den Handel zwischen Mitgliedstaaten
beeinträchtige. Die Beklagte habe abstrakte Erwägungen angestellt, ohne konkret den geringen
Umfang der Beihilfe, die Besonderheiten des Luftverkehrssektors und die Tatsache zu
berücksichtigen, daß der Anteil von VLM am relevanten Markt sehr klein sei.
60.
Schließlich gehe aus der Entscheidung nicht hervor, ob die Beklagte die Auswirkung der streitigen
Beihilfe auf die Kostenstruktur, die Preise oder andere betriebliche Aspekte von VLM untersucht habe.
61.
Die Beklagte bestreitet, zu einer so eingehenden Begründung verpflichtet zu sein, und macht
geltend, die im fünften und sechsten Absatz von Abschnitt V der angefochtenen Entscheidung
angestellten Erwägungen genügten völlig den Anforderungen von Artikel 190 des Vertrages. Dieser
Teil des Klagegrundes sei daher zurückzuweisen.
Würdigung durch das Gericht
62.
Nach ständiger Rechtsprechung muß die gemäß Artikel 190 des Vertrages erforderliche
Begründung die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den angefochtenen Rechtsakt
erlassen hat, so klar und unzweideutig wiedergeben, daß es den Betroffenen möglich ist, zur
Wahrnehmung ihrer Rechte die tragenden Gründe für die Maßnahme zu erfahren, und daß der
Gemeinschaftsrichter seine Kontrolle ausüben kann (Urteile des Gerichts vom 18. September 1995 in
der Rechtssache T-471/93, Tiercé Ladbroke/Kommission, Slg. 1995, II-2537, Randnr. 29, und die dort
genannte Rechtsprechung, und vom 24. April 1996 in den Rechtssachen T-551/93, T-231/94, T-
232/94, T-233/94 et T-234/94, Industrias Pesqueras Campos u. a./Kommission, Slg. 1996, II-247,
Randnr. 140, und die dort genannte Rechtsprechung).
63.
In der Begründung brauchen jedoch nicht alle einschlägigen tatsächlichen und rechtlichen
Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den
Erfordernissen von Artikel 190 des Vertrages genügt, nicht nur im Hinblick auf ihren Wortlaut zu
beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem
betreffenden Gebiet
(Urteile des Gerichtshofes vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-56/93, Belgien/Kommission,
Slg. 1996, I-723, Randnr. 86, und vom 15. Mai 1997 in der Rechtssache C-278/95 P,
Siemens/Kommission, Slg. 1997, I-2507, Randnr. 17; Urteil des Gerichts vom 22. Oktober 1996 in der
Rechtssache T-266/94, Skibsværftsforeningen u. a./Kommission, Slg. 1996, II-1399, Randnr. 230). Die
Kommission braucht in der Begründung von Entscheidungen, die sie erläßt, um die Anwendung der
Wettbewerbsregeln sicherzustellen, nicht auf alle Argumente einzugehen, die ihr die Betroffenen
vortragen. Es reicht aus, daß sie die Tatsachen und rechtlichen Erwägungen anführt, denen nach
dem Aufbau der Entscheidung eine wesentliche Bedeutung zukommt (Urteile des Gerichts vom 24.
Januar 1992 in der Rechtssache T-44/90, La Cinq/Kommission, Slg. 1992, II-1, Randnr. 41, und die dort
genannte Rechtsprechung, und vom 8. Juni 1995 in der Rechtssache Siemens/Kommission, bereits in
Randnr. 43 genannt, Randnr. 31).
64.
Wird dieser Grundsatz auf die Einstufung einer Maßnahme als Beihilfe angewandt, so müssen die
Gründe angegeben werden, aus denen die fragliche Beihilfemaßnahme nach Ansicht der Kommission
unter Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages fällt. Insoweit hat die Kommission auch in Fällen, in denen sich
aus den Umständen, unter denen die Beihilfe gewährt wurde, ergibt, daß sie geeignet ist, den Handel
zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, und den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen
droht, diese Umstände in der Begründung ihrer Entscheidung zumindest zu erwähnen (Urteile des
Gerichtshofes vom 7. Juni 1988 in der Rechtssache 57/86, Griechenland/Kommission, Slg. 1988, 2855,
Randnr. 15, und vom 24. Oktober 1996 in den Rechtssachen C-329/93, C-62/95 und C-63/95,
Deutschland u. a./Kommission, Slg. 1996, I-5151, Randnr. 52, und die dort genannte
Rechtsprechung).
65.
Im vorliegenden Fall hat die Beklagte im zweiten Absatz von Abschnitt V der angefochtenen
Entscheidung ausgeführt, daß das streitige Darlehen eine Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1
des Vertrages und Artikel 61 Absatz 1 des EWR-Abkommens darstelle. Wie aus der angefochtenen
Entscheidung und insbesondere aus dem ersten Satz des vierten Absatzes und dem dritten Satz des
fünften Absatzes von Abschnitt V hervorgeht, deren wesentliche Passagen in den obigen
Randnummern 51 und 44 wiedergegeben werden, hat die Beklagte die Auswirkungen der streitigen
Beihilfe auf den Wettbewerb und den innergemeinschaftlichen Handel nicht nur abstrakt beurteilt. In
bezug auf die Voraussetzung der Verzerrung des Wettbewerbs wird in der angefochtenen
Entscheidung ausgeführt, daß die VLM gewährte Beihilfe den Wettbewerb verfälsche oder zu
verfälschen drohe, da sie in einer Branche mit starkem Wettbewerb die Zugangsmöglichkeiten der
Konkurrenten zum Markt der Strecke Antwerpen—London einschränke und die Möglichkeiten von VLM
zum Vordringen in andere Märkte erhöhe. Zur Voraussetzung der Beeinträchtigung des Handels
zwischen Mitgliedstaaten heißt es in der Entscheidung, da sich die Tätigkeit von VLM auf mehrere
Mitgliedstaaten und möglicherweise den gesamten EWR erstrecke, sei auch diese Voraussetzung
erfüllt.
66.
Aus dieser Begründung ergibt sich, daß die Beklagte geprüft hat, ob die Voraussetzungen für die
Anwendung von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages vorlagen. Dabei hat sie die Tatsachen und
rechtlichen Erwägungen angeführt, denen nach dem Aufbau der Entscheidung eine wesentliche
Bedeutung zukommt. Die Begründung ermöglicht es der Klägerin und dem Gemeinschaftsrichter, die
Gründe zu erfahren, aus denen die Beklagte die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 92
Absatz 1 des Vertrages im vorliegenden Fall als erfüllt ansah.
67.
Die Klägerin kann der Beklagten nicht vorwerfen, die konkreten Auswirkungen der streitigen Beihilfe
auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht geprüft zu haben. Zum einen trifft dieses Argument
sachlich nicht zu, wie den obigen Randnummern 44, 51, 65 und 66 zu entnehmen ist. Die Kommission
brauchte im vorliegenden Fall keine ganz genaue zahlenmäßige wirtschaftliche Analyse vorzunehmen,
da sie ausgeführt hatte, warum die Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten
offenkundig war. Zum anderen war die Kommission nicht verpflichtet, die tatsächlichen Auswirkungen
der Beihilfe darzulegen, da diese nicht angemeldet worden war. Müßte sie nämlich in ihrer
Entscheidung die tatsächlichen Auswirkungen bereits gewährter Beihilfen darlegen, so würden
dadurch diejenigen Mitgliedstaaten, die Beihilfen unter Verstoß gegen die Anmeldepflicht in Artikel 93
Absatz 3 des Vertrages zahlen, zu Lasten derjenigen begünstigt, die die Beihilfen in der
Planungsphase anmelden (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Februar 1990 in der Rechtssache C-
301/87, Frankreich/Kommission, Slg. 1990,I-307, Randnr. 33).
68.
Demnach sind die von der Klägerin im Rahmen des ersten Teils des dritten Klagegrundes
vorgetragenen Rügen zurückzuweisen.
Vorbringen der Parteien
69.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Existenz des in Nummer 50 der Leitlinien vorgesehenen
beschleunigten Genehmigungsverfahrens gemäß Artikel 93 Absatz 3 des Vertrages zeige, daß
Beihilfen im Luftverkehr, die diese Höchstgrenze nicht überschritten, in den Augen der Kommission als
auf den ersten Blick mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar anzusehen seien.
70.
Die streitige Entscheidung sei in diesem Punkt nicht ausreichend begründet, da sie keine Angaben
enthalte, anhand deren der Gemeinschaftsrichter und die Klägerin ermitteln könnten, inwieweit die
Beklagte geprüft habe, ob die kleine Beihilfe, die VLM erhalten habe, als geringfügige Beihilfe im
Luftverkehr freigestellt werden könne.
71.
Außerdem werde in der angefochtenen Entscheidung die von der Flämischen Region am 23. Januar
1995 hierzu abgegebene Stellungnahme in irreführender Weise wiedergegeben.
72.
In der Erwiderung trägt die Klägerin vor, die Beklagte habe dadurch ihr Ermessen überschritten,
daß sie die Auffassung vertreten habe, daß die Freistellung geringfügiger Beihilfen im Bereich des
Luftverkehrs, in dem lebhafter innergemeinschaftlicher Wettbewerb herrsche und eine große Zahl von
Unternehmen mit Schwierigkeiten zu kämpfen hätten, nicht möglich sei, weil selbst eine geringe
Beihilfe zu schweren Wettbewerbsverzerrungen führen würde. Es sei unlogisch, daß neue
Gesellschaften, die nach der Liberalisierung des Luftverkehrssektors in diesen Markt hätten
eindringen können, nicht ebenso wie kleine und mittlere Unternehmen in anderen Bereichen einen
geringen Betrag als Investitionsbeihilfe erhalten könnten, während die meisten nationalen
Fluggesellschaften ganz erhebliche Beihilfen erhielten. Insoweit habe die Beklagte im übrigen
festzustellen versäumt, daß es ihr die Rechtsvorschriften im Bereich des Luftverkehrs ermöglichten,
sehr hohe Beihilfen zu genehmigen.
73.
Nach Ansicht der Beklagten ist dieser Teil des Klagegrundes zurückzuweisen, da schon die Existenz
des beschleunigten Genehmigungsverfahrens zeige, daß Beihilfen, die unterhalb der vorgesehenen
Höchstgrenze lägen, nicht als auf den ersten Blick mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen
werden könnten.
Würdigung durch das Gericht
74.
Aus dem in Nummer 50 der Leitlinien vorgesehenen beschleunigten Genehmigungsverfahren für
geringfügige Beihilfen läßt sich nicht ableiten, daß Beihilfen, die niedriger sind als die dort festgelegte
Höchstgrenze, nicht unter das Verbot in Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages fallen oder normalerweise
als vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt anzusehen sind.
75.
Wie die Beklagte zu Recht ausführt, zeigt allein die Existenz dieses Verfahrens, daß dies nicht der
Fall sein kann. Folglich brauchte die Beklagte nicht zu prüfen, ob die streitige Beihilfe freigestellt
werden konnte, weil sie unter der in Nummer 50 der Leitlinien festgelegten Höchstgrenze blieb.
76.
Selbst wenn man unterstellt, daß Beihilfen, die diese Höchstgrenze unterschreiten, als vereinbar
mit dem Gemeinsamen Markt angesehen werden können, geht aus der Entscheidung gleichwohl
hervor, daß die Beihilfe im vorliegenden Fall nach Ansicht der Beklagten nicht für vereinbar mit dem
Gemeinsamen Markt erklärt werden konnte (siehe oben, Randnrn. 44 und 51).
77.
Die Rüge, daß die Beklagte die Stellungnahme der Klägerin in der angefochtenen Entscheidung
unrichtig wiedergegeben habe, ist zurückzuweisen. Auf diese Stellungnahme wird im Rahmen einer
Antwort auf das Argument der Klägerin
Bezug genommen, daß die streitige staatliche Maßnahme gemäß Nummer 50 der Leitlinien freigestellt
werden könne (achter Absatz von Abschnitt VII der angefochtenen Entscheidung). Diese Antwort ist
aber kein wesentlicher Bestandteil der den verfügenden Teil der angefochtenen Entscheidung
stützenden Begründung. Dies folgt im übrigen daraus, daß die Auffassung der Beklagten, die streitige
Beihilfemaßnahme falle unter Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages, ausreichend begründet ist (siehe
oben, Randnrn. 65 bis 67). Daher kann die Rüge selbst dann keinen Erfolg haben, wenn die
Stellungnahme der Klägerin nicht zutreffend wiedergegeben wurde.
78.
Schließlich hat die Klägerin durch den in der Erwiderung erhobenen Vorwurf an die Beklagte, bei der
Anwendung von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages ihr Ermessen überschritten zu haben, im Lauf des
Verfahrens ein neues Angriffsmittel geltend gemacht, das sich vom Klagegrund einer Verletzung der
Begründungspflicht unterscheidet. Da dieses Angriffsmittel nicht auf rechtliche oder tatsächliche
Gründe gestützt wird, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind, ist es im Hinblick auf
Artikel 48 § 2 der Verfahrensordnung für unzulässig zu erklären.
79.
Diese Rüge ist jedenfalls nicht begründet. Die Beklagte hat im vorliegenden Fall die Leitlinien
angewandt. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß sich die Kommission bei der Ausübung ihres
Ermessens durch Maßnahmen wie die fraglichen Leitlinien selbst binden kann, sofern sie Regeln
enthalten, denen sich die von diesem Organ zu verfolgende Politik entnehmen läßt und die nicht von
Normen des Vertrages abweichen (Urteil des Gerichtshofes vom 24. März 1993 in der Rechtssache C-
313/90, CIRFS u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1125, Randnrn. 34 und 36; Urteil des Gerichts vom 12.
Dezember 1996 in der Rechtssache T-380/94, AIUFFASS und AKT/Kommission, Slg. 1996, II-2169,
Randnr. 57; siehe auch Urteil des Gerichts vom 5. November 1997 in der Rechtssache T-149/95,
Ducros/Kommission, Slg. 1997, II-2031, Randnr. 61). Die Klägerin hat aber nicht dargetan, daß die
Leitlinien vom Vertrag abwichen. Im übrigen hat nach der obigen Randnummer 54 der Umstand, daß
Konkurrenten von VLM staatliche Beihilfen erhalten, die möglicherweise rechtswidrig sind, keine
Auswirkung auf die Einstufung als Beihilfe im Sinne von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages.
80.
Demnach sind die von der Klägerin im Rahmen des zweiten Teils des dritten Klagegrundes
vorgetragenen Rügen zurückzuweisen.
Vorbringen der Parteien
81.
Die Klägerin trägt vor, selbst wenn die streitige Beihilfe unter Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages falle,
sei sie durch Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages gedeckt. Die Beklagte habe bei der
Prüfung der Möglichkeit, die Beihilfe gemäß
der letztgenannten Bestimmung zu genehmigen, einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen
und ihr Ermessen offensichtlich überschritten.
82.
Die Kommission habe durch den Erlaß der Leitlinien ihr Ermessen nicht ausgeschöpft. Sie müsse in
jedem Einzelfall prüfen, inwieweit eine Beihilfe nach Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages als
vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt angesehen werden könne. Die Leitlinien dürften nicht dazu
führen, daß von ihnen nicht erfaßte Fälle prima facie als offensichtlich rechtswidrig behandelt würden
und nicht gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages als vereinbar mit dem Gemeinsamen
Markt angesehen werden könnten. Werde eine bestimmte Form von Beihilfen von den Leitlinien nicht
erfaßt, so könne sich die Kommission nicht darauf beschränken, schlicht und einfach auf diese zu
verweisen.
83.
In der vorliegenden Rechtssache habe die Beklagte diese Pflicht verletzt, da sie nicht geprüft habe,
inwieweit die VLM gewährte Beihilfe angesichts ihrer Höhe als Beihilfe zur Förderung der Entwicklung
gewisser Wirtschaftszweige im Sinne von Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages hätte
freigestellt werden können. Sie hätte dies im Licht von Nummer 8 der Leitlinien (wo auf die
Notwendigkeit hingewiesen werde, den Luftverkehrsunternehmen der Gemeinschaft gleiche
Ausgangsbedingungen zu verschaffen, so daß sie sich am Wettbewerb beteiligen könnten) und in
Anbetracht der Tatsache prüfen müssen, daß sich neue Fluggesellschaften wie VLM seit dem
Inkrafttreten des dritten Maßnahmenpakets für den Luftverkehr mit Konkurrenten auseinandersetzen
müßten, von denen die meisten in den Genuß eines von der Kommission genehmigten
Subventionsprogramms kämen.
84.
Die Beklagte sei ferner zu Unrecht davon ausgegangen, daß es sich bei der streitigen Beihilfe um
eine Betriebsbeihilfe gehandelt habe, daß sie an keine Bedingung hinsichtlich der Verwendung des
Betrages geknüpft worden sei, daß die Klägerin keine Sicherheiten erhalten habe und daß sich VLM
zum Zeitpunkt der Gewährung des Darlehens in finanziellen Schwierigkeiten befunden habe. In
Wirklichkeit handele es sich bei der fraglichen Beihilfe um eine Investitionsbeihilfe, da sie zum Ausbau
verschiedener europäischer Strecken habe verwendet werden sollen.
85.
Die Beklagte beantragt die Zurückweisung des Klagegrundes und führt aus, sie habe sich genau
an die von ihr im Rahmen ihres Ermessens erlassenen Leitlinien gehalten.
Würdigung durch das Gericht
86.
In Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages wird der Kommission ein Ermessen eingeräumt, da
er vorsieht, daß die dort aufgeführten Beihilfen als vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt angesehen
werden „können“, soweit sie
die Handelsbedingungen nicht in einer Weise verändern, die dem gemeinsamen Interesse zuwiderläuft
(vgl. Urteil Philip Morris/Kommission, bereits in Randnr. 50 genannt, Randnr. 17).
87.
Die Klägerin kann der Beklagten nicht vorwerfen, ihr Ermessen dadurch überschritten zu haben,
daß sie nicht geprüft habe, inwieweit die streitige Beihilfe als Beihilfe zur Förderung der Entwicklung
gewisser Wirtschaftszweige hätte freigestellt werden können. Die Beklagte hat dies nämlich im
siebenten Absatz von Abschnitt VII der angefochtenen Entscheidung ausdrücklich getan und ist dabei
auf das Vorbringen der belgischen Behörden im Verwaltungsverfahren eingegangen. Sie hat
insbesondere ausgeführt, daß sie „Freistellungen nur für Beihilfen im Zusammenhang mit der
Umstrukturierung von Unternehmen [gewährt] ... Nach Angaben der belgischen Behörden liegt jedoch
keine Umstrukturierungsbeihilfe vor. Von einem Sanierungsplan für das Unternehmen VLM ist
ebenfalls keine Rede. Die Freistellungsvoraussetzungen des Artikels 92 Absatz 3 Buchstabe c) EG-
Vertrag und [des Artikels] 61 Absatz 3 Buchstabe c) EWR-Abkommen sind daher auf keinen Fall
erfüllt.“ Mit der Feststellung, daß es sich bei der streitigen Beihilfe nicht um eine
Umstrukturierungsbeihilfe handele, nahm die Beklagte ausdrücklich auf die Leitlinien Bezug, nach
denen eine Freistellung zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftszweige gemäß Artikel 92
Absatz 3 Buchstabe c nur bei Umstrukturierungsbeihilfen in Betracht kommt (Nrn. 37 und 38 der
Leitlinien).
88.
Da die Höhe der Beihilfe kein nach Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages oder nach den
auf den vorliegenden Fall anwendbaren Leitlinien heranzuziehendes Kriterium darstellt, brauchte die
Beklagte nicht speziell zu prüfen, ob die Beihilfe angesichts ihrer Höhe gemäß dieser Bestimmung
freigestellt werden konnte.
89.
Im Rahmen des weiten Ermessens, über das die Beklagte bei der Anwendung von Artikel 92 Absatz
3 Buchstabe c des Vertrages verfügt, darf sie die Kriterien heranziehen, die ihr am geeignetsten
erscheinen, um zu prüfen, ob eine Beihilfe als vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt angesehen
werden kann, vorausgesetzt, diese Kriterien sind von den Artikeln 3 Buchstabe g und 92 des
Vertrages gedeckt. Dabei kann sie die Kriterien, die sie heranziehen möchte, in Leitlinien präzisieren,
die mit dem Vertrag in Einklang stehen (siehe oben, Randnr. 79). Der Erlaß solcher Leitlinien durch die
Kommission geschieht in Ausübung ihres Ermessens und führt nur zu einer Selbstbeschränkung
dieses Ermessens bei der Prüfung der unter die Leitlinien fallenden Beihilfen, wobei der Grundsatz der
Gleichbehandlung zu beachten ist. Beurteilt die Kommission eine individuelle Beihilfe anhand solcher
von ihr zuvor erlassener Leitlinien, so kann ihr weder eine Überschreitung noch eine Nichtausübung
ihres Ermessens vorgeworfen werden. Denn zum einen behält sie ihre Befugnis, diese Leitlinien
aufzuheben oder zu ändern, wenn die Umstände es gebieten. Zum anderen betreffen die Leitlinien
einen abgegrenzten Bereich und beruhen auf dem Bestreben, eine von ihr festgelegte Politik zu
verfolgen.
90.
Entgegen dem Vorbringen der Klägerin ergibt sich aus Nummer 10 der Leitlinien, daß sie auf die
streitige Beihilfe anwendbar sind. Gemäß Nummer 14 der Leitlinien
(Abschnitt III) können direkte Betriebsbeihilfen für einzelne Flugstrecken im Prinzip nur genehmigt
werden, wenn die Beihilfe ihrem Empfänger die Erfüllunggemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen
ermöglichen soll (Nrn. 15 bis 23, Unterabschnitt III.2) oder sozialer Art ist (Nr. 24, Unterabschnitt III.3).
In den Nummern 37 bis 42 der Leitlinien wird eine Reihe von Bedingungen aufgezählt, die die
Empfänger von Beihilfen, die gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages zur Entwicklung
gewisser Wirtschaftszweige genehmigt werden können, erfüllen müssen. Aus dem systematischen
Zusammenhang der fraglichen Punkte geht hervor, daß nur Umstrukturierungsbeihilfen genehmigt
werden können.
91.
Hilfsweise vertritt die Klägerin die Ansicht, die Beklagte habe dadurch einen offensichtlichen
Beurteilungsfehler begangen, daß sie die Frage nicht im Licht von Nummer 8 der Leitlinien geprüft
habe, wo sie erkläre, daß sie den Luftverkehrsunternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen
verschaffen wolle. Mit dieser Rüge gibt sie zu verstehen, daß die streitige Beihilfe im Hinblick auf die
staatliche Unterstützung, die andere Fluggesellschaften erhalten hätten, genehmigt werden müsse,
damit VLM in der Lage sei, diesen durch staatliche Beihilfen begünstigten Gesellschaften zu gleichen
Bedingungen gegenüberzutreten.
92.
Hierzu ist festzustellen, daß die Genehmigung staatlicher Beihilfen an bestimmte Fluggesellschaften
nicht ipso facto ein Recht der übrigen Fluggesellschaften begründet, in den Genuß einer Ausnahme
vom Grundsatz des Verbotes von Beihilfen zu kommen. Es ist Sache der Kommission, im Rahmen ihres
Ermessens jedes Beihilfeprojekt individuell zu prüfen. Sie muß dies unter Berücksichtigung der das
Projekt kennzeichnenden besonderen Umstände sowie der allgemeinen Grundsätze des
Gemeinschaftsrechts und der Leitlinien tun. Selbst wenn in anderen Mitgliedstaaten ansässige
Gesellschaften rechtswidrige Beihilfen erhalten haben, hat dies keine Auswirkung auf die Beurteilung
der fraglichen Beihilfe (siehe oben, Randnr. 54).
93.
Das der Kommission zustehende Ermessen kann jedenfalls nicht allein deshalb wegfallen, weil sie
eine für einen Konkurrenten bestimmte Beihilfe genehmigt hat, denn sonst würde den Bestimmungen
des Vertrages, die ihr dieses Ermessen verleihen, die Wirksamkeit genommen.
94.
Die Klägerin kann der Beklagten nicht vorwerfen, daß sie die streitige Beihilfe als Betriebsbeihilfe
angesehen hat, die an keine Bedingung hinsichtlich der Verwendung des Betrages geknüpft war, für
die die Klägerin keine Sicherheiten erhalten hatte und bei deren Gewährung sich VLM in finanziellen
Schwierigkeiten befand. Der Darlehensvertrag schreibt nämlich nicht vor, die Beihilfe zur Finanzierung
einer bestimmten Ausgabe zu verwenden (siehe oben, Randnr. 42), so daß sie VLM von Lasten befreit,
die mit ihrem laufenden Betrieb verbunden sind. Bei der fraglichen Beihilfe handelt es sich somit um
eine Betriebsbeihilfe (vgl. dazu Urteil Siemens/Kommission, bereits in Randnr. 43 genannt, Randnr. 77)
und nicht um eine Umstrukturierungs- oder Investitionsbeihilfe.
95.
Die Beklagte hat in der angefochtenen Entscheidung nicht geltend gemacht, daß die Klägerin keine
Sicherheit als Gegenleistung für das Darlehen erhalten habe. Sie hat im siebenten und achten Absatz
von Abschnitt V ausgeführt, daß der „Darlehensgeber ... über eine gewisse Garantie [verfügt]“ und
daß „es sich nicht um eine Beleihung beweglicher oder unbeweglicher Gegenstände (z. B. Hypothek)
handelt“; dies wird durch den Wortlaut von Artikel 3 des streitigen Darlehensvertrags bestätigt.
96.
Schließlich hat die Beklagte ihre Behauptung, daß VLM bereits knapp zwei Jahre nach ihrer
Gründung finanzielle Schwierigkeiten gehabt habe (sechster Absatz von Abschnitt V), nicht bei der
Beurteilung der streitigen Beihilfe im Rahmen von Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages
aufgestellt, sondern bei der Anwendung des Kriteriums des privaten Kapitalgebers in einer
Marktwirtschaft im Zusammenhang mit der Prüfung, ob es sich bei dem fraglichen Darlehen um eine
Beihilfe im Sinne des Vertrages handelte. Insoweit hat die Klägerin nicht nachgewiesen, daß die
Beklagte dieses Kriterium falsch angewandt hat, so daß, auch wenn die streitige Behauptung zu
undifferenziert sein mag, dieser Umstand für sich genommen nicht zur Nichtigerklärung der
angefochtenen Entscheidung führen kann.
97.
Demnach hat die Beklagte eine Freistellung gemäß Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages
zu Recht abgelehnt.
Vorbringen der Parteien
98.
Die Klägerin führt aus, die Kommission dürfe sich in einer Einzelfallentscheidung nicht darauf
beschränken, Leitlinien zu erstellen, in denen ihre Politik im betreffenden Sektor zum Ausdruck
komme, oder festzustellen, daß die darin festgelegten Voraussetzungen nicht vorlägen. Sie müsse
konkret prüfen, ob die fragliche Beihilfe nicht unter die Ausnahme in Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c
des Vertrages fallen könne.
99.
Im vorliegenden Fall könne anhand der in der Entscheidung genannten Gründe nicht überprüft
werden, ob die Beklagte alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte berücksichtigt habe, die
eine Ausnahme vom Verbot staatlicher Beihilfen hätten rechtfertigen können. Der
Begründungsmangel sei um so offenkundiger, als in den Leitlinien, auf die die Beklagte in ihrer
Entscheidung Bezug genommen habe, die Anwendung von Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des
Vertrages nicht per se auf Umstrukturierungsbeihilfen beschränkt werde.
100.
Der Begründung der Entscheidung lasse sich insbesondere nicht entnehmen, inwieweit die
Beklagte konkret untersucht habe, ob die streitige Beihilfe dem im dritten Absatz von Kapitel VII der
angefochtenen Entscheidung genannten
Kriterium entspreche. Nach diesem Kriterium seien die in Artikel 92 Absatz 3 des Vertrages und in
Artikel 61 Absatz 3 des EWR-Abkommens vorgesehenen Freistellungsvoraussetzungen nur auf Fälle
anwendbar, in denen die Kommission feststelle, daß die Marktkräfte allein, d. h. ohne die betreffende
Beihilfe, nicht ausreichen würden, um den Begünstigten zu veranlassen, eines der Ziele dieser
Voraussetzungen zu verwirklichen.
101.
Die Beklagte meint, in ihrer Entscheidung hinreichend erläutert zu haben, weshalb sie die streitige
Beihilfe nicht genehmigt habe; sie habe namentlich darauf hingewiesen, daß die streitige Beihilfe nicht
zu einem zuvor von ihr genehmigten Umstrukturierungsprogramm gehört habe. Daher sei der dritte
Teil des Klagegrundes zurückzuweisen.
Würdigung durch das Gericht
102.
Die Beklagte hat ihre Entscheidung durch die Bezugnahme auf die in den Leitlinien festgelegten
Kriterien und durch die Feststellung, daß diese Kriterien im vorliegenden Fall nicht erfüllt seien
(siebenter Absatz von Abschnitt VII der angefochtenen Entscheidung), rechtlich hinreichend
begründet. Der Empfänger der Beihilfe, die Drittbetroffenen und der Gemeinschaftsrichter sind ohne
weiteres in der Lage, die Gründe zu erkennen, aus denen die Beklagte eine Freistellung gemäß Artikel
92 Absatz 3 des Vertrages abgelehnt hat.
103.
Die Klägerin kann der Beklagten nicht vorwerfen, nicht geprüft zu haben, ob die Marktkräfte ohne
die streitige Beihilfe ausgereicht hätten, um den Begünstigten zu veranlassen, eines der Ziele der in
Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages und in Artikel 61 Absatz 3 des EWR-Abkommens
vorgesehenen Freistellungsvoraussetzungen zu verwirklichen (vgl. den dritten Absatz von Abschnitt VII
der angefochtenen Entscheidung). Die Kommission brauchte nämlich nur festzustellen, daß eine der
in den Leitlinien festgelegten Voraussetzungen für die Genehmigungsfähigkeit der Beihilfe gemäß
Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages nicht erfüllt war (im vorliegenden Fall war dies das
Fehlen einer Umstrukturierungsabsicht), um mit ausreichender Begründung zu dem Ergebnis zu
kommen, daß die Beihilfe nicht gemäß dieser Bestimmung genehmigt werden konnte.
104.
Folglich ist auch der dritte Teil des dritten Klagegrundes unbegründet.
105.
Somit ist die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Kosten
106.
Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der
Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist und die Beklagte beantragt
hat, ihr die Kosten aufzuerlegen, hat sie neben ihren eigenen Kosten die Kosten der Beklagten zu
tragen.
Aus diesen Gründen
hat
DAS GERICHT (Fünfte erweiterte Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
García-Valdecasas
Tiili
Azizi
Moura Ramos Jaeger
Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 30. April 1998.
Der Kanzler
Der Präsident
H. Jung
J. Azizi
Inhaltsverzeichnis
Rechtlicher Rahmen
II -
Sachverhalt
II -
Verfahren
II -
Anträge
II -
Zur Zulässigkeit
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zur Begründetheit
II -
Erster Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
A — Zur Verzerrung des Wettbewerbs
II -
B — Zur Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten
II -
C — Zur Auswirkung der den Konkurrenten von VLM gewährten Beihilfen
II -
D — Zur Beurteilung der Höhe der Beihilfe
II -
E — Ergebnis
II -
Erster Teil des dritten Klagegrundes: unzureichende Begründung in bezug auf die Anwendung
von Artikel 92 Absatz 1 des Vertrages
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zweiter Teil des dritten Klagegrundes: unzureichende Begründung der Zurückweisung des
Vorbringens zur Freistellung geringfügiger Beihilfen im Luftverkehr
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Zweiter Klagegrund: Verstoß gegen Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages, der es der
Kommission ermöglicht, Beihilfen zur Förderung der Entwicklung gewisser Wirtschaftsgebiete für
vereinbar mit dem Gemeinsamen Markt zu erklären
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Dritter Teil des dritten Klagegrundes: unzureichende Begründung in bezug auf die Anwendung
von Artikel 92 Absatz 3 Buchstabe c des Vertrages
II -
Vorbringen der Parteien
II -
Würdigung durch das Gericht
II -
Kosten
II -
Verfahrenssprache: Niederländisch.